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10 2008 ACC Galerie Weimar | Burgplatz 1+2 | 99423 Weimar fon (+49) 0 36 43 – 85 12 61 | www.acc-weimar.de IN DER ACC GALERIE VERANSTALTUNGEN UNSTERN. SINISTRE. DISASTRO. Visionen zeitgenössischer Künstler Ausstellung vom 24.8. bis 2.11.2008 Roddy Bell: The Whispering Room, 2002/2008 (Detail).

Roddy Bell: The Whispering Room, 2002/2008 (Detail). · Frank Motz, Weimar, Bertram Schultze, Leipzig Based on a conference that took place in 2002 at the Leipzig cotton-spinning

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Page 1: Roddy Bell: The Whispering Room, 2002/2008 (Detail). · Frank Motz, Weimar, Bertram Schultze, Leipzig Based on a conference that took place in 2002 at the Leipzig cotton-spinning

102008

ACC Galerie Weimar | Burgplatz 1+2 | 99423 Weimarfon (+49) 0 36 43 – 85 12 61 | www.acc-weimar.de

in Der ACC GAlerieVerAnSTAlTUnGenUnSTern.

SiniSTre. DiSASTrO.Visionen zeitgenössischer Künstler

Ausstellung vom 24.8. bis 2.11.2008

Roddy Bell: The Whispering Room, 2002/2008 (Detail).

Page 2: Roddy Bell: The Whispering Room, 2002/2008 (Detail). · Frank Motz, Weimar, Bertram Schultze, Leipzig Based on a conference that took place in 2002 at the Leipzig cotton-spinning

Mo 13.10.2008 | 19:00 Monday Night Lectures

Art and the Production of Public Space | Mick O’Kelly, Dublin and Lagos

There is no longer a single image of urbanism? Nomadic Kitchen is an interstitial art initiative that oc-cupies a place between art and architecture, engaging with issues of self-organization in the process of negotiating the urban environment with the residents of Vila Nova, a favela community in Sao Miguel, Brazil. The structure of «Nomadic Kitchen» is flexible, fluid, nomadic and adaptable to different occasions and contexts of informal urban practices. Urban decisions around producing public and social space are made while cooking, eating and meeting in the «Nomadic Kitchen». This interstitial sculptural structure becomes a place of dialogue while defining the conditions that determine its situated conditions and public space.Mick O’Kelly is the «Ré Soupault»-Guest-Professor to the MFA-Programme «Public Art» at the Bauhaus-University Weimar this current winter semester. In englischer Sprache | Eintritt frei!

Do 16.10.2008 | 20:00 plus zur aktuellen Ausstellung

Chinas Drei-Schluchten-Projekt | Jens-Philipp Keil, Gießen

Kein anderes Bauvorhaben hat weltweit so viele Kritiker auf den Plan gerufen und wird unter Wissen-schaftlern so kontrovers diskutiert wie das Drei-Schluchten-Projekt am Yangtze in der VR China, ein Projekt der Superlative. Zu den positiven Effekten zählen die Verbesserung des Hochwasserschutzes, die Schiffbarmachung des Yangtze bis zur im Westen Chinas gelegenen Millionenmetropole Chongqing und die durch den Damm produzierte Hydroenergie für die boomenden Städte im Osten des Landes. Die Wirkung des Dammes, u.a. der Hochwasserschutz, wird jedoch von vielen Experten in Frage gestellt. Der drastische Eingriff in die sozialen und ökologischen Konstellationen des Gebietes um die Drei-Schluch-ten und die Umsiedlung von mindestens 1,8 Mio. Menschen hat das soziale Gefüge in der Region bereits nachhaltig verändert und zum Teil zu erheblichen sozialen Verwerfungen unter den Umsiedlern geführt. Der Diplom-Geograph Jens-Philipp Keil thematisierte das Drei-Schluchten-Projekt in seiner Diplomar-beit am Institut für Geographie der Universität Gießen. Eintritt: 3 € | erm.: 2 € | Tafelpass: 1 €

Mo 20.10.2008 | 19:00 Monday Night Lectures

How Architecture Can Think Socially |

Frank Motz, Weimar, Bertram Schultze, Leipzig

Based on a conference that took place in 2002 at the Leipzig cotton-spinning mill, Frank Motz, curator of ACC Galerie Weimar and Halle 14 Leipzig, and Bertram Schultze, executive director of the mill’s manage-ment company, will speak about the architectural, cultural, commercial and artistic potentials and chal-lenges of the former factory site. Art production, presentation and trade have evolved into major activities at SPINNEREI - more than 100 artists and 13 galleries work within the community. What do we expect from an art institution of the 21st century? Can abandoned industrial spaces, given their breathtaking freedom, be assisted to a dignified senescence through the implantation of art? Is architecture only so-cial when its aesthetic self-presentation remains inconspicuous and serves the social system rather than disturbing it in order to call attention to itself? In englischer Sprache | Eintritt frei!

Di 21.10.2008 | 20:00 Vortrag

Wem gehört der Regenbogen? | Harv Stanic, Berlin

Seit dem frühen 20. Jahrhundert beanspruchen die Staaten weltweit die Obergewalt über den elektro-magnetischen Frequenzraum für sich. Diese Obergewalt wurde ursprünglich geschaffen, um die mono-polistischen Ambitionen und die offensive Geschäftspraxis der Marconi Wireless Telegraph Company zu kontrollieren. Bis heute bildet sie die Grundlage für die Regulierung von Radiofrequenzen. Dennoch: nachdem drahtlose Kommunikation in immer höhere Frequenzen vorstößt – bis in die Bereiche von Infrarot (Hitze) und «optischem Richtfunk» (Licht) – wird es offensichtlich, dass die staatliche Regu-lierung von Radiofrequenzen nicht mehr Sinn ergibt als eine Regulierung des Farbspektrums des Regen-bogens. Sind Radiowellen rechtlich gesehen denn etwas anderes als Lichtwellen? Falls nicht, brauchen wir dann eines Tages die staatliche Erlaubnis, um bestimmte Lichtwellen für bestimmte Anwendungen zu nutzen, ähnlich wie heute bei den unsichtbaren Radiofrequenzen? Eintritt: 2 € | erm.: 1 €

Do 23.10.2008 | 20:00 plus zur aktuellen Ausstellung

Katastrophen und ihre medialen Schatten | Karl R. Kegler, Köln

Nachrichtenbilder von Opfern und Schäden technischer Katastrophen haben oft einen erheb-lichen zeitlichen Vorlauf vor der Aufklärung der Unfallursachen, die Monate und selbst Jahre in An-spruch nehmen kann. Katastrophenberichte sind deshalb von der unmittelbaren Betroffenheit sowie durch ein spezifisches Nicht-Wissen gekennzeichnet. Die Ungleichzeitigkeit medial vermittelter Ein-drücke und der erst später erfolgenden Ursachenklärung macht Katastrophenbilder zu mehrdeu-tigen Chiffren, die ein Feld für Ängste, Ohnmachtsgefühle und Untergangsvisionen eröffnen oder aber tief verankerte Anschauungen über Risiken und die Unvermeidbarkeit von Unfällen hervor-treten lassen. Bildende Kunst und literarische Fiktionen arbeiten in verschiedener Weise mit die-sen Leerstellen zwischen Betroffenheit und Begreifen bei der Inszenierung von fiktiven Katastro-phenereignissen. Dieses Spiel mit den unterschiedlichen Ebenen des Katastrophischen lässt sich von modernen Texten bis zu Jules Verne zurückverfolgen. Eintritt: 3 € | erm.: 2 € | Tafelpass: 1 €

Mo 27.10.2008 | 20:00 plus zur aktuellen Ausstellung

Katastrophenreaktionen des menschlichen Geistes |

Prof. Dr. Hans J. Markowitsch, Bielefeld

Stress, Angst, Panik sind natürliche Reaktionen des Gehirns auf unbekannte, nicht unmittelbar kon-trollierbare Situationen. Erleben Menschen derartige Zustände schon früh im Leben und fehlt ihnen die soziale Unterstützung, kann es zu Gewöhnungseffekten kommen – im Fachjargon als gelernte Hilf-losigkeit oder generalisierte Panikreaktion bezeichnet. Eine Folge sind Zukunftsängste und «Katastro-phenreaktionen». Patienten, die infolge massiver Stressreaktionen ihre Erinnerung und Identität verlie-ren, leiden unter der «mnestischen Blockadereaktion». Mechanismen, die zu dieser Form von Amnesie und Persönlichkeitsverlust führen, werden erläutert und an Hand von Patientenbeispielen illustriert. Auch wird auf Strategien zur Vermeidung derartig katastrophaler Konsequenzen für Persönlichkeit und Selbstbild hingewiesen. Eintritt: 3 € | erm.: 2 € | Tafelpass: 1 €

24.8. bis 2.11.2008 Ausstellung

UNSTERN. SINISTRE. DISASTRO. Visionen zeitgenössischer Künstler

Eine Ausstellung vom «pèlerinages» Kunstfest Weimar in Kooperation mit der ACC GalerieMakoto Aida (JP) | Liz Bachhuber (DE) | Roddy Bell (NO) | Patricia Bueno (PE) | Franco Cilia (IT) | Christoph Draeger (CH) und Heidrun Holzfeind (AT) | Tom Fecht (DE) | Peter Hutton (US) | Elke Marhöfer (DE) | Jonas Mekas (US) | Tracey Moffatt (AU) | Fayez Nureldine (PS) | Jörg Ollefs (DE) | Adrian Paci (AL) | Walter Sachs (DE) | Henrik Schrat (DE) | Xu Tan (CN) | Muhammad Zeeshan (PK)

Mit freundlicher Unterstützung der Sparkassenstiftung Weimar – Weimarer Land, der Sparkassen-Kultur-stiftung Hessen-Thüringen und des Förderkreises der ACC Galerie Weimar. Gefördert durch das Thüringer Kultusministerium und die Stadt Weimar.

Das Werk Roddy Bells präsentiert uns eine Welt vor unserer «aufgeklärten» Zeit. Es ist eine magische Welt, regiert von übernatürlichen Mächten und voller metaphysischer Deutungen. Sie wird nicht mit Hilfe der Wissenschaft erklärt oder geplant und auch die Zukunft wird nicht methodisch weisgesagt. Bells Universum ist archaisch. Es ist von einer starken Magie durchdrungen, deren Macht durch furchterregende Ereignisse und Schreckensbilder aufgezeigt wird. Die Furcht, die Bestürzung und die Bildnisse aus alten Zeiten werden von Bell neu interpretiert. Die Nachwehen einer Katastrophe tauchen auch in der ortsspezifischen Rauminstallation «The Whispering Room» (2002/08) auf. Flüs-ternd besingt dort ein überdimensionierter Mund Verlust und Vergänglichkeit der Jugend. Neben ge-flüsterten traurigen irischen Volksliedern haucht er dem Raum Atem ein (oder pustet vielleicht auch Leben aus), indem zeitgleich Ventilatoren wie von Geisterhand zu rotieren beginnen. Auf die Wände projizierte Portraits gefallener irischer Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg beginnen daraufhin im Kerzenschein zu flackern und wiederaufzuleben. Die Litanei des leise Erzählten und Gesungenen lässt sich in einem Armsessel dieses Ruhe- und Andachtsraumes um Wehklage und Gedenken mitlesen. Roddy Bell versuchte 1993 per Installation, die Klänge aus 250 Jahren Ettersburger Schlossgeschich-te wiederhörbar zu machen (indem der Arm eines grammophonartigen Apparats durch gesammelte Staubpartikel des Weißen Saals kreiste) und zeigte 1994 im ACC seine «Faustischen Sichten».

Patricia Bueno aus Peru befasst sich mit der sozialen, politischen und geschlechtsspezifischen Rolle von Frauen im heutigen Lateinamerika. «Tuyo es el reino» (Dein ist das Reich, Video, 2007) ist das Ergebnis einer Untersuchung von Macht-Diskursen, die dort das Andauern tief verwurzelter Traditio-nen und kultureller Eigenheiten begünstigen. Mit einer der Psychoanalyse nahe stehenden Methode entwirft Bueno eine Art schizophrenen Thriller, eingebettet in ein klaustrophobes, weibliches Terrain, und hinterfragt verschiedene Zeichen kollektiver Vorstellungswelten. An einem gedeckten Tisch füh-ren drei Puppen – bedient von einer Frau in Trauerkleidung, deren Gesicht mit einer traditionellen, die spanischen Eroberer darstellenden Anden-Maske bedeckt ist – einen Dialog, der eigentlich ein Mo-nolog ist, in dem die drei Dimensionen des Subjekts, die Lacan in seiner psychoanalytischen Theorie beschreibt, zusammentreffen: die Stimme des Imaginären, die Zeichen der Symbolik und die Projek-tionen der Wirklichkeit. Diese ausgeprägten Facetten des gespaltenen Individuums stehen für eine kritische Repräsentation der vorherrschenden politischen Ideologie Perus. Verortet wird das Gesche-hen innerhalb der Militärherrschaft der alten peruanischen Oligarchie, angedeutet in Dokumentarauf-nahmen einer Rede des früheren Diktators Manuel Odria, der in den 1950ern u.a. die pflichtmäßige Einheitlichkeit der nationalen Symbole Perus einführte, eines Landes, dessen geteilte, gesichts- und erinnerungslose Gesellschaft, die sich selbst zum Schweigen gebracht hat, reflektiert wird.

«Unstern!» verkündet unheilvolle Konstellationen. Wie reagieren zeitgenössische Künstler darauf? Katastrophen-Darstellungen hatten stets Konjunktur in den Künsten. Zu Franz Liszts Titelthema ge-sellt sich Ludwig Uhlands «Unstern»-Dichtung. Meteoriten aus Sibirien, Polen und Namibia werden von Kometen, Feuerkugeln und Supernovaresten umgarnt. Dann das magische Muster eines gigan-tischen Schwarms von Staren («A large flock of starling birds») als fotografisch fixiertes natürliches Menetekel, wie es sich dem menschlichen Auge nur selten zeigt. Der Palästinenser Fayez Nureldine hat es 2006 in Algier aufgenommen. Gegenüber ein fotografisches Bild jenseits der Fotografie («Noc-turne», Tom Fecht, 2001), das ein Jagdvogel und eine Taube in der Sekunde ihres Todes selbst hinterlassen haben – es wurde vom Fett ihres Gefieders im Moment des Aufpralls auf einer großen Glasscheibe fixiert, nur Sekundenbruchteile von dem Augenblick entfernt, in dem der Raubvogel die Taube zu Tode gerissen hätte. Fecht entdeckte den Abdruck des Gefieders zufällig auf der Glasfassade eines Gebäudes und fixierte den quasi fotografischen Abdruck beider Vögel mittels Filter und Lang-zeitbelichtung. Ein «Remake» jenes Verfahrens, das den präfotografischen Abdrücken entspricht, wie wir sie von Meeresfossilien kennen.

Der seit jeher (1940) auf Sizilien lebende Künstler «der Bühne, der Feder und des Pinsels», Franco Cilia, propagierte und zelebrierte auf höchst sinnliche Weise den (in diesem Falle eigenen) Tod in der ACC-Ausstellung «Cilia e morto» (Cilia ist tot). Ein Tod, der für Cilias Überleben notwendig ist. Dabei war er es in seinen Gemälden oft «selbst, dem das Entsetzen ins Gesicht geschrieben stand, als wolle er die Zerstörung nicht abwarten, sondern selbstzerstörerisch ans Werk gehen, sich malend alle Angst- und Horrorvisionen aus dem Kopf treiben, um so für das Schreckliche gewappnet zu sein» (Christiane Vielhaber). Davor noch erschienen die Ungeheuer, die der Schlaf der Vernunft schon bei dem großen Realisten Goya geboren hat, auch bei Franco Cilia, u.a. in einer Homage an Goya namens «Superstiti» (1985), die die Nuklearkatastrophe thematisiert und im Zusammenhang mit Ricarda Huchs Gedicht «Der fliegende Tod» aus dem Insel-Bändchen «Herbstfeuer» «gelesen» werden kann, dessen vom Brand der Weimarer Herzogin Anna Amalia Bibliothek (2004, selbst ein «Herbstfeuer») gezeichnetes und loses Frontcover mit dem Gemälde korrespondiert. Cilias Leinwände «Tanz im Himmel», «Sie und der Tod» oder «Unstern» durchziehen den Ausstellungsrundgang ähnlich jenen zwei Dutzend ange-sengter Seiten, deren Bücher der letzten Weimarer Katastrophe zum Opfer fielen, die den Unstern deutend mit allen ausgestellten Werken assoziativ in Beziehung treten – darunter der «Bilderatlas der Sternenwelt», «Die Opferfeuer» und «Vom Krieg, vom Frieden und dem Irrtum des Pazifismus».

Hubschrauber stürzen ab, Panzer explodieren, Autos brennen auf nächtlichen Straßen, Container-schiffe versinken in rauer See … Jörg Ollefs baut eigene kleine Katastrophen und lässt vertraute Szenarien in Spielzeug-Miniaturwelten wieder aufleben. Auf den ersten Blick erinnern seine ar-rangierten Desaster an amateurhafte, zufällig mit dem Handy gefilmte Aufnahmen oder Bilder von Überwachungskameras, und dennoch gelingt es Ollefs durch nahezu kindliche Imitationen der Wirk-lichkeit, den tradierten Umgang mit Bildmedien subtil wie spielerisch zu hinterfragen. Seine 40-Se-kunden-Videoarbeit «Daily» (2006), zu entdecken zwischen Überschwemmungsszenen und Brand-katastrophen in einem «TV-Kanal» der Galerie, vermischt in einem hektischen Bilder-Stakkato reale und erdachte Untergangsszenarien, wirft zwischen blutige Kriegsbilder und Naturkatastrophen ei-gene Bildsequenzen von brennenden Spielzeugpanzern oder Plastikautos und konterkariert das Un-heil mit künstlichen Idyllen von posierenden Singvögeln und Schäferhunden. Auch in «Little World-Memory» (2006) mischt Ollefs reale Katastrophenbilder mit eigenen Miniaturinszenierungen. Das Gesellschaftsspiel nimmt uns durch einen traumatischen Reigen neuzeitlicher Desaster gefangen, erklärt die Erinnerung an Unglücksfälle und Schreckensnachrichten zum (Spiel-)Ziel und spürt zwi-schen Tunnelbränden, Waldleichen und RAF-Terror dem Biedermeierhaften nach – dem fröhlichen Katastrophentouristen in uns.

Kann man den Tod in Szene setzen oder ihn sogar spielen? In «Vajtojca» (Trauernde, Video, 2002) begibt sich Adrian Paci in die Hände eines Klageweibs, zieht sich sein «Leichenhemd» an, macht es sich auf dem Totenbett bequem und hört schweigend zu, was die Stimme des Alters über ihn zu sagen hat. Beim Gesang der «trauernden» Frau wird bald klar: Bedeutung und Klang ihrer Worte, die der alten orientalischen Form der Totenklage entstammen, liegen außerhalb des menschlichen Fas-sungsvermögens. Sie scheinen fernen Welten anzugehören, so als wäre man plötzlich von Geistern umgeben, die die Seele mit sich nehmen und von ihr zehren wollen; und dabei muss man noch nicht einmal Albanisch verstehen. Wenn Paci schließlich wieder aufsteht und der Vajtojca dankbar die Hände schüttelt, hat der Betrachter wohl zumindest das Gefühl, einmal kräftig durchatmen zu müssen. Die lakonisch-poetischen Alltagsstudien des Albaniers kreisen um Themen der individuellen, nationalen und kulturellen Identität. Paci untersucht die persönlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen so-ziopolitischer Umbrüche. Seine Arbeiten verdichten sich zu ikonischen Bildern, die auf der Ebene des Ästhetischen wie Politischen gleichermaßen wirken und zusehends Bereiche des Autobiografischen zugunsten der Formulierung allgemeingültiger Archetypen verlassen. In einer reduzierten Bildspra-che spiegeln sie das existentielle Gefühl von Verlust und die Zerbrechlichkeit des menschlichen Da-seins, dessen biografischer Hintergrund Pacis Immigration nach Italien Ende der 1990er Jahre ist.

Eine Flucht nach vorn, um dem Schicksal zuvorzukommen, kann der Glaube an bestimmte Zeichen, Zahlen und Konstellationen sein, von denen man sich in wichtigen Lebensfragen leiten lässt. Täg-lich ist Muhammad Zeeshan in seiner Heimat Lahore (Pakistan) Zeuge des erfolgreichen Geschäfts mit Lotterielosen, so genannten Guess Papers (Glücksblättern), deren Nummern und Symbole – Pfer-de, Schlangen, Pfauen, Adler – für bestimmte Weissagungen und Ereignisse stehen und den Käufern bei Wetten oder sonstigen Glücksspielen ihren sicheren Weg zum Gewinn weisen sollen. Diese astro-logischen «Tippanleitungen» sind natürlich so komplex, dass letztlich jede Interpretation möglich ist. Doch noch im Verlieren ist mancher inzwischen so abhängig geworden, dass er unbeirrt an die Macht der Lose glaubt. Zeeshan, ausgebildeter Miniaturmaler und ACC-Stipendiat, greift die formalen Aspekte dieses Prinzips auf, gibt diesen Zeichen in der Kunst einen neuen Wirkungsraum und «hilft“ zudem bei der Erfüllung erotischer Männerfantasien. Auch bei seinen «Guess Papers» (2008) braucht man(n) nur die zahlreichen untereinander verknüpften Direktiven zu entschlüsseln, um die lang er-sehnte und im Bild unmissverständlich dargestellte Partnerin zu finden («Der direkte Weg zu Ihrer Traumfrau!»). Zwei Mittelformatzeichnungen in Graphit werden – neben zahlreichen Glücksblättern und pakistanischen Magazinen mit aufgezeichneten Frauensilhouetten – begleitet von einem Spender mit Fotokopien der beiden Arbeiten, die der Ausstellungsbesucher mit nach Hause mitnehmen kann.

Der Staat hört mit! am 21.10.

Drei-Schluchten-Staudamm: menschliche Hybris oder Jahrhundertwerk? am 16.10. Fiktionale und reale Untergangsszenarien am 23.10.

Blockadereaktion der menschlichen Psyche am 27.10.

Brasilian Kitchen Style on 13.10.

Functional Art on 20.10.

Jörg Ollefs: Daily, 2006.

Muhammad Zeeshan: Portrait des Künstlers in seinem Weimarer Atelier. rechts: Fragment aus seiner Performance anlässlich des Tags des offenen Ateliers (20.9.2008).

Franco Cilia: Superstiti, 1985.

Patricia Bueno: Tuyo es el reino (Dein ist das Reich), 2007.

Adrian Paci: Vajtojca (Trauernde), 2002.

Xu Tan: Jiu Yue Jiu De Jui (Wein für den neunten Tag des neunten Monats) mit Karaokebetrieb, 2005/08.

Roddy Bell: The Whispering Room, 2002/08.

Impressum

Herausgeberin: ACC Galerie Weimar. Redaktion: Alexandra Janizewski, Elisa Goldammer, Frank Motz. Gestaltung und Satz: Carsten Wittig. Abbildungen: Künstler, Referenten, Claus Bach. Druck: Druckerei Schöpfel GmbH, Weimar. Auflage: 1.000 Änderungen vorbehalten!

Konsulat des Landes ArkadienBurgplatz 1+2 | 99423 Weimar | [email protected] Geöffnet täglich 15:00 bis 17:00, außer an deutschen und arkadischen Feiertagen

ACC Weimar

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ACC Weimar e.V.Burgplatz 1 + 2 | 99423 Weimarfon (0 36 43) 85 12 61/-62 | fax (0 36 43) 85 12 63 | [email protected] | www.acc-weimar.deGalerie | Internationales Atelierprogramm: Frank Motz (0 36 43) 85 12 61 | (01 79) 6 67 42 55 | [email protected] | [email protected] | Veranstaltungen | Kartentelefon: Alexandra Janizewski(0 36 43) 85 12 62 | (0 36 43) 25 32 12 | (01 76) 23 81 48 18 | [email protected]é-Restaurant | Ferienwohnung und -zimmer: Anselm Graubner (0 36 43) 85 11 61/-62 | (0 36 43) 25 92 38 | [email protected] | www.acc-cafe.deBüro: Karin Schmidt (0 36 43) 85 12 61

Geöffnet täglich 12:00 bis 18:00 | Fr + Sa bis 20:00 und nach Vereinbarung

Führungen So 15:00 u. n. V. | Anmeldung von Führungen und Gruppen (03 6 43) 81 14 10.

Eintritt 3 €  | ermäßigt 2 € | Tafelpass 1 €