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Insel Verlag Leseprobe Austen, Jane Mansfield Park Roman Aus dem Englischen von Angelika Beck © Insel Verlag insel taschenbuch 4569 978-3-458-36269-2

Roman Austen, Jane - Suhrkamp Verlag · Jane Austen ( - ) hatte dank der umfangreichen Bibliothek des Va-ters schon früh Zugang zur Literatur. erschien ihr erster Roman, Ver-stand

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Insel VerlagLeseprobe

Austen, JaneMansfield Park

RomanAus dem Englischen von Angelika Beck

© Insel Verlaginsel taschenbuch 4569

978-3-458-36269-2

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Ein frischer Wind weht durch den Herrensitz Mansfield Park, seit Fanny,aus einfachen Verhältnissen stammend, dort von ihrer reichen Tante aufge-nommen wurde. Durch ihren offensichtlichen Mangel an »feiner Bildung«ist sie immer wieder dem Hohn und Spott ihrer Altersgenossen ausgesetzt.Einzig in ihrem Cousin Edward findet sie einen Freund, der sie für ihreCharakterstärke, ihre Courage und ihre unverstellte Art bewundert. Dochals er beginnt, sich für eine andere Frau – noch dazu aus besseren Kreisen –zu interessieren, wird deren zarte Bande auf eine harte Probe gestellt …

»Man fühlt mit den Figuren, die auf den Seiten von Jane Austens Büchernleben, so intensiv mit, als wären sie real.« Esther Freud

Jane Austen (-) hatte dank der umfangreichen Bibliothek des Va-ters schon früh Zugang zur Literatur. erschien ihr erster Roman, Ver-stand und Gefühl, gefolgt von Stolz und Vorurteil (), Mansfield Park() und Emma (). Bis heute ist Jane Austen eine der beliebtestenund meistgelesenen Autorinnen der Weltliteratur – was nicht zuletzt daranliegt, daß ihre Romane gleichermaßen von Gefühl, Intellekt und Witz ge-tragen sind und auch noch Jahre nach Erscheinen höchst modern sind.

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Jane AustenMansfield Park

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JANE AUSTENMansfield Park

ROMAN

Aus dem Englischen vonAngelika Beck

INSEL VERLAG

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Erste Auflage insel taschenbuch

Insel Verlag Berlin

© Insel Verlag Frankfurt am Main und Leipzig Hinweise zu dieser Ausgabe am Schluß des Bandes.

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere dasdes öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form

(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert

oder unter Verwendung elektronischer Systemeverarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Vertrieb durch den Suhrkamp Taschenbuch VerlagUmschlagabbildung: Kat Menschik, Berlin

Umschlaggestaltung: hißmann, heilmann, hamburgSatz: Satz-Offizin Hümmer GmbH, Waldbüttelbrunn

Druck: CPI – Ebner & Spiegel, UlmPrinted in Germany

ISBN ----

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Mansfield Park

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ERSTES KAPITEL

Vor etwa dreißig Jahren hatte Miss Maria Ward aus Huntingdonmit einer Mitgift von nur siebentausend Pfund das große Glück,Sir Thomas Bertram von Mansfield Park an sich binden zu könnenund dadurch in den Rang der Gattin eines Baronets aufzusteigen –

mit all den Annehmlichkeiten und all dem gesellschaftlichen Anse-hen, die ein stattliches Haus und ein ansehnliches Einkommen mitsich bringen. Ganz Huntingdon ereiferte sich über diese glänzendePartie, und selbst ihr Onkel, seines Zeichens Rechtsanwalt, gab zu,daß sie mindestens dreitausend Pfund mehr hätte mitbringen müs-sen, um billigerweise einen Anspruch darauf erheben zu können.Sie hatte zwei Schwestern, denen ihr gesellschaftlicher Aufstiegnur zugute kommen konnte; und all diejenigen aus ihrem Bekann-tenkreis, die Miss Ward und Miss Frances für zumindest ebensohübsch hielten wie Miss Maria, scheuten sich nicht, ihnen einefast ebenso vorteilhafte Heirat vorherzusagen. Aber freilich gibt esauf der Welt nicht ebenso viele Männer mit einem ansehnlichenVermögen wie hübsche Frauen, die sie verdienen. So sah sich MissWard nach Ablauf von sechs Jahren gezwungen, Reverend Mr.Norris, einem Freund ihres Schwagers, der fast überhaupt nichtsbesaß, ihre Zuneigung zu schenken; und Miss Frances erging esnoch schlimmer. Tatsächlich erwies sich Miss Wards Verbindung,wie es dann soweit war, als gar nicht so übel, da Sir Thomas inder glücklichen Lage war, seinem Freund durch die Pfründe vonMansfield ein Einkommen zu verschaffen, und so begannen Mr.und Mrs. Norris ihren Weg ins eheliche Glück mit kaum wenigerals tausend Pfund jährlich. Miss Frances aber stieß, wie man sosagt, mit ihrer Heirat ihre Familie völlig vor den Kopf, verliebtesie sich doch in einen Marineleutnant, der weder über Bildungnoch über Vermögen, noch über gesellschaftliche Verbindungen

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verfügte. Sie hätte wohl schwerlich eine ungünstigere Wahl treffenkönnen. Sir Thomas Bertram war ein einflußreicher Mann, dersich sowohl aus Prinzip als auch aus Ehrgefühl – aus dem allgemei-nen Wunsch heraus, recht zu handeln, und aus dem Bedürfnis,alle, die mit ihm verwandt waren, in respektablen Lebensumstän-den zu sehen – gern für Lady Bertrams Schwester eingesetzt hätte;aber bei dem Beruf ihres Mannes mußte sich jeder Einfluß als ver-geblich erweisen; und ehe er noch Zeit hatte, eine andere Möglich-keit zu ihrer Unterstützung zu ersinnen, war es zwischen denSchwestern zum endgültigen Bruch gekommen. Er ergab sich mitlogischer Konsequenz aus dem Verhalten beider Parteien und warvon der Art, wie sie eine sehr unkluge Heirat fast immer nach sichzieht. Um sich nutzlose Vorhaltungen zu ersparen, schrieb Mrs.Price ihrer Familie über diese Angelegenheit erst, als sie tatsächlichverheiratet war. Lady Bertram, die eine sehr friedfertige und be-merkenswert unbekümmerte und träge Frau war, hätte sich damitbegnügt, ihre Schwester einfach fallenzulassen und keinen weiterenGedanken mehr an die Sache zu verschwenden, Mrs. Norrisaber war viel zu geschäftig, als daß sie sich zufriedengegeben hätte,ehe sie Fanny nicht einen langen und wütenden Brief geschriebenhatte, um ihr die Torheit ihres Verhaltens vor Augen zu führen undalle möglichen schlimmen Folgen daraus an die Wand zu malen.Mrs. Price ihrerseits war beleidigt und verärgert; und eine Antwort,deren Verbitterung beiden Schwestern galt und die Sir Thomas’Ehrgefühl mit derart abschätzigen Bemerkungen bedachte, daßMrs. Norris sie unmöglich für sich behalten konnte, setzte jedemUmgang zwischen ihnen für etliche Zeit ein Ende.

Sie lebten so weit voneinander entfernt und bewegten sich inso unterschiedlichen Kreisen, daß während der folgenden elf Jah-re die Möglichkeit, etwas voneinander zu erfahren, nahezu ausge-schlossen war oder sich zumindest Sir Thomas stets wunderte,daß Mrs. Norris ihnen von Zeit zu Zeit mit empörter Stimme er-

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zählen konnte, Fanny habe schon wieder ein Kind bekommen. Nach-dem jedoch elf Jahre ins Land gegangen waren, konnte es sich Mrs.Price nicht länger mehr leisten, an ihrem Stolz festzuhalten undweiterhin Groll zu hegen oder auch nur auf eine Verbindung zuverzichten, von der sie sich möglicherweise Hilfe versprechen durf-te. Eine große und immer noch größer werdende Familie, ein Ehe-mann, der für den aktiven Dienst nicht mehr tauglich war, nichts-destoweniger aber Geselligkeit und einen guten Tropfen sehr wohlschätzte, und ein spärliches, zur Befriedigung ihrer Bedürfnis-se kaum ausreichendes Einkommen – all das weckte in ihr denWunsch, die Freunde, die sie so achtlos geopfert hatte, zurückzuge-winnen; und sie wandte sich an Lady Bertram in einem Brief, ausdem so viel Reue und Verzweiflung sprachen und der auf einenderartigen Kinderreichtum und auf einen solchen Mangel an fastallem übrigen hinwies, daß er sie alle versöhnlich stimmen mußte.Ihre neunte Niederkunft stand unmittelbar bevor, und nachdemsie diesen Umstand beklagt und sie inständig um die Gunst gebe-ten hatte, die Patenschaft für das Kind zu übernehmen, das sie ge-rade erwartete, konnte sie nicht verhehlen, welche Bedeutung sieihnen auch für die zukünftige Versorgung der acht bereits vorhan-denen Kinder beimaß. Ihr Ältester war ein Junge von zehn Jahren,ein aufgeweckter Bursche, den es in die Welt hinaustrieb; aber waskonnte sie schon tun? Bestand nicht vielleicht eine Möglichkeit,daß er sich später einmal Sir Thomas bei der Verwaltung seiner Be-sitzungen in Mittelamerika als nützlich erweisen könnte? Er wäresich gewiß für keine Aufgabe zu schade – oder was meinte wohlSir Thomas zu Woolwich? Oder wie könne man es anstellen, umeinen Jungen in den Orient zu schicken?

Der Brief verfehlte seine Wirkung nicht. Er stellte wieder Frie-den und Freundschaft her. Sir Thomas sandte wohlwollende Rat-schläge und Versprechungen, Lady Bertram schickte Geld und Ba-bywäsche, und Mrs. Norris schrieb die dazugehörigen Briefe.

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Das waren die unmittelbaren Folgen des Briefes, und innerhalbeines Jahres erwuchs Mrs. Price aus ihm ein noch weitaus größererVorteil. Mrs. Norris bemerkte oft gegenüber den anderen, daß ihrihre arme Schwester und deren Familie nicht aus dem Kopf gehe,und, soviel sie alle schon für diese getan hatten, wollte sie – soschien es – noch mehr tun. Und schließlich entrang sich ihremHerzen der Wunsch, die arme Mrs. Price zumindest von den Sor-gen und Ausgaben für eines ihrer zahlreichen Kinder gänzlich zubefreien. Wie wäre es, wenn sie sich zusammentäten, um derenälteste Tochter in ihre Obhut zu nehmen, ein Mädchen von nun-mehr neun Jahren, einem Alter also, das mehr Aufmerksamkeit er-fordere, als ihre arme Mutter ihr möglicherweise widmen könne?Die daraus erwachsenden Mühen und Kosten wären ja für sie eineKleinigkeit, gemessen an den wohltätigen Wirkungen einer solchenHandlungsweise. Lady Bertram stimmte ihr sofort zu: »Ich finde,wir können gar nichts Besseres tun«, sagte sie, »laßt uns das Kindholen!«

Sir Thomas konnte dem nicht so ohne weiteres und so vorbe-haltlos beipflichten. Er ging mit sich zu Rate und zögerte; – eshandelte sich schließlich um eine schwere Verantwortung; – einMädchen, das so aufwachsen würde, mußte auch später angemes-sen versorgt werden, andernfalls begehe man eine Grausamkeitund keine Wohltat, wenn man es seiner Familie entreiße. Er dachtean seine eigenen vier Kinder – an seine zwei Söhne – an verliebteVettern und so weiter; – aber kaum hatte er begonnen, bedächtigseine Einwände vorzubringen, da unterbrach ihn auch schon Mrs.Norris mit einer Antwort auf alle seine Einwendungen, ob er sienun bereits geäußert hatte oder nicht.

»Mein lieber Sir Thomas, ich verstehe Sie vollkommen und weißdie Großherzigkeit und das Zartgefühl Ihrer Erwägungen durch-aus zu würdigen, die ja in der Tat ganz Ihrem sonstigen Verhaltenentsprechen, und ich stimme in der Hauptsache gänzlich mit Ih-

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nen überein, was die Schicklichkeit betrifft, alle erdenkliche Vor-sorge zu treffen für ein Kind, das man auf diese Weise in seine Ob-hut genommen hat; und ich bin gewiß die allerletzte, die in einemsolchen Fall nicht ihr Scherflein beitragen würde. Da ich selbstkeine Kinder habe, wem sollte denn das bißchen zukommen, dasich vielleicht zu vermachen habe, als den Kindern meiner Schwe-stern? Und ich bin sicher, Mr. Norris denkt ebenso – aber ich binnun einmal keine Frau großer Worte und Bekenntnisse. Lassenwir uns also nicht durch eine Lappalie von einer guten Tat ab-schrecken! Geben Sie einem Mädchen eine richtige Erziehung,und führen Sie es in die Gesellschaft ein, so wie es sich gehört, undich wette zehn zu eins, daß sie die Möglichkeit hat, sich gut zu ver-heiraten, ohne irgend jemandem weiter zur Last zu fallen. EineNichte von uns, Sir Thomas, das möchte ich wohl meinen, oder zu-mindest von Ihnen würde in dieser Umgebung gewiß sehr zu ih-rem Vorteil aufwachsen. Ich sage ja nicht, daß sie so ansehnlichwerden würde wie ihre Cousinen. Ich darf wohl behaupten, daßdas nicht der Fall sein wird; aber sie würde unter so ausgesprochengünstigen Umständen so in die hiesige Gesellschaft eingeführt wer-den, daß sich nach allem menschlichen Ermessen eine achtbarePartie für sie finden dürfte. Sie denken an Ihre Söhne – aber wissenSie denn nicht, daß so etwas am allerwenigsten zu erwarten ist; sowie sie aufwachsen würden, stets zusammen wie Geschwister? Esist einfach vom moralischen Standpunkt her ausgeschlossen. Voneinem solchen Fall habe ich noch nie gehört. Es ist in der Tat dereinzig sichere Weg, eine solche Verbindung zu verhindern. Neh-men wir an, sie ist ein hübsches Mädchen, und Tom oder Edwardsehen sie in sieben Jahren zum erstenmal, dann gäbe es mit Sicher-heit Probleme. Der bloße Gedanke, daß sie fern von uns allen armund vernachlässigt aufwachsen mußte, würde schon genügen, daßsich einer der lieben, gutmütigen Jungen in sie verliebt. LassenSie sie aber fortan gemeinsam mit ihnen aufwachsen, dann wird

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sie ihnen nie mehr als eine Schwester sein, selbst wenn sie so schönwie ein Engel wäre.«

»Es steckt viel Wahres in dem, was Sie da sagen«, entgegnete SirThomas, »und es sei fern von mir, einem Plan, der den Lebensum-ständen beider Parteien so entgegenkäme, irgendwelche eingebil-deten Hindernisse in denWeg zu legen. Ich wollte nur zu verstehengeben, daß man sich nicht leichtfertig darauf einlassen sollte unddaß wir, wenn wir Mrs. Price damit wirklich helfen und uns selbstEhre machen wollen, für das Kind sorgen oder uns später, wenn esdie Situation erfordern sollte, verpflichtet fühlen müssen, ihr einstandesgemäßes Auskommen zu verschaffen, falls sich keine sol-che Heirat für sie bieten sollte, wie Sie sie in Ihrer Zuversicht er-warten.«

»Ich verstehe Sie voll und ganz«, rief Mrs. Norris, »Sie sind eindurch und durch großzügiger und umsichtiger Mensch, und wirwerden in diesem Punkt gewiß stets derselben Meinung sein. Wasich auch tun kann, werde ich immer bereitwillig tun für das Wohlderer, die ich liebe, das wissen Sie ja; und obwohl ich für dieseskleine Mädchen nie auch nur einen Bruchteil der Zuneigung emp-finden könnte, die ich für Ihre eigenen lieben Kinder hege, und sieauch in keinerlei Hinsicht ebensosehr als mein eigen Fleisch undBlut betrachte, würde ich mir doch selbst hassenswert erscheinen,wenn ich imstande wäre, sie zu vernachlässigen. Ist sie nicht dasKind einer meiner Schwestern? Und könnte ich wohl mitansehen,daß sie Mangel leidet, solange ich selbst auch nur ein StückchenBrot für sie übrig hätte? Mein lieber Sir Thomas, bei all meinenFehlern habe ich doch ein weiches Herz: Und so arm ich bin, wür-de ich mir doch lieber das zum Leben Notwendige versagen, alsmich kleinlich zu erweisen. Wenn Sie also nichts dagegen haben,werde ich morgen meiner armen Schwester schreiben und ihr denVorschlag unterbreiten; und sobald die Sache abgemacht ist, willich dafür sorgen, daß das Kind nach Mansfield kommt; Sie sollen

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damit keine Scherereien haben. Und meine eigenen Mühen achteich ja sowieso stets gering, wie Sie wissen. Ich will Nanny zu diesemZweck nach London schicken, sie kann bei ihrem Vetter, einemSattler, übernachten, und das Kind soll dort hinkommen, um siezu treffen. Von Portsmouth nach London kann man das Mädchenohne weiteres mit der Kutsche schicken, indemman es einer verläß-lichen Person anvertraut, die zufällig dorthin reist. Es wird wohlimmer die eine oder andere achtbare Kaufmannsfrau geben, die ge-rade nach London fährt.«

Außer gegen den Überfall auf Nannys Vetter erhob Sir Thomaskeine Einwände mehr, und nachdem man daraufhin statt desseneinen geeigneteren, wenn auch weniger preiswerten Treffpunkt ver-einbart hatte, galt die Sache als abgemacht, und man schwelgtebereits in dem erhebenden Gefühl, einen solch menschenfreund-lichen Plan ersonnen zu haben. Strenggenommen wären dazu nichtalle gleicherweise berechtigt gewesen, denn Sir Thomas war festentschlossen, der wahre und beständige Wohltäter des auserkore-nen Kindes zu sein, und Mrs. Norris hatte nicht die mindeste Ab-sicht, sich für den Unterhalt desselben in irgendwelche Unkostenzu stürzen. Solange es ums Anleiten, Reden und Pläneschmiedenging, war sie die Nächstenliebe in Person, und niemand wußte bes-ser als sie, andern Großzügigkeit zu predigen: aber ihre Liebe zumGeld stand ihrer Liebe zum Kommandieren in nichts nach, und sieverstand es ebensogut, ihr eigenes zu sparen, wie das ihrer Freundeauszugeben. Da sie einen Mannmit geringerem Einkommen gehei-ratet hatte, als sie es sich immer erträumt hatte, war ihr von Anfangan strenge Sparsamkeit notwendig erschienen; und was zunächsteine Vorsichtsmaßnahme gewesen war, wurde bald zu einer Artfreiwilligem Selbstzweck, zu einem Gegenstand jenes dringendenBemühens, das sich gemeinhin auf die Versorgung von Kindernrichtet, die sie aber nicht hatte. Hätte sie eine Familie zu versorgengehabt, so hätte Mrs. Norris ihr Geld vielleicht nie gespart; aber da

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sie keine Pflichten dieser Art hatte, konnte nichts ihrer Sparsam-keit Einhalt gebieten oder ihr Behagen mindern, ein Einkommen,das sie und ihr Mann ohnehin noch nie aufgebraucht hatten, jähr-lich zu vergrößern. Angesichts dieser fixen Idee, der keine wirklicheZuneigung zu ihrer Schwester entgegenwirkte, konnte sie unmög-lich auf mehr abzielen als auf die Ehre, ein so kostspieliges Werkder Nächstenliebe zu planen und in die Wege zu leiten, obwohlsie sich möglicherweise so wenig kannte, daß sie nach diesem Ge-spräch in der beglückenden Überzeugung ins Pfarrhaus zurück-ging, die großherzigste Schwester und Tante der Welt zu sein.

Als das Thema abermals zur Sprache kam, legte sie ihre Absich-ten deutlicher dar; und mit Erstaunen hörte Sir Thomas, wie Mrs.Norris auf Lady Bertrams ruhig vorgebrachte Frage »Zu wem solldenn das Kind zuerst kommen, Schwester, zu euch oder zu uns?«antwortete, sie sei völlig außerstande, sich persönlich an der Verant-wortung für das Mädchen zu beteiligen. Er war davon ausgegan-gen, daß die Kleine eine ausgesprochen willkommene Ergänzungfür den Pfarrhaushalt sei und für eine Tante, die keine eigenen Kin-der hatte, eine wünschenswerte Gefährtin bedeute; aber er stelltefest, daß er sich da gründlich getäuscht hatte. Mrs. Norris bedau-erte, sagen zu müssen, daß ein Aufenthalt des Mädchens, zumin-dest unter den momentanen Umständen, überhaupt nicht in Fragekäme. Der bedenkliche Gesundheitszustand des armen Mr. Norrislasse einen solchen Aufenthalt unmöglich erscheinen: er könneKinderlärm ebensowenig ertragen, wie er fliegen könne; wenn ertatsächlich jemals seine Gichtbeschwerden loswerden sollte, sähedie Sache freilich anders aus: dann würde sie mit Freuden ihrePflicht übernehmen und die damit verbundene Unbequemlichkeitnicht achten; aber gerade jetzt nehme der arme Mr. Norris jedenAugenblick ihrer Zeit in Anspruch, und die bloße Erwähnungeiner derartigen Sache brächte ihn gewiß völlig durcheinander.

»Dann wird sie wohl besser zu uns kommen«, sagte Lady Ber-

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tram mit größter Gelassenheit. Nach kurzem Schweigen fügte SirThomas würdevoll hinzu: »Ja, dieses Haus soll ihr Zuhause wer-den! Wir wollen versuchen, unserer Pflicht ihr gegenüber nachzu-kommen, und sie wird zumindest den Vorteil genießen, gleichalt-rige Gefährten und stets eine Lehrerin zu haben.«

»Sehr richtig«, rief Mrs. Norris, »das sind beides sehr wichtigeÜberlegungen; und es wird Miss Lee gleich sein, ob sie drei Mäd-chen zu unterrichten hat oder nur zwei – das kann keinen großenUnterschied machen. Ich wünschte nur, ich könnte mehr von Nut-zen sein; aber Sie sehen ja, ich tue alles, was in meiner Macht steht.Ich gehöre nicht zu denen, die irgendwelche persönlichen Mühenscheuen; und Nanny soll sie abholen, wie sehr es mich auch inUngelegenheiten bringen mag, wenn meine wichtigste Ratgeberindrei Tage lang weg ist. Ich nehme an, Schwester, du willst das Kindin die kleine weiße Dachkammer neben den alten Kinderzimmerneinquartieren. Das wird der denkbar beste Platz für sie sein, ganzin der Nähe von Miss Lee und nicht weit weg von den Mädchenund nahe bei den Dienstboten, von denen ihr ja die eine beimAnkleiden helfen und sich um ihre Garderobe kümmern kann,denn vermutlich würdest du es nicht für angebracht halten, daßEllis sie ebenso wie die anderen bedienen soll. Wirklich, ich wüßtenicht, wo du sie sonst unterbringen könntest.«

Lady Bertram erhob keinen Einwand.»Ich hoffe, sie erweist sich als gutartiges Mädchen«, fuhr Mrs.

Norris fort, »und ist sich ihres ungewöhnlichen Glücks bewußt,solche Freunde zu haben.«

»Sollte sie wirklich schlecht geartet sein«, sagte Sir Thomas, »dür-fen wir sie, um unserer eigenen Kinder willen, nicht bei uns behal-ten; aber es besteht kein Grund, ein solch großes Übel zu befürch-ten. Wir werden wahrscheinlich vieles an ihr entdecken, was wirgerne anders hätten, und müssen uns auf große Unwissenheit, einegewisse Gewöhnlichkeit in ihren Ansichten und entsetzlich unge-

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schliffene Manieren gefaßt machen; aber diese Mängel lassen sichkorrigieren – stellen für ihre Gefährten gewiß keine Gefahr dar.Wären meine Töchter jünger als sie, dann hätte ich es für sehr be-denklich gehalten, ihnen eine solche Gefährtin zu geben; aberwie die Dinge liegen, ist, wie ich hoffe, von diesem Umgang nichtsfür die beiden zu befürchten und für sie alles zu erhoffen.«

»Genau das ist auch meine Meinung«, rief Mrs. Norris, »und dashabe ich auch heute morgen zu meinem Mann gesagt. Das bloßeZusammensein mit ihren Cousinen, habe ich gesagt, wird für dasKind schon eine Art Erziehung bedeuten; selbst wenn ihr MissLee nichts beibrächte, würde sie von ihnen lernen, wie man bravund gescheit wird.«

»Ich will nur hoffen, daß sie meinen armen Mops nicht quält«,sagte Lady Bertram, »ich habe eben erst Julia dazu gebracht, daßsie ihn in Ruhe läßt.«

»Es wird für uns einige Schwierigkeiten geben, Mrs. Norris«, be-merkte Sir Thomas, »was den Unterschied betrifft, den man zwi-schen den Mädchen füglich wird machen müssen, wenn sie zu-sammen aufwachsen: wie man in den Köpfen meiner Töchter dasBewußtsein wachhält, wer sie sind, ohne ihnen dadurch Veranlas-sung zu geben, zu gering von ihrer Cousine zu denken; und wieman diese, ohne sie allzu sehr zu entmutigen, daran erinnert, daßsie keine Miss Bertram ist. Ich würde mir wünschen, daß sie sehrgute Freundinnen werden, und möchte unter keinen Umständenbei meinen Mädchen die geringste Überheblichkeit gegenüber ih-rer Verwandten billigen; und dennoch können sie nicht gleichge-stellt sein. Was Rang, Vermögen, Privilegien und Erwartungen an-geht, werden sie sich immer voneinander unterscheiden. Das istein überaus heikler Punkt, und Sie müssen uns in unseren Bemü-hungen unterstützen, genau die richtige Art des Umgangs herauszu-finden.«

Mrs. Norris stand ganz zu seinen Diensten; und obwohl sie

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völlig mit ihm übereinstimmte, daß es sich dabei um ein äußerstschwieriges Problem handle, machte sie ihmMut zu der Hoffnung,daß sie es mit vereinten Kräften leicht bewältigen könnten.

Man darf wohl ohne weiteres glauben, daß Mrs. Norris nichtvergeblich an ihre Schwester schrieb. Mrs. Price schien ziemlichüberrascht zu sein, daß ausgerechnet ein Mädchen ausersehen seinsollte, wo sie doch so viele hübsche Jungen hatte, nahm aber dasAngebot voll Dankbarkeit an, wobei sie ihnen versicherte, daß ihreTochter ein sehr wohlgeratenes, gutartiges Mädchen sei, und ihrerZuversicht Ausdruck verlieh, daß sie niemals Anlaß haben würden,sie wieder wegzuschicken. Sie schilderte sie außerdem als ein et-was zartes und schwächliches Wesen, erhoffte sich jedoch, daßihr eine Luftveränderung ganz entschieden guttun werde. ArmeFrau! Wahrscheinlich dachte sie dabei, eine Luftveränderung wür-de vielen ihrer Kinder guttun.

ZWEITES KAPITEL

Das kleine Mädchen brachte die lange Reise wohlbehalten hintersich und wurde in Northampton von Mrs. Norris abgeholt, diesich auf diese Weise der Ehre erfreute, sie als erste willkommen zuheißen, und die bedeutsame Aufgabe, sie zu den anderen zu brin-gen und deren Wohlwollen zu empfehlen, weidlich genoß.

Fanny Price war damals gerade zehn Jahre alt, und wenn auchihre äußere Erscheinung auf den ersten Blick nicht besonders an-ziehend sein mochte, so hatte sie doch zumindest nichts an sich,was ihre Verwandten abgestoßen hätte. Sie war klein für ihr Alterohne jene für dieses Alter typische frische Gesichtsfarbe, und auchsonst fehlte es ihr an irgendwie auffallenden Schönheitsmerkma-len; sie war über alle Maßen ängstlich und scheu und schrecktevor jeder Art von Aufmerksamkeit zurück, die man ihr widmete;

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doch ihr Auftreten, wenn auch etwas unbeholfen, hatte nichts Un-gehobeltes; ihre Stimme war sanft, und beim Sprechen wirkte ihrGesicht hübsch. Sir Thomas und Lady Bertram nahmen sie sehrfreundlich auf, und da Sir Thomas sah, wie sehr sie Ermunterungbrauchte, bemühte er sich, ganz besonders entgegenkommend zusein; aber dabei hatte er gegen sein steifes, würdevolles Gebaren an-zukämpfen – und so wurde Lady Bertram, ohne sich auch nur halbsoviel Mühe zu geben und indem sie nur ein Wort sprach, wo erzehn verlor, allein dank ihres gutmütigen Lächelns sogleich die we-niger furchteinflößende Persönlichkeit von beiden.

Die jungen Leute waren alle zu Hause und trugen ihren Teil zuder Vorstellungszeremonie bestens bei, mit viel guter Laune undohne jede Verlegenheit, zumindest was die Söhne betraf, die sech-zehn und siebzehn Jahre alt und groß für ihr Alter waren und ihrerkleinen Cousine schon wie erwachsene Männer vorkamen. Diebeiden Mädchen zeigten sich weniger unbefangen, weil sie jüngerwaren und mehr Respekt vor ihrem Vater hatten, der sich unge-schickterweise bei dieser Gelegenheit besonders mit ihnen beschäf-tigte. Aber sie waren zu sehr an gesellschaftlichen Umgang undLob gewöhnt, als daß sie etwas wie natürliche Schüchternheit ansich gehabt hätten, und da ihr Selbstvertrauen wuchs angesichtsder Tatsache, daß ihre Cousine gar keins hatte, waren sie bald im-stande, mit unbekümmerter Gleichgültigkeit deren Gesicht undSommerkleid einer eingehenden Musterung zu unterziehen.

Die Bertrams waren eine bemerkenswert elegante Familie, dieSöhne sahen ausgesprochen gut aus, die Mädchen waren ganz ein-deutig hübsch, und alle waren sie gutgewachsen und für ihr Altergut entwickelt, woraus sich ein ebenso auffallender Unterschiedin der äußeren Erscheinung der Cousinen ergab, wie ihn die un-terschiedliche Erziehung in ihrem Auftreten bewirkt hatte; undniemand wäre auf die Idee gekommen, daß die Mädchen in Wirk-lichkeit fast gleichaltrig waren. Tatsächlich lagen zwischen der Jüng-