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Universität Regensburg
Aufbaumodul Systematische Theologie (Fundamentaltheologie)
SS 2013
Seminar: Offenbarungsverständnis und Christologie bei Romano Guardini
Dozenten: Prof. Dr. Alfons Knoll / Sylvia Schraml
Seminararbeit:
Romano Guardini und die pastorale Konstitution
‚Gaudium et spes‘
von
Irmgard Prestel
1 Einführung 3
2 Vergleich der Kernaussagen Romano Guardinis in „Die religiöse
Offenheit der Gegenwart“ mit der pastoralen Konstitution ´Gaudium et spes` 4
2.1 Der Mensch als Person 4
2.2 Das Gewissen 6
2.3 Autorität und Gehorsam 6
2.4 Die Person Christi 8
2.5 Das christliche Bewusstsein 9
3 Das christliche Existenzbewusstsein 10
4 Zusammenfassung 12
Literaturverzeichnis 13
2
1 Einführung
Die vorliegende Arbeit beschäftigt mit dem Verhältnis zwischen Romano Guardinis 1934
verfassten Werkes „Die religiöse Offenheit der Gegenwart“1 und der pastoralen
Konstitution „Gaudium et spes. Über die Kirche in der Welt von heute“2, genauer mit der
Frage, inwieweit die Schlüsselthesen und –themen Guardinis 31 Jahre später in dem
Dokument des Zweiten Vatikanischen Konzils 1965 auftauchen bzw. sogar implizit
aufgegriffen werden. Dabei ist es entscheidend, zu bedenken, dass es sich bei den beiden
Vergleichsquellen bezüglich ihrer Form und Zielsetzung um zwei grundverschiedene
Texte handelt. Während Romano Guardini in seinem Aufsatz mit dem Untertitel
„Gedanken zum geistigen und religiösen Zeitgeschehen“ persönliche Reflexionen
niederschreibt, die erst im Auftrag des Sachverständigengremiums für den literarischen
Nachlass Guardinis 2008 überhaupt veröffentlicht wurden, so ist „Gaudium et spes“ ein
Konzilsdokument mit pastoraler und lehrhafter Zielsetzung, das sich „an alle Menschen
schlechthin“ (GS 2) wendet „in der Absicht, allen darzulegen, wie es Gegenwart und
Wirken der Kirche in der Welt von heute versteht“ (GS 2). Die jeweils unterschiedliche
Schwerpunktsetzung und Perspektive wird auch auf inhaltlicher Ebene schon bei den
Fragenstellungen deutlich. Romano Guardini sieht in dem „lebendige[n] Vollzug [und
der] theoretische[n] Aufhellung der christlichen Existenz […] eine heilige und große,
wahrhaft von Gott gestellte Aufgabe, die immer dringlich ist, heute aber […] in einer
ganz besonderen Weis.“ (Guardini, Offenheit, 91). Es geht ihm zentral um die Klärung
der Frage nach der Bedeutung christlichen Menschseins, er wünscht sich „eine echte
christliche Antwort an die großen Wortführer des von Gott losgelösten – bloß-
menschlichen Daseinsbewusstsein, etwa eines Nietzsche, eines Marx, eines Freud oder
Lenin“ (Guardini, Offenheit, 78). Das Konzil wiederum möchte in ähnlicher, aber eigener
Weise das Geheimnis des Menschen erhellen und damit einen Beitrag zur Lösung der
„dringlichsten Fragen unserer Zeit“ (GS 10) anhand des folgenden Leitfadens leisten:
„Was denkt die Kirche vom Menschen? Welche Empfehlungen erscheinen zum Aufbau
der heutigen Gesellschaft angebracht? Was ist die letzte Bedeutung der menschlichen
Tätigkeit in der Welt?“ (GS 10). 1 Guardini, Romano, Die religiöse Offenheit der Gegenwart. Gedanken zum geistigen und religiösen Zeitgeschehen (1934), Paderborn 2008. 2 Die Konstitution wird im Folgenden zitiert nach: Rahner, Karl/Vorgrimler, Herbert, Kleines Konzilskompendium. Sämtliche Texte des Zweiten Vatikanums, Freiburg i. Br. 352008.
3
2 Vergleich der Kernaussagen Romano Guardinis in „Die religiöse Offenheit
der Gegenwart“ mit der pastoralen Konstitution ´Gaudium et spes`
Die sich anschließende vergleichende Analyse findet ihren Ausgang in den thematischen
Schwerpunkten des Aufsatzes „Die religiöse Offenheit der Gegenwart“: der Mensch als
Person, das Gewissen, Autorität und Gehorsam, die Person Christi und das christliche
Bewusstsein. Diese Inhalte stellen für Romano Guardini das Dringliche in der
christlichen Verkündigung seiner Zeit dar.
2.1 Der Mensch als Person
Nach seiner Auffassung besteht die christliche Person darin, „dass der Mensch von Gott
im freien Anruf der Offenbarung gerufen ist; wiedergeboren in der Gnade; vor den Vater
gestellt in heiliger Verantwortung; aufgefordert in die Gemeinschaft Seines Lebens
einzutreten.“3 Der Mensch sei von Gott als freies Wesen geschaffen und geliebt und sehe
darin Auftrag und Verantwortung. Und damit liege die Person „im
Transpsychologischen, nach innen hin, jenseits der angebbaren Strukturen“ (Guardini,
Offenheit, 79) und könne weder mit Persönlichkeit noch mit Individuum gleichgesetzt
werden. Der Mensch ist also hier Person durch die Beziehung zu seinem Schöpfer und
nur aus dieser innigen Verbindung heraus kann er sich als solche begreifen. An anderer
Stelle grenzt er den christlichen vom philosophischen Personenbegriff deutlich ab. In
ihrem Zentrum stehe ´eine andere Person`, nämlich die Jesu Christi (vgl. Guardini,
Offenheit, 89).
Das Konzil ihrerseits betont in dem Abschlussdokument „Gaudium et spes“ in gleicher
Weise die Würde der menschlichen Person. Diese rühre daher, dass „der Mensch ´nach
dem Bild Gottes` geschaffen ist, fähig seinen Schöpfer zu erkennen und zu lieben, von
ihm zum Herrn über alle irdischen Geschöpfe gesetzt, um sie in Verherrlichung Gottes zu
beherrschen und zu nutzen“ (GS 12). Auch hier wird die Freiheit des Menschen
hervorgehoben, so verlange die Würde des Menschen, dass „er in bewusster und freier
Wahl handle, das heißt personal, von innen bewegt und geführt […]“ (GS 17). Und nicht
zuletzt wird gerade in Bezug auf den sich rasch und stetig ausbreitenden Atheismus
formuliert: „Zum Dialog mit Gott ist der Mensch schon von seinem Ursprung her
4
aufgerufen: er existiert nämlich nur, weil er, von Gott aus Liebe geschaffen, immer aus
Liebe erhalten wird; und er lebt nicht voll gemäß der Wahrheit, wenn er diese Liebe nicht
frei anerkennt und sich seinem Schöpfer anheimgibt“ (GS 19).
Die Personalität des Menschen wird in beiden Texten als entscheidendes Prinzip an den
Anfang gestellt, zu beiden Zeiten ist diese immer in Gefahr, missachtet und übergangen
zu werden. Im ersten Fall durch den Nationalsozialismus mit seiner rassistischen,
antidemokratischen Ideologie und natürlich durch den Krieg selbst und im zweiten Fall
unter anderem durch Mord, Abtreibung, Folter, Sklaverei, Prostitution und unwürdige
Arbeitsbedingungen, sodass die Achtung vor der menschlichen Person an mehreren
Stellen im Konzilstext ausführlich dargestellt und eingefordert wird: „Heute ganz
besonders sind wir dringend verpflichtet, uns zum Nächsten schlechthin eines jeden
Menschen zu machen“ (GS 27).
Und auch heute, 50 Jahre nach Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils, ist diese
Thematik von vielleicht sogar noch größerer Brisanz. Darauf kam auch Paul Metzlaff in
seinem Vortrag mit dem Titel „Menschwerdung im Maßstab Christi. Guardinis „Auf hin“
wider den Naturalismus der Neuzeit“ bei der Tagung im Stift Heiligenkreuz4 zu
sprechen. Seine These lautete folgendermaßen: „Das Wissen um die Person ist
erschüttert, da die Zeit kein Bild von Gott hat.“ Anders gesagt bedeutet dies, dass der
Mensch nicht mehr in Bezug auf Gott, als sein Abbild, gesehen, sondern davon losgelöst
wird und somit auch sein Person-Sein in all seinen Dimensionen verliert, mit all den darin
enthaltenden Konsequenzen. Gleiches formulierte Guardini bereits in seinem Aufsatz
„Der Heilbringer in Mythos, Offenbarung und Politik“ – auf die Person Christi
zugespitzt: „Wenn der Mensch annimmt, was in Christus zu ihm kommt, gehen ihm die
Augen darüber auf, wer Gott ist, und wer er selbst; was er selbst ist, und was die Welt“
(Guardini, Unterscheidung, 178)
Bedenkt man hierbei zusätzlich die Zeitanalyse Albrecht Voigts in seinem Vortrag
„Dionysos oder der Gekreuzigte?“, in der er unsere heutige Zeit geprägt sieht von
Autonomismus, Säkularismus und Nihilismus, so scheint das Ausmaß der Krise um die
Person besonders deutlich hervor und lässt gleichzeitig vermuten, dass die Personalität 4 Die Öffentliche Tagung mit dem Titel ´„Der Herr“ gegen die Heilbringer. Romano Guardinis christologisches Meisterwerk nach 80 Jahren` fand vom 26.‐ 28. April 2013 in Heiligenkreuz statt. Weiterführende Informationen unter: http://www.hochschule‐heiligenkreuz.at/willkommen/aktuelle‐news/2013‐guardini‐tagung/ [11.09.13]
5
des Menschen zu allen Zeiten bedroht ist und besonders geschützt und eingefordert
werden muss und letztlich in entscheidendem Maße von der Gottesfrage und dem
Glauben an ihn abhängt.
2.2 Das Gewissen
Im engen Zusammenhang mit der Personalität des Menschen steht ebenso das Gewissen.
Romano Guardini beklagt auch hier eine fortschreitende Entleerung und Begrenzung des
Begriffes auf das Bewusstsein vom Sollen (Guardini, Offenheit, 80). Für ihn übersteigt
das Gewissen den einzig normativen Charakter und beschreibt das Bewusstsein „von
meinem Bezogensein auf Gott; von meiner Person in ihrem Sein durch Gott und Stehen
vor ihm. Gewissen ist die Verantwortung für Gott und das Seinige, im Raum und Bereich
meiner Freiheit – und ebendarin für mein Selbst in seiner von Gott gemeinten
Eigentümlichkeit“ (Guardini, Offenheit, 80). Ist die Person auf Gott ihren Schöpfer
ausgerichtet, so ist hier das Gewissen Ort der Begegnung und gegenseitigen Verbindung.
In ausdrucksstarken Worten wird dieser Grundgedanke in der berühmt gewordenen
Passage von „Gaudium et spes“ über das sittliche Gewissen ausgedrückt:
„Im Inneren seines Gewissens entdeckt der Mensch ein Gesetz, das er sich nicht selbst gibt, sondern dem er gehorchen muss und dessen Stimme ihm immer zur Liebe und zum Tun des Guten und zur Unterlassung des Bösen anruft und, wo nötig in den Ohren des Herzens tönt: Tue dies, meide jenes. Denn der Mensch hat ein Gesetz, das von Gott seinem Herzen eingeschrieben ist, dem zu gehorchen eben seine Würde ist und gemäß dem er gerichtet werden wird. Das Gewissen ist die verborgenste Mitte und das Heiligtum im Menschen, wo er allein ist mit Gott, dessen Stimme in diesem seinem Innersten zu hören ist.“ (GS 16)
Auch in diesem Punkt finden sich also deutliche Parallelen in der Argumentation und in
der Tatsache, dass die Klärung des Gewissens für die jeweilige Zeit besonders dringlich
und notwendig angesehen wird. Denn genauso wie der Mensch als Person steht auch das
Gewissen oft in der Gefahr „säkularisiert“, also von der letzten Verankerung in Gott
abgetrennt zu werden.
2.3 Autorität und Gehorsam
In einem nächsten Schritt kommt Romano Guardini in seinen persönlichen Reflexionen
zum geistigen und religiösen Zeitgeschehen auf die Problematik der Autorität zu
sprechen. Die Dringlichkeit und der konkrete Bezug sind an einigen, teils nicht zu Ende
6
formulierten Sätzen sehr deutlich.5 Mit Bezug auf die historische Entwicklung habe die
Kirche den Gedanken der Autorität gegen die individualistische Forderung der
Unabhängigkeit Gott gegenüber, wie sie in der Renaissance des 18. und 19. Jahrhunderts
gestellt wurde, betont (vgl. Guardini, Offenheit, 80/81). Er sieht die gleiche Gefahr in
gleicher Weise jedoch auch in dem sich zu seiner Zeit ausbreitenden Autoritarismus: „der
eigentliche geschichtliche Gegner des Christentums scheint jetzt nicht der
Unabhängigkeitswille der subjektivistischen Einzelperson, sondern jener der autonomen
Ganzheit zu sein“ (Guardini, Offenheit, 82).
Angesichts dieser individuellen wie gesamtgesellschaftlichen Tendenz unterstreicht
Guardini die Komplementarität von Autorität und Gehorsam sowie der
Gottesunmittelbarkeit und Unabhängigkeit. In einem nur scheinbaren Paradoxon
formuliert er: „Echt, sittlich, christlich zu gehorchen, vermag nur, wer der echten
Unabhängigkeit des Gewissens […] fähig ist – ebenso wie echte Unabhängigkeit nur
realisieren kann, der echt zu gehorchen versteht“ (Guardini, Offenheit, 82). Wahre
Autorität verlange einerseits den „reinen und genauen“ (Guardini, Offenheit, 82).
Gehorsam, stärke jedoch gleichzeitig die Unabhängigkeit, „das Bewusstsein der
personalen Verantwortung“ der Menschen als lebendigem Gegenpol. Dieses
wechselseitige Gleichgewicht sieht er in Gefahr, aufgegeben zu werden und er scheut
sich nicht, auch direkte Anspielungen auf den „Autoritätsträger“ (Guardini, Offenheit,
83) selbst zu machen, der jede Äußerung der Unabhängigkeit als einen Angriff gegen
seine Person empfinde.
Formulierte Guardini schon 1934 sein Unbehagen gegenüber dem sich ausbreitenden
Autoritarismus, so ist dieser 31 Jahre später von noch besorgniserregender Aktualität
angesichts des modernen systematischen Atheismus, der „das Streben nach menschlicher
Autonomie so weit treibt, dass er Widerstände gegen jedwede Abhängigkeit von Gott
schafft“ (GS 20). Der Mensch finde die absolute Freiheit darin, sich selbst anstelle seines
Schöpfers zu setzen. Im Kapitel über die richtige Autonomie der irdischen Wirklichkeiten
heißt es weiter: „Wird aber mit den Worten ´Autonomie der zeitlichen Dinge` gemeint, dass die geschaffenen Dinge nicht von Gott abhängen und der Mensch sie ohne Bezug auf den Schöpfer gebrauchen könne, so spürt jeder, der Gott anerkennt, wie falsch eine solche Auffassung ist. Denn das Geschöpf sinkt ohne den Schöpfer ins Nichts.“ (GS 37)
5 vgl. z.B S.81: „Wenn auf die Gefahrenmomente im Autoritätswillen der Neuzeit, der jetzt in einer entscheidenden Weise kulminiert und eine neue Sinnrichtung einschlägt…“
7
Angesichts dieses fehlenden Willens, eine höhere (göttliche) Autorität anzuerkennen,
scheint es sinnvoll die Worte Guardinis zu wiederholen, dass man echte Unabhängigkeit
nämlich nur realisieren könne, wenn man echt zu gehorchen verstehe. Die Folge von
dessen Verweigerung wird in der oben ausgeführten Passage des Konzilstextes auf jeden
Fall sehr drastisch dargestellt.
War zu Zeiten der Nationalsozialisten die Autorität überbetont, so ist es heute die erklärte
und gewünschte Unabhängigkeit Gott und sogar generell jeder Autorität gegenüber, die
leider immer weiter um sich greift.
2.4 Die Person Christi
All die bisher aufgeführten Inhalte und Gesichtspunkte münden letztlich in die Frage
nach der Person Jesu Christi. Romano Guardini selbst fordert von neuem die Person
Christi stärker zu betonen und ins Zentrum zu rücken: „Sobald ´Kirche` zu sehr für sich
genommen wird, neigt das christliche Gesamtdasein dazu, in die Struktur eines
gedanklichen, moralischen, juridischen, kultischen oder staatsmäßigen Systems
überzugehen und den Kontakt mit der einmalig-ursprünglichen Realität ´Christus` zu
verlieren“ (Guardini, Offenheit, 86).
Die lebendige Kirche müsse von ihm her existieren, in ihm, auf ihn hin. Und so folgert
Guardini: „Die Kirche wird lebendig in den Seelen, […] wenn Christus in den Seelen
lebendig wird“ (Guardini, Offenheit, 86). In „Gaudium et spes“ wird diese
christozentrische Sichtweise von Anfang an vertreten, auch wenn sich der Text bewusst
an alle Menschen schlechthin wendet und der Fokus eher auf der praktischen Umsetzung
des Evangeliums Christi in der Welt von heute liegt als auf einer rein theologischen
Abhandlung. Vielmehr bildet die Person Christi – und damit das christliche Bewusstsein -
den Ausgangspunkt, der alles weitere durchdringt.
Gleich zu Beginn wird nach der Auflistung der tieferen Fragen der Menschheit auf die
Person Christi zu deren Lösung und Bewältigung verwiesen: „[Die Kirche] glaubt ferner,
dass in ihrem Herrn und Meister der Schlüssel, der Mittelpunkt und das Ziel der ganzen
Menschheitsgeschichte gegeben ist“ (GS 10). Und auch das letzte Kapitel des ersten Teils
überschrieben mit dem Titel „Christus, Alpha und Omega“ führt diese Linie weiter.
Wörtlich heißt es darin: „Der Herr ist das Ziel der menschlichen Geschichte, der Punkt,
8
auf den hin alle Bestrebungen der Geschichte und der Kultur konvergieren, der
Mittelpunkt der Menschheit, die Freude aller Herzen und die Erfüllung ihrer Sehnsüchte“
(GS 45). In diesen Rahmen wird die komplette Anthropologie des Konzilstextes gestellt,
der Überzeugung folgend, dass derjenige, der „Christus, dem vollkommenen Menschen,
folgt, auch selbst mehr Mensch wird“ (GS 41).
Die wahre Prophetie der Worte Guardinis stellt sich spätestens heute in beeindruckender
Weise heraus. So griff der emeritierte Papst Benedikt XVI. 2011 bei seinem
Deutschlandbesuch die schon 1934 von Guardini formulierte Problematik vom Überhang
der Strukturen auf: „Die eigentliche Krise der Kirche in der westlichen Welt ist eine
Krise des Glaubens. Wenn wir nicht zu einer wirklichen Erneuerung des Glaubens
finden, werden alle strukturellen Reformen wirkungslos bleiben.“6 Und auch sein
Nachfolger im Petrusamt, Papst Franziskus, fordert beständig die erneute Orientierung
am Zentrum des Glaubens, der Person Jesu Christi, indem er auch auf die vorherrschende
Situation Bezug nimmt.7
2.5 Das christliche Bewusstsein
Eng damit verknüpft ist endlich die Frage nach dem christlichen Bewusstsein und damit
einem großen Anliegen Romano Guardinis. Schon zu seiner Zeit beklagt er die Tatsache,
dass das christliche Bewusstsein seit dem Mittelalter immer mehr dahinschwinde (vgl.
Guardini, Offenheit, 75). Konkret versteht er unter diesem Begriff die Tatsache, dass „die
Gegebenheiten des Glaubens zum Ausgangspunkt für die Stellungnahme zur Welt
werden […] [und die] Offenbarungswahrheit […] nicht nur Inhalt, sondern auch Subjekt
des Bewusstseins geworden ist“ (Guardini, Offenheit, 75). Letztlich geht es um eine
Integration des Glaubens an die Person Christi und der damit verbundenen Inhalte, Werte
und Gebote in das Denken und Fühlen des Menschen, sodass alle Ereignisse und Fragen
der Zeit aus dieser Sichtweise – seiner Sichtweise – angegangen und gesehen werden.
6 Rede von Benedikt XVI. bei der Begegnung mit dem Rat des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) im Hörsaal des Priesterseminars zu Freiburg im Breisgau am 24. September 2011, in: Benedikt XVI., In Gott ist unsere Zukunft. Ansprachen & Predigten während seines Besuchs in Deutschland, hg. vom Benno‐Verlag, Leipzig 2011, 117. 7 In der Reihe der Franziskus‐Perle veröffentlicht Kath.net regelmäßig Predigten von Papst Franziskus, zu diesem Thema beispielsweise: Schwibach, Armin, Das zweifach maskierte Christentum ohne Christus, in: http://www.kath.net/news/41842 [11.09.2013].
9
Auch am Ende seines christologischen Meisterwerks „Der Herr“ geht Guardini nochmals
auf das für ihn so bedeutsame christliche Bewusstsein ein: „[Die Bekehrung des Willens
und Tuns und auch des Denkens] besteht darin, dass nicht mehr von der Welt her über
Christus nachgedacht, sondern Christus als der Maßstab des Wirklichen und Möglichen
angenommen und von Ihm her über die Welt geurteilt werde“ (Guardini, Herr, 649).
Dieses christliche Bewusstsein durchwebt auch den Konzilstext „Gaudium et spes“, wo
es explizit heißt: „Im Licht Christi also, des Bildes des unsichtbaren Gottes, des Erstgeborenen vor aller Schöpfung will das Konzil alle Menschen ansprechen, um das Geheimnis des Menschen zu erhellen und mitzuwirken dabei, dass für die dringlichsten Fragen unserer Zeit eine Lösung gefunden wird.“ (GS 10)
In deutlicher Weise wird auch hier das sich immer weiter ausbreitende Verschwinden des
christlichen Bewusstseins zutiefst bedauert. „Diese Spaltung bei vielen zwischen dem
Glauben, den man bekennt, und dem täglichen Leben“ (GS 43) wird als eine der
„schweren Verwirrungen unserer Zeit“ (GS 43) gesehen. Die große Problematik des
christlichen Bewusstseins äußert sich nun darin, dass die von Guardini geforderte
Integration der Gegebenheiten des Glaubens in die Bewältigung des Alltags des
Einzelnen nicht mehr stattfindet.
3 Das christliche Existenzbewusstsein
Das christliche Existenzbewusstsein ist zusammenfassend das große Anliegen Romano
Guardinis, es umfasst für ihn gleichermaßen das oben dargestellte christliche Bewusstsein
sowie die lebendige Erfahrung – ein „lebendiges Darangeraten [an Christus]“ (Guardini,
Offenheit, 73) selbst. Die innige Begegnung mit dem Herrn und die Deutung der Welt
aus dieser Beziehung und damit aus dessen Sicht seien das eigentlich Dringliche seiner
Zeit. Und nur unter dieser Voraussetzung könne eine echte christliche Antwort gegeben
werden, „auf gleicher menschlicher, kultureller und geschichtlicher Ebene“ (Guardini,
Offenheit, 92).
Dieses christliche Existenzbewusstsein muss so sowohl theoretisch erläutert als auch im
Leben echt und glaubwürdig vollzogen werden (vgl. Guardini, Offenheit, 89). Für diese
große Aufgabe leistet auch die Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“ einen gewichtigen
Teil, sie gibt nicht zuletzt praktische Hilfestellungen für all die Herausforderungen in den
10
wichtigen Lebensbereichen wie Ehe und Familie, Kultur, Wirtschaft, Politik und der
Förderung des Friedens in ihrem zweiten Teil. Doch eigentliches Ziel dieser Schriften ist
das Hinführen zu einem lebendigen Vollzug und damit zu einem christlichen
Existenzbewusstsein. Und in diesem Kontext verstehen sich auch die Worte Martin
Brüskes bei seinem Vortrag auf der Tagung „´Der Herr` gegen die Heilbringer“, wenn er
betont, dass die Texte Guardinis in seiner Predigtsammlung „Der Herr“ letztlich zur
Christusbegegnung führen wollen.
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4 Zusammenfassung
In der Zusammenschau aller erarbeiteten Felder lässt sich festhalten, dass Romano
Guardinis Werk „Die religiöse Offenheit der Gegenwart“ und das Konzilsdokument
„Gaudium et spes“ trotz ihrer Unterschiedlichkeit in ihrer Ausrichtung und Intention
auffällige Gemeinsamkeiten haben. Alle die für den Theologen des letzten Jahrhunderts
dringlichen Gebiete finden sich mit dem gleichen inhaltlichen Kern in der 31 Jahre später
von den Konzilsvätern erarbeiteten Konstitution, so die Bedeutung der Sichtweise des
Menschen als Person und damit verbunden seines Gewissens, der Autorität in ihrer
Komplementärrelation zur Unabhängigkeit und schließlich der Person Christi und des
christlichen Bewusstseins. Zeitbedingt stehen jeweils andere Themen im Fokus, häufig
finden sich jedoch die von Guardini 1934 dargestellten Problematiken 1965 nur in noch
verschärfter Form wieder. Damit bestätigt sich die These Guardinis, wonach es einen
unwandelbaren Kern der menschlichen Situation gebe und keine Zeit Christus näher stehe
als eine andere (vgl. Guardini, Offenheit, 28). Nicht zuletzt besteht die Übereinstimmung
der beiden Schriften auch darin, die Entwicklung eines christlichen Existenzbewusstseins
vorantreiben zu wollen.
So kann Romano Guardini in jeder Hinsicht als Vordenker des Zweiten Vatikanischen
Konzils angesehen werden. Seine Reflexionen und Erkenntnisse erscheinen in diesem
Licht als geradezu prophetisch.
12
5 Literaturverzeichnis
1. Quellen
Guardini, Romano, Der Herr. Betrachtungen über die Person und das Leben Jesu Christi, Würzburg 81951. Guardini, Romano, Die religiöse Offenheit der Gegenwart. Gedanken zum geistigen und religiösen Zeitgeschehen (1934), Paderborn 2008. Guardini, Romano, Unterscheidung des Christlichen. Gesammelte Studien 1923-63 Band 2: Aus dem Bereich Theologie, Paderborn 31994. Öffentliche Tagung ´„Der Herr“ gegen die Heilbringer. Romano Guardinis christologisches Meisterwerk nach 80 Jahren` vom 26.- 28. April 2013 in Heiligenkreuz Rahner, Karl/Vorgrimler, Herbert, Kleines Konzilskompendium. Sämtliche Texte des Zweiten Vatikanums, Freiburg i. Br. 352008.
2. Literatur
Benedikt XVI., In Gott ist unsere Zukunft. Ansprachen & Predigten während seines Besuchs in Deutschland, hg. vom Benno-Verlag, Leipzig 2011. Schwibach, Armin, Das zweifach maskierte Christentum ohne Christus, in: http://www.kath.net/news/41842 [11.09.2013].
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14
Erklärung
Hiermit erkläre ich, dass ich diese Seminararbeit selbstständig verfasst und keine anderen
als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel verwendet habe.
Regen, 12.09.2013 Irmgard Prestel