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Roundtable – Risikomanagement Edition Risikomanagement 5.1 Sonderdruck aus „dpn – Deutsche Pensions- & Investmentnachrichten“, Februar/März 2009

Roundtable – Risikomanagement

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Page 1: Roundtable – Risikomanagement

Roundtable – Risikomanagement

Edition Risikomanagement 5.1

Sonderdruck aus „dpn – Deutsche Pensions- & Investmentnachrichten“,Februar/März 2009

Page 2: Roundtable – Risikomanagement

Sehr geehrte Damen und Herren,

nach mehreren akademischen Beiträgen für Ihren Risikomanagement-Ordner wollen wir diesmal die Praxisausführlich zu Wort kommen lassen. In der Februar/März-Ausgabe von „dpn – Deutsche Pensions- & Invest-mentnachrichten“ erschien ein Bericht über einen von Union Investment unterstützten Roundtable zu Risiko-management. Diesen lesenswerten Bericht möchten wir Ihnen im Rahmen der Edition Risikomanagement zurVerfügung stellen.

In der Runde diskutierten Prof. Dr. Ursula Walther (Lehrstuhl für Corporate Finance, Frankfurt School of Finance & Management), Dr. Volker Heinke (Mitglied des Vorstandes, KZVK und VKPB, Dortmund), Peter Anders (Mitglied der Geschäftsleitung, Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, Essen), Wolfgang Maier(Konzernbevollmächtigter Asset Management, EnBW, Karlsruhe) sowie Thomas Bossert (Union Investment)unter der Moderation von Maik Rodewald (Chefredakteur, dpn – Deutsche Pensions- & Investmentnachrich-ten) aktu elle Fragestellungen zum Thema Risikomanagement in der Kapitalanlage: Was ist Risiko? Sind Stress-tests ein Ausweg? Gibt es noch risikoarme Asset-Klassen? Funktioniert Diversifikation noch?

Diese Fragen boten eine Menge Zündstoff für eine rege Diskussion. In einem Punkt sind sich die Experten allerdings einig: Das Risikomanagement hat nicht versagt, Risikokennzahlen und Modelle müssen jedoch ständig kritisch hinterfragt werden!

Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre!

Herzlichst Ihr

Alexander SchindlerMitglied des Vorstandes, Union Asset Management Holding AG

Vorwort

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Risikomanagement Roundtable

dpn-Roundtable

Risiko-management

Teilnehmer1 Maik Rodewald, Chefredakteur, Financial Times – Deutsche Pensions- & Investmentnachrichten (Moderator)2 Dr. Volker G. Heinke, Mitglied des Vorstands, KZVK und VKPB, Dortmund3 Peter Anders, Mitglied der Geschäftsleitung, Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, Essen4 Thomas Bossert, Geschäftsführer, Union Investment Institutional, Frankfurt5 Prof. Dr. Ursula Walther, Lehrstuhl für Corporate Finance, Frankfurt School of Finance & Management6 Wolfgang Maier, Konzernbevollmächtigter Asset Management, EnBW, Karlsruhe

Sponsor:

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4 56

Page 4: Roundtable – Risikomanagement

Risikomanagement sei keine vergnügungs-

steuerpflichtige Veranstaltung, sagt Volker

Heinke zu Beginn. Seine Vita hilft verstehen,

weshalb er trotzdem ausgerechnet zu diesem

Thema an unserem Roundtable mitwirkt –

und zwar bemerkenswert gut gelaunt und

engagiert: Er ist durch und durch Akademiker,

und es bereitet ihm sichtbar Freude zu argu-

mentieren und zu retournieren. Sein enger

Kontakt zu Professor Manfred Steiner –

deutschen BWL-Studenten als Co-Autor des

Klassikers „Perridon/Steiner” bekannt – zog

ihn nach der Promotion in Münster ab 2000

als Dozent an die Universität Augsburg, von

der er 2007 die „venia legendi” erhielt. Dort

darf er also regelmäßig lehren, soweit es

seine Zeit erlaubt – denn immerhin hat er 6,5

Milliarden Euro unter seinen Fittichen. MRO

Roundtable Risikomanagement

www.dpn-online.com24 Februar /März 2009

dpn: Willkommen an unserem rundenTisch. Wir unterhalten uns über Risikoma-nagement in der Kapitalanlage. Vorweg,kurz und prägnant: Was ist Risiko für Sie?Heinke: Für Pensionskassen wie unsereKirchliche Zusatzversorgungskasse und dieVersorgungskasse für Pfarrer und Kirchenbe-amte sind Marktwertschwankungen natür-lich ein Risiko, aber kein existenzielles. Wirkönnen unseren langfristigen Investment-Horizont in den Risikomodellen berücksichti-gen, so dass wir nicht ausschließlich aufkurzfristige Value-at-risk-Betrachtungenschauen müssen.Durch die Finanzkrise sind Ausfall- und Li-quiditätsrisiken aktuell geworden. Mittler-weile müssen Sie sich immer häufiger damitbeschäftigen – zum Beispiel, was es heißt,wenn ein Pfandbrief abgewickelt werdenmuss.

dpn: Was ist Risiko für EnBW, Herr Maier?Maier: Erstens unsere Zielrendite nicht zu er-reichen, und zweitens existenzbedrohendeVerluste einzufahren. Finanzgeschäfte stehenbei EnBW nicht im Fokus der operativen Tä-tigkeit und sollten daher auch die Gewinn-und Verlustrechnung (GuV) nicht zu starkbeeinflussen.Ich würde aber gerne noch ganz allgemeinfolgendes loswerden: Risikomanagement istoft eine Worthülse, hinter der sich vieles ver-bergen kann. Jeder versucht sich im Risiko-management, ob Kapitalanlagegesellschaften(KAGen) oder Consultants – ob das praktischdann bei jedem funktioniert, da habe ichmeine Zweifel.Anders: Was ist Risiko für uns? Nun, ich kanndas für den Stifterverband nicht so genaufestmachen, weil wir ja nicht über ein homo-genes Vermögen sprechen, sondern überrund zwei Milliarden Euro von 430 Stiftun-gen mit teilweise ganz unterschiedlichenVorstellungen von Risiko und Verlustaversion.Darum verwalten wir auch die ganze Band-breite der Kapitalanlagen, von Deckungs-stockanlagen bis zu deutlich höheren Risiko-graden, wie man es für Stiftungen gar nichtvermuten würde.Meine grundsätzliche Aussage lautet: Ichmuss ein gewisses Risiko eingehen, um einenMehrertrag zu erzielen, aber ich habe eineVerlustaversion, und die kann ich pro Stif-

delbarkeit gehören dazu auch Fragen wie:Gibt es jemand, der das Risiko beeinflussenkann? Ganz wichtig ist mir nämlich dasVerständnis, dass Risiko eben kein stochasti-scher Prozess ist, also kein Umweltereignis. Essind vielmehr immer ökonomische Entschei-dungen von Menschen, die Preise treiben.Deshalb gibt es auch nicht das Risiko; ichwürde immer im Plural sprechen, also vonden Risiken.Bossert: Es ist ein Irrglaube, dass Risikoma-nagement ausschließlich eine Frage von Sys-temen oder Organigrammen ist. Wir themati-sieren gerne das sogenannte F9-Risiko:Jemand hat ein tolles System, drückt auf dieTaste F9, und dann steht ein Ergebnis aufdem Schirm. Das Ergebnis muss man erst ein-mal verstehen und dann kommt die Frage,was ich aus dieser Information eigentlichmache. Da schließt sich der Kreis: Für die F9-Taste brauchen wir Menschen, die mit sol-chen Informationen etwas anfangen könnenund dafür ausgebildet sind. Es würde dochauch niemand auf die Idee kommen, an derUniklinik zu fragen, ob er mal ein wenig mit-operieren kann, bloß weil er das spannendfindet.

dpn: Um wie viel ausgefeilter ist Risikoma-nagement geworden – und hat es per Saldoetwas gebracht?Walther: Auf der Quant-Seite um ein Vielfa-ches, die Zahl der Modelle und mathemati-schen Ansätze ist explodiert. Wie man diesesInstrumentarium aber richtig anwendet, istvielen Praktikern wenig bekannt – da klafftleider eine Lücke.Anders: Stopp! Ich sehe schon einen Schrittvorher ein Problem. Wenn ich dem zehnköp-figen Gremium einer Stiftung vorschlage, 75Prozent in Rentenpapiere und 25 Prozent inAktien zu investieren, nicken das alle ab. Was,glauben Sie, passiert, wenn ich eine diversifi-zierte Vermögensaufteilung mit einem Ver-lustrisiko von 4,5 Prozent vorschlage – wasim Grunde dasselbe ist? Dann nicken nurnoch wenige. Sie glauben gar nicht, wie ne-gativ Risiko belegt ist. Es ist erst einmal nuretwas Schlechtes – kaum jemand will be-wusst Risiken nehmen. Wir müssen erst ein-mal das Problem angehen, bevor wir uns dar-über Gedanken machen, wie ausgefeilt Risi-komanagement geworden ist.

tung mit einem Euro-Betrag angeben. Esgeht für uns darum, ein Worst-Case-Szenariozu verhindern oder mindestens deutlich ab-zumildern. Die Konsequenz war im vergange-nen Jahr, dass wir 1,3 Milliarden Euro, alsozwei Drittel des Vermögens, mit einer Wertsi-cherung versehen haben – was sich auch alsrichtig erwiesen hat.

dpn: Was ist für Sie Risiko, Frau Walther?Walther: Interessant, dass Sie mit dieser Fra-ge aufmachen – wenn ich Vorlesungen überRisikomanagement halte, verwende ich dieganze erste Sitzung nur für diese Frage. Icharbeite dann eine Liste mit etwa 15 Aspektenab. Neben Liquidität, Messbarkeit und Han-

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RoundtableRisikomanagement

Februar /März 2009 25www.dpn-online.com

Früher habe ich vermögende Privatkundenberaten und mit Stop-Loss-Marken gearbei-tet. Ich weiß, das ist kein ausgefeiltes undauf Modelle gestütztes Risikomanagement,aber mit dieser einfachen Regel können Siesich heute immer noch vor großen Verlustenschützen.Bossert: Interessant, was Herr Anders sagt.Beim Crash 1987 habe ich – damals als Bank-lehrling – auch erfahren, wie wertvoll einesystematische Absicherung, beispielsweiseüber ein Stop-Loss-Konzept, sein kann. Es isteinfach und jeder versteht es. Und das ist derZeitgeist.

dpn: Wie hat sich Risikomanagement dennbei Ihnen im Hause geändert?Bossert: In den 80ern ging es in der gesam-ten Branche darum, kein Geld zu verlierenoder nicht mehr als den Betrag X. In den90er Jahren wurden die Portfolios dann tran-chiert, man sprach über relative Risiken, Tra-cking Error und Underperformance. Nachdem Jahr 2000 hat man dann gesehen, dassrelative Performance arm machen kann. DasPendel schwingt seitdem wieder zurück, woes in den 80ern war.Maier: Sie sprechen aus, was ich denke. An-fang der 90er Jahre kam die angelsächsischeBenchmark-Orientierung auf. In dem Mo-ment begannen für uns die Probleme mit un-seren Spezialfonds. Von den erwarteten Di-versifizierungseffekten blieb nicht viel übrig.Dies gelang davor besser, als die Fondsmana-

ger noch nicht durch falsch verstandenes Ri-sikomanagement in ein enges Korsett ge-zwängt waren. Ich bin auch der Meinung:Einfache Dinge wie der Stop-Loss und gesun-der Menschenverstand helfen im Zweifel we-sentlich weiter als ein hochtrabendes Risiko-management, das sich am Schluss nur alsSchlagwort entpuppt.Heinke: Wobei das Benchmarking per se janichts Schlechtes ist. Es ist jetzt einfach einezusätzliche Ebene dazugekommen. Der Inves-tor verantwortet die Gesamtportfolioebeneund beauftragt den Asset Manager, entwederrelativ oder absolut, was aber zwei verschie-dene Aufgaben sind mit unterschiedlichenRisiken für den Investor. Das Tranchieren hatnur den Nachteil, dass es gerade für kleinereOrganisationen immer schwieriger wird, dieStruktur zu kontrollieren und zu steuern.Anders: Ich glaube gar nicht, dass InvestorenRisikomanagement als ihre Hauptaufgabeansehen. Ein ehrenamtlicher Stiftungsvor-stand, der von Wertpapieren nicht so vielversteht, wird nicht sagen, er trage alleinedas Risiko – auch wenn er es stiftungsrecht-lich trägt.Genau hier müssen die Banken und Finanz-dienstleister endlich umdenken und ihre Be-ratungskapazität stärken. Ich meine, die Ver-antwortung kann nicht delegiert werden,aber wer die absolute Fachexpertise hat –und die ist in meinem Beispiel bei der Bankoder beim Asset Manager – sollte verantwor-tungsvoll mitarbeiten.

dpn: Einspruch! Hat die Finanzkrise nicht ge-zeigt, wie schlecht auch Banken und AssetManager mit Extremwertszenarien umgehen– sicher auch, weil sich viele noch an ihreNormalverteilungsannahmen klammern? Somacht man doch den Bock zum Gärtner.Bossert: Bei uns – also Union Investment –spiegeln sich Extremszenarien schon wider.Wir behaupten aber nicht, wir könnten siemessen. Ich denke, das kann niemand, undder Begriff „Messen“ ist auch falsch, denn Siekönnen so etwas immer nur schätzen. WennSie diese Extremereignisse in die Berechnungeinbeziehen, dann kommt immer heraus:Kauf einjährige Bunds, weil die Risiken sonstzu gewaltig sind. In 99 Prozent der Fälle sindSie folglich viel zu wenig im Risiko und indem einen Prozent, wo es wirklich knallt, ha-ben Sie wahrscheinlich trotzdem zu viel Risi-ko im Portfolio. Es gibt noch kein Konzept,wie man mit diesen Extremrisiken umgeht,ohne dass man sich sämtlicher Anlagechan-cen beraubt. Es geht darum Risikobudgetsbestmöglich einzusetzen.

dpn: Sind Stresstests ein Ausweg? Kleinlautmüssen wir feststellen, dass die Bafin-Stresstests – entgegen aller Kritik – durchausrealistische Szenarien getestet haben.Heinke: Nein, die waren auch zu optimistisch(Gelächter). Im Ernst: Stresstests sind sinn-voll. Die Frage ist, was knüpfe ich für Konse-quenzen daran? Bin ich eine Schaden-Unfall-Versicherung, die eventuell morgen große

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Roundtable Risikomanagement

www.dpn-online.com26 Februar /März 2009

Liquiditätsabflüsse hat, oder bin ich einePensionskasse, die nicht mit unerwartetenAbflüssen rechnen muss und die relativ gutweiß, wann die Menschen sterben? Im Grun-de ist es fast egal, wenn sich unser Vermögenhalbiert, solange die langfristige Tendenzstimmt, wir also zum Beispiel nicht in ein Ja-pan-Szenario laufen. Dann wäre es ein Feh-ler, wenn eine Pensionskasse wie wir, die überdie nächsten 60 Jahre 6 Prozent pro Jahr er-zielen muss, kurzfristig aus Aktien aussteigenwürde. Hier stimme ich übrigens mit HerrnPersaud überein, den Sie vor einem Jahr indpn interviewt haben (Jahrgang 7, Ausgabe35, die Red.): Die Aufsicht muss schärfer zwi-schen den Institutionen unterscheiden, wieviel Liquidität sie bereithalten müssen.

Walther: Ich muss jetzt die quantitativeZunft in Schutz nehmen bezüglich der Nor-malverteilungsannahme. Wenn Sie ein gutesBuch zum Quant-Management in die Handnehmen, dann steht gleich am Anfang, dassdie Normalverteilungsannahme nicht haltbarist, und was daraus folgt. Und natürlich gibtes Konzepte, wie man mit nicht normalenVerteilungen umgehen kann. Zum Beispielgibt es die Extremwerttheorie, die genau ver-sucht, diese extremen Ausschläge in denGriff zu bekommen. Entscheidend aber ist: Esgibt eine Grenze der Messbarkeit, und diekönnen wir nicht überwinden. Da setzt ge-nau der Stresstest ein. Und darum störe ichmich an dem Terminus „einen Stresstestrechnen“. Ein Stresstest ist im Kern ein quali-tatives Instrument. Ich muss mir qualitativeine Meinung bilden, was ich noch mit wel-chem Risiko tragen kann und was nicht.

dpn: Herr Heinke hat die Liquiditätsprämienangesprochen. Muss man dann nicht auchLiquiditätsrisiken betrachten? Wird das ge-macht?Walther: Da sind wir noch sehr in den An-fängen.

dpn: Gibt es eigentlich noch risikoarmeAsset-Klassen?Maier: Bis vor einem Jahr hätte ich noch einTermingeld bei einer Bank genannt. Mittler-weile sehe ich für sich genommen gar nichtsmehr als risikolos. Deswegen: Ich glaube un-verändert an Diversifizierung, auch wenn siein Einzelfällen nicht so funktioniert hat wieerwartet.Bossert: Eine risikolose Anlage sehe ich auchnicht mehr. Selbst wenn Sie Staatspapierenehmen oder es unter die Matratze legen, dakann es im Extremszenario auch weg sein.Das heißt, wir können gar nicht ohne Risiko.Das Restrisiko ist immer größer null, denn Siehaben immer eine offene Flanke.

dpn: Wer von Ihnen hält denn neben HerrnMaier der Diversifizierung noch die Stange?(alle heben den Arm, außer Heinke). Trotz derErfahrung, dass in der Krise plötzlich Dingekorrelieren, die gar nicht korrelieren dürften?Bossert: Wenn man einerseits Unterneh-mensanleihen, Aktien und Hedgefonds hatte,andererseits aber lange Bunds, Immobilien

und Termingeld, dann hat die Diversifikationdoch sogar 2008 funktioniert! Und Diversifi-kation bedeutet ja auch nicht, dass dann al-les Risiko weg ist – denn dann gäbe es auchkeinen Mehrertrag mehr. Das hat Herr Andersvorhin angedeutet. Außerdem ist es auchnicht neu, dass der Diversifikationseffekt ge-rade dann spärlich ausfällt, wenn ich ihn ammeisten brauche. Das muss ich eben wissenund entsprechend damit umgehen.Maier: Genau! Ich muss die Korrelationenimmer wieder überprüfen und infrage stel-len. Heute werden Sie wahrscheinlich mit ei-ner weltweiten Diversifikation in einzelneMärkte nicht mehr den Effekt haben wienoch vor zehn Jahren. Da stellt sich schondie Frage, ob man dann noch eine eigene As-set-Klasse Asien, USA oder Europa braucht –oder ob man nicht aufgrund der parallelenEntwicklung gleich global denken muss. Aberzwischen den Asset-Klassen zu streuen halteich weiterhin für sehr wichtig. Man darf jetztnicht alles negieren, aber auch nicht allesungeprüft glauben und sich auf Modelle undKennzahlen verlassen. Das ist für mich dieLehre aus der Krise: Schalten Sie im Zweifellieber Ihren Kopf ein statt Ihren PC.

dpn: Im Vorgespräch sagten Sie uns, HerrMaier, dass Sie nicht so viel vom Value-at-Risk (VaR) halten. Sie, Frau Walther, warendeutlich aufgeschlossener.Walther: Wenn Sie den VaR berechnen, set-zen Sie sich zumindest von einem anderenBlickwinkel mit einer Risikoklasse oder ihrergesamten Kapitalanlage auseinander. Sicheinmal die Historie anschauen und sich klarmachen, wie denn eine Verteilung ausgese-hen hat, halte ich unverändert für sinnvoll.Die Frage ist, wie ich mit dem Ergebnis um-gehe.Bossert: Korrekt. Sie brauchen schon Zahlen,über die Sie überhaupt diskutieren können.Wenn ich einen Fonds anschaue, bekommeich unter anderem sieben verschiedende VaRsauf den Schirm. Wir leisten uns den Luxusredundanter Risikomanagementsysteme –und wir wissen, dass keine dieser Kennzahlenstimmt. Aber sie regen zum Überlegen an.Das bringt den Prozess in Gang, dass ich Risi-ken dann im Ergebnis doch besser abschät-zen kann.Maier: Der VaR ist ein gutes Beispiel für mei-

Als es 1987 so richtig krachte an der Wall

Street, da staunte Banklehrling Thomas

Bossert gerade darüber, wie effektiv die

simple Idee des Stop-Loss doch ist. Das

wäre ihm zum Thema Risikomanagement

bei unserem Roundtable vermutlich gar

nicht eingefallen, hätte ihn Peter Anders

nicht darauf gebracht. Der höflich und be-

scheiden auftretende Anders – und damit

Wolfgang Maier von EnBW im Geiste eng

verwandt – war damals 32 Jahre alt und

hatte bereits zehn Jahre Erfahrung im

Wertpapiergeschäft. Gelernt hat Anders

sein Handwerk bei der Dresdner Bank, das

er ab 1990 beim Stifterverband für die

Deutsche Wissenschaft in Essen fortführte

– seit Mitte 2005 als Bereichsleiter und

Mitglied der Geschäftsleitung. MRO

Page 7: Roundtable – Risikomanagement

ne Vorsicht gegenüber Kennzahlen. In den90er Jahren wurde der VaR Allgemeingut,dann hat auch der BVI reagiert und die Spe-zialfonds haben VaR-Zahlen geliefert. Als Ba-sis wurden die letzten 60 Wochenwerte derFondsanteilspreise genommen. Das waren inder Regel gemischte Mandate mit großenSpielräumen für Fondsmanager, auf neueMarktgegebenheiten zu reagieren. Bei sol-chen Mandaten und dieser Berechnungs-weise gibt der VaR einen falschen Hinweisauf die Risikopositionierung. Das heißt, ichbetrachte Risiko basierend auf Werten, diemit der heutigen Situation überhaupt nichtszu tun haben. Kaum jemand hat sich darangestoßen und das hinterfragt. Daraus habeich meine Lehren gezogen.Bossert: Herr Maier, das Problem liegt aberdann nicht am VaR! Das wäre ja so, als legtenwir keine Messer mehr auf den Tisch, nurweil es Leute gibt, die nicht wissen, dass mansie nicht an der Klinge anfasst. (Gelächter)Anders: Die Unzulänglichkeiten des VaR, dieHerr Maier aufzeigt, sind sicherlich da. Aller-dings, und das will ich auch sagen, haben wir– der Stifterverband – auch positive Erfah-rungen damit gemacht. Wir hatten traditio-nell immer vergleichsweise sehr hohe Aktien-quoten, über 30 Jahre hinweg über 25 Pro-zent. Wir haben seit 2002/2003 und verstärkt2006 die VaR-Betrachtung und Wertsiche-rungsmodelle eingeführt. Und das führt ebenschon dazu, dass sich die Fondsmanager Mit-te des Jahres überlegen, ob sie sich Aktienüberhaupt noch erlauben können. Als Ergeb-nis haben wir im zweiten Halbjahr 2008 soniedrige Aktienquoten gehabt wie noch niein unserer Geschichte. Das hat uns vor größt-möglichen Verlusten geschützt. Wenn ichjetzt also sehe, dass wir ein Minus von 5 bis 6Prozent statt 20 Prozent aufholen müssen,dann ist das eine große Hilfe für die Zukunft.Selbstverständlich hatten wir auch 2008 Pro-bleme mit dem VaR und Wertsicherungssys-temen: Das betraf aber weniger Aktien, viel-mehr Renten. Der enorme Spread von Staats-anleihen zu Pfandbriefen und insbesonderezu Unternehmensanleihen wurde verhältnis-mäßig schlecht abgeschätzt, so dass einigeFondsmanager unsere Vorgaben nicht einge-halten haben. Aber in Summe kann ich sa-gen, dass wir 2008 durch Wertsicherungs-konzepte und durch die Betrachtung des VaR

vor dem größtmöglichen Schaden geschütztwurden.Heinke: Aber das belegt doch eigentlichrecht gut, dass man den VaR überhaupt nichtverteufeln darf. Der VaR kam in die Welt undwar dann immer der VaR 95 Prozent aufzehn Tage – was für mich und die meistenwohl völlig irrelevant sein dürfte. Die AssetManager liefern ihr Standardinstrumenta-rium; in ihren Risikomesssystemen nach Deri-vateverordnung sind die zehn Tage fest ein-geklopft. Und die Investoren haben dann dasProblem, dass sie mit falsch kalibrierten VaRsarbeiten.Was erwarte ich eigentlich von meinem AssetManager, frage ich dann? Sie glauben garnicht, wie lange ich gebraucht habe, um alleunsere Asset Manager auf Linie zu bekom-men, damit sie uns den VaR 99 und 95 Pro-zent über drei Monate und ein Jahr liefern.Und jetzt können Sie anfangen zu unken, wiesinnvoll ein Ein-Jahres-VaR überhaupt seinkann. Aber angesichts der Finanzkrise fandich den für unsere Pensionskasse sehr sinn-voll. Das Schöne am VaR ist für mich und un-sere Gremien: Risiko wird greifbar in Millio-nen Euro – dadurch nehmen Sie es ganz an-ders wahr!Und ich will noch einen Gedanken loswer-den: Selbst das unwahrscheinliche Szenario,dass mit den gängigen VaR-Berechnungenbeschrieben wird, ist zuletzt nicht nur einge-troffen, sondern hat die Realität an denMärkten noch unterschätzt. Das macht so-fort deutlich, in welcher ungewöhnlichen Si-tuation wir uns befinden. Das ist der Schwar-ze Schwan, den Nicholas Taleb in seinemBuch beschreibt, und den kann man per De-finition ja auch nur im Nachhinein erkennen.Deshalb finde ich Aussagen, der VaR taugeper se nichts, zu eindimensional.Maier: Das habe ich auch nicht gesagt. Mandarf ihn aber nicht überschätzen. Wir schau-en uns den VaR auch an. Entscheidend ist,dass man weiß, wie man ihn errechnet, sodass man auch seine Schwächen sieht. Eskann nur ein Element von vielen sein, nachdenen ich Entscheidungen treffe. Vor zehnJahren, als die Kennzahl aufkam, war ich da-von begeistert. Mittlerweile bin ich vorsichti-ger geworden.Heinke: Vorsichtig sein, das ist ein schönesStichwort. Ich plädiere dafür, das Prinzip der

Risikomanagement Roundtable

Februar /März 2009 27www.dpn-online.com

Vorsicht bei der Kalibrierung von Risikomana-gementsystemen wieder stärker zu betonen.Genau das ist doch auch das Problem der Fi-nanzkrise. Die Rating-Agenturen habenstrukturierte Produkte mithilfe von Korrela-tionsannahmen bewertet, diese Annahmenaber nicht gestresst. Da sind wir beim Irr-tumsrisiko: Wenn ich mich versteife auf denVaR 95 Prozent auf zehn Tage und denke, ichwäre fein raus, wenn ich ihn einhalte, dannhabe ich ein großes Problem, wenn die Vola-tilität stark steigt. Das Vorsichtsprinzip wirduns zu der Frage bringen, wo überall Risiko-puffer sind? Die gibt es nicht nur im Eigenka-pital eines Unternehmens, sondern eben auchin den Risikomessgrößen und in den Model-len. Ich glaube, da muss man ansetzen.Walther: Das würde ich sofort unterschrei-

Über angelsächsische Rechnungslegung

kann sich Wolfgang Maier so richtig aufre-

gen. Doch selbst dann kann man ihm kaum

böse sein. Der 52-jährige Stuttgarter ist

unprätentiös und pflegt schwäbisches Un-

derstatement. Wenn er 2010 anlässlich sei-

nes 25-jährigen Jubiläums eine Rede hält,

wird er verschmitzt und detailreich von sei-

nen Anfängen bei der Energie-Versorgung

Schwaben AG (EVS) berichten, aus der die

EnBW 1997 hervorgegangen ist: Wie er das

Asset Management aufgebaut hat, wie die

ersten Spezialfonds eingeführt wurden und

wie euphorisch er das Konzept des Value-

at-Risks (VaR) einst begrüßte. Doch Alter

macht weise: Über die Zeit ist die Euphorie

für VaR und Spezialfonds verflogen – die

für Asset Management ist geblieben. MRO

Page 8: Roundtable – Risikomanagement

Roundtable Risikomanagement

www.dpn-online.com28 Februar /März 2009

ben, aber noch ergänzen: Was man damacht, ist Statistik. Dem liegt die Idee zu-grunde, Asset-Preise seien stochastische Pro-zesse. Man muss sich aber klarmachen, dassdas keine Stochastik im naturwissenschaft-lichen Sinne ist. Was wir hier beschreiben, istvielmehr ein Markt, der von menschlichemVerhalten getrieben wird.Heinke: Aber ist nicht die Verbindung vonmenschlichem Verhalten stochastisch?Walther: Nein, eben nicht. Die Verkettungs-prozesse, die zum Herdenverhalten führen,und warum sich der eine am anderen orien-tiert, sind nicht stochastisch. Ein weiteresBeispiel dafür, wann das stochastische Kon-zept durchbrochen wird: Viele sind sicher, siebefinden sich in einer Finanzblase, aber siesind unsicher, wann und ob sie aus demMarkt aussteigen sollen. Denn wer heuteaussteigt, obwohl die Hausse noch zwei wei-tere Jahre läuft, bekommt Ärger oder ist baldseinen Job los. Das ist vor allem für AssetManager ein Problem: Wie steige ich aus ei-ner Blase aus, die ich wohl erkannt habe?Anders: Dazu fällt mir noch einmal Ihr Inter-view mit Professor Persaud ein, Herr Rode-wald. Ich teile seine Ansichten eigentlichnicht, aber in einem Punkt hat er Recht:Überlegen Sie sich einmal, was passiert,wenn Wertsicherungsstrategien bei unsInvestoren weiter zunehmen, wovon ich festüberzeugt bin? Je mehr Anleger sich danachrichten, desto weniger entscheiden sie unab-hängig voneinander, ob wir in einer Blasesind und wann sie aussteigen. Man unter-scheidet sich nur noch punktuell, je nach-dem, wann die Risikotragfähigkeit erreicht istund die Reißleine gezogen wird. Das Kauf-und Verkaufsverhalten wird homogener, unddadurch entsteht ein sich selbst verstärken-des System. Da ist dann nicht mehr dieMarktmeinung vieler verschiedener Inves-toren ausschlaggebend, sondern die Signaleder Modelle – gerade wenn die ganzeFinanzgemeinde mit ähnlichen Modellenarbeitet. Das sehe ich schon als großes Pro-blem.Bossert: Das passt zu dem, was Herr Heinkevorhin gesagt hat, dass Risikomanagementnämlich zwangsweise gerade durch die Auf-sicht vom eigentlichen Geschäftsmodell vie-ler Investoren abgekoppelt wird. Über dievergangenen Jahre nehme ich ganz eindeutig

stärkere Gleichrichtung der Märkte wird eineregionale Diversifikation wahrscheinlichnicht mehr so gut funktionieren. Und HerrAnders hat ja gerade erläutert, dass wirkünftig auch in einzelnen Anlagekategorienmit gleichgerichtetem Verhalten rechnenmüssen. Deshalb wird Diversifikation kurz-fristig aufgrund der Herdeneffekte nichtmehr so gut greifen.Wir sollten aber die Diversifikation über dieZeit nicht vergessen. Diese Möglichkeit wirdden Anlegern nicht nur über die aktuellenAufsichtstendenzen, sondern auch durch dasBilanzrechtsmodernisierungsgesetz immermehr genommen, weil man näher am Zeit-wert bilanzieren will. Das Problem für uns:Wir diskontieren unsere 60 Jahre laufendenVerbindlichkeiten mit der heutigen Zinskur-ve, um zum Zeitwert zu kommen. Das unter-stellt, dass wir über die nächsten 60 Jahrenur noch den Zins aus dieser Kurve verdie-nen werden. Das ist doch völlig unrealistisch!Mein Appell lautet deshalb: Setzt in der Re-form des Bilanz- und Insolvenzrechts nichtzu sehr auf die Flüchtigkeit des Augenblicks!Wir sollten uns in der Bilanzierung wieder inRichtung HGB mit dem Anschaffungskos-ten-, Vorsichts- und Realisationsprinzip be-wegen. Dort stecken die automatischen Sta-bilisatoren, die die negativen Effekte ausHerdenverhalten abfedern können.Maier: Ich bin Herrn Heinke dankbar, dass erdas anspricht. Die Art der Rechnungslegungist ein entscheidender Punkt. Wir bilanzierenseit Jahren nach IFRS. Das hat die Anlageent-scheidung ganz massiv beeinflusst. Es hatdazu geführt, dass wir unsere Spezialfonds-Aktienmandate nur noch passiv managenlassen. Damit vermeiden wir, dass aktive An-lageentscheidungen der Fondsmanager aufunsere GuV durchschlagen.

dpn: Das müssen Sie uns erklären, bitte.Maier: Wenn der Fondsmanager eine Aktieverkauft, die er vor fünf Jahren gekauft hat,schlägt sich das Ergebnis heute in unsererGuV nieder, da durch die Fondshülle hin-durchgeschaut werden muss. Das heißt, ob-wohl wir langfristig agieren können – dennunseren Anlagen stehen Kernenergie- undPensionsrückstellungen gegenüber –, müssenwir kurzfristige Schwankungen im Blick ha-ben. Diese strenge Marktbewertung, das

wahr, dass Risikomanagement immer kurz-fristiger angelegt wird, obwohl das bei vielenInvestoren nicht sein müsste.

dpn: Zurück zur Diversifikation, auf die Siealle große Stücke halten – bis auf HerrnHeinke. Er hat als Einziger vorhin nicht denArm gehoben.Heinke: Ich wollte vorhin eigentlich etwassagen, aber Sie haben mich ignoriert.

dpn: Dann muss ich wohl an meinem Risiko-management arbeiten.Heinke: Seien Sie nicht zu kritisch mit sich!Zurück zum Thema: Man sollte unbedingtdiversifizieren, ich schließe mich also derRunde an. Nun kommt ein Aber: Durch die

Ursula Walther und Volker Heinke haben

einiges gemeinsam – sie sind gleich jung

(Jahrgang 1969), lehren an Hochschulen

und haben schon gezeigt, dass sie die Pra-

xis nicht scheuen: Heinke verantwortete

bis Ende 2006 bei der Provinzial Nordwest

die Kapitalanlagen und das Asset Liability

Management (ALM), Walther wiederum

managte von 1998 bis 2000 Quant-Portfo-

lios bei der Allianz und leitete anschließend

das ALM beim Energieversorger Envia Ener-

gie Sachsen Brandenburg in Chemnitz.

Einen Satz der Mathematikerin haben ihre

Studenten an der Frankfurt School of

Finance & Management am Ende des Stu-

diums mit an Sicherheit grenzender Wahr-

scheinlichkeit verinnerlicht: „Asset-Preise

sind keine stochastischen Prozesse.” MRO

Page 9: Roundtable – Risikomanagement

Risikomanagement Roundtable

Februar /März 2009 29www.dpn-online.com

Wegfallen von Reserven, die das alte HGBnoch geboten hat, ist ein Problem für uns.Die meisten Anleger, die heute große Ab-schreibungen oder Verluste zeigen müssen,haben unterm Strich, wenn sie in Spezial-fonds waren, eigentlich noch einen Gewinnim Vergleich zum Anschaffungswert bezogenauf den Fonds als Ganzes – nur in der IFRS-Welt gibt’s das nicht mehr. IFRS führt zueiner riesigen Volatilität in der GuV. Ihre An-lageentscheidungen werden massiv beein-flusst von der Überlegung, wie sich das nachIFRS auswirkt. Das betrifft auch Wertsiche-rungsmodelle: Ich kann keinen Future einset-zen, denn mein Basiswert läuft über die Neu-bewertungsrücklage, sprich: übers Eigenkapi-tal, und das Ergebnis des Futures läuft überdie GuV. Das ist selbstverständlich Blödsinn –aber ich erkenne weit und breit niemanden,der diesen Blödsinn abschafft.Anders: Aber selbst wenn Sie passiv mana-gen, wollen Sie doch sicherlich manchmalüber Futures absichern – und das tun Siedann auch nicht?Maier: Wenn Sie es als Handelsbestand be-trachten, dann können Sie hedgen, denndann läuft alles über die GuV. Haben Sie Ih-ren Bestand aber als Available-for-Sale defi-niert – also quasi als Anlagevermögen –dann ist es so wie gerade beschrieben. Dasheißt, Sie müssten dann, wenn Sie durch Fu-tures absichern, anschließend Ihren Bestandverkaufen, damit Sie’s wieder ausgeglichenhaben. Das ist verheerend. Deshalb gebe ichHerrn Heinke absolut Recht: Wenn alle

Unternehmen in der heutigen Krise nochnach HGB bilanzieren könnten, würde vielesdieser Tage nicht so düster aussehen.

dpn: Lassen Sie uns dennoch düster bleiben:Welche schwarzen Schwäne erahnen Sie amHorizont?Maier: Vor kurzem hätte ich noch die Fluchtin die Staatsanleihen angeführt. Das hat sichein bisschen entspannt. Doch das Kernpro-blem bleibt: Die steigenden Staatsschuldenund die Bürgschaften sind künftige Belas-tungen und das stellt die Werthaltigkeit derStaatsanleihen infrage. Die Gefahr ist groß,dass jetzt alles in Staatsanleihen flüchtet undgenau durch diese vermeintliche Sicherheitsehr viel Geld vernichtet wird. Und im Nach-hinein lässt sich alles wieder sehr einleuch-tend erklären.Anders: Ich bin fest davon überzeugt, dassnur einer den enormen Schuldenberg bezah-len kann, den wir gerade aufhäufen: die In-flation. Wir werden in einigen Jahren deut-lich höhere Zinssätze sehen, und dann wer-den viele Anleger Kursverluste in den Bü-chern haben. Das wird auch viele Stiftungenbetreffen, denn die sind in Deutschlandüberwiegend in Rentenpapiere angelegt,schätzungsweise zu mindestens 80 Prozent.Heinke: Diese Sorgen teile ich …

dpn: Das spricht dagegen, dass wir es miteinem schwarzen Schwan zu tun haben. Denndie sind per Definition nicht zu erkennen.Heinke: Dann nennen Sie sie graue Schwäne.

Ich könnte mir auch vorstellen, dass wir amAktienmarkt Tagesschwankungen sehen wer-den, die in Richtung extremer Jahresschwan-kungen gehen, wenn nämlich durch homo-genere Risikomanagementsysteme Liquidi-tätslöcher entstehen. Frau Walther hat esvorhin schon gesagt, aber noch einmal: Ge-rade Liquiditätsrisiken verarbeiten wir in dentraditionellen Risikomodellen bisher nichtoder kaum.Walther: Bei grauen Schwänen würde ich anganz andere Dinge denken – zum Beispiel anden Klimawandel und wie das die Flücht-lingsströme beeinflusst. Wieweit ist unserderzeitiges Wirtschaftssystem weltweit künf-tig überhaupt noch tragfähig? Was passiert,wenn 1,3 Milliarden Chinesen und 1 MilliardeInder plötzlich andere politische Verhältnissedurchsetzen?Bossert: Ob schwarze oder graue Schwäne,dagegen kann man sich nur schwer wapp-nen. Lassen Sie mich lieber einen Satz zitie-ren, der mir sehr gut gefallen hat: „Wer alsRegulator und Aufsichtsrat nicht mit denGrundzügen des Financial Engineerings ver-traut ist, sollte den Job auch nicht weiter-machen.“ Er stammt von Bob Merton aus ei-nem Interview in der aktuellen dpn. Glau-ben Sie, dass alle Aufsichtsgremienmitglie-der in der Lage wären zu erklären, wiekomplex strukturierte Anleihen funktionie-ren? Und wenn nein, sollten sie dann darininvestieren?Maier: Und vor allem: Hat es jeder kapiert,der tatsächlich investiert hat? Die wirklichaltmodische Sichtweise bewährt sich, nurDinge zu tun …Anders: … die man auch versteht. Genau!Maier: Vor zehn Jahren haben wir das etwawie folgt in unseren internen Treasury-Richt-linien niedergelegt: Wir machen nur Dinge,die wir verstehen und die wir bewerten kön-nen. Dafür spricht übrigens auch, dass Sieziemlich sicher sein können, für etwas zu vielzu bezahlen, das Sie nicht verstehen. Genaudiese Denke ist wieder sehr populär – aberich habe meine Zweifel, ob wir in einigenJahren nicht wieder in die nächste Financial-Engineering-Blase tappen.Bossert: Dennoch würde ich nicht so weitgehen, alles außen vor zu lassen, was ichnicht verstehe. Der Aufwand, es zu lernen,kann sich lohnen. Ich verspreche mir aber

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Roundtable Risikomanagement

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verband wird Diversifikation noch wichtigerin Zukunft.Bossert: Generell finde ich Persauds Idee gut,weil das eine Portion Antizyklik ins Gesche-hen bringt. Ein leicht veränderter Vorschlagvon mir: Was würde die Bafin daran hindern,den Stresstest jeweils anzupassen, je nach-dem, wie sich Zinsen und Aktien veränderthaben.Heinke: Aufseher, Steuer- und Handelsge-setzgeber müssen ihre Aktivität stärker unterden Begriff Stabilität stellen. Aber jeden ein-zelnen Investor müsste man verpflichten, inseine Eigenkapitalstrukturierung Stabilisato-ren, also atmende Puffer, einzubauen. Dasgeht in Persauds Richtung: Man muss mehrEigenkapital zurückhalten, wenn eine positi-

von der Wissenschaft neue Ansätze, zum Bei-spiel über das Herdenverhalten. Wenn wirhier bessere Erkenntnisse hätten, könntenwir ganz andere Modelle aufsetzen, uns bei-spielsweise in der Physik bedienen. Da sindFrau Walther und ihre Kollegen aufgerufen.Ich finde auch, dass sich die Allgemeinbil-dung in Wirtschafts- und Finanzthemen ver-bessern muss. Wir brauchen vielleicht inDeutschland auch eine Art Myners-Report,einen Regierungsauftrag, wie er vor einigenJahren in England angestoßen wurde, deruntersucht, was alles im Argen liegt? Der Re-port hat damals unter anderem festgestellt,dass die Mehrzahl der Trustees, die für dieKapitalanlagen der britischen Pensionsein-richtungen verantwortlich sind, niemals eineformale Ausbildung hatten.

dpn: Kurz zurück zu Herrn Persaud. Er hat ei-ne Idee, um Herdenverhalten einzudämmen:Anleger müssen Kapital als Risikovorsorgezurücklegen, wenn die Finanzaufsicht Mode-trends im Anlageverhalten feststellt. Sprin-gen zu viele Anleger auf einen Zug, wird eineAsset-Klasse deutlich teurer. Was halten Siedavon?Heinke: Das ist grundsätzlich ein interessan-ter Ansatz. Ich kann mir aber nicht vorstel-len, dass es funktioniert, außer wenn man dieEntscheidung automatisiert, wann mehr Ka-pital zu hinterlegen ist. Aber das ist unheim-lich anspruchsvoll.Walther: Das funktioniert nur, wenn Sie esinternational koordinieren, sonst verzerrenSie den Wettbewerb. Etwas Regelgebundenesist vielleicht durchführbar, aber etwas Dis-kretionäres, wie er vorschlägt? Das halte ichfür kaum umsetzbar. Sie greifen ja auch im-mer bei irgendjemandem ins Geschäft ein.

dpn: Gemessen an der Verstaatlichung derBanken derzeit halte ich das ehrlich gesagtfür das deutlich geringere Übel.Anders: Persauds Vorschlag in Ehren. Aberwann würde festgelegt, dass mehr Kapitalzu hinterlegen ist? Ich kann mir nicht vor-stellen, dass das zu verordnen ist. DenkenSie an die TMT-Blase, im Zuge derer die Ver-sicherer angehalten wurden, Aktien zu ver-kaufen, was die Krise noch verstärkt hat. Damachen Vorschriften, stärker zu diversifizie-ren, schon viel mehr Sinn. Für den Stifter-

ve Konjunkturentwicklung hinter einem liegt.In der Versicherungswirtschaft gibt es unterHGB die Schwankungsrückstellung als Bi-lanzstabilisator; unter IFRS gibt’s die nichtmehr.

dpn: Zum Schluss die wichtigste Frage. Washaben Sie heute gelernt?Anders: Von Herrn Maier habe ich gelernt,wie sich die Bilanzierung nach IFRS auf dieGuV auswirken kann. Das fand ich doch sehrskurril. Es zeigt, wie Regularien aller Art nachhinten losgehen können. Und Sie alle habenmich darin bestätigt, dass an der Diversifika-tion kein Weg vorbeiführt.Walther: Dass der pauschale Vorwurf, Risiko-management und -manager hätten versagt,schlicht Unsinn ist – man muss viel genauerhinschauen, wenn man verstehen will, wieeine Krise entsteht. Interessant fand ich, wiehäufig wir über den gesunden Menschenver-stand gesprochen haben.Maier: Ich wollte heute die Bedeutung ebendieses gesunden Menschenverstands für Ent-scheidungen unter Risiko betonen. Das muss-te ich gar nicht mehr. Das war schön zu hö-ren, genauso wie die einhellige Unterstüt-zung für die Diversifikation. Wir müssen wie-der mehr auf ökonomische Zusammenhängeschauen und nicht nur auf historienschwan-gere, statistisch-deskriptive Modelle.Bossert: Ich habe vieles und aus meiner SichtRichtiges gehört. Aber genau dieser breiteKonsens lässt mich schon wieder vorsichtigwerden. Ich nehme heute als Fazit mit, dassechtes Risikomanagement eigentlich immernoch ein knappes Gut ist – obwohl es sichviele auf ihre Fahne schreiben.Heinke: Ich hätte gerne einen verantwort-lichen Banker mit am Tisch gehabt, der ausdem Nähkästchen plaudert, was in seinemHaus eigentlich alles schiefgelaufen ist. DieBanken hatten ja nun einmal die großen, un-mittelbaren Probleme. Gelernt habe ich, dasses durchaus interessante Ansätze gibt, wasdie Aufsicht und auch jeder einzelne Investortun können, um Krisen wie die aktuelle abzu-puffern.

dpn: Liebe Frau Walther, sehr geehrte Herren,ich bedanke mich für Ihr großes Engagementund die vielen guten Anregungen zu einemder heißesten Themen derzeit.

Thomas Bossert, Jahrgang 1966, war schon

immer Banker, sieht wie einer aus und

pflegt auch den Stereotyp des joggenden

Mainhatteners, ist aber keineswegs aal-

glatt – das merkt man beim Diskutieren

schnell. Wie jeder anständige Schwarzwäl-

der – er ist in St. Georgen geboren – hat er

seinen eigenen Kopf, den er seit über zwölf

Jahren für die Union rauchen lässt, seit

2004 als Geschäftsführer für die Union In-

vestment Institutional. Seinen Spitznamen

„Mr. Wertsicherung” verdankt er dem Erfolg

des Immuno-Konzepts bei der Union: Mitt-

lerweile immunisieren sich 18 Milliarden

Euro in 219 Mandaten. Ein Phänomen stört

Bossert sichtlich: die mangelhafte finan-

zielle Allgemeinbildung in Deutschland

über Wirtschaft und Finanzen. MRO

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