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Rüdiger Scholz (Hrsg.) Kernprozesse Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover

Rüdiger Scholz (Hrsg.) Kernprozesse - Praktikum … · 2.2 Wichtige Größen ... als durch Zitate kenntlich gemacht werden ... die allermeisten Physiker das Standardmodell. Es legt

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Rüdiger Scholz (Hrsg.)

Kernprozesse

Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover

Kernprozesse

© 2011 Rüdiger Scholz Leibniz Universität Hannover 2

1 Literatur.............................................................................................................. 2

2 Grundlagen......................................................................................................... 3

2.1 Ziele............................................................................................................................................ 3 2.2 Wichtige Größen ...................................................................................................................... 3 2.3 Aufbau des Atomkerns............................................................................................................ 3 2.4 Aufbau der Nukleonen ............................................................................................................ 4

3 Eigenschaften von Atomkernen Modellvorstellungen ................................... 5

3.1 Die Größe von Atomkernen................................................................................................... 5 3.2 Bindungsenergie und Massendefekt....................................................................................... 5 3.3 Das Tröpfchenmodell.............................................................................................................. 6 3.4 Schrödingergleichung und Kastenpotenzial: Energieniveaus in Atomkernen ................. 8 3.5 Erklärungsleistung des Schalenmodells ................................................................................. 9

4 Kernprozesse .....................................................................................................10

4.1 Überblick ................................................................................................................................. 10 4.2 -Prozess und Tunneleffekt ................................................................................................. 11 4.3 Kernspaltung........................................................................................................................... 12 4.4 -Prozess.................................................................................................................................. 13 4.5 Wechselwirkungen mit der Elektronenhülle....................................................................... 15 4.6 -Prozesse ............................................................................................................................... 16

5 Zerfallsstatistik ..................................................................................................17

5.1 Das Zerfallsgesetz................................................................................................................... 17 5.2 Aktivität ................................................................................................................................... 19

6 Energieselektive Detektoren.............................................................................21

Impressum................................................................................................................. 22

1 Literatur

1. Nuklidtabelle: http://atom.kaeri.re.kr/ton/nuc1.html, /nuc2.html, etc. 2. Theo Mayer-Kuckuk; Kernphysik, Teubner Stuttgart/Leipzig/Wiesbaden, 7.Aufl., 2002 3. Metzler: J. Grehn/ J. Krause, Physik; Westermann/Schroedel, 2006 4. Gerthsen, Kneser, Vogel; Springer Berlin Heidelberg, 1986 5. Vogt/Schultz, Grundzüge des Praktischen Strahlenschutzes, Carl Hanser Verlag, 2007 6. Merziger/Wirth, Repetitorium der Höheren Mathematik, Binomi, 2002 Diese Literatur „stand Pate“ bei dem Crashkurs. Das bedeutet, dass, zumindest unterschwellig, deutlich mehr aus diesen Quellen eingeflossen ist, als durch Zitate kenntlich gemacht werden kann. Ich bitte dafür um Nachsicht. Wenn etwas fehlt, oder falsch ist, dann geht das natürlich allein auf mein Konto.

R. S.

Kernprozesse

2 Grundlagen

2.1 Ziele Der Aufbau der Materie ist seit tausenden von Jahren ein Thema der Naturbetrachtung und -forschung. Experimentelle Forschung in der Atom-, Molekül-, Kern- und Teilchenphysik liefert bis heute neue Er-gebnisse. Durch genaue Untersuchungen radioaktiver Prozesse war es und ist es möglich, Kenntnisse über den Aufbau des Kerns zu erhalten. Dieser Crashkurs beschäftigt sich mit den theoretischen Vorstellungen, den Nachweismethoden, den Anwendungsbereichen und Erklärungsmodellen radioaktiver Prozesse. Wenn Sie diesen Crashkurs bearbeitet haben, kennen Sie die wichtigsten radioaktiven Prozesse und können ihre Merkmale mithilfe passender

Kernmodelle (Tröpfchen- und Schalenmodell) erklären; können Sie sicher mit wichtigen Begriffen der Radioaktivität umgehen: Bindungsenergie, Halbwert-

zeit, Aktivität, Zerfallsreihen, Wahrscheinlichkeit und Zufall. 2.2 Wichtige Größen1

Kernladungszahl Nukleonenzahl Neutronenzahl

Z A N

Protonenmasse Atomare Masseneinheit Elektronenmasse Neutronenmasse

mp = 1,007 276 467u u = 1,660 538 782(83)1027 kg me = 9,109 382 15(45)1031 kg =5,485 799 094104u mn = 1,008 664 916u

Elektron Alpha-Teilchen Beta-Teilchen Gamma-Quant

e

Elektrische Feldkonstante Plancksches Wirkungsquantum Vakuumlichtgeschwindigkeit

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As120

Vm8,854187817 10

34 Js6,626... 10h

8 m

s2,997924 58 10c

Halbwertszeit Aktivität der Kernsorte i Zerfallskonstante

T1/2 Ai

2.3 Aufbau des Atomkerns Physikalisch korrekt zu sagen, was eigentlich „Materie“ ist, ist gar nicht einfach. Heute gilt für die allermeisten Physiker das Standardmodell. Es legt die elementaren Bausteine für die Materie und die Austauschteilchen für die Wechselwir-kungen fest. Viele dieser Elementarteilchen sind nicht stabil oder nicht als freie Teilchen denkbar.

1 Größenverhältnisse im Atom. Der schwarze Verlauf stellt die

Aufenthaltswahrscheinlichkeit der Elektronen dar.

Größenordnungen (Abb. 1) 1018 m: Objekte der Teilchenphysik 1015 m1010 m: Objekte der Kernphy-

sik; Protondurchmesser 1015 m = 1 fm; 108 m: Objekte der Atomphysiks < 103m: Objekte der Molekül- und Fest-

körperphysik

1 vgl. CONDATA

Kernprozesse

Der Kern ist aus Nukleonen aufgebaut: Protonen und Neutronen. Protonen sind positiv geladen und bestimmen die Kernladungszahl Z eines Atoms. Atome gleicher Kernladungszahl gehören zum selben Element, habe also die gleichen chemischen Eigenschaften. Diese Atome mit unterschiedlichem Z sind im Periodensystem der Elemente geordnet. Neben Protonen befinden sich im Kern auch Neutronen; ihre Anzahl ist N. Die Summe der Protonen und der Neutronen ist die Nukleonenzahl A = N + Z. Gleiche Elemente (gleiches Z) mit verschiedener Neutronenzahl N werden Isotope genannt2. 2.4 Aufbau der Nukleonen Im Standardmodell der Elementarteilchenphysik bilden sechs Quarks zusammen mit den Leptonen die Grundbausteine der Materie. Zu den Leptonen zählen u. a. die Elektronen- und die Neutrino-Familie. Sechs unterschiedliche Quarks sind die Grund-bausteine der schweren Materieteilchen. Ihre sechs Unterscheidungsmerkmale werden Quarksflavours bezeichnet: up, down, charm, strange, bottom und top. Zwei von ihnen, up und down, werden benötigt, um die Baryonen (z. B. Protonen und Neutronen) zusammenzusetzen. Protonen (Abb. 2) bestehen aus zwei up-Quarks und einem down-Quark (uud); Neutronen aus einem up-Quark und zwei down-Quarks hat (ddu).

2 Ein Proton ist zusammengesetzt aus zwei up-Quarks und einem

down-Quark. Als Pfeile sind die Gluonen angedeutet Die Austauschteilchen (Abb. 3) der schwachen Wechselwirkung, das W- oder Z0-Boson, wir-ken auf alle Materieteilchen. Die Gluonen wer-den als Austauschteilchen der starken Wechsel-wirkung nur zwischen Quarks ausgetauscht und interagieren nicht mit anderen Materieteilchen.

Kraft rel.

Stärke

Phänomen/

Bosonen

Reichweite

(m)

stark 1 Kernbindung/ Gluonen

1015

el.-magn. 102 ElMag+Optik/ Photon

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Für das Zusammensetzen der Quarks gibt es bestimmte Regeln, welche nur gewisse Quark-kombinationen erlauben3. So muss die Farbla-dung muss nach Außen hin neutral sein. Dazu müssen sich entweder je 3 Quarks ergänzen oder ein Quark gleicht mit seinem Anti-Quark die Farbladung aus.

schwach 105 Radioaktivität W, Z0

1018

Gravitation 1038 Krümmung der Raumzeit/ Graviton

3 Ein Vergleich der vier Grundkräfte

Quark

Die diversen Quarkkombinationen (z. B. die Protonen und Neutronen) werden durch ihre Wechselwirkungsteilchen, das Gluon, zusam-mengehalten. Das Gluon hat nur eine sehr kurze Reichweite, dafür vermittelt es eine außerordent-lich starke Anziehung. Diese Anziehungskraft wird nicht umsonst auch als die starke Wech-selwirkung bezeichnet (Abb. 3).

Massec2 Ladung

up u 7 + 2/3

d 3 1/3 down

s 120 1/3 strange

c 1.200 + 2/3 charm

b 4.200 1/3 bottom

top t 175.000 + 2/3

2 [1]: : http://atom.kaeri.re.kr/ton/nuc1.html, /nuc2.html, etc. 3 Für mehr Informationen können Sie Quelle [3] benutzen

Kernprozesse

3 Eigenschaften von Atomkernen Modellvorstellungen

3.1 Die Größe von Atomkernen Atomkerne sind nicht direkt sichtbar. Die Kernphysik ist damit auf die nach außen erkennbaren Ergebnis-se von Streuexperimenten (wie von ERNEST RUTHERFORD, ca. 1913) und die Analyse von Kernprozessen in instabilen Atomkernen angewiesen. Dieser Crashkurs stellt die Prozesse im Kern in den Vordergrund und beginnt daher mit den Modellvorstellungen, um damit die Kernprozesse erklären zu können. In diesem Crashkurs wird der Atomkern im Grundzustand als kugelförmige Materieverteilung behandelt. Je mehr Nukleonen desto größer ist der Kern. Direkte Anschauung und Experimente zeigten, dass die Nukleonenzahl proportional zum Kernvolumen, also R3 ist. Der Radius R der Materieverteilung lässt sich also auf einfache Weise mit der Nukleonenzahl A verknüpfen4:

1 153

0 0mit 1,3 0,1 10 mR A r A r . (1)

Setzen Sie die Avogadro-Konstante NA 6,021023 ein (die Anzahl Atome mit A = 1, die eine Masse von 1 g = 103 kg ergeben), können Sie mit Gl. 1 die Dichte der Kernmaterie abschätzen:

3 3 2317

0 3 33 15

0

1 10 kg / kg kg1 10 / 6,02 101,8 10

4 4 m m1,3 103 3

AN

r

.5

Der „Rand“ eines Atomkerns ist allerdings nicht scharf definiert, sondern über eine Randzone der Dicke a „verschmiert“. Die inzwischen sehr zahlreichen Streuexperimente sind mit der so genannten Fermi-Verteilung der Kernmaterie gut beschreibbar:

1

1/20 1 exp .

r Rr a

(2)

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Diese Verteilung ist radialsymmetrisch. Abb. 4 zeigt die Abhängigkeit vom Abstand zum Zent-rum des Atomkerns. Der Parameter a gibt die Breite der Randzone an: Der Dichteabfall von 90% auf 10% hat eine Breite von 4,4a; für die Atomkerne mit A > 20 ist die Breite dieser Randzone nahezu unabhängig von A: 4,4a = 2,4 fm6. Gl. 1/2 beschreiben einen radialsymmetrischen Atomkern ohne Strukturfeinheiten.

Fermi-Verteilung der Kerndichte

0

0,5

1

0 0,25 0,5 0,75 1 1,25 1,5 1,75 2

r in Einheiten von R1/2

��in

Ein

hei

ten

vo

n �

0

4 Fermi-Verteilung der Dichte der Kernmaterie für eine Randzo-

nendicke von a = 0,125R1/2. Im Randzonenbereich R1/2 2,2a<r< R1/2 + 2,2a sinkt die Kerndichte von 90% auf 10% der maximalen Dichte 0

3.2 Bindungsenergie und Massendefekt Die einfache Tatsache, dass stabile Materie existiert, führt zur Einsicht, dass es Kräfte im Kern geben muss, die die Kernbausteine gegen die Coulomb-Abstoßung zusammenhalten. Energetisch bedeutet diese Anziehung ein Absenken der Energie, wenn der Kern aus seinen Bausteinen „zusammengebaut“ wird. Um den Kern wieder zu zerlegen, muss diese Energiemenge, die sogenannte Bindungsenergie, wieder aufgebracht werden.

4 Vgl. /2/ und andere einführende Lehrbücher 5 Machen Sie sich klar, was das bedeutet: Ein Würfelchen mit einer Kantenlänge von 1 mm hat damit eine Masse von 1,8105 Tonnen! 6 /2/, S. 28

Kernprozesse

Die Absenkung der Kernenergie durch Bindung von Nukleonen kann als Massendefekt nachgewiesen werden. Die spezielle Relativitätstheorie hat diese enge Verwandtschaft von Masse und Energie aufge-deckt: E = mc2; wobei c die Lichtgeschwindigkeit ist und m die relativistische Masse eines Körpers, die sich aus der Ruhemasse m0 berechnet:

20

0 22

2

11

21

m vm m

cvc

.

Durch die negative Bindungsenergie ist die Kernmasse ist also geringer als Summe der Einzelmassen der Nukleonen. Eine einfache Abschätzung demonstriert den Effekt: Masse des Heliumatoms: m = 4,002604u Masse des Heliumkerns: mHe = 4,002604u 2me = 4,001506u Masse der Nukleoen: 2mp + 2mn = 2(1,007276 + 1,008665)u = 4,031882u Massendefekt m = 0,030376u Daraus errechnet sich die Bindungsenergie EB = mc2 = 4,531012 J = 28,3 MeV. 3.3 Das Tröpfchenmodell Beim Tröpfchen-Modell werden die wesentli-chen Beiträge zur Bindungsenergie gesammelt. Unter der Einschränkung kurzreichweitiger an-ziehender Kräfte und gleichförmiger konstanter Dichte findet man Analogien zwischen Merkma-len von Kernmaterie und inkompressiblen Flüs-sigkeiten. In beiden Fällen wechselwirken nur direkte Nachbarn miteinander. Die Bindungs-energie des „Tropfen-“ Kerns setzt sich nach der Bethe-Weizsäcker-Formel7 aus fünf Beiträgen zusammen:

5 Volumenenergie. Jedes Nukleon wechselwirkt mit seinen direk-

ten Nachbarn

EV ist die Volumenenergie, sie entspricht

der Energie, die beim „Kondensieren“ frei wird; EV ist proportional zum Volumen, also zu A (vgl. Gl. 1):

V VE a A

EO ist die Oberflächenenergie, die Bin-dung der Nukleonen an der Oberfläche ist schwächer als die Bindung der Nukleonen im Innern; EO ist proportional zur Ober-fläche also zu R2 A2/3:

6 Oberflächenenergie. Nukleonen an der Oberfläche besitzen weniger direkte Nachbarn

23

O OE a A .

EC ist die Energie der Coulomb-Abstoßung der Protonen; EC ist durch das Coulombpotenzial gegeben Q2/r Z2/A!/3

2

13

C CZE a

A .

7 Protonen stoßen sich gegenseitig ab

7 C. F. v. Weizsäcker: Zur Theorie der Kernmassen; in: Zeitschrift für Physik 96 (1935) 431-458

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Kernprozesse Experimente zeigen, dass Kerne mit Neutronenüberschuss weniger stabil sind, als Kerne mit glei-

cher Protonen- und Neutronenzahl (=symmetrische Kerne); EA ist ein Beitrag, der diesen experimen-tellen Befund berücksichtig: Damit EA = 0 für N = Z und in N und Z symmetrisch ist, wählt man als Ansatz

2 2

2A A A

N Z A ZE a a

A A

.

EP berücksichtigt einen Quanteneffekt, der aus der Tröpfchenvorstellung nicht ableitbar ist. Die Experimente zeigen: Gepaarte Nukleonen (ihre Spins sind dann antiparallel gestellt) sind stärker gebunden. Bei ungerader Nukleonenzahl ist diese Spinpaarung nicht möglich:

12

1 für gg-Kerne

; wobei 0 für gu/ug-Kerne

1für uu-KerneP P

dE a d

A

.

Die a-Parameter werden empirisch an die Messergebnisse angepasst. Verschiedene Parametersätze werden verwendet; ein recht brauchbarer liefert die Daten für Abb. 88. Die einzelnen Energiebeiträge werden zur Gesamt(Bindungs-)energie addiert: EB = EV + EO + EC + EA + EP. Vorzeichenregel: Die Energie freier Teilchen, wie die kinetische Energie, wird positiv gezählt. Gebunde-ne Zustände zeichnen sich durch negative Energiewerte aus je weiter im Negativen, desto stärker ge-bunden. Die Vorzeichen in den Beiträgen stellen sicher, dass bindende Beiträge negativ herauskommen. Abb. 10 zeigt das Ergebnis. In rot sind experimentelle Befunde abgebildet. Beachten Sie die deutlichen Abweichungen bei 4He, 8Be, 16O und 20Ne. Hier ist die Bindung besonders stark, stärker als durch die Bethe-Weizsäcker-Formel vorhergesagt. Dieser Effekt wird im nächsten Abschnitt erklärt.

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Bethe-Weizsäcker-Formel

-10

-9

-8

-7

-6

-5

-4

-3

-2

-1

0

0 20 40 60 80 100 120

Ordnungszahl

Bin

du

ng

sen

erg

ie p

ro N

ukl

eo

n (

Me

V)

140

8 Bindungsenergie pro Nukleon bis 137Cs; schwarz Werte nach der Bethe-Weizsäcker-Formel, in rot experimentelle Befunde

aV 15,85 MeV aO 18,34 MeV aC 0,71 MeV aA 23,22 MeV aP 11,46 MeV

8 /2/, Seite 49

Kernprozesse

3.4 Schrödingergleichung und Kastenpotenzial: Energieniveaus in Atomkernen Aus heutiger Sicht ist die Beschreibung der Atomkerne ein Vielkörperproblem der Quantenphysik (bereits ab drei Körpern ist eine geschlossene Lösung theoretisch auch klassisch nicht mehr möglich). Die beteiligten Körper sind Spin-1/2-Teilchen, also Fermionen und unterliegen daher dem Pauliprinzip. Da, anders als bei der Atomhülle, kein Zentralfeld existiert (dort Hüllenelektronen im Zentralfeld des Kerns), muss man nach anderen Lösungen suchen. Das Tröpfchenmodell, mit seinen halbempirischen Annahmen haben Sie bereits kennen gelernt. So überzeugend es den Verlauf der Bindungsenergie als Funktion der Ordnungs-zahl im Großen und Ganzen wiedergibt, die Abweichungen bei den Nukleonenzahlen 4, 8, 16, 20 sind deutlich. Es zeigt, sich, dass immer wenn N oder Z die Werte 2, 8, 20 28, 50, 82, 126, ... annehmen, die Bindung besonders stark ist. Man bezeichnet diese Zahlen als magisch. Atomkerne mit diesen Eigenschaf-ten heißen magische Kerne. Ein Schalenmodell des Kernes kann dies erklären. In einer einfachen und anschaulichen Version denkt man sich jedes Kernteilchen in einem mittleren Po-tenzial, das durch die anderen erzeugt wird. Darüber hinaus seien die Kernteilchen voneinander unabhän-gig. Man spricht von einer Einteilchenlösung in einem mittleren Potenzial, das von den anderen Kernteilchen herrührt. Diese Lösung der Schrödingergleichung mit diesem Potenzial ergibt die gesuchte Einteilchen-Wellenfunktion. Das Kastenpotenzial nach Abb. 9 soll hier als Modellpotenzial9 dienen:

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1. Ein Teilchen in der Kernmitte erfährt von allen Seiten die gleiche Kraft, das Potenzial sollte also dort sehr flach sein, am Rand aber stark anstei-gen. Außerhalb der anziehenden Reichweite ver-schwindet das Potenzial. 2. Für Protonen addiert sich das abstoßende Cou-lombpotenzial dazu. 3. Das Potenzial hängt nur von r ab, ist also radi-alsymmetrisch. Die Energieeigenwerte aus der Lösung der Schrödingergleichung werden durch einen Satz von Quantenzahlen festgelegt. Für radialsymmetrische Potenziale findet man

9 Kastenpotenzial des Atomkerns, das Protonenpotenzial ist um den Coulombwert VC gegenüber dem Neutronenpotential ange-hoben; je zwei p oder n bilden ein „Spin-Pärchen“

die Radialquantenzahl n (mit 1 beginnend in Einserschritten aufwärts),

die Drehimpulsquantenzahl l (von 0 bis n - 1).

In der Kernphysik koppelt der Drehimpuls l stark an den Nukleonenspin s zum Gesamtdrehimpuls j = l + s. Die magnetische Quantenzahl mj zählt schließlich die 2j + 1 möglichen Projektionen mj = j, - j + 1, ... j - 1, j durch. Die Nomenklatur ist der Atomphysik abgeschaut: Die Buchstaben s, p, d, ... stehen für l = 0, 1, 2, ... Der Gesamtdrehimpuls j wird als Index angefügt ( nlj): 1s1/2; 1p1/2; 1p3/2; usw. Jeder Term steht für einen bestimmten Energiewert; dabei können, je nach Potenzialdetails, die Energieniveaus zu verschiedenen Termen gleich sein, also entarten, oder auch nicht. Je nach Energiewert werden diese Niveaus der Reihe nach besetzt und bilden damit die „Schalen“ des Schalenmodells. Welche Energiewerte dabei besetzt werden, hängt extrem vom verwendeten Potenzial ab. Gerade bei größeren Quantenzahlen l bstimmen diese die Schalenzugehörigkeit und nicht die Radialquantenzahl n. So bilden z. B. die Zustände 2s1/2, 1d1/2 und 1d3/2 eine Schale.

9 Die scharfen Kanten sind jedoch unnatürlich. Realistischer ist das, aus der Dichteverteilung ableitbare, Woods-Saxon-Potenzial;: vgl /2/, S. 188

Kernprozesse

10 Schalenmodell des Kerns. Die Protonenschalen (rot) sind voll.

Es wurde eine neue Neutronenschale (blau) angefangen

Da sich Neutronen und Protonen in der Ladung unterscheiden, können sie unabhängig von ein-ander gezählt werden. 1s: In das 1s-Niveau (n = 1, l = 0) passen 2 Nuk-leonen, die sich in der Spinquantenzahl s unter-scheiden (s = 1/2). 1p: In das 1p1/2-Niveau (n = 1, l = 1, j = l s = 1 1/2 = 1/2) passen 2 Nukleonen mit mj = 1/2, + 1/2 und 4 Nukleonen passen in das Niveau 1p3/2 (n = 1, l = 1, j = 1 + 1/2) mit mj = 3/2, 1/2,+1/2, +3/2. 1d-2s: 1d5/2 für 6 Nukleonen, 2s1/2 für 2 Nukleo-nen, 1d3/2 für 4 Nukleonen. 3.5 Erklärungsleistung des Schalenmodells Magische Zahlen10 Betrachten Sie z. B. nur Protonenzustände. Dann finden Sie für Helium (Z= 2) eine abgeschlossene Schale 1s1/2, ergibt 2 Protonen Sauerstoff (Z = 8) die abgeschlossenen Schalen 1s1/2; 1p3/2; 1p1/2, ergibt 2 + 4 + 2 = 8 Protonen Calcium (Z = 20) die abgeschlossenen Schalen 1s1/2; 1p3/2; 1p1/2, 1d5/2; 2s1/2; 1d3/2, ergibt

2 + 4 + 2 + 6 +2 + 4 = 20 Protonen. Der Stabilität von Helium kommt eine besondere Bedeutung zu (s. Alpha-Teilchen): Sind protonische und neutronische Schalen magisch besetzt, heißt der Kern doppelt magisch und ist besonders stabil. Linienspektren Jedes Nukleon besetzt einen Zustand. Im Grundzustand sind die Nukleonen so angeordnet, dass die Energie minimal ist. Um Energieniveaus zu wechseln, wird entweder Energie benötigt oder es muss Ener-gie abgegeben werden. Dabei handelt es sich jeweils um diskrete Energiebeiträge. Der Kern emittiert nicht nur elektromagnetische Strahlung (-Strahlung), sondern auch Nukleonen mit einem diskreten Spektrum. Wege in die Stabilität Hat der Kern eine hohe Energie und es besteht die Möglichkeit diese durch Umwandlungsprozesse zu reduzieren, so geschieht dies auch. Wenn beispielsweise die Neutronenschale sehr hoch besetzt ist (viel Energie) und die Protonenschale sehr niedrig unbesetzt ist (wenig Energie), so ist der Kern instabil. Ener-getisch wäre es günstiger, wenn sich die Neutronen in Protonen umwandeln und dadurch niedrigere E-nergiezustände besetzen könnten. Dies ist ein physikalisch möglicher Prozess, der im Kapitel -Prozesse besprochen wird. Manchmal ist es energetisch auch günstiger, wenn sich ein Kern in zwei Kerne aufspal-tet. So wird die vollbesetzte Schale aufgeteilt in zwei weniger hochbesetzte (energetisch niedrigere) Scha-len: Kernspaltung. -Zerfall Wird ein Heliumkern emittiert wird er auch -Teilchen genannt. -Teilchen werden auf Grund ihrer be-sonders hohen Stabilität bevorzugt gegenüber anderen Nukleonenzusammenschlüssen emittiert. Diese Stabilität wird erreicht durch Abschluss von Energieschalen. Dieses Prinzip ist verwandt zu der Besetzung von Elektronenschalen. Hier besitzen die Edelgase vollbesetzte Elektronenschalen was dazu führt, dass sie keine Verbindungen eingehen. Ist eine Kernschale vollbesetzt, führt dies dazu, dass der Kern besonders stabil ist.

10 Ungewöhnlich stabile Isotope im Vergleich zu Nachbaratomen

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Kernprozesse

4 Kernprozesse

4.1 Überblick

11 A. H. BECQUEREL M. CURIE P. CURIE Nobelpreis Physik 1903

Wer Wann Was ANTOINE HENRI BECQUEREL 1896 Unsichtbare Strahlung bei Uransalzen; lichtdicht verpackte

Fotoplatten werden schwarz, ein geladenes Elektroskop wird entladen

PIERRE und MARIE CURIE 1898 Strahlung bei Polonium und Radium G. C. SCHMIDT 1898 Strahlung bei Thorium ERNEST RUTHERFORD 1919 Erste künstliche Kernumwandlung: beim Durchgang von -

Teilchen durch Stickstoff werden Protonen freigesetzt Das Phänomen wird als Radioaktivität bezeichnet. Es ist unbeeinflusst vom Druck und Temperatur. Zur Sprechweise11 Strahlung: Energieform, die sich als elektromagnetische Welle oder als Teilchenstrom ausbreitet.

Hochenergetische Strahlung ionisiert Atome. Radioaktivität: Eigenschaft instabiler Atomkerne, sich in andere Kerne umzuwandeln und dabei

Strahlung auszusenden. Kernzerfall: Viele Kernprozesse sind Zerfallsprozesse. -Strahlung: Diese Teilchenstrahlung besteht aus Kernen des Elements Helium (-Teilchen). Ihre

Eindringtiefe (Reichweite) in Materie ist gering (Zentimeter in Luft; Millimeter in Wasser). Bereits ein Blatt Papier schirmt -Strahlung ab; sie stellt bei äußerer Bestrahlung also keine Gefahr dar, da sie die äußeren Hautschichten des Menschen nicht durchdringen kann.

-Strahlung: Die Teilchen dieser Strahlung sind Elektronen/Positronen (/+-Teilchen). Sie durchdringen meterdicke Luftschichten. In Weichteilgewebe kommen sie einige Zentimeter weit.

-Strahlung: -Strahlung ist eine elektromagnetische Strahlung mit großer Photonenenergie. Zur Abschirmung bedarf es schwerer Materialien wie Blei und Beton. -Strahlung ist mit der Röntgen-strahlung vergleichbar entsteht allerdings im Atomkern und nicht in der Atomhülle.

Neutronenstrahlung: Die Teilchen dieser Strahlung sind ungeladen und daher nur schwer abzu-schirmen. Man bremst die Neutronen mit Materialien mit einem hohen Wasserstoffanteil (z. B. Pa-raffin, Polyethylen, Wasser). Danach können die Neutronen durch einen Absorber (z. B. Bor oder Cadmium) eingefangen werden. Die dabei entstehende -Strahlung wird mit Blei abgeschirmt.

11 Vgl. Bundesamt für Strahlenschutz; Einführung zum Thema „Ionisierende Strahlung“; http://www.bfs.de

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Kernprozesse

4.2 -Prozess und Tunneleffekt

13 Zustände im Kastenpotenzial des Atomkerns

12 -Zerfall beim Radium 226 zu Radon 222

Quelle: Radiaktivität und Strahlenschutz, Informationskreis Kernenergie 2007

Die von A. H. BECQUEREL entdeckte Strahlung nennt man heute -Strahlung. Sie entstammt einem Kernumwandlungsprozess, den man vor ihrer Entdeckung für unmöglich gehalten hätte. Bei diesem Prozess wird ein Heliumkern emit-tiert; hierdurch reduziert sich die Kernladungs-zahl Z um 2 und die Nukleonenzahl A um 4. Allgemein lässt sich dies über die Formel

4 42 2X Y HeA A

Z Z E

beschreiben. Das Mutternuklid X wandelt sich unter Aussenden eines Heliumkerns in das Toch-ternuklid Y um. Es wird dabei ein gewisser Ener-giebetrag frei, den die -Teilchen mitnehmen. Zu den -Strahlern zählen beispielsweise Uran und Radium: 238 234 492 90 2

226 222 488 86 2

U Th He 4, 2 MeV

Ra Rn He 4,78 MeV.

Das Schalenmodell berücksichtigt die Coulomb-Abstoßung der Protonen. Dies führt zu der typi-schen Coulombbarriere im Potenzial (Abb. 15). Setzt man die formale Beschreibung des Potenzi-als in die Schrödingergleichung ein, ergeben sich die möglichen Energiezustände (Abb. 9/13): Gebundene Zustände (E < 0) liegen energetisch tief. Nukleonen, die diese Zustände besetzen,

sind gefangen. Ungebundene Zustände (E > V0; V0 ist die Höhe des Coulombwalls; s. Abb. 13) gehören zu

freien Nukleonen, deren Energie über der Potenzialbarriere liegt. quasi-gebundene oder auch metastabile Zustände (0 < E < V0) liegen energetisch so hoch,

dass Teilchen den Topf verlassen können. Klassisch ist das nicht möglich; sie müssten dazu über die Barriere kommen, quantenmechanisch jedoch können sie durch die Barriere hindurch tunneln.

Nach der Quantentheorie hängt die Wahrscheinlichkeit PT für das Durchtunneln der Potenzialbarriere exponentiell von ihrer Dicke d und Höhe V0 und der Nukleonenenergie E im Potenzialtopf ab12:

T 0

2exp 2 .P m V

E d

(3)

Für stabile Zustände mit E < 0 ist die Tunnelwahrscheinlichkeit praktisch Null, für ungebundene Zustän-de mit E > V0 ist sie 1, für metastabile Zustände mit 0 < E < V0 liegt sie dazwischen. Die Energie einzel-ner Protonen reicht nur selten, um metastabile Zustände Potenzial zu besetzen. Die große Bindungsener-gie (vgl. Bethe-Weizsäcker-Formel) von -Teilchen erhöht deren Energie jedoch so weit, dass sie meta-stabile Zustände erreichen und tunneln können: Der Atomkern emittiert ein -Teilchen.

12 Zur genauen Definition der Dicke d im Falle eines gekrümmten Potenzialverlaufs, s. /2/, Seite 79 ff.

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Kernprozesse

Nach dem Schalenmodell haben Nukleonen dis-krete Energiezustände. Dies gilt natürlich auch für Nukleonkomplexe wie -Teilchen. Das Scha-lenmodell sagt damit für emittierte -Teilchen ein diskrete Energien voraus13. Abb. 14 zeigt dies: Die Nebelkammer macht die Spur von -Teilchen durch deren ionisierende Wirkung sichtbar. Die weißen Nebelspuren in der Nebel-kammer stammen von Nebeltröpfchen, die sich entlang der Ionenspur eines -Teilchens bilden. Je länger die Spur, desto größer war die kinetische Energie der -Teilchen. Die gleich langen Spuren in Abb. 14 zeigen deutlich, dass alle Teilchen die gleiche Energie haben.

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Zerfallsgesetze: Geiger-Nuttal-Gesetz Die Zerfallskonstante ( steht hier nicht für die Wellenlänge) beschreibt beim exponentiellen Zerfallsgesetz, wie viel Kernprozesse im Schnitt pro Zeiteinheit geschehen:

0 expN t N t .

Je höher die Energie im Potenzial, desto wahr-scheinlicher ist das Tunneln. Für den -Prozess folgt, je größer die -Energie ist, desto größer ist die Zerfallskonstante :

1 2lnZ

a aE

.

Z ist die Ordnungszahl, E die Energie des -Teilchens, a1 und a2 sind zwei empirisch be-stimmte Konstanten. Dieses Gesetz wird als Geiger-Nuttall-Regel bezeichnet14. 4.3 Kernspaltung Es gibt jedoch noch weitere Vorgänge, bei denen unter Aussendung von Nukleonen der Kern umgewan-delt wird. Für eine Veranschaulichung eines dieser Vorgänge eignet sich das Tröpfchenmodell hervorra-gend. Stellen Sie sich dazu den Kern wie einen vibrierenden Wassertropfen vor. Je mehr Energie in die-sem Tropfen steckt umso stärker vibriert er bis es ihn irgendwann zerreißt. Bei Atomkernen wird dieser Prozess Spaltung genannt. Abb. 15 zeigt unterschiedliche Vibrationsstadien, die in einer Spaltung münden. Je nachdem, ob diese Spaltung von sich aus geschieht, oder einen Auslöser braucht, spricht man von spontaner oder induzierter Spaltung. Bei der spontanen Spaltung reicht die Energie, die im Kern durch die Lage der besetzten Energieniveaus aus, um eine Spaltung zu verursachen.

13 Man muss jedoch Rückstöße und andere Wechselwirkungen berücksichtigen um den korrekten Energiebetrag zu gewinnen, das haben wir hier vernachlässigt. 14 Die Regel lässt sich aus Gl. 3 ableiten (Gamow-Modell des -Zerfalls): /2/ Seite 83 f.

15 Spaltung beim Wassertropfen: Er vibriert und teilt sich schließ-

14 Nebelkammeraufnahme von -Teilchen aus dem Zerfall von

212Po zu 208Pb Quelle: W. Finkelnburg: Einführung in die Atomphysik (SpringeBerlin, Heidelberg 1954)

r,

Kernprozesse

Uran U-238 hat neben der Wahrscheinlichkeit, Helium-Kerne auszusenden auch eine gewisse Wahr-scheinlichkeit zur spontanen Spaltung. Zum Beispiel nach folgendem Reaktionsschema 238 140 96 192 54 38 0U Xe Sr 2 n Die Emission von Neutronen ist eine typische Begleiterscheinung dieser Spaltprozesse. Die Wahrschein-lichkeit für spontane Spaltung ist bei Uran-238 ist jedoch um den Faktor 2106 geringer als die Wahr-scheinlichkeit für den -Zerfall. Reicht die Energie nicht aus muss sie von außen zugeführt werden, z.B. durch ein -Teilchen oder ein freies Neutron, das mit dem Kern kollidiert (für die Berechnung der frei werdenden Spaltungsenergie, wird diese Energie wieder subtrahier). Im folgenden Beispiel überträgt das eingefangene Neutron seine kinetische Energie auf den Kern und es kommt zur Spaltung 235 1 139 95 192 0 56 33 0U n Ba Kr 2 n . Die Differenz der Bindungsenergien wird als kinetische Energie frei. Sie ist mittels des Tröpfchenmodells berechenbar. Eine Vorhersage, welche Spaltprodukte entstehen oder welche Grenzenergien für eine Spaltung nötig sind, ist jedoch so nicht möglich. Wieder macht sich die frei werdende Energie E auch als Massendefekt bemerkbar:

2vor nachΔE m m c

Induzierte Spaltung kann für Kettenreaktionen in Atombomben genutzt werden aber auch in Spaltungsre-aktoren zur Energiegewinnung in denen der Neutronenfluss gesteuert wird15. 4.4 -Prozess Als Folge einer Kernreaktion oder durch eine elektromagnetische Störung von Außen kann ein Atomkern einen Zustand besetzen, der energetisch über dem Grundzustand liegt, dessen Energie jedoch noch unterhalb der Anregungsenergie für die Emisson von Nukleonen liegt, also ein gebundener Zustand ist. Der stabile Grundzustand ist dann über die Emisson von -Strahlung erreichbar. Mit diesem Begriff wird jede elektromagnetische Strahlung bezeichnet, die in Folge von Kernprozessen auftritt. Zumeist liegt ihre Energie im Bereich über 200 keV in Einzelfällen kann sie aber auch deutlich tiefer liegen. Auf der nebenstehenden Abbildung findet sich eine Einordnung in das elektromagnetische Spektrum nach Wellenlängenbereich. Dort finden Sie den -Bereich zwischen Röntgenstrahlung und kosmischer Strahlung.

16 Elektromagnetisches Spektrum

15 Einführende Informationen zu Kernreaktoren und der Atombombe finden Sie in /3/Seite 517 ff.

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Kernprozesse

Atomkerne mit gleicher Protonen- und Neutronenzahl aber mit unterschiedlichen inneren Anregungszu-ständen werden als Isomere bezeichnet. -Strahlung ist also die Folge eines strahlenden Übergangs von einem höher angeregten Isomer X* (mit Sternchen) in ein niedriger angeregtes X (ohne Sternchen). Ggf. wird ein Grundzustands-Isomer erreicht.

*X X+A AZ Z

Anmerkung

17 -Prozess beim Abregen zweier Rn-Isomere

Neben dieser Abstrahlung eines -Photons zur Abregung des Isomers gibt es einen weiteren Prozess, bei dem durch direkte elektromagneti-sche Wechselwirkung die Anregungsenergie des Kerns auf ein Hüllenelektron übertragen wird: Innere Konversion(s. u.). In der -Spektroskopie werden Energie, Win-kelverteilung und Intensität der Strahlung ver-messen. Daraus lässt sich auf die Kernstruktur schließen. Hier soll das am Beispiel der Energie-spektren gezeigt werden. Abb. 17 zeigt zwei ange-regte Rn-Isomere als Folge des -Zerfalls von 226Ra.

18 -Prozesse beim Cäsium und Cobalt

Der oben beschriebene 4,78 MeV-Prozess führt direkt in den Grundzustand (94,4% aller Prozes-se). Es gibt jedoch noch zwei andere, die in höher angeregte Isomere führen (4,6 MeV/5,6% und 4,3 MeV/0,6%). Aus diesen führen zwei -Emissionsprozesse in den Grundzustand. Es ist darauf hinzuweisen, dass hierbei keine Kernumwandlung mehr stattfindet. Weder die Protonen-, noch die Neutronenzahl ändert sich. Der Kern nimmt lediglich seinen Grundzustand an, wobei er ein -Photon aussendet. Abb. 18 zeigt die -Übergänge zweier im Versuch „-Spektoskopie“ untersuchter Spektren. Jeweils durch einem -Prozess (s. u.) wandelt sich 137Cs bzw. 60Co in instabile Isomere (137Ba bzw. 60Ni), die durch -Prozesse stabil werden. Die in Abb. 18 gezeichneten Übergänge führen auf die 662 keV--Linie beim Cäsium und die zwei -Linien (1,174 MeV und 1,332 MeV) beim Cobalt. Im engeren Sinne sind also nicht diese Elemente die -Strahler, sondern Barium bzw. Nickel. 137 m 13756 56

60 * 6028 28

Ba Ba+γ

Ni Ni+γ

.

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Kernprozesse Die Halbwertszeit angeregter Isomere ist meist sehr kurz und liegt im Pikosekunden-Bereich. Deswegen wird das Mutternuklid als Quelle der Strahlung angegeben und nicht das Tochternuk-lid. In unserem Beispiel zählt Cäsium (Cobalt) zu den -Strahlern und nicht Barium (Nickel). Es gibt aber auch angeregte Isomere, die relativ sta-bil sind und eine Halbwertzeit im Bereich von Stunden oder sogar deutlich darüber hinaus be-sitzen. Derartige metastabile Isomere besitzen so eine hohe Lebensdauern, weil Auswahlregeln einen Übergang in den Grundzustand

19 -Spektrum von 137Cs aufgenommen mit einem NaI-Detektor

verbieten16.

em 662-keV-Übergang beim 137Ba. Die Breite dieses eaks wird durch den Detektionsprozess bestimmt.

ungen mit der Elektronenhülle

des Elektrons gewandelt E-nv = E EB. Während dieses Prozesses wird kein -Photon ausgesendet.

Die Wahrscheinlichkeiten für die Emission von -hotonen und die innere Konversion addieren sich:

gesamt = P + Pkonv.

ng) und neutralisiert ein Proton, wobei ein Neutrino usgesandt wird. Die Nukleonenzahl bleibt erhalten:

ingen, die als -Strahlung abgegeben wird. Ein Beispiel ist die Umwandlung des instabi-n 40K-Isotops:

11 % alle 40K-Umwandlungen folgen diesem Schema (s. u.).

Abb. 19 zeigt das typische -Spektrum aus der -Reaktion des 137Cs. Der Compton-Effekt führt auf die Peaks (1) und (2). Der große Peak (3) rührt von dP 4.5 WechselwirkInnere Konversion Bei der inneren Konversion verliert das angeregte Isomer seine Energie durch direkte Wechselwirkung des Kerns mit der Elektronenhülle, wobei Energie auf ein Innenelektron übertragen wird. Dieses Elektron wird dann emittiert. Die Anregungsenergie des Kerns (E) wird in Ablösearbeit des Elektrons (ist gleich der Bindungsenergie EB des Elektrons) und die kinetische Energie ko

Die Konversionselektronen aus diesem Prozess lassen sich von Elektronen aus anderen Prozessen (wie beispielsweise den -Elektronen) durch ihr charakteristisches Linienspektrum unterscheiden. Auch hier erhält man wieder einen empirischen Beleg für das Schalenmodell. Da ein Innenelektron ausgelöst wurde, befindet sich die Elektronenhülle nicht mehr im Grundzustand. Durch die Rekonfiguration der Elektro-nen kann zusätzlich Röntgenstrahlung entstehen17. P P K-Einfang/Elektroneneinfang/-Reaktion Bei diesem Prozess wird die Umwandlung durch eine zu große Protonenzahl ausgelöst. Ein Elektron wird aus einer inneren Schale eingefangen (darum: K-Einfaa

Δep e n E Die frei werdende Energie wird vom Neutrino übernommen, kann aber auch einen Anregungszustand des Tochterkerns bedle

4018K Ar Δee E 40

19

16 Dies ist vergleichbar mit den Auswahlregeln, welche auch für Elektronenübergänge in der Atomhülle gelten; s. dazu /4/Kapitel 14.6.2 17 Siehe „Crashkurs Radioaktivität – Wechselwirkung mit Materie“

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Kernprozesse

4.6 -Prozesse

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Bei einem -Prozess wird ein Nukleon in ein anderes Nukleon umgewandelt; beispielsweise ein Neutron in Proton unter Aussendung eines E-lektrons (Abb. 20). Offenbar sind Nukleonen nicht elementar, son-dern zusammengesetzt (vgl. Abschnitt zum Stan-dardmodell der Materie). Der Umwandlungspro-zess der Nukleonen ist danach eine Umwandlung von Quarks: Sie erinnern sich: Ein Neutron hat die Quarkkonfiguration (udd), ein Proton die Konfguration (udu). Für die Umwandlung bedarf es der schwachen Wechselwirkung. Die Darstellung im so genannten Feynman-Diagramm veranschaulicht diesen Prozess (Abb. 21): Austauschteilchen der schwachen Wechselwirkung sind die W-Bosonen. Im -Prozess wird ein down- in ein up-Quark umge-wandelt, unter Aussendung eines W-Bosons. Dadurch wandelt sich das Neutron in ein Proton. Die Ladungsdifferenz entspricht einer Elementar-ladung und wird von dem W-Boson getragen. Danach wandelt sich das W-Boson um, in ein Elektron und ein Anti-Elektronneutrino. Die Ladung wird von dem Boson an das Elektron abgegeben, das Neutrino ist ladungsneutral.

20 Bei einem Neutronenüberschuss kann sich ein Neutron in ein Proton umwandeln

21 -Prozess im Feynman-Diagramm

22 Energiespektrum der -Elektronen

Die gesamte Umwandlungskette hält sich an Bi-lanz- und Auwahlregeln: Die Ladung bleibt erhalten. Die Leptonenanzahl bleibt erhalten: Das

Boson (kein Lepton), zerfällt in ein Lepton (Elektron) und ein Anti-Lepton (Antineut-rino). In der Gesamtheit ist die Leptonen-zahl also erhalten.

Der Prozess führt in einem energetisch günstigeren Zustand.

Das Energiespektrum der -Elektronen ist nicht diskret, jedoch sehr charakteristisch (Abb. 22). Dies liegt daran, dass die freiwerdende Energie sich auf das Elektron und das zugehörige Neutrino aufteilt: E = Ee + E. Die Elektronenenergie Ee hat also eine Bandbreite zwischen 0 und der gesamten freige-wordenen Energie (abzüglich des Rückstoßes des Kerns nach dem Impulserhaltungssatz). Die Komple-mentärenergie geht jeweils an das zugehörige Neutrino. Bei Spaltprozessen können freie Neutronen entstehen. Es ist für diese energetisch günstiger, sich in ein Proton umzuwandeln. Freie Neutronen sind instabil; sie besitzen eine Halbwertzeit von circa 15 Minuten. .

Δen p e E

Kernprozesse

5 Zerfallsstatistik

5.1 Das Zerfallsgesetz Das Zerfallsgesetz ist ein Beispiel für einen Prozess, bei dem eine Halbwertszeit auftritt: T1/2 ist die Zeit, nach der sich eine Anfangsmenge halbiert hat unabhängig von der Größe der Anfangsmenge und unab-hängig vom gewählten Anfangszeitpunkt. Komplemetär zur Halbwertzeit ist die Verdopplungszeit, die Zeit also, in der sich eine Anfangsmenge verdoppelt hat. In der Populationsdynamik treten solche Ver-dopplungsprozesse auf. In jedem Fall führt die Existenz von Halbwerts- bzw. Verdopplungszeiten auf exponentielle Zerfalls- bzw. Wachstumsdynamiken. Hier finden Sie Ableitung für den Zerfall.

1/210

2

t

TN t N

. (4)

Ohne Schwierigkeiten sehen Sie Gl. 4 an, dass eine fortschreitende Halbierung beschrieben wird, jeweils für Vielfache von t = T1/2. Eine kleine Umformung lässt daraus den exponentiellen Zerfall entstehen18:

1/2 1/2 1/2

1/2

1/2

1/2

1 10 ln ln 0 ln 0 ln

2 2

ln 0 ln 2 ln 0 ln 2

0 exp ln 2 .

t t

T T

tT

N t N N t N N

tN N

T

tN t N

T

1

2

t

T

(5)

Radioaktive Prozesse sind zufällig. Mathematisch bedeutet das, dass die Zahl der Zerfälle pro Sekunde zu jedem Zeitpunkt proportional zur Anzahl instabiler Kerne ist:

d doder .

d d

N NN t N t

t t (6)

Die Lösung dieser Differenzialgleichung erhalten Sie, wenn Sie berücksichtigen, dass hier nach einer Funktion der Zeit gefragt ist, die bis auf einen konstanten Faktor, mit ihrer Ableitung übereinstimmt. Die e-Funktion erfüllt diese Forderung:

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dexp exp

dt t

t .

Der Vergleich mit Gl. 6 liefert

1/2 1/2

ln 20 exp ln 2 mit .

tN t N

T T

(7)

Material Halbwertzeit Zerfallskonstante137Cs 30,17 a = 9,51108 s 7,291010/s 90Sr 28,78 a = 9,08108 s 7,641010/s 60Co 5,27 a = 1,66108 s 4,17109/s 22Na 2,602 a = 0,82108 s 8,45109/s

Die Zerfallskonstante steht damit für die Wahrscheinlichkeit einer Umwandlung pro Sekunde. Sind aus einem instabilen Zustand mehrere unterschiedliche Umwandlungen möglich, addieren sich diese Wahr-scheinlichkeiten und damit die jeweiligen Zerfallskontanten = 1 + 2 +3 + ...

18 Die Pharmakologie benötigt diese Gesetzmäßigkeit bei der Berechnung der Plasmahalbwertszeit. Man kann damit die Abnahme der Arzneimittel-konzentration im Blutplasma berechnen, um benötigte Dosiswerte zu bestimmen. Eine weitere alltägliche Situation, in der dieser Zusammenhang zumindest näherungsweise auftritt, ist der Abbau der Blutalkoholkonzentration.

Kernprozesse

23 Zerfallsreihe von Uran 238; a steht für Jahr (anno), ka für 1000 Jahre usw.

In Abb. 23 zeigt die Zerfallsreihe des natürlichen Zerfalls von Uran-238. Die Halbwertzeiten für die jewei-ligen Zerfallsprozesse sind eingetragen. Der instabile Anfangskern für jeden Prozessschritt wird Mutter-nuklid und der entstehende Kern wird Tochternuklid genannt. Unterschiedliche Zerfallswege verkom-plizieren die Abläufe und führen zu einem Gemisch unterschiedlicher Nuklide. Einige instabile Kerne haben mehrere mögliche Zerfallsarten mit unterschiedlichen Wahrschein-

lichkeiten. Außerdem kommen nicht alle instabilen Isotope in Reinform vor, so ist beispielsweise das Natur-

uran ein Gemisch aus unterschiedlichen Uran-Isotopen. Zu 99,7% besteht es aus Uran-238 und zu ungefähr 0,7% aus Uran-235 und wurde in der obigen Rundung vernachlässigt. Für die gesteuerte Kernspaltung in Kernreaktoren aber auch für die ungesteuerte Kettenreaktion in Kernwaffen wer-den die natürlichen Mischungsverhältnisse durch Anreicherungsprozesse verändert.

Verschiedene Isotope haben, obwohl sie zum gleichen Element gehören, in aller Regel unterschied-liche Zerfallswahrscheinlichkeiten bei unterschiedlichen Zerfallsarten. Wenn unterschiedliche Um-wandlungen möglich sind, addieren sich die Wahrscheinlichkeiten für jeden Prozess zur Gesamt-wahrscheinlichkeit der Kernumwandlung.

Tochternuklide mit großer Nuklidzahl sind häufig ebenfalls instabil und weitere Kernumwandlungspro-zesse folgen. Schauen Sie sich dazu einen Abschnitt der Zerfallsreihe von 238U an: 234U 230Th 226Ra 222Rn. Uran-234 ist ein Nachfolgenuklid des natürlich vorkommenden Uran-238. Diese Uran-238-Zerfallsreihe führt zu einer radioaktiven Belastung Wohnungen. Je massereicher der Baustoff und das Erdreich ist, desto mehr natürliche Radionuklide kann man erwarten (wenig bei Holz sehr viel mehr in Granit). Aus dem Boden und den verwendeten Bausstoffen der Gebäude gast das entstehende Rn-222 aus. Ist der Kel-ler gegen das Erdreich nicht abgedichtet und werden die Räume nicht gelüftet, kann die Radonkonzentra-tion sehr groß werden, sehr viel größer als im Freien.

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Kernprozesse

5.2 Aktivität Strahlung, die von einer Menge radioaktiven Materials ausgeht, ist mehr oder weniger isotrop. Ein Detek-tor „sieht“ also nur den kleinen Teil dieser Strahlung, von dem er zufällig getroffen wird und die gemesse-ne Impulsrate gibt nicht die gesamte Strahlungsmenge der Probe an. Diese Größe wird durch die Aktivi-tät A einer radioaktiven Substanz, das ist die mittlere Anzahl aller Kernumwandlungen pro Zeit erfasst. Die Ak-tivität ist damit ein Maß für die „radioaktive Stärke“ des Präparats, eine Eigenschaft der Strahlungsquelle. Mit Gl. 6 lässt sich A berechnen:

d.

d

NA

t N (8)

Die Einheit der Aktivität ist 1/s. Damit keine Verwechslung mit der Impulsrate, die auch in 1/s gemessen wird, auftritt, erhält die Einheit der Aktivität den besonderen Namen Becquerel (Bq): 1 Bq = 1 Kernumwandlung pro Sekunde = 1/s. Mit der in älteren Darstellungen gebräuchlichen Einheit „Curie (Ci)“ wird ein Bezug zum Zerfall von Radium hergestellt: 1 Ci = 3,71010 Zerfälle pro Sekun-de = 37 GBq ist die Aktivität von 1 g 226Ra. Gl. 8 macht klar, dass die Aktivität einer Probe von zwei Größen abhängt, einer stoffspezifischen, nämlich , und der Stoffmenge N. Im Gegensatz zur Anzahl N der Kerne in einer Probe, ist ihre Zerfallskonstante leicht messbar. Die halblogarithmische Darstellung der Impulsrate liefert eine Gerade mit der Steigung . Aus dieser Größe berechnet sich, unabhängig von der Instabilität von Tochterkernen, die spezifische Aktivität (Aktivität pro Masse) der Substanz als Stoffeigenschaft. Beispiele:

2310 1 12 137

13 60

12 90

Bq6,022 107, 29 10 s 3, 2 10 für Cs

137 g

Bq...=4,18 10 für Co

g

Bq...=5,11 10 für Sr

g

ANA Na

m m M

(9)

Die bisher vorgenommene eindeutige Identifikation von N mit der Anzahl instabiler Kerne ist uneinge-schränkt nur für die - und -Umwandlungen richtig. Im Fall der -Umwandlung zählt N die Zahl der angeregten Niveaus eines Kerns (die Isomere, s. o.). Die verallgemeinernde Sprechweise von N als instabi-len Zuständen bezieht sich auf alle Fälle und vereinfacht die Argumentation, wenn die Produkte einer Kern-umwandlung ebenfalls instabil sind. Schauen Sie dazu noch einmal Abb. 18 an: 137Cs zerfällt durch -Reaktion mit 1 = 7,291010/s (T1/2 = 30,17 a = 9,51108 s) in den angeregten 137Ba-Kern, der durch -Strahlung mit 2 = 4,52103/s (T1/2 = 153,12 s) in den Grundzustand übergeht: .

1 2

1 2N N N 3

Durch die Umwandlungen auf jeder Stufe erfährt jeder Zustand Ni damit Zuwächse und Zerfälle:

21 1 2d

dNN

t 2N

. (10)

Die Lösung dieses Systems von Differentialgleichungen gelingt mit einem Exponentialansatz für jede Stufe; wobei jeweils Zuwächse und Zerfälle gesammelt werden:

1 11 1

2 21 1 22 2

exp

( ) exp exp

...

N t n t

N t n t n t

.

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Kernprozesse

© 2011 Rüdiger Scholz Leibniz Universität Hannover 20

Die Koeffizienten nij ergeben sich durch Einset-zen in die Ursprungsgleichung (10) und aus den Anfangsbedingungen Ni(0):

121 11 1 11 2 21 22

2 1

1 1 1

; 0 ; 0

0 exp

n n N n N n

N t N t

n

2 21 1 2 21 2

0

21 1 2

11 1

2 1

( ) exp (0) exp

exp exp

0 exp exp

N t n t N n t

n t t

N t

2 .t

Anzahl instabiler Tochterzustände N2

0,00E+00

1,00E+05

2,00E+05

3,00E+05

4,00E+05

5,00E+05

6,00E+05

7,00E+05

8,00E+05

0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 2

t (min)

N2(

t)

24 Anzahl instabiler Bariumzustände im Zerfall von 137Cs

Legt man Anfangsbedingungen N1(0) fest, kann N2(t) berechnet werden. Abb. 24 zeigt den Verlauf für 1 pg 137Cs (N1(0) = 11012 g/(137u) = 4,41012): N2(t) strebt für 2 » 1 einem Sättigungswert zu:

12,Sättigung 1

2 1

(0)N N

.

Sie bringen diese Differentialgleichung ohne Probleme auf eine Form, welche die Aktivitäten von Toch-ter- und Mutternuklids darstellt. Aus Gl. 8/10 leiten Sie direkt ab (Beachten Sie bitte: Die Aktivität A2 ist bei Zerfallsreihen nicht durch dN2/dt gegeben, sondern durch 2N2.):

1

2 12 2 2 1 1 2

2 1

21 1 1 2 1

2 1

21 2 1

2 1

d0 exp exp

d

0 exp 1 exp

1 exp .

A t

AN N t t

t

N t

A t t

t (11)

Der Verlauf hängt stark von den i ab: Laufendes Gleichgewicht: Ist 2 > 1 (langlebiges Mutternuklid; Abb. 25), haben Gesamtaktivität

als auch die Aktivität des Tochternuklids ein Maximum. Für große Zeiten bleibt A2 > A1. Radioaktives Gleichgewicht: Ist 2 » 1 stellt sich ein echtes Gleichgewicht ein (Abb. 26); für

große Zeiten wird A2 = A1. Im Fall 2 < 1 ist kein Gleichgewicht möglich.

Aktivität von Mutter-/Tochternuklid

0,00E+00

1,00E+03

2,00E+03

3,00E+03

4,00E+03

5,00E+03

6,00E+03

7,00E+03

0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20

t (min)

Ak

tiv

itä

t (B

q)

Cs137 Ba137 Gesamt

Aktivität von Mutter-/Tochternuklid

0,00E+00

1,00E+09

2,00E+09

3,00E+09

4,00E+09

5,00E+09

6,00E+09

7,00E+09

0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20

t (min)

Ak

tiv

itä

t (B

q)

A1 A2 Gesamt

25 Laufendes Gleichgewicht (erfundenes Beispiel) ...

26 Radioaktives Gleichgewicht beim 137Cs/137Ba

Kernprozesse

Die Aktivität natürlichen Kaliums Das radioaktive Kalium-Isotop 40K kommt mit einer Konzentration von CK40 = 1,18104 in natürlichem Kalium vor. Es zerfällt mit einer Halbwertszeit von T1/2 = 1,28109 a = 4,041016 s; = ln(2)/T1/2 = 1,721017 1/s (Abb. 27). Zu 89,3 % wandelt es sich über den -Prozess in 40Ca um (maximale Energie der Elektronen ist 1,311 MeV). 10,5% der Kaliumkerne zerfallen im Mittel über Elektroneneinfang in angeregtes Ar-gon. Der nachfolgende -Prozess ist im 40K--Spektrum gut als 1,461-MeV-Linie zu sehen. Die spezifische Aktivität natürlichen Kaliums (Molgewicht 39,1 g/mol) ist in Gl. 9 definiert, es ergibt sich:

234 17

Kalium-40

Bq Bq6,022 101,18 10 1,72 10 31, 25

39,1 g gAN

a CM

.

Eine Probe natürlichen Kaliums hat also eine spezifische -Aktivität von 27,9 Bq/g und eine spezifische -Aktivität von 3,28 Bq/g. Bei einem Kaliumanteil von 2 g pro kg Körpermasse kommt ein 75-kg-Erwachsener auf eine Ganzkörperaktivität von 4,69 kBq. 6 Energieselektive Detektoren

Der Nachweis von Strahlung aus Kernreaktionen beruht auf den Ionisations- oder Anregungsprozessen, die in Materie durch die Strahlung ausgelöst werden. Die dabei ausgelösten Ströme oder Szintillationser-scheinungen werden als Messereignis verwendet. Typ Strahlung Energieauflösung Elektronenausbeute Ionisationskammer

für nicht empfindlich 1 Ionenpaar je 30 eV 1014 Cb bei

E = 3,5 MeV Proportionalzähler < 3 MeV

< 100 keV < 30 keV

20% 20%

Im Auslösebereich (Geiger-Müller-Betrieb) keine Ener-gieselektivität

Si-Sperrschichtzähler < 20 MeV < 150 keV < 30 keV

320 keV 300 e/keV

NaI(Tl) Szintillations-zähler

> 1 MeV > 150 keV > 5 keV

23 % 7,5%

ca 1 Elektron/keV

27 Zerfallsschema von 40K

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Kernprozesse

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Impressum

Kernprozesse herausgegeben von Rüdiger Scholz bearbeitet von Dr. Rüdiger Scholz Ramona Visscher © 2010 Rüdiger Scholz Leibniz Universität Hannover www.uni-hannover.de Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Nutzung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorhe-rigen schriftlichen Genehmigung des Herausgebers. Hinweis zu §52a: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne eine solche Einwilligung gescannt und in ein Netzwerk gestellt werden. Dies gilt auch für Intranets von Schulen und Hochschulen und andere Bildungseinrichtungen. Trotz sorgfältigster Bearbeitung sind Fehler nie auszuschließen. Für Schäden, die durch Fehler im Werk oder seinen Teilen entstanden sind, kann kein Haftung übernommen werden.

Bildquellen Titelbild: Institut für Radioökologie und Strahlenschutz, Leibniz Universität Hannover Abb. 10: http://www-linux.gsi.de/~wolle/TELEKOLLEG/KERN/IMAGES/schalenmodell.jpg Abb. 11: http://nobelprize.org/nobel_prizes/physics/laureates/1903/ Abb. 12: Radiaktivität und Strahlenschutz, Informationskreis Kernenergie 2007 Abb. 14: W. Finkelnburg: Einführung in die Atomphysik (Springer, Berlin, Heidelberg 1954) Abb. 17/18/23: Institut für Radioökologie und Strahlenschutz, Leibniz Universität Hannover Alle anderen: Archiv PhysikPraktikum