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Hintergrund: Russland Nr. 39 / Juni 2015 | 1 Russische Isolation gegen Zivilgesellschaft und Dialog Julius von Freytag-Loringhoven Hintergrund: Russland Nr. 39 / 29. Juni 2015 Zusammenfassung Aus Angst vor so genannten „Farbrevolutionen“ hat die Kreml-Führung seit 2006 eine Reihe von Gesetzen verabschieden lassen, die die Zivilgesellschaft zuneh- mend einschränken. Die großen Demonstrationen nach den Dumawahlen 2011 haben Präsident Wladimir Putin die Bedrohung eines vergleichbaren Umsturzes auch in Russland deutlich gemacht. Seitdem sind die zivilgesellschaftlichen Rechte und Freiheiten systematisch eingeschränkt worden. Insbesondere das Ge- setz gegen „ausländische Agenten“ sowie das im Mai 2015 verabschiedete Ge- setz gegen „unerwünschte ausländische Organisationen“ behindern die Entwick- lung der russischen Zivilgesellschaft dauerhaft – egal welcher Strategien sie sich im Umgang mit der neuen Gesetzlage bedienen. Und sie behindern und verhin- dern damit ebenso den breiten Austausch mit der deutschen und europäischen Zivilgesellschaft.

Russische Isolation gegen Zivilgesellschaft & Dialog

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Aus Angst vor so genannten „Farbrevolutionen“ hat die Kreml-Führung seit 2006 eine Reihe von Gesetzen verabschieden lassen, die die Zivilgesellschaft zunehmend einschränken. Die großen Demonstrationen nach den Dumawahlen 2011 haben Präsident Wladimir Putin die Bedrohung eines vergleichbaren Umsturzes auch in Russland deutlich gemacht. Seitdem sind die zivilgesellschaftlichen Rechte und Freiheiten systematisch eingeschränkt worden. Insbesondere das Gesetz gegen „ausländische Agenten“ sowie das im Mai 2015 verabschiedete Gesetz gegen „unerwünschte ausländische Organisationen“ behindern die Entwicklung der russischen Zivilgesellschaft dauerhaft – egal welcher Strategien sie sich im Umgang mit der neuen Gesetzlage bedienen. Und sie behindern und verhindern damit ebenso den breiten Austausch mit der deutschen und europäischen Zivilgesellschaft.

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  • Hintergrund: Russland Nr. 39 / Juni 2015 | 1

    Russische Isolation gegen Zivilgesellschaft und

    Dialog

    Julius von Freytag-Loringhoven

    Hintergrund:

    Russland

    Nr. 39 / 29. Juni 2015

    Zusammenfassung

    Aus Angst vor so genannten Farbrevolutionen hat die Kreml-Fhrung seit 2006 eine Reihe von Gesetzen verabschieden lassen, die die Zivilgesellschaft zuneh-

    mend einschrnken. Die groen Demonstrationen nach den Dumawahlen 2011

    haben Prsident Wladimir Putin die Bedrohung eines vergleichbaren Umsturzes

    auch in Russland deutlich gemacht. Seitdem sind die zivilgesellschaftlichen

    Rechte und Freiheiten systematisch eingeschrnkt worden. Insbesondere das Ge-

    setz gegen auslndische Agenten sowie das im Mai 2015 verabschiedete Ge-setz gegen unerwnschte auslndische Organisationen behindern die Entwick-lung der russischen Zivilgesellschaft dauerhaft egal welcher Strategien sie sich im Umgang mit der neuen Gesetzlage bedienen. Und sie behindern und verhin-

    dern damit ebenso den breiten Austausch mit der deutschen und europischen

    Zivilgesellschaft.

  • Hintergrund: Russland Nr. 39 / Juni 2015 | 2

    Russische Isolation gegen Zivilgesellschaft und Dialog

    Am 23.05.2015 unterzeichnete der russische Prsident Wladimir Putin ein neues Gesetz ber uner-

    wnschte auslndische Organisationen, nachdem die russische Staatsduma dieses in dritter Lesung in

    der Vorwoche verabschiedet hatte. Das Gesetz bildet die logische Fortsetzung des Gesetzes ber aus-

    lndische Agenten vom Jahr 2012 in einer systematischen Isolierung unabhngiger russischer Zivilge-

    sellschaft von auslndischen Organisationen. Diese Manahmen gegen eine vermeintliche Bedrohung

    aus dem Westen schrnken die Entwicklung der russischen Zivilgesellschaft auf dramatische Weise

    ein, beschdigen den Dialog mit den deutschen und europischen Partnern sowie das Wirtschaftskli-

    ma und tragen damit zu einer weiteren Isolierung Russlands bei.

    Im Folgenden werden die jngeren Entwicklungen des deutsch-russischen zivilgesellschaftlichen Dia-

    loges skizziert, Hintergrund und Genese der restriktiven Gesetzgebungen seit 2012 aufgezeigt sowie

    die konkreten Zusammenhnge und Auswirkungen des Gesetzes ber auslndische Agenten und des

    Gesetzes ber unerwnschte auslndische Organisationen erlutert.

    Es war einmalein breiter zivilgesellschaftlicher Dialog zwischen Deutschland und Russland

    Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion begann eine immer strkere zivilgesellschaftliche Verflech-

    tung zwischen Deutschland und Russland. Beispielhaft war die Initiative von Alexandra Grfin Lambs-

    dorff im Jahr 1993, das Deutsch-Russischen Forum e.V. zu grnden, um den deutsch-russischen Dialog

    unterhalb der staatlichen Ebene aufzunehmen. Eine Vielzahl von Brgerinitiativen und Organisationen

    entstanden, die den Austausch und Dialog in allen Bereichen der Zivilgesellschaft aufnahmen. Auch

    die Friedrich-Naumann-Stiftung intensivierte in den 1990er Jahren unter ihrem Vorsitzenden Otto

    Graf Lambsdorff den Dialog mit Russland. Durch den damaligen deutschen Bundeskanzler Gerhard

    Schrder und den russischen Prsidenten Wladimir Putin wurde im Jahr 2001 der Petersburger Dialog

    als bilaterales Diskussionsforum ins Leben gerufen, um dem Austausch der Zivilgesellschaften

    Deutschlands und Russlands einen vereinenden Rahmen zu geben.

    Dem groen Vertrauen in die positive Wirkung einer engeren Verflechtung zwischen Deutschland und

    Russland widersprach immer das Misstrauen des russischen Sicherheitsapparates gegenber unabhn-

    giger Zivilgesellschaft. Offen ausgesprochene Kritik gegen staatliches Handeln, eine wichtige Kontroll-

    funktion unabhngiger Zivilgesellschaft, schien diesen Krften ebenso verdchtig, wie es manchem

    Unternehmer nachteilig fr eigene Investitionen schien. So wurde es schnell ein stndiges Begleitph-

    nomen des Petersburger Dialoges, dass einige deutsche Vertreter dazu mahnten, mehr kritische Stim-

    men zu zulassen, whrend sich russische Offizielle wie einige deutsche Wirtschaftsvertreter durch

    Menschenrechtler in der Harmonie des Dialoges gestrt fhlten. Der Streit zwischen sogenannten

    Russlandverstehern, deren Hauptsorge der Aufrechterhaltung des Dialogformats als solchem gilt,

    und sogenannten Russlandkritikern, die das offene Ansprechen von menschenrechtlichen Fragen als

    essentiellen Teil des Dialogs ansehen, wurde sinnbildlich dafr.

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    Kampf gegen Farbrevolutionen wird wichtiger als Dialog

    Mit den sogenannten Farbrevolutionen in Georgien (Rosenrevolution 2003), der Ukraine (Orange Re-

    volution 2004) und Kirgistan (Tulpenrevolution 2005), alles Lnder der ehemaligen Sowjetunion, bei

    denen jeweils Massendemonstrationen nach Wahlflschungen zu einem Rcktritt des jeweiligen Pr-

    sidenten gefhrt hatten, stieg in der russischen Fhrung die Angst vor der Dynamik einer entfesselten

    Zivilgesellschaft. Noch im Jahr 2005 postulierte Wladimir Putin in der gleichen Rede, in der er den

    Zusammenbruch der Sowjetunion als die grte geopolitische Katastrophe des Jahrhunderts be-

    zeichnete: Zweifellos ist die Garantie der Menschenrechte und der Freiheiten uerst wichtig sowohl

    fr die wirtschaftliche Entwicklung als auch fr das politische und gesellschaftliche Leben Russ-

    lands1. Gleichzeitig wurde jedoch mit einem neuen Gesetz fr Nicht-kommerzielle-Organisationen

    (NKO) im Jahr 2006 die Zivilgesellschaft strkerer Aufsicht, Kontrolle und brokratischen Auflagen

    unterworfen. Seit 2007 wurden zudem verschiedene Kreml-nahe NKO gegrndet, die wie die unab-

    hngigen Originale Menschenrechtsarbeit und hnliche Aktivitten nur eben im Rahmen fest ge-

    steckter Grenzen begannen. Mit dem relativen sozialen Frieden und dem wirtschaftlichen Aufstieg

    der Boomjahre sank die Angst der Fhrung vor der Zivilgesellschaft vorbergehend wieder. So wurde

    das NKO-Gesetz in der Prsidentschaft Dmitry Medwedews im Jahr 2009 wieder etwas gelockert.

    Mit den Demonstrationen nach den Berichten ber Wahlflschungen bei den Dumawahlen 2011 n-

    derte sich dieser Trend und die tatschliche Mglichkeit einer Farbrevolution schien zum ersten Mal

    in Russland real zu werden. Nachdem Zehntausende in Moskau und anderen Grostdten gemeinsam

    mit Oppositionspolitikern wie dem Liberalen und frheren Vize-Regierungschef Boris Nemzow Russ-

    land ohne Putin" und Schande" skandiert hatten, lie die Reaktion nicht lange auf sich warten. In

    einer Rede an den russischen Sicherheitsrat im Jahr 2014 formulierte Wladimir Putin deutlich, dass er

    die Verantwortlichen der Farbrevolutionen im Westen, vor allem bei den Vereinigten Staaten von

    Amerika sah: In der modernen Welt dient Extremismus oft als geopolitisches Instrument zur Umge-

    staltung von Einflusssphren. Wir sehen die tragischen Konsequenzen der Welle von, Farbrevolutio-

    nen, den Aufruhr in den Lndern, die die unverantwortlichen Experimente verdeckter und teils offener

    Einmischung in ihr Leben ber sich ergehen lassen mussten..., wir mssen alles Notwendige tun, damit

    so etwas in Russland niemals geschieht.2

    Im staatlich kontrollierten russischen Fernsehen wurden die Organisatoren der Demonstrationen von

    2011 und 2012 als von den USA aufgewiegelte auslndische Agenten dargestellt. Im Jahr 2012 muss-

    te die amerikanische Entwicklungshilfe, die unter anderem auch zivilgesellschaftliche Initiativen ein-

    schlielich von Wahlbeobachtern untersttzt hatte, Russland verlassen. Wichtige amerikanische

    Nichtregierungsorganisationen, insbesondere im Bereich Demokratiefrderung, schlossen ihre Bros

    1 Putin, Wladimir, Botschaft an die Fderalversammlung vom 25. April 2005, bersetzung aus dem Russischen von

    Matthias Neumann, in Russland Analysen 70/5 vom 17.06.2005, S. 7-9, im Internet: http://www.laender-

    analysen.de/russland/pdf/Russlandanalysen070.pdf [04.06.2015] 2 Putin, Wladimir, Rede an den Sicherheitsrat der Russischen Fderation am 20.11.2014, im Internet:

    http://kremlin.ru/events/president/transcripts/47045 [04.06.2015]

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    im Lande. Auerdem folgte auf den dritten Amtsantritt Wladmir Putins als Prsident eine Reihe von

    Gesetzen, die die russische Zivilgesellschaft strker eingrenzen sollten.

    Neue Gesetze schrnken die Zivilgesellschaft ein und berauben sie ihrer Kontrollfunktion

    Kaum vier Wochen nach Putins Wiederwahl wurde das Demonstrationsrecht massiv eingeschrnkt.

    Seit Juni 2012 drfen unangemeldete Demonstrationen nur aus maximal einem Teilnehmer bestehen.

    Wer dagegen verstt und an nicht genehmigten Demonstrationen teilnimmt, muss mit Strafen bis

    zum Hchstma von 300.000 Rubel (5.200 Euro) oder 200 Stunden gemeinntziger Arbeit rechnen.

    Die Geldstrafen fr Organisationen liegen bei bis zu einer Million Rubel (17.000 Euro). Als strafbare

    Handlungen knnen auerdem weit auslegbare Strungen im Straenverkehr oder das Vermummen

    von Demonstrationsteilnehmern geahndet werden.

    Der Straftatbestand fr Hochverrat wurde im Oktober 2012 verschrft, nachdem er erst unter der

    Prsidentschaft Dmitry Medwedews gelockert worden war. Nach dem neuen Gesetz kann bereits die

    Beratung oder Finanzhilfe etwa fr internationale Organisationen strafbar sein, wenn sie an gegen

    die Sicherheit Russlands gerichteten Aktivitten beteiligt sind.

    Der oppositionsnahe unabhngige Fernsehsender Dozhd TV verlor im Januar 2014 im Rahmen einer

    politischen Kampagne gegen eine umstrittene Umfrage zum Zweiten Weltkrieg die meisten seiner

    Sendelizenzen. Ein neues Gesetz vom Februar desselben Jahres entzieht den Bezahlfernsehsendern (die

    einzige Mglichkeit fr unabhngige Sender empfangbar zu bleiben) weitestgehend die Finanzierung

    durch Werbung. Seitdem musste Dozhd TV seine Bros schlieen und sendet seit Oktober 2014 nur

    noch ber das Internet aus einer privaten Wohnung.

    Ein neues Mediengesetz, das im Mrz 2015 vorerst aufgeschoben wurde, soll auslndischen Eigent-

    mern ab 2016 verbieten, mehr als 20% eines russischen Medienunternehmens zu besitzen (nach bis-

    herigen Recht maximal 50%). Das trifft unter anderem das deutsche Medienhaus Axel Springer, das in

    Russland unter anderem die kritische russische Ausgabe von Forbes herausgibt, die sich mit der Publi-

    kation von Listen der reichsten Russen, aber auch der reichsten Staatsdiener immer wieder Klagen und

    rger einhandelt. Die in Russland bekannte finnische Medienholding Sanoma kndigte im April 2015

    an, ihren Anteil von 33% an der unabhngigen Zeitung Vedomosti sowie die Kontrolle der Moscow

    Times an einen russischen Investor zu verkaufen.

    Und auch das Internet, das bislang relative Freiheit genoss und eine gewisse Rolle bei den Demonstra-

    tionen gespielt hatte, erlebte eine Reihe neuer Einschrnkungen. Seit 2012 darf die staatliche Auf-

    sichtsbehrde Roskomnadsor im Falle von Kinderpornographie oder Extremismus Internetseiten

    blockieren. Gerade der zweite Fall wurde bereits auf zahlreiche oppositionelle Blogs, wie die bekannte

    Webseite zur Aufdeckung von Korruption des Oppositionspolitikers Alexei Nawalny, angewandt. Im

    Juli 2014 beschloss das russische Parlament ein weiteres Gesetz, das in Russland ttige Konzerne

    zwingen soll, ab 2016 alle Nutzerdaten auf russischen Servern zu speichern.

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    Im Rahmen eines neuen Mediengesetzes von 2014 mssen sich Blogger wie Journalisten aufgrund

    ihrer Reichweite im Internet dazu offiziell bei Roskomnadsor registrieren.

    Am einschneidendsten wirken sich auf die Entwicklung der russischen Zivilgesellschaft und den Dialog

    mit dem Ausland jedoch zwei Gesetze aus, die eng ineinander greifen: das so genannte Gesetz ber

    auslndische Agenten und das Gesetz ber unerwnschte auslndische Organisationen.

    Auslndische Agenten-Gesetz: Ge-

    gen die Verbindungen von NKOs ins

    Ausland

    Als im Frhjahr 2012 das erste Mal ber

    einen Gesetzentwurf gegen auslndi-

    sche Agenten debattiert wurde, war

    schnell deutlich, dass ein Hauptziel des

    Gesetzes die Einschrnkung der russi-

    schen Wahlbeobachtungs-NKO Golos

    (zu Deutsch: Stimme, ein langjhriger

    Partner der Friedrich-Naumann-Stiftung

    fr die Freiheit) sein wrde, deren Be-

    richte ber Wahlflschungen die De-

    monstrationen 2011 mitausgelst hat-

    ten. Bereits im Juli 2012 verabschiedet,

    verlangt das Gesetz von Organisationen, sich als auslndische Agenten zu registrieren, sofern sie

    Gelder aus dem Ausland erhalten und sich politisch bettigen. Beide Formulierungen sind weit inter-

    pretierbar, so dass sich keine NKO beim Justizministerium als auslndischer Agent registrierte

    nicht nur, um die damit verbundenen administrativen Probleme zu vermeiden, sondern vor allem, um

    der Selbststigmatisierung als Agent des Auslands zu entgehen. Daraufhin wurde im Mai 2014 das Ge-

    setz so modifiziert, dass es von nun an dem Justizministerium obliegt, Organisationen eigenmchtig

    und ohne ihre Zustimmung als auslndische Agenten zu registrieren. Aus fnf betroffenen Organisa-

    tionen bereits fnf Tage nach der Unterzeichnung der Gesetzesnderungen durch den Prsidenten

    wurden bis Juli 2015 schnell ber 70 darunter ein Groteil der zivilgesellschaftlichen Partner der

    Friedrich-Naumann-Stiftung fr die Freiheit. Deutsche Stiftungen und andere auslndische Organisa-

    tionen wurden von dieser Registrierung nach ersten Schwierigkeiten dezidiert ausgenommen.

    Das Gesetz wirkt sich jedoch dramatisch auf die russische Zivilgesellschaft und indirekt auch auf den

    deutsch-russischen Dialog aus. Ein langjhriger Stiftungspartner, die russische Menschenrechtsorgani-

    sation Memorial, musste nach der Erklrung zum auslndischen Agenten bereits die Schlieung ihres

    Menschenrechtszentrums in St. Petersburg hinnehmen. Die zivilgesellschaftlichen Organisationen ver-

    suchen mit unterschiedlichen Strategien mit der erschwerten Situation umzugehen (siehe Schaubild).

    Josephine Hayes, Liberal Democrats, UK und Lilia Schibanowa, Grnderin von

    Golos im Bro der FNF in Moskau im Jahr 2013

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    Einzelne Organisationen, die sich beispielsweise mit NATO-Russland-Austausch beschftigten, hrten

    bereits 2012 auf zu existieren. Ein grerer Teil der Stiftungspartner versucht seit 2014, auslndische

    Finanzierungen zu vermeiden. Dazu gehren Stiftungen wie die Yegor-Gaidar-Stiftung oder der Aus-

    schuss der Brgerinitiativen des ehemaligen russischen Finanzministers Alexei Kudrin, die beide ber

    eigene Finanzen verfgen. Die Organisation Golos ist nun grtenteils auf eine Zuwendung des rus-

    sischen Prsidenten angewiesen, die bis heute scheinbar ohne gesonderte Konditionen gewhrt wird,

    aber in Zukunft die Unabhngigkeit der Organisation bedrohen knnte. Die Dachorganisation des Stif-

    tungspartners Memorial hat es im Frhjahr 2015 geschafft, als internationale NKO nach russischem

    Recht zwischenzeitlich von dem Gesetz ausgenommen zu werden.

    Es ist jedoch nicht zu erwarten, dass diese Art der Registrierung anderen NKOs leicht zuteilwerden

    kann. So versuchen sich einzelne NKO-Aktivisten durch eine kommerzielle Organisationsstruktur dem

    rechtlichen Zugriff des Agentengesetzes zu entziehen. Das vermindert jedoch nicht die Unsicherheit

    ihrer Arbeit, besonders in Hinblick auf das neue Gesetz ber unerwnschte auslndische Organisatio-

    nen (siehe unten). Einzelne Stiftungspartner versuchen stattdessen ihre Aktivitten zu entpolitisie-

    ren, indem sie sich auf vermeintlich unpolitische Themen konzentrieren. Diese Strategie scheitert

    jedoch hufig an der weiten Auslegung des Begriffs politisch im Justizministerium. Beispielsweise

    konnte die Umbenennung der Moskauer Schule fr Politische Studien in Moskauer Schule fr Br-

    geraufklrung (auch ein Partner der Friedrich Naumann Stiftung fr die Freiheit) nicht verhindern,

    dass diese wichtige Dialogplattform zwischen Liberalen und Kremltreuen, zwischen Russland und Aus-

    land, zum auslndischen Agenten erklrt wurde. Ebenso wurden die bildungsfrdernde Stiftung Dy-

    nastia sowie der Stiftungspartner Stiftung Liberale Mission im Mai 2015 zu auslndischen Agen-

    ten erklrt, weil ihre russische (!) Finanzierung ber auslndische Konten lief.

    Insgesamt hat sich so bei russischen NKOs, die Partner im deutsch-russischen zivilgesellschaftlichen

    Dialog sind, eine Stimmung der Angst, Hoffnungslosigkeit oder Systemfeindschaft ausgebreitet. Sie

    sind massiv in ihrem Reden und Handeln eingeschrnkt und fhlen sich isoliert und aus der Gesell-

    schaft ausgeschlossen. Durch die systematische Stigmatisierung einer Zusammenarbeit mit dem Aus-

    land verlieren diese NKOs die Mglichkeit, zu einem Dialog zwischen Russland und Deutschland bzw.

    Europa beizutragen.

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    Gesetz ber Unerwnschte auslndische Organisationen: Gegen Individuen und weitere Organi-

    sationsformen

    Die Logik des Gesetzes zu auslndischen Agenten erfuhr mit der Unterschrift des Prsidenten unter

    das neue Gesetz ber unerwnschte auslndische Organisationen am 23. Mai 2015 eine Erweite-

    rung. Das Gesetz besagt, dass von der Generalstaatsanwaltschaft in Absprache mit dem Auenminis-

    terium eine Liste unerwnschter auslndischer Organisationen fr Nichtregierungsorganisationen zu

    erstellen ist, die die nationale Verteidigung und staatliche Sicherheit, die Fundamente des Verfas-

    sungssystems, die ffentliche Ordnung, Gesundheit oder Moral" bedrohen. Diesen sei in Zukunft nicht

    nur jede Bettigung in Russland sowie die Verbreitung ihrer Verffentlichungen untersagt, sondern

    ihre Fhrungskrfte, Mitarbeiter und Projektpartner aller Art sollen persnlich mit hohen Verwaltungs-

    strafen, strafrechtlichen Buen und bis zu sechs Jahren Freiheitsentzug im Wiederholungsfall zu bele-

    gen sein.

    Gegenber der von der Duma ursprnglich entworfenen und im Januar 2015 diskutierten Version war

    die explizite Nennung kommerzieller Organisationen als mglicher unerwnschter auslndischer Or-

    ganisationen unter den Tisch gefallen sowie das Strafma fr wiederholte Verste von maximal acht

    auf maximal sechs Jahre Freiheitsstrafe verringert worden.

    Strategien russischer NKOs im Umgang mit dem Gesetz ber auslndische Agenten

  • Hintergrund: Russland Nr. 39 / Juni 2015 | 8

    Dabei wurde der bis dato im russischen Recht unbekannte Begriff Nichtregierungsorganisationen

    laut Aussagen des Duma-Abgeordneten und Mitinitiatoren des Gesetzes, Andrey Kozenko von der

    rechtsradikalen LDPR, auch gewhlt, um eine Handhabe gegen kommerzielle Organisationen nicht

    auszuschlieen.3 Als potentielles Instrument fr eine schnelle Vergeltungsaktion gegen neue Sanktio-

    nen aus dem Westen verunsichert das Gesetz Investoren genauso wie die Zivilgesellschaft.

    Vor allem aber schneidet das Gesetz die russische Zivilgesellschaft weiter von ihren internationalen

    Kontakten ab. Whrend sich das Gesetz ber auslndische Agenten nur gegen russische NKOs und

    deren Fhrung richtete, ist mit diesem Gesetz auch jedem Individuum jegliche Kooperation mit den

    gelisteten Organisationen untersagt und unter Strafe gestellt. Whrend das Ergebnis des ersten Geset-

    zes bereits dramatisch war, wird dieses Gesetz so auch jegliche Finanzierung etwa von amerikanischen

    Organisationen an Einzelpersonen, und sei es in der Frderung eines Austausches oder einer Einladung

    mit bezahltem Flug, dauerhaft verhindern. Unerwnschte Organisationen drfen weder im Internet

    noch in anderen Medien von ihren Aufgaben berichten. Im Ergebnis ist hnlich wie beim ersten ge-

    nannten Gesetz ein dramatischer Anstieg von Selbstzensur und Angst in der Zusammenarbeit auch mit

    (noch) nicht gelisteten auslndischen Organisationen zu erwarten. Erst wenn eine Organisation bereits

    auf der schwarzen Liste steht, erfhrt sie davon. Die erste Liste soll bis Herbst 2015 stehen. Der russi-

    sche Fderationsrat hat Ende Juni einen Vorschlag zur rechtlichen Prfung mehrerer Organisationen

    an die Generalstaatsanwaltschaft bergeben, in dem neben internationalen Menschenrechtsorganisa-

    tionen und wichtigen amerikanischen Nichtregierungsorganisationen auch die deutsche Robert-

    Bosch-Stiftung enthalten sein soll.4 Whrend die deutschen politischen Stiftungen sich bisher nicht

    akut bedroht fhlen, wird der Trend der sich verringernden Kooperationsmglichkeiten noch anstei-

    gen. Durch das systematische Kappen der Beziehungen zu auslndischen Organisationen sinken dabei

    auch die Mglichkeiten und die Reichhaltigkeit des deutsch-russischen Dialoges.

    Resmee: Nur eine Abkehr von diesen Gesetzen kann Russland stark machen und den Dialog wie-

    derbeleben

    Seit 2012 wurde die Zivilgesellschaft in Russland drastischer als je zuvor seit Zusammenbruch der

    Sowjetunion eingeschrnkt und isoliert. Als besonders restriktiv erweisen sich dabei die Gesetze ber

    auslndische Agenten und nicht erwnschte auslndische Organisationen. Alexei Kudrin betonte

    schon auf dem Gaidar-Naumann-Forum Ende 2013 in Berlin, dass die Entwicklung auch die wirt-

    schaftliche Russlands von einer starken und offenen Zivilgesellschaft abhngt.5 Seitdem ist er zu

    einem der hrbarsten Kritiker der genannten Gesetzgebungen geworden.

    3 Interview mit Andrey Kozenko, Meduza am 19.05.2015, im Internet: https://meduza.io/en/feature/2015/05/21/pure-

    pragmatism-nothing-personal [04.06.2015] 4 http://m.gazeta.ru/politics/news/2015/06/29/n_7330509.shtml.

    5 Kudrin, Alexej, Rede auf dem Gaidar-Naumann-Forum 2015, mehr zu der Veranstaltung im Internet:

    http://www.freiheit.org/Deutsch-russischer-Dialog-Zeigen-dass-es-besser-geht/617c28335i/index.html [04.06.2015]

  • Hintergrund: Russland Nr. 39 / Juni 2015 | 9

    Die Entwicklung des deutsch-russischen Dialoges hngt wesentlich von Russlands Verhalten im Osten

    der Ukraine und der Implementierung des zweiten Minsker Abkommens ab, aber ebenso vom Umgang

    mit der eigenen Zivilgesellschaft, Presse und Opposition. Damit Russland wieder stark und wirtschaft-

    lich erfolgreich sein kann, wie es Wolfgang Gerhardt, der Vorstandsvorsitzende der Friedrich

    Naumann Stiftung fr die Freiheit, Russland als einem Nachbarn der EU wnscht6 und wieder zu ei-

    nem Partner Deutschlands und der Europischen Union werden kann, muss es nicht nur das Anheizen

    des Krieges in der Ukraine beenden, sondern auch die Zivilgesellschaft und Menschenrechte im eige-

    nen Land wieder strken. Alexander Graf Lambsdorff, Vizeprsident des Europischen Parlamentes,

    bringt das auf den Punkt: So wie man in Deutschland die geopolitische Denkweise der russischen

    Auenpolitik besser verstehen muss, ist es an der Zeit, dass man in Russland versteht, dass eine deut-

    sche Auenpolitik zum einen immer Teil einer EU-Auenpolitik ist, und zum zweiten aufgrund unserer

    Geschichte und unseres liberalen demokratischen Systems von liberalen Werten und Menschenrechten

    nicht mehr zu trennen ist. Wir wollen Russland als Partner, aber dafr muss auch Russland etwas tun

    auch im eigenen Lande

    Julius von Freytag-Loringhoven ist Projektleiter der FNF fr Russland und Zentralasien.

    Bild und Grafik: FNF-Projektbro Moskau

    Impressum

    Friedrich-Naumann-Stiftung fr die Freiheit (FNF)

    Bereich Internationale Politik

    Referat fr Querschnittsaufgaben

    Karl-Marx-Strae 2

    D-14482 Potsdam

    6 Gerhardt, Wolfgang, Erffnung zur 9. Rede zur Freiheit am 27.05.2015