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Für den Inhalt ist ausschließlich die Redaktion von Russia Beyond the Headlines, Moskau, verantwortlich. www.russland-heute.de Ein Projekt von RUSSIA BEYOND THE HEADLINES Der Vizepremier über IT, Öl und Gas Optimistisch Ein Sender für die Zivilgesellschaft? Das neue öffentlich- rechtliche Fernsehen enttäuscht die liberalen Großstädter. SEITE 6 Nicht optimal Warum ein Deutscher ein russisches Kloster baut. SEITE 8 Orthodox Mittwoch, 5. Juni 2013 Russland HEUTE erscheint exklusiv als Beilage in: SEITE 3 WIKTOR WASENIN / RG SEITE 2 Pussy Riot lässt Russland keine Ruhe: Während zwei Mitglieder der Gruppe noch ihre Haftstrafe absitzen, verabschiedet das rus- sische Parlament eine Gesetzes- änderung, das die Beleidigung der Gefühle von Gläubigen unter Stra- fe stellen soll. Das Vorhaben reiht sich in eine Serie von populisti- schen Gesetzen ein, die seit der Wiederwahl von Präsident Wla- dimir Putin verabschiedet wur- den. Während die Fürsprecher von der Notwendigkeit des Gesetzes in einem multikonfessionellen Land sprechen, kommt selbst aus der Kirche Kritik: Das Gesetz sei zu schwammig formuliert. Ein Gesetz für die Gläubigen An einem Tag im Juni Am 12. Juni begehen die Bür- ger Russlands ihren National- feiertag. Russland HEUTE gratuliert allen Mitbürgern in Deutschland und erinnert an die Ursprünge des etwas in Vergessenheit geratenen Fei- ertags. Zu einem russischen „Independence Day“ wollte Jelzin ihn machen, den Tag, an dem Russland seinen Austritt aus der Sowjetunion erklärte. Aber bald war kaum noch je- mandem zum Feiern zumute. SEITEN 4 UND 5 INTERNETPORTAL RUSSLAND-HEUTE.DE Russen retten den europäischen Luxusmarkt RUSSLAND-HEUTE.DE/23893 Freiwillige deutsche Helfer in Russland RUSSLAND-HEUTE.DE/23801 AFP/EASTNEWS DMITRI PANKOW ITAR-TASS

Russland HEUTE erscheint exklusiv als Beilage in: An einem ... · Andrej Kurajew, einer der be-kanntesten Geistlichen des Lan-des und Professor an der Moskau-Nachbeben von Pussy Riot

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Page 1: Russland HEUTE erscheint exklusiv als Beilage in: An einem ... · Andrej Kurajew, einer der be-kanntesten Geistlichen des Lan-des und Professor an der Moskau-Nachbeben von Pussy Riot

Für den Inhalt ist ausschließlich die Redaktion von Russia Beyond the Headlines, Moskau, verantwortlich.

www.russland-heute.deEin Projekt vonRUSSIA BEYOND

THE HEADLINES

Der Vizepremier über IT, Öl und Gas

Optimistisch

Ein Sender für die Zivilgesellschaft? Das neue öffentlich-rechtliche Fernsehen enttäuscht die liberalen Großstädter.

SEITE 6

Nicht optimal

Warum ein Deutscher ein russisches Kloster baut.

SEITE 8

Orthodox

Mittwoch, 5. Juni 2013 Russland HEUTE erscheint exklusiv als Beilage in:

SEITE 3

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Pussy Riot lässt Russland keineRuhe: Während zwei Mitgliederder Gruppe noch ihre Haftstrafeabsitzen, verabschiedet das rus-sische Parlament eine Gesetzes-änderung, das die Beleidigung derGefühle von Gläubigen unter Stra-fe stellen soll. Das Vorhaben reihtsich in eine Serie von populisti-schen Gesetzen ein, die seit derWiederwahl von Präsident Wla-dimir Putin verabschiedet wur-den. Während die Fürsprecher vonder Notwendigkeit des Gesetzesin einem multikonfessionellenLand sprechen, kommt selbst ausder Kirche Kritik: Das Gesetz seizu schwammig formuliert.

Ein Gesetz für die GläubigenAn einem Tag im Juni

Am 12. Juni begehen die Bür-ger Russlands ihren National-feiertag. Russland HEUTE gratuliert allen Mitbürgern in Deutschland und erinnert an die Ursprünge des etwas in Vergessenheit geratenen Fei-ertags. Zu einem russischen

„Independence Day“ wollte Jelzin ihn machen, den Tag, an dem Russland seinen Austritt aus der Sowjetunion erklärte. Aber bald war kaum noch je-mandem zum Feiern zumute.

SEITEN 4 UND 5

INTERNETPORTAL RUSSLAND-HEUTE.DE

Russen retten den europäischen Luxusmarkt RUSSLAND-HEUTE.DE/23893

Freiwillige deutsche Helfer in RusslandRUSSLAND-HEUTE.DE/23801

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2 WWW.RUSSLAND-HEUTE.DE RUSSLAND HEUTE

EINE BEILAGE DES ROSSIJSKAJA GASETA VERLAGS, MOSKAUPolitik

EIn russisch-orthodoxer Priester während eines öffentlichen Gottesdienstes in Wladiwostok

JULIA PONOMARJOWARUSSLAND HEUTE

Vor gut einem Jahr traten Pussy

Riot mit ihrem „Punkgebet“ in

einer Kirche auf. Nun beschließt

die Duma eine Gesetzesände-

rung: über die Beleidigung der

Gefühle von Gläubigen.

Ende Mai nahm das russische Par-lament in zweiter Lesung Ände-rungen im Paragrafen 148 des Strafgesetzbuches („Verhinderung der Glaubensausübung“) an. 304 Abgeordnete stimmten dafür, vier dagegen, einer enthielt sich. Für den früher im Strafgesetzbuch nicht enthaltenen Tatbestand „öf-fentlicher Handlungen, die eine deutliche Respektlosigkeit gegen-über der Gesellschaft zum Aus-druck bringen“ und die etwa in Kirchen oder Moscheen ausgeübt werden, „um die Gefühle Gläu-biger zu verletzen“, sieht das Ge-setz eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren vor. Das Höchst-maß der Geldstrafe beträgt 500 000 Rubel (12 500 Euro). Ebenfalls vor-gesehen sind gemeinnützige Arbeiten.

Duma folgt der Volksmeinung „Unsere Gesellschaft lehnt die Schändung religiöser Kultstätten ab, und so wurde die Forderung nach einem angemessenen Schutz der Gefühle Gläubiger laut. Der Auftritt von Pussy Riot ist bei der großen Mehrheit der Bevölkerung auf Kritik gestoßen, und zwar un-abhängig von der Zugehörigkeit zu einer Religion“, erklärte der Abgeordnete von Einiges Russ-land Tamerlan Agusarow.Laut Meinungsforschungsinstitut FOM waren im September 2012 45 Prozent der Russen der Mei-nung, die Verletzung der Gefühle Gläubiger müsse strafrechtlich verfolgt werden. 22 Prozent stimmten dem nicht zu, ein Drit-tel der Befragten konnte sich dazu nicht äußern.

Gesetz für ein Multikultiland?Die Gesetzesinitiative unterstützt auch der Kreml. „Es ist ein in der praktischen Anwendung sehr kompliziertes, aber in einem mul-tinationalen und multikonfessio-nellen Land wie unserem absolut notwendiges Gesetz“, erklärte An-fang April Dmitri Peskow, Spre-cher von Wladimir Putin.Andrej Kurajew, einer der be-kanntesten Geistlichen des Lan-des und Professor an der Moskau-

Nachbeben von Pussy RiotRecht Ein neues Gesetz soll die Gefühle Gläubiger schützen. Richter müssen nun tief in die Menschenseelen blicken

Prozent der Russen waren im Septem-ber 2012 laut FOM der Meinung, die Verletzung der Gefühle von Gläubigen müsse strafrechtlich verfolgt werden. 22 Prozent stimmten dem nicht zu.

Prozent bewerten die Strafe für die Pussy-Riot-Mitglieder laut Lewada als angemessen, 26 Prozent als zu hart, 9 Prozent hielten eine strafrechtliche Verfolgung für unbegründet.

Jahre Haft sieht das neue Gesetz für öffentliche Handlungen in Kirchen oder Moscheen vor, wenn „die Gefüh-le Gläubiger“ verletzt werden.

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er Geistlichen Akademie, bezeich-net die Formulierungen des Ge-setzes als „sehr schwammig“. „Wechselseitige Beschwerden und Fälle von Akzeptanz und Ableh-nung solcher Beschwerden durch die Gerichte werden an der Ta-gesordnung sein“, erklärte Kura-jew. „Wenn ich mich an ein Ge-richt und den Staatsanwalt wende und erkläre, dass meine religiö-sen Gefühle verletzt wurden – wer außer mir wird das überprüfen können? Dem Gericht obliegt es, in das Innere zweier Personen vor-zudringen: Es muss feststellen, ob Herz und Gefühle des Klägers tat-sächlich entrüstet und verletzt sind, und gleichzeitig, ob ein heim-licher und krimineller Vorsatz im Inneren und in der Absicht des Beschuldigten vorliegt.“

Nicht „Verletzungen“, sondern „Handlungen“Michail Markelow, Vizeleiter des Dumaausschusses für gesell-schaftliche Vereinigungen und re-ligiöse Organisationen, betont, dass es in der neuen Fassung des Gesetzes nicht um die Verletzung religiöser Gefühle als solcher gehe: „Das ist ein subjektiver Begriff, und es wird sehr schwer sein, qua-

lifizierende Merkmale dieses Sachverhaltes zu defi nieren. Wir sprechen daher von der Einfüh-rung strafrechtlicher Verantwor-tung für öffentlich begangene Handlungen.“Der Menschenrechtsbeauftragte Wladimir Lukin warnt in seinem der Duma vorgelegten Jahresbe-richt über die Einhaltung und den Schutz der Rechte und Freiheiten russischer Bürger vor „Versuchen,

eine Konfession den anderen ent-gegenzustellen, ebenso Gläubige den Nichtgläubigen“. Er erinnert die Abgeordneten daran, dass die Artikel 14 und 28 der Verfassung allen Bürgern glei-che Rechte garantieren, Gläubi-gen wie auch Nichtgläubigen. Als alarmierendes Beispiel zitierte er die Aussage des Leiters der Fa-kultät für Internationale Kultur einer angesehenen russischen Uni-versität, Juri Wjasemskij, der in

einer Sendung des Fernsehkanals„Kultura“, als der Medienrummelum Pussy Riot seinen Höhepunkterreicht hatte, Atheisten als „Tiereund Kranke, die man heilen muss“bezeichnete. Wjasemskij erklärteallerdings später, seine Äußerungsei beim Schneiden der Sendungaus dem Zusammenhang gerissenworden.

Menschenrechtler warnen„Leider unternahm niemand denVersuch, sich die Reaktion von An-gehörigen beliebiger Konfessio-nen vorzustellen, etwa von Ortho-doxen oder Muslimen, wenn sol-che ungeheuren Worte an ihreAdresse gerichtet worden wären“,so Lukin.Unterstützt wird Lukin von dernicht in der Duma vertretenen li-beralen Partei Jabloko: „Mit demstrafrechtlichen Schutz von Ge-fühlen nur einer Kategorie der Be-völkerung – der Gläubigen – ver-stößt die Regierung gegen die Ver-fassung, die die Gleichheit allerStaatsbürger garantiert“, heißt esin einer Erklärung der Partei.Nach einer FOM-Umfrage sind 17Prozent der Russen der Meinung,das Gesetz über die Verletzung re-ligiöser Gefühle verletze die Rech-te von Atheisten, 45 Prozent ver-treten die gegenteilige Ansicht.Die Zeitung Moskowskije Nowos-ti befragte Kirchgänger in Mos-kau nach ihrer Meinung zu demGesetzentwurf. „Die Gefühleeines Gläubigen dürfen nicht ver-letzt werden, es ist aber nichtnötig, solche Handlungen zu be-strafen – Gott wird über die Übel-täter richten“, sagte die Rentne-rin Irina Fjodorowa. Aktionen wiedie von Pussy Riot sollten jedochverfolgt werden, sie gingen „mitihrer Provokation zu weit“.Eine Umfrage des Lewada-Zen-trums vom April ergab, dass 56Prozent der Russen das Urteilgegen die Pussy-Riot-Mitgliederfür angemessen, 26 Prozent es fürzu hart und 9 Prozent eine straf-rechtliche Verfolgung für unbe-gründet halten.Ein anderer Kirchgänger, JuriOskin, sieht ebenfalls keinen Sinnin dem Gesetzesentwurf. „Wereinen anderen Menschen beleidigt,wird sich vor Gott verantwortenmüssen“, sagt er. „Nach dem gel-tenden Recht wird jede Person fürdie Verletzung der Persönlichkeitanderer ohnehin zur Verantwor-tung gezogen. Das Gesetz gilt all-gemein, es ist deshalb nicht nötig,bestimmte Gruppierungen inihren Persönlichkeitsrechten her-vorzuheben. Man müsste dannauch Artikel einführen, die eineBeleidigung von Arbeitern, Ver-kehrspolizisten usw. unter Strafestellen.“

„Es ist nicht nötig, die Verletzung der Gefühle eines Gläubigen zu bestrafen. Gott wird über die Übeltäter richten.“

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3RUSSLAND HEUTE WWW.RUSSLAND-HEUTE.DE

EINE BEILAGE DES ROSSIJSKAJA GASETA VERLAGS, MOSKAU Wirtschaft

INTERVIEW

ARKADI DWORKOWITSCH

„Wir werden weniger abhängig von Öl und Gas“

DER VIZEPREMIER ÜBER DEN EINFLUSS VON GAS

UND ÖL AUF DIE WIRTSCHAFT UND REKORDE DES

PETERSBURGER WIRTSCHAFTSFORUMS

2011 sagten Sie, dass „in der

russischen Wirtschaft die Privat-

wirtschaft zu wenig Platz ein-

nimmt“. Hat sich die Situation

geändert?

Ja. Russland hat ein Programm zur Privatisierung von Staatsei-gentum bis zum Jahr 2018 ver-abschiedet. Im September wur-den für umgerechnet 5,2 Milli-arden US-Dollar 7,58 Prozent der Aktien der größten russischen Bank, der Sberbank, verkauft. In diesem Jahr bereiten sich auf den Einstieg in den Fondsmarkt unter anderem die VTB-Bank und die Russischen Eisenbah-nen RZD vor. Wir prüfen die Privatisierung als Instrument der Wettbewerbs- und Renta-bilitätsverbesserung. Eine Auf-stockung des Staatshaushalts ist unsere zweitwichtigste Aufgabe. Die Mittel daraus werden in lang-fristige Investitionsprogramme fl ießen.

In letzter Zeit hat die Regierung

viel über die Diversifizierung der

Wirtschaft gesprochen. 2012 sank

das Exportniveau im Nichtroh-

stoffsektor dagegen sogar um

vier Prozent. Warum?

Auch wenn der Anteil des Ex-ports petrochemischer Produkte ein historisches Hoch erreicht hat, ist das Wachstum hier we-sentlich geringer als in anderen Wirtschaftsbereichen. Die ver-arbeitende Industrie entwickelt sich sehr schnell, der IT-Bereich weist in den letzten zehn Jahren ein jährliches Wachstum von 15 bis 20 Prozent auf. Dabei hat sich der wertmäßige Anteil im Erdöl- und Erdgassektor tatsächlich er-höht, da der Erdölpreis gestiegen ist. Wenn ein Barrel Erdöl 70 bis 80 US-Dollar und nicht 105 bis 110 US-Dollar kostete, würde das Gleichgewicht sich wahrschein-lich in Richtung der Nichtroh-stoffbereiche verschieben.

Wann wird Russland sich von

der Erdölabhängigkeit lösen?

Dafür müssen die ineffektiven Wirtschaftsbereiche verkleinert und rentable Produktionsstätten geschaffen werden. Aber das geht nicht so schnell. Deshalb bemü-hen wir uns, gute Bedingungen für die Entwicklung des Unter-nehmertums und die Akquise von Investitionen zu schaffen. Wir bieten Steuervergünstigungen

für diverse Wirtschaftsbereiche an – zum Beispiel für den IT-Sek-tor – und für die Produktion in Sonderwirtschaftszonen, wir bauen die Infrastruktur in den Technologieparks aus. Noch vor fünf Jahren war das Interesse an Investitionsprojekten in Russland gering, gegenwärtig existieren im Land bereits Hunderte von Start-ups. Wir haben den Tech-nopark Skolkowo gegründet und damit ausländische Unterneh-men hergeholt, wobei diese nicht nur in Moskau, sondern auch in Nowosibirsk, St. Petersburg, Ros-tow, Kasan und anderen Städten Niederlassungen haben.

Was hält ausländische Investo-

ren davon ab, sich in Russland

sicher zu fühlen?

Das Investieren in Russland ge-staltet sich im Vergleich zu an-deren Ländern aus verschiede-nen Gründen schwieriger. Mo-mentan ist es unser Ziel, bis zum Jahr 2018 unter die ersten zwan-zig Länder auf der Rankingliste Doing Business der Weltbank vor-zurücken. Schon heute ist das bürokratische Verfahren zur Re-gistrierung von Unternehmen we-sentlich vereinfacht.

Wodurch können die Nachteile

kompensiert werden?

Wir haben mit einer Bevölkerungvon knapp 150 Millionen Men-schen einen riesigen Markt. Daszieht natürlich die Konsumgüter-industrie an. Schauen Sie nur, wiesich beispielsweise der Automo-bilmarkt entwickelt. Vor siebenJahren haben führende Konzer-ne wie Ford, Toyota und Volks-wagen damit begonnen, bei unseigene Montagekapazitäten auf-zubauen. Jetzt hat die zweite Welleder Lokalisierung begonnen, unddie Unternehmen errichten Werkezur Produktion von Zuliefertei-len. Bis zum März 2013 hat dasMinisterium für Wirtschaftsent-wicklung mit internationalenKonzernen, die weltweit zusam-men mehr als 90 Prozent der Au-tomobilproduktion realisieren,31 Abkommen zur industriellenMontage von Fahrzeugen abge-schlossen. Wobei es allerdings inanderen Branchen insgesamt nichtso schnell geht, wie wir es gernehätten.

Am 20. Juni beginnt das St. Pe-

tersburg International Economi-

cal Forum, größtes Wirtschafts-

forum in Osteuropa. 2011 wurde

hier mit Abschlüssen im Wert

von 15 Milliarden Euro ein Re-

kord aufgestellt. Wird dieser

Wert 2013 übertroffen?

Das Wirtschaftsforum findetnicht deshalb statt, weil irgend-welche Rekorde aufgestellt wer-den sollen. Es ist vor allem eineKommunikationsplattform, aufder sich internationale und rus-sische Unternehmen begegnenund austauschen können. Diewichtigsten Ereignisse findennormalerweise am Rande vonGesprächen zu konkreten Pro-jekten und Investitionsentschei-dungen statt. Und ein Abschlusserfolgt nicht im Rahmen desForums, sondern erst einen Monatoder vielleicht sogar anderthalbJahre später. In diesem Jahr wer-den uns unter anderem hochran-gige Delegationen aus Deutsch-land und aus den Niederlandenbesuchen. 2013 ist ja schließlichdas russisch-niederländische unddas russisch-deutsche Jahr. Ichdenke, das Forum wird äußerstinhaltsreich.

Das Interview führteElena Schipilowa

Arkadi Dworkowitsch wurde am 26. März 1972 in Moskau geboren. Er studierte Wirtschaftskybernetik an der Moskauer Lomonossow-Universi-tät und Wirtschaftswissenschaften an

BIOGRAFIE

NATIONALITÄT: RUSSISCH

ALTER: 41

POSITION: VIZEPREMIER

der Duke University in Durham (North Carolina, USA). Von 2008 bis 2012 war er persönli-cher Berater von Präsident Dmitri Medwedjew. Seit Mai 2012 ist er Stell-vertretender Ministerpräsident in der Regierung der Russischen Föderation. Ab 2007 war Dworkowitsch Vizepräsi-dent des Russischen Schachverbands, seit 2010 ist er dessen Präsident.

MICHAIL WOLKOWFÜR RUSSLAND HEUTE

Das Reisen zwischen Deutsch-

land und Russland soll leichter

werden. Transaero fliegt zukünf-

tig von Wnukowo – und koope-

riert eng mit der Lufthansa.

Von Frankfurt ins Moskauer ZentrumTransport Transaero schließt weiteres Kooperationsabkommen mit Lufthansa und zieht in ein neues Flugterminal um

Wnukowo liegt im Südwesten von Moskau und ist unter allen ande-ren Flugplätzen der Innenstadt am nächsten. Dieser Vorteil ver-anlasste Transaero dazu, im Som-mer 2013 seine Flüge nach Frank-furt von Domodedowo nach Wnu-kowo zu verlegen.„Wir rechnen damit, dass Passa-giere aus Frankfurt den Komfort des modernen Terminals A sowie die großen Vorteile seines Stand-orts begrüßen. Darüber hinaus können die Reisenden unsere be-quemen Flugverbindungen zu anderen Städten Russlands und den GUS-Staaten nützen“, sagt Stoljarow.Die Transaero-Flieger nach Ber-lin starten weiterhin von Domo-dedowo. Dies hängt damit zusam-men, dass über Domodedowo ebenfalls der Transitverkehr in andere russische Städte abgewi-ckelt wird.

Im Dezember wurde das 1,4 Mil-liarden Dollar teure Terminal A des Moskauer Flughafens Wnu-kowo fertiggestellt. Es verdoppelt seine Kapazität auf jährlich 30 Millionen Passagiere und soll den Druck von den zwei ständig über-lasteten Flughäfen Domodedowo und Scheremetjewo nehmen.Transaero Airlines, zweitgrößte Fluggesellschaft Russlands, fl iegt seit Februar 2012 von Wnukowo. „Wir sind darum bemüht, ein neues, großangelegtes Transitzen-trum in Terminal A zu schaffen“, erklärt Dmitri Stoljarow, Vizege-neraldirektor von Transaero.

russischen Hauptstadt heraussu-chen. Seit 2008 arbeiten Trans-aero Airlines und Lufthansa eng zusammen.Für Reisende, die lieber mit der Bahn fahren, ist es möglich, Zug und Flugzeug miteinander zu kombinieren und die Tickets ge-meinsam zu kaufen.

„Wir versuchen permanent durchdie Zusammenarbeit mit unserendeutschen Partnern, den Kundengünstige Preise anzubieten unddie Flugrouten zu optimieren“, soDmitri Stoljarow.Deutschland verzeichnete dankder Tatsache, dass es Russlandsgrößter Handelspartner in Euro-pa ist, einen rasanten Zuwachs anFluggästen aus Moskau und an-deren russischen Städten. Mit fastanderthalb Millionen Reisenden,die in den ersten neun Monatendes Jahres 2012 aus Russland nachDeutschland geflogen sind (dasentspricht einem Zuwachs um sie-ben Prozent gegenüber dem Vor-jahr), nimmt Deutschland hinterder Türkei und Ägypten den drit-ten Platz ein.Dies schlug sich auf die Zahlenbei Transaero nieder: Die Air-line konnte einen Zuwachs von37 Prozent seiner Fluggäste nachDeutschland melden. Dieser An-stieg lag weit über der durch-schnittlichen Wachstumsrate von19 Prozent bei allen internatio-nalen Flugdestinationen.

Durch ein Abkommen mit der Lufthansa gibt es auch für Flug-gäste aus Deutschland spezielle Tarife und günstige Flugverbin-dungen nach Russland. Sie kön-nen frei zwischen den Lufthan-sa-Flügen aus den verschiedenen Regionen wählen und sich so die günstigste Flugverbindung zur

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Am 9. Juni 1989 stellte Andrej Sacharow auf dem

Volksdeputiertenkongress der UdSSR offen das

Machtmonopol der KPdSU infrage.

Spezial

RUSSISCHER „INDEPENDENCE DAY“ – VOM FEIERTAG ZUM FREIEN TAG

GLEB TSCHERKASSOWKOMMERSANT

Einen „4th of July“ wollten

die Gründerväter des neuen

Russlands etablieren. Aber der

12. Juni wurde bald zum Sym-

bol des Niedergangs. Heute

hat der „Tag Russlands“ seine

Bedeutung eingebüßt. Wir

erinnern an die Ursprünge.

Es begann am 12. Juni 1990, als der Kongress der Volksdepu-tierten der Russischen Sozialis-tischen Föderativen Sowjetrepu-blik (RSFSR) die Deklaration der staatlichen Souveränität annahm. Wer diese Zeit nicht miterlebt hat, wird sich kaum vorstellen kön-nen, warum diese Abstimmung so wichtig war.In jener Zeit verabschiedeten die Parlamente von ehemaligen Sow-jetrepubliken wie Estland und Lettland der Reihe nach Souve-ränitätserklärungen. Der RSFSR blieb in diesem historischen Mo-ment nichts anderes übrig, als sich anzuschließen.

Zurück in die ZarenzeitFür diesen Tag wurden im Jahr darauf die ersten Präsident-schaftswahlen der RSFSR anbe-raumt – eine politische Botschaft. Die Entscheidung hatte außerdem praktische Gründe. Das Wahl-kampfteam von Boris Jelzin be-fürchtete, dass ein Aufschub des Wahltermins den Sieg des Kan-didaten im ersten Wahlgang ge-fährden könnte. Man musste da-mit rechnen, dass die Wähler in den verdienten Sommerurlaub ab-reisen würden.Doch die ideologischen Motive für den Termin am 12. Juni waren

weitaus wichtiger. Denn die Be-gründung des neuen russischen Staates hatte zwei Prämissen. An erster Stelle stand die Rückkehr zu den Traditionen des vorsowje-tischen Russlands. Markantes Bei-spiel dafür war die um sich grei-fende neue Popularität von Kauf-leuten und Adeligen, die sich in einem Wiederaufl eben von „Kauf-mannsgilden“ und „Adelsver-sammlungen“ niederschlug. Und auch die Rückkehr des Wortes „gospodin“ (Herr) und die drei-farbige Fahne in den panslawi-schen Farben, die fast über Nacht als offizielle Flagge der RSFSR angenommen wurde, waren Aus-druck für diesen Trend. Die Rückbesinnung auf „vorbol- schewistische Zeiten“ entwickel-te sich zum Symbol des neuen rus-sischen Staates. Nicht zufällig fand auch am 12. Juni 1991 die Umbenennung von Leningrad in St. Petersburg statt.

Ein neuer Tag, ein neues LandZugleich schlüpften die Architek-ten der neuen russischen Staat-lichkeit in die Rolle der Gründer-väter der USA, die ein Land aus dem Nichts geschaffen hatten. Das erklärt auch die Entscheidung, den Tag, an dem die Deklaration der Unabhängigkeit – im Grunde ein symbolisches Dokument – verab-schiedet wurde, zum nationalen Feiertag zu machen.Und der Präsident des neuen Russ-lands musste selbstverständlich am Tag der Unabhängigkeits-erklärung gewählt werden. Das war Teil ein und desselben Kon-zepts: Wir bauen ein neues Land auf, wir schaffen einen neuen staatlichen und gesellschaftlichen

Acht Monate bis

Olympia in Sotschi

Die Vorbereitungen auf die Olym-pischen Winterspiele in Sotschi laufen auf Hochtouren. Die Probe-wettkämpfe sind so gut wie abge-schlossen, bis zur offiziellen Eröff-nung des Olympischen Dorfes bleiben noch etwa acht Monate. „Die Infrastruktur für unsere Spiele ist die modernste der Welt. Prak-tisch alle Objekte wurden von Grund auf neu gebaut und sind daher innovativer und technisch ausgereifter als alle vergleichbaren Stadien und Pisten“, erklärte

Dmitri Tschernyschenko, Leiter des „Organisationskomitees Sotschi 2014“. „Das unter baulichen Ge-sichtspunkten komplizierteste Projekt haben die Russischen Eisenbahnen (RZD) übernommen. Ihre Umsetzung der Vorhaben ver-dient großen Respekt. Es handelt sich um eine Verbindungsstraße von Adler nach Krasnaja Poljana, die ausschließlich aus Brücken und Tunneln besteht. Für die erste Fahrt wurde die Eisenbahnstrecke bereits freigegeben, im Oktober wird sie in Betrieb genommen. Die Strecke wird den Transport von bis zu 20�000 Fahrgästen pro Stunde ermöglichen.“

Am 23. August 1993, nach dem misslungenen

Putsch, verlangte Jelzin von Gorbatschow den

Rücktritt als Generalsekretär der KPdSU.

ausscheiden würde. Ein Zerfall der UdSSR war unvorstellbar. Die Unabhängigkeitserklärung er-schien nur als ein Element des po-litischen Machtkampfes zwischen der sowjetischen Führung und der Gruppe um Jelzin.Die zweite Frage betrifft die Rol-le der russischen Führung im politischen Zerfallsprozess der UdSSR. Mitte der 1990er-Jahre sprach man über den Untergang der Sowjetunion nicht als „größ-te geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“, wie dies Prä-sident Putin später tat. Viele aber empfanden dies bereits so. Damals kam die UdSSR-Nostalgie auf. Zu diesem Zeitpunkt auch verscho-ben sich die Machtverhältnisse im Kreis um Jelzin zuungunsten der radikalen Demokraten. Die neue Generation des Jelzin-Regimes brauchte diesen Feiertag als Le-gitimation ihrer Macht. An die Umstände der Machtübernahme und die politischen Losungen, die diese Anfang der 1990er-Jahre be-

gleiteten, wollte man sich in Jel-zins Kreml nicht erinnern. Im Laufe der Zeit wurde das Da-tum immer wichtiger für den rus-sischen Staat. So hieß es auf deroffiziellen Website des Feiertagsanlässlich seines fünfjährigen Ju-biläums: „Regierungsvertreter fastaller Regionen haben am Vorabenddieses Datums beschlossen, denTag der Unabhängigkeit feierlichzu begehen. Und erstmals wurdedieser Tag zu einem wirklichenFest.“Die endgültige Entkopplung desFeiertags von seiner ursprüng-lichen Bedeutung fällt in das Jahr1998, als Boris Jelzin ihm einenanderen Namen gab. Seitdemheißt er schlicht „Tag Russlands“.Erklärungen, die Unabhängig-keit, Gründerväter und der Marschin die vorbolschewistische Ver-gangenheit blieben weit zurück.Der Staatsbankrott, das Ende desTschetschenien-Kriegs, WladimirPutin und ein unbekanntes, neuesRussland sollten folgen.

Raum, und wir sind die Begrün-der neuer Traditionen. Der Kongress der Volksdeputier-ten der noch als Sowjetrepublik existierenden RSFSR spielte an-fangs mit: Der 12. Juni wurde durch Beschluss des Obersten Sowjets 1992 zum Feiertag er-

klärt. 1994 bekräftigte Jelzin den Festtag durch einen Erlass. Zu diesem Zeitpunkt war die Begeis-terung über den Jahrestag jedoch bereits erlahmt. Nicht von unge-fähr warf die Bezeichnung „Tag der Unabhängigkeit“ Fragen auf.Vor allem: Wer ist unabhängig und von wem? Im Juni 1990 hätte niemand gedacht, dass die RSFSR tatsächlich aus der Sowjetunion

Die Bezeichnung „Tag der Unabhängigkeit“ warf die Fragen auf: Wer ist unabhängig und von wem?

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EINE BEILAGE DES ROSSIJSKAJA GASETA VERLAGS, MOSKAU

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Spezial

Ende des ersten Tschetschenien-Kriegs. Im Abkommen von Chassaw-jurt wird ein Waffenstillstand aus-gehandelt, das auch den Abzug der russischen Truppen beinhaltet.

Am 31. Dezember übergibt Präsident Boris Jelzin seine Vollmachten an Wladimir Putin. Am 7. Mai 2000 wird das neu gewählte Staatsoberhaupt Putin in sein Amt eingeführt.

Nach den umstrittenen Parlaments-wahlen im Dezember 2011 kommt es über Monate zu Protesten von Hun-derttausenden meist jungen Russen. Ihr Symbol ist der Bolotnaja-Platz.

CHRONIK

Vom Ende der Sowjetunion bis zum Bolotnaja-Platz

1996 1999 2012

Jekaterinburg will die Expo 2020

Anfang Mai legte Russland der Generalversammlung des Internationalen Büros für Ausstellungen in Paris seine Bewerbung für die Ausrichtung der Expo 2020 in Jekaterinburg vor. Die russische Delegation leitete der russi-sche Vizepremier Arkadi Dworkowitsch. „Jekaterinburg ist eine junge Stadt“, erklärte er. „Sie entwickelt sich zügig und hat ein großes industrielles und wissenschaftliches Potenzial. Wir sind sicher, dass die Expo 2020 der Stadt und dem ganzen Land neue Entwicklungsimpulse geben wird.“Außer Jekaterinburg bewarben sich Izmir (Türkei), Ayutthaya (Thailand), Dubai (Vereinigte Arabische Emirate) und São Paulo (Brasilien). Jekaterin-burg gilt als heimliche „dritte Hauptstadt“ des Landes nach Moskau und St. Petersburg. Die Stadt hat sich bereits mehrfach als Gastgeberin großer internationaler Veranstaltungen profiliert. Hier fand 2003 das deutsch-russi-sche Gipfeltreffen statt, außerdem die Treffen der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) und der BRICS-Staaten.Jekaterinburg ist außerdem Austragungsort der Fußballweltmeisterschaft 2018. Die Vorbereitungen für dieses Großereignis sind bereits angelaufen. Parallel werden die für die Expo erforderlichen Objekte gebaut, heißt es in den zuständigen russischen Behörden. Für den Bau sind mehrere Dutzend Milliarden Dollar veranschlagt. Auch aus Kreisen der russischen Wirtschaft werden Gelder in die Vorbereitungen für die Expo fließen und die Mittel der Haushalte verschiedener Ebenen ergänzen.Für die Messehallen selbst sind 182 Hektar vorgesehen, auf der übrigen Flä-che entstehen Hotels, Büros, Restaurants und Geschäfte. Nach der Expo sol-len die gesamte Infrastruktur und alle Gebäude für städtische Zwecke ge-nutzt werden. Die Hotels werden in Wohnungen und Studentenwohnheime umgewandelt, die Messehallen in Büros, Geschäfts- und Freizeitzentren. › http://expo2020.ru/en/

Ich habe die wichtigste

Mission meines Lebens

erfüllt. Russland wird nie

in die Vergangenheit

zurückkehren. Russland

wird nur noch vorwärts-

gehen." Boris Jelzin

bei seinem Rücktritt

Mai 2011: Yandex geht in New York an die Börse. Der Börsengang

war einer der größten Internet-IPOs seit dem IPO von Google.

Zweiundzwanzig Jahre auf dem Weg zur Modernisierung

Wirtschaft Die Transformation ist noch immer in vollem Gange

2009 schrumpfte die russische Wirtschaft um fast acht Prozent, und viele Bürger sahen ihr Land auf dem Weg in den Staatsbank-rott wie 1998. Damals waren ganze Industriezweige kollabiert, gin-gen die meisten systemrelevanten Banken pleite, und die Menschen benutzten die Rubel-Geldscheine als Notizzettel. Aber 2009 erwies sich: Russland hatte Lehren aus der Katastrophe der Endneunziger gezogen und begriffen, dass es entsprechend seinen Verhältnissen leben muss. Dazu gehörte, dass der Staats-haushalt 13 Jahre lang kein De-fi zit aufwies. Erstmals im vergan-genen Jahr, zu Wahlkampfzeiten, lagen die Staatsausgaben über den Einnahmen – in einer Größenord-nung von 0,1 Prozent des Brutto-inlandsprodukts (BIP).Gegenwärtig ist Russlands Aus-landsverschuldung eine der nied-rigsten der Welt. Zum 1. April 2013 betrug sie laut Timur Nigmatullin, Experte der Analyseagentur In-vestcafé, 49,8 Milliarden US-Dol-lar – bei einem BIP von etwa zwei Billionen US-Dollar.Russland hat sich in erster Linie bei den Käufern seiner Energie-träger zu bedanken. Die Gewin-ne aus Erdöl und Erdgas machten 2012 mehr als die Hälfte der Staatseinnahmen aus. Die Ein-nahmen aus Rohstoffexporten „parkt“ Russland in Sonderfonds. Mit diesem Notgroschen war es möglich, die Krise 2008/2009 re-lativ gut zu überstehen. Heute wird das Land für seinen schleppenden Transformations-prozess kritisiert unter Missach-tung der Tatsache, dass hier noch vor 22 Jahren Planwirtschaft herrschte. Vieles von dem, was heute existiert, gab es damals nicht einmal ansatzweise. Die Banken etwa haben sich in-zwischen zu einem Blutkreislauf für die Wirtschaft entwickelt. Laut Angaben der Agentur für Einla-genversicherung stieg das Gesamt-volumen der Spareinlagen zum Ende des ersten Quartals 2013 um

Die russische Wirtschaft ist eine

bizarre Mischung aus dem Erbe

des kommunistischen Imperiums

und modernem Hightech.

VIKTOR KUSMINFÜR RUSSLAND HEUTE

14,74 Milliarden Rubel (350 Mil-lionen Euro). Inzwischen verfügen 75 Prozent der Russen über Sparguthaben – der höchste Wert seit dem Ende der Sowjetunion. Noch Mitte 2005 hatte bei einer Meinungserhebung mehr als die Hälfte der Befrag-ten angegeben, dass ihre Familie bestenfalls über geringe Rückla-gen verfüge.In der Sowjetunion existierte auch kein Fondsmarkt. Inzwischen liegt die Gesamtkapitalisierung auf einem Niveau von 20 Billionen Rubel (500 Milliarden Euro).

Kürzlich fusionierten die beiden Börsen des Landes zur Moskauer MICEX-RTS, die in diesem Früh-jahr mit 4,2 Milliarden US-Dol-lar bewertet wurde. Das ist zwar nur ein Fünftel des Wertes der Hongkonger Börse, aber mit den Börsen in London und Tokio vergleichbar.Ein anderes Ergebnis der Peres-troika war die positive Entwick-lung des Dienstleistungssektors. Mittlerweile wird fast der gesam-te Einzelhandelsumsatz privat-wirtschaftlich generiert, und mehr als die Hälfte entfällt auf kleine Unternehmen.

Vor ein paar Jahren nahm dieRegierung die technologischeModernisierung des Landes in An-griff, und diverse Förderprogram-me und Steuervergünstigungengaben den Impuls für die rascheEntwicklung des IT-Sektors. Ende2011 generierte die Internetwirt-schaft 0,6 Billionen Rubel, waseinem Prozent des BIP entspricht.2012 wuchs die Branche um un-gefähr 30 Prozent. Es wird erwar-tet, dass die Exporte von IT-Pro-dukten in fünf bis sechs Jahrenmit denen von Rüstungsgüterngleichziehen werden. Bereits heutegehört Russland, was das Volu-men der IT-Dienstleistungen aufdem Binnenmarkt betrifft, mit10,7 Milliarden US-Dollar zu den20 größten Wirtschaftsnationenin der Welt.Dennoch ist der Anteil der Roh-stoffsektoren am BIP gewachsen.Was allerdings an der Preisent-wicklung der Rohstoffe und nichtan strukturellen Versäumnissenbezüglich der Wirtschaftsent-wicklung liegt, ist der Cheföko-nom von VTB Capital, MaximOreschkin, überzeugt. Seiner Mei-nung nach war in den letzten Jah-ren das Wachstum außerhalb desErdöl- und Erdgassektors preis-bereinigt wesentlich größer. „Undungeachtet des Nachfragerück-gangs von Energieträgern in Eu-ropa, dem wichtigsten russischenMarkt, weist die Wirtschaft desLandes doch ein – wenn auch ge-ringes – Wachstum des BIP auf“,unterstreicht der Experte.

Aus dem Bankrott von 1998 zog der Staat Konsequenzen: 13 Jahre lang wies der Haushalt kein Defizit auf.

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Boris Jelzin am 19. August 1991 vor dem russischen Parlament

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EINE BEILAGE DES ROSSIJSKAJA GASETA VERLAGS, MOSKAU

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6 WWW.RUSSLAND-HEUTE.DE RUSSLAND HEUTE

EINE BEILAGE DES ROSSIJSKAJA GASETA VERLAGS, MOSKAUGesellschaft

Versprechen erfüllt, Hoffnungen enttäuscht

Fernsehen Seit Mai sendet ein neuer, landesweiter „Bürgerkanal“. Bei Experten erntet er vor allem Häme

JULIA PONOMARJOWARUSSLAND HEUTE

Es war eines der wichtigsten

Versprechen an die liberale

Öffentlichkeit: ein öffentlich-

rechtlicher Fernsehkanal. Seit

Mai ist OTR auf Sendung. Und

enttäuscht die Jüngeren.

Die Idee eines öffentlich-rechtli-chen Fernsehkanals wurde vom damaligen Präsidenten Dmitri Medwedjew im Dezember 2011 vorgebracht, zwei Wochen, nach-dem Moskau seine größte Antire-gierungsdemonstration seit dem Ende der Sowjetunion erlebt hatte. Die Demonstranten hatten die Ab-schaffung der De-facto-Zensur auf den landesweit sendenden Fernsehkanälen gefordert.18 Monate später, am 19. Mai, schlüpfte das Öffentliche Russi-sche Fernsehen (OTR) aus seinem Kokon. OTR ist ein neuer, landes-weiter Kanal, der zu 99 Prozent durch föderale Haushaltsmittel

finanziert wird und an dessen Spitze Anatoli Lyssenko steht. Den 76-Jährigen, der in der Peres-troika zur Fernsehlegende wurde, hatte Präsident Wladimir Putin auf diesen Posten berufen.

Pioniere zur PrimetimeSein Hauptziel sieht der Kanal darin, die Zivilgesellschaft zu ent-wickeln, universale Werte zu för-dern und für das Publikum at-traktiv und zugleich aufklärend zu sein. „Erinnern Sie sich noch, wie man das Halstuch eines Pioniers bin-det?“, fragt ein Talkmaster im Trailer zur Show „Die Pioniere von damals“, einem Format wäh-rend der Primetime. „Das war nur ein Gag“, erklärte Lyssenko da-rauf der Zeitung Kommersant. Die Sendung sollte sich eigentlich mit der Freizeitbeschäftigung von Ma-nagerkindern beschäftigen. Lys-senko versprach für die nächsten Folgen interessantere Themen.

Die Gäste im Studio schienen das Thema jedoch schrecklich ernst zu nehmen. Prominente und Hauptstädter schwelgten in Er-innerungen über die Sommerla-ger, Hilfsaktionen für alte Men-schen und die Wertstoffsammlun-gen. Nach der Talkshow wurde

eine sowjetische Filmkomödie aus dem Jahr 1964 über die Pionier-lager mit dem Titel „Herzlich willkommen oder Zutritt für Fremde verboten“ ausgestrahlt, die sich über die Lager mit ihren aberwitzigen Regeln für Kinder lustig machte.Neben solchen Geschichten bie-tet OTR Talkshows über Bauern,

autistische Kinder und andere „Großereignisse“ aus dem ganzen Land, vom Schönheitswettbewerb unter Delfi ntrainern in Sotschi bis zu einem Gefängnisausbruch in Sibirien.Die Zuschauerreaktionen auf der Website sind durchwegs positiv: „Ich möchte gerne mehr solche an-spruchsvollen Sendungen über unser Land, seine Menschen und die unterschiedlichen Traditio-nen“, schreibt etwa Jekaterina Os-manowa aus Tula. „Ich möchte, dass unsere Kinder stolz auf ihre Heimat sein können.“Nikolaj Kusnezow aus dem Ge-biet Swerdlowsk bittet um weite-re Beiträge über Bauern. „Auf den anderen Kanälen wird nichts über das Landleben berichtet, nur über die Moskauer Zauberwelt“, schreibt er. Andere würden gerne Serien der 90er wie Akte X sehen.Laut Medwedjew sollte der neue Sender „eine Plattform für freie Diskussionen über die drückends-

ten Probleme werden und als In-strument zum Meinungsaustauschzwischen Regierung und Publi-kum dienen.“ Kritiker fragen je-doch, wie frei Diskussionen aufeinem staatlichen Kanal über-haupt sein können. Das Urgesteinder Fernsehbranche, WladimirPosner, kritisierte die „direkte Ab-hängigkeit von den Behörden“, da-rauf Bezug nehmend, dass derFernsehdirektor vom Präsidentenernannt wird. Zudem stammt derGroßteil des jährlichen Budgetsvon knapp vierzig Millionen Euroaus dem Staatssäckel. Medwedjew verwies daraufhin aufdie gängige Praxis in Großbritan-nien und Frankreich, wo „die Spit-zenpositionen in den öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten aufder Grundlage von Entscheidun-gen besetzt werden, die vom Pre-mierminister beziehungsweisevom Präsidenten abgesegnetwerden.“

„Abwarten“, sagt LyssenkoIrek Murtazin von der liberalenNowaja Gaseta bezeichnet den Stildes Senders als naiv und provin-ziell. „Wir haben so ein ProgrammAnfang der Neunzigerjahre beiTV7 in Wologda gemacht“, schrieber in seinem Blog.Und der Rektor der Medienaka-demie Andrej Nowikow-Lanskojmacht Ähnlichkeiten mit demsowjetischen Fernsehen aus. DerSender richte sich an ein älteresPublikum. „Design, Stil und Mu-sik erinnern schmerzlich an dieBilder und Eindrücke aus meinerKindheit“, sagte er. „Seine Agen-da besteht wahrscheinlich im Auf-decken mäßig dringlicher Pro-bleme aus dem Alltag. Für dasmoderne Publikum ist das nur vongeringem Interesse, während äl-tere Leute aus der Provinz mehrdavon sehen wollen.“Seine Kritiker bittet Lyssenko umGeduld. Der Sender, der schonheute über Kabel und Satellit lan-desweit zu empfangen ist, sei nochin der Testphase. „Das sind un-sere ersten Schritte, und acht oderneun Monate brauchen wir, bisalles richtig läuft“, so Lyssenko.

im Fernsehen

21 %

über Printmedien

im Internet

26 %

26 %

„Wie informieren

Sie sich täglich?“

Bei einer Umfrage der Stiftung Öffent-liche Meinung (FOM) Anfang des Jah-res haben Russen erklärt, wie sie sich auf dem Laufenden halten. Mehrere Antworten waren möglich.

89 %

bei Bekannten und Freunden

Die Zuschauerreaktionen auf der Website sind positiv, für das moderne Publikum hat der Sender aber wenig zu bieten.

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EINE BEILAGE DES ROSSIJSKAJA GASETA VERLAGS, MOSKAU Sport

INTERVIEW

MARIA SCHARAPOWA

„Die erste Partie verkaufte sich in zwei Wochen“

DIE RUSSISCHE TENNISDIVA ÜBER IHRE

STUTTGARTER REVANCHE GEGEN LI NA

UND IHR NEUES SÜSSES BUSINESS

In Stuttgart haben Sie sich im

Finale gegen Li Na durchgesetzt.

Die Chinesin hatte Sie zuvor im

Halbfinale bei den Australien

Open besiegt. War Ihr Sieg hier

von besonderer Bedeutung?

Ich komme mit Niederlagen sehr schlecht klar. Wenn ich aber ver-liere, dann möchte ich unbedingt die Chance zur Revanche haben. Daher hatte mein Sieg gegen Li Na in Stuttgart eine große Be-deutung für mich.

Sie haben gegen fast alle Top-

tennisspielerinnen öfter gewon-

nen als verloren, nur Serena Wil-

liams ist eine Ausnahme: Von 15

Spielen haben Sie 13 verloren.

Was hat sie, was Sie nicht haben?

Serena ist physisch sehr stark. Sie schafft es, über zwei, drei Stun-den ein hohes Niveau zu halten. Und natürlich ist ihr Aufschlag eine furchtbare Waffe. Damit kann sie sehr schnell in Führung

gehen, und das gibt ihr zusätzli-ches Selbstvertrauen.

Sie haben schon zum zweiten

Mal in Stuttgart gewonnen. Neben

dem Preisgeld erhalten die Sie-

gerinnen dort auch einen Por-

sche. Werden Sie die beiden

Autos abwechselnd fahren?

Das Auto, das ich im vergange-nen Jahr gewonnen habe, ist bei mir zu Hause in Florida. Für den letzten Sieg habe ich noch kein Auto bekommen. Vorerst brau-che ich es auch nicht.

Welche Momente Ihrer Karriere

haben sich Ihnen besonders ins Ge-

dächtnis eingeprägt?

Natürlich mein erster Grand-Slam-Titel. 2004 war ich 17 Jahre alt, als ich im Finale in Wimble-don Serena Williams besiegte. Sehr wichtig war außerdem mein Sieg im vergangenen Jahr bei Ro-land Garros, nachdem ich die Fol-

es in diesem Segment keine Pre-miumprodukte gibt. Die Herstel-ler produzieren weitgehend die gleiche Gelatine und verpacken sie auf sehr ähnliche Weise. Ziel-gruppe sind vor allem Kinder. Sugarpova-Süßigkeiten sind Qualitätsprodukte in einem hö-heren Preissegment für Erwach-sene. Die Präsentation der Marke fand 2012 in New York statt. Die erste Partie verkaufte sich inner-halb von zwei Wochen. Jetzt sind die Fruchtgummis in den USA, in Großbritannien, Frankreich und in den Arabischen Emiraten auf den Markt gekommen.

Was haben Sie aus der Londo-

ner Olympiade gelernt? Werden

Sie in Rio dabei sein?

Ich möchte sehr gerne nach Rio. In London habe ich gegen Sere-na Williams verloren und Silber geholt. Aus Rio will ich mit einer Goldmedaille zurückkehren.

1987 wurde Maria Scharapowa in der Ölförderstadt Njagan geboren. Mit 17 Jahren gewann sie in Wimbledon ihren ersten großen Titel gegen Sere-na Williams. Insgesamt hat die Russin in ihrer Karriere 27 WTA-Titel gewon-nen. Derzeit liegt sie in der Tennis-rangliste der Frauen hinter Serena Williams auf Platz 2. Laut Forbes ist sie die bestbezahlte Sportlerin der Welt: Von Juni 2011 bis Juni 2012 ver-diente sie 27,9 Millionen Dollar.

BIOGRAFIE

GEBURTSORT: NJAGAN

ALTER: 26

BERUF: TENNISPROFI

gen einer ernsthaften Schulter-verletzung überwunden hatte.

Haben Sie sich schon Gedanken über

das Ende Ihrer Karriere gemacht?

(Lacht.) Ja, darüber mache ich mir Gedanken. Ich denke daran, in die Wirtschaft zu gehen. Neu-lich war ich geschäftlich in Mos-kau. Seit dem 29. April sind in Russland die Sugarpova-Gum-mibärchen im Verkauf.

Wie sind Sie auf die Idee gekom-

men, eine eigene Marke für Süßig-

keiten zu gründen?

Ich liebe Süßigkeiten, vor allem Fruchtgummis.

Bleibt Ihnen genug Zeit, sich

damit zu befassen?

Ich behalte den Überblick. Ich habe natürlich wenig Zeit, dafür aber ein gutes Team. Ich habe mich eingehend mit dem Markt beschäftigt und festgestellt, dass

Reisen Sie auch zu den Winterspie-

len nach Sotschi? Das ist für Sie

schließlich keine fremde Stadt ...

Ja, Sotschi ist sozusagen meinezweite Heimatstadt. Dort fingmeine Tenniskarriere an. Dort lebtmeine Familie. Ich fahre auf jedenFall zu den Winterspielen.

Dieses Interview erschien zuerstin der ZeitungKommersant

ALEXEY MOSKORUSSLAND HEUTE

Strandfußball aus einer Weltge-

gend, die nicht eben bekannt

ist für Meer und weite Strände?

– das scheint reichlich exotisch.

Ausgerechnet in dieser Sportart

ist Russland Trendsetter.

Beach-Magier aus dem verschneiten LandStrandfußball Im September will Russland auf Tahiti seinen Weltmeistertitel von 2011 verteidigen

Ravenna im September 2011 – Fi-nale der Strandfußballweltmeis-terschaft. Die Nationalmann-schaft der Russischen Föderation deklassiert den Favoriten Brasi-lien 12:8 und wird Weltmeister. Das Finale auf italienischem Bo-den bildete den Auftakt zu einer neuen Ära des russischen Strand-fußballs. Die „Beachsoccers“ hat-ten es geschafft, sich in gerade mal sechs Jahren von Amateurkickern zu einem führenden Team zu ent-wickeln. Laut Nikolaj Pissarew, einst Fußballnationalspieler und heute erster Trainer der Strand-fußballerauswahl im Land, hät-ten seine Schützlinge 2005 ganz von vorne angefangen: „Zunächst mussten sie sich erst einmal daran gewöhnen, überhaupt barfuß im Sand zu spielen. Dann mussten sie die Regeln von Grund auf erlernen.“

„Am Anfang waren wir nur be-geisterte Amateure“, erinnert sich der Kapitän der Nationalmann-schaft Ilja Leonow. „Als man dann anfi ng, uns im Fernsehen zu zei-gen, war das für uns alle eine große Überraschung!“Bereits 2007, im Jahr der ersten Teilnahme an der Euro-Beach-soccer-League (EBSL), gelang es der Mannschaft, Bronze zu errin-gen. Damit verdiente sie sich ihre Fahrkarte zur FIFA-Beachsoccer-

2011 feierte die russische Mannschaft ihren ersten großen Sieg.

Weltmeisterschaft 2007, wo sie im-merhin den zwölften Platz errang. 2008 und 2009 schaffte es das Team dann schon ins Viertelfi na-le. Und bei der Weltmeisterschaft 2011 erlebte es einen wahrhaften Triumph. Das Turnier gipfelte in dem historischen Sieg über die Nationalmannschaft Brasiliens. „Ich erinnere mich, wie die Jour-nalisten in Brasilien ständig frag-ten: ‚Wie seid ihr Weltmeister ge-worden?‘“, erzählt Leonow. „Wir

hatten eine eingespielte Mann-schaft, verfügten über ausreichend Erfahrung und verstanden ein-ander ohne Worte. Und natürlich waren wir auch in sehr guter kör-perlicher Verfassung.“Das hervorragende Zusammen-spiel der Mannschaft lässt sich leicht erklären: Nahezu alle Spie-ler stammen aus dem Moskauer Fußballklub Lokomotive. Eine Landesmeisterschaft im Strand-fußball wird in Russland seit 2005

ZAHLEN

420 -tausend Rubel (ca. 10�000 Eu-ro) Preisgeld be-

kam jeder Nationalspieler nach dem Sieg bei der Weltmeisterschaft 2011 im italienischen Ravenna.

16 Weltmeisterschaften wurden seit 1995 im Strandfußball ausgetra-

gen, davon holte sich Brasilien 13-mal den Titel. 2011 siegte Russland über-raschend im Finale gegen Brasilien.

veranstaltet. An dem Turnier neh-men 16 Mannschaften teil, aberum den Meistertitel kämpfen tra-ditionell die beiden Moskauer Ver-eine Lokomotive und Strogino. Inder Hauptstadt befi ndet sich auchdie einzige Kindersportschule fürStrandfußball. Über eine über-dachte Halle verfügt sie allerdingsnicht – zwischen Oktober und Maifi ndet deshalb das Training an derSchwarzmeerküste oder in St. Pe-tersburg statt, wo eine entspre-chend präparierte Halle vorhan-den ist. Zwar hat die „richtige“ Fußball-nationalmannschaft weit wenigerTriumphe zu feiern, ist aber we-sentlich populärer. Immerhin: DerWM-Sieg machte die Beachsoc-cers in einer breiteren Öffentlich-keit bekannt. Auch beim Einkom-men liegen Welten zwischen denbeiden Mannschaften. „Für denWM-Sieg bekamen wir 420 000Rubel pro Nase (etwa 10 000 Eu-ro)“, erzählt Leonow. „Das wardas höchste Preisgeld in meinergesamten Laufbahn.“Im September 2013 fi ndet auf Ta-hiti die nächste WM statt – Leo-now & Co. sind optimistisch, denTitel zu verteidigen.

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EINE BEILAGE DES ROSSIJSKAJA GASETA VERLAGS, MOSKAUPorträt

Russland HEUTE: Die deutsche Ausgabe von Russia Beyond the Headlines erscheint als Beilage in der Süddeutschen Zeitung. Für den Inhalt ist ausschließlich die Redaktion von Russia Beyond the Headlines, Moskau, verantwortlich. Rossijskaja Gaseta Verlag, Ul. Prawdy 24 Str. 4, 125993 Moskau, Russische Föderation Tel. +7 495 775-3114 Fax +7 495 988-9213 E-Mail [email protected] Herausgeber: Jewgenij Abow, Chefredakteur deutsche Ausgabe: Alexej Karelsky Gastredakteur: Moritz Gathmann Proofreading: Dr. Barbara Münch-Kienast, Redaktionsassistenz: Jekaterina IwanowaCommercial Director: Julia Golikova, Anzeigen: [email protected]: Andrej Schimarskiy

Produktionsleitung: Milla Domogatskaja, Layout: Maria OschepkowaLeiter Bildredaktion: Andrej Sajzew, Bildredaktion: Nikolaj Koroljow

Druck: Süddeutscher Verlag Zeitungsdruck GmbH, Zamdorferstraße 40, 81677 München

Verantwortlich für den Inhalt: Alexej Karelsky, zu erreichen über MBMS, Hauptstraße 41A, 82327 TutzingCopyright © FGUB Rossijskaja Gaseta, 2013. Alle Rechte vorbehaltenAufsichtsratsvorsitzender: Alexander Gorbenko, Geschäftsführer: Pawel Negojza, Chefredakteur: Wladislaw Fronin Alle in Russland HEUTE veröffentlichten Inhalte sind urheberrechtlich geschützt. Nachdruck nur mit Genehmigung der Redaktion

Nächste Ausgabe

4.September

Schlesier, Däne, BrückenbauerReligion Norbert Kuchinke baut bei Berlin ein russisch-orthodoxes Kloster. Und bekommt Hilfe von ganz oben

TATJANA MARSCHANSKICH FÜR RUSSLAND HEUTE

Als Journalist für Spiegel und

Stern kam Norbert Kuchinke

nach Moskau und entdeckte die

orthodoxe Kirche. Dann kam

ihm die Idee eines orthodoxen

Gotteshauses in Deutschland.

Norbert Kuchinke ist dreiundsieb-zig Jahre alt. Fast die Hälfte sei-nes Lebens hat er in Russland ver-bracht. Entsprechend „russisch“ sieht es in seiner riesigen Berliner Wohnung am Prenzlauer Berg aus. „Möchten Sie einen Tee mit diesen … ach, wie heißen sie gleich noch mal …“ Der Journalist mit den Puschkin-Koteletten versucht sich an den russischen Begriff für die Kringel aus leicht gesüßtem Weißbrotteig zu erinnern, dann fällt es ihm ein – „Suschki!“ Auf dem Boden seines Arbeitszimmers stapeln sich Bücher über den Günstling der Zarenfamilie Gri-gori Rasputin und die Dynastie der Romanows, darunter befi n-den sich auch einige Titel über Russland aus Kuchinkes eigener Feder. Mit seiner deutschen Ehe-frau Katharina, die er russisch „Katia“ nennt, zieht Kuchinke die Adoptivtochter Dunja aus Russ-land groß.

Ein Schlesier in MoskauDer aus Schlesien stammende Ku-chinke hatte einige Jahre für Re-gionalzeitungen gearbeitet. 1973 bekam er die Stelle als Moskau-Korrespondent des Spiegel ange-boten und dachte nicht lange nach. Es folgten fünf Jahre beim Spie-gel, dann wechselte er zum Stern, weil er nicht mehr mit der Linie des Nachrichtenmagazins einver-standen war. 1983, nach zehn Jah-ren als „gut bezahlter Sklave“, entschied er sich, als freier Jour-nalist weiterzumachen, und be-gann, sich in Büchern und Doku-mentarfi lmen voll und ganz der orthodoxen Kirche zu widmen. Kuchinke zeigt auf einen Stapel Schallplatten und CDs in der Ecke des Zimmers. „Da sind orthodo-xe Kirchengesänge drauf. Vor dreißig Jahren war so etwas in Deutschland so gut wie unbe-kannt. Ich habe damals die erste Scheibe herausgebracht. Und die Menschen waren begeistert!“ In Moskau stieß Kuchinkes Inte-resse an der Kirche nicht gerade auf Gegenliebe. Als er auf den Ge-danken kam, einen Mönchschor aus Sagorsk auf Tournee nach Deutschland zu schicken, reagier-ten die Behörden ungehalten: „Wir lassen die Mönche nicht in den Westen ausreisen!“ Zehn Jahre bearbeitete er die Be-hörden, aber erst 1988, mitten in der Perestroika, stimmte das Zen-tralkomitee zu. Das Gastspiel der russischen Mönche war ein voller

Erfolg: Von Lübeck bis München blieb in keiner der sechsundzwan-zig Kirchen ein Platz frei. Fried-rich Kardinal Wetter, damals Erz-bischof von München und Frei-sing, sagte: „Komm wieder! Unser Dom war seit 1946 nicht mehr so besucht.“Und jetzt das Kloster. Eine Stun-de nördlich von Berlin liegt in der

Uckermark der Flecken Götschen-dorf, Ortsteil der Gemeinde Mil-mersdorf. Dort steht ein Anfang des letzten Jahrhunderts erbau-tes Herrenhaus, das einst Her-mann Göring gehörte und in dem sich die Stasi später ein Ferien-heim einrichtete. 2006 kam Kuchinke die Idee, das leerstehende Herrenhaus in ein russisch-orthodoxes Kloster zu verwandeln. Er trug der or-

thodoxen Diözese in Berlin die Idee vor, diese wiederum fand Unterstützung beim Moskauer Patriarchen.

Mönche statt Panzer Heute leben in Götschendorf erst vier Mönche. Wenn die Renovie-rung abgeschlossen und die Kir-che für eintausend Gläubige fer-tig ist, werden weitere zwanzig Mönche anreisen. Und bei dem Kloster wird es nicht bleiben. Kuchinke plant ein russisches Restaurant, eine Bibliothek und sogar einen kleinen Lebensmit-telladen. Dort können die Besu-cher dann Gemüse und Kräuter kaufen, die von den Mönchen an-gebaut werden. Der Journalist betrachtet die Bau-stelle und erzählt träumerisch: „Hier werden sich Beamte und Geschäftsleute aus Russland und Deutschland treffen. Oder wer auch immer das möchte!“Kuchinke war es auch, der in der Gemeinde Milmersdorf um Ver-ständnis für das Projekt warb.

„Ihr solltet euch freuen, dass statt der sowjetischen Panzer jetzt rus-sische Mönche hierher kommen“, erklärte er den Katholiken und Protestanten vor Ort. Diese hör-ten zwar aufmerksam zu, aber mit Freudenausbrüchen hielten sie sich zurück. Kuchinke zeigte ihnen seine Filme über das rus-sisch-orthodoxe Christentum. Und fand schließlich die Unterstützung von Pfarrer Horst Kasner, Vater von Bundeskanzlerin Angela Mer-kel. Am Ende bekam die Kirche das Grundstück von vier Hektar Größe für einen symbolischen Preis von einem Euro. Fehlten nur noch neun Millionen Euro für die Renovierung.

Der dänische ProfessorDie Millionen für das Kloster konnte der Journalist leichter in Russland auftreiben. Dort kennt ihn praktisch jeder. Denn Ende der Siebziger hatte der Ausländer aus dem „feindlichen Westen“ seine erste große Rolle gespielt: In dem schnell zum Kultfi lm avan-

cierten Streifen „Marathon imHerbst“ verkörperte Kuchinke denetwas hilfl osen dänischen Lingu-isten Bill Hansen.Bei einem Besuch in Putins Dat-scha erfuhr er aus erster Hand,dass „Marathon im Herbst“ desPräsidenten Lieblingsfi lm sei. „Ichsagte ihm: ‚Nun, da haben Sie vonmir viel früher erfahren als ichvon Ihnen.‘“ Dem Präsidenten ge-fi el der Humor des Deutschen, undauch Kuchinkes Idee vom Klos-ter überzeugte ihn. Bald überwieseine russische Bank mehrere Mil-lionen Euro für den Bau.Seine Mission beschreibt der Jour-nalist als „Brückenschlag“. Mitaller Kraft kämpft er gegen Ste-reotype und Ängste an, die inDeutschland gegenüber den Rus-sen bestehen. Und er hat Erfolg.Schon heute kommen Katholikenund Protestanten nach Götschen-dorf. Unter einer großen Baupla-ne sitzen sie mit dem ehemaligenKorrespondenten bei Tee und Pi-roggen und plaudern. Nicht nurüber Religion.

1. Norbert Ku-

chinke ist der

einzige Ritter

zweier Orden

der Russisch-Or-

thodoxen Kirche

in Westeuropa:

Er wurde mit

dem Wladimir-

und dem Daniel-

orden ausge-

zeichnet.

2. In Russland

kennt man Ku-

chinke vor allem

als dänischen

Professor aus

dem Film „Mara-

thon im Herbst“

von 1979.

3. Das orthodo-

xe Kloster in der

ehemaligen Re-

sidenz Hermann

Görings soll

Deutsche und

Russen einander

näherbringen.1

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Aus erster Hand erfuhrKuchinke, dass „Mara-thon im Herbst“, in dem er mitgespielt hatte, Putins Lieblingsfilm ist.

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