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IMMER UND EWIG Raffinessen einer Verführungskunst Bevor man sich die gleichnamige Verfilmung, die im April ins Kino kommt, ansieht, empfiehlt sich die Lektüre von Guy de Maupassants «Bel- Ami». Der Roman ist spannend, witzig und von einer perversen Erotik, eine bitterböse Satire über Sex, Macht und … noch einmal Sex. Oder besser: über die Macht der Verführung. Denn tatsächlich besitzt der Protagonist Georges Duroy nur zwei Talente: Skrupellosigkeit und Charme. Diese Eigenschaften öffnen ihm im Pa- ris des späten 19. Jahrhunderts alle Türen und bringen den mittellosen Emporkömmling aus der Provinz zu Geld und Ruhm. Als unbegabter Schreiberling blamiert er sich bei einer Zeitung, bis er merkt, dass sich sein Kollege Forestier erst durch die Ehe mit Madeleine zu einem erfolgreichen Autor ent- wickelte. Kurzerhand spannt er dem Freund das Talent aus. Madeleine hat nicht nur eine bril- lante Feder, sondern auch sehr viele «Freunde», und schon bald geht es mit Georges steil auf- wärts. Um sich einen adligen Anstrich zu ver- schaffen, unterschreibt er die Texte von nun an mit «Du Roy»; ansonsten konzentriert er sich aufs Verführen, Entführen, Heiraten. Denn die eigentlichen Schlüsselfiguren zum Erfolg, das merkt «Bel-Ami» schnell, sind Frauen. So schläft er sich Zug um Zug nach oben und bricht so manches Herz. Ganz im Stil des 19. Jahrhunderts – der Roman erschien 1885 – dreht sich hier alles um die Raffinessen einer Verführungskunst, die weniger über die Schönheit der Körper als über die Erotik der Sprache funktioniert. Lügen, Ver- sprechen, Schmeicheln, Drohen, Gestehen … MARTINA SüESS Guy de Maupassant: «Bel-Ami». Deutscher Taschenbuchverlag 2011. 415 Seiten. Fr. 15.90.

Ry Cooder: «Chávez Ravine», 2005. Ein Geschenk des Himmels ... · Darío ruiz Gómez: «Bei Den HeiDen …» Ein Geschenk des Himmels In einem Auswahlband sind dreizehn Erzählungen

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Page 1: Ry Cooder: «Chávez Ravine», 2005. Ein Geschenk des Himmels ... · Darío ruiz Gómez: «Bei Den HeiDen …» Ein Geschenk des Himmels In einem Auswahlband sind dreizehn Erzählungen

Darío ruiz Gómez: «Bei Den HeiDen …»

Ein Geschenk des HimmelsIn einem Auswahlband sind dreizehn Erzählungen des kolumbianischen Autors Darío Ruiz Gómez aus 45 Jahren zu lesen. Am schönsten sind diejenigen, in denen er über die Armen schreibt – und ihnen ihre Würde zurückgibt.

Von EricH Hackl

kultur / Wissen 23WOZ Nr. 11 15. März 2012

Der 74-jährige kolumbianische Schriftsteller Darío Ruiz Gómez ist ein kluger Kopf und ein glänzender Erzähler. Dass er seine Ellbogen lie-ber zum Aufstützen als zum Vorwärtskommen verwendet, ist zwar seiner Reputation zuträg-lich, nicht aber der Verbreitung seines Werkes. Im Gespräch mit der kolumbianischen Autorin Consuelo Triviño Anzola hat er vor einiger Zeit auch eingeräumt, dass ihm nicht daran gelegen sei, im literarischen Tagesgeschäft präsent zu sein: «Die grösste Schwierigkeit hat für mich darin bestanden, gegen die versteckte Gewalt des Marketings anzukämpfen, das eine Lite-ratur, die ihm nicht gehört, das heisst unsere literarische Tradition, mit Stumpf und Stiel auszurotten versucht  – ein Ziel, das sich die an der Macht befindlichen Gruppen schon frü-her gesetzt haben. Sie unterdrückten und ver-schwiegen Autoren, deren Diskurse nicht in das uns aufgezwungene Projekt einer Gesellschaft gepasst haben.»

Funken der Hellsichtigkeit

Dieses Projekt läuft in Kolumbien, wie anders-wo, unter dem Begriff der Modernisierung, die mit materiellem, nicht aber mit moralischem Fortschritt gleichgesetzt wird. Die damit ein-hergehenden ökonomischen Veränderungen haben, so Darío Ruiz Gómez, ein soziales Un-gleichgewicht geschaffen, das von der Kultur-industrie verschleiert und als Erfolg ausgege-ben wird. «Das industrielle Modell, das ab 1940 in die Praxis umgesetzt wurde, setzte das Ver-gessen des Landes voraus und förderte das ra-sante Wachstum der Städte, in denen die arme n

Schichten der Bevölkerung infolge von Ar-beitslosigkeit ins Lumpenproletariat absanken. Auf dieses Reserveheer verzweifelter und bin-dungslos gewordener Stadtbewohner konnte der Drogenhandel zurückgreifen, der einen un-erwarteten wirtschaftlichen Aufschwung be-wirkte, zugleich aber das nationale Ordnungs-gefüge radikal verändert und paradoxerweise den Beitritt des Landes zur globalisierten Welt bedeutet hat.»

Diese Entwicklung lässt sich in den Er-zählungen von Ruiz Gómez (wie auch in sei-nen Essays) zum Wandel der Stadt Medellín ablesen, in der er seit seinem vierten Lebens-jahr wohnt. Das heisst aber nicht, dass sie sich in soziografischen Mustern erschöpfen. Gó-mez erliegt nie der Faszination der allgegen-wärtigen Gewalt, auch wenn er diese in ihren vielfältigen Erscheinungsformen beschreibt: versteckt unter dem Mantel des Gehorsams ge-genüber den Eltern; als Rache eines Animier-mädchens an einem Polizisten; im Schweigen einer Mittelstandsfamilie, deren Sommer-idylle durch Ehebruch endet; in der Zerstörung eines Schulbusses durch die BewohnerInnen einer Elendssiedlung; im erzwungenen Ver-zicht einer Politikerwitwe auf den von ihrem Mann angehäuften Reichtum  – und auch in der routinierten Grausamkeit eines Drogen-händlers.

Aber in jeder Geschichte blitzt ein Fun-ke Mitleid, Hellsichtigkeit oder Selbstachtung auf. Deshalb wäre es falsch, Ruiz Gómez’ Er-zählungen als trostlos zu bezeichnen. Die letz-te Erzählung in diesem anspruchsvoll über-setzten Auswahlband aus 45 Jahren schildert

die Begegnung zwischen einer älteren Frau und einem jungen Mann, der, noch unkundig in der Stadt, auf der Suche nach Verwandten die un-sichtbare Grenze zu einem Viertel überschrei-tet, dessen mordgierige Hüter keine Fremden dulden. Indem ihn die Frau als ihren Sohn aus-gibt, rettet sie ihm das Leben. Aber sie handelt nicht ohne Eigennutz: «Wenn du also weiter-leben willst, musst du dich ab jetzt als mein Sohn ausgeben, musst mein Sohn sein – ein Ge-schenk des Himmels für mich.»

Erspüren der Nöte

Peter Schultze-Kraft, einer der fünf Übersetzer-Innen dieses Erzählbandes, rühmt in seinem ebenso informativen wie emphatischen Nach-wort Ruiz Gómez als ausserordentlich begabt darin, die Nöte und Träume seiner Protago-nistInnen «von innen heraus zu erspüren und zu vermitteln», egal ob es sich bei ihnen um «Hausfrauen, Arbeiter, Schuljungen, Drogen-kuriere oder Mafiabosse» handelt. Mir aber will scheinen, dass die schönsten Geschichten im Band diejenigen sind, in denen Ruiz Gó-mez über die Armen schreibt. Er belässt – nein, er gibt ihnen ihre Würde zurück. Auch darin wird deutlich, wie sehr sich Ruiz Gómez dem von ihm kritisierten gesellschaftlichen Pro-jekt und dessen literarischen Gefolgsleuten verweige rt.

Darío Ruiz Gómez: «Bei den Heiden. Geschichten von Liebe, Gewalt und Einsamkeit». Aus dem Spanischen von Peter und Rainer Schultze-Kraft, Gert Loschütz, Michi Strausfeld und Jan Weiz. Edition 8. Zürich 2011. 143 Seiten. 25 Franken.

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raffinessen einer VerführungskunstBevor man sich die gleichnamige Verfilmung, die im April ins Kino kommt, ansieht, empfiehlt sich die Lektüre von Guy de Maupassants «Bel-Ami». Der Roman ist spannend, witzig und von einer perversen Erotik, eine bitterböse Satire über Sex, Macht und … noch einmal Sex. Oder besser: über die Macht der Verführung. Denn tatsächlich besitzt der Protagonist Georges Duroy nur zwei Talente: Skrupellosigkeit und Charme. Diese Eigenschaften öffnen ihm im Pa-ris des späten 19. Jahrhunderts alle Türen und bringen den mittellosen Emporkömmling aus der Provinz zu Geld und Ruhm.

Als unbegabter Schreiberling blamiert er sich bei einer Zeitung, bis er merkt, dass sich sein Kollege Forestier erst durch die Ehe mit Madeleine zu einem erfolgreichen Autor ent-wickelte. Kurzerhand spannt er dem Freund das Talent aus. Madeleine hat nicht nur eine bril-lante Feder, sondern auch sehr viele «Freunde», und schon bald geht es mit Georges steil auf-wärts. Um sich einen adligen Anstrich zu ver-schaffen, unterschreibt er die Texte von nun an mit «Du Roy»; ansonsten konzentriert er sich aufs Verführen, Entführen, Heiraten. Denn die eigentlichen Schlüsselfiguren zum Erfolg, das merkt «Bel-Ami» schnell, sind Frauen. So schläft er sich Zug um Zug nach oben und bricht so manches Herz.

Ganz im Stil des 19. Jahrhunderts  – der Roman erschien 1885  – dreht sich hier alles um die Raffinessen einer Verführungskunst, die weniger über die Schönheit der Körper als über die Erotik der Sprache funktioniert. Lügen, Ver-sprechen, Schmeicheln, Drohen, Gestehen …

Martina SüESS

Guy de Maupassant: «Bel-Ami». Deutscher Taschenbuchverlag 2011. 415 Seiten. Fr. 15.90.

ry CooDer

Süchtige Zwerge, Musiker ohne ZähneDer in Kalifornien lebende Gitarrist Ry Cooder erzählt in seinem ersten Buch «In den Strassen von Los Angeles» acht Geschichten. Sie spielen in den vierziger und fünfziger Jahren und wirken wie locker hingeworfene Gitarrenakkorde.

Von FrEdi BoSSHard

Als Jugendlicher nahm Ry Cooder gerne den Bus, um vom verschlafenen Santa Monica ins Zentrum von Los Angeles zu fahren. Die kurze Reise durch die zusammenwachsenden Städte und Stadtteile war eine lange Reise in der Zeit: In Downtown Los Angeles stösst der junge Cooder auf Orte, an denen die Zeit stillzuste-hen scheint und doch pulsiert. In Bunker Hill trifft er in einer Miniaturwelt aus viktoria-nischen Häusern auf ältere Menschen, die kein Englisch sprechen. Besonders fasziniert ist Cooder von den Geschichten, die er über das Latinoquartier Chávez Ravine hört, das er aber nie zu besuchen wagt. In den Zeitungen sieht er Fotos von armen mexikanischen Familien, die zuschauen, wie ihre kleinen Häuser von Bulldozern platt gewalzt werden. Sie schaffen Platz für das neue Stadion der Baseballmann-schaft, der Los Angeles Dodgers.

Tänze und Prügeleien

Vor sieben Jahren hat der Gitarrist diesem ver-schwundenen Stadtteil mit der CD «Chávez Ra-vine» ein Denkmal gesetzt und die Geschichte in einem umfangreichen Booklet dokumen-tiert. MusikerInnen mit verschiedenen kul-turellen Hintergründen spielen zusammen, schaffen eine entspannte Atmosphäre, lassen die alten Zeiten aufleben. Sie erzählen von den launigen Tanzanlässen und den Kämpfen zwi-schen den im Zweiten Weltkrieg dienstleisten-

den weissen Soldaten, die sich  – auf Heimat-urlaub – mit zu Hause gebliebenen Latinos und Afroamerikanern prügeln. Der neunzigjährige Lalo Guerrero singt mit hinreissendem Charme den Rumba «Los Chucos Suaves», den er bereits 1949 mit seiner Gruppe Lalo y Sus Cinco Lobos in Clubs wie La Bamba, El Hoyo oder El Capital von Downtown L.A. gespielt hat.

Die Sängerin Juliette Commagre ist betö-rend, wenn sie «El U.F.O. Cayó» singt. Zur Mu-sik erzählt der betagte Don Tosti die Ge schichte vom ins Quartier gefallenen Ufo und meint damit das neue Stadion der Dodgers. Auch in «Ejército Militar» steht das Stadion im Zentrum. Zum lüpfigen Tex-Mex-Akkordeon von Flaco Ji-ménez singen Ersi und Rosella Arvizu über die aus dem Krieg zurückkehrenden Soldaten, die ein zerstörtes Chávez Ravine vorfinden. Cooder selbst hält sich auf den meisten Titeln dezent im Hintergrund, sein Gitarrenspiel ist ent-spannt, setzt Farbtupfer hie und da.

Am 15. März feiert Ry Cooder seinen 65. Geburtstag. In seinem ersten Buch erinnert er sich erneut an die vierziger und fünfziger Jah-re. Die acht locker erzählten Geschichten von Cooder erschienen vergangenes Jahr als «Los Angeles Stories» im legendären Verlag City Light Books. Dieser wurde 1953 vom Dichter Lawrence Ferlinghetti in San Francisco gegrün-det und diente SchriftstellerInnen der Beat Generation wie Jack Kerouac, William S. Bur-roughs, Allen Ginsberg, Anne Waldman, Paul

Bowles und vielen anderen als Heimathafen. Der deutsche Schriftsteller und DJ Franz Dobler hat «In den Strassen von Los Angeles» adäquat übersetzt und den melancholischen Blues des Originals mitgenommen.

Im lilafarbigen Cadillac

Die Geschichten Cooders sind alle um sein Ge-burtsjahr 1947 herum angesiedelt. Sie berich-ten von queren AussenseiterInnen, schrillen Vögeln und kleinen Leuten, denen gelegentlich ein gütiger Engel zur Seite steht. Etwa wenn Frank St. Clair, der in einem Einzimmerap-partement in Bunker Hill lebt und für das Stadtregister von Los Angeles unterwegs ist, einen gewissen Mr. John Casaroli kennenlernt. St. Clair interviewt Leute für das Stadtregister, nimmt Beruf und Adresse auf und erhält pro Eintrag ganze 25 Cents. Casaroli, ein pensio-nierter Opernsänger, wird sein einziger Freund. Doch kurz vor einem geplanten gemeinsamen Abendessen wird Casaroli tot vor seinem Haus aufgefunden. Er ist vom Dach gesprungen. St.  Clair vermutet einen Mord dahinter: «Wa-rum sollte ein Mann, ein Italiener, einen Topf Spaghetti kochen und dann vom Dach sprin-gen?» Den Freund hat er verloren, aber eine Erbschaft gemacht. Er erhält den Plattenspieler, alle 78er-Schellackplatten, die italienischen Gedichtbände und ein Exemplar des Stadtregi-sters. Der dicke Band ist ausgehöhlt und enthält

5000 Dollar in Hundert-Dollar-Scheinen. «Ich hatte noch nicht mal einen Hunderter jemals auch nur gesehen», so St. Clair.

Cooders Geschichten handeln von Arbei-tern und Clubbesitzerinnen, süchtigen Zwer-gen, minderjährigen Ausreisserinnen, Film-kritikern, die in Kinos ermordet werden, und von gestrandeten Musikern ohne Zähne, die ihr Lieblingsinstrument aus Not verkaufen müssen. Aber auch von Musikern wie «Ato-mic Bomb» Saunders oder Johnny «The Ace of Spades» Mumford, der gerade einen Nummer-1-Rhythm-and-Blues-Hit hat und einen Cadil-lac in lila und cremigen Farbtönen fährt.

In diesen Erzählungen finden erfundene und reale Personen zusammen. Recherchierte Geschichten, Klatsch und Legenden vermen-gen sich, heben ab in Fantasiewelten und keh-ren wieder in den harten mexikanisch-ame-rikanischen Alltag auf den Strassen von Los Angeles zurück. Es sind gut gewürzte Krimis, die salopp daherkommen und Cooders Musik ergänzen.

Chávez Ravine, mon amour: Ry Cooder samt Quartierbild auf dem Auto. foto: Chris Pizzello, Keystone

Ry Cooder: «In den Strassen von Los Angeles». Edition Tiamat. Berlin 2012. 288 Seiten. Fr. 25.80.

Ry Cooder: «Chávez Ravine», 2005. Nonesuch / Warner Music.