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SACHSEN UND ANHALT Jahrhuch der }-lislOrisclIen Korrn niss i on für Sachsen-Anhalt YOII J-Ians K. Schlllz(~ Band 22 1999/2000 2000 ßÜHLAU VEHLAC KÖLN WEIMAH \VIEN Ci) A .I~. ~ ", _.

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SACHSEN UND ANHALTJahrhuch der }-lislOrisclIen Korrn n iss ion

für Sachsen-Anhalt

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Band 221999/2000

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HANS K. SCHULZE

Monasterium in monte constructum

QUEDLlNBURGER URKUNDENSTUDIEN

Der ehrwürdige Codex diplomaticus Quedlinburgensis aus dem Jahre 1764gehört zu den besten editorischen Leistungen des 18. Jahrhunderts. Sein Verfas-ser Anton Ulrich von Erath, ein Vertreter jener alten Schule der Diplomatik, dieden Wert der äußeren Merkmale der Urkunden sehr hoch schätzte, hat sein Werkmit gelungenen Nachzeichnungen von Siegeln, Monogrammen und Rekogniti-onszeichen (selecta veterum autographorum specimina ut et sigilla antiqua po-tiara) illustriert 1. Als ich vor mehr als dreißig Jahren bei Untersuchungen zur Ge-schichte des Kanonissenstifts Gemrode, dessen Leitung nach dem Tod seinerersten Äbtissin Hathui IOl4 der Äbtissin Adelheid von Quedlinburg übertragenworden war, auch den »Erath« benutzte, erregten die Nachzeichnungen von zweiRekognitionszeichen in Gestalt einer Burg mit einem Kirchengebäude meineAufmerksamkeit (Abb. I und 2). Erst in jüngster Zeit veranlaßten mich die Zu-sammenarbeit mit dem Kultur- und Heimatverein Quedlinburg, der in einer Aus-stellung die Entwicklung von Stift und Stadt Quedlinburg an Hand ausgewähl-ter Urkunden veranschaulichen wollte, sowie die Möglichkeit, im MagdeburgerLandeshauptarchiv die Originale einsehen zu können, die Spur von damals wie-deraufzunehrnerr'. Nicht zuletzt aber waren es die anregenden Untersuchungenvon Peter Rück, vor allem die »Bildberichte vom König«, die mir einen neuen

A n Ion U Ir ich von Era I h , Codex diplomaticus Quedlinburgensis, Frankfurt amMain 1764.

2 Die Urkunden aus dem ehemaligen Quedlinburger Stiftsarchivs befinden sichjetzt im Lan-desarchiv Magdeburg - Landeshauptarchiv. Die MGH geben den damaligen Aufbewah-rungsort Berlin an. - Herrn Ltd. Archivdirektor Dr. Josef Hartmann, Magdeburg, dankeieh für die Genehmigung zur Veröffentlichung der beiden Urkunden Ottos I. von 956,Herrn Akademischen überrat Dr. Heinrich Meyer zu Ermgassen, Marburg, für kollegialeBeratung, Herrn Peter Worm, Marburg, für den Hinweis auf die SI. Galler Urkunde von940, sowie Herrn Dr. Wemer Vogler, Stiftsarchiv Sankt Gallen, für die Zustimmung zumAbdruck dieses Stückes. Herrn Fotografenmeister Uwe Kammstieß. Lichtbildarchiv älte-rer Originalurkunden, Marburg, gill mein Dank für seine Bemühungen um die Herstellungder Abbildungen.

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58 Hans K. Schulze

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Abb. J Nachzeichnung des Monogramms und des Rekognitionszeichens der UrkundeOttos I. vom 24. August 956

Zugang zur Welt der graphischen Symbole auf den mittelalterlichen Urkundeneröffneten'.

Die Urkunden, um die es hier geht, sind zwei Diplome Ottos des Großen von956 (DO I 184 und 186). Sie sind in der Diplomata-Ausgabe der MonumentaGermaniae Historica abgedruckt, aber es gibt von ihnen meines Wissens noch

3 Pet erR ü c k , Die Urkunde als Kunstwerk. In: Kaiserin Theophanu. Begegnung des

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Quedlinburger Urkundenstudien 59

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Abb. 2 Nachzeichnung des Monogramms und des Rekognitionszeichens der UrkundeOttos I. vom 5. Dezember 956

keine Abbildungen. DO I 184 (Abb. 3) ist eine auch wegen ihres Inhalts bemer-kenswerte Urkunde, die der König während eines Aufenthaltes in der PfalzQuedlinburg am 24. August 956 ausstellen ließ. Es geht um eine Zuwendung andas Kanonissenstift Quedlinburg, die pro carissimae filiae nostrae Mahtildevictu et vestitu vollzogen wurde. Der Anlaß war die Aufnahme von Ottos Tochter

Ostens und des Westens um die Wende des ersten Jahrtausends, Band 2, Köln 1991,S. 311-333; der s. ,Bildberichte vom König. Kanzlerzeichen, königliche Monogrammeund das Signet der salischen Dynastie, Marburg 1996 (elementa diplomatic a 4); der s.(Hrsg.), Graphische Symbole in mittelalterlichen Urkunden. Beiträge zur diplomatischenSemiotik, Sigmaringen 1996 (Historische Hilfswissenschaften 3).

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Quedlinburger Urkundenstudien 61

Abb.3Urkunde Ottos I.vom 24. August 956<" ""8tp *'( 1'-'·j, •

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Mathilde ins Stift, wo sie unter der Obhut ihrer Großmutter, der KöniginwitweMathilde, erzogen werden sollte. Daß die 956 erst einjährige Mathilde bereitsdamals als zukünftige Äbtissin vorgesehen war, ist sehr wahrscheinlich, abernicht beweisbar.

Diese »Mitgift« der Kaisertochter, die nach dem Wortlaut der Urkunde zur Be-streitung ihres Lebensunterhaltes (»Nahrung und Kleidung«) dienen sollte, be-stand aus sechs Dörfer in einer als marca Lipani bezeichneten Landschaft+Diese Orte geben sich durch ihre Namen als Siedlungen slawischen Ursprungszu erkennen: Liubeme, Klinizua, Sebene, Tulci, Kazina und Kribci. Die Identifi-zierung dieser Orte ist relativ sicher: Lübbow ssö Lüchow, Klenze wsw Lüchow,Seeben nw Salzwedel, Tylsen sw Salzwedel, Kassuhn sw Arendsee und vermut-lich Krevese sö Arendsee. Die marca Lipani umfaßte also ein ziemlich großesGebiet im Raum um Lüchow, Salzwedel und Arendsee, erstreckte sich mithinüber Teile der nördlichen Altmark und des südlichen Hannoverschen Wendlan-des. Die Angabe von Gau und Grafschaft fehlt, ist aber auch nicht zwingend vor-geschrieben. Und eine Mark im verfassungsrechtlichen Sinn hat es sich sichernicht gehandelt, sondern um eine reine Landschaftsbezeichnung slawischen Ur-sprungs. Die Lipani waren die »Bewohner des Lindenwaldes«. Die Nachbar-landschaft war der Drawehn, dessen Bewohner, die Drevani, die» Waldbewoh-ner« waren. Der Name Lipani ist nur in dieser Urkunde überliefert und wurdeoffensichtlich später im südlichen Teil von dem deutschen Landschaftsnamen»Osterwolde« verdrängt, während der nördliche Teil zum Drawehn gerechnetwurde.

Um eine besonders reicheAusstattung handelte es sich dabei gewiß nicht. Sla-wische Dörfer waren in der Regel klein, die Produktivität des von den Bewoh-nern betriebenen Ackerbaues gering, die Böden im Bereich der nördlichen Alt-mark und des Hannoverschen Wendlandes karg. Dazu kam die große Entfernungvom Stift. Da aber aus anderen Quellen bekannt ist, daß die Wenden vielfachWaldbienenzucht betrieben und zu Honigzins verpflichtet waren, dürfte dies auchfür die »Bewohner des Lindenwaldes« gegolten haben. Die Schenkung des Kö-nigs brachte dem Stift wahrscheinlich Abgaben in Form von Honig und Wachs

4 Sie g fr i e dA. Wo If, Über die "Gaue" des hannoverschen Wendlandes. In: ZfG1956, S. J 020 ff.; Wo I f ga n g He s s l e r , Mitteldeutsche Gaue des frühen und hohenMittelalters, Berlin 1957 (Abh. d. Sächs. Akad. d. Wiss. zu Leipzig, Philolog.-hist. Kl. 49,Heft 2), S. 133; H ans K. Sc h u I z e , Adelsherrschaft und Landesherrschaft. Studienzur Verfassungs- und Besitzgeschichte der Altmark, des ostsächsischen Raumes und deshannoverschen Wendlandes im hohen Mittelalter, Köln Graz 1963 (MitteldeutscheForschungen 29), S. 18; Rut h S te in be r g , Die Mark Lipani. In: lb. für GeschichteMittel- und Ostdeutschlands 11, 1962, S. 273-279.

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Quedlinburger Urkundenstudien 63

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Tuld 956 genannte Orte / Zene.... Gut Weller -= Gossendorf

0 lundplatzdorf .. Sadgassendorf

0 erweitert .. Rundplotzdorf t:I Stro&.ndorf

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~ .. ~ Sumpf, Moor

vermutlldt. Grenze des............. mlHelalterlldten Waldes

ein, von relativ wertvollen Gütern also, die nicht verderblich waren, relativ ge-ringes Gewicht besaßen und deshalb auch über weitere Entfernungen transpor-tiert werden konnten.

Über das weitere Schicksal dieser Orte, die nicht wieder im Besitz des StiftsQuedlinburg faßbar werden, ist wenig bekannt'. Nur Klenze (Claniki in Dreuani)wird 1004 als Besitz des Klosters Kemnade erwähnt (DH II 87). Die urkundli-che Überlieferung fur den altmärkisch-wendländischen Raum ist allerdings bisweit ins hohe Mittelalter sehr dürftig. Für die Frage nach der Siedlungsgeschichtedes altmärkischen Raumes ist die Urkunde von 956 recht bedeutsam; denn siebezeugt die Existenz slawischer Siedlungen bereits in der Mitte des 10. Jahr-hunderts. Das ist wichtig; denn die Frage nach dem Zeitpunkt der Einwanderungder Slawen in dieses westlich der Eibe gelegene Gebiet ist noch immer nicht völ-lig geklärt".

5 Zur Besitzgeschichte H ans - E r ich We i rau c h , Die Güterpolitik des Stiftes Qued-linburg im Mittelalter. In: Sachsen undAnhalt 13, S. 117-181; 14, 1938, S. 203-295.

6 Ha n s K. Sc h u Iz e , Die Besiedlung der Altmark. In: Festschrift f. Waiter Schlesin-

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Quedlinburger Urkundenstudien 65

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Abb.4 Urkunde Ottos I. vom 5. Dezember 956 (DO 1 186)

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Mit dem Eintritt Mathildes ins Stift war eine zweite Schenkung an den Kon-vent verbunden. Wohl noch während seines Aufenthaltes in Quedlinburg 956übertrug der König pro filia nostra Mahthilda den Stiftsdamen seinen Besitz inLiebstedt und Oßmannstedt in Thüringen (DO I 185). Der Urkunde fehlen Ta-ges- und Monatsangabe, aber die Einreihung nach DO 1184 ist wegen der Nen-nung Mathildes und der weitgehenden Übereinstimmung im Formular sicher be-rechtigt. Dafür spricht auch die Tatsache, daß in beiden Diplomen Sankt Peterals Patron der Stiftskirche erscheint, während in anderen Urkunden Maria undSankt Servatius genannt werden (DO I 18 und 172).

Im Dezember 956 erhielt das Stift dann aufBitten der Königin Mathilde nocheinen weiteren königlichen Gunstbeweis, nämlich die Klause, in der einst die In-kluse Liutbirg gelebt hat, mit der dort erbauten Michaelskirehe und den vomKönig und Mathilde dieser Kirche überlassenen Besitzungen in den beidenRodungsdörfern Egininkisrod und Ripertingisrod (DO I 186). Es handelt sich umdie Michaelskirche, bei der später das Zisterzienserkloster Michaelstein gegrün-det wurde, und um zwei Wüstungen bei Hüttenrode. Diese in der Pfalz Memlebenausgestellte Urkunde weist nun eine auffällige Übereinstimmung mit DO I 184auf, nämlich ein Subskriptionszeichen, das mit dem der Urkunde vom 24. Au-gust 956 weitgehend identisch ist (Abb. 4).

Die Subskriptionszeichen der beiden Urkunden, die von dem unter dem Kanz-ler Liudolf tätigen Notar LF stammen, sollen offensichtlich dasselbe Bauwerkdarstellen: Auf einem hochaufragenden Berg, dessen Felsformationen deutlichabgerundet sind, erhebt sich eine Burg. Innerhalb ihres von Zinnen bekröntenMauerringes steht ein sehr kompaktes, von einem großen Kreuz bekröntes Ge-bäude.

Seit den Untersuchungen Theodor Sickels steht fest, daß die eigentliche Be-deutung der Rekognitionszeichen in der ottonischen Zeit bei den Notaren derköniglichen Kanzlei nicht mehr allgemein bekannt gewesen ist. Das Rekogniti-onszeichen, das in der Karolingerzeit zu einem festen Bestandteil der feierlichenHerrscherurkunde geworden war, wurde zwar auch in die Kaiser- und Königs-urkunden der Ottonen übernommen, aber der ursprüngliche, für die Gültigkeitder Urkunde rechtserhebliche Sinn des Zeichens war den Notaren der könig-lichen Kanzlei offensichtlich nicht mehr in jedem Falle geläufig. Als traditio-

ger, Band 1, hrsg. von Hel mut Be u m ann, Köln Wien 1973 (MitteldeutscheForschungen74/I),S.138-158; Matthias Hardt, Hans K. Schulze,Alt-mark und Wendland als deutsch-slawische Kontaktzone. In: Wendland und Altmark in hi-storischer und sprachwissenschaftlicher Sicht, hrsg. von Rod e r ich Sc h mid t ,Lüneburg 1992, S. 1-44.

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Quedlinburger Urkundenstudien 67

nelles Element der Herrscherurkunde wurde das Rekognitionszeichen in derKanzlei Heinrichs 1. und Ottos des Großen noch regelmäßig gebraucht, dann un-ter Otto II. seltener verwendet. In der Kanzlei Ottos III. und Heinrichs H. ver-zichtete man auf den Gebrauch des Rekognitionszeichens, und die Wiederauf-nahme des Brauches unter Heinrich ill. von 1041 bis 1054 und Heinrich IV. 1086blieb Episode".

Die Rekognitionszeichen erscheinen als ein so wesentliches Element derfrühottonischen Urkunden, daß sich die Frage stellt, welchen Sinngehalt die inihrer ursprünglichen Bedeutung nicht mehr oder nicht mehr vollständig verstan-denen graphischen Symbole in ottonischer Zeit besessen haben. Theodor Sickelsah in ihnen nur Zierformen, die nur zu »herkömmlicher Ausschmückung« dien-ten: »Die neue Schule, die mit Bruno auftritt, hat die ursprüngliche Bedeutungdes Signum subscriptionis so gut wie vergessen und bietet als Ersatz vielfach einebeliebige Zeichnung, in die höchstens noch der Reminiscenz halber Buchstaben,Buchstabennoten und gewisse auch im Chrismon oder den Abkürzungszeichenwiederkehrende Verzierungen eingefügt werden. Nur einige Notare bedienensich eines ziemlich feststehenden Signums; die Mehrzahl wechselt mit den For-mens". Auch im Lexikon des Mittelalters heißt es: »Mit der Aufgabe der Eigen-händigkeit der R. verlor das Zeichen seinen Sinn, wurde aber bis ins 10. Jh. alsZierelement ('Bienenkorb') mitgeschleppte",

Dagegen hat Peter Rück nachdrücklich auf den hohen, allerdings nur mitMühe zu entschlüsselnden Sinngehalt der Rekognitionszeichen hingewiesen undsich bemüht, die liturgischen, eschatologischen und magischen Bezüge dieser»Bildberichte vom König« zu enträtseln. Er bezweifelt, daß das Rekognitions-zeichen, das in der karolingischen Hofkanzlei »zum magischen Zeichen par ex-cellence« IO geworden war, in ottonischer Zeit von den Kanzlern und Notaren,die schließlich zur geistigen Elite des Reiches gehörten, nicht mehr verstandenund bloß aus konventionellen Gründen weiter benutzt worden sei I'.

Schon Sickel hatte die Wandlungen registriert, denen das Signum in ottoni-scher Zeit unterworfen war. Er unterschied zwei Hauptformen, nämlich die kon-ventionelle Form des sogenannten »Bienenkorbes« und den sehr viel variable-ren Typus der »architektonischen Bilder«. Als eine Art Übergangsform könnte

7 Lexikon des Mittelalters, Band VII, 1995, Sp. 685 f.: Pet erR ü c k , Beiträge zurdiplomatischen Semiotik. In: Graphische Symbole (wie Anm. 3), S. 28.

8 The 0 d 0 r Sic k e l , Beiträge zur Diplomatik VI, Wien 1877, S. 22.9 Lexikon des Mittelalters, Band VII, 1995, Sp. 685.10 Pet erR ü c k , Beiträge zur diplomatischen Semiotik. In: Graphische Symbole (wie

Anm. 3), S. 27.11 Pet erR ü c k, Bildberichte vom König (wie Anm. 3), S. 6 f.

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man die Rekognitionszeichen betrachten, die die Form eines mit Architekturele-menten ausgestalteten »Bienenkorbes« haben. Graphische Symbole in Gestaltvon Architekturzeichnungen finden sich vor allem auf den Urkunden, die in derZeit des Kanzlers Liudolf (953-967) mundiert worden sind. In unserem speziel-len Zusammenhang stellt sich die Frage, ob man wenigstens in einigen dieser ar-chitektonischen Rekognitionszeichen ein freilich stark stilisiertes und abstra-hiertes Abbild wirklicher Bauwerke sehen darf. Das mag eine recht phantasie-volle These sein, die aber doch zu einigen Überlegungen Anlaß gibt, auch wenneine stringente Beweisführung nach Lage der Dinge nicht möglich ist.

Auch Peter Rück, dem es bei seinen Untersuchungen auf den tieferen theolo-gischen Sinn- und Symbolgehalt der Zeichen ankam, nähert sich diesem Ge-danken, wenn er zu dem von Sickel erwähnten Immunitätsprivileg für St. Gallenvon 940 bemerkt: »Siekels 'Kirchlein' ,das der St. Galler Maler und Arzt Notkerim April 940 in Quedlinburg als Signum in D. 25 setzte, was sollte es denn dar-stellen, wenn nicht das vier Jahre zuvor von Mathilde gegründete Haus Gottes inSachsen, das wir 956 wieder finden in D. 184«12.Rück weist im gleichen Zu-sammenhang auf Rekognitionszeichen in Gestalt von Kirchen und Burgen hinund glaubt sogar, auf einigen in Ravenna ausgestellten Urkunden Signa in Formdes Stadt- oder Hafentores von Ravenna erkennen zu können. Er hat mehr als 120Abbildungen von Rekognitionszeichen zusammengestellt, die einige, allerdingsrecht hypothetische Überlegungen gestatten.

In der Tat ist bei zahlreichen Signa die traditionelle Form des »Bienenkorbes«so stark mitArchitekturelementen ausgeschmückt worden, daß sie wie Bauwerkewirken (Abb. 5). Schon SickeI hat darauf hingewiesen, daß diese mit Arkaden-reihen versehenen Zeichnungen wahrscheinlich die »Vorstellung von einemPalatium« erwecken sollten 13.

Völlig aus dem Rahmen fallen jedoch einige Signa, die unzweifelhaft die Ge-stalt von Bauwerken haben.

Auf einer 958 in Fritzlar ausgestellten Urkunde (DO I 190) findet sich als Re-kognitionszeichen die perspektivische Abbildung einer turmlosen, wahrschein-lich dreischiffigen romanischen Basilika (Abb. 6). Die Felsen, auf denen das Ge-bäude steht, sollen vielleicht die Lage auf einem Berghang andeuten. Tatsächlichliegt die Fritzlarer Peterskirche auf einer Anhöhe über dem Tal der Eder.

Eine besonders fein ausgeführte Zeichnung weist eine im 11. Jahrhundert fürdas Bistum Würzburg gefälschte Urkunde auf (DO 1454). Der Fälscher benutzteoffenkundig eine echte Urkunde aus der Zeit des Kanzlers Liudolf, aus der wahr-

) 2 Pet erR ü c k , Bildberichte vom König (wie Anm. 3), S. 8.13 The 0 do r Sic k el, Beiträge zur Diplomatik (wie Anm. 8), S. 23.

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Quedlinburger Urkundenstudien 69

Abb. 5 DO Jl 24 St. Gallen 972 August 14 für Kloster Einsiedeln, Stiftsarchiv Einsiedeln

scheinlich auch das Rekognitionszeichen stammt. Trotz der beiden Kreuze aufden Giebelseiten erweckt das Bauwerk mehr den Eindruck einer Königs- oderBischofspfalz als den eines Gotteshauses (Abb. 7). Um das Abbild eines Pala-tium handelt es sich wohl auch bei dem Signum auf einer 967 in Mühlhausen fürFulda ausgestellten Urkunde (DO II 13), die ein hochragendes Bauwerk inSeitenansicht zeigt (Abb. 8). Auch in Mühlhausen gab es in ottonischer Zeit einenKönigshof, der sicher auch mit einem Pfalzgebäude ausgestattet war!".

Die faszinierendste, in ihrer Art gänzlich aus dem Rahmen fallende Zeichnungfindet sich jedoch auf einer 956 in Magdeburg ausgestellten Urkunde fürSt. Michael zu Lüneburg (DO I 183). Wie die Quedlinburger Urkunden ist sievon dem unter Kanzler Liudolf tätigen Notar LF geschrieben worden. Der Notarhat sich, wie bereits Sickel bemerkte, sogar mit einigem Erfolg um eine per-spektivische Darstellung bemüht (Abb. 9 und 10). Über einem mächtigen Un-terbau mit einem hohen Eingangsportalliegt ein geräumiger Altan, der nach zweiSeiten durch große Bögen geöffnet ist, während an der Rückfront eine Tür insInnere führt. Dargestellt ist ganz eindeutig die Vorhalle eines repräsentativen Ge-bäudes. Die Zeichnung ist so ungewöhnlich, daß sie wohl nicht der Phantasieihres Urhebers entsprungen, sondern der Realität entnommen sein dürfte. DieAusgrabungen des Magdeburger Pfalzbereiches haben ergeben, daß die PfalzOttos des Großen ein repräsentatives, auf Grund der spärlichen Grabungsbefunde

14 Mic h a e I Go c k el, Die deutschen Königspfalzen, Band 2: Thüringen, Lieferung 3,Göttingen 1986, S. 258-318 (Mühlhausen).

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70 Hans K. Schulze

Abb.6 DO 1190 Fritzlar 958 Januar 12für Kloster Meschede, Staatsarchiv Münster

Abb. 7 DO J 454 974 Rohr August 15 Fälschung 11. Jahrhundert für Würzburg,Staatsarchiv München

allerdings nicht leicht zu rekonstruierendes Bauwerk gewesen ist". So darf manmit der gebotenen Vorsicht die Vermutung äußern, daß uns in dem so unge-wöhnlichen Rekognitionszeichen eine Darstellung des Eingangsbereiches derMagdeburger Pfalz überliefert wird.

15 Ern s t Nie k e l , Magdeburg in karolingiseh-{)ttoniseher Zeit. In: Vor und Frühformender europäi ehen Stadt im Mittelalter, Teil I, Göttingen 1973 (Abhh. d. Akad. d. Wiss. inGöuingen, Philolog.-hist. Kl., 3. Folge, Nr. 83), S. 294-331; Cor d Me e k s e per, Das

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Quedlinburger Urkundenstudien 71

Abb.8 DO 1113 967 Mühlhausen Januar 18für Kloster Fulda, Staatsarchiv Marburg

Ungewöhnlich sind auch die Rekognitionszeichen einiger in Ravenna vonOtto 1. und Otto Il. am 11. April970 ausgestellten Urkunden für das Kloster Hil-wartshausen aus (DO I 395, DO II 20). Ihre kompakten Rekognitionszeichenwerden von Peter Rück als Abbildungen des Stadt- oder Hafentores von Ravennagedeutet (Abb. 11 und 12). In den auffälligen Verzierungen an den Pfeilernglaubt er, »mächtige Kettenzüge« erkennen zu können. Die Diplome sind von ei-nem Schreiber mundiert, der nicht der Reichskanzlei angehörte und dem der Sinnder Rekognitionszeichen wohl völlig fremd war. Interessant ist auch die unge-wöhnliche Ortsangabe in beiden Urkunden: actum civitate Ravennaforis murumprope civitatem. Vielleicht ist damit die außerhalb der Stadt bei San Apollinarein Classe gelegene Pfalz gemeint. Zu dieser Gruppe gehört noch eine auf Grundvon DO I 395 angefertigte Fälschung des 11. Jahrhunderts (DO I 451) miteinemähnlichen Rekognitionszeichen (Abb. 13). Aus Ravenna stammt ferner eine Ur-kunde zweifelhafter Originalität für St. Maximin zu Trier vom 29. März 970(DO I 391). Das Ausstellungsdatum paßt durchaus ins Itinerar des Kaisers, undgerade das ungewöhnliche Rekognitionszeichen spricht für die Echtheit desStückes (Abb. 14); denn ein Fälscher hätte sich durch ein so gravierend von allen

Palatium Ottos des Großen in Magdeburg. In: Burgen und Schlösser 27,1986, S. 101-115;Ger ha r d Leo pol d , Archäologische Ausgrabungen an Stätten der ottonischen Herr-scher (Quedlinburg, Memleben, Magdeburg). In: Herrschaftsrepräsentation im ottonischenSachsen, hrsg. von Ger d A It h o f f, Ern s t Sc hub e r t , Sigmaringen 1998 (Vor-träge und Forschungen XLVI), S. 33-76, zur Pfalz S. 45.

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Abb.9ll0DO J 183 Magdeburg 956 August 13für St. Michael in Lüneburg,Staatsarchiv Hannover

onst gebräuchlichen Formen abweichendes Signum verraten, zumal ihm inTrier genügend echte Diplome als Vorlagen zur Verfügung gestanden hätten. Miteiniger Phantasie darf man sagen, daß das Signum mit seinen klaren Linien undFormen die Vorstellung von einem antiken Bauwerk erweckt.

Theodor Sickel hat als einer der ersten die verschiedenen Typen der Reko-gnitionszeichen untersucht und klassifiziert. Er hat in diesem Zusammenhang

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Quedlinburger Urkundenstudien 73

Abb. 11 DO I 395 Ravenna 970 April 11 für Kloster Hilwartshausen,Staatsarchiv Hannover

Abb. 12 DO II 20 Ravenna 970 April 11für Kloster Hilwartshausen,Staatsarchiv Hannover

festgestellt, daß der Typ der Rekognitionszeichen in Form von »architektoni-sehen Bildern«, die sich seit 956 recht häufig nachweisen lassen, einen ganzfrühen Vorläufer in einer Urkunde Ottos I. aus dem Jahre 940 haben: »Aus denersten Jahren Ottos ist mir nur ein einziger Fall bekannt: Notker von St. Gallenverzierte Stumpf 83 mit einem Kirchlein-s". Der Schreiber dieser Urkunde, einer

16 The 0 d 0 r Sic k el, Beiträge zur Diplomatik (wie Anm. 8), S. 22.

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Abb. J3 DO /451 Ravenna 970 April11 für Kloster Hilwartshausen, Fälschung aus dem11. Jahrhundert, Staatsarchiv Hannover

Abb. 14 DO I 391 Ravenna 970 März 29 für St. Maximin in Trier,Nationalbibliothek Paris

Immunitätsbestätigung für St. Gallen (DO I 25), führt zwar den Titel notarius undrekognosziert an Stelle des Erzkanzlers POppOI7, gehörte aber nicht zu den stän-digen Mitgliedern der Kanzlei, sondern hielt sich aus anderen Gründen am kö-niglichen Hof auf. Neben dem Immunitätsprivileg für das Galluskloster hat er

17 Notker notarius ad vicem Popponis archicancellarii scribendo recognofeci et subscripsi

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einen Tag später eine Schenkungsurkunde für das Bistum Chur geschrieben (DOI 26), wie Sickel nachgewiesen hat". Ob er sich am Königshof aufhielt, um dieBestätigung der Immunitätsurkunde Heinrichs I. (DH I 12) für sein Kloster zuerwirken oder als Leibarzt Ottos des Großen tätig war, wie es die spätere SanktGaller Überlieferung wissen will, mag dahingestellt bleiben". Jedenfalls ist esziemlich sicher, daß unser Notker notarius mit dem nicht nur medizinisch, son-dern auch künstlerisch begabten Sankt Galler Mönch identisch ist, der vonEkkehard IV. doctor, pictor; medicus genannt wird-", Von ihm wird überliefert,daß er Wand- und Deckenrnalereien angefertigt hat und auch als Miniaturmalertätig war, so daß man diese für die frühe Zeit so ungewöhnliche Form des Reko-gnitionszeichens als Ausdruck seiner künstlerischen Neigungen werten darf(Abb.15).

Interessant ist in unserem Zusammenhang die Tatsache, daß die Urkunde inQuedlinburg ausgestellt worden ist. Die Frage, ob der Sankt Galler Klosterbru-der von der neuen Quedlinburger Stiftskirche mit dem Grab Heinrichs I. so be-eindruckt war, daß er statt des üblichen Rekognitionszeichens eine Architektur-zeichnung anfertigte, läßt sich natürlich nicht beantworten. Das Rekogni-tionszeichen der von Notker geschriebenen Urkunde für Chur hat die unter demKanzler Brun, dem Bruder Ottos I. und späteren Erzbischofs von Köln, üblicheForm des »Bienenkorbes«.

Man kann der von Theodor Sickel vorgenommenen und von Peter Rück ak-zeptierten Deutung als Kirche wohl zustimmen. Die sehr saubere Zeichnung läßtsich mit einiger Sicherheit als das Abbild der Westfassade einer Kirche mit einerVorhalle, die sich in fünf Arkaden öffnet, deuten. Das Fehlen eines Kreuzesspricht nicht dagegen, da ein solches auch auf dem sicher als Kirchengebäude zuidentifizierenden Signum von DO I 190 (vgl. Abb. 6) fehlt. Erstaunlich ist, daßder S1.Galler Mönch einem Rekognititonszeichen eine Gestalt gab, die die For-men vorwegnahm, die erst 16 Jahre später der in der Reichskanzlei tätige NotarLF mehrfach gebrauchte.

18 The 0 d 0 r Sic k el, Über Kaiserurkunden in der Schweiz. Ein Reisebericht, Zürich1877, s. 10.

19 J 0 h ann e s Duft, Notker der Arzt. Klostermedizin und Mönchsarzt im frühmittelal-terlichen St. Gallen, St. Gallen 1977, speziell S. 56; Der s ., Der Arzt Notker Piperisgra-num (t 975). Notker Pfefferkorn in den Sankt-Galler Quellen. In: Der s ., Die AbteiSt. Gallen. Ausgewählte Aufsätze, Bd. 2, Sigmaringen 1991, S. 149-164. Das künstlerischgestaltete Rekognitionszeichen Notkers, das eine sichere Hand verrät, ist der Aufmerk-samkeit Dufts offensichtlich entgangen.

20 Ekkehard IV., St. GaUer Klostergeschichten (Casus sancti Galli) Kapitel 74.

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Abb. i5DO /25Quedlinburg 940April7 fürSt. Gallen,StiftsarchivSt. Gallen

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Aufgefallen waren Sickel, als er sich mit dem Typus der Signa in Form von»architektonischen Bildern« beschäftigte, auch die beiden einander so ähnlichenSubskriptionszeichen von DO I 184 und 186: »Am weitesten ausgeführt ist dieZeichnung in St. 246 und 248 für Quedlinburg: auf einem Felsen erhebt sich einstarker Unterbau mit crenelierter Mauer, auf diesem eine Kirche oder ein Pala-tium mit einem Turm: offenbar soll Quedlinburg dargestellt werdene",

Diese Vermutung Sickels kann durch einige Beobachtungen gestützt werden.Schon Rudolf Köpke hatte in einer Anmerkung in den Jahrbüchern des Deut-schen Reiches festgestellt, daß die herausragende Lage des Stifts auf demSchloßberg bereits im Frühmittelalter die Menschen tief beeindruckte>. In meh-reren Quellen wird die ins Auge fallende topographische Situation der Burg unddes Stifts hervorgehoben. In der Gründungsurkunde Ottos I. von 936 heißt es,der König habe dem Konvent urbem in Quidilingoburg supra montem construc-tam geschenkt (DO I 1).Auch 961 wird die Lage des Stifts auf dem Berg betont:monasterium in monte constructum (DO I 228). Noch deutlicher heißt es in ei-ner Urkunde Ottos Il. von 974: monasterium Quidilingeburg in honore sanctiServatii Christi confessoris supra rupis arcem orientem versus eminentem divinoconstructum servitio (DO Il 78). Die Armales Quedlinburgenses sprechen zu 936vom coenobium in monte Quedelingensi, zu 984 von der iam dictam Quedelin-gensis monticuli vertice eminentem usque civitatem, und zum Jahr 1000 berich-ten sie, Otto Ill. habe das Osterfest in ipso monte, ubi sanctimoniales [eminaeritu canonico regulariter Christo deserviunt, gefeiert. Köpke erwähnt auch dieRekognitionszeichen: »Man mag dazu auch noch auf den Umstand hinweisen,daß auf den älteren Urkunden für Quedlinburg nicht selten eine Burg mit einemKreuz auf Felsenspitzen erscheint«.

Auf den Wunsch des Notars, in den beiden Rekognitionszeichen die Wirk-lichkeit darzustellen, deutet auch die Tatsache hin, daß er nicht nur den Versuchunternahm, eine perspektivische Zeichnung zustande zu bringen, sondern auchdie geographische Situation des Bauwerkes darzustellen (vgl. Abb. 1-4). DieBurg erhebt sich auf einem sehr steilen Berg, dessen Felsformationen deutlichabgerundet sind. Das entspricht ganz offensichtlich den Gegebenheiten in Qued-linburg, wo die abgeschliffenen Sandsteinfelsen, »die Klippen«, am Südwestab-hang des Schloßberges noch sichtbar sind. Die recht sorgfältig ausgeführteZeichnung auf DO J 184 zeigt den Blick von Osten her auf den Schloßberg. DieFelsformationen sind heute in diesem Bereich nicht mehr sichtbar, da sie in spä-

21 The 0 do r Sic k el •Beiträge zur Diplomatik (wie Anm. 8), S. 23.22 R u d 0 f f K ö P k e, Ern stD ü m m le r, Kaiser Otto der Große (Jahrbücher der

Deutschen Geschichte), Leipzig J 876, S. 44, Anm. 3.

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terer Zeit durch die gewaltigen Stützmauern für die Gartenanlagen des Schloß-berges überbaut worden sind.

Offenkundig ist die Darstellung des Quedlinburger Schloßberges stilisiert.Wie weit die kleine Zeichnung hinsichtlich der Baugestalt von Burg und Kirchedie Realität des Jahres 956 widerspiegelt, ist schwer zu sagen. Die Analyse derErgebnisse der Ausgrabungen innerhalb der Stiftskirche haben zu unterschiedli-chen Deutungen und Rekonstruktionen der Baugeschichte der Stiftskirche ge-führt23. Vergleicht man die verschiedenen Rekonstruktionsversuche mit denbeiden Rekognitionszeichen, so stützen diese am ehesten die Überlegungen vonWemer Jacobsen, der die Auffassung vertritt, die Pfalzkapelle, die nach seinerAuffassung ein kompakter quadratischer Bau mit einer halbrunden Apsis gewe-sen ist, habe zunächst als Stiftskirche gedient und sei erst am Ende des 10. Jahr-hunderts durch eine größere Kirche ersetzt worden. So wird man mit Vorsichtfeststellen dürfen, daß sich in den Rekognitionszeichen von 956 Wirklichkeit,symbolik und Phantasie verbinden und der Quedlinburger Schloßberg für dasvon gewaltigen Mauem geschützte Haus Gottes, das auf den beiden Urkundenzu sehen ist, Modell gestanden hat. Wenn nicht alles täuscht, haben wir die älte-ste identifizierbare, einigermaßen der Wirklichkeit entsprechende Darstellungeiner frühmittelalterlichen Burganlage vor uns.

ABBILDUNGSNACHWEIS

Abb.5-14:Abb.15:Karte:

Erath, Codex diplomaticus Quedlinburgensis, 1764, S. 9.Landesarehiv Magdeburg - Landeshauptarchiv, Rep. U 9 A,la 9 und 11.Lichtbildarchiv älterer Originalurkunden, Marburg/Lahn.Stiftsarchiv St. Gallen, A 1 A 10.Ruth Steinberg, Die Mark Lipani (wie Anm. 4), S. 275.

Abb.1I2:Abb.3/4:

23 Her m ann W ä s c her, Der Burgberg in Quedlinburg. Geschichte seiner Bauten biszum ausgehenden 12. Jahrhundert nach den Ergebnissen der Grabungen von 1938 bis 1942(Deutsche Bauakademie. Schriften des Instituts fur Theorie und Geschichte der Baukunst),Berlin 1959; Ger h a r d Leo pol d , Die Stiftskirche der Königin Mathilde in Quedlin-burg. Ein Vorbericht zum Gründungsbau des Damenstifts. In: Frühmittelalterliche Studien25, 1991, S. 145-170; Wer n er J a cob sen, Zur Frühgeschichte der QuedlinburgerStiftskirche. In: Denkmalkunde und Denkmalpflege. Festschrift für Heinrich Magirius,

Dresden 1995, S. 63-72.