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 Biodynamische Landwirtschaft I Ausgewählte Vorträge aus Bildung und Weiterbildung 2008

Sammelband Biodynamische Landwirtschaft I

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8/16/2019 Sammelband Biodynamische Landwirtschaft I

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BiodynamischeLandwirtschaft I

Ausgewählte Vorträge aus Bildung und Weiterbildung 2008

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Biodynamischer Landbau

Biodynamische Landwirtschaft IEine Auswahl von Vorträgen

aus Bildung und Weiterbildung 2008 

Herausgeber:Lehr- und Forschungsgemeinschaft

für biodynamische Lebensfelder

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Danksagung, Impressum

Danksagung 

Die Lehr- und Forschungsgemeinschaft

für biodynamische Lebensfelder bedankt sich beiden Referentinnen und Referenten für die Beiträge.

Dank für die f inanzielle Unterstützung zurHerausgabe dieses Sammelbandes:

Impressum:Herausgeber:

Lehr- und Forschungsgemeinschaftfür biodynamische Lebensfelder

In der Auen 5438583 Edelschrott

Tel: 03144 35 45

Für den Inhalt verantwortlich:Die Autorinnen und Autoren.

Die Vorträge wurden vonHörerinnen und Hörern bearbeitet

und nach Rücksprache mit denReferentinnen und Referenten

von diesen zur Veröffentlichung freigegeben.

Redaktion: Waltraud Neuper mittechnischer Unterstützung von

Helga PietschLayout, Satz, Bildbearbeitung: Siegfried ReiterGesamtherstellung: Druckerei IRIS, Judenburg

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Vorwort

Die biologisch-dynamische Landwirtschaft fußt auf

den geisteswissenschaftlichen Forschungen von Rudolf

Steiner. Damit setzt sie sich von anderen Strömungen

innerhalb der Ökologischen Landwirtschaft ab. IhrBlickwinkel ist nicht nur naturwissenschaftlich begrün-

det, sondern auch geisteswissenschaftlich verortet

und reflektiert. In Interpretationen aber auch Erkennt-

nisweisen oder Modellen liefert sie einen erweiterten,

man könnte auch sagen grundlegend anderen Zugang

zu den Naturwissenschaften, ohne dass deren her-

kömmliche Wissensbestände in Frage gestellt werden.

Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften ste-

hen in einem wechselseitigen Verhältnis. Dieser eigene

Zugang wird auch in der Sprache erfahrbar. Begriffe wie

„Gestaltbildung, Erdorganismus,

Pflanzenseele oder Kräftebewegung“ oder Formulie-

rungen wie „die Geste des Wachstums“ erschließen

neue Erkenntnisfelder für den Umgang mit der Natur.

Die rege Teilnahme der Studierenden an diesem Frei-fach unterstreicht, dass diese an unterschiedlichsten

Zugängen zur Landwirtschaft interessiert sind. Dieser

Reader umfasst von den Studierenden erstellte Texte,

basierend auf den Vorträgen der Fach-ReferentInnen.

Die Texte stellen einen Versuch dar, ein Abtasten im

Umgang mit der durchaus anspruchsvollen biolo-

gisch-dynamischen Landwirtschaft und deren Grundle-

gungen. Sie dienen einem internen LeserInnenkreis zur

Orientierung. Sie bedürfen noch einer weiteren Diskus-

sion und der Vertiefung.

Univ.Prof. Dr. argr. biol. Bernhard Freyer 

Vorwort

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Inhaltsverzeichnis

Einführung in die goetheanistischeErkenntnisweise anhandder Metamorphose der PflanzeReinhild Frech-Emmelmann 59

Annäherung an den ErdapfelOskar Grollegger 67 

Zum Tier in der biodynamischen Landwirtschaft:

Zum Wesen des HaustieresElisabeth Stöger 74

Biodynamische Betrachtungen über das Tier(ische)in der Landwirtschaft und in uns -

Überlegungen zur Haustierhaltung hinsichtlich derAuswirkung auf den landwirtschaftlichen OrganismusWilhelm Erian 80 

Praktische Maßnahmen zur Parasitenregulierungbei Schaf und ZiegeHannes Neuper 93

Tierzucht im geschlossenen Organismuseiner LandwirtschaftLeopold Selinger   96

Neue Kooperationsformen in der LandwirtschaftDie Regionalwert-AG: eine BürgeraktiengesellschaftChristian Hiß 104

Kulturphilosophische Betrachtung:

Biodynamischer Landbau als Antwort auf dieKultur- und Ökologiekrise in der LandwirtschaftWaltraud Neuper 108 

Autorenliste 118

Danksagungen, Impressum 3 

Vorwort Bernd Freyer 4

Einleitung Waltraud Neuper 6

Biodynamik als ganzheitlicher Ansatz:

Etwas zum Verständnis desanthroposophischen Weltbildes

 Johannes Zwiauer   9

Geistige Grundlagen der biodynamischenLandwirtschaft Johannes Toegel 12

Zur Bildekräfteforschung:

Was ist die besondere Qualität von Produktenaus biodynamischem Anbau?Markus Buchmann 23

Etwas über den OrganismusUrsula Kothny 29

Der landwirtschaftliche OrganismusRudolf Keiblinger-Bartsch  34

Über den Prozess des Potenzierens Johannes Zwiauer 38 

Zwei Vorträge zum Themenkreis Boden:

Der Boden als lebendiger OrganismusWalter Sorms 39

Grundelemente der Umwandlungs-prozesse während der KompostierungFlorian Amlinger 44

Zum Wesen der Pflanze:

Einführung in das Wesen der PflanzeBertold Heyden 52

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Seite 6

Einleitung

Einleitung:

Biodynamischer Landbau wurde seiner Idee nach im

Rahmen einer „Bildungsveranstaltung“ - dem Kober-

witzer Kurs - grundgelegt. Bauern luden Rudolf Steiner

ein, etwas zur Landwirtschaft zu sagen. Diese Bauern

verspürten den Antrieb, sich in Fragen ihrer landwirt-

schaftlichen Arbeit Rat und Anregungen zu holen. Zwei

Aspekte sind dabei bemerkenswert: Zum einen luden

sie mit dem Anthroposophen Rudolf Steiner einen mit

Landwirtschaft in keiner Weise befassten Referenten ein.Zum anderen trat das Phänomen auf, dass diese Bauern

sich selbst weiterbilden wollten, um den zunehmenden

Problemen in der Landwirtschaft begegnen zu können.

Diese Tatsache kann gar nicht hoch genug bewertet

werden: Ihre Initiative drückt das Bedürfnis und die Ab-

sicht aus, dass sie sich ein Bild machen wollten von den

Zusammenhängen und Prozessen in einer durch neueMethoden sich verändernden Landwirtschaft. Hier ha-

ben sich Initiative und Impuls verbunden. Auf diesen

beiden Eckpfeilern – Initiative und Impuls – entwickelte

sich die biodynamische Landwirtschaft.

Die gegenwärtig sich beschleunigenden Verände-

rungen in allen Bereichen der Landwirtschaft, die zuneh-

mende Orientierung an technischer Machbarkeit bestim-men die neuen Wertegrundlagen und Zielvorgaben.

Daran kann auch die biodynamische Landwirtschaft

nicht vorbeischauen. Sie muss den Diskurs darüber füh-

ren, welche Bedeutung sie innerhalb dieses Geschehens

erlangen will. Da treten naturgemäß zuallererst Fragen

auf; solche nach der Anpassung in der technischen

Aufrüstung, oder der Lockerung der strengen Richtli-

nienvorgaben, z.B. bezüglich der Tierhaltung. Solche

Überlegungen rütteln am konzeptionellen Gefüge und

somit am grundlegenden Selbstverständnis der biodyna-mischen Landwirtschaft.

Daraus formuliert sich gewissermaßen eine existen-

zielle Entscheidungsfrage: Leiten allein die Richtlinien

die biodynamische Arbeit oder intendiert die bewusst-

seinsmäßige Durchdringung der geistigen Grundlagen

das Tun?

Diese reflexive Fragestellung führte zur Erkenntnis,dass ein Raum für Bildung geschaffen werden muss.

Es geht darum, uns ein Bewusstsein von den geistigen

Grundlagen der biodynamischen Landwirtschaft zu er-

arbeiten. Das ist von jedem Einzelnen und gleichzeitig

von der Gemeinschaft zu leisten. Im Herbst 2008 wurde

dieser „Bildungs-Raum“ mit dem Beginn der Weiterbil-

dung für praktizierende Biodynamiker eröffnet. Zu denGrundthemen Boden, Pflanze, Tier und Organismus

wurde jeweils ein Vortrag gehalten. Es ging vorerst ein-

mal darum, sich ein Bild vom Naturverständnis in der

biodynamischen Landwirtschaft zu erarbeiten. Das be-

deutet,

•die Viergliederung beziehungsweise die Dreiglie-

derung kennen zu lernen,•das Wesen der Pflanze in Verbindung mit der Me -

tamorphose und der Urpflanze zu erfassen,

•das Tier in seiner Beziehung zum Menschen und

in seiner Bedeutung für die biodynamische Land-

wirtschaft zu begreifen und

•den Organismus als Ganzes zu verstehen, ohne

seine Teile aus den Augen zu verlieren.

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Seite 7

Einleitung

In diesem Sinne soll dieser Sammelband verstanden

werden als ein Zusammentragen jener Bilder, welche in

dieser Weiterbildungsreihe entstanden sind.

Darüber hinaus sind einige Vorträge, welche im Rah-

men der Ringvorlesung „Biologisch-dynamischer Land-

bau“ gehalten wurden, von Studierenden für diese Samm-

lung bearbeitet in Schriftform übertragen worden.

Weiters finden sich in diesem Sammelband Beiträge

aus den Bauern-Arbeitsgruppen.Die Auswahl soll drei Aspekte dokumentieren: die

Ebenen der geistigen Auseinandersetzung mit der Biody-

namik sollen sichtbar, die Themenvielfalt dokumentiert

werden und der Hinweis darauf, dass wir mit dieser Ar-

beit am Anfang stehen, soll nicht fehlen.

Die Anordnung der Themen orientiert sich an den na-

türlichen Gegebenheiten in der Landwirtschaft: Boden,Pflanze, Tier, Mensch und Organismus.

Der Vortrag von Walter Sorms nähert sich von seinen

praktischen Erfahrungen ausgehend an den Boden an.

Es gelingt ihm, den oft und durchaus auch missverständ-

lich gebrauchten Begriff des Bodenlebens differenziert in

einen, mit der Praxis sich verbindenden Zusammenhang

zu bringen. Indem Walter Sorms immer wieder Bezugnimmt auf seine tägliche Arbeit, gewinnt der Vortrag eine

plastische Dimension.

Florian Amlinger bietet mit seiner Darstellung einen

völlig anderen Zugang zum Thema Boden. Er versucht

anhand vieler Diagramme, Bilder und Skizzen darzule-

gen, wie abgestorbene organische Substanzen durch die

Kompostierungsprozesse in neues Lebendiges über ge-

führt werden können. Er dokumentiert dabei die hervor-

ragende Bedeutung des Stallmistes für den Humusauf-

bau des Bodens. Ein geistig und sinnlich eindrucksvollesErlebnis ist die Einführung in das Wesen der Pflanze

durch Bertold Heyden. Mit feinfühligem Spürsinn führt

er die Bauern und Bäuerinnen hin zur Metamorphose

der Pflanze im Stile der goetheanistischen Naturbetrach-

tung. Seine derzeitige Züchtungsarbeit an Wildgräsern

bildet den zweiten Schwerpunkt. Dasselbe Thema hat

Reinhild Frech-Emmelmann für die Studierenden derRingvorlesung „Biologisch-dynamischer Landbau“ ent-

wickelt. Auch hier ruft diese Betrachtungsweise Stau-

nen hervor. Beide Vorträge machen darauf aufmerksam,

dass im Umgang mit der Pflanze übende Betrachtung

von großer Bedeutung ist. Zum Themenkreis Pflanze ist

in diesen Sammelband auch ein Beitrag aus der Arbeit

der regionalen Bauern-Arbeitsgruppen aufgenommenworden. „Die Annäherung an den Erdapfel“ von Oskar

Grollegger enthält einige Hinweise, wie die Saatgutquali-

tät von Erdäpfeln verbessert werden kann.

Damit verlassen wir das Naturreich der Pflanze und der

Vortrag von Willi Erian führt uns in erzählend anschau-

licher Form an das Tier(ische) in der Landwirtschaft und

in uns heran. Elisabeth Stögers Ausführungen zum We-sen des Haustieres erweitern das Bild in Richtung Dome-

stikation und eine Praxisanleitung von Hannes Neuper

zur Parasitenregulierung bei Schafen und Ziegen zeigen

einen relevanten Zusammenhang von Haltung, Fütte-

rung und Krankheit auf.

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Einleitung

Die Beiträge, die im vierten Teil zusammengefasst

sind, können als jene gesehen werden, welche die drei

Grundthemen Boden - Pflanze - Tier zum Teil verbinden

oder in der einen oder anderen Weise grundlegen. Sowerfen die beiden Kurzvorträge von Johannes Zwiauer

über die Viergliederung der Natur und die Dreigliederung

jedes Organismus ein Licht auf das anthroposophische

Welt- und Naturverständnis. Ursula Kothny weist mit ih-

ren Gedanken über den Organismus darauf hin, dass je-

des Lebendige immer ein Ganzes ist – auch der Hoforga-

nismus – und Johannes Toegel spricht über die geistigenGrundlagen der biodynamischen Landwirtschaft.

Markus Buchmann berichtet über die Bildekräftefor-

schung und macht damit auf die unterschiedlichen Arten

von Wahrnehmung aufmerksam.

Christian Hiß spricht über die Suche nach neuen Ko-

operationsformen in der Landwirtschaft und stellt in

diesem Zusammenhang die „Regionalwert-AG – Bür-geraktiengesellschaft“ als einen solchen Kooperations-

versuch vor. Im Beitrag der Herausgeberin werden die

Themenbereiche auf die Frage hin orientiert, ob und wie

die biodynamische Landwirtschaft eine Antwort auf die

ökologische und kulturelle Krise in der Landwirtschaft

sein könnte.

Dieser Sammelband ist kein Lehrbuch. Er stellt viel-mehr das Wagnis dar, die Vorträge von ausgewiesenen

Fachleuten nicht in Manuskript-Form zu übernehmen,

sondern durch interessierte Hörer und Hörerinnen be-

arbeiten zu lassen. Diese Bearbeitungen erfolgten in Ab-

sprache mit den Referenten und Referentinnen.

Ein Teil der Vorträge wurde im Rahmen der Weiterbil-

dung für praktizierende Biodynamiker gehalten. Diese

Weiterbildung wurde im Herbst 2008 begonnen. Die

Besonderheit dieser Weiterbildungsreihe liegt in demUmstand, dass ein und derselbe Vortrag des jeweiligen

Referenten oder der jeweiligen Referentin an drei auf ei-

nander folgenden Tagen in Niederösterreich, in Kärnten

und in Slowenien gehalten wurde. Das trug dazu bei,

dass viele Bauern und Bäuerinnen an der Veranstaltung

teilnehmen konnten.

Im Herbst startete auch die Ringvorlesung „Biolo-gisch-dynamischer Landbau“ am Ökologischen Insti-

tut der Universität für Bodenkultur in Wien. Aus dieser

Reihe wurden sechs Vorträge für diese Sammlung aus-

gewählt. An dieser Stelle sei die großzügige Unterstüt-

zung durch Sponsoren dankbar erwähnt. Die Vorlesung

konnte durchgeführt werden, weil die Firmen Weleda,

Lackner&Lackner Wüstensalz, der Wurzerhof in St. Veit,Frau Doris Edler und Herr Willi Rosen den notwendigen

Geldbetrag zur Verfügung gestellt haben.

In Anbetracht der subjektiven Zugänge zu den The-

men ist es erstaunlich, dass letztendlich das Biodyna-

mische eine Klammer schaffen konnte, innerhalb wel-

cher die unterschiedlichen Ansätze ohne Widersprüche

in Erscheinung treten konnten. Und es ist ausschließlichdie Sicht der biodynamischen Landwirtschaft, welche in

den Beiträgen zum Ausdruck kommt.

Mauterndorf, 30.März 2009

Waltraud Neuper 

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Anthroposophisches Weltbild

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Etwas zum Verständnis desanthroposophischen Weltbildes Johannes Zwiauer  

Die Viergliederung der Natur Im anthroposophischen Weltbild basiert die Glie-

derung der Natur auf vier Daseinsweisen. Sie werdenelementar unterschieden nach der Ebene des Minera-lischen, des Pflanzlichen und des Tierischen.

Der Mensch lebt im Zusammenhang mit der Natur undhat eine unauflösbare Beziehung zu den Naturreichen.

Durch sein Ich-Bewusstsein, durch seine Fähigkeit zugeistigen Aktivitäten konstituiert er eine vierte Ebene.

Er hat Anteil• am Mineralischen durch das Stoffliche inseinem Körper,

• am Pflanzlichen durch die Lebensprozesse und• am Tierischen durch die Empfindung.

Im Mineralreich finden wir jene Substanzen, welcheaus dem Lebensprozess ausgeschieden wurden und da-mit als tot bezeichnet werden. Auch im menschlichenOrganismus werden ständig Substanzen aus dem Le-bensprozess ausgeschieden. Als Bild diene uns hier dieVerhornung oder Verknöcherung solcher Substanzen inden Nägeln oder den Knochen.

Im Pflanzenreich haben wir es mit den Lebensprozes-sen zu tun. Diese zeigen sich hier besonders stark; mandenke daran, dass wir der Pflanze etwas wegschneidenkönnen und sie treibt wieder aus. Diese Eigenschaft fin-den wir in diesem Ausmaß nur bei der Pflanze.

Mit dem Tier verbindet den Menschen die Fähigkeitzur Empfindung. Das Tier ist geleitet durch Empfin-dungen, Instinkte, Triebe und Begierden. Diese bildensein Seelenleben. Trägerin der Empfindung ist die Seele.

Das Tier ist ein fühlendes Wesen. Ausdruck des Fühlensist die Bewegung. Das Tier wird durch seine Triebe, seineBegierden und Instinkte bewegt.

Die Pflanze wird bewegt durch das Wachstum. Mandenke an eine keimende Kartoffel. Der Keim sucht sichseinen Weg zur Lichtquelle. Er wächst der Lichtquelleentgegen. Die Pflanze selbst kann sich nicht bewegen.

Mit dem Naturreich des Tieres verbindet den Men-schen das Triebleben, welches er angehalten ist durchsein Selbstbewusstsein zu reflektieren und zu durch-schauen. Dieser Zusammenhang beschäftigt die Philoso-phie schon seit sehr langer Zeit. Im letzten Jahrhundertwurden die damit zusammenhängenden Fragen Stoff derpsychologischen Fragestellungen und Untersuchungen.

Das Tier lebt ganz verbunden mit seiner Umwelt, istganz ausgeliefert an die Umwelt, ist ganz von ihr be-stimmt. Der Mensch stellt sich der Welt gegenüber, ob-jektiviert sie. Der Mensch trennt zwischen sich und derUmwelt, indem er Ich sagt. Hier bin ich und dort ist dieWelt. Dadurch konnte er ein Selbstbewusstsein ausbil-

den.Wir sind geneigt anzunehmen, dass der Mensch fä-

hig geworden ist, die Naturreiche des Mineralischen,Pflanzlichen und Tierischen in ihren Zusammenhängenzu erkennen und durch sein Bewusstsein eine geistigeDimension als vierte Ebene sichtbar zu machen. Zusam-menfassend können wir sagen, dass der Mensch so inden Naturreichen darinnen steht:

• durch das Sein ist er mit dem Mineralreich verbunden,• durch das Leben ist er mit der Pflanze verbunden,• durch die Empfindung ist er mit dem Tier verbunden,• durch den Geist transzendiert er die drei Naturreiche.

Diese hinzukommende geistige Qualität durchziehtden ganzen Menschen, bildet seine Individualität bis hi-

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Anthroposophisches Weltbild

Dazwischen vermittelt das Rhythmische System.

So stellt die Dreigliederung die Prozesse im physischenLeib dar.

Es fällt auf, dass jedes der drei Wesensglieder eine ei-gene, spezifische Verbindung mit der Außenwelt unter-

hält:Das Nerven-Sinnessystem nimmt über die Sinnesor-

gane Eindrücke von außen auf und leitet sie durch dasNervensystem weiter in den Körper hinein.

Das Rhythmische System ist durch die Atmung mit derAußenwelt in Kontakt.

Das Stoffwechselsystem ist über den Nahrungsstrommit der Außenwelt verbunden.

Die Dreigliederung hat eine ungeheure Bedeutung inBezug auf Gesundheit und Krankheit. 

nein in den Fingerabdruck, in seine Gestik und in seineGebärden. Alles an einem Menschen ist einzigartig, in-dividuell, einmalig. Das unterscheidet ihn vom Tier. Das

Tier lebt mehr im Gruppenhaften, im Instinktiven.Diese Viergliederung der Natur wird mit Blick auf denMenschen gerne begrifflich unterschieden nach demphysischen Leib (dichter-stoff licher Leib), Ätherleib (fein-stofflicher Leib), Astralleib (Seelenleib) und Ich-Leib.

Die Dreigliederungdes physischen Leibes

Auf der Ebene des phy-sischen Körpers könnenwir eine Dreigliederungerkennen:

(1) Nerven-Sinnessystem

(2) Rhythmisches System

(3) Stoffwechsel-Gliedma-ßensystem

Das Nerven-Sinnessystem und das Stoffwechsel-Glied-maßensystem stehen sich polar gegenüber:

Nerven-Sinnessystem Wachheit im BewusstseinDenkenAufnahme vonSinneseindrücken

Stoffwechsel-Gliedmaßensystem

völliges UnbewusstseinWollen

Aufnahme vonStofflichem

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Anthroposophisches Weltbild

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Zusammenfassend können wir feststellen:Der Mensch ist mit den Naturreichen des Mineralischen, des Pflanzlichen und des Tierischen über den Stoff, dieLebensprozesse und die Empfindungsfähigkeit verbunden und fasst diese drei Reiche durch sein Selbstbewusstsein

zur Einheit. Wir sprechen von Viergliederung.Auf der Ebene des Physischen gliedert sich die menschliche Organisation in drei Systeme: Das Nerven-Sinnessystem,das Rhythmische System und das Stoffwechsel-Gliedmaßensystem. Wir sprechen von Dreigliederung.

Dr. Zwiauer hat diesen Vortrag am 23.Jänner 2009 im Rahmen der Ringvorlesung gehalten.

STOFFWECHSEL-GLIEDMASSENSYSTEMHier finden alle physiologischen Abbau- und

Aufbauprozesse statt. Davon haben wir kein Be-wusstsein, außer über den Schmerz.

Das Nervensystem reagiert in diesem Bereichreflexiv. Es gibt keine Bewegung ohne Stoffwechsel

und keinen Stoffwechsel ohne Bewegung.Schlafbewusstsein

im Wollen

RHYTHMISCHES SYSTEMDas Herz und die Lunge sind die Träger

der rhythmischen Organisation.Der Rhythmus entsteht durch die Atembewegung:

ein und aus und ein;und durch den Blutstrom vom Herzenin die Peripherie und wieder zurück.

Traum- oder Halbbewusstseinim Fühlen

NERVEN-SINNESSYSTEMDas Zentralnervensystem ist

Träger unseres Selbstbewusstseins.In der Vorstellung, im Denken

sind wir Nervensinnesmenschen.Wachbewusstseinim Denken

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Seite 12

Geistige Grundlagen

Geistige Grundlagen derbiodynamischen Landwirtschaft Johannes Toegel 

Welche Art der Wahrnehmung ermöglichte es RudolfSteiner einen Vortrag über die Landwirtschaft zu halten,der bis heute von hoher Bedeutung für den biologischenLandbau ist, wo er selbst kein Bauer, Landwirt, oderAgrarwissenschafter war?

Worauf beruhen die so genannten „geisteswissen-

schaftlichen Grundlagen zum Gedeihen der Landwirt-schaft“?

Gibt es eine Brücke zwischen der modernen Natur-wissenschaft, auf deren Erkenntnissen das aktuelle Ver-ständnis der Wirklichkeit aufbaut und der so genanntengeistigen Wahrnehmung der Welt, welche die Grundlagefür die biodynamische Landwirtschaft darstellt?

Johannes Toegel erklärt diese Begriffe und Zusammen-hänge anhand anschaulicher Beispiele und herausfor-dernder Übungen, die dazu auffordern, aus herkömm-lichen Denk- und Handlungsmustern auszubrechen unddie Dinge und Zusammenhänge aus einem anderenBlickwinkel heraus zu betrachten.

Lebenszugang und geistige Wahrnehmung 

„Mein Lebenszugang zum Geistigen ist der Folgende:Ich hab’ mich vor längerer Zeit für drei Jahre in eine Ein-siedelei im Himalaya zurückgezogen und bei der Gele-genheit wirklich gelernt, was geistig sein heißt, oder wasGeist bedeutet. Und diesen Geist hab’ ich dann bei Ru-dolf Steiner wieder gefunden und deshalb steh‘ ich jetzt-

hier und sprech’ zu ihnen.“1

Was unter dem Begriff Geist im Zusammenhang mitder biodynamischen Landwirtschaft zu verstehen ist,

kann vielleicht eine Geschichte aus dem Leben des Vor-tragenden deutlich machen. Sie handelt von sehr prak-tischen Dingen, wie Feuer machen und Tee kochen, undspielt in einer einsamen Klause im Hochland des Hima-laya:

„Heißer Dampf steigt über den Tassen auf. Wir trinkenButtertee. Direkt über die Schalen mit Tsampa gegossen– die Grundnahrungsmittel der tibetischen Einsiedler.Ich bin zu Gast bei meinem Lehrer, um mit ihm ein paarschwierige metaphysische Fragen zu klären, aber er lässtmich nicht zu Wort kommen.

‚Wie geht es dir mit dem Feuer in der Höhle?‘

‚Mit dem Feuer? Nicht besonders. Man braucht tro-ckenes Holz um ein gutes Feuer zu brennen und ich

habe kein trockenes Holz.‘

Mein Lehrer lächelt und wir schlürfen unseren Tee.Wie ich wieder zu meinen Fragen ansetzen will, kommter mir zuvor.

‚Wie geht es mit dem Tee?‘

‚Auch nicht besonders. Was wir hier trinken ist aus-gezeichnet, aber daheim hab’ ich keine frische Milch undman braucht frische Milch um Buttertee zu machen.‘

Mein Lehrer lächelt wieder und ich gebe meine kompli-zierten Fragen auf. Dafür fange ich an mein Leben zuändern. Ich lerne Holz sammeln und trocknen.

1 Toegel

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Geistige Grundlagen

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Ich freunde mich mit den Hirten am Berg an, umfrische Milch zu bekommen. So lerne ich den Berg ken-nen, die Orte wo das Holz wächst und das Gras für die

Schafe. Wo das Dorf steht und was in den Herzen derMenschen vor sich geht.

Nach einer Weile sammle ich das Holz nicht mehr umFeuer zu machen, sondern um mit dem Berg in Berüh-rung zu bleiben. Ich besuche die Menschen nicht mehrallein um Milch und Butter zu bekommen, sondern vorallem um mit ihnen in Beziehung zu kommen.

An diesem Punkt beginnt der Berg sich mir zu öffnenund mit mir zu reden. Erst jetzt beginnt die Botschaftmeines Lehrers ganz in mich einzudringen und Früchtezu tragen. Meditation und Geist bedeuten mit der Erdeund dem Leben in Berührung zu sein und von dort hereine neue Dimension zu erschließen.“

Die geistige Ebene der Wirklichkeit

Unter Geist versteht man demnach weder die uns in-newohnende Vernunft, noch ein Gespenst, oder das, wasan einer geisteswissenschaftlichen Fakultät gelehrt wird.

In der Anthroposophie gibt es den Ansatz einer Drei-gliederung der Wirklichkeit in Materie, Leben und Geist.Im Rahmen dieser Dreigliederung, ist der Geist die um-fassendste, die komplexeste der drei Ebenen der Wirk-

lichkeit.

Dieser Geist ist etwas, das auch außerhalb unseresKopfes, außerhalb unserer Vorstellung passiert. GeistigeWahrnehmung ist eine Art Annäherung an die Wirklich-keit, aus der heraus ein Blick entsteht, mit dem man Din-ge sieht, die man vorher nicht gesehen hat.

Man sieht Zusammenhänge. Man schaut etwas lie-bevoller auf die Wirklichkeit und sieht immer deutlicherworum es geht. Und das ist der Hintergrund der biolo-

gischen und der biodynamischen Landwirtschaft.

Man schaut genau hin, wie die Natur sich entwickeltund handelt der Natur entsprechend. Man schaut genauhin, wie der Mensch sich entwickelt und schafft Nahrung- dem Menschen entsprechend.

Um sich nun dieser Art von Wahrnehmung anzunäh-ern, hilft ein weiteres Beispiel.

„Also wenn man auf unsere Erde von oben schaut,dann sieht man erst einmal hauptsächlich Materie unddie Gestaltungen der Materie. Und wenn man weiter-schaut, sieht man, es gibt Wasser, es gibt Flüsse. Undan den Flüssen und dort wo genug Wasser ist, entwi-ckelt sich so etwas wie sichtbares Leben: Wälder, Felder,Äcker, und so weiter. Und wenn man weiter schaut, sieht

man, dass sich über diesem Leben eine weitere Schichtaufbaut. Und das ist das, was wir die Schicht des Geistesnennen könnten.“2

 Materie – Leben – Geist

Das genannte Beispiel verdeutlicht unterschiedlicheKomplexitätsebenen. Um eine Wahrnehmung dafür zu

entwickeln kann man sich beispielsweise durch die fol-genden Übungen annähern.

Man versucht verschiedene Objekte in ihrer Ganzheitwahrzunehmen, indem man die Objekte einfach nur be-trachtet, ohne sich irgendwelche Gedanken über diesezu machen bzw. ohne irgendetwas in sie hinein zu inter-

2 Toegel

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Seite 14

Geistige Grundlagen

pretieren. Im Rahmen des Vortrags wurde mit einemKristall, einer Pflanze, einem Tier und dem Menschengearbeitet.

Der Kristall steht in diesem Zusammenhang für dieMaterie, die Pflanze und das Tier für die Verbindungvon Materie und Lebensebene und der Mensch steht fürdie Verbindung von materieller, lebendiger und geistigerEbene.

Jedem dieser Objekte wohnt eine gewisse Gefühlsqua-lität inne, die sich durch die Beobachtung gewissermaßenin einem selbst abbildet. Durch diese Betrachtungsweisekann das eigene Bewusstsein ein Stück weit die Gestaltdes betrachteten Objekts nachbilden. Man nimmt dieKomplexität und die Gesetze des Entstehungsprozessesder Objekte wahr und bildet diese sozusagen gefühlsmä-ßig nach.

Es ist auch möglich - vielleicht nur diffus, aber doch

spürbar - Unterschiede zwischen den verschiedenenKomplexitätsebenen wahrzunehmen. Der Mensch bei-spielsweise vereint mehrere Qualitäten des Lebendigen(des pflanzlichen und des tierischen Lebens) in sich. Erhat es aber sozusagen auf einer höheren Ebene gesam-melt. Ein Raum voller Tiere, wäre im Vergleich zu einemRaum voller Menschen, ein ziemliches Durcheinander.Beim Menschen ist diese Art der Unruhe beruhigt.

Durch diese Darstellung der Wirklichkeit wird erkenn-bar, dass sich das hier beschriebene Weltbild von demuns bekannten naturwissenschaftlich geprägten Weltbildgrundlegend unterscheidet.

Diese Tatsache führt uns zu der eingangs gestelltenFrage, ob es eine Brücke zwischen der modernen Natur-wissenschaft und der geistigen Wahrnehmung der Weltgibt.

Die nun folgende Darstellung soll einen Überblick überdie Gemeinsamkeiten der beiden Interpretationen derWirklichkeit geben und eine Möglichkeit zeigen, wie die

vorhandenen Unterschiede überbrückt werden können.

Zwei verschiedene Denksysteme

Abbildung 1 Modifizierte Tafelzeichnung

Sowohl im naturwissenschaftlichen als auch im gei-steswissenschaftlichen Denksystem kann zwischen dendrei Ebenen Materie, Leben und Geist unterschieden

werden. Der menschliche Organismus bewegt sich aufallen drei Ebenen.

Für die moderne Naturwissenschaft besteht der Un-terschied zwischen den Ebenen vor allem im Grad derKomplexität der einzelnen Erscheinungen. In der moder-nen Systemtheorie versucht man, auf dieser Grundlagezu einem Gesamtbild der Wirklichkeit zu gelangen.

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Geistige Grundlagen

Seite 15

Zur Erkenntnistheorie

Grundsätzlich kann nur die höhere, komplexere Ebene

die niedrigere, einfacher gestaltete Ebene erfassen.Das menschliche Ich stellt eine Unterstruktur des Or-ganismus Mensch dar. Es kann sich die Ebenen der Mate-rie und des Lebendigen durch Wahrnehmung begreifbarmachen. Ebenso kann sich der Mensch durch (Selbst-)Reflexion, oder Spiegelung durch die Umgebung, bis zueinem gewissen Grade seines Ichs bewusst werden.Durch eine philosophische Dialektik3 – der Methode von „ These, Antithese und Synthese“ – kann dieser Bereichetwas ausgeweitet werden.

Der dialektische Erkenntnisweg bleibt aber auf die Ebe-ne der Vernunft und des menschlichen „Ich“ beschränktund blendet daher die höheren Ebenen des Geistes( beispielsweise das „Höhere Ich“, wie Steiner es nennt,oder das „Selbst“ wie C.G. Jung es bezeichnet) aus. DerVersuch Erkenntnis über diesen Bereich des Geistigen zuerlangen ist nur über eine Öffnung des Ich möglich.

Rudolf Steiner hat sich Zeit seines Lebens mit derÖffnung des Ich und der Erkenntnis vom Höheren Ichbeschäftigt. Wahrnehmungsübungen, wie sie im Vortragansatzweise probiert wurden, waren integraler Bestand-teil seiner Arbeit: der Anthroposphie.

Um zu verstehen was geistige Wahrnehmung ist, muss

man sich über das Feld des Intellekts hinausbewegen,die zuerst zwischen den verschiedenen Seinsebenen ge-zogenen Grenzen wieder auflösen und die Wirklichkeitals ein rhythmisches Ganzes betrachten.

Die Wahrnehmung der höheren Ebenen des Geistes

3 Vom Philosophen Hegel begründete Lehre von der Erkenntnisge-winnung durch Gegenüberstellung von These und Antithese – eineLösung zeichnet sich in der Synthese ab (vgl. Popper 1940).

ist aber nicht zu verwechseln mit einer intuitiven, mythi-schen oder vor-rationalen Weltsicht!

Durch Wahrnehmung zur Wirklichkeit

„Wenn ein Musiker aus dem Takt kommt, ist es dasBeste, wenn er sein Instrument kurz absetzt und einfachnur zuhört. Vorher hat ihn seine eigene Stimme taub ge-macht. Jetzt kann er die Musik wieder aufnehmen. Sieergreift sein Wesen, sein Herz und seinen Atem. Unddann, ganz natürlich, kommt sein Einsatz.“4

So wie ein Musiker sich der Musik zuwendet, so kannsich jeder Mensch dem eigenen Leben zuwenden, die Le-bensprozesse still wahrnehmen – ganz ohne Verstand.Da können wir den Rhythmus des Atems wahrnehmen,den Herzschlag und viele weitere Rhythmen, bis wir unsganz spüren, an dem Ort, an dem wir sind, wie wir sind.

Wir leben aber auch in komplexeren Zyklen und Rhyth-

men, wie Wachen und Schlafen, Jahresphasen und imLebenszyklus überhaupt bis hin zum Entstehen und Ver-gehen von Kulturen. Diese Rhythmen werden aus demGeistigen getragen.

Indem wir uns also unseren Rhythmen nach unten öff-nen, werden wir sensibler für all die Rhythmen, die in unssind und damit nähern wir uns den Wirklichkeiten voneiner geistigen Wahrnehmung aus.

Und aus dieser Wahrnehmung heraus hat nun RudolfSteiner auf die Landwirtschaft geschaut.

4 Toegel

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Abbildung 2 -Modifizierte Tafelzeichnung

Wo steht der Mensch?

Der Mensch stellt nun in diesem Zusammenhang dieVerbindung dieses ganzen Organismus in Harmonie mitder Erde auf der einen Seite und darüber hinaus zumKosmos her.

Er hat die Bedeutung der Beachtung dieser Rhythmenfür:

- die Wachstumsprozesse (Tag- Nachtrhythmus)

- die Reproduktionsprozesse(Jahres-Mondrythmen)- die richtigen Saat-, Setz- und Erntezeitpunkte(planetarische Rhythmen) und

- die Zuchtarbeitim landwirtschaftichen Organismus erkannt. Aus diesenHinweisen hat sich später die Konstellationsforschungfür den landwirtschaftlichen Bereich entwickelt.Die Beschäftigung mit den irdischen und kosmischen

Rhythmen erweitert auch das Bewusstsein für die Rhyth-men und Zyklen im menschlichen Leben und kann unsdazu anleiten, das eigene Dasein stärker im Lichte dieserRythmen von Schlafen und Wachen, Jahresläufen, vonGeburt und Tod zu reflektieren.

Der Mensch im landwirtschaftlichen Organismus

Nun geht es darum zu versuchen, den Organismuseiner biodynamischen Landwirtschaft innerhalb der dreiWirklichkeitsebenen zu betrachten: Materie, Leben undGeist.

Im Boden ist das meiste Materie, darüber wächst diePflanze – sie bildet mit der Materie ein harmonischesGanzes. Der Bereich der Tiere steht wiederum sowohl

mit den Pflanzen – über das Futter – und mit dem Boden– über die Düngung – in Verbindung. Und zusammenbilden diese Bereiche eine Ganzheit, in der alle Ebenenmiteinander zusammenhängen.

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Er steht in dreifacher Weise darinnen:1. In seinem sozialen Verhältnis zu allem Lebendigemim Hof.

Dieses Verhältnis findet seinen Widerhall im Atmosphä-rischen am Hof.2. In der Verbindung des Hofes zur Gemeinschaft.Hier hinein spielen die rechtlichen und wirtschaftlichenBedingungen des Hofes. Ist der Hof nur eine Produkti-onsstätte oder ist er darüberhinaus ein Ort des Lernens(PraktiktanInnen, Lehrlinge...), ein Ort der Begegnungund der Kooperation? Rudolf Steiner hat schon zu Be-ginn des 20. Jahrhunderts auf die Notwendigkeit des as-

soziativen Wirtschaftens als Gegenpol zum industriellenBewirtschaften hingewiesen.3. In der Beziehung des Hofes zur Welt und zum Kosmosüberhaupt.Hier muss sich der Mensch die Frage stellen, wohin seinTun führen soll. Dient der Hof nur zu wirtschaftlichenoder sozialen Zwecken, oder soll das Lebendige über dieZucht weiterentwickelt werden? Das geht soweit, dass

wir uns fragen sollen, worin die Aufgabe des Menschenauf dieser Welt zu suchen ist.

Zusammenfassend geht es bei der Beziehung zumKosmos um die Frage, wie denn eigentlich die Aufgabeder Menschheit auf der Erde aussieht. Wie der Menschsein Wirken, seinen Betrieb in die richtige Richtung lenkt,damit es für das Gesamte richtig ist.

Um diese Richtung zu erkennen, braucht der Menscheine Wahrnehmungsfähigkeit, die über die Vernunft hin-ausgeht. Mit der Vernunft kommt der Mensch nur bis zurgesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Ebene.Um aber eine Ahnung davon zu bekommen, wohin dieLebensprozesse ziehen, wohin Boden, Pflanzen und Tie-re wachsen wollen und wo sich letztlich die Menschheit

hinentwickeln will, dafür braucht es eine andere Wahr-nehmungsfähigkeit.

Hat man ein Gespür dafür gefunden, wohin das allesgehen soll, hat man dieses Ziel erkannt, dann kann sichder Organismus richtig entwickeln und sich in die gro-ßen Gesetze und Kreisläufe einordnen.

Exkurs: Die Entwicklung einer sozialen Ordnung von Waltraud Neuper 

Die Entwicklung hin zu einer sozialen Ordnung in der

Landwirtschaft – und davon ausgehend auf alle Lebens-bereiche, die ja von der Landwirtschaft abhängig sind– ist ein Prozess, der sich über Generationen erstreckt.

Noch vor zwei Generationen war die Landwirtschaftgetragen von Traditionen und hierarchisch geordnetenStrukturen im Zusammenleben. Davor war sie geleitetvon höheren geistigen Institutionen wie Klöstern, Grund-

herren und noch weiter zurück von den Mysterien undPharaonenpriestern.

Nun hat sich mit der Aufklärung das Bewusstsein ver-ändert und die Menschen sind aus den alten Traditionenherausgetreten. Mit dem Beginn des 20. Jahrhundert be-gannen sich alte bäuerliche Lebensformen aufzulösen.Industrialisierung, Mechanisierung, Aufklärung und vor

allem die zunehmende Individualisierung führen dazu,dass der Einzelne immer mehr selbst seine Entschei-dungen treffen und damit die Verantwortung für dieKonsequenzen auf sich nehmen muss. Das ist die großeHerausforderung auf den Höfen. Dort, wo dieses Ringenum die Selbstbestimmung und die Eigenverantwortungnicht stattfindet, werden äußere Mächte das Ruder er-greifen (Regelmentierung, Vorschriften...).

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Die momentane Situation auf den Höfen ruft nacheiner neuen Kultur, die alten Hierachien verlieren ihreMacht.

Rudolf Steiners Werdegang 

Rudolf Steiner hat den Landwirtschaftlichen Kurs, indem die biodynamische Landwirtschaft ihren geistigenUrsprung hat, gegen Ende seines abwechslungsreichenLebens gehalten.

Schon die Verschiedenartigkeit der Biographien über

Steiner erwecken das Gefühl, dass er viele Anhänger hat-te, aber auch viele Gegner.

Steiner wurde 1861 wurde in Kraljevec geboren. SeinVater war Beamter der Südbahn, so kam er im Laufe sei-ner Kindheit an verschiedene Orte.

Steiner schreibt selbst, dass er schon früh geistige We-

senheiten so wahrgenommen hat, wie er mit den Augendie gewöhnliche Welt gesehen hat.

Daraus entspringt für ihn ein Bedürfnis diese beidenWelten miteinander in Einklang zu bringen und aufeinan-der zu beziehen. Das durchzieht sein ganzes Leben.

Mit 18 Jahren beginnt er in Wien zu studieren. Er hatein Stipendium, aber er muss sich als Hauslehrer durch-

schlagen. Eine seiner wichtigsten Tätigkeiten war es imAlter von 29 Jahren die Gesamtausgabe der naturwissen-schaftlichen Schriften Goethes zu erarbeiten. Goethe hatsich sehr mit Prozessen beschäftigt, die beim natürlichenWachstum von Pflanzen und Kristallen stattfinden. Erhat damit eine eigene Art der Wissenschaft begründet.

Gleichzeitig hat er auch andere Werke herausgegeben,

wie eine Gesamtausgabe von Schopenhauer und Werkevon Jean Paul. Außerdem hat er sich zu diesem Zeitpunktsehr mit Nietzsche beschäftigt – er war offenbar geistig

sehr rege.

Einige Jahre später, um 1900, ist er nach Berlin ge-kommen: Dort lebt er einige Jahre unter schwierigsten(finanziellen; Anm.) Umständen, ist in Künstler- und In-tellektuellenkreisen tätig, arbeitet an einer Arbeiterschu-le und man merkt, er ringt. Er ringt darum, was jetzt seinsoll und die Biografen setzen in diesen Zeiten auch einegroße Wende in seinem Leben an.

Jedenfalls wird Steiner, der stets geistigen Autoritätengegenüber sehr kritisch war, auf einmal ein starker Be-fürworter einer höheren geistigen Leitung oder Wirklich-keit. Es wird angenommen, dass er in dieser Zeit eine ArtChristuserlebnis hatte.

Von der Theosophie zur Anthroposophie

Durch Steiners Kenntnis der Werke Goethes undNietzsches wurde er bald als Vortragsredner für den the-osophischen Kreis interessant, da vor allem Nietzsche injener Zeit sehr modern wurde. Diese Bewegung der The-osophie war im British Empire entstanden, aus dem Be-streben der Kolonialherren heraus, das alte Wissen derInder mit der aufgeklärten Sicht der Engländer zu verbin-

den. Es war eine neugnostische Bewegung, die in höch-sten Kreisen – auch in Deutschland – Anhänger fand.

Und zu diesem Kreis ist nun Steiner eingeladen wor-den und hat dort offenbar sehr großen Anklang gefun-den, denn auf einmal war es mit seinen Lebensschwie-rigkeiten zu Ende.

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Als nun ein Teil der theosophischen Gesellschaft denInder Krishna Murti weltweit als den neuen Heilsbringer(eine Art neuer Christus) verkünden wollte, kam es zumBruch mit der Theosophischen Gesellschaft. Steinersetzte seine geistige Arbeit und Vortragstätigkeit untereigenem Namen fort. Das war die Geburt der Anthro-posophie.

Der 1. Weltkrieg und Steiners Impulse

Die Zeit des ersten Weltkrieges war eine gewaltige Ka-tastrophe für das Geistesleben Europas, die vieles ver-

ändert hat.

Steiner schlägt in dieser Situation die Dreigliederungdes sozialen Organismus in Wirtschaftsleben, Geistes-leben und Rechtsleben vor. Das sind die drei Bereiche,die er im gesellschaftlichen Organismus harmonisch ver-bunden haben wollte.

Steiner füllte mit seinen Vorträgen ganze Konzertsäleund kam auch in höchste Regierungskreise – jedenfallsmuss er ein mitreißender Redner gewesen sein. Dabeihat er seine Vorträge kaum schriftlich vorbereitet, son-dern hat – was nicht ganz ungefährlich war – aus demGeist gesprochen. Dort wo das möglich war, hat er das,was ihm durch seine unmittelbare Anschauung zugäng-lich war, Menschen mitgeteilt.

In dieser Zeit entsteht unter Steiners Anregungenin Dornach in der Schweiz ein eigenes Zentrum, eineKünstlerkolonie, die sich um einen wunderschönen Bauansiedelt – das Goetheanum. Dieses erste Goetheanumwurde – man nimmt an von rechtsradikalen Kreisen – ineiner Neujahrsnacht niedergebrannt und wurde kurz vorseinem Tod wiedererrichtet.

Dabei erhält Steiner immer einflussreichere Verbün-dete, wie den Architekten Le Corbusier, der ihn bei derWiedererrichtung des Goetheanums unterstützte, oderden Großindustriellen Waldorf-Astoria, der mit ihm inStuttgart die erste Waldorfschule begründet hat.

Und gegen Ende seines Lebens – im Jahre 1924 – hater dann den Landwirtschaftlichen Kurs gehalten – beimGrafen Keyserlingk in damaligen Schlesien – und erhat dort in einigen Tagen die Grundlagen der biodyna-mischen Landwirtschaft entwickelt. Das ist deswegen

bemerkenswert, weil Steiner bis dort hin mit der Land-wirtschaft überhaupt nichts zu tun hatte – denn er hattesich sein Leben lang mit geistigen Inhalten beschäftigt.

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Die Frage, die sich vielleicht stellt, ist, welche Art des„Geistes“ ein Mensch aufweisen muss, um sich über-haupt auf diesen Weg begeben zu können. Dr. Toegelspricht von einer demütigen Haltung, von einer Gesin-nung, die nicht dazu neigt die geistige Ebene „beherr-schen“ zu wollen. Was bedeutet dies aber im Klartext?

Ein unreflektiertes Nachahmen der Übungen und Ver-haltensweisen von anderen Menschen, die sich mehroder weniger erfolgreich auf diesen „Weg der Erkennt-nis“ begeben haben, kann wohl kaum der Schlüssel zumErfolg sein, wo doch dem Individuum selbst und der in-

dividuellen Entwicklung des „Geistes“ eine so hohe Be-deutung beigemessen wird.

Richtlinien können auch in diesem Zusammenhanghöchstens der Ausgangspunkt für weitere Entwicklun-gen sein.

Im Gespräch mit Dr. Toegel: Früher konnte man davon

ausgehen, dass ein Bauer, wenn er so arbeitet, wie es sei-ne Vorfahren gemacht haben, den ihm überantwortetenBetrieb gesund erhalten kann.

Heutzutage kann man davon ausgehen, dass ein Bau-er, wenn er weiterarbeitet wie seine Vorfahren es taten,den Betrieb nur schwer gesund erhalten kann.

Dies soll keineswegs bedeuten, dass unsere Vorfahrenalles falsch gemacht haben. Sie haben bestimmt in be-ster Gesinnung und, oder vielmehr aber ihrer Zeit ent-sprechend gehandelt.

Ein Umdenken erscheint deshalb nötig, weil die Rah-menbedingungen, innerhalb derer sich ein Betrieb heut-zutage bewegt, einem schnelleren Wandel unterzogen-

sind, als das jemals der Fall gewesen sein dürfte.

Dr. Toegel hielt diesen Vortrag am 24.Oktober 2008 ander Universität für Bodenkultur.

Weiterführende Literaturvon Dr. Johannes Toegel

1. Steiner, Rudolf: „Wie erlangt man Erkenntnisse derhöheren Welten?“, Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1992.

2. Steiner, Rudolf: „Mein Lebensgang.Eine nicht vollendete Autobiographie.“,Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1982.

3. Wehr, Gerhard: „C.G.Jung und RudolfSteiner. Konfrontation und Synopse,“Klett-Cotta, Stuttgart 1998.

4. Teilhard de Chardin, Pierre: „Der Menschim Kosmos,“ C.H.Beck, München 1964.

5. Laszlo, Ervin: „Die Neugestaltung dervernetzten Welt. Global denken – global handeln.“(pp 133-145), Vianova, Petersberg 2004.

Zwei Biografien von Rudolf Steiner im Internet:

http://de.wikipedia.org/wiki/Rudolf_Steinerhttp://www.rudolf-steiner.com/rudolf_steiner/

6. von Glasersfeld, Ernst : „Wege des Wissens.Konstruktivistische Erkundungen durch unserDenken,“ Carl Auer Systeme, Heidelberg 1997.

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Geistige Grundlagen

7. Dürr; H.-P.; Dahm D.; zur Lippe, R.: „PotsdamerDenkschrift.“ Hrsg. von der VereinigungDeutscher Wissenschaftler VDW e.V. - Federationof German Scientists. Berlin 2005.

8. Popper, K.: “What is dialectic?” Aus: Mind, N. S., Bd.49. Wiederabgedruckt in Popper Karl R. Conjecturesand refutations, London, Routledge and Kegan Paul,1963, S. 312-335. Basic Books, New York 1940.

Der Vortrag wurde bearbeitet von Stephan Pabstund Wolfgang Eichinger; beide Studierende an der

Universität für Bodenkultur in Wien, WS 2008.

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Qualität von Produkten

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Markus Buchmann lebt in der Nähe von Zürich undarbeitet seit 14 Jahren im Pflanzenzüchtungsunterneh-men von Peter Kunz mit. Er beschäftigt sich mit Fragender Qualität im Bereich von Lebensmitteln. Er betreuteigene Forschungsprojekte im Gemüsebereich unter derspeziellen Fragestellung:

Was ist die besondere Qualität vonProdukten aus biodynamischem Anbau?

Markus Buchmann beginnt seinen Vortrag, indem er

anknüpft an die Eurhythmie, welche dem Vortrag voran-gegangen ist. Er verweist auf die Zusammenhänge zwi-schen den Anfängen der Sprache und Wahrnehmen vonQualität. .

Wenn wir heute von Bioprodukten sprechen dannverbinden wir damit eine kausale Reihe in dem Sinne,dass wir sagen: Wenn wir einen gesunden Boden haben,dann erhalten wir gesunde Pflanzen und dann haben wir

gesunde Tiere usf.Darauf reduzieren wir gern die Aussagen über Qualität.

Das scheint seine innere Logik zu haben. Wenn wir dasaber mit naturwissenschaftlichem Ansatz betrachten, sofragen wir sofort danach, ob dies so sein kann, ob diesobjektiv nachgewiesen werden kann, weil wir die Qua-litätsfrage verbinden mit dem ökonomischen Aspekt,dass Bioprodukten ein höherer Preis zusteht.

Also muss eine solche Aussage belegt werden. Damitbegann die biodynamische LW Methoden zu suchen, umdiese Qualitäten nach zu weisen. In diesem Zusammen-hang wurden die Kupferchloridkristallisations-, die Steig-bildmethoden und die Rundbilderchromatogrammeentwickelt. Das sind die so genannten bildschaffendenMethoden, weil sie versuchen, den Zustand einer Sub-stanz auf bildhafte Weise darzustellen. Diese Bildsprache

benennt die Kräfte, die in der lebenden Substanz gewirkthaben. Seit 2000 wächst die Akzeptanz dieser Metho-den zunehmend und es steigt die Sicherheit in der Unter-scheidung zwischen Produkten aus konventionellem, ausorganisch biologischem und biodynamischem Anbau.

Die Methoden sind in einem EU Projekt evaluiert wor-den. Die Unterschiede sind nun nachzuweisen, aber dieInterpretation ist noch schwierig. Der Übergang von ei-ner solchen Darstellung zur Interpretation ist nicht mitSicherheit zu bewerkstelligen. Das heißt, über die Bedeu-tung der Bilder können noch keine objektiven Aussagengemacht werden.

Da könnte man auch Studien machen. Buchmann ver-weist auf die „Klosterstudie“, in welcher sichtbar wurde,dass die Essensumstellung auf biodynamische Produktepositive Folgen hat. Dieser Nachweis ist zwar für die Wis-senschaft noch immer viel zu subjektiv, aber Nahrunghat eben mit dem Menschen zu tun und die Auswirkungder Nahrung kann in letzter Konsequenz nur der Menschin seiner subjektiven Erfahrung beurteilen. Die Bedeu-

tung für die Gesundheit kann so einfach nicht nachgewie-sen werden. Aber wir können an die Fragen anknüpfen:Wir machen alle unsere persönlichen Erfahrungen. DieWissenschaften hinterfragen diese persönlichen Erfah-rungen, aber meist so, dass das persönlich Menschliche,oder das individuell Menschliche ausgeschlossen wird,weil es korrumpierbar ist. Jeder Mensch hat ja seine Vor-lieben. Und das hat Konsequenzen in der Kulturentwick-

lung, wenn man die Wissenschaft darauf aufbaut. Es gibteinen anderen Weg – und der ist der biodynamischenMethode inhärent und geht hervor aus der „Philosophieder Freiheit“; und dieser Weg zeigt auf, dass Wissen-schaft auf Individualisierung gebaut werden sollte, aberkonsequent. Der Mensch in seiner subjektiven Erfah-rung wird nicht ausgeschlossen. Das könnte Bedeutunghaben bis hinein in die Naturwissenschaft. Wie wir das

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Qualität von Produkten

tun in der Bildekräfteforschung, das möchte ich jetztbeschreiben. Jeder von uns hat schon Erfahrungen indem Sinne gemacht, dass er/sie vor einer Pflanze, voreinem Acker, vor einem Feld steht und das Gefühl hat,dass es dieses Jahr besonders gut wächst, oder daß daetwas nicht stimmt, ohne dass Sie es an einem Phäno-men festmachen könnten. Man isst ein Nahrungsmittelund merkt, das kräftigt mich jetzt richtig. Bittet man umeine nähere Beschreibung, dann geht die Antwort aberschnell wieder ins Ungefähre, ins Vage. Und trotzdem istman sicher, dass man hier etwas erfahren hat.

Diese Erfahrungen zu systematisieren wird zur Aufga-

be in der Bildekräfteforschung.Es ist wesentlich, dem, was man erfahren hat, genau

nachzugehen, es aber nicht auf der Gefühls bzw. Emp-findungsebene zu belassen, sondern mit vollem Be-wusstsein in diese Erfahrung hineinzugehen; das wasman empfindet zu durchschauen. Es ist möglich dieseEmpfindungen mit vollem Bewusstsein zu durchblicken.Denn der heutige Mensch muss diese Erfahrungen mit

Bewusstsein durchdringen, damit er als selbständiger,selbstbewusster Menschen das Leben ergreifen kann.Wie dies geschehen kann, soll nun schrittweise entwi-

ckelt werden. Wir beginnen damit, dass wir uns fragen,wo diese Empfindungen stattfinden. Wir neigen dazu,diese Empfindungen als Einbildungen abzutun. Das istunser Denken. Auch spirituelle Richtungen verurteilendas Denken als Behinderung dafür, andere Dimensionenwahrzunehmen. 2 Übungen:

1) „Stellen Sie sich bildhaft eine rote Rose vor.Intensiv vorstellen, bis Sie sich vor sich sehen.Nun frage ich Sie: Wo taucht die Rose auf?“ Zu-hörer antworten: „In mir.“ - „Zwischen den Au-gen.“ – „In meinem Gehirn.“ Herr Buchmann:„Sehen Sie, wir haben täglich tausende von Vor-stellungsbildern und machen uns aber keine Ge-

danken darüber, wo sie auftauchen. Sie erschei-nen, wie schon der Begriff „vor“ - „stellen“ sagt,im unmittelbaren Raum vor unseren Augen.“2) „Stellen Sie sich die Rose noch einmal vor,aber nun in einer bestimmten Landschaft, ganzrealistisch. Sie müssen sich konzentrieren. Undjetzt fahren Sie mit der Hand einmal durch IhreVorstellung räumlich hindurch. Beobachten Sie,was da passiert.“ Reaktionen: Wenn Menschensich die Vorstellung bilden, sich konzentrierenund es wird etwas Lebendiges durch diesen Vor-stellungsraum bewegt, dann kommt es zu Vor-

stellungsstörungen. Das ist objektiv belegbar.Wir legen kaum Rechenschaft ab über diese intimsten

Vorgänge unserer Vorstellungs- und Denkwelt. Wenn wirdas konsequent üben, kommen wir dahin, dass wir eineEmpfindung dafür entwickeln, woher unsere Gedankenkommen, wie die Begriffe in unserem Bewusstsein er-scheinen, wie Erinnerungsbilder auftreten, woher siekommen. Wie geschieht es, dass diese Gedanken For-

men und Farben annehmen können. Diese Fragen eröff-nen ein riesiges Forschungsgebiet.Dieser Vorstellungsraum hat eine Art räumliche Di-

mension. Dieser Raum gehört zum Menschen, er kannhell werden etwa durch Ideen, er kann aber auch dunkel

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sein, wenn wir etwa schläfrig sind oder dumpf. Durchdiszipliniertes Üben können wir eine Souveränität überdie Wahrnehmung dieser Vorgänge gewinnen.

Man kann das an sich erforschen, indem man denkt,kann man beobachten wo Erinnerungen herkommen,wo Vorstellungen auftauchen. Bei starker Konzentrationkann man sehen, wie der Vorstellungsraum sich verdich-tet und kristallartige Strukturen entstehen. Man kann esaber schwer beschreiben, weil wir nur Begriffe aus derSinneswelt zur Verfügung haben. Wir verfügen über dieMöglichkeit und potentielle Fähigkeit, über die Beobach-tung des Denkens zu einer neuen Wahrnehmungsfähig-

keit zu kommen. Was es braucht, ist die Bereitschaft zurKonzentration und übenden Disziplin. Es braucht die Fä-higkeit, fremde Gedanken weglassen zu können. Wennwir uns zum Beispiel die Rose vorstellen wollen, so kom-men immer bald andere Gedanken mit herein.

Wir bemerken, dass wir Lieblingsgedanken haben. Mankommt gewissermaßen drauf, wie man tickt. Man mussradikal das Subjektive kennen lernen, damit man es auch

beurteilen kann. So ist es nur eine Frage der Übung, biswir bemerken, dass das Medium, wo sich alle Bewusst-seinvorgänge abspielen, abhängig ist von unserer emo-tionalen Verfassung.

Wir können dieses Medium verfolgen bis hinunter indie Füße. Wir erkennen, dass dieses Medium eine Artzweiter Leib ist. In der Anthroposophie nennt man ihnden Ätherleib. Dieser Ätherleib – oder auch Energieleib– hat im oberen Bereich Anteil an den Bewusstseinspro-zessen und im unteren Körperbereich Anteil an den Le-bensprozessen.

Der Ätherleib ist etwas Geistiges oder Energetischesund ist nicht so abgeschlossen wie zum Beispiel derSchädel. Er ist nach außen offener.

Den oberen Einflüssen gegenüber offen, aufnahmefä-

hig für alles, was von untern kommt, im Rumpfbereichein ovaler Raum.

Im Erlernen dieser Forschungsmethode, lernt man an-dere Menschen kennen, welche die gleichen Erfahrungenmachen. Auch aus verschiedenen Heilmethoden gibt es

solche Hinweise. Das ist der Schritt vom rein Subjektivenhin zu einer Art von Intersubjektivität. Man kommt dazu,dass man die eigenen Verfassungen viel feiner oder nä-her bestimmen kann. Wenn man sich bestimmten Ein-flüssen aussetzt, wird dieser Einfluss wahrnehmbar. Mansteht auf Kalk oder Kiesel und kann dies unterscheidenund merken, worauf man steht. Oder wenn ich ein Nah-rungsmittel zu mir nehme, dann müsste doch diesesNahrungsmittel einen Einfluss auf meinen Energieleib- der mich am Leben erhält - haben, und ich müsste die-sen Unterschied wahrnehmen können. Was geschieht indiesem Bereich, wie wird das gestaltet? In der äußerenNatur merken wir tatsächlich, wenn wir über Kalk gehen,wird alles ein wenig kalkhältig, ein wenig schwer in un-serem Empfinden. Auf Granitboden lebt es sich ganzanders – Menschen mit Lungenkrankheiten gesunden in

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4. Stufe - das Licht steigt wieder auf Wo in der Natur könnte man das finden?

Im Großen bei Laubbäumen. Konzentrierende Geste.

Wärmeprozesse gestalten die Rinde. Der Ahornbaumzeigt dies in reinster Form.

Interessant ist die Geste beim Stamm. Die Geste sel-ber bündelt nicht, Kräfte wirken von außen ein, schaffenRaum nach innen, damit die Säfte steigen können undder Baum nach außen hart werden kann.

Hier macht Herr Buchmann den Übergang zur Euryth-mie und sagt, dass man einerseits dieses Kräftewirkennicht zeichnerisch darstellen kann und es eigentlicheurythmisch tanzen sollte und andererseits ist zu erken-nen, dass sich die Sprache aus dieser Kräftebewegungherausentwickelt hat.

Wir finden diese Geste ausgebreitet über das ganzePflanzenreich. Bei der Möhre geht dieses Lichtsammelnim Wurzelreich vonstatten. Wenn wir eine Möhre essen,nehmen wir dieses Kräftegestalten auch in uns auf. Manmuss sich diese Skizze vom Ätherleib allgemein vor-stellen, die Strömung nach oben. Die Öffnung oben ist

so gestaltet, dass Licht von oben herein strömen kann.So wirkt die Möhre auch auf unseren Organismus. DieLichtkräfte entfalten sich in alle Regionen hinein unddurchlichten das Ganze; im Kopfbereich werden dieLichtkräfte abgegeben. Dann kann man verstehen, wa-rum gesagt wird, dass die Möhre auf das Denken wirkt.wir haben in diesem Bereich Energie zur Verfügung zurdenkerischen Tätigkeit.Die Konzentrationsgestaltung bekommen wir quasigratis, wenn wir Sellerie zu uns nehmen.Wir können nach diesen Erfahrungen gezielt unsere Nah-rungsmittel auswählen.

Hier wirkt ein anderes Licht als bei der Möhre. ImÄtherischen kennen wir vielfältige Lichtqualitäten.

Wenn man Obstbäume auf die gleiche Art beobach-tet, dann kann man andere Strukturen finden. KräftigeBewegung von unten aufsteigend und außen absteigendwieder in die Erde hinein. Das gibt dem Baum eine Hülle.In diese Hülle hinein strömt von oben ein bestimmtes

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Qualität von Produkten

Licht, welches sich unterscheidet vom Licht der Möhre.Dieses Bildewirken finden wir im Apfel wieder.

Hier sehen wir eine Zugewandtheit nach oben, einStrömen hinein in die Sinnesorgane und Verbundenheitnach unten.

Wenn wir nun Weizen essen, wirken vor allem diestarken Aufrichtekräfte.

Jede Pflanze reagiert auf die gegebenen Wachstums-bedingungen, auf züchterische Massnahmen und lastnot least auf Grund ihrer genetischen Ausstattung. Mitder Bildekräfteforschung können wir nur Unterschiedeim Bildhaften erkennen. Dies lässt noch keine Schlüssezu.Es bleibt ein beobachtendes Herantasten.

Markus Buchmann hielt den Vortrag am 15. März 2009 in Wien

 

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Organismus

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Etwas über den OrganismusUrsula Kothny

Wir wollen uns heute mit dem Begriff Organismus be-schäftigen, wollen den Erscheinungen und der Gesetz-mäßigkeit, die in der Entfaltung des Organischen in derNatur walten, etwas näher kommen.

Sie müssen den Organismus verstehen lernen, wennSie Ihren Betrieb als einen landwirtschaftlichen Organis-mus gestalten und bearbeiten wollen.

Der Organismus ist immer ein Ganzes

Wann sprechen wir von Organismus? Was zeichnet diesesals Organismus aus, und jenes als ein anorganisches Ob-jekt? Sie alle kennen die Begriffe organische und anorga-nische Naturwissenschaften. Elemente, Steine, Kristalle,Metalle gehören der anorganischen Natur an. Warum?Weil sie in sich nicht belebt sind. Weil für sie die phy-sikalisch-mechanischen Gesetze rein von außen gelten

und sie selber nicht die Möglichkeit in sich tragen, aufdiese Auswirkungen aus eigenem Antrieb zu reagieren,oder diesen etwas entgegen zu stellen. Pflanzen, Tiere,der Mensch, die Millionen Mikrolebewesen und Bakte-rien gehören der organischen Natur an. Wir sind daringeschult worden, die organische Natur mit den gleichenAugen und Denkmustern zu betrachten wie die anorga-nische Natur; nämlich nach physikalisch-mechanischen

Gesetzmäßigkeiten.Mit dieser Betrachtungsweise kann man zwar den Auf-bau und die Funktionen der organischen Natur begrei-fen, niemals aber die in ihr waltenden Gesetze. Noch we-niger die Impulse, welche sich nach eigenen Rhythmenund Entwicklungsschritten entfalten und gleichzeitig dennotwendigen Freiraum für die Anpassung an äußereGegebenheiten beinhalten.

Man nimmt so lediglich Auswirkungen von Bedin-gungen wahr, nicht aber die Ursachen, das Organischean sich. Will man Organismus begreifen, muss manLeben erfassen; muss man begreifen, wie sich das Le-bendige im Organismus zur Geltung bringt. Ein Leich-nam behält wohl eine Zeit lang Form und Größe, Farbeund Lage der einzelnen Teile zueinander, abhängig vonAußentemperatur, Luftfeuchtigkeit, etc., aber das We-sentliche fehlt – das die Teile untereinander verbindendeLebensband, und das dadurch jeden einzelnen Teil Bele-bende. Das Organische kann nicht auf die gleiche Weiseerforscht werden, wie das Anorganische.

Wir möchten heute den Versuch starten, das Or-ganische mit den Augen Goethes zu betrachten. Diegeisteswissenschaftlichen Grundlagen für die biodyna-mische Landwirtschaft hat Rudolf Steiner anhand der na-turwissenschaftlichen Erkenntnisse Goethes entwickelt.Wollen Sie Goethes Denk- und Erkenntniswege gehen, sostudieren Sie, wenn Sie das Poetische lieben, den Faust;wenn Sie mehr Zugang zum Prosaischen, Sachlichen

verspüren, seine naturwissenschaftlichen Schriften. ZuErsterem: „Wer das Lebendige will beschreiben, suchterst den Geist heraus zu treiben. Dann hat er die Teile inseiner Hand, fehlt leider nur das geistige Band.“ 1Sehen Sie, damit haben wir gleich eines der Grundprin-zipien des Organischen ins Auge gefasst, welches schonPlaton und Aristoteles erkannt hatten: In der Organikherrscht stets das Prinzip der Ganzheit, das ganzheitlichgestaltende Organisationsprinzip. Es gibt keinen halbenOrganismus. Ein Organismus ist immer ein Ganzes, egalwie er uns erscheint und in welchem Entwicklungssta-dium er steht. Wir können wohl Teile eines Organismusbetrachten und untersuchen, das Organische dieser Teil-bereiche nehmen wir aber nur wahr, wenn wir den

1 Goethe, Johann Wolfgang: „Faust“, Aufbauverlag Berlinund Weimar, 1984

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Organismus

Gesamtorganismus mit in unsere Betrachtung einbezie-hen. Sehen Sie den Apfel an: Nachdem er vom Baumentfernt, bzw. gefallen ist, können nur noch die Abbau-prozesse auf sein ehemals belebtes Fruchtfleisch wirken.

Aber in sich trägt er gleichzeitig die Samen, und jedereinzelne trägt das Potential in sich, wiederum ein Apfel-baum zu werden. Den Samen verstehen wir nur dann,wenn wir sein Entwicklungspotential und die ihm inne-wohnende Gestalt vor unser geistiges Auge führen. DerSame selbst sagt nichts darüber aus, welcher Art, dersich daraus entwickelnde Baum sein wird.

Mit Bestimmtheit können wir nur sagen, dass er eine

Pflanze wird, ein Baum aus der Familie der Rosenge-wächse.

Der Typus

Goethe spricht in diesem Zusammenhang vom Typus.Der Typus ist keine reale, mit den Augen erfassbare Er-scheinung der sinnlichen Welt. Den Typus der Pflanze

hat Goethe an der Urpflanze entwickelt, indem er auf-zeigte, nach welchen Prinzipien sich alles Pflanzlicheausgestaltet.

Das Organische ist in seiner Gestaltung einer stetenVerwandlung unterworfen und zeigt sich in der sinn-lichen Welt in der Form. Diese Ausgestaltung erfolgtnach inneren Gesetzmäßigkeiten.

Goethe kommt zu dem Schluss, dass die Idee einesWesenhaften im Organismus wirkt, bei dem alle Einzel-teile von dieser Idee durchdrungen und belebt werden.Nicht ein Glied bestimmt das andere, sondern das Gan-ze, die Idee bedingt jedes Einzelne aus sich selbst. Dasnennt Goethe Entelechie.

Die Entelechie

Die Entelechie ist eine sich aus sich selbst ins Daseinrufende Kraft. Was als Erscheinung ins Dasein tritt, ist

durch jene entelechische Kraft bestimmt.Wenn man nun im goetheschen Sinne von Urorganis-

mus spricht, so ist nicht eine Urzelle mit dem ihrer ty-pologischen Veranlagung entsprechenden Entwicklungs-potenzial ins Auge zu fassen, sondern jene Entelechie,in der die Urzelle bereits als Organismus vorweggenom-men ist. Da dies ein allgemeines Prinzip ist, kommt esim einfachsten Organismus genau so vor wie im kom-

plexesten. Insofern folgt der Organismus in seiner Ent-wicklung einem ideell-allgemeinen Prinzip. Seiner Aus-gestaltung nach jedoch einem individuell-besonderen.

Das Lebensprinzip existiert nirgends als ein be-stimmtes Zentrum, sondern herrscht übergeordnet undist zugleich jedem Organ innewohnend.

Wie kommt es nun zu den vielfältigen Erscheinungen

innerhalb der organischen Natur?

Wir können zwei Wirkungsprinzipien erkennen:Das der Gliederung oder Differenzierung, welches sichin der Gestaltbildung bzw. Raumgestalt  zeigt. DiesesPrinzip kann nur verstanden werden, wenn man auch dieZeitgestalt mit einbezieht. Denn die Erscheinung einesOrganismus ist, aufgrund des in ihm wirkenden Lebens-prinzips – der Entelechie – in ständiger Wandlung begrif-fen. Es gibt eine Phase des Aufbauens, des Wachsens,und es gibt eine Phase des Abbauens, des Alterns, undder Reifung. Es wirken Zusammenziehung und Ausdeh-nung. Diese ganze organische Entwicklung folgt einemUrbild, welches in sie wie eingeschrieben ist, was wir dasTypologische nennen. Darin herrscht Ganzheitlichkeit,d.h. in jedem Teil des Organismus bildet der Typus das

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Ideell-Allgemeine. Was sich verändert ist lediglich das Er-scheinungsbild im Lauf des Entwicklungsprozesses.

Mit dem befruchteten Ei ist stets schon die charak-teristische Gestalt vorgegeben. Unter Gestaltbildung

ist insofern nicht das Entstehen, sondern das Sichtbar-werden der Gestalt in einer individuellen Entwicklung zuverstehen. Sehen Sie das Prinzip der Ganzheit? Ein Or-ganismus summiert sich nicht nach und nach zu einerEinheit, sondern ist von Beginn seiner Entwicklung anein Ganzes.

Entwicklung im Organischen ist niemals ein von Stadi-um zu Stadium akzidentielles (zufälliges) Hinzukommen

im Sinne eines Fortschritts vom Einfachen zum Kompli-zierten, sondern jeweils die Differenzierung eines schonvorgegebenen einheitlichen Ganzen.

Zur Veranschaulichung wollen wir eine solcheorganische Entwicklung einmal anhand einer Eizelledurchexplizieren:

Die Eizelle ist die größte Zelle im Körper, gerade nochmit freiem Auge sichtbar; ihre Form ist die einer Kugel.Sie lebt in einem losen Zellverband, dem Eierstock. Diereife Eizelle schwebt frei und kann so ungehindert ihreSphärengestalt verändern.

Die Eizelle ist die älteste teilungsfähige Zelle des Kör-pers. Sie bildete sich im mütterlichen Organismus, alsjener sich noch im embryonalen Zustand befand. Dasbedeutet, diese Eizelle ist bereits im Leib der Großmut-ter entstanden.

Wir blicken hier auf den Erbstrom der organischenSubstanz, der sich im Dunkel der Generationen verliert.

Die Eizelle als Ursubstanz des Lebens wird mit der Be-fruchtung zu einer inneren Dynamik aufgerufen, zu einerAuseinandersetzung zwischen einem inneren und einemäußeren Organismus.

Nach dem Eindringen des Samens kommt es von in-nen her nach 30 Stunden zur ersten Zellteilung. Bald sindes zwei, vier, acht Zellen. Drei Tage nach der Befruchtungbesteht der junge Keim aus einer 16 zelligen, kompakten

Kugel, die von ihrem Aussehen her einer Maulbeeregleicht, deshalb Morula genannt.

Obwohl die in der Morula befindlichen Zellen bis aufgeringe Größenunterschiede völlig gleich aussehen undman annehmen muss, dass sie noch das gleiche Entwick-lungspotenzial besitzen, also untereinander austausch-bar wären, ist erwiesen, dass aus den zentral gelegenenZellen der Embryo sich entwickelt, aus den peripherenZellen das nährende Gewebe, die Plazenta. Den innerenZellkomplex nennt man darum Embryoplast, den äuße-ren Trophoplast.

In der Morula wächst nun spiralförmig ein Raum, dersich zu einer Höhlung weitet. Die Zellmasse wird dabeian die Peripherie gedrängt, sodass eine Hohlkugel ent-steht. Allmählich löst sich die Zellhaut auf, welche den

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Zunächst wird sie flach wie der Erdboden, aus dem sichaber bald gebirgsähnliche Formungen erheben, wächstdann pflanzenartig aus eigenem Erdreich empor, wirdfischähnlich und tastet sich allmählich durch alle Gestal-

tungen der höheren Tierformen hindurch, bis endlich dieMenschengestalt sichtbar wird. Von Anfang an ist aberder sich entwickelnde Körper der eines Menschen, einesganz bestimmten Menschen, eines Individuums mit ei-ner besonderen Persönlichkeit – er ist immer ein ganzerOrganismus.

Entwicklung im Organischen meint darum nicht dieDifferenzierung im Sinne eines Fortschreitens vom Ein-

fachen zum Komplizierten, nicht das Hinzukommen vonTeilen als Akzidenzien. Der ganze Entwicklungsvorgangist Differenzierung eines schon vorgegebenen Ganzen,dessen Erscheinungsform sich im Laufe des Erdenle-bens ändert.

Unter diesem Aspekt ist auch der Hoforganismuszu sehen. Sie müssen Ihren Geist schulen für das

Ideell-Allgemeine eines Organismus, um darin dasIndividuell-Besondere erkennen zu können.

Das braucht Intuition. Intuition meint anschauendesErkennen. Sie müssen die Fähigkeit zur Intuition schu-len, um das Organische begreifen und das Entwick-lungspotenzial Ihres Hoforganismus erschauen zu kön-nen. Meditation und künstlerisches Üben können dabeiunterstützend wirken.

Keim bis jetzt umgeben hatte. Die Keimblase hat immernoch die Größe der Eizelle, wenngleich sich die Zellen inunglaublicher Schnelle vermehren, von 60 Zellen auf 100Zellen in nur einem halben Tag.

Der Keim befindet sich noch immer auf seiner Wande-rung durch den Eileiter. Am sechsten oder siebenten Tagerreicht er die Höhlung der Gebärmutter als völlig freischwebende Kugel. Die mütterliche Schleimhaut nimmtden Keimling auf, wie die Erde den Samen. Die ganzefolgende Entwicklung vollzieht sich im Schoße dieser ei-gens für die Keimesentwicklung wunderbar zubereitetenSchleimhaut im Inneren der Gebärmutter.

Wir sehen: Die Eizelle ist ein Ganzes. Dieses Ganzedifferenziert sich schrittweise aus. Es werden Augen,Hände, Füße, der Blutkreislauf und aus diesem das Herzentstehen. Aber zu jedem Zeitpunkt ist das Geschöpfein lebendiges Ganzes. Die Differenzierung geschiehtdadurch, dass die Eizelle durch Teilung ihren Innenraummit Zellen durchsetzt und dass die so entstehenden Zel-len sich immer weiter teilen, an dem einen Ort mehr, an

dem anderen weniger. Immer aber vollzieht sich die Ver-mehrung der Zellen im Inneren. Nie setzt sich Zelle aufZelle, wie bei einem Baukasten. Man hat es mit einemungeheuer komplizierten Unterteilen und Verschiebendes lebendigen Protoplasmas zu tun – jedoch bleibt beijedem Schritt das Ganze gewahrt.

Umgangssprachlich sagt man: Der Körper sei ausZellen aufgebaut. Das Gegenteil ist der Fall: Der Körperbaut Zellen in seine Form hinein. Dieser Prozess vollziehtsich während des ganzen Lebens. In Zeitbegriffen ausge-drückt wissen wir, dass der Körper im Laufe von siebenJahren sich zur Gänze erneuert.

Der Körper eines Menschen ist zunächst eine Eizelle,seine Ursprungsgestalt ist eine Kugel. Im Verlaufe derEmbryonalentwicklung verändert sich die menschlicheLeibform. Sie nimmt verschiedenste Gestaltungen an.

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Zusammenfassend möchte ich noch einmal das Charak-teristische einer organischen Entwicklung hervorheben:

Organische Entwicklung und Wachstum erfolgen immer

durch Zellteilung von innen nach außen. Es ist ein Spielzwischen Anregung von außen und Reifung im Inneren.

Der Organismus folgt in seiner Entwicklung einem Ur-prinzip, welches ihm innewohnt.

Er lebt aus einer sich stets erneuernden Kraft, der En-telechie.

Seine Entwicklung folgt einem ideell-allgemeinenPrinzip, dem Typus (der Urpflanze, des Urtieres). Dieserzeigt sich im Individuell-Besonderen in der sinnenfäl-ligen Raumgestalt, die Gattung, Art, Familie und so fortgenannt wird.

Dieser lebendige Organismus ist einer ständigenWandlung unterworfen. Darum nennt man seine aktu-

elle Gestalt immer die Zeitgestalt. Der Typus folgt demPrinzip der Gliederung.

Literaturliste:Steiner, Rudolf:„Goethes Naturwissenschaftliche Schriften“, VerlagFreies GeisteslebenSteiner, Rudolf:„Geheimwissenschaft im Umriß“,

Rudolf Steiner Verlag, Dornach, 2005Goethe, Johann Wolfgang von:„Die Metamorphose der Pf lanze“,Acta Humaniora, Weinheim, 1984Darwin, Charles: „Die Entstehung der Ar ten“, Reclam,

Stuttgart, 1967

Ursula Kothny hielt diesen Vortrag im Rahmen derWeiterbildung für praktizierende Biodynamiker

am 4.Oktober 2008 im Waldviertel und am Wurzerhof.

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Landwirtschaftlicher Organismus

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y g

Hier gilt es, sich eingehend mit den vorhandenen phy-sischen Gegebenheiten zu beschäftigen.

 Bodenbeschaffenheit (Kalk oder Kiesel)

Klimatische Bedingungen(Obwohl diese sich zunehmend verändern!)Regionale Besonderheiten

Das Ätherische oder die Lebensorganisation

„In der richtigen Verteilung von Wald, Obstanlagen,Strauchwerk, Auen mit einer gewissen natürlichen Pilz-

kultur liegt so sehr das Wesen einer günstigen Landwirt-schaft, dass man wirklich mehr erreicht für die Land-wirtschaft, wenn man sogar die nutzbaren Flächen deslandwirtschaftlichen Bodens etwas verringern müsste….Man kann eigentlich in einem Betrieb, der so stark einNaturbetrieb ist wie der landwirtschaftliche, gar nicht da-rinnen stehen, ohne in dieser Weise Einsichten zu habenin den Zusammenhang des Naturbetriebs, in die Wech-

selwirkung des Naturbetriebs.“2

Das Ätherische ist die Sphäre der Pflanzenwelt. DieGestaltungsmöglichkeiten sind in dieser Sphäre ungleichgrößer, als in der physischen Organisation.

Erarbeiten einer geeigneten FruchtfolgeAuswahl der richtigen Getreidearten und –sorten(Überlegungen zur Hofsorte)Wahl der passenden Baumarten

Zusammensetzung der Pflanzengemeinschaftenin den Wiesen (Dauerwiese, Wechselwiese)Anlegen von HeckenAuseinandersetzung mit Saatzuchtfragen 

2 ebenda S 190

Der Landwirtschaftliche OrganismusRudolf Keiblinger-Bartsch

„Nun, eine Landwirtschaft erfüllt eigentlich ihr Wesenim besten Sinne des Wortes, wenn sie aufgefasst werdenkann als eine Art Individualität für sich, als eine wirklichin sich geschlossene Individualität. Und jede Landwirt-schaft müsste eigentlich sich nähern – ganz kann dasnicht erreicht werden, aber sie müsste sich nähern – die-sem Zustand, eine in sich geschlossene Individualität zusein.“1

Dies sind wohl die wichtigsten Sätze im Landwirt-schaftlichen Kurs, wenn es um Überlegungen und Erör-terungen zum landwirtschaftlichen Organismus geht.

Und sie sind deshalb in ihrer Wichtigkeit nicht zu über-schätzen, weil nur eine Landwirtschaft, welche als Orga-nismus verstanden und betrieben wird, in die Zukunfthinein gesund und damit lebensfähig bleiben kann.

Es braucht ganz bestimmte Voraussetzungen, dass sicheine Landwirtschaft zu einem Organismus entwickelnkann:

Es wird hier hilfreich sein, die Viergliederung alles Sei-enden zugrunde zu legen:

Die physische Organisation des landwirtschaftlichenHofes

Die naturhaft angelegte physische Organisation desHofes hängt wesentlich von den Standortbedingungenab und ist nur begrenzt veränderbar, sei es durch Ter-rassierung, Be- und Entwässerung, Windschutzhecken.Etwas mehr Einflussmöglichkeiten bieten die Bodenbe-arbeitung und die Düngung.

1 Steiner, Rudolf: „Geisteswissenschaftliche Grundlagen…“, S 42

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Biodynamischer Landbau

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Die Seelenorganisation offenbart sich nicht nur durch die Tierwelt. Sie strahlt um die Pflanzen herum, in Farbeund Duft der Pflanzen, im Bild der Pflanzengestalt, in der Abgeschlossenheit der Baumkrone und der Blüten,in den Hautbildungen eines Waldsaums oder einer Hecke, da wo Empfindungen von Schönheit aufglänzen.

Die Ich-Organisation

Dass sich diese physische Gegebenheit des Standortes des Hofes, die Möglichkeiten der Gestaltung der Pflan-zenwelt und Seelenkräfte der Tierwelt , die astralische Wirksamkeit der Planeten und Sterne zu einer Art Wesens-glieder eines landwirtschaftlichen Organismus und dieser zur Grundlage einer Art Individualität entwickeln kön-nen, bedarf es eines vierten Wesensgliedes: der Ich-Organisation. Sie bildet sich durch die ideengetragene Arbeit

der den Hof gestaltenden Menschen, die alle Wesensglieder durchwirkt, formt und in lebendigem Fluss hält.

Der handelnde Mensch

SeelischesTierwelt

LebensprozessePflanzenwelt

Physische WeltMineralisches

Präparateanwendung

Düngung

Fruchtfolge

Bodenbearbeitung

Viehzucht

Pflege

Fütterung

Viehhaltung

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Der Organismus ist mehr als die Summe seiner Teile

Nur weil in einer Landwirtschaft Viehhaltung undPflanzenbau betrieben wird, es Hecken und Teiche gibt,

heißt das noch nicht, dass eine solche Landwirtschaftschon ein Organismus ist. Man kann eine Landwirtschaftauch führen, indem man verschiedene Arbeits- oder Pro-duktionsbereiche schafft. Es wird immer darum gehen,dass wir den Unterschied von Bereichs-Gliederung undBereichs-Trennung verstehen. Natürlich ist der Anbauvon Pflanzen ein eigenes Arbeitsgebiet, sowie auch dieViehhaltung. Aber wenn wir sie in Bereiche trennen, dann

verlieren sie ihre innere Beziehung zueinander. Der Mistder Tiere wird dann nicht mehr mit dem Leben im Bodenzusammengedacht, das Wohlbefinden der Tiere wirdnicht mehr mit der Frohwüchsigkeit der Pflanzen in Ver-bindung gebracht, die richtige Konsistenz des Topfenswird nicht mehr in Beziehung gesetzt zum Seelenklimaim Stall. Abweichungen von der gewünschten Norm wer-den nur mehr über Zahlen und Analysen erfasst.

Der Organismus ist ein Ganzes von innen her 

Das zu begreifen fällt uns heutigen Menschen schwer.Wir sind es gewohnt zu analysieren; mit unserem Ver-stand die Dinge zu bewerten. Wenn wir aber einen Orga-nismus verstehen wollen, muss noch eine Fähigkeit hin-zukommen. Die Fähigkeit des Erspürens, des Fühlens;des intuitiven Erkennens.

Der Organismus Landwirtschaft entsteht in seinerGanzheit im Herzen des Bauern, der Bäuerin, welche/rdiese lebendige Einheit spüren, fühlen kann.

Dann werden die einzelnen Teile und Bereiche zu Or-ganen sich entwickeln, die in gutem Wirkungs-Gleichge-wicht zueinander bestehen. Es werden nicht mehr jeneTeile bevorzugt, die das Geld bringen; es wird zu einem

Ausgleich in den Wertigkeiten kommen. Die Schönheiteiner Sommerwiese wird in der Wertigkeit nicht unterder guten Milchleistung einer Kuh zu stehen kommen;der feine Geschmack der Karotte wird gleichwertig sein

einer energiesparenden Hackschnitzelheizung.

Wir ahnen schon: Einen Hof als Organismus verstehenzu lernen ist eine Entwicklungsaufgabe.Geduldiges Üben im Wahrnehmen und Beobachten,Vertiefen der Urteilsfähigkeit, zunehmendes Vertrauenzu selbst bestimmtem Denken und Handeln und Arbeitan intuitiver Erkenntnis sind dabei die unerlässlichen

Schritte.Auf diese Weise wird der Bauer, die Bäuerin selbstzu einem empfindenden Organ in diesem Organismusund kann dadurch heilend in die heute durchaus krankeLandwirtschaft hineinwirken.

So können wir sagen:Der Organismus ist immer etwas in sich Geschlossenes

mit folgenden Merkmalen:Der Organismus besitzt eine Haut, eine Grenze, somitein Außen und ein Innen. Er hat eine Form, Gestalt. Eslaufen Prozesse in ihm ab; es gibt Wechselwirkungen, erist in ständiger Veränderung. Die Vorgänge reichen überdas Kreislaufdenken hinaus.

Die Aufgabe, mit dem Gestalten des landwirtschaft-lichen Hoforganismus einen neuen sinnstiftenden Zu-sammenhang zu bilden, ist zugleich die Chance der

biodynamischen Landwirtschaft als kulturschaffendeKraft. Denn die Fähigkeit, den Hof als einen Organismusdenken zu können, führt zu einem auf den anderen aus-gerichteten Verhalten und dieses wiederum zu neuen so-zialen Lebensformen, welche von der Einsicht getragensind, dass ein sozialer Organismus sich nur auf der Basisvon Kooperation entwickeln kann.Mag. Rudolf Keiblinger hielt diesen Vortrag am 23.1.2009

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Boden als lebendiger Organismus

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Der Boden als lebendiger OrganismusWalter Sorms

Inhaltlich lässt sich der Vortrag von Walter Sorms in

drei große Bereiche gliedern, welche einander bedingen:

Der Boden als LebewesenEine gute Ernte ist die beste VorfruchtDammkultur als effiziente Bearbeitungsmethode

Der Boden als lebendiger OrganismusWenn in biodynamischen Zusammenhängen vom Boden

als einem Bodenlebewesen gesprochen wird, entstehtoft der Eindruck, dass mit diesem lebendigen Wesenoder Organismus die Summe aller im Boden lebendenOrganismen gemeint ist. Walter Sorms tritt dieser Denk-Ungenauigkeit mit Entschiedenheit entgegen und beruftsich dabei auf Forschungsergebnisse aus der langjährigenakribischen Forschungsarbeit von Dr. Edwin Scheller.Dabei handelt es sich um eine außerordentliche Entde-

ckung: Dr. Scheller konnte die Existenz von spezifischemErdeiweiß nachweisen.  Die Tragweite dieser Entdeckungkönnen wir noch gar nicht abschätzen. Wenn wir das fürwahr nehmen, dann ist der Boden ein eigenes Lebewe-sen und das muss weitgehende Folgen für unseren Um-gang mit dem Boden haben.

Eiweiß ist der zentrale Stoff des Lebens. Überall wo Ei-weiß ist, kann das Leben andocken. Die Erkenntnis, dasses ein eigenes Erdeiweiß gibt, bedeutet, dass der Bodenlebt. Und überall wo etwas lebt, wirkt eine Kraft.

Und so erklärt uns Walter Sorms in seinem Vortragauf der Grundlage dieser Annahme sein Verständnis fürden Umgang mit dem Boden und die dafür speziell ent-wickelten technischen Hilfsmittel zur Bearbeitung desBodens.

Er stellt sich drei Kernfragen:

• Wo liegt die Quelle des Ertrages, wenn die

Theorie von der Pflanze als zehrendemOrganismus aufgegeben wird?(Staubsaugerfunktion der Pflanze)• Wie ist der Satz „Der gute Ertrag ist die besteVorfrucht“ zu verstehen?• Wie können wir – neben einer durchdachtenFruchtfolge – über die Bodenbearbeitung derTatsache gerecht werden, dass der Boden ein

lebendiger Organismus ist?

In der Landwirtschaft begann sich mit dem Beginndes 20. Jahrhunderts die mechanistische Auffassungvon Welt und Natur durchzusetzen. Demnach muss einePflanze für ihr Wachstum Stoffe aus dem Boden aufneh-men. Das bedeutet: Je besser sie wächst, desto mehrStoffe entzieht sie dem Boden. Daher müssen dem Bo-den jene Stoffe, welche die Pflanze entzogen hat, in mi-neralischer Form wieder zurückgegeben werden. DieseAnsicht führte dazu, dass aus verschiedenen Gegendender Welt mineralische Dünger - Grundstoffe - eingeführtwurden und noch immer werden. Die geisteswissen-schaftlichen Grundlagen der biodynamischen Landwirt-schaft widersprechen dieser Annahme.

Hier setzt Walter Sorms an, wenn er sagt: „Aus bio-dynamischer Sicht sind wir angehalten, dem Lebendigen

gegenüber ein Vertrauen zu hegen, dass das Leben fürsich selber sorgt. Wir haben als Bauern und Bäuerinnendie Aufgabe, die Gesetze zu erkennen, nach denen dasLebendige sich erhält. Auf Grundlage dieser Gesetze kön-nen wir dann die richtigen Bedingungen schaffen durchangepasste Bodenbearbeitung, sorgfältige Saatgutselek-tion und zeitgerecht durchgeführte Pflegemaßnahmen

Boden als lebendiger Organismus

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sowie Präparateanwendungen.Walter Sorms beginnt damit, dass er die Frage nach

der Quelle des Ertrages stellt. Er legt seinen Überle-gungen und Ausführungen die drei Grundgesetze des

Lebens zu Grunde:• Jedes Lebewesen besteht aus Eiweiß.• Jedes Lebewesen betreibt Stoffwechsel.• Für den Stoffwechsel wird Energie gebraucht.

Die Pflanze kann – und das hat sie dem Menschen ge-wissermaßen voraus – die Energie direkt von der Sonneaufnehmen. Sie wandelt diese Energie in einem Verdich-

tungsprozess um. Vermittelt über die Ernährung wirddann dem Tier und dem Menschen diese Energie für dieje eigenen Lebensprozesse zur Verfügung gestellt.

Diese Energie verdichtet sie zu Zucker, Stärke – zu Ma-terie.

In diesem Umbildungsprozess entstehen auch Sub-

stanzen, welche die Pflanze in den Boden hinein aus-scheidet.

Um die Wurzelspitzen herum verdichten sich solcher-art die Lebensprozesse, da sich Kleinstlebewesen inhoher Zahl von diesen Pflanzen-Ausscheidungssubstan-zen ernähren können. Diese Kleinstlebewesen erzeugenAusscheidungsstoffe und diese wiederum sind beteiligtam Humusaufbau.

Ein Boden ist dann fruchtbar, wenn Aufbau und Ab-bau im Gleichgewicht sind. Und wir können sehen, dassdieses Gleichgewicht keine Angelegenheit von Stoff-mengen ist, sondern in erster Linie abhängt von denLebensprozessen sowohl in der Pflanze als auch im sieumgebenden Erdreich. Das Gesagte gilt dann, wenn diePflanze sich aus dem Lebendigen des Bodens ernährenmuss und nicht künstlich ernährt wird.

Neben der Einsicht, dass sorgfältig kompostierterStallmist von verdauungsstarken Tieren den kontinuier-lichen Humusaufbau ermöglicht, unterstreicht WalterSorms die Tatsache, dass es aber auch ein vitales Pflan-zenwachstum braucht, um den Boden fruchtbar zu hal-ten. In diesem Sinne meint er:

Eine gute Ernte ist die beste Vorfrucht

Ist diese Aussage nicht ein Widerspruch zur Liebig-schen Formel vom Stoffausgleich? Denn in diesemSinn müsste der Mangel an, von der Pflanze aufgenom-menen, Stoffen im Boden nach einer guten Ernte vielgrößer sein.

Walter Sorms erläutert diese Problematik an einemVersuch:

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Auf zwei Versuchsfeldern - ein Feld wird mit Kali ge-düngt, eines bleibt ungedüngt - werden Rüben gebaut.Der Ertrag auf dem ungedüngten Feld war genauso hoch,wie auf dem gedüngten. Die Erwartung, dass man auf

dem ungedüngten Feld einen Rückgang von Kali nach-weisen könne, erwies sich als Fehleinschätzung. Es warsogar nachzuweisen, dass auf dem ungedüngten Feldder Kaligehalt gestiegen war. Walter Sorms führt diesenVersuch an, um zu zeigen, dass ein hoher Ertrag – inso-fern er nicht auf hohe Düngergaben zurückgeführt wer-den kann – ein Zeichen für vitale, „fleißige“ Pflanzen ist,welche neben dem hohen Ertrag auch noch Überschüsse

in den Boden hinein produzieren. Er erklärt das damit,dass solche vitale Pflanzen einen hohen Energieumsatzhaben. Je besser eine Pflanze wächst, desto mehr Sub-stanzen bildet sie, welche sie in den Boden hinein aus-scheiden kann und desto mehr Lebewesen können sichrund um die Wurzel herum entwickeln und desto mehrProzesse werden in Gang gesetzt:

Damit werden Lebensgrundlagen für eine Vielfalt vonPilzen, Bakterien und andere Mikroorganismen geschaf-fen. Und das wiederum unterstützt den Humusaufbau.

Von der Frohwüchsigkeit der Pf lanze

Der Bauer ist also angehalten, dafür Sorge zu tragen,dass die Pflanzen ihre optimalen Bedingungen für ein

vitales Wachstum vorfinden.

Walter Sorms hält nichts von jener Haltung, von derNatur nur zu nehmen, was sie uns von sich aus gibt. Diesgilt selbstredend für jene Kulturpflanzen, welche der Er-nährung von Tier und Mensch dienen.

Der Mensch als Bauer muss die Prozesse der Natur

– und für diesen Themenkreis – die Prozesse im Bodengenauestens beobachten und studieren. Aus einem sol-chen Verständnis kann er der Natur, ohne diese zu schä-digen, höhere Erträge abringen. Das richtige Maß unddas Vermeiden von Einseitigkeiten jedweder Art zugun-sten von höheren Erträgen müssen in diesem Zusam-menhang jedoch stets bewusst bleiben.

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„Wenn nämlich für irgendeinen Ort der Erde einNiveau, das Obere der Erde, vom Inneren der Erdesich abgrenzt, so wird alles dasjenige, was sich über

diesem Niveau einer bestimmten Gegend sich erhebt,

eine besondere Neigung zeigen zum Lebendigen, einebesondere Neigung zeigen sich mit dem Ätherisch-Lebendigem zu durchdringen. Sie werden es daherleichter haben, gewöhnliche Erde, unorganische,mineralische Erde, fruchtbar zu durchdringen mithumusartiger Substanz oder überhaupt mit einer

in Zersetzung begriffenen Abfallsubstanz, wenn SieErdhügel aufrichten und diese damit durchdringen.

Dann wird das Erdige selber die Tendenz bekommen,innerlich lebendig, pf lanzenverwandt zu werden.“1

1 Steiner, Rudolf: „Geisteswissenschaftliche Grundlagen zumGedeihen der Landwirtschaft“, 7. Auage, Rudolf Steiner Verlag,

Dornach 1984; S 90

 „Ein kümmerliches Pflanzenwachstummuss uns weh tun“ 

sollte nach Ansicht von Walter Sorms zum Credo eines

jeden Bauern werden. Voraussetzung dafür ist allerdingszum einen ein Verständnis vom Boden als Organismusund zum anderen, dass die Pflanze aus der Lebendigkeitdes Bodens wachsen soll und nicht durch „Infusionen“.

In unseren Breiten haben wir alle Nährstoffe für diePflanzen in Hülle und Fülle in der unmittelbaren Umge-bung der Pflanze. Wir müssen nicht Nährstoffe von weitherkarren. Aber wir können die vorhandenen Nährstoffe

für die Pflanzen nur verfügbar machen, wenn wir uns da-rum bemühen die Bedingungen des Lebens zu verste-hen.

Wer das Lebendige verstehen will, muss sich fragen:

Wie schaffe ich lebensfreundliche Bedingungen?

Dies sollte das Motto sein für alle Überlegungen zur• Düngung und zur• Bodenbearbeitung.

Lebensfreundliche Bedingungen sind immer die mittle-ren Zustände zwischen

nass und trocken,heiß und kalt,stickig und Durchzug.

Walter Sorms bringt den Vergleich mit einem Haus,welches auch gegen Nässe und Austrocknung isoliert

ist, welches eine Dämmung hat gegen Hitze und Kälte.Und dieser Vergleich soll hinführen auf eine Boden-

struktur, die diese Eigenschaften erfüllt. Ein krümeligerBoden braucht sechs Kältegrade mehr, bis er gefriert.Ausgehend von dieser Krümelstruktur führt uns WalterSorms hin zum vierten Vortrag im „Landwirtschaft-lichen Kurs“:

Grundelemente der Umwandlung

k l f h l b di d d d d h l d kl h

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Dammkultur führt zur Verlebendigung des Bodens

Unbefriedigende Erfahrungen mit der pfluglosen Bo-denbearbeitung, dann später mit dem Pflügen und die

über Jahre zusammengetragenen Erkenntnisse über dasLebendige, verbunden mit diesem Hinweis von RudolfSteiner haben Walter Sorms zur Dammkultur geführt.Gut durchdachte, aber im Grunde einfache technischeVorrichtungen machen diese Bodenbearbeitung möglichWalter Sorms berichtet, dass das Gleichgewicht zwi-schen Humusaufbau und Humusabbau durch diese Bo-denbearbeitungsmethode besser zu halten ist, dass die

oben genannten Einseitigkeiten besser auszugleichensind und daher die Lebendigkeit und auch die Gesund-heit im Boden steigt.

Anhand von einigen Tafelzeichnungen von technischenVorrichtungen erklärt Walter Sorms seine Bodenbearbei-tung und es gelingt ihm, jene Prozesse zu veranschau-lichen, welche die Dammkultur als sinnvolle Methodeauszeichnen:bessere Durchluftung, Durchlichtung und Durchwär-mung

Die anwesenden Bauern und Bäuerinnen waren vonden Ausführungen so angetan, dass die Idee einer Ex-kursion nach Rengoldshausen in den Raum gestellt wur-de, um diese Bodenbearbeitungsart an Ort und Stelle zustudieren. Daher werden weitere und genauere Ausfüh-rungen zu diesem Thema nach der Exkursion folgen.

Zur Person:Familiengeschichtlich betrachtet stammt Walter Sormsnicht aus der Landwirtschaft. Nach dem Besuch einerWaldorfschule widmete er sich dem Schleifen von Tur-malinen und brachte es dort zu großem Können. Trotz-dem rief ihn die Landwirtschaft. Er legte die Meisterprü-fung als Landwirt ab und ging für ein Jahr nach Brasilien.

Die dortigen Bodenverhältnisse, die klimatischen Be-dingungen, vor allem aber die soziale Toleranz im Zu-sammenleben hinterließen einen bleibenden Eindruck.Zusammen mit E.v. Wistinghausen und zwei Gärtnerfa-

milien pachteten Walter Sorms und seine Frau ab 1985das Hofgut Rengoldshausen in Überlingen, welches ur-sprünglich von einer Industriellenfamilie aufgekauft undzur Pacht freigegeben wurde.

Inmitten des Obstbaugebietes Bodensee, drei Kilome-ter östlich von Überlingen, liegt das Hofgut Rengolds-hausen. Seit dem Jahr 1932 wird dort biodynamisch ge-wirtschaftet. Aus dem ursprünglich reinen Milchviehbe-

trieb ist mittlerweile ein vielfältiger Betriebsorganismusentstanden.Er gliedert sich in die Bereiche:

 • Landwirtschaft • Gärtnerei • Samenzucht • Das landwirtschaftliche Grundjahr als

speziellen Ausbildungsbereich

Derzeit leben und arbeiten mehrere Familien, Gehil-fen, Auszubildende und bis zu zehn Schüler des land-wirtschaftlichen Grundjahrs auf dem Hof. Zusammenmit einer zweiten Familie ist Walter Sorms und seineFamilie für die Tierhaltung und den Ackerbau zustän-dig, zwei Familien leiten die Gärtnerei, eine Familieleitet die Ausbildung im Grundjahr und Frau Brigitte von

Wistinghausen betreibt Saatgutzucht und -forschung.„Biodynamische Landwirtschaft bedeutet für unsnicht nur Verzicht auf Kunstdünger, chemisch-syn-thetische Pflanzenschutzmittel und gentechnischeManipulation, sondern auch die bewusste Pflegeder gesamten Lebenszusammenhänge der Natur“.

Grundelemente der Umwandlung

D kö i b i i l i b k iG d l t d U dl

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Das können wir beispielsweise bemerken, wenn wirden „ökologischen Fußabdruck“ des Menschen näherbetrachten. Bereits die Überkonsumtion und Überaus-beutung durch einige wenige Länder ermöglichen es,

die regenerativen Kräfte der Erde zu überschreiten undsomit die gesamte Welt in eine nicht nachhaltige Situa-tion zu bringen. Für viele Menschen ist unnachhaltigesHandeln und Leben normal geworden.

Nachhaltigkeit, als notwendiges Prinzip des Leben-digen, können wir uns sehr gut vergegenwärtigen, wennwir uns dem Boden annähern. Hier sehen wir, dass dielebenserhaltende Qualität der Böden in Gefahr ist, etwa

durch Abschlämmung oder Bodenabtrag, durch Ver-dichtung und auch durch den Kohlenstoffverlust. Wirlernen, dass wir dem Boden mit der Düngung etwaszurückgeben müssen, damit die organische Substanz er-halten oder vielleicht sogar gesteigert werden kann.

Humusbildung und Düngung stehen in einem engenZusammenhang.

 „Man muss wissen, dass das Düngen in der Ver-lebendigung der Erde bestehen muss, damit die

Pflanze nicht in die tote Erde kommt und es schwerhat, aus ihrer Lebendigkeit heraus das zu vollbrin-

gen, was bis zur Fruchtbildung notwendig ist.”2

Da bei der Bodenbildung komplexe und empfindlicheProzesse ablaufen, kommt gerade der Kompostierung

hohe Bedeutung zu. Während wir die Kompostierungbegleiten, versuchen wir etwas aus dem Geistigen insVerstehen zu bringen und nicht blind Rezepte anzuwen-den.

Da die Erde selbst als ein komplexer Organismus be-

2 Steiner, Rudolf: „Geisteswissenschaftliche Grundlagen zumGedeihen der Landwirtschaft“, Landwirtschaftlicher Kurs;Rudolf Steiner Verlag, Dornach, 1985

Grundelemente der Umwandlungspro-zesse während der Kompostierung Florian Amlinger 

Einleitung

„.Und solang du das nicht hast,

 Dieses: Stirb und werde!

 Bist du nur ein trüber Gast

 Auf der dunklen Erde.” 1

Was Goethe vor langer Zeit zum Ausdruck brachte, isteine wichtige Erkenntnis für die Grundlage der biodyna-mischen Landwirtschaft und formuliert eine Grundeigen-schaft des Lebendigen auf unserer Erde. Gemeint sindTransformationsprozesse und Entwicklungen, denenwir als Menschen, genauso wie der Boden, unterworfensind. Wenn wir versuchen uns dem Boden anzunähern,erwerben wir ein Grundverständnis für die Prozesse von

Aufbau und Abbau und damit auch für die Kompostie-rung.

Dieser Aufbau und Abbau geschieht in der Naturlaufend und in der Landwirtschaft versuchen wir Men-schen diesen Prozess so zu steuern, dass wir ein ganzbestimmtes Endmaterial erhalten. Das ist eine der Tä-tigkeiten des Menschen, wo er daran teilnehmen kann,wie Neues geschaffen wird. Wenn wir nicht mit der Natur

denken und arbeiten, sondern den Fehler machen gegendie Natur zu wirken, verhalten wir uns auf eine unnatür-liche Weise und die kurzfristig auftretenden Vorteile da-von verschwinden sehr schnell.

1 Goethe, Johann Wolfgang: „Der west-östliche Divan“, InselVerlag, Frankfurt am Main, 1974

Grundelemente der Umwandlung

noch größeren Unterschied was die Oberflächenstrukturgriffen werden kann braucht es den Eintrag aus allen

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noch größeren Unterschied was die Oberflächenstrukturbetrifft.

Abbildung 1: Innere Oberfläche des Bodens Bundesgüte-gemeinschaft Kompost e.V., 2005

So erreichen Böden auf einer Fläche von einem Hektarund einer Tiefe von 20 cm mit 20% Ton und 3% stabilemHumus eine Oberfläche von 210000 m2 (Blum, 2006).Es ist das Hauptziel der Kompostierung, stabile Humus-

formen aufzubauen. Dann kann der Boden im Feld auchleichter bearbeitet und von Pflanzen besser durchwur-zelt werden.

griffen werden kann, braucht es den Eintrag aus allenWirklichkeitsebenen: aus der materiellen, geistigen undseelischen Dimension.

Der Boden ist eine enorme Ressource, ein Lebens-

raum für Tiere und Pflanzen. Er wirkt als Puffer gegenVerschmutzung und er filtriert und säubert das Grund-wasser. Nicht nur die physikalischen Teile eines Bodensermöglichen diese Prozesse, sondern auch die Lebewe-sen, die sich im Boden befinden. Diese Lebewesen - vonden Mikroorganismen über alle möglichen Arten vonKleinsttieren bis hin zu den Regenwürmern - kommenhauptsächlich in den obersten Schichten des Bodens

vor, wo sich auch der Humus befindet. Diese Tatsachemuss man sich vor Augen führen, wenn man sich mitder Düngung beschäftigt. Diese Lebewesen werden alserste mit der Düngung konfrontiert. Bezieht man dieseAnschauung in die Überlegungen zum Düngen mit ein,wird das auf die Art der Düngung Einfluss nehmen, denndie Stoffwechselprozesse all dieser Lebewesen trageneminent zur Verlebendigung des Humus bei, sodass Ru-dolf Steiner im Landwirtschaftlichen Kurs den Humus„ein Belebungsmittel der Erde“ nennen konnte.

Der Humus, äußerlich wahrnehmbar in der dunklerenFärbung des Bodens, hebt die Komplexität eines Bo-dens, verbessert die Struktur durch die Bildung von Ag-gregaten, sodass mehr Wasser und Luft zur Verfügungstehen und bildet zusätzlich eine größere Oberfläche,wo Bodentiere, Minerale und Nährstoffe miteinanderin Kontakt kommen. Eine größere Oberfläche bedeutet

immer auch mehr Lebensmöglichkeiten, das heißt dassmehr Stoffwechselprozesse stattfinden.

Die Oberflächenbildung hängt ab von der Zusammen-setzung des Bodens. So sind die Tonteilchen kleiner alsdie Teilchen des Schluffbodens oder die von Sand undbilden deshalb auch eine größere Oberfläche. Diese Ei-genschaft beeinflusst die Aufnahme und Bindung vonWasser und Luft. Der Anteil von Humus macht einen

Grundelemente der Umwandlung

Wie kann die Beziehung zwischen Boden und Pflanze an Kationen ist Die endgültige humifizierte organische

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Wie kann die Beziehung zwischen Boden und Pflanzeverstanden werden?

 „Es ist für viele Pflanzen gar keine scharfe Gren-

ze zwischen dem Leben innerhalb der Pflanze unddem Leben im Umkreis, in dem die Pf lanze lebt.”3

Die Beziehung zwischen Pflanze und Boden als Le-bensraum – und in unserem Zusammenhang ist vorallem der Humus gemeint – ist so, dass das Eine ohnedas Andere nicht sein kann.

Das ist besser einzusehen, wenn man bedenkt, dass

Humus immer aus Sonnenenergie entsteht, welche vonder Pflanze über die Photosynthese hereingeholt wird.Es sind die Pflanzen, welche von den Tieren gefressenund im Verdauungsprozess umgewandelt werden undin dieser umgewandelten Form für den Aufbau von Hu-mus sorgen. Die Pflanze ist völlig umgewandelt, wennkeine Struktur des Ausgangsmaterials in dem Humusmehr vorhanden ist. Dieser strukturauflösende Prozessist die Voraussetzung, damit wieder neue Strukturen auf-gebaut werden können. Leben ist nur möglich in diesemSpannungsfeld zwischen Abbau und Aufbau. Und es istein großes Forschungsgebiet für die Wissenschaft undein weites Übungsfeld für die Empfindungsfähigkeit desBauern oder der Bäuerin, dieses Geheimnis von Abbauund Aufbau in der richtigen Weise zu erkennen, wie esim Goethezitat schon angesprochen ist.

Die Stabilität von Humus entsteht durch eine Verbin-dung zwischen den Huminstoffen und dem Tonmineral.Die Tonminerale sind ein Teil des physikalischen Bodens.Diese Verbindung ist chemisch so zu verstehen, dassder Ton eine negative Ladung hat und der Humus reich

3 Steiner, Rudolf: „Geisteswissenschaftliche Grundlagen zumGedeihen der Landwirtschaft“, Landwirtschaftlicher Kurs;Rudolf Steiner Verlag, Dornach, 1985

an Kationen ist. Die endgültige humifizierte organischeSubstanz ist auch durch Wasserabstoßung stabilisiert,deswegen können größere Aggregate in huminreichenBöden vorkommen. Die Aggregate sorgen für vielfältige

Lebensbedingungen für die Lebewesen des Bodens, sodass eine erhöhte Komplexität und eine Anhebung derEbene des Bodens vom Physikalischen zum Lebendigen erfolgen kann. Diese Annäherung an das Lebendige istgekennzeichnet durch das vermehrte Auftreten von tie-rischem und mikrobiellem (pilzlichem und baktriellem)Leben in diesem Milieu.

Um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie viele Boden-tiere in einem Boden leben, ist hier ein Beispiel von Blum(2006) angeführt: in einem Hektar Boden mit 30 cm Tie-fe können 25 Tonnen Biomasse als Edaphon enthaltensein.

Es hat sich herausgestellt, dass durch Einbringenvon Kompost in den Boden, die Zahl der Regenwürmersteigt, und die Biodiversität der Bodentiere generell er-höht wird. Für den Landwirt oder die Landwirtin ist esauch bedeutsam, dass durch höhere Enzymaktivität undeinen größeren metabolischen Quotienten der Ertragaus dem Pflanzenwachstum größer wird.

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Abbildung 2: Das Edaphon - Der Boden als Lebensraum (nach Voitl et al., 1980; Blum, 2006)

Grundelemente der Umwandlung

Die Bedeutung des Kohlenstoffs in der Kompostfrage

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g ff p f g

Kohlenstoff im Boden kann in verschiedenen Formenvorkommen, die auch die Stabilität beeinflussen. Humin

ist die stabilste Form von Kohlenstoff, Huminsäure-C istweniger und Fulvosäure-C noch weniger stabil. Die Tabel-le von stabilen Kohlenstoffverbindungen in organischenDüngern zeigt den Fertigkompost mit dem größten An-teil an stabilen Fraktionen.

Auch ein Langzeitversuch mit biodynamischer Mist-düngung, als eine von fünf organischen Düngevarianten

(DOK Trial) zeigt, dass Humin-C den größten Anteil anstabilen Huminstoff-Fraktionen hat, besonders bei derbiodynamischen Behandlung (Fliessbach et al 2000).

Abbildung 3: Mistkompostierung in Kombination mitden biodynamischen Präparaten steigert denHuminstoffgehalt und die Krümelstabilität im Boden(Fliessbach et al., 2000)

Auch der pH-Wert ist über die Zeit erhöht, aber nurfür die biodynamische Mistkompostvariante. Ein ande-rer Versuch zeigt nach 12 Jahren einen größeren Anstiegdes pH-Werts bei den Böden mit größerer Kompostgabe(Kluge et al., 2008).

Zur Kompostierung 

Bevor wir mit der Kompostierung beginnen, könnenwir uns überlegen, was wir im Gesamtprozess steuernkönnen:

(1) die Zusammensetzung des Ausgangs-  materials und Strukturierung des Haufens(2) die Sauerstoffversorgung(3) den Wasserhaushalt(4) eventuell den Temperaturverlauf

Zu (1): Es nimmt großen Einfluss auf den Kompostie-rungsverlauf, welche Ausgangsmaterialien ich wie auf-

Grundelemente der Umwandlung

schichte. Der Atmungsvorgang dieses sich bildenden .

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g g gOrganismus „Komposthaufen“ muss stets im Bewusst-sein sein. Dieser Atmungsvorgang wird über die Struk-tur ermöglicht. Holzanteile sollen fein aufgefasert wer-

den, zu feuchte Substanzen müssen so aufgeschichtetwerden, dass (2) genug Durchlüftung möglich ist. Daskann im Gartenkompost durch Holzanteile, im Stallmistdurch hohen Strohanteil erreicht werden. (3) Die Rege-lung des Wasserhaushaltes spielt nach beiden Polen hineine große Rolle:

Wird der Komposthaufen zu trocken, kann er sehr heißwerden (über 65° C) oder im Stadium der Verpilzung

stecken bleiben und damit nicht bis zum vollen Abbaugelangen.Ist der Haufen zu nass, bekommen wir es mit Fäul-

nisvorgängen zu tun, welche auch keine optimalen Um-setzungsprozesse sind und niemals zum Humusaufbauführen.

 Wenn nun die Abläufe bezüglich Luftzufuhr und Was-serhaushalt nicht zufrieden stellend sind, dann kannman sich behelfen, indem der Komposthaufen umge-

setzt wird.Dieser Haufen entwickelt sich zu einem geschlos-

senen Bodenbildungsorgan. Durch den Abbau, der indem Haufen stattfindet, gehen Kohlenstoff (als CO2und Methan) und Stickstoff (als Ammoniak) verloren.Das Ziel ist es, diesen Verlust sehr niedrig zu halten. EineEffizienz von 40% wird erwartet, während der Rest verat-met wird. Wenn Stroh, Laub oder Erde auf den Haufen

gelegt werden, kann durch Kondensation ein Abschlussnach oben geschaffen werden. Weiters ist eine mög-lichst homogene Verteilung von Kohlenstoff und Nitrathilfreich. Das Verhältnis von Kohlenstoff zu Nitrat wirdals C/N Verhältnis bezeichnet und das Optimum liegt imVerhältnis 20-35 C zu 1 N. Dann ist auch der Stickstoff-verlust möglichst gering.

Abbildung 4: Das C:N Verhältnis verschiedener Aus-

gangsmaterialien zur Kompostierung

Abbildung 5: Beziehung des C/N-Verhältnisses und desgasförmigen Stickstoffverlustes während der Kompostie-rung (nach Grabbe und Suchardt, 1993)

Zuerst geschieht eine Massenvermehrung von aero-ben und fakultativ anaeroben Bakterien, die den leichtabbaubaren C-Gehalt umwandeln. Als zweites werdenHemizellulose und Zellulose von Bakterien und Pilzenabgebaut. Als letzter Schritt arbeiten hauptsächlich diePilze an Lignin, was ein wesentlicher Bestandteil der Hu-

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Grundelemente der Umwandlung

In dieser Einführung haben wir starke empirische Hin- Literaturangaben 

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weise präsentiert bekommen über die positive Wirkungder biodynamischen Präparate (wie zur pH-Wert Erhö-hung des Ackers durch Kompostauftragung, zur Biodi-

versitätserhöhung, zur Aggregatstabilitätsverbesserung,usw.). Und diese Beweise kommen aus wissenschaft-lichen Untersuchungen. Wir sehen nun, dass es wirkt,aber wir haben keine plausible Theorie, keine plausibleErklärungshypothese dazu, warum es so wirkt. Warumwirken die Präparate also? Wie wichtig ist diese Frage? Istsie so wichtig, dass wir den Präparaten nicht vertrauenund diese deshalb nicht anwenden wollen?

Ein zentraler Punkt zwischen dem Geistigen und demWissenschaftlichen wird also im Vertrauen gefunden. Wirwissen, dass die Wissenschaft noch lange nicht alles er-forscht hat und dass manchmal etwas fehlt und da bleibtes an uns selber zu suchen. Eine Suche über unsere Welt,damit wir sie verstehen. Dieses Suchen ist durch die bio-dynamische Landwirtschaft angedeutet, für Bauern undBäuerinnen, die auf ihren Feldern und mit ihren Tierenmit diesen Phänomenen in der Praxis zu tun haben.

Es ist das Anliegen der biodynamischen Landwirtschaftdie Erkenntnisse, Erfahrungen, Beobachtungen undWahrnehmungen des Praktikers mit den Forschungs-ergebnissen der Wissenschaft in Übereinstimmung zubringen. Das verlangt einen kooperativen Wahrneh-mungs- und Austauschprozess und gegenseitige Akzep-tanz. Es ist also eine soziale Frage. Und in unserer Zeit,wo die Landwirtschaft in ihren Grundlagen zunehmend

erschüttert wird, eine existentielle. (Anm. N.W.)

Alice Budai , Gaststudentin aus Norwegen hat diesenVortrag für diesen Sammelband aufbereitet.

Florian Amlinger hat diesen Vortrag am 21.November2008 im Rahmen der Ringvorlesung gehalten

Binner, E., 2003. Kompostierung von biogenen Abfäl-len, Vorlesungsunterlage zur LV-Nr. 520.338. ABF, Boku,

WienBlum, W., 2006. Verwertung von Abfällen über denBoden – grundsätzliche Überlegungen aus der Sicht ei-ner nachhaltigen Bodennutzung. Zur verfügung gestell-te Vortragsunterlagen zu einer Präsentation am 1. März2006, Die Verwertung von Abfällen auf dem Boden. Ös-terreichisches Normungsinstitut, Wien

Bundesgütegemeinschaft Kompost e.V., 2005. Orga-

nische Düngung. Grundlagen der guten fachlichen Praxis.Schriftenreihe ‚Kompost für die Landwirtschaft’, Köln.Fliessbach, A., Mäder, P., Pfiffner, L., Dubois, D., Gunst,

L., 2000. Bio fördert Bodenfruchtbarkeit und Artenviel-falt. Erkenntnisse aus 21 Jahren DOK-Versuch. Hrsg: For-schungsinstitut für biologischen Landbau. Fibbl Dossier,Nr.1, Frick.

Grabbe, K., Suchardt, F., 1993. Grundlagen der Kompo-stierung. Kompostierung und landwirtschaftliche Kom-

postverwertung, KTBL-Arbeitspapier 191: 49 - 64Kluge, R., 2008: Kluge, R., Deller, B., Laig, H., Schulz, E.,

Reinhold, J., Haber, N., (2008) Nachhaltige Kompostan-wendung in der Landwirtschaft. Endbericht. Landwirt-schaftliches Technologiezentrum Augustenberg, Karlsru-he, 126 S. http://www.kompost.de/fileadmin/docs/shop/Anwendungsempfehlungen/ltz_Abschlussbericht---

Nachhaltige-Kompostanwendung-in-der-Landwirt-

schaft_BGK.pdf [29/11/2008]Steiner, R., 1924: Geisteswissenschaftliche Grundlagen

zum Gedeihen der Landwirtschaft“, LandwirtschaftlicherKurs; Rudolf Steiner Verlag, Dornach, 1985

Voitl, H., Guggenberger, E., Willi, J., 1980. Das großeBuch vom biologischen Land- und Gartenbau. Orac-Pietsch, Wien.

Das Wesen der Pflanze

Einführung in das Wesen der Als „Sinnes“-Organe können sie bezeichnet werden,i d i i h i Blüh K i h hi d

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Pflanze, ihre Lebensbedingungen und ihrBezug zu den übrigen Organen

des landwirtschaftlichen OrganismusBertold Heyden

Ausgehend von einem Scheideweg, an dem heute diePflanzenzüchtung – im Speziellen die Getreidezüchtung,steht, geht der Vortragende auf das Wesen der Pflanzeim Allgemeinen und in weiterer Folge auf die Getreidear-ten ein.

Hat die Gruppe der Monokotyledonen oder Einkeim-blättrigen eine Sonderstellung im Pflanzenreich inne,so nehmen die einzelnen Getreidearten innerhalb derGramineen oder Gräser noch einmal einen besonderenStandort ein.

Durch die gegenseitige Bezogenheit – entfernt ähnlichjener von Mensch und Haustier – sollte an jede Art vonBeeinflussung nur höchst sensibel herangegangen wer-

den.Dieses Herangehen erfordert jedoch eine Reihe von

Einsichten, die nur im Gefolge von geisteswissenschaft-lichen Erkenntnissen sich erringen lassen.

Die Komponenten „Vegetativ“ bzw. „Generativ“ 

Ein wesentlicher Einstieg in das Wesen der Pflanze ist

das Wahrnehmen irdischer und kosmischer Einflüsse.Ist der irdische Einfluss gekennzeichnet durch die ve-getative Komponente, so ist das Kosmische durch dengenerativen Aspekt erkennbar.

Dass die Trennlinie keine exakte ist, und dass diePunkte an den verschiedenen Pflanzenfamilien unter-schiedlich sind, wird noch dargelegt werden. Grundsätz-lich sind Pflanzen Teilorgane des Erdorganismus.

indem sie sich im Blühen zum Kosmischen hinwenden.Gleichermaßen „Sinnes“-Organe sind sie, indem sie be-reits vorher kosmische Impulse aufgenommen haben.

Jedes vegetative Wachstum, ob Rosetten-Pflanze oderBaum, trägt zur Substanzbildung bei.

Dieser Aufbauprozess wird durch das Generative desBlühvorganges begrenzt.

Auf den lebendigen Erdorganismus bezogen, kanndessen Grenze bis an diese Blühregion verschoben wer-den.

Das Seelische im Blühen

Wenn hier auch nicht von einer Pflanzenseele gespro-chen werden kann, so wirken doch in ihren Bildekräftenseelische Impulse.

Diese sind jedoch von außen bildende, nicht wie die

Tier- oder Menschenseele innerlich empfindend.Das zur Tierseele hinströmende mancher Blütenpflan-

zen fehlt den Gräsern und damit dem Getreide vollkom-men. Das Tier ist ausgeschaltet und die Bestäubung einVorgang, der sich allein zwischen Himmel und Erde voll-zieht.

Das Wesen der Pflanze

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Das Wesen der Pflanze

Wachstumsvorgänge oberste Internodium mit der schon vorhandenen Ähren-lage wird zuletzt von diesem Prozess ergriffen

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Sichtbar hineingestellt in ein, das Leben unterstüt-zendes Spannungsfeld von Erde und Kosmos erscheint

die Pflanze in ihrer Gesamtheit von Wurzel, Spross undBlüte.Was in den Metamorphose-Ausführungen als „über“-

sinnlich ausgelöste Phänomene dargelegt wird, soll hierauf die sinnlich-erfahrbare Ebene gehoben oder herun-tergebracht werden.

Zum Verständnis der Pflanzengestalt ist es wichtig,streng zu unterscheiden zwischen dem Substanz schaf-fenden vegetativen Wachstum und dem Heraustreibendes Blütenstandes.

Das erstere ist vom Zellwachstum her deutlich nachunten gerichtet, wobei im Verlaufe des sichtbaren Wachs-tums kontinuierlich Sprossachse und Blattanlagen gebil-det werden.

Eine ganz andere Art von Wachstum stellt sich dar,wenn ein Blütentrieb nach oben geschoben wird. Auf die

Getreidearten bezogen heißt das, im Vegetationskegelunter der Erde „schlummert“ metaphysisch gesehen –bis zur Unkenntlichkeit verkleinert und kunstvoll zusam-mengefaltet – die Pflanze bis in die oberste Kornlage.

Durch den Blühimpuls beginnt der Inhalt dieses Ve-getationskegels sich auszudifferenzieren; die Anzahl dermöglichen Blüten und Verzweigungen im Blütenstandist schon vorgegeben.

Damit ist die Gestaltbildung im Prinzip abgeschlossen,ohne dass ein Halm zu sehen ist.

Die Geste des Wachsens zum Kosmos hin wird durchdas Schossen noch unterstrichen.

Der verbleibende Rest teilungsfähigen Gewebes schei-det nun an jedem Halmknoten Zellen nach oben ab. Je-der Halmabschnitt wird daher von unten gebildet. Das

lage wird zuletzt von diesem Prozess ergriffen.Zumindest im anthroposophischen Saatgutbereich ist

dieser letzte Halmabschnitt ein wichtiges Kriterium für

die innere Lebendigkeit der Getreidepflanze.Auch die Blattbildung erfolgt nach dem Prinzip desGeschoben-Werdens. Das hervor sprießende Blatt wirdunmittelbar in seiner Gestalt festgehalten; durch die Zell-teilung an der Basis wird es nur in die Länge geschoben,dadurch entsteht das parallel-nervige Gras- oder Getrei-deblatt.

Das Phänomen der Grannen

Botanisch sind Grannen einfach erklärt. Bei begranntenWeizensorten erscheinen sie deutlich abgesetzt als Ver-längerung der Deckspelze; bei Gersten allmählich über-gehend. Sie sind ursprünglich als Hilfe zur Verbreitungder Samen anzusehen, sind durch die spürbaren Wider-haken zumindest nicht abwegig, sagt aber über eineneventuellen Zusammenhang mit dem Thema Nahrungs-

qualität noch nichts aus.

Bezeichnenderweise kommt dieser Begriff „Nahrungs-qualität“ in der beschreibenden Sortenliste des Bun-dessorten-Amtes gar nicht vor. Dazu ein Satz aus dem„Landwirtschaftlichen Kurs“: „Sie können ja irgendwel-che Frucht ziehen, die glänzend aussieht, auf dem Feldeoder im Obstgarten, aber sie ist vielleicht für den Men-

schen nur Magen füllend, nicht eigentlich sein inneresDasein organisch befördernd“.1

1 Steiner, Rudolf: „Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum Ge-Steiner, Rudolf: „Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum Ge-deihen der Landwirtschaft“, Rudolf Steiner Verlag, Dornach, 1985

Das Wesen der Pflanze

Dazu zwei Darstellungen aus der Bildekräfteforschungvon Dorian Schmidt

Zwei bisher angewandte Verfahren sind die• Bildschaffenden Methoden

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von Dorian Schmidt.

Unbegrannter Weizen Begrannter Weizen

Das Bemühen der biodynamischen Getreide-Züch-tung zielt zwar hin auf den Begriff Nahrungsqualität, dieskann derzeit jedoch nur ein Hintasten sein.

Zum Einen kommt immer mehr zu Tage, dass dieAnalyse der Inhaltsstoffe nur bedingt über die Qualitäteines Nahrungsmittels etwas aussagen kann; zum An-deren besteht die anthroposophische Sichtweise, dassdiese Qualität abhängig ist von Kräften, die stark in derGestaltbildung der Pflanze verankert sind. Um hier sub-jektive Kausalitäts-Fallen zu umgehen, bedarf es nochgrößter Anstrengungen im Hinblick auf die Erhellung der

Zusammenhänge.Dazu ist es unabdingbar in den Bereich des Leben-

digen vorzudringen, da nur dort die Kräfte zu findensind, die uns über das Stoffliche hinaus ernähren.

• Bildschaffenden Methoden(Kupferchlorid-Kristallisation, Steigbild,Rundfilterchromatographie)

und die von Dorian Schmidt entwickeltMethode der• Bildekräfte-Forschung

Was vorläufig als Erkenntnis erarbeitet wurde ist, dassbegrannte Sorten den unbegrannten an Reifung und Vi-talität überlegen sind.

Bei der zweiten Methode werden Körner verkostet; dieWahrnehmung der Bildekräfte wird beschrieben und ineiner Skizze festgehalten. Diese Wahrnehmung zeigt beiden begrannten Sorten ein deutliches Ausgerichtet-Seinnach oben, und bei den unbegrannten zur Erdenschwerehin.

Eine Korrelation von Grannenweizen und hoher Back-qualität konnte jedoch bis jetzt noch nicht bewiesen wer-den.

Weizensteinbrand und Schachtelhalm

Der Weizensteinbrand oder Stinkbrand gefährdet zu-nehmend den hofeigenen Nachbau von Winterweizen.

Nachdem im biodynamischen Landbau keine che-mischen Beizmittel angewandt werden, war es notwen-dig, bei beginnendem Auftreten nach alternativen Maß-nahmen zu suchen.

Im „Landwirtschaftlichen Kurs“ wird Schachtelhalm

als Heilmittel empfohlen. Am Keyserlingk-Institut wur-den auch andere Mittel versucht, die zum Teil befriedi-gende Ergebnisse gebracht haben. Es waren dies unteranderem Kornrade-Mehl, Meerrettich-Saft, Kresse-Saft,Tonmehl. Die sicherste Methode ist noch immer das auf-wändige Waschen mit kaltem Wasser und einem gerin-gen Spülmittelzusatz (Wirkungsgrad cirka 85%).

Das Wesen der Pflanze

Zusätzliches Beizen mit Kornrademehl und Tonmehl hatden Wirkungsgrad auf 94% erhöht.

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den Wirkungsgrad auf 94% erhöht.Entscheidend für den Erfolg sind die Höhe des Befalls

und auch der Saatzeitpunkt, der möglichst früh ange-

setzt werden sollte. Die Anwendung von Schachtelhalmals Tee oder Jauche hat bis jetzt noch zu keinen großflä-chigen Erfolgen geführt. Vielleicht kann der Gedanke vonRudolf Steiner weiterführen, „was das Equisetum arvensefür einen merkwürdigen Einfluss auf den menschlichenOrganismus hat, auf dem Unweg durch die Nierenfunk-tion…“2.

Schwierigkeiten im Landsorten-Anbau

Die Hauptschwierigkeit ist die Kleinräumigkeit des An-baues der einzelnen Sorten. Zusätzlich beschränkt dieRechtslage den Anbau einer einzelnen Sorte auf 50 ha umnicht mit dem Zuchtregister oder gewerblichen Züchternin Kollision zu geraten. Ein weiterer Schwachpunkt istdas im Laufe der Jahre zunehmende Höhenwachstum,in der Regel verbunden mit einer abnehmenden Stand-

festigkeit. Die zunehmende Steinbrandgefahr durch dieWeiterverwendung des Saatgutes ist besonders in un-günstigen Lagen zu beachten. Bei der Ernte besteht dieGefahr der Vermischung mit dem im Mähdrescher ver-bliebenen Saatgut aus anderen Äckern.

Eine weitere Schwierigkeit kann aus dem wechselndenAnbau in Höhen- bzw. Tallagen, auf Kalk- bzw. Kiesel-grundgestein, zu winternahen bzw. sommernahen Saat-

Zeitpunkten entstehen.Durch diese Maßnahmen wird eine Landsorte zwarbeweglich und viellinig, bietet aber in der Regel kein un-formes Erscheinungsbild.

Diese negative Aufzählung ändert aber nichts an der

2 weiterführend dazu der Aufsatz: „Zum Verständnis der Schach-weiterführend dazu der Aufsatz: „Zum Verständnis der Schach-telhalmwirkung“, Mitteilungen 1993

Kieselformen Kalkformen

Tatsache, dass Hof- oder Regionalsorten ein großerSchritt aus der momentan bestehenden Abhängigkeitwären. Außerdem beginnt die Nahrungsmittel-For-schung wenigstens im anthroposophischen Bereich zuerkennen, was über die Stoffe hinaus für die menschlicheEntwicklung essentiell ist.

Eine andere Art von Reagieren auf die Misere ist dieForschung an Wildgräsern. Ausgehend von Zitaten ausdem „Landwirtschaftlichen Kurs“ die Degeneration derNahrungspflanzen betreffend, gibt es seit damals Ver-suche, einige Wildgräser zu „domestizieren“. Domesti-zieren deshalb, weil vom Gras her Eigenschaften aufge-geben werden müssen, die durch menschliche Handha-bungen ersetzt werden. Zum Beispiel der Schritt von der

Brüchigkeit zu einer Zähigkeit der Ährenspindel vermin-dert gravierend die natürliche Verbreitungsfähigkeit derSamen. Unabdingbar ist auch die wenigstens teilweiseRücknahme der Formenvielfalt einer Population, obwohldiese im Grunde ein lebenswichtiger Faktor ist. Auchhier geht es um eine Art von Tausch, in dem der Menschdurch die Schaffung geeigneter Bedingungen das

Das Wesen der Pflanze

Vorhandensein vieler Linien weniger notwendig macht.Eine zeitliche Eingrenzung ist auch notwendig, was den

gingen in das Gefüge der Natur, so brauchen auch wirheute wieder Kenntnisse, die wirklich hineingehen in das

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g g g,Zeitpunkt der Abreife betrifft, da eine maschinelle Ernteansonsten übermäßig erschwert werden würde.

Ehrenfried Pfeiffer und Hugo Erbe versuchten auf dieseneue Art zu züchten. Die Dokumentation der For-schungsarbeiten von Hugo Erbe liegt bedauerlicher-weise nur unvollständig auf.

In neuerer Zeit sind es die Arbeiten am Keyserlingk-Institut, beginnend mit der Roggentrespe  (Bromus se-calinus) bzw. der Dicken Trespe (Bromus grossus).

Im Jahre 1973 stieß Dr. Heyden im Verlaufe eines Be-suches auf der Krim „zufällig“ auf einen Bestand vonDasypyrum villosum.  Inzwischen kamen noch Formenaus Sardinien und Italien dazu. Alle sind „Wintergetrei-de“ und benötigen daher das Phänomen der Vernalisa-tion. Es ist dies das Einwirken einer genügenden Anzahlvon Frosttagen, um das Schossen zu ermöglichen.

Die vorhandenen Dasypyrum-Formen sind Fremdbe-fruchter, was sie von unseren Triticum-Arten unterschei-det. Seit 2006 wird am „Lichthof“ in Heiligenholz eine

Form relativ großflächig angebaut und versucht, diese indie Fruchtfolge einzubauen. Ein weiteres Anliegen ist dieEingliederung in den Organismus Lichthof, indem dieTiere davon fressen und über den Dünger das „Wesen“Dasypyrum sich möglicherweise ausbreiten kann.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist der Stand der Fort-schritte so, dass verschiedene Formen exakter selektiertwerden und aus dem Erntegut auch schon Backversuche

angestellt werden können.Grundsätzlich erhebt sich die Frage nach dem innerenVorgang bei einer Umwandlung von Wild- zu Kulturge-treide. Ein Satz von Rudolf Steiner aus dem „Landwirt-schaftlichen Kurs“ kann die Frage nicht beantworten,aber als Frage vertiefen: „Wie in alten Zeiten es notwen-dig war, dass man Kenntnisse hatte, die wirklich hinein

, gGefüge der Natur.“3

Vielleicht kann man dieser Frage entgegen kommen,

indem man dieses „Hineingehen in das Gefüge der Na-tur“ in einen Gesamtzusammenhang stellt, d.h. das Wer-den von Kulturgetreide war vor ca. 10000 Jahren „an derZeit“. Und eingebettet in diese Art von Zeitqualität, hatsich Natur in das „Gefüge“ blicken lassen und gleichzei-tig hatten gewisse Menschen das Auge für dieses Hinein-blicken.

Der für uns nachvollziehbare Kulturschritt erfolgte eherdurch die daraus sich bildende Ackerbaukultur, verbun-den mit Sesshaftigkeit, d.h. mit Stadtgründungen. We-sentlich war auch das Einsetzen einer Kultur des Brotes.Ob wir uns heute wiederum Wildgräsern zuwenden sol-len, ist aus der Vergangenheit her nicht zu beantworten.Die Wahrscheinlichkeit ist allerdings aus – wenn auchspärlichen – Aussagen von Rudolf Steiner gegeben.

Auf die Frage von Ehrenfried Pfeiffer, wie es komme,„dass der Wille zur Tat, zur erfolgreichen Durchführungder geistigen Impulse so schwach ist“4, antwortet Stei-ner, es sei eine Frage der Ernährung. Die Nahrung gebedie Kräfte dafür nicht mehr her. In Anbetracht der Ge-dichtzeile von Hermann Hesse – „vollziehe und werdevollzogen“ – kann vermutet werden, dass der mit einemWildgetreide befasste Personenkreis sich zumindest

nicht mutwillig dieser Aufgabe entziehen darf. Ob dieMühe zu einem Ergebnis im Sinne der Steiner’schen Ant-wort führt, kann nur die Zukunft weisen.

3 Steiner, Rudolf: „Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum Ge-Steiner, Rudolf: „Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum Ge-deihen der Landwirtschaft“, Rudolf Steiner Verlag, Dornach, 1985.4 Meyer, Thomas: „Ein Leben für den Geist- Ehrenfried Pfeiffer“,Basel,1999

Das Wesen der Pflanze

 Arbeit am Dasypyrum villosum

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Weiterführende bzw. aktuelle Literatur: 

„Mitteilungen aus der Arbeit“ des Keyserlingk-Institutes„Infobrief Saatgutfonds“ Zukunftsstiftung Landwirtschaft, Christstraße 9,D - 44789 Bochum.Grohmann, Gerbert: „Die Pflanze als dreigliedriges Wesen in ihrer Wechselbeziehung zu Erde und Mensch“Mos, Uwe: „Die Wildgrasveredlung“, Verlag Goetheanum.

Die Metamorphose der Pflanzen

Einführung in die goetheanistischeErkenntnisweise –

Ziel ist die Streckung nach oben und die Verbindungmit den Erdentiefen.

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anhand der Metamorphose der Pflanze alsGrundlage neuer Züchtungsmethoden

Reinhild Frech-Emmelmann

Die Metamorphose der PflanzeRudolf Steiner hat über die naturwissenschaftlichen

Studien Goethes ein Werk verfasst, in welchem die Meta-morphose der Pflanze als Grundlage der Pflanzenbetrach-tung dient.1

In der Botanik wird die Metamorphose definiert als Pro-zess der Umbildungen und Umwandlungen der Grundor-gane (Wurzel, Sprossachse, Blatt) der Pflanzen.

Der goetheanistische Ansatz einer Annäherung an diePflanze:

Um in das Bildungsgeheimnis der Pflanzen einzustei-gen, ist es wichtig die Pflanze vorurteilsfrei zu betrachten.Man sollte alles botanische Vorwissen zunächst ablegen.

Einfach die Erscheinung der Pflanze konkret beschrei-

ben und daraus Schlüsse ziehen. Wesentlich ist also dieKonzentration auf die Phänomene der Pflanze und dasSich-Üben in der Anschauung derselben.Definition: Metamorphose in der Botanik Metamorphose im räumlichen Sinn

Die im Samenkorn veranlagte Pflanze zwängt sich aus

ihrer konservierenden Hülle. Das Samenkorn schwillt an,die Hülle platzt auf. Auf der einen Seite strebt der Keim-ling dem Licht zu, auf der anderen Seite zwängt er sichmit den Wurzeln in die Tiefe.

1 Steiner, Rudolf,: „Goethes Weltanschauung“, Rudolf Steiner

Verlag, 1999

Organ der Pflanze für den Trieb nach oben ist der Stängel.

Es gibt den sich immer wiederholenden Trieb derPflanzen, sich nach oben dem Lichte zuzuwenden, undsich gleichsam entgegengesetzt mit der Wurzel nachunten zu verankern. Dieser Aufrichtetrieb ist der vertikaleTrieb, und wird auch als vertikale Tendenz bezeichnet.

Darüber hinaus existiert bei den Pflanzen der horizon-tale Trieb oder die horizontale Tendenz. Das beginnt mitden Keimblättern und allen darauffolgenden Blättern amStengel. Sie bieten der Erdoberfläche ihre Breitseite dar.Auch in der Sphäre darunter, im Wurzelbereich, gibt eshorizontale Verästelungen.

Über dem Erdorganismus bildet sich eine grüne Pflan-zendecke, vergleichbar einer grünen Höhle, einer leben-digen Haut, während gleichzeitig aus dem Erdinnerensich ein Strahlenleib von immer wieder neuen Pflanzengeneriert, die auskeimen, vertikal nach oben durchstoßen

und zur Sonne drängen.

Das Allgemeine

Allen Pflanzen gemeinsam ist die Urpflanze.Es liegt eine Ureinheit vor, bestehend aus:Knoten – Stängelstück – Blatt.Jede Pflanze hat ihre eigene Entwicklungsfolge.

Bei jedem Blatt gibt es einen Knoten, mit dem es amStängel ansitzt.Zu jedem Knoten gehört ein entsprechendes Stängel-

stück und vice versa, zu jedem Stängelstück gehört einentsprechendes Blatt.Der Stängel trägt die Blattorgane. Er verbindet die Wur-zeln mit den Blättern.

Die Metamorphose der Pflanzen

Generell wird die horizontale Tendenz immer wiederdurch die vertikale Tendenz durchstoßen.

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sind Blätter von verschiedenen Pflanzen.Innerhalb der Pflanze gilt also das Prinzip der Polari-

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Alle Pflanzen dieser Erde sind auf dieser Ureinheit auf-gebaut.

Das Individuelle

Der Ablauf der Entwicklungsfolge ist sowohl in der ver-tikalen, als auch in der horizontalen Richtung individuellverschieden und variabel.

Jede Pflanze hat auch einen eigenen Entwicklungsrhyth-mus.

Die immanente Abfolge ist beeinflussbar von äußerenFaktoren, wie Temperatur, Feuchtigkeit, Licht, Bodenbe-schaffenheit, etc.

Mit dem Emporsteigen der Blätter geht die Formver-wandlung einher.

Entwicklungshistorisch ist die Blüte die höchste Ausfor-mung der Pflanze.

Zur Vertiefung des oben Gesagten nachfolgend einige

Beispiele:

Schildampfer

Hat blaugrüne Blätter und unscheinbare Blüten.Die Blätter sind in ihrer Ausformung nicht gleich. Sie wer-den nach oben hin kleiner und spitzer.

Die untersten Blätter haben beim Blattstängel Einbuch-

tungen und sehen eher herzförmig aus.Man kann das Fortschreiten der Veränderung nur ver-stehen, wenn man das jeweils nächste Blatt in Hinblickauf das vorangehende in kontinuierlicher Abfolge betrach-tet.

Man versteht z. B. nicht die Form des obersten Blattesim Vergleich mit dem untersten. Man würde denken, es

täten und der Steigerung.

Skabiose

Das unterste Blatt ist löffelartig, das oberste nur spitz.Die zweite Blattreihe ist löffelartig, jedoch mit Blattein-schnitt.In der dritten Reihe wird der Blatteinschnitt noch größer.In der vierten Reihe entsteht eine völlig neue Blattform.Es bilden sich Blattreihen zweiter und dritter Ordnung,gleichzeitig wird der Ausgestaltungshöhepunkt erreicht.

Durch die verlaufende Betrachtung vom untersten zumobersten Blatt kann das Prinzip der Steigerung miterlebtwerden.

Die Metamorphose der Pflanzen

Mauerlattich • Die Blätter wachsen am Stängel entlang.Es gibt verschiedene Anordnungsvariationen der Blätter

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Das unterste Blatt ist gegliedert, das oberste nur nocheine kleine Blattspitze, das sogar den Stängel umhüllt. Siesind also ganz verschieden und vordergründig ohne Zu-sammenhang.

Hier wirken Polarität und Steigerung im Goetheschen

Sinne sogar in sehr extremer Ausprägung.Dieses Prinzip der Polarität und Steigerung findet sich

bei allen Blütenpflanzen in irgendeiner Modifikation wie-der.

Man kann den dynamischen Prozess der Formenum-wandlung nur durch genaues Betrachten verstehen undso die Pflanze in ihrem Wesen begreifen.

Gut wahrnehmbar ist dieser Prozess in den Wechsel-

wirkungen zwischen den Blättern und den Blüten:Nach der Metamorphose der Blätter, die nach oben hinimmer kleiner werden, bis sie letztlich ausgelöscht sind,folgt als Krönung die Blüte. Das Blütenprinzip wirkt in dieMetamorphose in den Blättern hinein.

Dabei werden unterschiedliche Entwicklungsausfor-mungen beobachtet.

entlang des Stängels.Immer jedoch nehmen sie nach oben hin ab, d. h. sie wer-

den weniger hinsichtlich Dichte, Anzahl und Größe undlassen somit Platz, um an der Spitze die Ausformung ei-ner Blüte zu ermöglichen.Das Blütenprinzip ist stark und bewirkt die Metamor-phose der Blätter.

z. B.: Skabiose

• Die Blätter und die Blüten wachsen am Stängelentlang.Das Blütenprinzip ist schwach. Es gibt meist keine Meta-morphose in den Blättern.

Die Metamorphose der Pflanzen

Die Blüten wachsen abwechselnd mit den Blättern direktam Stängel; z. B.: Hahnenfuß

Der Blütenimpuls ist zu weit von den Blättern entfernt.Er erreicht die Blätter nicht mehr, daher findet auch keineFormverwandlung statt z B : Spitzwegerich

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Hahnenfuß

•Die Blätter und die Blüte sind in großer Distanz.Das Blütenprinzip wirkt auch hier schwach.Alle Blätter scheinen herabgesenkt zu einer Rosette.

Formverwandlung statt. z. B.: Spitzwegerich

Spitzwegerich

Ähnliches Prinzip findet man auch bei Fingerhut undKönigskerze.

• Nur Blätter – keine Blüten:Das Blütenprinzip fehlt. Der Blütenimpuls ist nicht vor-

handen, es werden überhaupt keine Blüten ausgebildet.Diese Pflanzen haben sehr schön ausgeformte Blätter, esgibt jedoch keine Blattverwandlung.

Die Metamorphose der Pflanzen

z. B.: Farne Die Farne und Schachtelhalme der Jetztzeit sind alsoBoten aus der Vergangenheit.

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Farne 1

Metamorphose im zeitlichen Sinn

Im Laufe der Evolution haben die Pflanzen Metamorpho-sen zu höheren Stufen der Ausformungen vollzogen.

Die Urpflanzen der Vergangenheit waren sehr ähnlich denheutigen Farnen und den Schachtelhalmen. Mit diesenArten ragen sie als Relikte einer alten Zeit in unsere Ge-genwart herein.

Fossile Funde dokumentieren, dass früher ganz anderePflanzen existierten, die auf einem anderen Niveau gelebthaben.

Farne 2

Die Farne bestehen aus Wurzeln, Stängeln und sindreich gegliedertem Blattwerk. Die Blätter sind alle gleich.Man kann sich hier keine Blüte denken, da keine Me-

tamorphose stattfindet, die das Blattwerk auslöscht.Samen werden in Gefäßen an der Blattunterseite ausge-bildet. Man sieht kleine braune Kapseln. Der Sporenstaubfällt zur Erde. Es bildet sich ein unscheinbarer Vorsprossaus, von dem sexuell differenzierte Fortpflanzungszellengebildet werden. Somit hat die Fortpflanzung der Farneauch etwas Tierisches.

Die Metamorphose der Pflanzen

Die Fortpflanzung der Farne erfolgt im Generations-wechsel, d. h. geschlechtliche und ungeschlechtliche Ge-nerationen wechseln sich ab

Der Schachtelhalm ist ein weiteres rezentes Beispiel ei-ner überlebenden Pflanze aus der Vergangenheit.Die Ausgestaltung ist reduziert auf das Stängelhafte

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nerationen wechseln sich ab.Die Fortpflanzung findet also außerhalb der Pflanze

statt und Bedarf eines Zwischenprozesses, des Vor-sprosses.Farne haben keine Staubgefäße und keine Samenkap-

seln, sondern nur den Sporenstaub. Das ist Blütenstaubund Samenkorn in einem.

Bei Blütenpflanzen verläuft die Fortpflanzung linear ander Pflanze, nämlich als Blatt-, Blüten- und Samenpro-zess. Die Befruchtung findet durch ein Insekt, oder durch

den Wind statt.

Abb. 8: Schachtelhalm

Die Ausgestaltung ist reduziert auf das Stängelhafte.Die Fortpflanzung ist ähnlich wie bei den Farnen.

Niedere Pflanzen haben Fortpflanzungsorgane undFortpflanzungsprozesse getrennt. Zwei Stadien müssenkombiniert werden.

Auf der höheren Entwicklungsstufe bedarf es nichtmehr dieses triebhaften Zwischenprozesses.

Die Ausformung einer Blüte ist die Transformation ineine höhere Entwicklungsstufe.

Die Befruchtung erfolgt innerhalb der Pflanze in derSphäre des Lichtes.

Denkt man sich die zwei Pflanzen - Farne und Schach-telhalme - zusammen, erkennt man zwei Formenprin-zipien:

das Stängelhaftedie feingliedrige Blattausformung

In dieser gemeinsamen Optik erscheinen uns die Dolden-gewächse.

Doldengewächs(wilde Möhre)

Dazu gehören z. B. Karotten,Kümmel, Dill, Fenchel, Petersi-

lie, Pastinake, Koriander, Selle-rie, und viele mehr.Ihnen allen liegt ein gewissesUrbild zugrunde. Sie vereinenFormprinzipien ähnlich den Far-nen und den Schachtelhalmen.Sie sind aber entwickelt zu einer

Die Metamorphose der Pflanzen

völlig eigenständigen Art.Sie bilden bereits Blüten aus und dieser Blühimpuls wirktauch hier umgestaltend.

ersten Stufe, in dem die Blätter breit und massig sind,ausgedehnt.

Durch dieseAusdehnungwurdenzusätzlich breite Blät-

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auch hier umgestaltend.Die Blätter erfahren eine Ausdehnung und zur Blüte hin

eine Zusammenziehung und Auslöschung.Gleichsam wie auf einer höheren Stufe entstehen ein „ge-gliedertes Farnblatt“ und die Blütendolde.Goethe spricht vom „Typus“ einer Pflanze.Der Typus ist sich auch in der Metamorphose treu geblie-ben.

Zitat Goethe: „Jedes Lebendige ist kein Einzelnes, son-dern eine Mehrheit. Selbst insofern es als Individuum

erscheint, bleibt es doch eine Versammlung von leben-den, selbstständigen Wesen, die der Idee der Anlage nachgleich sind, in ihrer Erscheinung gleich oder ähnlich sindoder werden können. Diese Wesen sind teils ursprünglichschon verbunden, teils binden und vereinigen sie sich. Sieentzweien sich und suchen sich wieder und bewirken soeine unendliche Tradition nach allen Seiten.“

Unsere Kulturpflanzen sind keine Metamorphose derWildpflanzen.

Kulturpflanzen sind Blütenpflanzen, die in einem ge-wissen Stadium der Blattmetamorphose angehalten wur-den und dort jung geblieben sind, was sich in der Süßeäußert.

Sie haben auch den Blühimpuls, konnten aber im Laufeder Entwicklung eine größere Steigerung erfahren.

Sie wurden durch menschliches Zutun in Form von Sa-menselektion und/oder durch Veränderung der äußerenEinflüsse auf den chronologischen Sprossungstrieb, ver-ändert.

Damit z. B. aus dem wilden Salat, dem Mauerlattich,ein Kultursalat geworden ist, hat man den Prozess der

Durch diese Ausdehnung wurden zusätzlich breite Blätter geschaffen.

Die Ausformung einer Kulturpflanze kann durch lang-jährige Selektion der Samen erfolgen, die zur Auswahlführenden Beobachtungen werden an der ganzen Pflanzegemacht..

Ein Beispiel: Martin Schmidt, ein Getreidezüchter ausdem Osten Deutschlands, begann 1947/48 beim Roggenmit Beobachtung und Auslese zu experimentieren. Er ent-

wickelte die „Ährenbeetmethode“. Dabei werden die Kör-ner in der Reihenfolge, wie sie in der Ähre stecken, in denBoden eingebracht. Er entdeckte, dass sich jeweils dieKörner der sechsten Lage am besten entwickelten. DurchSelektion nach den Ergebnissen dieser Beobachtungen,durch Beachten kosmischer Rhythmen, sowie durchWechsel von winternahen und winterfernen Aussaatter-minen und anderen begleitenden Maßnahmen gelang es

ihm binnen 16 Jahren die Roggenähre auf 32 Körnerlagenzu vergrößern.

Diese Erkenntnisse können aber nicht für alle Getrei-dearten generalisiert werden. Es muss quasi in jedemEinzelfall eigenständig beobachtet werden, welche Lagensich bei den gegebenen Bedingungen am besten entwi-ckeln.

Das Lebendige der Pflanze kann gefördert werden, z.B. durch die Verbesserung der Standortbedingungen, derBodenqualität, etc.

Die Metamorphose der Pflanzen

Zusammenfassung 

Unsere heutigen Kulturpflanzen sind Blütenpflanzen,

Fa. Reinsaat KG in St. Leonhard im Hornerwald und trägtdort die Verantwortung für die Pflanzenzüchtung.Das Ziel ist, auf Basis biodynamischer und organisch -

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g p p ,bei denen menschliches Gestalten mit hineinwirkt.

In ihrer Ausformung können Pflanzen, durch Samen-auslese, Saatzeitpunkte in Bezug auf Gestirnkonstellati-onen vom Menschen beeinflusst werden, Diese Auswahl-kriterien haben Bedeutung bis hinein in die Lebensmittel-qualität, wobei es letzten Endes nicht die Stoffe sind, dieLeben erhaltend wirken, sondern die aus dem Lebenspro-zess der Pflanze frei werdenden Kräfte.

Aus dem Gesagten ergibt sich die Dringlichkeit einerbeobachtenden Forschung bei Züchtung, Anbau und Er-

haltung von Kulturpflanzen.Wir können die Metamorphose der Pflanzen hin zu Blü-

tenpflanzen nur verstehen, wenn wir die Blütenpflanzenkennen. Man muss also stets die nächste höhere Entwick-lungsstufe kennen, um die vorangegangene Entwicklungrezipieren zu können. Wollte man die derzeitigen Blüten-pflanzen verstehen, müsste man deren kommende näch-ste höhere Ausformung kennen, also die Pflanzenform

nach der Blütenpflanze.Methodisch kann man nur aus der Anschauung heraus

versuchen Erkenntnisse abzuleiten, sowie aus der syste-matischen akribischen Beobachtung der Entwicklungs-prozesse Schlussfolgerungen zu treffen über das Wesenund die Bedürfnisse der Pflanze. Durch langfristigesempirisches Vergleichen gelingt es uns annähernd dieIntention der pflanzlichen Verwandlungen zu erahnen,

ihre Veränderungen zu antizipieren. Mit rein kognitiverAnalyse ist die Metamorphose und das Wesen der Pflan-ze nicht begreifbar.

Reinhild Frech Emmelmann hielt diesen Vortrag am 12.12. 2008 in der Ringvorlesung „Biologisch dynamischerLandbau.“

Frau Frech-Emmelmann ist Geschäftsführerin bei

, y gbiologischer Arbeitsweise die Vielfalt und Nachhaltigkeitvon Gemüse-, Kräuter- und Blumenpflanzen zu sichern.Es geht um die Züchtung von samenfesten, schmack-haften Sorten, die regional gut angepasst sind, und umdie Verbindung von Qualität und Ertragssicherheit.

Die methodischen Grundlagen von Frau Frech-Emmel-mann sind die anthroposophische Pflanzenbetrachtung

und das Buch über die Metamorphose im Pflanzenreichvon Dr. Gerbert Grohmann.2 Sie nimmt regelmäßig anZüchtungstagungen in der Schweiz, in Deutschland undin Italien teil.

Quellenverzeichnis

Grohmann, Dr. Gerbert: „Metamorphosen imPflanzenreich, Verlag Freies Geistesleben, 3. Aufl. 1990,

Goethe, J. W. „Die Metamorphose der Pflanzen“, 1790

Steiner, Rudolf,: „Goethes Weltanschauung,Rudolf SteinerVerlag, 1999

2 Grohmann, Gerbert: „Metamorphosen im Pan zenreich“, Ver -lag Freies Geistesleben, 3. Au. 1990, (Erstauage aus 1935.

Er war ein Zeitgenosse von Rudolf Steiner)

Annäherung an den Erdapfel

 Annäherung an den Erdapfel Oskar Grollegger 

che Problem wie bei Weizen, Dinkel und Paradeisern.

Zur Verdeutlichung der Problematik soll ein Absatz

aus einem Vortrag von Prof Hermann Kuckuck vom

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Herkunft und Geschichte

Die geografische Herkunft ist eindeutig zu klären;

er stammt ursprünglich aus den Hochtälern Südame-

rikas. Ab der Mitte des 16. Jahrhunderts verbreitete

sich von Spanien ausgehend dieses Nachtschattenge-

wächs vorerst als Zierpflanze in verschiedenen Vari-

anten in Europa. Verschiedene Varianten deswegen,

weil der Erdapfel stark auf die Tageslänge reagiert.

Die Formen um den Äquator und nördlich davon bil-

den nur bei einer Tageslänge von 12 Stunden Knollen

aus. Im südlichen Teil von Südamerika – Chile, Peru

– stimmen die Taglängen mit unseren besser überein,

daher wurde Saatgut zunehmend aus diesem Gebiet

bezogen.

Botanik 

Die Gattung Solanum umfasst weltweit cirka 1500

Arten, nach anderen Quellen sogar bis zu 3000, was

einen der größten Verwandtschaftskreise im Pflan-

zenreich darstellt. Die Palette reicht vom Schwarzen

Nachtschatten über den Erdapfel zu Paradeisern und

Tabak. Von der Genetik her sind unsere inzwischen

heimischen Formen tetraploid. Das heißt, es befin-

den sich 48 Chromosomen in einer Zelle. Die meisten

Wildformen haben 24 Chromosomen, d.h. sie sind

diploid. Man weiß nicht dezidiert, wie der Schritt zur

Kulturpflanze vor sich gegangen ist. Es ist das glei-

aus einem Vortrag von Prof. Hermann Kuckuck, vom

Institut für Angewandte Genetik in Burgwedel zitiert

werden:

  Die Entstehung von nacktkörnigen hexaploiden

Kulturformen wird auf die Wirkung eines Faktors Q

zurückgeführt, der wahrscheinlich durch eine Dupli-

kation im Chromosom 5A entstanden ist. Er hat eine

pleiotrope Wirkung, indem er die typischen Spelta-

Merkmale wie Spindelbrüchigkeit beim Drusch,fester Spelzenschluß, und geschulterte Hüllspelzen

unterdrückt. Sie kann aber auch durch die Summie-

rung kleiner Mutationsschritte entstanden sein, wie

aus der Analyse einer größeren Sammlung aus dem

Spelta-Anbaugebiet im Iran wahrscheinlich gemacht

worden ist.

Zu der auffallend größeren Formenmannigfaltig-keit der hexaploiden Weizen haben auch spontane

Kreuzungen mit Roggen und Aegilopsarten beige-

tragen, und zwar durch Addition und Substitution

von Fremdchromosomen, ferner durch Translokati-

onen und Einlagerung fremder Chromatinstücke in

Weizenchromosomen.“1  Diese genaue Zitierung er-

folgt, um zu verdeutlichen, dass zumindest ein Teilder Nutzpflanzen in ihrer Hereinnahme durch den

Menschen, nicht durchgehend genetisch dokumeti-

erbar sind.1 Kuckuck, Hermann: Aus: „ Aktuelle Probleme der land-wirtschaftlichen Forschung“; 9. Seminar – Abstammung derKulturpanzen und die Erhaltung des natürlichen Formenreich-tums; Bundesversuchsanstalt Linz, 1982; S 14.

Annäherung an den Erdapfel

Botanisch ist die Knolle eine Sprossverdickung, die Früch-

te sind Beeren mit einer hohen Anzahl von Samen.

Ernährungsphysiologische Bedeutung 

Der Erdapfel ist in seinen verschiedenen Zubereitungen

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Diese Samen sind nur für die Zucht von Bedeutung.Der Erdapfel ist ein Selbstbefruchter.  Pflanzenphysio-

logisch sind die oberirdischen Stängel und die unterir-

dischen Stolonen dasselbe. Die zwei bis zehn Stängel

sind meist dreikantig, die Stolonen rund und hell. Wenn

Letztere unter Lichteinfluss geraten, werden sie zu Stän-

geln mit verkümmerten Laubblättern. Der Sprosscha-

rakter der Knollen zeigt sich durch das Vorhandenseinder Augen; das sind genau genommen Knospen, welche

eine bestimmte Anordnung aufweisen. Diese Anordnung

geht aus vom Nabel – das ist der Anwachspunkt an der

Stolone – und entwickelt sich spiralförmig ansteigend

zur Krone.

ein wichtiges Grundnahrungsmittel. Ursprünglich in

Südamerika, später in Europa, Asien und den USA. ZumVergleich zwei Anbauzahlen aus den 1990er Jahren:

Erdapfel weltweit 18.000.000 ha

Weizen 350.000.000 ha.

Ernährungsphysiologisch ist der Eiweißgehalt bedeut-

sam durch den basischen Überhang, und außerdem die

hohen Gehalte an Kohlehydraten und Kalium. In der an-

throposophischen Ernährungslehre haben Erdäpfel kei-nen hohen Stellenwert. Nach ihr werden durch den reich-

lichen Genuss die Sinnestätigkeiten negativ beeinflusst.

Die Kartoffelesser von Vincent van Gogh

In der Tiermedizin gelten sie als Diätetikum bei Über-säuerung des Rindes. Gefährlich ist das Verfüttern von

angekeimten Erdäpfeln, welche eine Alkaloidvergiftung

hervorrufen können. Im Laufe des Keimungsvorganges

und bei starker Lichteinstrahlung bildet sich massiv So-

lanin; die Symptome sind Lähmungserscheinungen im

Annäherung an den Erdapfel

Gehirn, Rückenmark und Herz.

Das vorhandene Vitamin C kommt hauptsächlich im

Inneren der Knolle vor, kann also beim Schälen nicht

min in Gang gekommen sein, wäre das Entfernen dieses

Keimes ratsam.

b k ld k d

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verloren gehen. Ernährungspolitische Bedeutung hat der

Erdapfel 1845 und einige Folgejahre danach durch dasmassive Auftreten der Kraut- und Knollenfäule in Irland

erlangt. Die dadurch entstandene Hungersnot forderte

hunderttausende Todesopfer und zwang in den Folge-

jahre eine Million Iren zur Auswanderung nach Norda-

merika.

  AnbauDer beste Boden für den Anbau von Erdäpfeln ist der

berühmte sandig-lehmige, tiefgründige, lockere, humus-

reiche Boden. In der Bodenreaktion sind Erdäpfel tole-

rant; optimal ist der leicht saure Boden (um ph – Wert

6). Das Umbauen soll im Herbst erfolgen, vor allem in

trockenen Lagen, wo dadurch die kostbare Winterfeuch-

tigkeit erhalten bleibt. Die Düngungsempfehlungen rei-chen je nach Lehrbuch von 20.000–40.000 kg Mist pro

ha. In der biodynamischen Landwirtschaft achten wir

besonders darauf, dass ein gut ausgereifter Kompost

verwendet wird.

Die Keimung kommt im Zuge der Erwärmung indirekt

in Gang durch die Rückbildung von keimhemmendenStoffen und gleichzeitig durch die verstärkte Bildung von

Zucker- und Eiweißstoffen um die Augen herum.

Das Kronenauge nimmt eine beherrschende Stellung

ein und verhindert oft das Austreiben der übrigen Au-

gen. Sollte dieser Prozess zu lange vor dem Anbauter-

Für Betriebe mit einer starken Personaldecke oder

auch für Kleingärtner gibt es ein paar den Ertrag stei-gernde Maßnahmen:

• Die erste wäre das Durchschneiden des Erd-

apfels, sodass eine Kronen- und eine Nabel-

hälfte entsteht. Wenn man nicht am Saatgut

sparen muss, sollte man nur die Kronenhälfte

anbauen.

• Gleichwertige Hälften bekommt man beim so

genannten Brückenschnitt, cirka vier Wochen

vor der Pflanzung. Dabei wird der Erdapfel der

Länge nach bis auf einen 2 cm langen Steg am

Nabelende durchgeschnitten.

• Dann gibt es noch den Reizschnitt, bei dem

in der Querrichtung der Erdapfel umrundend

eingeschnitten wird. Dadurch keimen auch die

nabelseitigen Augen leichter, weil der Kronen-

keim nicht so stark ziehen kann.

• Eine extreme Methode, Saatgut zu sparen, stellt

das Herausschneiden von Augen mit einem Keil

vom Fruchtfleisch von cirka 3 cm Länge dar.

Die Mindesttemperatur für den Anbau wird für vorge-

keimtes Saatgut mit 6°-10°C angegeben. Vorgekeimt des-

halb, weil bei dieser Temperatur nur das Weiterwachsen

der Keime möglich ist, aber nicht das Austreiben.

Annäherung an den Erdapfel

Beim Früherdäpfel-Anbau empfiehlt sich generell ein

V k i Wi d T li ht k i t i t f d

Nach dem Legen wird blind gestriegelt; eventuell mit

einer angehängten Kettenschleppe. Bis zum Schließen

des Bestandes sollte mehrere Male gehackt und gehäu-

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Vorkeimen. Wird am Tageslicht vorgekeimt, ist auf das

Auftreten von Blattläusen zu achten; Tabakrauch kannals Gegenmittel angewendet werden. 9°-13°C wäre für

diesen Anbau der optimale Temperaturbereich. Bei hö-

heren Temperaturen bilden sich zu verholzte Keime, die

zu viele Nährstoffe verbrauchen. Nach der Weiterlage-

rung im Dunkeln ist es vorteilhaft, das Pflanzgut am

Vortag der Auspflanzung ans Tageslicht zu bringen, weil

dann die Keime nicht so leicht brechen und auch die

Schockwirkung herabgemindert wird.

Die technischen Daten für den Anbau sind vorgegeben

durch die Spurweite der Geräte. 50-75 cm Reihenabstand

und 28-42 cm Abstand in der Reihe sind das Spektrum.

Sonderformen im Früherdäpfel-Anbau sind Verfahren

unter Vliesbedeckung oder mit kleinen Folientunnels fürjede einzelne Zeile. Die Pflanztiefe reicht von 10cm in

leichten bis 5cm in schweren Böden.

Nach Maria Thun ist der beste Zeitpunkt zum Ausle-

gen für die Ernte als Saaterdäpfel, wenn Sonne und Mond

gemeinsam im Widder stehen.2

Zwischen Anbau und Aufgang ist eine konsequenteUnkrautbekämpfung die beste Basis für ein gelingendes

weiteres Vorgehen. Hierbei ist zu erwähnen, dass das

Ziehen von Dämmen bereits im Herbst durchgeführt

werden kann, um den Unkrautdruck zu vermindern.

2 Der genaue Saatzeitpunkt wird jährlich im Aussaatkalender vonMaria Thun angeführt.

felt werden, wobei die Bodenbewegung auch die Nähr-

stoffverfügbarkeit erhöht.

 Anwendung der Spritzpräparate

Diese beginnt mit dem Einarbeiten des Fladenprä-

parates und dem Ausbringen des Mistkompostes im

Herbst.

Zur Bodenbearbeitung im Frühjahr wird Hornmist groß-tropfig ausgebracht; vorteilhaft am späten Nachmittag.

Zeitgleich mit dem Hacken und Häufeln wird feinst

verteilt am frühen Morgen Hornkiesel  versprüht. Die

Meinungen gehen auseinander, ob insgesamt vier Kie-

selspritzungen vertretbar sind. Verschiedene in der

Zeitschrift „Lebendige Erde“3  angeführte Versuche mit

Hornkiesel haben ergeben, dass bei einer späten An-wendung die Chlorophyllwerte höher waren als bei den

unbehandelten Pflanzen. Für die Pflanze würde das eine

längere Assimilationsdauer und damit ein längeres Knol-

lenwachstum bedeuten. Gleichzeitig lässt sich vermuten,

dass die Ausreifung der Knollen harmonischer vor sich

gehen kann, als bei einem abrupten Laubverlust durch

die Krautfäule. Ein weiterer Schluss daraus müsste sein,dass dadurch die Haltbarkeit eine bessere ist.

3 Lebendige Erde, Mr. 4, 2007 „Zum Anwendungszeitpunkt vonHornkiesel“, Dr. Jürgen Fritz

Annäherung an den Erdapfel

Krankheiten und Schädlinge

Beginnend mit dem großflächigen und industriellen

Anbau sind weitere Krankheiten bekannt geworden die

Bodentemperatur. Eistadium an der Unterseite der Blät-

ter 5-15 Tage. Ein Weibchen kann im Lauf einer Saison bis

zu 800 Eier legen. Larvenstadium: 14-21 Tage

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Anbau sind weitere Krankheiten bekannt geworden, die

sich auf Pilze, Bakterien oder Viren zurückführen lassen.Die gefährlichste Krankheit ist die Kraut- und Knollen-

fäule, welche durch den Pilz Phytophtora infestans her-

vorgerufen wird. Warme und feuchte Witterung ist die

beste Voraussetzung, dass diese Krankheit großflächig

und gleichzeitig auftreten kann. Die Züchtung absolut

resistenter Sorten ist bis heute noch nicht gelungen, da

der Pilz sich äußerst flexibel an neue Gegebenheiten an-passen kann.

In der Steiermark gibt es einen Phytophtora–Warn-

dienst mit Evidenzflächen in Hartberg und im Grazer-

feld. Nachdem im Demeterbereich Kupfermittel nicht

angewendet werden, leitet das über auf das von Maria

Thun entwickelte Verfahren zur Verhinderung der Kraut-fäule.

Frau Thun hat ein Verfahren entwickelt, das die Kraut-

fäule verhindern soll:4 Dabei wird an einem Blatttag, (so-

bald sich das zweite Blattpaar entfaltet hat) am Abend

Brennnesseltee gespritzt. Sodann folgen im Neun-Tage-

Abstand am Morgen von Wurzeltagen Teespritzungen

von Schafgarbe, Kamille, Löwenzahn und Brennnessel inder angegebenen Reihenfolge.

Von den tierischen Schädlingen sind der Kartoffelkäfer

und der Drahtwurm die bekanntesten. Lebensweise des

Erdäpfelkäfers: Erscheinen der ersten Käfer bei 10-15° C

4 Thun, Maria: „Mein Jahr im Garten“, Kosmos Verlag, Stuttgart, 2004.

Entwicklung als Käfer im Boden: ca eine Woche

Was insgesamt einer Zeitspanne von fünf bis sechsWochen für die Entwicklung einer neuen Käfergeneration

entspricht. Winterschlaf zum Teil ab Ende des Sommers;

in einer Tiefe von 50-70 cm.

Nahrungsquellen: Der Großteil der Solanacaen

(außer den Blättern des Erdapfels die Blätter von Parad-

eiser, Stechapfel, Bittersüß auch noch Kohl und Melde).

Zur Abtötung der Larven der Erdäpfelkäfer gibt es Mit-tel auf der Basis des Bacillus Thuringiensis oder auf der

Basis des Neembaumes. In der biodynamischen Land-

wirtschaft gibt es auch noch die Möglichkeit der Ver-

aschung. Zu angegebenen Konstellationen können Käfer

oder Larven gesammelt und in einem Holzfeuer ver-

brannt werden. Die Asche wird verrieben und potenziert.

Sie kann als Ursubstanz auf die Erde gestreut werdenoder als Spritzung auf dem Feld ausgebracht werden.

Zunehmenden Schadensdruck verursachen Nemato-

den. Die erste Gegenmaßnahme wäre eine Erhebung der

Befallsdichte durch eine Bodenprobe. Walter Sorms regt

an, den Nematoden durch einen vorherigen Anbau von

Ackersenf entgegenzutreten.

Es muss dies jedoch ein nematodenresistenter Senfsein, der für sein Wirksamwerden mindestens eine Vege-

tationszeit von sechs Wochen benötigt. Da im Frühjahr

für diese Maßnahme eine wahrscheinlich nur zu kurze

Zeitspanne zur Verfügung steht, wäre sie im Herbst vor-

zunehmen. Die grundsätzlichste Gegenmaßnahme ist

Annäherung an den Erdapfel

noch immer das Einhalten längerer Anbauintervalle

(sechs Jahre).

des eigenen Hofes sich vollziehen kann, aber

insgesamt viel mehr Handarbeit erfordert, wäre

der Saatgutanbau im Wald.

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Die Stellung in der Fruchtfolge

Die gebräuchlichste und beste Vorfrucht sind Legumino-

sen oder Grünbrache.

Die Erdäpfel selbst sind wieder die beste Vorfrucht für

Wintergetreide.

Zwei Verfahren zur Gesundung von Erdäpfelsaatgut

Um den Abbauvorgang des eigenen Saatgutes zu verhin-

dern oder zumindest zu verlangsamen, gibt es ein paar

Möglichkeiten, die allerdings einen unterschiedlich ho-

hen Zeitaufwand erfordern.

• Die einfachere Methode wäre der Anbau der

im folgenden Jahr benötigten Samenmenge in

einer ausgewiesenen Erdäpfel-Gunstlage. Einesolche wird durch folgende Kriterien ausgewiesen:

mineralreicher Unterboden, eine an die Ober-

grenze der Anbau-Möglichkeit heranreichende

Seehöhe sowie eine hohe Intensität der Sonnen-

einstrahlung. Indem dieser Hof in unserem Fall

ein Demeterbetrieb sein sollte, der diese Menge

an Erdäpfeln in seine Fruchtfolge einbauen muss,ist die Auswahl an Partnerbetrieben gering. Die

Intervalle dieser Maßnahme können nur an den

Ergebnissen der Beobachtung des Erntegutes

angesetzt werden.

• Eine andere Möglichkeit, die zwar innerhalb

Es könnte eine geeignete Schlagfläche sein,

oder eine gerade sich ergebende Rodungsflä-che. Von besonderem Wert wäre die zusätzliche

Möglichkeit, das anfallende Astholz verbrennen

zu können. Diese Art von Brandwirtschaft wird

wahrscheinlich in manchem Zeitgenossen den

Eindruck einer Sünde an der Umwelt erwecken.

Zumindest das marginale Anwenden dieses Ver-

fahrens möge zur Relativierung des Problemsbeitragen. Die großflächige Anwendung der

bäuerlichen Brandwirtschaft war zwar schon

dem Erzherzog Johann ein Dorn im Auge, es hat

aber auch fundiert argumentierende Befürwor-

ter gegeben. Einer davon war DI Fritz Schneiter.

Er war nahezu 70 Jahr lang Landes-Alminspektor

und Tierzucht-Inspektor. 1879 geboren, hatte ergenügend praktischen Einblick, auch in die Aus-

wirkungen. Die Landwirtschaftlich-chemische

Landesversuchsanstalt hat im Jahre 1933 Boden-

proben von

11 steirischen Brandwirtschafts-Betrieben vor

bzw. nach dem Brennen entnommen.

Die Mittelwerte ergaben folgende Ergebnisse:vorher nachher

  ph-Wert: 4,4 5,1Kalk in %: 0,262 0,402

  Kali in %: 0,142 0,192

  Stickstoff in %: 0,411 0,585

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Wesen des Haustieres

Zum Wesen des HaustieresElisabeth Stöger 

Historisches

Zähmung – deutlich zu unterscheiden. Unter Zähmungverstehen wir die Abrichtung eines Einzeltiers für unter-schiedliche Zwecke. Von Zähmung sprechen wir, wennwir zum Beispiel einen mutterlosen Jungfuchs ins Haus

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Historisches

Der Beginn der Domestikation von Wildtieren markierteinen tiefen Einschnitt in der Entwicklung der Mensch-heit. Er bedeutet den Übergang von der Lebensweise derJäger und Sammler zu einer gemeinsamen Lebensformvon Tier und Mensch in all ihren Facetten. Das Tier wirdaus seiner Wildheit hereingeholt in das „Haus“. Es gibtkeine ausreichende naturwissenschaftliche Erklärung fürdieses Geschehen. Dieser Vorgang lässt vermuten, dasszu einem bestimmten Zeitpunkt der Menschheitsent-wicklung der Wolf dem Menschen in gewisser Weise ent-gegenkam – d.h., dass gleichzeitig die Bewusstheit desMenschen anfing die Instinkthaftigkeit des Tieres sichzunutze zu machen.

Der Hund 

Das erste nachweisbare Haustier ist der Hund. DerHund ist ein Rudeltier. In einem Rudel herrscht eine ge-naue Hierarchie. Diese Hierarchie ermöglichte es demMenschen, den Hund an sich zu binden, indem er indie Rolle des Rudelführers treten konnte. Auffällig ist diehohe Formbarkeit des Hundes sowohl der Größe, derForm, der Farben, als auch der Verwendung nach. Manbetrachte diese Vielfältigkeit vom Pekinesen bis zum

Neufundländer.

Das Schaf und die Ziege

Ab dem 8. Jahrtausend v. Ch. beginnt der MenschWildschafe und Wildziegen zu domestizieren. Wir sindangehalten, die beiden Vorgänge – Domestikation und

p J gholen und „dressieren“. Von Domestikation hingegenkann erst gesprochen werden, wenn viele Vertreter einerTierart in die Haustierform hereingeholt werden.

So können wir bei Rind, Schaf und Ziege von Domesti-kation sprechen.

Betrachtet man die Ursprungsgebiete der heutigenSchafe und Ziegen, so wird deutlich, dass die momen-tane Haltung die meisten Exemplare in Lebensräumezwingt, die ihnen nicht förderlich sind. Wenn Ziegen

schon in Niederungen gehalten werden müssen, dannsollte wenigstens die Lichtkraft eine hohe sein. Am gra-vierendsten wirkt sich diese falsche Haltung im häufigauftretenden Parasitendruck aus.

Vom sozialen Bereich her betrachtet brauchen die mei-sten Schafrassen viel mehr das Gefüge einer Herde alsZiegen. Es ist interessant zu beobachten, welche Tierar-ten als Einzeltiere domestiziert werden und welche als

Herde.Auch das Schwein wurde in dieser Zeit in menschlicheObhut genommen.

Im folgenden Jahrtausend beginnen Mensch und Rindsich anzunähern. Konzentriert man den Blick nicht nurauf die Domestikation von Tieren, so erkennt man, dasses auch der Zeitpunkt war, an dem bestimmte Gräservon einzelnen kundigen Menschen in die Richtung vonNahrungspflanzen verändert wurden.

Alle bis hierher hereingenommenen Tierarten stellenkeine Nahrungskonkurrenz zum Menschen dar, sondernfressen, was dieser nicht verwerten kann. Dazu kommt,dass die Tiere selbst zunehmend zur Quelle von Nah-rungsmitteln werden.

Vom Zeitlauf her ging die nächste Domestikation um4000 v. Ch. mit dem Wildpferd vonstatten.

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Wesen des Haustieres

Überragende Ergebnisse, was die Gewöhnung an denMenschen, verbunden mit höchsten Zuchtleistungen an-geht, brachte der Umgang mit dem Pferd im arabischenRaum.

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Relativ spät erscheinen archäologische Funde derKatze. Im ägyptischen Raum, wo diese Funde gemachtwurden, erlangte sie einen hohen kultischen Status, deraus heutiger Sicht nur mehr sehr schwer nachvollzogenwerden kann. Von der Lebensweise her ist die Katze keinRudeltier. Daher ist auch die Stelle des Leittieres unbe-setzt, was den Umgang mit Katzen mit deutlich mehrUnwägbarkeiten ausstattet als den Umgang mit einemHund.

Dass die einzelnen Domestikationszeiträume wirk-liche Zeit-Fenster waren, lässt sich schon daraus erse-hen, dass solche Vorgänge zu keiner späteren Zeit mehraufgetreten sind.

Wenn heute Haustiere verwildern, werden sie, voraus-gesetzt sie überleben, wenigstens nicht in absehbarerZeit wieder zu Wildtieren. Als der Dingo, welcher2500 v. Ch. als Haustier nach Australien kam, mit der

Zeit verwilderte, wurde er doch nicht wieder zum Wolf.Veränderungen, welche beobachtet werden können, wennWildtiere in die Haustierform übergeführt werden:

Das vordergründig Auffälligste sind die enormen Stei-gerungen in der Fleisch-, Milch- und Legeleistung. Auchdie Anzahl der Jungen pro Geburt ist stark angestiegen.

So hat eine Wildschweinmutter pro Wurf vier bis sechsFrischlinge, während eine Hausschweinmutter pro Wurfetwa 12 bis 15 Ferkel bringt. Ein Wildhuhn hat pro Jahr20 bis 30 Eier potenziell angelegt, eine Legehenne biszu 300. Dagegen degenerieren die Sinnesorgane; dasVorderhirn nimmt im Volumen bis zu 70% ab.

Was sich offensichtlich den beschriebenen Steige-rungen entgegenstellt, ist die Kleinheit des dargestelltenkeltischen Rindes im Vergleich mit dem Urrind.

Wesen des Haustieres

Die Dreigliederung bei Mensch und Tier  Tatsache, dass die reine Schlafzeit nicht mehr als eineStunde beträgt.

Das Besondere im Verdauungsgeschehen des Rindes:Das Rind ist in der Lage Zellulose zu verdauen. Es ge-

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1. Nerven- Sinnes-System (Kopfpol)2. Ryhtmisches System (Herz, Lunge)3. Stoffwechselgliedmaßensystem

(Stofwechsel und Reproduktion)

Die Zuordnung ergibt sich aus der Betonung des jewei-ligen Systems.

Charakteristische Vertreter für die Region des Nerven-Sinnespols sind beispielsweise die Maus und der Adler,während für die Stoffwechselregion das Rind als Haupt-repräsentant bekannt ist. Das Rhythmische System wirdvertreten durch Löwenartige.

Da dieser Vortrag hauptsächlich für Biodynamike-rinnen und Biodynamiker gehalten wird, konzentrierenwir uns in weiteren Fragen der Dreigliederung auf dasRind.

Wir können beim Rind eine Art zeitliche Dreigliede-rung bemerken: es frisst acht Stunden, es käut acht Stun-den wieder und es ruht acht Stunden. Interessant ist die

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schieht dies in den drei Vormägen durch unterschied-

liche Mikroorganismen. Wegen des Volumens des zuVerdauenden nehmen diese drei Mägen auch den halb-en Brustraum ein. Im vierten Magen ist die Verdauungähnlich der menschlichen. Das Wiederkäuen dient nichtnur der Zerkleinerung des Futters, sondern auch der Vor-beugung der Übersäuerung. Erkennbar ist die Übersäue-rung am Abweichen vom Optimum an Wiederkäuschlä-gen, welches zwischen 50 und 100 Schlägen liegt. Der

Blättermagen ist kein Hohlraum, sondern ist ausgefülltmit Blättern, welche das Heraussaugen des Wassersaus dem Nahrungsbrei bewerkstelligen. Der Pansen istdurch viele Einbuchtungen so ausgestattet, dass der In-nenraum vergrößert wird. Sehen wir hin auf die Entwick-lung der Mägen beim Einzeltier, so muss gesagt werden,dass beim Kalb nur durch die Aufnahme von Rohfaserdie richtige Entwicklung des ersten Vormagens gewähr-

leistet wird.

Wovon lebt die Kuh?

Die Zellulose kann es nicht sein; diese wird von Mi-kroorganismen verdaut, welche die Fähigkeit haben,sich sehr rasch zu vermehren und dadurch das eigent-liche Futter für die Kuh abzugeben. Es ist nahezu hand-greiflich zu spüren, welch sensible Höchstleistung hierstattfindet. Diese Höchstleistung findet schon unter„normalen“ Fütterungs- und Leistungsbedingungenstatt. Nachdem aber die genetischen Grenzen – wasdie Leistung betrifft – enorm nach oben verschobenworden sind, eine wiederkäuergerechte Fütterung aberan Volumensgrenzen stößt, ist eine Art von Dauerstress

1

2

3

Wesen des Haustieres

das Ergebnis. Der optische Eindruck so einer Kuh lässtdiese Diagnose schwer aufkommen; jedoch sprechen dieFakten Unfruchtbarkeit, Durchfall und Aggression einedeutliche Sprache.

Versachlichung, verbunden mit einer Abnahme an Zu-wendung.Hobbytiere leiden an einer Art von Vereinnahmung, aus-gelöst durch eine egoistisch ausgerichtete Zuwendung.Di K kh it bild i i G ß b f ll i i

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Die richtige Zuordnung der Fütterung:

  Pferd Rind SchweinBlüte/Sonne Blatt/Halbschatten Wurzel/Schatten

Tiere mit betontem Nerven-Sinnessystem brauchenfür ihre Nahrung energiereiches Futter (Körner für Vogel-artige), Tiere mit Stoffwechselbetonung brauchen Rohfa-

ser und solche mit einer Betonung des Rhythmischen Sy-stems verlangen nach eiweißreicher Fütterung (Fleisch).

Die Mineralstoffgabe aus der Sicht der Referentin:Im Akutfall müssen Mineralstoffgaben verabreicht wer-den, langfristig muss jedoch auf eine Änderung derGrundsituation hingearbeitet werden. Allerdings ist so-gar dafür die Ausgangslage schwierig, da die einseitigen

Züchtungstendenzen und deren Ergebnisse nur mini-male Verbesserungsschritte zulassen. Am Beispiel derPutenzucht soll dieser Umstand sichtbar gemacht wer-den: Die Puten sind so auf Gewichtszunahme gezüchtetworden, dass eine putengerechte Fütterung diesem Po-tential der Gewichtszunahme einfach nicht mehr gerechtwerden könnte.

Umgelegt auf die Rinderhaltung im biodynamischenLandbau bedeutet dies, dass wir mit dem Laubheu derMineralstoffversorgung nur dann genügen können, wenndie Tiere nicht einseitig überzüchtet sind.

Eine zunehmende Polarisierung erfolgt im Zuge der Tier-haltung in die Bereiche Nutztiere und Hobbytiere.Nutztiere leiden unspezifisch unter einer Art von

Die Krankheitsbilder weisen im Großen ebenfalls in zwei

Richtungen:Die Nutztiere leiden gewissermaßen symptomloser, zubemerken ist auf jeden Fall eine Form auflösende Ten-denz. Man denke an das Weichwerden der Klauen oderdie symptomlose Sterilität.Hobbytiere nähern sich in ihren Krankheitsbildern demMenschen an: Diabetes, Tumore, Übergewicht…

 Ausblick 

Wie nun ersichtlich ist, sind bereits in beiden Tierhal-tungsformen Grenzen überschritten, ist die Tierhaltungin Bereiche gekommen, wo Sympathie-Mittel keine Hilfemehr sein können. Verzicht ist zwar ein bedrohlicher Be-griff geworden, aber ungeachtet dessen wird kein Wegihn umgehen können.

Aus der Sicht des biodynamischen Landbaues ist imNutztierbereich das Verzichten auf gewisse genetischermöglichte Höchstleistungen der einzig gangbare Weg.Es kann nicht sein, dass der Begriff „ökonomisch“ so un-trennbar mit „Leistungssteigerung“ verknüpft ist.

Im Fall der Hobbytiere ist zwar das Drama der Preis-situation kein Thema; sehr wohl ist aber der Begriff desVerzichtens die Klippe, die nicht zu umschiffen sein wird.Der vorhin thematisierte Egoismus ist zwar diffiziler alsin der Nutztierhaltung, bietet aber genügend Auftreff-Fläche um Verzicht zu üben.

Wesen des Haustieres

Literatur:

Benecke, Norbert: „Der Mensch und seine Haustiere –Die Geschichte jahrtausendealten Beziehung“, KonradTheiss Verlag Stuttgart 1994

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Theiss Verlag, Stuttgart, 1994

Spranger, Jörg (Hrsg.): „Lehrbuch der anthroposo-phischen Tiermedizin“; Sonntagverlag, Stuttgart, 2007

Schad Wolfgang: „Säugetiere und Mensch“, VerlagFreies Geistesleben, Stuttgart, 1971

Nickel, Richard; Schummer, August; Seiferle, Eugen:„Lehrbuch der Anatomie der Haustiere“, Bd.1, Bewe-gungsapparat, Parey-Verlag

Frau Dr. Stöger hielt diesen Vortrag am 14. Februar amWurzerhof und am 15. Februar in Maribor.Elisabeth Stöger arbeitet als Tierärztin in Kärnten.

Biodynamische Betrachtungen

Biodynamische Betrachtungen über dasTier(ische) in der Landwirtschaft und in unsÜberlegungen zur Haustierhaltung hinsichtlich derAuswirkung auf den lanwirtschaftlichen Organismus

ilh l i

• Welche Tiergemeinschaften gibt es am Hof?• Wird der Wald miteinbezogen in dieTierfütterung?

• Werden den Kühen Rüben gefüttert?• Wie erfolgt der Weidegang der Tiere?

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Wilhelm Erian 

Persönliches zur Einführung:1973 fragte ihn der Vater: „Wirst du den Stall überneh-men, wenn du die Schule abgeschlossen hast? Ich kannden Melker nicht mehr bezahlen.“ Er verneinte, der Vaterverkaufte seine Fleckviehherde.Sein Großvater meinte damals: „Für die Zucht einerFleckviehherde braucht man ein ganzes Leben!“

Wilhelm Erian hat schließlich 1979 doch den elterlichenHof in Pacht übernommen.Er verkaufte sein Auto, kaufte zwei Kühe und begann,gegen den Willen seines Vaters, biologisch zu wirtschaf-ten.Bald hatte er sieben Kühe, jedoch keine wurde trächtig.Sein Vater, der im Zweitberuf Tierarzt war, und W. Erianhatten nichts unversucht gelassen. So wurde als letzte

Option Dr. Selinger, ein nach der Methode der Homöo-pathie arbeitender Tierarzt, konsultiert.

Sein Rat war: „Füttern Sie keine Mineralstoffmischung,kein junges Gras, junges Heu, Silage, etc. Stattdessenlassen sie die Tiere nur noch auf überständige Weidengehen, füttern sie nur noch Stroh, altes Heu, Kleie, Laub-heu.“Nach kurzer Zeit wurden fünf von sieben Kühen trächtig.

Daraufhin wurde in Zusammenarbeit mit dem homöo-pathischen Tierarzt die Bewirtschaftung desHofes analysiert.

• Gibt es Hecken auf den Feldrainen?• Welche Fruchtfolgen werden gemacht?• Wie oft werden die Wiesen gemäht?

• Wie erfolgt der Weidegang der Tiere?

All das und noch viele weitere Fragen führten zu einerkompletten Umstellung des Betriebes.

Wieder einige Jahre später wurde das Thema Zucht inAngriff genommen. Es gibt dabei zwei Herangehens-weisen:

o Zucht aus materialistischer Sicht, orientiertausschließlich an Leistungskriterien.

o Zucht, um das Wesen des Tieres zu verstehen,das Wesen weiterzuentwickeln, es auf einehöhere Stufe zu bringen.

 Die Umgestaltung des Betriebes entwickelte sich zueinem Schulungsprozess für den Menschen selbst. Es

handelt sich nicht um eine Landbaumethode, sondernum eine Lebenseinstellung.

Warum halten wir am Hof Tiere?

Wirtschaftliche Aspekte

Hohe Wertschöpfung

Innere Betriebsaufstockung, das heißt man kann mehrTiere halten, das Einkommen steigern ohne die Flächezu vermehren.Industrielles Denken, d.h. Spezialisierung und Rationa-lisierung, arbeitsteiliges Wirtschaften (nur Viehhaltung,nur Ackerbau).

Biodynamische Betrachtungen

Organische Aspekte 

Definition „Organismus“ in der Biologie: Ein Organis-mus ist das einzelne Lebewesen als die Gesamtheit

diese Mythen die Beziehungen zwischen Wirtschaft undÖkologie mit erstaunlichem Durchblick behandelt.Das einzig wirklich Freie am Menschen ist sein Geist.Alle Handlungen aus diesem Geist heraus haben Auswir-kungen auf das Umfeld

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mus ist das einzelne Lebewesen als die Gesamtheit

der funktionell verbundenen und sich gegenseitig be-einflussenden Organe.1

 Er ist ein belebter Naturkörper, dessen

Glieder zweckhaft aufeinander abgestimmtsind und die einander bedingen. Er ist immermehr als die Summe seiner einzelnen Organe.

Nun, was hat das mit der Landwirtschaft zu tun?

Für Rudolf Steiner gleicht kein anderer Bereich des Le-bens sosehr der menschlichen Individualität wie ein(freilich ideal gestalteter) Bauernhof.2

Vom landwirtschaftlichen Organismus zur landwirt-schaftlichen Individualität

 Organismen in der oben definierten Ausprägungwaren vorhanden, bevor der Mensch in die Natureingegriffen hat. Der Mensch hat seine eigenen Vor-stellungen entwickelt, Kultur geschaffen, und in dieNatur hinein getragen. Das ist so lang gut gegangen,solange er bereit war, sich an bestimmte Grenzen zuhalten. (Literaturempfehlung „Erysichton-Mythos derGriechen)3

Lange vor der ökonomischen Wissenschaft haben

1 Lexikon2 Steiner, Rudolf: „Geisteswissenschaftliche Grundlagen zumGedeihen der Landwirtschaft“, Rudolf Steiner Verlag, 4. Aua-ge, Dornach, 20053 Publius Ovidius Naso: „Metamorphoses“, Buch 8,Vers 738-878, 8 n.Chr.

kungen auf das Umfeld.

Geht man in die Natur, so erscheint sie uns als Freiraum-„die freie Natur“.Die Natur hat aber ihre Gesetzmäßigkeiten. Naturge-setze stellen eine ungemein strenge Ordnung dar. Derallergrößte Teil dessen, was sich nicht an die Naturge-setze hält, fällt aus dem Leben heraus, d.h. es stirbtgleich oder bleibt unfruchtbar.

Immer dann, wenn der Mensch ein System fand, indem die Naturreiche neben den menschlichen Bedürfnis-sen auch ihr Recht bekamen, entstanden Hochkulturen.Wir stehen heute an einem Punkt, wo wir uns nicht mehrzurückziehen und alles der Natur überlassen können,denn mit dem Auszug aus dem „Paradies“(= Selbstabnabelung vom Instinkt) hat der Menscheigene Erkenntnismöglichkeiten entwickelt und damit

Mitverantwortung für die Schöpfung übernommen.

Wenn es der Mensch also versteht aus diesen einzel-nen Gliedern, den Organen eines landwirtschaftlichenBetriebes, einen Organismus zu bilden, fließt natürlichseine eigene Weltanschauung, seine ganze Persönlich-keit mit ein in diesen belebten Naturkörper. Sofern es gutgelingt, wird der Bauernhof zu der von Rudolf Steiner ofterwähnten landwirtschaftlichen Individualität.

 Am Hof unterscheiden wir folgende Organe  

•Boden (Auch er ist für sich ein Lebewesen.Jedes Lebendige hat sein eigenesEiweißmuster. Es konnte nachgewiesen

Biodynamische Betrachtungen

werden, dass es im Boden ein eigenständigesEiweißmuster gibt, das zu keinem pflanzlichenoder tierischen Organismus gehört. Es wird vonder Erde selbst gebildet. Es existiert also ein Bo-denleben unabhängig von den Bodenorganis-

In einem Urwald wächst hoch Aufschießendes nebenKriechendem, üppig Grünendes neben zart Spros-sendem, Mehrjähriges neben Kurzlebendem, Tiefwurz-ler neben Flachwurzler.Es gibt einen steten Auf- und Abbau von organischer

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denleben unabhängig von den Bodenorganis

men.) 

•Pflanze

•Tier 

•Mensch

Alle vier Organe müssen immer in ihrer Gesamtheitbetrachtet werden. Wenn sich ein Teil ändert, hat das

Auswirkungen auf alle anderen.

Es gibt im landwirtschaftlichen ZusammenhangGrundweisheiten, die dieses Zusammenwirken der Or-gane aufzeigen:

Die Wiese ist die Mutter des Ackers

Das, was der Bauer am Acker macht, ist genau das Ge-genteil von dem, was die Natur will.Ackerbau ist eine einseitige Bepflanzung. Der Bauer will,dass nur eine Kulturpflanze in einem Jahr auf einem Feldwächst. „Der Bauer will Einfalt, die Natur will Vielfalt.“4Die Wiese, gemeint ist dabei das richtig bewirtschafteteDauergrünland, ist ein Beispiel für natürliche Vielfalt mitstabilem Ökosystem.

Mit dem Anbau von Kulturpflanzen macht der Menschaber genau das Gegenteil dessen, was die Natur will. Die-se will nämlich möglichst große Vielfalt an verschiedenenPflanzen und Tieren.

4 Originalzitat Erian

Es gibt einen steten Auf und Abbau von organischer

Substanz; ein perfektes Kreislaufsystem. Ein aktives Bo-denleben sorgt für „ewiges“ Leben.Dieses perfekte System der Viefalt finden wir in analogerForm auf unseren Höfen in richtig bewirtschafteten Dau-erwiesen.

Es ist völlig falsch Grünlandflächen alle paar Jahre um-zubrechen und ein Wechselwiesensystem einzuführen.Nur in „alten“ Wiesen steckt die Kraft der Dauerwiese.

Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert hat derBotaniker Voisin immer wieder auf die segensreicheWirkung der Dauerwiese hingewiesen.5 Sie ist auch daseinzig heute bekannte „Heilmittel“, um die weltweit auf-tretende Unfruchtbarkeit bei Rindern zu beheben. Dennes ist doch die Kuh, die durch die modernen Landbau-,Zucht- und Haltungsmethoden zur Repräsentantin fürdie so genannte „symptomlose Sterilität“ wurde.

Gibt man den Tieren Gras von der Wiese und bringtdann den Dünger auf dem Acker aus, gleicht man denEingriff ins Ackerland aus, was eine wichtige zusätzlicheMöglichkeit zum Fruchtfolgewechsel ist.

Die Fruchtfolge ist nichts anderes als ein zeitlichesAufeinander von verschiedenen Pflanzen, statt des vonder Natur angestrebten räumlichen Nebeneinanders vonverschiedenen Gewächsen. Das Zulassen eines gewis-sen Unkrautbesatzes ist ein Schritt zur Förderung derSelbstheilungskräfte  des Organismus Boden. Denn beigenauem Hinschauen finden jene Pflanzen die besten

5 Voisin, Andrè: „Die Produktivität der Weide,“ BVL, 1958

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Biodynamische Betrachtungen

Deshalb ist es auch das Ziel bei der Fütterung vomRind, dass der ausgeschiedene Mist von richtiger Qua-lität ist. Richtig in der Konsistenz und glänzend von derSchleimhaut.

am Mistfladen ablesen, bei Hartkäseerzeugung nachmindestens sechsmonatiger Reifung am Käsegeschmackerkennen.

Blatt u. Blüte: Ausgereiftes Gras. Bei Untersuchungeiner wildlebenden Wisentherde in Mitteleuropa hat

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Wie wird das erreicht?R. Steiner: „Man sollte sich bei der Fütterung an der

ganzen Pflanze orientieren.“8Wurzel – Stängel – Blatt – Blüte – FruchtAll das muss in der Fütterung enthalten sein, nur so ist

die Fütterung richtig.Wurzel: Die weißfleischige Wasserrübe für den erwach-

senen Wiederkäuer, die Karotte für Jungtiere. Jeweils nurin maßvollen Mengen (3–5 kg/Tier u. Tag an Rüben,1kg/Tier u. Tag an Karotten) W.Erian: „Die Futterrübeund Karotten erscheinen mir als Bauer in der Rinderfüt-

terung, aber auch bei Schwein, Schaf, Pferd, Ziege undHuhn als unverzichtbar.“

Stängel:  Dieser ist nur dann als wiederkäuergerechtanzusehen, wenn er eine gewisse Reife erreicht. Ob dergeforderte Reifegrad erreicht ist, lässt sich zuallererst

8 Steiner, s.o.

sich gezeigt, dass August und September die natürlicheHauptkonzeptionszeit ist.

Will der Bauer, dass seine Kühe in der Zeit des Tierkreis-zeichens Stier, also im Mai, brünstig werden, so muss erseine Fütterung so gestalten, dass er ihnen jene Blüten-kräfte, die verstärkt brunstauslösend wirken, im Frühjahrzuführt. Ein alter Bauernspruch sagt. „Grumet nicht vorLichtmess“, was heißt, dass feines blütenreiches Futter

erst nach dem 2. Februar verfüttert werden soll.Frucht: Getreide, aber nur als Gewürz, als Lockmittel.

Hier wird das Schmachtkorn, Bruchkorn, Kümmerkornverwendet, eben nur jenes, das für den Menschen nichtgeeignet ist.

Jeder Betrieb braucht daher auch eine bestimmte Flächezum Getreideanbau. Die Ernte wird durchgeputzt, zwei

Drittel davon sollten für den Menschen bleiben, einDrittel für die Tierfütterung.

Diese Menge muss reichen für die Kühe, für dieSchweine und für die Hühner.Danach richtet sich auch die Menge der Schweine unddie Anzahl der Hühner, die auf einem Hof gehalten wer-den können. Denn für diese Tiere ist Getreide die Futter-basis, nicht für die Rinder.

Schwein und Huhn sind in jener Anzahl am Hof sinn-voll, als für sie zu verwertende Nahrungsmittel, die fürdie menschliche Ernährung nicht geeignet sind, an-fallen: Das „Saugrasl“, die „Saukartoffel“ (sehr kleine,verletzte, grünlich verfärbte), die Molke, die Heublumen,Küchenabfälle.

Biodynamische Betrachtungen

Beherzigen wir diese grundlegenden Dinge nicht, danngilt auch weiterhin:„Das Vieh der Reichen frisst das Brot der Armen.“

Die heute üblichen Feldfutter, aber auch Grünlandmi-

sten Lebensmittelqualität) von selber im Zusammenle-ben eines mit Pflanzen bewachsenen Gebietes mit dem,was an Tieren in diesem Gebiet lebt. Das bedeutet, dassdie Tiere das richtige Maß dessen fressen, was die Erdehergeben kann an Pflanzen. Denn das Tier liefert aus

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schungen mit rasch wachsenden, massenbildenden Grä-sern, bergen oft die Gefahr in sich – vor allem in Verbin-dung mit „triebiger“ Düngung – dass durch den dichten,raschen Bewuchs Blätter im unteren Teil der Pflanze gelbund faulig werden. Um dem vorzubeugen, mäht der Bau-er früher - unreifes Futter bewirkt rascheres Wachstumder Jungtiere, reichlichere Milchbildung und transferiertso die Unreife vom Feld in den Stall. Stoffwechselpro-

bleme beim Tier sind die Folge.

Ist die Verdauung des Rindes gestört, hat das Tier Durch-fall, beginnt ein Teufelskreislauf.Der schlechte Mist kommt aufs Feld, das Bodenlebenwird schlecht gefördert. Der Boden bringt minderwer-tigere Pflanzen hervor, was wieder als schlechtes Futterfür die Tiere dient, usw..

Die Möglichkeiten einzugreifen bestehen nur über dieFütterung, indem das Gras erst gemäht wird, wenn esvoll ausgereift ist, d. h. die Wiese schon in leicht bräun-lichem Schleier erscheint.

Ideal sind unterschiedliche Mähzeiten, denn einmalim Jahr soll jedes Wiesestück voll ausreifen können.

Ist aus den oben genannten Gründen nur junges Futteranzubieten, so kann mit der Zufütterung von Stroh einAusgleich erreicht werden. Natürlich ist die Milchleistung

bei dieser Fütterung nicht optimiert, aber langfristig ge-sehen wird nur so das Leben am Hof aufrecht erhalten,bleibt das System im Gleichgewicht.

Für die landwirtschaftliche Individualität vollzieht sichdie beste kosmische Analyse (also das Entstehen der be-

seiner Organisation heraus, auf der Grundlage eines sol-chen Futters, den besonders geeigneten Mist für diesenBoden, wo die Pflanzen wachsen.

Das führt hin zu einem anderen Grundsatz der biody-namischen Wirtschaftsweise:

Die Systemgeschlossenheit

„Alles, was von außen in einen landwirtschaftlichenBetrieb eingebracht wird an Hilfsstoffen, Futter- oderDüngemitteln ist anzusehen als ein Heilmittel für einebereits erkrankte Landwirtschaft.“9

Auch Wildtiere müssen miteinbezogen werden: Kriech-tiere, Raubtiere, Amphibien, Vogel- und Insektenwelt.

Nachdem die letztgenannten in der biologischen

Schädlingsbekämpfung eine zentrale Stellung einneh-men, brauchen sie, sollen sie im Gesamtsystem wirksamwerden, einen Lebensraum. Hier soll noch einmal auf dieBedeutung von Hecken und Wald, Gewässer- und Bio-topflächen hingewiesen werden.

Wie stellt man die Stickstof fversorgung im Boden sicher? 

Als Problemlöser bietet sich die Kleebrache innerhalb

der Fruchtfolge an. Die beste Verwertung erfolgt überden Wiederkäuer (im mitteleuropäischen Raum in ersterLinie das Rind), ist er doch in der Lage, aus Zellulosemenschlich verwertbares Eiweiß zu erzeugen.

9 Steiner, s.o.

Biodynamische Betrachtungen

Was stärkt den Verdauungsapparat des Rindes? 

• Ausgereiftes Futter• Laubheu

- gewonnen aus den Hecken der Feldraine. Jede

Richtig ist Salzverabreichung nur in Form vonNatursteinsalzblöcken, denn bei der schle-ckenden Salzaufnahme wird das Salz im Maulabgepuffert und kommt neutral im Magen an.Mineralstoffmischungen sollten auf keinen Fall

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Wiese und Ackerlandschaft braucht zur Nütz-lingsförderung und Laubheugewinnung Hecken.„Jede Weide eine Hecke.“ Bei der Pflege fällt dassogenannte Laubheu an, das für den Wiederkäu-er einen unverzichtbaren Teil der Wochenrationdarstellt. Zusammen mit im Winter angebote-nem Nadelbaumreisig stellt das Laubheu die Mi-neralstoffversorgung der Tiere sicher.10

Martin Buber soll gesagt haben: „Wir müssen demNutzen des scheinbar Nutzlosen wieder mehr Raumgeben.“11• Salzverabreichung

Dr. Selinger erinnerte die Bauern immer wiederdaran, dass jedes Organ, das nicht sinnvoll tätigsein kann, degeneriert.Wird das lebensnotwendige Salz, so wie heuteüblich, dem Futter beigemengt, wird es an denSpeicheldrüsen sozusagen vorbeigeschluckt, er-zeugt es im Magen eine Übersäuerung. In derFolge werden die säureproduzierenden Drüsenträge, der gesamte Verdauungstrakt verliertan Verdauungskraft. Zufütterung von Mineral-stoffen wird notwendig. Durch eine schlechtereVerdauung sinkt die Mistqualität, ein minder-wertiger Mist erzeugt kein wertvolles Futter, und

Futter minderer Qualität erfordert den Einsatzvon Futterergänzungsmitteln, wie Mineralstoffeund Vitamine in konzentrierter Form.

10 Machatschek, Michael: „Laubgeschichten: Gebrauchswisseneiner alten Baumwirtschaft, Speise- und Futterlaubkultur“, BöhlauVerlag, Wien, 2002.11Buber, Martin

zugefüttert werden. Wenn das Rind immer wie-der Mineralstoffe erhält, wird der Verdauungs-trakt geschwächt.

Was schwächt aus der Sicht des biodynamischenLandbaues die Verdauungsorgane des Rindes?

• Unreifes Futter

• MineralstoffmischungenSie haben denselben Effekt wie der Handelsdün-ger für den Acker. Man erspart dem Verdauungs-trakt die Extraktion der Stoffe aus dem Futter,und gibt diese in einer leicht löslichen Form.Langfristige Folge ist die Rückbildung der Ver-dauungskraft. Das Organ wird geschwächt.

• SilageSilagefutter soll, wenn überhaupt, nur zeit-lich und mengenmäßig begrenzt eingesetztwerden, ein verträgliches Maß erscheint 1/3der Gesamttagesration gerechnet nach derTrockensubstanz und max. 1/3 des Jahres.Der Pansen ist eine hochpräzise Gärkammer.Das Rind bekommt mit der Silage ständig etwasVorverdautes. Der Verdauungsapparat verliert

an Kraft.

Die angesprochenen Verdauungskraftschwächungensind nicht kurzfristig sichtbar, sondern wirken sich erstnach mehreren Generationen aus; man rechnet im

Biodynamische Betrachtungen

Allgemeinen mit 12, das wären beim Rind rund 60 Jahre.Aus all diesen aufgelisteten Tatsachen ergibt sich dieNotwendigkeit einer vielseitigen Betriebsführung, dieNotwendigkeit für eine große Diversität am Hof.

äußere Kreis der Herdenmitglieder „wächst“allmählich in die Mitte hinein. Jedes Tierhat sein Recht und auch seine Pflicht.• Die Schönheit und Anmut. Damit ist diepersönliche Beziehungsebene gemeint,die

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Emotionale Aspekte

Tiere vermitteln Ruhe und Herzenswärme, Rhythmusund Ordnung, Schönheit und Anmut.

Woher kommt die Sehnsucht nach Tieren?

• Das Tier gibt Körperwärme, gemütlich und

angenehm wie ein Kachelofen- aber auch jeneWärme, die unser Herz erwärmt. Die Ruhe, diein einem Stall spürbar ist, wirkt auf Menschenberuhigend wie ein sanft wogendes Meer.• An der Kuh besonders faszinierend und heil-sam erscheint ihr Rhythmus.Vor allem Rinder behalten ihren Rhythmus stetsbei und lassen sich nur schwer aus diesemperiodischen Wechsel von Fressen und Wieder-kauen, Schlafen und Wachen usw. bringen.„Wenn du dich vor Stress nicht mehr kennst,dann setze dich vor eine Kuh und schauihr beim Wiederkauen zu, wie sie lang-sam ihren Unterkiefer hin und herwiegt.“ War Großvaters Rat, wenn HerrErian wieder einmal gestresst war.• Die Ordnung, die in einer Herde vorherrscht,

lässt erkennen, dass hier eine ähnliche Rhyth-misierung vorliegt, nach der im Einzeltierdie einzelnen Körperfunktionen ablaufen: Ineiner Herde weiden die Tiere gemeinsam,rasten gemeinsam, gehen gemeinsam zurTränke. Jedes Tier hat seinen festen Platz, der

innere Vertrautheit.

Was ist das Wesen, das Wesentliche am Tier?

Wenn man sich zum Beispiel eine Kuh vorstellt, undalles was an dieser Kuh physisch sichtbar ist, sich weg-denkt, dann bleibt letztendlich das Wesen der Kuh üb-

rig.Dieses Wesen besteht aus Trieben, vor allem Hunger,Durst, Sexualtrieb, Bedürfnisse nach sozialen Kontakten,usw..R. Steiner: „Das Tier ist die Verkörperung von Trieben.“12

Mit domestizierten Tieren tritt man in eine Wechselbe-ziehung. Zähmung schafft Vertrautheit.Sie verändert das Wesen. Gewisse Triebe schwächensich ab. Das Tier verliert die Wildheit und die Angst.Trotzdem aber bleibt es die Verkörperung von Trieben.Es geht immer um Interaktion mit einem triebhaftenWesen.Im Gegensatz dazu hat der Mensch gelernt seine Triebezu beherrschen.Die Auseinandersetzung mit dem Tier ist zugleich diebeste Schule für den Menschen.

Das Haustier ist andererseits Spiegelbild des mensch-lichen Wesens.In jenem Maß, wie es gelingt das Tier zu beherrschen,mit ihm vertraut zu werden, in dem Ausmaß gelingt esauch, mit den eigenen Trieben vertraut zu werden und

12 Steiner, s.o.

Biodynamische Betrachtungen

sie zu beherrschen.Tierzucht ist also als ein Wechselspiel zu verstehen,

bei dem das Tier und der Mensch die Chance auf eineWeiterentwicklung haben. Das ganz konkrete Verhaltenmeiner Tiere im Stall ist der Spiegel, indem ich meinen

zenblondes Haar. Oh, es wird wunderbar sein, wenn dumich einmal gezähmt hast! Das Gold der Weizenfelderwird mich an dich erinnern. Und ich werde das Rauschendes Windes im Getreide lieb gewinnen.“

Der Fuchs verstummte und schaute den Prinzen lange

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eigenen Weg des Mensch-Werdens verfolgen kann.

Die schönste Beschreibung einer Zähmung findet manbei Saint-Exupéry in seiner Erzählung „Der kleine Prinz“.

Zur Vorgeschichte: Der „Kleine Prinz“ (er stellt in Exu-pérys Vorstellung den Menschen dar) ist ein Außerir-discher, der für eine Zeit die Erde besucht und hier unteranderem auf einen Fuchs trifft…

 „Wer bist du?“ fragte der kleine Prinz. „Du bist sehrhübsch“. „Ich bin ein Fuchs“, sagte der Fuchs. „Kommund spiel mit mir“, schlug der kleine Prinz vor. „Ich kannnicht mit dir spielen“, sagte der Fuchs. „Ich bin nochnicht gezähmt!“ Nach einiger Überlegung sagte der klei-ne Prinz: „Was bedeutet das – zähmen?“ „Das ist einein Vergessenheit geratene Sache“, sagte der Fuchs. „Esbedeutet: sich vertraut machen.“ „Vertraut machen?“wiederholte der kleine Prinz fragend. „Gewiss“, sagteder Fuchs. „Du bist für mich nichts als ein kleiner Knabe,der hunderttausend anderen Knaben völlig gleicht. Ichbrauche dich nicht, und du brauchst mich ebenso we-nig. Ich bin für dich nur ein Fuchs, der hunderttausendanderen Füchsen gleicht. Aber wenn du mich zähmst,werden wir einander brauchen. Du wirst für mich einzigsein auf der Welt… Wenn du mich zähmst, wird meinLeben wie durchsonnt sein. Ich werde den Klang deines

Schrittes kennen, der sich von allen anderen unterschei-det. Die anderen Schritte jagen mich unter die Erde.Der deine wird mich wie Musik aus dem Bau locken.Und dann schau! Siehst du da drüben die Weizenfelder?Ich esse kein Brot, für mich ist der Weizen nutzlos. DieWeizenfelder erinnern mich an nichts. Du aber hast wei-

an: „Bitte… zähme mich!“ sagte er dann. „Ich möchtewohl“, antwortete der kleine Prinz, „aber ich habe nichtviel Zeit. Ich muss Freunde finden und viele Dinge ken-nenlernen.“ „Man kennt nur die Dinge die man zähmt“,sagte der Fuchs. „Die Menschen haben keine Zeit mehr,irgendetwas kennenzulernen. Sie kaufen sich alles fer-tig in den Geschäften. Aber da es keine Kaufläden fürFreunde gibt, haben die Leute keine Freunde mehr. Wenn

du aber einen Freund willst, so zähme mich!“ „Was mussich da tun?“ fragte der kleine Prinz. „Du musst sehr ge-duldig sein“, antwortete der Fuchs. „Du setzt dich zuerstein wenig abseits von mir ins Gras. Ich werde dich soverstohlen, so aus dem Augenwinkel ansehen, und duwirst nichts sagen. Die Sprache ist die Quelle aller Miss-verständnisse. Aber jeden Tag wirst du dich ein bisschennäher setzen können…“

So machte denn der kleine Prinz den Fuchs mit sichvertraut. Und als die Stunde des Abschieds nahe war:„Ach!“ sagte der Fuchs, „ich werde weinen“. „Das ist dei-ne Schuld“, sagte der kleine Prinz, „ich wünschte nichtsÜbles, aber du hast es gewollt, dass ich dich zähme…“„Gewiss“, sagte der Fuchs. „Aber nun wirst du weinen!“sagte der kleine Prinz. „Bestimmt“, sagte der Fuchs.„So hast du also nichts gewonnen!“ „Doch“, sagte derFuchs, „ich habe die Farbe des Weizen gewonnen.“ Zum

Abschied hatte der Fuchs dem kleinen Prinzen noch zweiGeheimnisse versprochen: „Adieu“, sagte der kleinePrinz. „Adieu“, sagte der Fuchs.„Hier ist mein Geheimnis. Es ist ganz einfach:

Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche

Biodynamische Betrachtungen

ist für die Augen unsichtbar.“13

Die Zähmung eines Tieres vererbt sich nicht, sie bleibtnicht erhalten. Die Zähmung muss in jeder Generationneu errungen werden. Dieser Erziehungsvorgang ist

b h l h b h

wurde, desto mehr transportiert es etwas vom Wesenseines Schöpfers oder seiner Schöpferin. Je industrieller

das Ding entstanden ist, desto weniger hat es etwas von

d l hk b k

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beim Tier ganz ähnlich wie beim Menschen.

Will man ein Rind zähmen, muss man beim Kalb be-ginnen. Man sollte bei der Geburt anwesend sein. DasWesen, das unmittelbar nach der Geburt gesehen undgehört wird, wird als Muttertier anerkannt. (Siehe Verhal-tensforschung v. Konrad Lorenz.)

Bezogen auf die Kuh heißt das, sich möglichst früh in

die Beziehung Kuh und Kalb hineinzudrängen. Das magzunächst einen rohen Eindruck erwecken, aber es bringtfür beide Seiten positive Errungenschaften.

Man muss mit unendlicher Geduld (wie sie auch dieKuhmutter besitzt) durch Hand- und Körperkontakt unddurch oftmaliges Anreden des Tieres eine Beziehung her-stellen. Für das Kalb wird man Mutterersatz und späterHerdenmitglied, für die Kuh wird man zum Kalbersatz.So entsteht der wünschenswerte Zustand, dass die Kuhdie Milch uns schenkt. Denn Milch wird von einem Säu-getier nur dann abgegeben, wenn das Jungtier auf seineErnährung angewiesen ist. Weder vorher, noch nachherwird Milch produziert. Milch wird also nur in der Phaseabgegeben, wo das Muttertier stärken und beglückenwill. Im übertragenen Sinn kann gesagt werden: Milchist flüssiggewordene Liebe.Unter diesen Umständen gibt uns die Kuh ihre Milch

freiwillig.In jedem Gegenstand, der uns umgibt, steckt etwas

von dem Menschen, der ihn gefertigt hat. Seine Idee, sei-ne investierte Kraft, etc.. Je individueller etwas hergestellt

13 De Saint-Exupery, Antoine: „ Le petit prince“, InsDeutsche übersetzt von Leitgeb Grete und Josef, Rauch,58.Auage,Gallimard, Paris, 1946

der Persönlichkeit mitbekommen.

Übertragen auf die Milch bedeutet dies, dass in derMilch auch immer etwas vom Wesen der Kuh enthaltenist, sowie auch von ihrem menschlichen Betreuer oderder Betreuerin. Das heißt entweder Geduld, Liebe, Hin-wendung, Verständnis, Ruhe, oder auf der anderen SeiteAggression, Gewalt, Missmut, Stress, Angst.

All das wird ebenfalls mit der Milch konsumiert und imZuge der Verdauung absorbiert.

R. Steiner: „Es gibt keine Tierzucht ohne Selbstzucht.“14

Der Mensch muss sehr selbstbeherrscht sein, damit erüberhaupt ein Tier züchten und zähmen kann.

Die zur Tierzucht notwendige seelische Grundhaltungwird also von Selbstzucht, Demut, Opferbereitschaft ge-prägt. All das kann aber nicht verordnet werden, sondernnur aus dem freien Entschluss des Menschen hervorge-hen. Das Grundlegende, auf das es bei der Tierhaltungwirklich ankommt, kann nicht per Gesetz geregelt wer-den.

Es kursiert noch eine andere Meinung: „Der Menschist der Parasit des Haustieres.“

Das wirft die Frage auf: Woher nimmt der Mensch das

Recht ein Mitgeschöpf, ein Tier überhaupt zu nutzen?Sein Fleisch zu verzehren, seine Milch zu nehmen, es ineinem beschränkten Raum zu halten?Mit der Zähmung eröffnet der Mensch dem Tier eine

14 Steiner, Rudolf: Register zur R. Steiner Gesamtausgabe,4.Bände, Rudolf Steiner Verlag, Dornach,1998

Biodynamische Betrachtungen

Welt, die sich außerhalb seines instinkthaften und trieb-haften Lebens befindet. Nur durch die Ermöglichung ei-ner anderen Ebene, einer Höherstufung des tierischenWesens scheint der Mensch die Berechtigung zu haben,das Tier zu nutzen.

Zit t S i t E d kl i P i D

Für die Herdengröße ist der betreuende Mensch dasMaß und nicht der Umsatz, die Wirtschaftlichkeit oderdie Fläche.

Die einzelnen Herdenmitglieder müssen ihm so nahesein, dass er alle mit Namen ansprechen kann und auch

di N h ht k t N hd di Fähi k it t

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Zitat von Saint Exupery aus dem kleinen Prinzen: „ Dubist zeitlebens verantwortlich für das, was du dir vertrautgemacht hast.“15

Das Folgende wird Zarathustra zugeschrieben: „ Wennin dir gute Eigenschaften keimen, dann kannst du einTier zähmen. Dann kannst du ihm einweben deine gu-ten Eigenschaften. Denn wenn der Mensch die Natur so

lässt, wie sie ist, treibt alles in Wildheit hinein.“

Lässt man Kuh und Kalb natürlich, gut versorgt, aberalleine aufwachsen, werden sie scheu, wild und unzu-gänglich. Sie müssen dann mit Gewalt gefangen odergeschossen werden. Somit würde sich auch der Menschwieder zurückentwickeln zum Sammler und Jäger.

Rudolf Steiner: „Das Tier kann sich von selbst nicht hö-her entwickeln, es braucht den Menschen dazu.“16 Kon-kret bedeutet das Gesagte: Fellpflege von Hand, täglichekörperliche Kontaktaufnahme (vor allem mit den Jung-tieren), oftmaliges Ansprechen, Anlernen der Tiere zumFühren am Halfter und wenn möglich zur Zugarbeit, ei-gene Vatertierhaltung (Als erstes entsteht das Kalb imKopf des Züchters oder der Züchterin, daher braucht eroder sie eine ganz konkrete Vorstellung dieses Kalbes.

Zum Aussuchen eines Vatertiers genügt daher nicht derBesamungskatalog.)

15 Exupery,s.o.16 Steiner, Rudolf, geisteswissenschaftliche Grundlagen...

die Nachzucht kennt. Nachdem diese Fähigkeit unter-schiedlich ausgeprägt ist, kann man keine absolute Zah-lenobergrenze angeben. Es sollte sich aber nach all dembisher Gesagten jede/r überlegen, ob Tierzucht in Her-den, in denen die Identifizierung nur mehr anhand vonNummern erfolgt, tier- und menschengerecht ist?

Ist ein Tier richtig gezähmt worden und mit seiner

Bezugsperson eng vertraut, dann können sich die Um-gebungsbedingungen verändern und das Tier wird trotz-dem nicht sehr gestresst sein, solange dieser Mensch beiihm ist.

In letzter Konsequenz verhält sich das auch so, wenndas Tier zur Schlachtung geführt wird. Es soll bis zurBetäubung von der vertrauten Bezugsperson begleitetwerden.

Dr. Selinger wurde nicht müde die Bauern und Bäu-erinnen daran zu erinnern, dass der Mensch am Tiernichts tun oder auch lassen kann, was nicht früher oderspäter an ihnen selbst sichtbar und wirksam wird.

 Anforderungen an den Stall 

Betrachtet man eine Rinderherde auf der Weide, so er-kennt man, dass jede Kuh ihren ganz individuell großen„Sicherheitsraum“ beansprucht um sich wohlzufühlen.Ein Anbinden in einem Stallgebäude eines ähnlich groß-en Raumes mit den von der Kuh auf der Weide gewähltenAusweichdistanzen, ist aus finanziellen und vielerorts

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Biodynamische Betrachtungen

Grundsätzlich sollte man sich die Frage stellen, welcheArt von Beruf der des Bauern, der Bäuerin ist?Produzierend oder dienstleistend ?

Die Tätigkeit des Bauern/der Bäuerin ist vor allem die

Hege und Pflege des Lebens am Feld auf der Wiese im

Wilhelm Erian hielt den Vortrag am 18. Dezember 2008im Rahmen der Ringvorlesung

Der Vortrag, wurde bearbeitet von Regina Enzenhofer.

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Hege und Pflege des Lebens am Feld, auf der Wiese, imWald, im Stall, im Haus, und ist damit eine vorwiegendsoziale Tätigkeit.

Immer wenn in einem sozialen Beruf das wirtschaft-liche Element (die politische Forderung der letzten Jahregeht in die Richtung: „Der Bauer muss endlich Unter-nehmer werden.“) die Oberhand gewinnt, zieht sich ganzeinfach das Leben zurück. Die ewig schöpferische Kraft,

die immer wieder neues Leben schafft, ist daher nichtmit dem materiellen Ertragsdenken vereinbar. Natürlichlebt der Bauer finanziell vom Verkaufserlös dessen, wassein Betrieb an Erträgen hervorbringt. Die Schwierigkeitliegt im Maßhalten.

Walter Haim, ein Demeterbauer aus dem Allgäu hat esso ausgedrückt: „Je mehr der Bauer erzeugt, desto gerin-ger werden seine Erzeugnisse bewertet.“

Dieser mehr oder weniger soziale, demütige oder herr-schende, dem Leben ehrfurchtsvoll oder fordernd gegen-über stehende Mensch ist also das wesentliche Element,das darüber entscheidet, ob sich ein landwirtschaftlicherBetrieb höher und weiter entwickelt.

Persönlicher Eindruck und Würdigung 

Die Begeisterung, mit der Wilhelm Erian das Thema

in seinem Vortrag vermittelt hat, steckt an und reißtmit. Die aus dem Stegreif immer wieder eingeflossenenErfahrungshinweise und praktischen Tipps und der lo-ckere, dynamische Vortrag suggerieren das Gefühl, alswäre es ein Beruf von müheloser Leichtigkeit. Wissendum die Realität bleibt doch der Eindruck von Freude undZufriedenheit.

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Biodynamischer Landbau

Parasitenregulierung

Den Tieren blütenreiches Futter anbieten:

Es ist darauf zu achten, dass die Weiden reich sind anBlühendem. Dazu zählen auch blühende Gräser. Wei-ters sollen die Weiden von Hecken umgeben sein, damit

die Schafe und Ziegen auch Blätter von Sträuchern und

die kleinen Wiederkäuer mit ihrem sehr langen Darmsy-stem, welches ungefähr der 25 fachen Körperlänge ent-spricht, anfällig für Parasiten.

Durch die Aufnahme des zu unreifen Grases kommtes zu einer „dumpfen“ Atmosphäre im Verdauungsbe-

reich Damit wird die Bedingung geschaffen in welcher

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die Schafe und Ziegen auch Blätter von Sträuchern undeventuell Sprossholz bekommen.

Die Weiden mit Hornmist- und Hornkieselspritzungenbehandeln

Durch die Anwendung der beiden Spritzpräparate wer-den die Lebensprozesse im Boden und die Lichtprozessein der Pflanze angeregt. Dr. Selinger sprach immer wie-

der davon, dass wir unsere Weiden zu „Almen“ machenmüssen. Wir wissen, dass die heilende Qualität der Al-men für unsere Tiere in der Lichtstärke ihrer Pflanzenliegt. Dieses Wissen sollte uns dazu führen, die „Licht-verhältnisse“ auf unseren Weiden zu überdenken.

Als letzte Möglichkeit, Licht in den Verdauungsraum

reich. Damit wird die Bedingung geschaffen, in welcherder Wurm sich wohl fühlt.

Denn für den Wurm ist eine dunkle, dumpfe Umge-bung die natürliche, ideale Lebensbedingung. Es ist hilf-reich, sich vorzustellen wo die Heimat des Wurmes ist,welches Milieu er bevorzugt und welche Bedingungenihn vertreiben.

Dazu brauchen wir nur beobachtend in unserer Um-

welt leben. Was passiert mit einem Wurm, der sich zulange im Sonnenlicht aufhält?Über solche Fragestellungen kommen wir bald zu

praktikablen Lösungen. Es wird dann einsehbar, dasseine Heilung und Besserung dadurch erreicht werdenkann, dass wir Licht in diesen dunklen Bereich hinein-bringen. Dies können wir durch eine spezielle Ernährungder Tiere erreichen.

Dazu müssen wir uns aber zuerst fragen, wie wir überdie Pflanzen Licht in die Verdauung bringen können.

Im biodynamischen Landbau werden in dieser Situationfolgende Maßnahmen empfohlen:

• den Tieren blütenreiches Futter anbieten,• die Weiden mit Hornmist- und Hornkiesel-  spritzungen behandeln und

• den Tieren täglich kleine Mengen von  Wurzelfrüchten zufüttern.

Biodynamischer Landbau

Parasitenregulierung

parasitenbefallener Schafe und Ziegen zu bringen, bie-tet sich darin an, wenn den Tieren täglich kleine Mengenvon Wurzelfrüchten zugefüttert werden.

Um diese Maßnahme verstehen zu können, müssenwir uns ein wenig an das Bildekräftewirken der Natur an-

nähern.Wi h id di Pfl h ih O b

mondzeit schwächt die den Mondenrhythmen unterwor-fenen Reproduktionskräfte der Parasiten.

Verbindet man nun diese wesengerechte Fütterungmit einem guten Weidemanagement und eventuell so-gar mit einer Alpung der Tiere, so kann weitgehend auf

Medikamente zur Entwurmung verzichtet werden.

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nähern.Wir unterscheiden die Pflanzen nach ihrer Organbe-

tonung. Die Karotten, Rüben und Rohnen sind Wurzel-früchte, weil ihr betontes Organ die Wurzel ist. Aus derBildekräfteforschung wissen wir, dass die Karotte dieFähigkeit hat, das Sonnenlicht in ihre Wurzel hineinzu-verdichten. Und wieder ist es die unbefangene Beobach-tung, welche uns das gleiche sagt: Da ist einerseits die

Farbe und andererseits die Strahlenstruktur, welche sichzeigt, wenn wir eine Karotte quer durchschneiden. Ähn-liche Verhältnisse finden wir in der weißfleischigen Rübeund in der Roten Rübe.1

Wenn wir nun diese Früchte an die Schafe und Ziegenverfüttern, werden in der Verdauung Lichtkräfte freige-setzt und es kommt zu einer Aufhellung der Atmosphä-re im Verdauungsraum. Auf diese Weise können wir mitGeduld und Konsequenz durch eine richtige Fütterungdem Wurm die Lebensgrundlagen im Darmbereich derbetroffenen Tiere entziehen.

Es reicht die Gabe einer Karotte oder einer Roten Rübepro Tier und Tag. Hat man diese Möglichkeit nicht, dannkann man im Winter eine Kur durchführen. Die Tiere be-kommen 28 Tage lang Rote Rüben gefüttert. Frau MariaThun, die nun schon über Jahrzehnte Konstellationsfor-schung betreibt, wies in diesem Zusammenhang darauf

hin, dass man für diese spezielle Anwendung der RotenRübe, diese jeweils zwei Tage vor Vollmond säen, hackenund ernten sollte.2 Die Bearbeitung der Wurzel zur Voll-

1 Wertvolle Hinweise zum Wirken der Roten Rübe nden Sie bei:

Pelikan, Wilhelm: „Heilpanzenkunde“, Band 1, Philosophisch-

anthroposophischer Verlag, Dornach, 19882 Frau Maria Thun gibt alljährlich „Die Aussaattage“ heraus. Diese

Medikamente zur Entwurmung verzichtet werden.

Hannes Neuper hat diesen Vortrag bei denBIO AUSTRIA Bauerntagen 2009 gehalten.

Schriften beruhen auf ihrer Konstellationsforschung und geben

wertvolle Hinweise auf günstige Sä-, Panz- und Hackzeitpunkte.

Biodynamischer Landbau

Tierzucht

Tierzucht im geschlossenen Organismuseiner LandwirtschaftLeopold Selinger 

Ein wesentlich anderer Blick 

Verständlicherweise erstrebt heute ein fortschrittliche/rLandwirt/in den finanziell notwendig erscheinenden Ge-winn durch Leistungssteigerung. Er/sie läuft Gefahr, dasMaß zu verlieren.

Der/die traditionelle Landwirt/in wiederum hält fest an

Methoden, die sich in der Vergangenheit bewährt haben;/ i lä ft G f h Id i i di E t i k l

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In diesem Vortrag weist Dr. Selinger auf geisteswissen-schaftliche Zusammenhänge hin zwischen Mensch undTier, welche sich bis hinein in die Physiologie und Ana-tomie zeigen. Praktische Aspekte der Tierhaltung – imSinne von Haltungsanleitungen – werden in diesem Vor-trag nicht behandelt.Es sind Bilder und Fakten, welche den bäuerlichen Men-

schen zum Nach-Denken bringen können.Es bleibt uns nicht erspart, diese Bilder selbst geistig zueinem Ganzen zusammenzufügen.

Tierhaltung

Tierzucht, Tierfütterung, Tierhaltung gehen als Tätig-keiten vom Menschen aus. In der Praxis enthält daher

immer jeweils die eine Tätigkeit auch die beiden ande-ren. Sie stehen zueinander in einem ähnlichen Verhältnisdreigegliedert, wie die menschliche Erscheinung selberdreigliedrig organisiert erscheint in den Tätigkeiten, diesich über die Kopforganisation, die Brustorganisation,die Gliedmaßenorganisation vollziehen.Diese Tätigkeiten gehen vom Bewusstsein aus.Und dieses ist in Bezug auf die Landwirtschaft eindifferenziertes.Im Bewusstsein des Menschen, vor allem des Land-wirtes, der Landwirtin entwickelte sich die Vorstellung:Landwirtschaft ist ein Gewerbe, welches zum Zweckehat, durch Produktion von vegetabilischen und tie-rischen Substanzen Gewinn zu erzeugen oder Geld zuerwerben. 1

1 Vgl. Thaer, Albrecht Daniel: „Grundsätze der rationellen LW“

, g g ;er/sie läuft Gefahr, neue Ideen, wie sie die Entwickelungfordert, nicht oder nicht rechtzeitig zu ergreifen.

Der/die so genannte alternative Landwirt/in erkenntwohl die Gefahren beider Richtungen; rein naturwissen-schaftliche Erkenntnismöglichkeit vermag ihm/ihr abernicht die nötige innere Sicherheit zu geben für ihr/seinBemühen. Er/sie läuft Gefahr, idealistischen Vorstel-

lungen zu sehr Raum zu geben. Naturgemäß bot sichdem/der fortschrittlichen Landwirt/in die Hühnerhal-tung an. Die Vogelnatur des Huhnes ist weitgehend bo-denunabhängig und schien deshalb geeignet für nahezuvollkommen klimatisierte, automatisierte Käfighaltungund komplettiertes Alleinfutter als Fertigfutterkonserve.Wirtschaftlich verlockend schien es dann, auch in derKuhhaltung ebenso zu verfahren. Die Kuh aber ist weit-gehend bodenabhängig. Sie wurde bald zum Paradebei-spiel für symptomlose Sterilität, unspezifische Katarrheund ihre Virusbegleitung, Spurenelementemangel undWurmbefall. Eine Neuorientierung wurde notwendig, sogenanntes biologisches Denken.

Notgedrungen lernen wir heute die Erde nicht mehransehen als ein Staubkorn im Weltall, sondern als eineArt lebendigen Organismus und den Menschen als eingeistiges Wesen, welches das Antlitz der Erde verändert.

Es lässt seine Menschlichkeit einfließen in das Lebendieser Erde – freilich auch alles, was am Menschen desMenschen unwürdig erscheint.Anthroposophisch orientierte, das heißt vom Menschenausgehende geisteswissenschaftliche Erkenntnis, sagt:Wenn der Mensch geboren wird, wird er durch den Tier-

Biodynamischer Landbau

Tierzucht

kreis in den tierischen Kreis von Adler, Löwe und Kuh hi-nein geboren. Erblickt er so das Licht der Welt, vernimmter den Lockruf des Dreigetiers, lernt ihr Wesen kennen.Durch die Zuneigung oder Abneigung, die er währendseines Aufenthaltes in der Tierkreissphäre entwickelt,

erfährt er seelisch-geistige Verwandtschaften. Im Inner-sten seiner Seele aber trägt er das Menschenbild mit

Das ist der Ruf von oben, der heute die Menschen ver-einseitigen will.“2

„Und es gibt einen zweiten Lockruf. Das ist derjenige,der aus der mittleren Region kommt, da, wo die Kräfte

des Kosmos die Löwennatur formen, da, wo die Kräftedes Kosmos aus dem Zusammenflusse von Sonne und

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g gsten seiner Seele aber trägt er das Menschenbild mitsich, als sein Idealbild. Das will er im Dasein zwischenGeburt und Tod verlebendigen.

Je nachdem er im physischen Leben den Ruf der Tierebeantworten lernt, trägt er sein Menschenbild inten-siviert mit sich im Tode in die geistige Welt zurück. Ermuss lernen, sich dem Tierischen zu entreißen, aus dem

Tierischen herauszuwachsen, mit solchem Bestrebensein ganzes Wollen allmählich zu durchdringen, so dasses sein Wille wird.

Tierzucht, Tierfütterung, Tierhaltung sind die Mög-lichkeit, tierisches Blut so zu beeinflussen, dass Adel amTier erscheinen, innerhalb der Arten sich verbreiten unddurch Generationen höher entwickeln kann.

Es lautet der Lockruf der Tiere – es sind nach christ-

licher Überlieferung die evangelischen Tiere – denen inder geistigen Welt gegenübersteht der Mensch als En-gelwesen:

„Die Adlerwesenheit selber ist es, die hörbar wird fürdas Unterbewusstsein des Menschen. Das ist der verlo-ckende Ruf:

  Lerne mein Wesen erkennen!

  Ich gebe dir die Kraft,  im eignen Haupte  ein Weltenall zu schaffen.

So spricht der Adler. 

des Kosmos aus dem Zusammenflusse von Sonne undLuft jenes Gleichmaß der Rhythmen, der Atmung undder Blutzirkulation bewirken, wie es die Löwennatur kon-stituiert.

Lerne mein Wesen erkennen!Ich gebe dir die Kraft,

im Schein des Luftkreisesdas Weltenall zu verkörpern.

So spricht der Löwe.“3 Er repräsentiert die Mitte.

Lerne mein Wesen erkennen!Ich gebe dir die KraftWaage, Meßlatte und Zahldem Weltenall zu entreißen.

So spricht die Kuh.“4

Auf der Erde muss der Mensch lernen zu antworten: 

Ich muß lernen:O Kuh,deine Kraft aus der Sprache,

die die Sterne mir offenbaren.

2 Steiner, Rudolf: „Der Mensch als Zusammenklang des schaffen-Steiner, Rudolf: „Der Mensch als Zusammenklang des schaffen-den, bildenden und gestaltenden Weltenwortes“; Rudolf SteinerVerlag, Dornach 1993, S 333 ebenda S 344 ebenda S 35

Biodynamischer Landbau

Tierzucht

dass er lernen muss den alles bestimmenden Materialis-mus zu überwinden, um das Maß und den Rhythmus zufinden, die ihn eigentlich erst befähigen, am Lebendigenzu arbeiten.

Will man wirklich die Erde im Sinne der Menschheits-entwickelung beleben beseelen durchgeistigen wird

Das Zweite, wovon der Mensch sich sagen muß:

Ich muß lernen:O Löwe,

deine Kraft aus der Sprache,die in Jahr und Tag

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entwickelung beleben, beseelen, durchgeistigen, wirdes notwendig sein, gerade die Tierhaltung in der Land-wirtschaft zu orientieren am Bild der vier Wesensglieder,welche der Mensch ausgebildet hat:

Seinen physischen Leib,seinen Ätherleib,

seinen Astralleib undsein Ich.

Der Empfindungsleib, die Empfindungsfähigkeit oderder Seelenleib des Menschen und der Seelenleib desTieres, genauer gesagt der Tierarten, stehen in realem,das heißt geistigem Zusammenhang, besonders durchdie Vorstellungen, Gefühle und Willensimpulse, die wirin den Schlaf hinein nehmen oder nach dem Tode in die

geistige Welt einbringen.Was sich vollzieht in unseren Einschlaf- und Aufwach-

träumen, ist etwas, das sich vollzieht auf jener Bewusst-seinsstufe, die das Tier im Leben verkörpert.

Wir müssen nur lernen ein Tier bildhaft anzuschauenund dieses Bild bis in die anatomischen Tatsachen hineinzu verfolgen, die es sichtbar machen.

Ein Huhn zum Beispiel, bildet kein Zwerchfell aus, das

die Körperhöhle in Brust- und Bauchraum scheidet. EinZwerchfell ist nur in Resten angedeutet am Rippenbo-gen. Der ganze Vogelkörper ist gleichsam ein Kopf, derBrust– und Bauchorgane in sich trägt.

Eine Kuh ist gleichsam ein Bauch, der seine Weisheit,seine ganze tierische Weisheit in der Dickdarmspirale

die in Jahr und Tagder Umkreis in mir wirket.

Und das Dritte, was der Mensch lernen muß, ist:

O Adler,

deine Kraft aus der Sprache,die das Erd-Entsprossene in mir erschafft.“5

So muss der Mensch seinen Dreispruch entgegenset-zen den einseitigen Lockrufen, jenen Dreispruch, dessenSinn die Einseitigkeiten zum harmonischen Ausgleichbringen kann. Er muss lernen zur Kuh zu schauen, abervon der Kuh, nachdem er sie gründlich empfunden hat,aufzuschauen zu dem, was die Sprache der Sterne offen-

bart. Er muss lernen aufzurichten den Blick zum Adler,und nachdem er die Natur des Adlers gründlich in sichempfunden hat, mit dem Blick, mit dem, was ihm dieNatur des Adlers gegeben hat, hinunterzuschauen aufdas, was in der Erde sprießt und sprosst und auch imMenschen in seiner Organisation wirkt von unten herauf.Und er muss lernen den Löwen so anzuschauen, dassihm vom Löwen geoffenbart wird, was Wind und Wet-

ter im Jahreslaufe in dem ganzen Erdenleben, in das derMensch eingespannt ist, bewirken.6

Damit ist ausgesprochen, dass der Mensch lernenmuss der Verführung (dem Lockruf) dem bloß intellek-tuellen, verstandesmäßigen Beurteilen zu widerstehen,5 ebenda S. 42.6 ebenda S. 43.

Biodynamischer Landbau

Tierzucht

gipfeln lässt, das Wiederkäuen nahezu minutiös rhyth-misiert, an seinen Pulsschlägen ordnet.

Wir können in der Praxis erleben, wenn wir eine Herdebetreuen – 30, 40 Jahre hindurch vielleicht – dass letztenEndes eine Kuhhaltung nicht gedeihen kann ohne ent-

sprechende Hühnerhaltung und umgekehrt.Es handelt sich ja darum, eine landwirtschaftliche In-

Tierfütterung 

  Etwa um 1820 wurde die Fruchtfolge der Dreifelder-wirtschaft: Winterung-Sommerung-Brache erweitert undintensiviert durch die bewusste Eingliederung von Klee-

anbau.1868 verfügte der Staat die verbilligte Abgabe von Salz

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Es handelt sich ja darum, eine landwirtschaftliche Individualität einzurichten im Hinblick auf die kosmisch-qualitative Analyse, die sich vollzieht im Zusammenlebeneines gewissen mit Pflanzen bewachsenen Gebietes mitdem, was an Tieren in diesen Gebieten lebt. Dem rich-tigen Maß an Kühen Pferden und anderen Tieren… Einelandwirtschaftliche Individualität wird ja zum lebendigen

Spiegel für die Entwicklung einer menschlichen Individu-alität zur selbständigen Persönlichkeit.Die Bildung warmen roten Blutes und einer knöcher-

nen Wirbelsäule bietet die Möglichkeit äußere Kälte ak-tiv zu überwinden. Der Mensch ist nur wirklich gesund,wenn er eine mittlere Körpertemperatur von 36-37° Centwickeln und aufrecht erhalten kann. Ein Pferd ist ge-sund zwischen 37,5-38,5°, der Hund bei 37,5-39°, die Kuhbei 37,5-39,5°, die Katze bei 38-40°, das Schwein und das

Schaf bei 38,5-40°, die Ziege bei 38,5-40,5°, das Huhn bei40-43° und die Taube bei 41-44,1°C.

Die ganze Palette der engeren Haustiere ist für denMenschen ein richtiges Wärmeorgan, mit dem er hinein-wirkt in das Naturwachstum.

Müsste er selber diese Temperaturen entwickeln, wür-de er nicht mehr klar denken können, würde zuletzt in-nerlich wie verbrennen, im Fieber phantasieren.

Alles was der Mensch an fester Nahrung zu sichnimmt, muss in der Verdauung verflüssigt werden, so-dann gasförmig werden, flüchtig werden und zuletzt inkörpereigene Wärme verwandelt werden. Diese ist ver-wandt mit der geistigen Wärmeentwicklung; aus ihr he-raus findet erst ein Neuaufbau statt.

1868 verfügte der Staat die verbilligte Abgabe von Salzan die Landwirtschaft. In den letzten zweihundert Jahrenwurde das Körpergewicht der Kuh ungefähr verdoppelt,die Milchmenge vervierfacht, die Lebenserwartung aberverringerte sich um ein Drittel.

Die Zuchtreife, das heißt Zuchtgebrauch, wurde im-mer näher an die Geschlechtsreife herangerückt.

Auch das Hühnereigewicht wurde auf das Doppeltegesteigert, die Legeleistung verdreifacht.Die gesamte Haustierfütterung wurde – wie naturnot-

wendig – immer mehr belastet durch Mineralstoffgaben,Vitamingaben, Hormongaben, vor allem aber durchnotwendig erscheinende Antiparasitika. Spurenelemen-temangel wurde das Problem unserer Zeit.

Das Tier ist geistig anzusehen als ein Dunkelraum,erfüllt mit lebendiger, aber dumpfer Wärme, bedürftig

des Lichtes. Licht kommt an das Tier heran durch Son-ne, Mond und Sterne. Ebenso durch die Zuneigung, dieder Mensch den Tieren angedeihen lässt; vor allem aberdurch die Pflanzen, die der Mensch an seine Haustiereverfüttert.

Salz macht Durst, Salz macht wasserschwer, salz-feuchte Luft macht Hunger.Wässrig gestautes organisches Gewebe ist schwieriger

zu durchlichten, zu durchluften, zu durchwärmen, zurhythmisieren. Rhythmisch geordneter Wechsel vonAufquellen und Entquellen, von Ödemisierung undEntwässerung organischen Gewebes ist die Grundlagealler Verdauungsprozesse, die Grundlage der Brunster-scheinungen, der Einleitung der Geburtsvorgänge, dem

Biodynamischer Landbau

Tierzucht

Einsetzen der Laktation und ihrer Beendigung. Ist dasharmonische Ineinandergreifen dieser Vorgänge im Or-ganismus gestört, entsteht in einzelnen Organen so et-was wie ein Eigensinn und ein Eigenwille gegenüber demGesamtorganismus.

Aber auch gegenüber einzelnen Organen könnensich dieser Eigenwille und dieser Eigensinn bis zur Un-

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g gverträglichkeit steigern und ausarten in verschiedensteAllegien.

Die tierischen Verdauungskräfte entzünden sich anden verschiedenen Futterqualitäten für den grobstoff-lichen Abbau und Aufbau. Ein feinster, ganz intimerStoffwechsel vollzieht sich über die Aufnahme und dasVerarbeiten der Sinneswahrnehmungen, der Sinnesein-drücke. Feinster und gröbster Stoffwechsel bekommtseine elementare Ordnung über den Rhythmus von Ein-und Ausatmen – bis hinein in den Kreislauf.

Tierische Brunst können wir ansehen als physiolo-gische Entzündung, die sich staut und im Befruchtungs-vorgang ihre Lösung findet und in der Fortpflanzung zurFruchtbildung führt.

Etwas abstrakt ausgedrückt: Die charakterisierenden

Elemente der Entzündung sind:

• calor – Erwärmen bis Erhitzen• rubor – Röten bis Blasenbilden• dolor – empfindsam Werden biszur Schmerzhaftigkeit

• tumor – Schwellung mit der Neigung  entweder zur Verhärtung oder zur Nekrose.

Aus der Beobachtung zweier Wisentherden – insge-samt 575 weibliche Tiere – welche in Wildparks gehaltenwurden ohne weitere Beeinflussung des Menschen, erg-ab sich aus den während eines Jahreslaufes anfallendenGeburten die entsprechende Kurve für das Eintreten der

Konzeptionsbereitschaft der Tiere:

Die Grafik zeigt deutlich auf, dass zwei Aspekte in ihrenthalten sind: Die auffällige Spitze der Konzeptionsbe-reitschaft zeigt massiv eine Fortführung des Blühpro-zesses hinein in die Fruchtbarkeit.

Gleichzeitig ist dadurch der höchste Anteil der Ge-burten zu einem Zeitpunkt des Jahreslaufes angelegt,

der ein gesichertes Überwintern der Jungtiere gewähr-leistet.Den Sprung von Natur zu Kultur dokumentiert dieheutige Gepflogenheit, die Kühe zum größten Teil imApril, Mai einer Konzeption zuzuführen. Nach einemBlick auf die Skizze ist dies jedoch exakt der Zeitpunkt,wo in der Natur signifikant die wenigsten Befruchtungenstattfinden. Die Frage muss erlaubt sein, ob durch die

Hereinnahme als Haustier auch die Biologie solcheSprünge – ohne Schaden zu erleiden – vollziehen kann.

Diese Grafik macht deutlich, dass Fütterung mit Blü-hendem Einfluss ausübt auf die Reproduktionsvorgän-ge.

Man kann gut verstehen, dass der Lebensprozess der

KonzeptGeburt

Biodynamischer Landbau

Tierzucht

breitet, an der Sonne zum Blühen kommt und ihr Wachs-tum beendet, Frucht und Samen bildet.Die Kuh auf der Weide, in der Kuh das Verdauungssy-stem mit seinen Schleifen und der Dickdarmspirale undderen Umkehrpunkt.

Die aus der Verdauungskraft geformte, strukturierteDarmabsonderung, die zum Dünger wird und an die

Pflanze – es ist ihr Wachstumsprozess auf der Erde –zum Urheilprozess für das Tier wird.

Es sind die metamorphosierten, potenzierten, dyna-misierten Empfindungskräfte, die sich ausdrücken inHunger, Durst und Geschlechtlichkeit und zur Triebhaf-

tigkeit werden, zur Leidenschaft sich steigern und ein-münden in Begierden. Was sich zwischen Epiphyse und

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g gWurzelregion der Pflanze herankommt, abermalig demWachstum Triebkraft vermittelnd.

Ein solches Bild vermag viele offenbare Geheimnissean uns heranzutragen. Geisteswissenschaftliche For-schung vermittelt uns, dass wir heute in einer Kulturperi-ode leben, die eine Art Wiederholung der altägyptischen

Kultur darstellt, diese wieder eine Art Wiederholung jenerZeit, in der Mensch- und Tierwesen sich aneinander zuentwickeln begonnen haben. Mysterienweisheit sprachdavon, dass der gute Hirte über seine Herde wacht inallen Phasen des Lebens; sie nie sich selbst überlässt,immer seine Hand am Tier hält.

g p p yHypophyse staut und entladen kann, den Instinkt derArt stärken oder schwächen kann bis in Überempfind-lichkeit, Nervosität hinein, aber auch bis in Abartigkeitoder gar Verlust.

Die Sicherheit des Instinktes, der das Tier traumhaftsicher leitet, findet ihr physisches Korrelat in der Gehirn-sandbildung, derer die Gruppenseele des Tieres in ähn-licher Weise bedarf wie die Individualseele des einzelnenMenschen.

Für den Landwirt/ die Landwirtin ist es wichtig zuwissen, dass die Kuh nur das wissen kann, was sie ver-daut; dass sie eine Veranlagung in sich trägt, die ähnlichwirkt wie beim Menschen die Erinnerungskräfte. Die Kuhmacht es freilich äußerlich, sie käut wieder, damit es ihrrichtig in Fleisch und Blut übergehen kann. Sie braucht

die Anregung zum Wiederkäuen, dann produziert sieSpeichel, durch den sie in besonderer Weise die Erden-stoffe alkalisieren kann – Speichel: ph-Wert 8.

Für die Erde ist dieser Alkalisierungsprozess wichtig,und auch für den Züchter/ die Züchterin, denn der Wegzum reinen Blut beginnt zwischen Alkalität und Säue-rung. Er macht möglich, dass Eisen richtig in das Eiweißdes Blutes aufgenommen werden kann.

Wenn wir versuchen den geschlossenen Organismuszu überschauen und zu durchschauen, können wir unsfolgende Bilder machen:Den Erdboden und die Pflanze, welche von diesem ausins Licht der Sonne wächst, um der Festigkeit willen Wur-zeln bildet, sich als Blatt über die Erdoberfläche hin aus-

Biodynamischer Landbau

Tierzucht

Heute, nahezu 2000 Jahre nach dem Mysterium vonGolgotha können wir in neuer Weise lernen die Me-tamorphose zu erfassen, die sich vollzieht über denMenschwerdeprozess bis hinein in die physische Ausge-staltung tierischen und pflanzlichen Lebens, in welcher

alle Organbildekräfte sich veranlagen im Bild der Knos-pe. In der Dickdarmspirale erfährt pflanzliches Wachs-

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tum seinen Umkehrpunkt in sich selber.

Tierzucht

Ein bäuerlicher Wahrspruch lautet:

Dürste, auf dass du wissest, was Wasser ist:hungere, auf dass du wissest, was Brot ist;opfere, auf dass du wissest was Blut ist;

 züchte, auf dass du wissest was Ordnung ist.

Aus einem solchen Bewusstsein heraus kann man ver-stehen lernen, dass dann, wenn der Mensch eine reineVorstellung von seinem Zusammenhang mit dem Gei-

stigen hat, er auch eine gesundende Ich-Vorstellung ent-wickelt. Macht sich der Mensch eine falsche Vorstellungvon dem Geistigen, so wird das von Geschlecht zu Ge-schlecht weitergetragen und beginnt sich als Krankheit,als Siechtum zu äußern. Richtige Gedanken bewirkenGesundheit, falsche Gedanken bewirken Krankheit: „…das Physische wird gedeihen, wenn man an die richtigeVorstellung vom Geistigen anknüpft…“7.

Dem geübten Züchter muss ein Ideal vorschwe-ben, und dieses bildet das geistige Modell für seinewirkliche Zukunftsherde. Durch Training der Tiere inder Jugend wird erreicht Vollblütigkeit, Nervigkeit und

7 Steiner, Rudolf: Krankheitsformen und Krankheitsursachen,Vortrag, Berlin 10.-16.11.1908

Biodynamischer Landbau

Tierzucht

insbesondere die Ausbildung des Herzens als Quelle derLebensenergie. Herzfehler, die in der Jugend entstehen,können das ganze Leben nicht mehr geheilt werden. 8

Die Eigenschaften gerade der höheren Tiere zeigen invielen Fällen keinen vollkommenen klaren Mendelismus,

sondern unvollkommene Dominanz und unvollkom-mene Aufspaltung. Die Ursachen sind zu suchen in denh d b hl d h d b l

dass der Mensch zum Maß der Dinge wird, indem er sichbewusst durchchristet;

dass der Mensch das Maß in diesem Sinne an Pflanze undTier heranbringt, sich mit dem Sonnenwesen durchdringt,welches alles auf der Erde in drei großen Rhythmen ordnet

durch Lebenslauf, durch Jahreslauf, durch Tageslauf.

b h k f h hl b

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zunehmend beschleunigten, d.h. in der embryonalenEntwicklung vorverlegten Differenzierungsvorgänge derGewebs- und Organbildungen.

Mit den Hochleistungsrassen unserer Haustiere habenwir es heute zu tun mit einem Erbe aus der Vorstellungs-und Willenswelt unserer unmittelbaren Vorfahren.

Durch die Hinweise im Landwirtschaftlichen Kurs istes heute möglich, aus sich änderndem Bewusstsein kon-kret das Haustierwesen zu beeinflussen. Wir müssen esfreilich aus Einsicht wollen. Dazu wird es notwendig seinzu beachten,

dass Masttendenzen nicht Zuchtziele werden dürfen; son-dern Mast findet ihre Berechtigung an den Tieren, die vonder eigentlichen höheren Entwicklung naturgemäß ausge-

schieden werden;

dass Zuchtreife im Grunde verknüpft ist mit der Reife inder Zahnbildung; erst das vollkommen gehärtete Gebiss er-möglicht den notwendigen Homöopathisierungsprozess fürPotenzierung und Dynamisierung der tierischen Verdauung;der einzelne Zahn ist das Bild einer Knospe, das fer tige Ge-biss das Bild einer Blüte aus Marmor;

dass nicht der Boden die Pflanze hervorbringt, sonderndie Pflanzen den Boden

(Entstehung der anorganischen Stoffe, v. Herzeele 1876,Preuss 1899, Dr. Hauschka 1946)

8 Pettera, Güterinspektor, Mähren, 1911

Was berechtigterweise in Zukunft auch in Zahlen be-rechnet werden kann, muss jetzt erweitert und vertieftwerden, d.h. belebt werden durch ein „Bildhaft-Schauen-Lernen“. Denn eine „Art“ ist ihrem Wesen nach geistigerNatur, ist und bleibt naturgemäß äußerer, sinnlicher Be-obachtung verborgen, kann aber bildhaft immer klarererfasst werden.

Wir sind heute natürlich noch weit vom Ziel entfernt,die Kuh, unser hauptsächliches Milch- und Düngertieredel gezüchtet zu haben, ähnlich wie zum Beispiel dasPferd durch den Araber. Aber es ist notwendig ein Ziel zuhaben, denn Tierzucht, Erziehung, Zähmung des Tieresist dasselbe, nur auf einer niederen Stufe, wie es auf einerhöheren Stufe für den Menschen Erziehung, Selbsterzie-

hung, Selbstzucht ist. Und gerade die Kuh hat mit demMenschen gemeinsam, dass sich ihre Keimesentwick-lung neun Sonnenmonate oder zehn Mondenumläufeim Inneren der eigenen Körperwärme vollzieht.

Diesen Vortrag hat Dr. Selinger 1994 in Idriat gehal-ten.(Frau Selinger hat die Verwendung dieses Vortrages für

diesen Sammelband erlaubt.)

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Biodynamischer Landbau

Die Regionalwert AG

Alle diese Aktivitäten sind enorm wichtig für die Land-wirtschaft. Sie können aber kaum von einem Familienbe-trieb getragen werden.Als Hauptprobleme stellen sich die Kapitallast und Un-terschiedlichkeit der Bereiche dar.

Unterschiedlichkeit der Bereiche

Rechtsform überzuführen und eventuell mit anderen Hö-fen zusammenzuschließen. Keine der genannten Formenstimmte mit seinen Zielvorgaben vollends überein.

Diese Zielvorgaben waren:o Die Wertschöpfungskette sollte zur Gänze in der Re-

gion bleiben – Saatgut, Energie, Pädagogik, Handel, Ver-marktung, Verarbeitung – nach dem Motto: „Vom Ackerbis auf den Teller“

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Damit die einzelnen Fachbereiche gut geführt wer-den können, braucht es eine gewisse Professionalität.Man kann nicht verlangen, dass ein guter Käser auch einguter Pflanzenzüchter ist oder eine gute Gärtnerin eineperfekte Bäckerin. Diese Professionalität ruft nach einerguten Ausstattung des jeweiligen Bereiches. Durch diesegegenseitige Bedingung wird eine entsprechende finan-zielle Ausstattung nötig.

Das wirft die Frage nach der Bewältigung der Kapital-last auf.

Die oben angesprochenen vielseitigen Aufgaben derLandwirtschaft führen in die Gefahr der Verzettelung invielen Bereichen. Der Kernbereich leidet darunter. Umwiederum die einzelnen Bereiche ordentlich auszustat-

ten, braucht es Geld.Diese grundsätzlichen Überlegungen, die Erkenntnis,

dass ein Familienbetrieb dies nicht alles leisten kann,die Situation auf den Höfen und die Idee, den eigenenKindern die Wahl offen zu halten, führten bei ChristianHiß zum Nachdenken und zur Suche nach geeignetenRechtsformen.

Verschiedene Modelle wurden in Betracht gezogen:

• ein gemeinnütziger Verein,• eine Genossenschaft,• eine Stiftung,• eine gemeinnützige Aktiengesellschaft.

Christian Hiß untersuchte diese Formen, die esmöglich machen, einen Familienbetrieb in eine andere

bis auf den Teller“.o Die Möglichkeit sollte geboten werden, dass sich die

einzelnen Bereiche spezialisieren können.o Es sollte eine Form sein, welche es dem Unterneh-

men erlaubt, Betriebe in der Region zu kaufen und dannzu verpachten.

o Viele Bürger und Bürgerinnen in der Region solltenmit Hilfe dieser neuen Rechtsform in die Landwirtschafteingebunden werden; die Beziehung sollte nicht nurmehr über Markt und Verbrauch gegeben sein.

o Den einzelnen Hofstellen sollte damit die Möglich-keit geboten werden, zu einem Ganzen zusammenzu-wachsen. Motto: „Jeder weiß von jedem.“

o Die Verantwortung für die Landwirtschaft sollte ver-teilt werden. Auch die Bürger und Bürgerinnen der Regi-

on sollten diese mittragen.Frühere Versuche, Kooperationen zu bilden, zum Bei-

spiel über eine enge Zusammenarbeit mit den Verbrau-chern oder Verbraucherinnen, führten zwar oftmals zutiefen Freundschaften, sicherten aber nicht das Überle-ben des Hofes. Es wurde klar: Wenn die Zielvorgabenerreicht werden sollen, muss beim Kapital angesetztwerden.

Außerdem brauchen zielgerichtete Änderungsvorhabenreale Ansprechpartner, damit nicht zu viel beim from-men Wunsch: „Die Gesellschaft sollte…“ hängen bleibt.

Biodynamischer Landbau

Die Regionalwert AG

Und so endete die Suche nach einer Rechtsform 2005 inder Bildung derRegionalwert AG – Bürgeraktiengesellschaft.

Daten und Fakten:

• Grundkapital 1.400.000.-• 320 Aktionäre und Aktionärinnen(Mindestaktieneintrag: 500 )

festes Saatgut verwendet wird, über die Energiebilanz,den Verzicht auf Saisonarbeitskräfte zugunsten fixer An-stellung, über Fragen nach belegten Ausbildungsplätzenbis hin zur Bodenfruchtbarkeit. Die Indikatoren gebenAuskunft über die Ergebnisse in Bezug auf qualitative

Werte, die Nachhaltigkeit, die Ressourcenschonung undso fort. Das führt zu einer intensiven Auseinanderset-zung zwischen den Aktionären und Aktionärinnen und

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(Mindestaktieneintrag: 500.-)• Die AG sammelt Kapital, kauft neue Betriebean und verpachtet sie an qualifizierte Pächterund Pächterinnen. Die Pachtkriterien werdenzusammen mit den Aktionären und Aktionä-rinnen erstellt.• Christian Hiß führt die Geschäfte und bildet miteinem zweiten Vorstandsmitglied den Vorstand.Der Vorstand beruft die Hauptversammlung einund erstellt den Geschäftsbericht.• Der Aufsichtsrat wurde vom Vorstand bestellt.(Späterhin soll er gewählt werden.)• Es gibt Aktionärstage. Das sind Informations-tage, an denen Aktionäre und Aktionärinnen dieHöfe besichtigen und Fragen stellen können.

• Ankauf von Höfen muss vom Aufsichtsratgenehmigt werden.• Die Rendite wird durch zwei unterschiedlicheBerichte errechnet:

Einmal muss der betriebswirtschaftliche Bericht  aus-gearbeitet werden, in welchem alle Geldflüsse dokumen-tiert sind. Gibt es einen monetären Gewinn, so wird er in

diesem Bericht ausgewiesen. Aber die Rendite wird auch noch durch einen volkswirt-schaftlichen Bericht  bestimmt: Anhand von 64 Indka-toren wird die sozial-ökologische Wertschöpfung erho-ben, welche über ein erfolgreiches Arbeiten entscheiden.Diese 64 Indikatoren reichen von der Frage, ob samen-

zung zwischen den Aktionären und Aktionärinnen undden Bauern und Bäuerinnen. Christian Hiß meint, dassdie jetzige Finanzkrise dem ganzen Unternehmen sehrförderlich ist, weil dadurch attraktiv wird, in soziale undregionale Werte zu investieren.

Er bringt ein anschauliches Beispiel aus dem Alltag,welches zeigt, wie sehr noch um gegenseitiges Verständ-nis gerungen werden muss:

Es wurde beschlossen, dass ein Stall gebaut werdensoll. Nun musste aber unmittelbar neben dem Stallauch ein Wohnhaus gebaut werden, damit die Pächterund Pächterinnen dort leben können. Das warf viele Fra-gen für die Aktionäre und Aktionärinnen auf: Braucht esunbedingt eine Wohnstatt in unmittelbarer Umgebungzum Stall? Damit wurde eine ernste Problematik in der

Tierhaltung angesprochen – die Beziehung Tier Menschin der biodynamischen Landwirtschaft. Nach guter Dis-kussion wurde das Haus bewilligt. Aber es kamen Fra-gen nach den Standards auf. Wie muss ein Haus für eineBauernfamilie ausgestattet sein? Welchen Luxus brauchteine Bauernfamilie? Könnte man da nicht einiges einspa-ren? Und plötzlich sind alle Beteiligten mit sozialen Fra-gen konfrontiert.

Auch bei der Festlegung der Pacht muss um gegen-seitiges Verständnis gerungen werden. Wie hoch soll diePacht sein? Soll sie der ortsüblichen Pacht angepasstwerden oder soll sie nach anderen Kriterien festgelegtwerden? Die Pachthöhe ist letztendlich mitbestim-mend, ob es eine Rendite gibt. Eine Aktiengesellschaft

Biodynamischer Landbau

Die Regionalwert AG

ist kein ruhiger Hafen. Die Verständnisarbeit zwischenAktionären und Aktionärinnen und Pächtern und Pächte-rinnen ist hier unerlässlich. Es wird dann funktionieren,wenn das Ziel, sinnvolle Landwirtschaft in der Region zubetreiben, immer im Blickpunkt bleibt und wenn die Indi-

katoren zeigen, dass Landwirtschaft neben den rein mo-netären Werten noch andere Werte hervorbringen kann.In diesem Zusammenhang tauchen dann tief greifende

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In diesem Zusammenhang tauchen dann tief greifendeFragen auf. Was macht die Landwirtschaft wirklich? SindBodenfruchtbarkeit und Tierfruchtbarkeit die wirklichenZiele? Samenfestigkeit beim Saatgut?

Plötzlich werden diese Fragen nun auch von Men-schen diskutiert, die mit der Landwirtschaft nichts zutun hatten.

Was eine Sozialgemeinschaft entscheidet, hat durchdie Auseinandersetzung mehr Substanz, wird eherdurchgetragen. Auch der Weltagrarbericht aus 2006, anwelchem 400 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnengearbeitet haben, spricht für solche Modelle.

Es ist hilfreich, sich ins Bewusstsein zu rufen, dass derAnteil jener Menschen, die in der Landwirtschaft arbei-ten, rapid geschrumpft ist und wohl auch deswegen poli-

tisch nicht mehr wirklich relevant ist.In Deutschland waren 1800 noch 75% der Bevölke-

rung in der Landwirtschaft tätig, 1900 waren es 45% und2009 sind es 2,5%.

Relevant aber ist die Ernährungssicherheit. In diesemZusammenhang wird schon von einer Landwirtschaftgesprochen, welche über Satelliten gesteuert wird, da-mit sichergestellt werden kann, dass jeder Quadratmeter

landwirtschaftlicher Fläche effektiv genutzt wird.Regionale Zusammenschlüsse erscheinen hier als wirk-lichkeitsnahe und sinnvolle Alternativen am Horizont.

Christian Hiß, Gärtnermeister, Demeterbauer,Vorstand der Regionalwert AGChristian Hiß hat diesen Vortrag am 22.März 2009 amWegwartehof in Merkenbrechts gehalten.

Biodynamischer Landbau

Biodynamischer Landbau als Antwort auf dieKultur- und Ökologiekrise in der Landwirtschaft

Waltraud Neuper 

1996 gab Günter Rohrmoser, Sozialphilosoph ander Universität Stuttgart-Hohenheim, ein Buch herausmit dem Titel: Landwirtschaft in der Ökologie- und

jene Flächen meinen, welche mit Kulturpflanzen bebautwerden.

Für unseren Belang meinen wir die Gesamtheit derhandwerklichen, technischen und sozialen Tätigkeiten,welche sich auf den Höfen zeigt zusammen mit ihren

Auswirkungen auf die Natur, auf die betroffenen Men-schen und in weiterer Folge auf jene Menschen, welchedie Produkte aus der Landwirtschaft als Nahrungsmittel

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mit dem Titel: „Landwirtschaft in der Ökologie undKulturkrise“1. Da Landwirtschaft und Philosophie un-trennbar mit meinem Leben verbunden sind, hat dieseVerknüpfung sofort viele Fragen ausgelöst:

- Was ist überhaupt eine Krise? 

- Wie kommt jemand zu einersolchen Aussage?

- Befindet sich die Landwirtschaft wirklichin einer Krise?

- Wer oder was ist zu verstehen unter 

„die Landwirtschaft“ und- was haben wir zu verstehen unter einerKulturkrise oder Ökologiekrise in Bezugauf die Landwirtschaft?

Der bewährte Blick in den Duden hilft bei der Klärung:Der Begriff Krise kann den Höhepunkt einer gefährlichenEntwicklung andeuten, oder Ausdruck sein für eine Ent-scheidungssituation beziehungsweise eine gefährlicheSituation.2 

Die „Landwirtschaft“ an sich gibt es nicht. Wir müs-sen uns entscheiden, ob wir mit Landwirtschaft jenes

Arbeitsfeld meinen, auf welchem Menschen die Naturzur Produktion bestimmter Güter bearbeiten oder ob wir

1 Rohrmoser, Günter: „Landwirtschaft in der Ökologie- undKulturkrise“, Gesellschaft f ür Kulturwissenschaft e.V.,Bietigheim/Baden, 1996.2 Hrsg: Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion, „Duden“,Bd.5.Dudenverlag, Mannheim/Wien/Zürich, 1974.

d e odu te aus de a dw tsc a t a s Na u gs ttekonsumieren.

Was lässt die unermüdlichen Mahner nun an eine Kri-se denken? Ist gemeint, dass

- der bäuerliche Bevölkerungsanteilrapid schrumpft (in Ö 3,2%)

- immer weniger Menschen ihreZukunft in der Landwirtschaft sehen?

- man so wenig in der Landwirtschaft verdient?- die Arbeit in der Landwirtschaft gesell-  schaftlich keine hohe Wertschätzung findet?- damit einhergehend der soziale Status derbäuerlichen Gesellschaftsschichtniedrig und daher nicht erstrebenswert ist?

- Werttragende Sozial- undLebensformen verfallen?

- die Lebensmittelqualität zu wünschenübrig lässt?

- die Fruchtbarkeit im Boden, bei denTieren und in den Pflanzen zurückgeht?

- der Klimawandel bedrohlicheKonsequenzen in Aussicht stellt?

- viel zu viele Menschen nichtgenug zu essen haben?- das Lebendige an sich durch einseitige tech-  nische Entwicklungen bedroht ist?- es auf dem Saatgutsektor zurMonopolisierung kommen könnte?

Biodynamischer Landbau

- der Einsatz von gentechnischverändertem Saatgut, verbundenmit Vergaben von Patentrechtenauf lebendige Organismen wie ein Damokles-

  schwert über der Landwirtschaft hängt?

- bürokratische Reglementierungen Bauernbewegen könnten, die Landwirtschaftaufzugeben?

auf jeden Fall bergab geht oder verschleiert ausgedrückt,dass sie sich im Transformationsstadium befindet. Sienehmen den Qualitätsverlust ernst, unterhalten sichüber den Klimawandel, schauen nachdenklich auf diePatentierung von Leben oder die Monopolisierung des

Saatgutes. Aber im Großen und Ganzen meinen diesePessimisten, dass dies eben die Entwicklung sei, gegendie man nichts unternehmen kann.

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g- die Industrialisierung in der Landwirtschaftder Tendenz zu großflächigen Einheitenzum Durchbruch verhilft?

- Anbau in unseren Lagen unrentabel wird,da in klimatischen und geologischen

  Gunstlagen und in Ländern mit wenigerentwickelten Sozialstrukturenökonomisch vorteilhafter produziert

 werden kann?- die Nahrungsmittelbranche zunehmen  zum Objekt für Spekulationen auf   dem undurchsichtigen Finanzmarkt wird?- von dort ausgehend mit den Preisen  jongliert wird?

- die ansteigende Produktion von Biospritfür Spekulationen auf dem Getreidesektorinteressant wird?

Manche dieser Fragen und Vermutungen könnten wirin die apokalyptischen Prophezeiungen vom Untergangder Landwirtschaft einreihen. Rohrmoser führt FriedrichEngels und Friedrich Nietzsche an, welche die Margina-lisierung und Atomisierung der Landwirtschaft schon im

19. Jahrhundert vorausgesagt haben.3

 

Die meisten der oben angeführten Vermutungen stär-ken die Pessimisten, wonach es mit der Landwirtschaft

3 Vgl. Rohrmoser. Kapitel: „Ethische Verantwortung im Umgangmit der Natur“

Von diesen Aussichten doch leicht beunruhigt schla-gen manche dann die Seiten im Internet auf, welche In-formationen über die Landwirtschaft in der EU bereithal-ten und lesen über die Lage der Bauern nach. Da ändertsich das Bild relativ schnell. Von „gut versorgten“ Bauernist da die Rede, dass Klimaschutz und Ressourcenma-nagement in den besten Händen sind, dass Gentechnikden Hunger in der Welt eindämmen und dass die Land-wirtschaft politisch thematisiert wird und deshalb nichtszu fürchten habe. Gut abgesicherte Verträge regeln dieAktionen und Transaktionen in der Landwirtschaft.

Ob die Landwirtschaft sich in der Krise befindet istdemnach eine Frage des Standortes oder danach, ob manein Apokalyptiker, ein Pessimist oder ein gut informierter

Bürger ist.Es ist klar: Auf diese Weise kommen wir zu keinem Ur-

teil. Aber welches Kriterium könnten wir finden, damiteine sinnvolle Anschauung der Situation möglich wird?

Ich werde versuchen, solche Beurteilungskriterien anden zwei großen, weit in die Zukunft weisenden geisti-gen Impulsen, welche Rudolf Steiner 1924 gegeben hat,zu entwickeln.

1. Impuls:Rudolf Steiner führte die Teile der Landwirtschaft überin ein Ganzes

Um die wahre Dimension dieses Bewusstseinsschrit-tes verständlich machen zu können, muss ich ein wenig

Biodynamischer Landbau

ausholen.Rudolf Steiner hat seinen Kurs genannt: „Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum Gedeihender Landwirtschaft“ 

und Johannes Toegel hat es in der Ringvorlesung un-ternommen, über die drei Ebenen der Wirklichkeit einen

Ernährung der Kinder durch die Frauen.6 

Ohne die Entwicklung des  Sorge tragens  füreinanderinnerhalb der Gruppen, hätte die Menschheit nicht über-leben können.

Zu gleicher Zeit treten jene Rituale und Opferhandlun-gen auf, welche über die Natur hinaus weisen. Wir findendiese Ansätze in allen Religionen wieder, als Fähigkeiten

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Weg dorthin aufzuzeigen. Ich knüpfe an seine Ausfüh-rungen an, mit dem Hinweis auf unseren Begriff vonKultur.

Dieser leitet sich her vom lateinischen Begriff colere,colui, cultum, und beschreibt Kulturschaffende mensch-liche Fähigkeiten: Bauen, Pflegen, Wahren, Ausbilden,Sorge tragen, Veredeln, Achten und Ehren. Diese Fähig-keiten haben mit der Landwirtschaft in zweifacher Weisezu tun:

Sie sind vom Menschen in seiner Auseinander-setzung mit der Natur und mit demGeistigen entwickelt worden.Im Grunde sind sie alle Ausprägungen einessozialen Handelns. Jegliches verantwortungs-

volle Handeln in der Landwirtschaft ruht inder einen oder anderen Form auf diesenFähigkeiten auf.

Seit der Mensch – in der Sprache der Genesis4 - durchseine Verführbarkeit das Paradies verlassen musste, ver-lor er auch die bis dahin aufrechte Einheit mit der Natur. 5

Durch mühsames Sammeln und Jagen musste er sein

Überleben sichern. Es ist soziologisch noch nicht aus-gehandelt, ob das Teilen der Beute mit der Gruppe dererste Schritt zum  Verpflegen war, oder die Pflege und

4 Genesis 3,235 Heute klingt diese Einheit noch an in einer dunklen Sehnsucht,wenn Menschen vom Leben im „Einklang mit der Natur“schwärmen; deshalb ist dieser Begriff auch so werbewirksam.

nennen wir sie Achten und Ehren. Mit der Sesshaftwerdung – der großen landwirtschaft-

lichen Revolution – beginnt der Mensch – wieder imWorte der christlichen Bibel – sich die Erde untertan zumachen. Auf der ökonomischen Ebene beginnt der Han-del, Märkte werden geschaffen, Herrschaftsstrukturenentstehen. Diese Phase ist wohl als Verdichtungsgesche-hen zu bezeichnen. Auf der materiellen Ebene erlerntder Mensch die Fähigkeit des Bauens  und Bebauens;und des Veredelns. Es gelingt, aus Wildgräsern Getrei-de zu züchten. Bestimmte wilde Tiere werden ins Hausgenommen.

In seinem geistigen Ausdruck war der Mensch hiernoch ganz bestimmt von der Empfindungsseele. Er han-

delte vornehmlich aus der Empfindung. Am Übergangzu der Zeit, die wir historisch schon einigermaßen gutüberblicken – also die goetheschen 3000 Jahre – locker-te sich das enge Verhältnis Mensch-Natur weiter.

Die Natur wird zwar noch mythisch interpretiert undals organisch empfunden; aber dieses Verständnis be-ginnt sich allmählich zu verändern. Die Grundherrschaftkommt auf. Darauf kann gar nicht genug Augenmerk

gelegt werden: Grund und Boden werden langsam insEigentum genommen – unter die Herrschaft eines Ein-zelnen oder Institution genommen.

Die Fähigkeit des Wahrens und Bewahrens entwickelt

6 Sorgo Gabriele: „Abendmahl in Teufels Küche“, Styria Verlag,2006.

Biodynamischer Landbau

sich über die Ebene des ursprünglichen Aufbewahrenshinaus.

Mit dem Übergang zur Neuzeit fängt der Mensch zu-nehmend an aus der Verstandesseele zu handeln. DasNaturverständnis verändert sich dahingehend,

dass der Mensch sich emanzipiert von der Vor-stellung, dass die Natur die Schöpfung Gottes sei.Das mechanistische Weltbild von Descartes (1596-

Ä

Dieser Vorgang wird auch in der Landwirtschaft sichtbar.Die Hofeinheiten werden aufgeteilt in Wirtschaftszweige,die Vielfalt fällt einer mechanischen Rationalisierung zumOpfer, das Hofganze zerfällt also in wirtschaftsrelevanteSegmente.

Der Boden wird zum Standort der Pflanzen, Tierhal-tung wird zur Tierproduktion und Fruchtbarkeit zur Re-produktionsmöglichkeit. Diese Struktur der Landwirt-

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1650) und Bacon (1561-1626) leitet die Ära des wissen-schaftlichen Strebens nach Beherrschung der Natur ein.Der Bereich des Ökonomischen gewinnt durch die stetigwachsende Bedeutung des Geldes an Aufmerksamkeitund Macht. In der Landwirtschaft kommt es zur Kapi-talisierung und Intensivierung. Mit der industriellen Re-

volution wird der letzte Schritt der Objektivierung vonNatur vollzogen:

Natur wird nun aufgefasst als zusammengesetzt ausTeilen, als Materie. In dieser Materie sind die einzelnenTeile durch kausale Funktionen miteinander verbunden.Die Vorstellung von der Natur als ein lebendiges Ganzesverblasst.

Wenn man diesen Gedanken weiterspinnt, kann man

sagen: Im Verständnis des naturwissenschaftlichen Men-schen ist zu dieser Zeit die Natur zu einer stofflichenRessource geworden. In der Forschung wird sie in immerkleinere Teile zerlegt. Über die Landwirtschaft werden dieGesetze der Industrie gestülpt, die Vorgänge werden au-tomatisiert, Technisierung und Intensivierung führen zurAtomisierung; Monokulturen entstehen. Arbeit wird zurWare. Grund und Boden wird zu Spekulationsgut. Die In-

dustrielle Revolution und der erstarkende Kapitalismusvollenden gewissermaßen diesen Prozess des Ausein-anderdriftens von Natur und Kultur. „Für Wissenschaftund Technik ist die Natur eine wertneutrale, vergegen-ständlichte Faktenwelt geworden“7, sagte Hans Jonas.

7 Jonas, Hans: „Das Prinzip Verantwortung“, Frankfurt, 1979

schaft hat sich seit damals nicht mehr verändert; nurder Technisierungs- und Automatisierungsgrad hat zu-genommen. Und die Dimensionen verlieren sich im reinmaterialistischen Wertmassstäben.

Das große Verdienst Rudolf Steiners

Rudolf Steiner hat in dieses Chaos der in ihre Teilezerbrechenden Landwirtschaft, in dieses atomistischeDurch- und Nebeneinander einen geistigen Ordnungs-impuls gesetzt. Es ist seiner geisteswissenschaftlichenForschung zu danken, dass es ihm gelungen ist, dieTeile in einem funktionalen Kreislauf zusammen zu den-ken und damit Kosmos, Erde, Boden, Pflanze, Tier und

Mensch bewusst zu verbinden.Steiner gibt der Natur über seine goetheanistische Na-

turbetrachtung, jenes Leben zurück, welches die Aufklä-rung ihr abgesprochen hat.

Damit setzt er einen Impuls, der die Voraussetzungschafft, die Landwirtschaft als organisches Ganzes er-fassen zu können.

In dieser Weise legte er den Grundstein für die biody-

namische Landwirtschaft.

2. Impuls:Er hat mit großer geistiger Wahrnehmungsfähigkeit

auf die zerstörerische Kraft einer rein materialistischenWeltauffassung hingewiesen.

Biodynamischer Landbau

„Und so kann sich heute auch schon der materiali-stische Landwirt, wenn er überhaupt nicht ganz dumpfdahinlebt, sondern etwas nachdenkt über die Dinge, diesich ja täglich oder wenigstens jährlich ergeben, unge-

fähr ausrechnen, in wie viel Jahrzehnten die Produkte sodegeneriert sein werden, dass sie noch im Laufe diesesJahrhunderts nicht mehr zur Nahrung der Menschen die-

k

Bis hinein ins zwanzigste Jahrhundert lebten dieMenschen eingebunden in größere Zusammenhänge.

Gemeinschaften, welche von einer

höheren Instanz geleitet wurden.Das bedeutet, dass die Regeln, nach denendie Menschen handelten, von einer

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nen können.Also es handelt sich dabei durchaus um eine

Frage, die im allereminentesten Sinne, ich möchte sagen,kosmisch- irdische Frage ist. Gerade bei der Landwirt-schaft zeigt es sich, dass aus dem Geiste heraus, Kräftegeholt werden müssen, die heute ganz unbekannt sind,

und die nicht nur die Bedeutung haben, dass etwa dieLandwirtschaft ein bisschen verbessert wird, sondern dieBedeutung haben, dass überhaupt das Leben der Men-schen – der Mensch muss ja von dem leben, was dieErde trägt – , eben weitergehen könne auf Erden, auchim physischen Sinne.“8 

Steiner sieht die fatalen Konsequenzen eines reinmaterialistischen Handelns schon voraus. Er weist auf

die Notwendigkeit hin, ein Bewusstsein zu entwickeln,sowohl von den Zusammenhängen zwischen Menschund Natur, als auch zwischen Individuum und Gemein-schaft.

8 Steiner, Rudolf: „Landwirtschaftlicher Kurs“, S 12

übergeordneten Instanz vorgegebenwurden. Solche Instanzen finden wir beiallen Völkern und in allen Kulturen:die Mysterien, die Klöster, die Pharaonen-priester und so fort.

Das Ideal der Freiheit des Individuums

Durch die Individualisierung tritt dereinzelne Mensch heraus aus diesenGemeinschaften und Traditionen undbeginnt sein Handeln zunehmendselbst zu bestimmen.Das bedeutet, dass er sich ein Bewusst-

sein von seinem Tun erringen muss.Er ist aufgefordert, seine eigenenethischen Maßstäbe zu finden.

Mit diesem Schritt in die eigene Freiheit kann er aberauch die Verantwortung für sein Handeln nicht mehr de-legieren. Jeder muss sein Handeln selbst prüfen, musssich darüber Rechenschaft ablegen, ob es dem sozialen

Miteinander auf diesem Planeten zuträglich ist. Darinsind alle Fragen nach Nachhaltigkeit, Umgang mit Res-sourcen, Verbindlichkeit im sozialen Miteinander, Solida-rität im Ökonomischen eingeschlossen.

Wir können einen Weg heraus aus der Krise nur fin-den, wenn wir bedenken, dass alle Kultur bestimmt ist

Biodynamischer Landbau

durch unser Verhältnis zur Natur. Es geht darum einneues Denken, ein neues Bewusstsein zu finden überdieses Verhältnis.

Verbunden mit den Anregungen und den Hinweisenim Landwirtschaftlichen Kurs können die angesproche-

nen Kulturfähigkeiten helfen eine neue landwirtschaft-liche Kultur zu schaffen.

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Bebauen

In der Entscheidung, wie der Boden gepflügt oderauch nicht gepflügt wird, drückt sich das Verständnisdes Bauern für den Boden aus. Es wird sichtbar, ob er

imstande ist, diesen Boden als lebendigen Organismusaufzufassen. Die Frage nach einem bodengerechten Be-bauen führt über das Umschichten der Erde hinaus direkt

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Verpflegen

Verpflegen ist wohl die tiefste Dimension der biodyna-mischen Landwirtschaft.

Hier geht es ganz essentiell um die Einstellung zumanderen Menschen. Die große Frage lautet: Welche Le-

bensmittel bringe ich aus meiner Landwirtschaft hervor?Denke ich die Lebensmittel nur stofflich, beurteile ichsie ausschließlich nach Ergebnissen verschiedener Ana-lysen? Oder ist es mir ein Anliegen, Lebensmittel hervor-zubringen, welche den Menschen auch Nahrung sind fürSeele und Geist?

Insofern ein Bauer/ eine Bäurin menschengerechteLebensmittel herstellen will, muss er/sie sich mit „dem

Menschen“ beschäftigen. Das bringt ihn/sie zum Nach-denken über die Dreigliederung des menschlichen Or-ganismus, über die Zusammenhänge von Krankheitund Gesundheit, über das Seelische und das Geistige,das Ätherische und das Ich-Bewusstsein hin zu den Tä-tigkeiten des Denkens, des Fühlens und des Wollens.

Dieses Nachdenken verbunden mit dem Wunschlebenfördernde Nahrungsmittel herzustellen, führt zu

einem behutsameren Umgang mit dem Lebendigen, mitder Natur. Ihre Wachstumsprozesse, ihre Rhythmen undZyklen bis hin zur Reife rücken stärker ins Bewusstsein.

zur Kompostbereitung unter Hinzunahme der Kompost-präparate, zur Anwendung der Präparate Hornmist undHornkiesel, zur Fruchtfolge und zu heilenden Maßnah-men mit speziellen Heilkräuter-Tee-Anwendungen. Auchdie Konstellationsforschung wird ins Bewusstsein herein-genommen. Ein fragender, beobachtender Umgang mit

dem Boden zwingt den Bauern/ die Bäurin zu überlegen,wie schwer die Maschinen sein dürfen, mit welchen er/sie das Feld bearbeitet, bei welchem Feuchtigkeitsgrader/sie ins Feld hinein fährt. Er/sie beginnt eine Empfin-dung dafür auszubilden und langsam entwickelt er/sie insich eine Bodenkultur.

Bewahren

Das Rätsel des Lebens und seiner Entstehung liegttrotz großer wissenschaftlicher Anstrengungen noch im-mer im Dunkeln. Wir können nur die Bedingungen schaf-fen, dass dieses Leben weiterleben kann. Dass auf denFeldern Pflanzen wachsen, Tiere sich vermehren.

Wir wissen aus vielen Berichten, wie ganze Landstri-che unfruchtbar gemacht werden (Abholzungen in den

Regenwäldern und anschließender Raubbau, Verwü-stung, Erosionsschäden,…) und dass die Unfruchtbarkeitbei den Tieren zunimmt.

Das Bewahren der Möglichkeit des Lebendigen wirddamit zur großen Aufgabe. Die Menschen in der biody-namischen Landwirtschaft sind herausgefordert, jene

Biodynamischer Landbau

Zusammenhänge in den Naturreichen zu erfassen, dieLeben ermöglichen. Bei den Pflanzen ist es die umfas-sende Frage der Züchtung, die Erhaltung und Pflege vonsamenfesten Sorten. Es bedarf der bewussten Hinwen-dung, der aufwändigen Auseinandersetzung und desVerzichts auf ein einseitiges, quantifizierendes Denkenund Wollen. In diesem Fall schafft gerade dieser VerzichtKultur. Die Opferung einer reinen Leistungsorientierungist auch im Stall zu bringen Die entsprechende Fütte

in die Lebensmittel hinein zu bergen und zu bewahren,zeichnet die Bemühungen in der biodynamischen Land-wirtschaft aus. Die Einsicht, dass EDEL MACHEN nichtauf Kosten des Lebendigen betrieben werden darf, isthier schon weit entwickelt.

Veredeln bedeutet tendenziell das Verbessern bereitsvorhandener Qualitäten. Damit ist auch die Zuchtarbeitangesprochen. Diesmal nicht im Sinne der Erhaltungder Lebensmöglichkeiten sondern in der bewussten

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ist auch im Stall zu bringen. Die entsprechende Fütte-rung, die ernsteste Zuchtauswahl muss hier das Tun lei-ten. So auch die geistige Beschäftigung mit den Themendes Organismus und der Lebensprozesse. Die Übung,den Blick immer wieder aufs Ganze zu richten, wird zurtäglichen Notwendigkeit.

Veredeln

Diese Fähigkeit ist in besonderer Weise mit der Bio-dynamik verbunden. Das Bestreben, das Lebendige bis

der Lebensmöglichkeiten, sondern in der bewusstenAuswahl bestimmter Zuchtmerkmale. In diesem Zusam-menhang ist die geistige Beschäftigung mit den Vorstel-lungen über Zucht von größter Bedeutung, damit dieAuswahl nicht zur Manipulation wird.

In der Beschäftigung mit der Zucht sind höchste ethi-

sche Wertmaßstäbe zu suchen. Die Frage nach demMaßhalten – bei den Griechen eine der vier Kardinaltu-genden – spielt dabei eine große Rolle.

Veredeln enthält als Wortstamm „edel“ und diesverweist uns auf die ästhetische Dimension alles Seien-den. Darum darf bei der Zucht die ästhetische Dimensi-on, sowohl der Form als auch der Farbe und Größenver-

hältnisse nach, niemals außer Acht gelassen werden. ImBedenken und geistigen Bewegen dieser Einzelfaktorenund gesamtbildlichen Elemente bei Zuchtüberlegun-gen schulen wir als Menschen auch unsere eigene äs-thetische Urteilskraft. Wir lernen dabei, unsere intuitiveWahrnehmung zu erfassen.

Die Welt des Seienden ist nicht nur zu beurteilen nachMasse und Gewicht, sondern auch nach Schönheit und

Proportion.

 Achten

Von Kultur können wir nur sprechen, wenn mensch-liches Tun Ausdruck einer physischen, seelischen und

Biodynamischer Landbau

achtenden und betrachtenden Beziehungsgeschehen imSeelischen des Menschen zu einem integralen Bestand-teil seiner Persönlichkeit. Es beinhaltet die Möglichkeitsich auf alles Lebendige auszuweiten. Das schafft auchein Bewusstsein von der Ganzheit der Schöpfung.

Mit dieser Kulturfähigkeit verbunden ist die spirituelleAusformung dieses Geschehens – das Ehren. Es zeigtvon tiefem Verständnis, wenn ein Mensch für das je Vor-gefundene ein Gefühl der Dankbarkeit und des Ehrens

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geistigen Tätigkeit wird. Damit ist gemeint, dass wir

als Menschen das rein instinktive Handeln übersteigenmüssen, indem wir unsere seelischen und geistigen Di-mensionen aufrufen.

Vom Wortstamm her finden wir den Begriff achtennoch in anderen Wörtern beachten, betrachten und be-obachten. Diese haben alle mit dem Schauen, dem Hin-schauen, dem inneren und äußeren Anschauen zu tun.

Es ist im Vortrag von Wilhelm Erian sehr schönbeschrieben, wie im beobachtenden, betrachtenden

und beachtenden Hinschauen auf ein lebendiges WesenBeziehung entsteht. Durch ein rein materielles Taxierenbleibt dieser Zugang verwehrt. Denn nur in dem Augen-blick, wo ich das Lebendige in diesem anderen Wesenerfasse, erkenne ich es als ein Mitgeschöpf und wird eseine Sehnsucht in mir auslösen, es näher kennen zu ler-nen. In diesem Kennenlernen zeigen sich die wesensge-mäßen Merkmale wie von selbst, durch die Hinwendung

sehe ich als Mensch, was dieses andere Wesen – sei esTier oder Pflanze oder Boden – braucht. Dies lässt inder Seele des Menschen eine Fähigkeit wachsen, welchewir mit Achten bezeichnen. Dieses Achten ist aber keinSoll-Gebot, wie wir es in den Religionen als Verhaltens-anleitung finden. Dieses Achten entwickelt sich im be-

gefundene ein Gefühl der Dankbarkeit und des Ehrensentwickeln kann.

Rudolf Steiner zeigt in seinem Buch „Wie erlangt manErkenntnisse der höheren Welten“ den Schulungswegauf, welcher zu dieser Kulturfähigkeit führen kann.9

Mit diesen Ausführungen möchte ich einen Wegaufzeigen, wie wir als bewusst handelndeIndividuen durch die Verwirklichung unserer Kultur-fähigkeiten und der Beachtung der Hinweisezur biodynamischen Landwirtschaft eine neueKultur auf den Höfen entwickeln können.

Diesen Vortrag hielt Waltraud Neuper am 23.1.2009 im

Rahmen der Ringvorlesung an der Universität für Boden-kultur in Wien.

 

9 Steiner, Rudolf: „Wie erlangt man Erkenntnisse derhöheren Welten?“, Rudolf Steiner Verlag, Dornach, 1982

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Biodynamischer Landbau

Epochale Paradies Vertreibung Seßhaftwerdung Mittelalter Neuzeit Industrielle Revolution

Enttwicklung Mensch ist Mensch bleiebt Mensch beginnt sich Verständnis von Natur Zunehmende Emanzi- Natur wird rein stoff lich

ineins mit der verbunden mit der die Erde unter tan zu teilweise noch my- pation des Menschen begr iffen; Natur ist nicht

Natur und dem Natur - stellt sich machen. thisch, aber schon von der Natur als mehr beseelt;

Entwicklung von Naturverständnis, Kulturfähigkeiten und Aspekte von Wirtschaftlichkeit - (Tafelbild übertragen)

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, ;

Göttlichen, ihr aber objektiv Ganzheitliches, Übergang zur Auffas- Schöpfung. Entwick- Natur wird nicht mehr als

Geistigen. gegenüber. mystisches Natur- sung der Natur als lung des mechanisti- lebendiges Ganzes ver-

(Gen3,23) verständnis ein Organismus schen Weltbildes. standen; Natur wird ge-

Beherrschung der Na- dacht als Materie und 

tur als Ziel der Natur- Teilchen.

wissenschaften.

 Aspekte der Überleben sichern, Tauschhandel, Landwirtrschaft wird Technische Beherr- Gesetze der Industriali-

Entwicklung Stillen der biologi- Märkte, zunehmend Medium schung der Natur sierung werden auf die

der Wirtschaft schen Bedürfnisse. Herrschaftsstrukturen der Politik. wird Thema. Landwirtschaft übertragen:

Hierarchien Grundherrschaft; Landwirtschaftl. Technisierung  

Entwicklung Entwicklung Landwirtrschaftliche Produkte werden in Intensivierung  

der der Kulturfähig- Produkte werden Geld verwandelt. Automatisierung folgen.

Kultur- keiten aus dem Verpflegen der Handelsgut. Akkumulation. Künstliche Verknappung  

fähigkeiten Sozialen Gruppe, der Bauen, Bebauen Beginn der Kapitali- zur Preis- und Marktge-

Gemeinschaft Veredeln Bewahren sierung der Land- staltung. Die Landwirt-

Sorge Tragen Ausbilden wirtschaft, Intensi- schaft wird zur großen

vierung durch Technik Industrieanlage.

und Düngung. Arbeit wird zur Ware.

Entwicklung der 

Seelenanteile

Noch ganz 

unbewusst  E N T W I C K L U N G D E S D E N K E N S A U S D E M T U N

 Achten und Ehren des Göttlichen in Ritualen

E M P F I N D U N G S S E E L E 

V E R S T A N D E S S E E L E 

Biodynamischer Landbau

Autorenliste

 Autorenliste:

Florian Amlinger  ist Diplom-Agraringenieur,Gründungs- und VorstandsmitgliedEuropäisches Kompost Netzwerk (ECN/ORBITe.V.) Vorsitzender des Fachnormenkomitees:

„Biologische Abfallbehandlung und -verwertung“des Österreichischen Normungs-instituts.

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Botanik. 1977: zehn Jahre Lehrer für Biologie und Chemiean der Freien Waldorfschule am Bodensee, Überlingen-Rengoldshausen.1987: Gründung „Verein zur Förderungder Saatgutforschung im biologisch-dynamischenLandbau e.V.“ und des Keyserlingk-Institut (1988).Seitdem in Zusammenarbeit mit biologisch-

dynamischen Bauern am Bodensee: Saatgutforschungund Getreidezüchtung (Weizen und Roggen)durch Auslese aus Hofsorten. Ab Herbst 2003:Anbau der neu selektierten Regionalsorten in

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Markus Buchmann, Dr. lebt in Winterthurund arbeitet seit 14 Jahren als freier Mitarbeiterin der Getreide-züchtung Peter Kunz, einemZüchtungsunternehmen, das Weizen- undDinkelsorten für biologischen und biologisch-

dynamischen Anbau züchtet. Außerdem amtierter als Vorstand im Verein für Bildekräfte-forschung. Er bearbeitet Forschungsprojekte imBereich Lebensmittelqualität unter der speziellenFragestellung: Was ist die besondere Qualitätan Produkten aus biodynamischem Anbau?

Wilhelm Erian Ing., ist Demeterbauer in Kraindorf

in Kärnten.

Reinhild Frech-Emmelmann ist Geschäftsführerinund Pf lanzenzüchterin bei Fa. ReinSaat KG.

Oskar Grollegger: Seit 1977 Erhaltung von Getreide-Landsorten, Beobachtung von Phaseolus Populati-onen.

Bertold Heyden Dr.: Studium der Biochemie.Promotion: Grundlagenforschung in der Molekular-biologie, Max-Planck-Institut für Virus-forschung,Tübingen. 1974: drei Jahre Mitarbeit am C.G. CarusInstitut, Niefern-Öschelbronn (Krebstherapie; Heilmittelaus der Mistel), Arbeitsgebiet: Goetheanistische

Anbau der neu selektierten Regionalsorten inKooperation mit vier Bäckereien am Bodensee.Laufende Forschungsprojekte: (1)Bedeutung der Grannenbildung und (2) Züchtungund erste Anbauversuche mit einem Wildgetreide(Dasypyrum villosum).

Christian Hiß aus Freiburg im Breisgau istGärtnermeister, Gründer und Vorstandsmitglied derRegionalwert –AG.

Rudolf Keiblinger-Bartsch, Mag. leitet alsGeschäftsführer die sozialtherapeutische Einrichtung„Lebensgemeinschaft Wurzerhof“.

Ursula Kothny: Geboren 1953 in Nürnberg; Besuchder dortigen Waldorfschule; Studium der Soziologie.Seit 1978 biodynamische Bäuerin in der Oststeiermark;Ausbildungen in Organisationsentwicklung, Biografie-arbeit, Gerontologie.Als Bäuerin setzt sie sich vor allem mit Fragen der fossilenEnergienutzung auseinander. Wie wirkt der täglichestundenlange Umgang mit Verbrennungsmotoren aufdie Persönlichkeit und die individuelle Entwicklung?Welche sozialen, ökonomischen und organisatorischenBedingungen sind notwendig, damit landwirtschaftlicheBetriebe zu Oasen für geistige Entwicklung werdenkönnen und somit Lebens- und Arbeitsstätten fürspirituelle Entfaltung?

Biodynamischer Landbau

Autorenliste

Hannes Neuper: Von 1983 bis 2006 Demeterlandwirtin der Steiermark.Vorstand der Demeter Produkte GmbH.

Waltraud Neuper, Mag. war Lehrerin,Demeterbäuerin, arbeitet mit am Aufbau einer

Weiterbildung für biodynamische Lebensfelder.

Leopold Selinger,  Dr. war Tierarzt in Kärntenund zählt zu jenem Menschenkreis, welcher den

Meditationslehrer, Begründer und Leiter des WisdomScience Project.

 Johannes Zwiauer,  Dr. Jahrgang 1922, war fastfünf Jahrzehnte Produktionsleiter und zuletzt phar-mazeutischer Geschäftsführer der Firma WELEDA

Wien und in der Anthroposophischen medizinisch-pharmazeutischen Bewegung durch Vorträge, Se-minare und schriftliche Arbeiten bis heute tätig.

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und zählt zu jenem Menschenkreis, welcher denÖsterreichischen Demeterbund in Österreichaufbauen half. Er begleitete die Arbeitsgruppe Kärnten/Steiermark mit seinem Fachwissen als Tierarztund mit seinem Verständnis von Anthroposophie.

Walter Sorms: Landwirtschaftsmeister, seit 1985 be-wirtschaftet er mit seiner Frau das Hofgut Rengolds-hausen am Bodensee.

Elisabeth Stöger, Dr., arbeitet als Tierärztin inKärnten.Frau Dr. Stöger wurde 1965 in St. Pölten,NÖ. geboren. Studium der Veterinärmedizin in Wien,Promotion 1996. Seit 1996 tierärztlich tätig in Kärntenmit Schwerpunkt Wiederkäuer in verschiedenen

Tierarztpraxen. Seit 1990 Beschäftigung mitHomöopathie und Phytotherapie, seit 1994 Mitgliedder Internationalen Gesellschaft für AnthroposophischeTiermedizin (IGAT).2005-2008 Durchführung des Projektes„Wiederkäuer-gesundheit im Biolandbau“ mitBestandsberatungen und -sanierungen undFortbildung für Landwirte österreichweit

 Johannes Toegel,  Dr. Mag., Musiker, Theologe undPhilosoph, lebt abwechselnd auf einem Kärntner Berg-bauernhof und in einer Einsiedelei im Himalaja. Ar-beitet zusammen mit einem tibetischen Meister seitmehr als 25 Jahren an der Verbindung von östlicher undwestlicher Kultur und Spiritualität, Seminarleiter und