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Die Schweizerische Bauernhausforschung ist im Kanton Dendrochronologische Untersuchungen in Altreu und in Rohr Es hat noch überraschend viele alte Häuser In diesen Tagen untersucht die Schweizerische Bauernhausforschung alte Häuser im ganzen Kanton. Wir beobachteten die Historiker in Altreu und in Rohr. ie Schweizerische Bau- ernhausforschung un- tersucht – wie ihr Name sagt – seit 1965 mit der finanziellen Unterstüt- zung der Kantone und des Schweizerischen Nationalfonds die Schweizer Bauernhäuser. Sie gibt darüber eine Buchreihe heraus, in der heute 33 der geplanten 36 Bände «Die Bauernhäuser der Schweiz» realisiert wurden. In diesen Bänden wurden bisher alle Kantone behandelt – alle ausser dem Kanton Solothurn. Mo- mentan ist eine Forschergruppe dar- an, die Solothurner Bauernhäuser zu erforschen, um diese in einem weite- ren Band beschreiben zu können. «Dabei wird das ganze Kantonsgebiet erarbeitet», sagt der Leiter der For- schungsgruppe, Benno Furrer aus Zug. Und er hält fest: «Es wird keine flächendeckende Inventarisierung bäuerlicher Wohn- und Wirtschafts- formen geben. Entstehen wird aber eine Dokumentation ländlicher Bau- ten im gesamten Kantonsgebiet.» Kon- kret werden 15 Objekte aller Epochen und aller Gegenden genauer in Mono- grafien vorgestellt. Ein Vorgehen, wie es in den Bänden über andere Kanto- ne ebenfalls angewandt wurde. Diese Woche war das fünfköpfige Forscherteam im Kanton Solothurn an der Arbeit, vor allem die dendro- chronologischen (s. Kasten) Untersu- chungen an den Gebäuden vorzuneh- men. Unter ihnen der gebürtige Olt- ner Roland Flückiger, der als frei- schaffender Architekturhistoriker in Bern lebt und arbeitet. Er berichtet, wie er durchs Kantonsgebiet reist und nach den herausragendsten Objekten sucht. «In Dornach stiess ich auf die vorläufig wohl ältesten Bauteile eines Bauernhauses im Kanton. Holz von 1499 wurde dort verbaut, dem Jahr der Schlacht von Dornach also.» Das typische Solothurner Haus? Hochstudhäuser sind typisch für das Schweizerische Mittelland, auch für den Kanton Solothurn. Je weiter man aber Richtung Jura vorstösst, D desto mehr Stein wurde verbaut, er- klären die Fachleute. Die mächtigen Dächer der Häuser wurden mit Stroh, in der Regel mit Roggenstroh, einge- deckt. Ein wunderschönes Beispiel dafür ist das alte Taunerhaus in Rohr (s. nebenstehender Artikel). Das typische Solothurner Haus über das ganze Kantonsgebiet hinweg gibt es nicht. Hingegen ein paar regional geprägte, eigenständige Bauformen. So beispielsweise das Gäuer Haus, welches man in den Dörfern des Aare- gäu noch heute findet, die Bauern- häuser im Bucheggberg oder die Bau- ernhäuser im Schwarzbubenland, die sich dem Baselbieter Stil anlehnen. In Rodersdorf kann man gar Elsässer Einfluss entdecken. «Sehr interessant sind zudem noch die vielen Berghöfe, die oft noch in originalem Zustand sind», sagt Benno Furrer, der sich vor- wiegend dieser Bauten annimmt. Er erwähnt den Obergrenchenberg oder das Rotmättli beim Scheltenpass auf Beinwiler Gebiet. Wenig originale Bausubstanz fand Flückiger im Thal. Gebäudeversicherung «schuld» Die Einführung und die Bedingun- gen der Gebäudeversicherung vor rund 150 Jahren hatte grossen Einfluss auf die Architektur der Bauernhäuser. Man versuchte, die Bauherren auf ein Umschwenken von Stroh- zu Ziegeldä- chern zu gewinnen. «Das ging so weit, dass man von den Strohdachbesitzern das Doppelte an Versicherungssumme verlangte, als diejenige für die Ziegel- dachbesitzer», weiss Furrer. Viele Hausbesitzer änderten deshalb ihre Dächer; andere Hausformen wurden gebaut. Bemerkenswert ist aber: Der Kanton Solothurn war bei der Durch- setzung der Gebäudeversicherungs- vorgaben nicht so streng wie andere Kantone. So hat sich beispielsweise im Bucheggberg die traditionelle Dachform lange erhalten. Wie man früher ein Haus baute Im Kanton Solothurn sind noch er- staunlich viele alte Bauernhäuser in fast allen Dörfern anzutreffen. Viele Häuser wurden nach Tradition und Kunst der Zimmerleute ohne Plan er- stellt. Alte Pläne existieren in der Re- gel nur von Hausbauten, bei denen es Streitigkeiten gab. Zimmerleute und Maurer arbeiteten oft weit ausserhalb ihres Wohngebietes. Heute ist sicht- bar, dass es eigentliche Zimmer-Dy- nastien gab, denn immer wieder sind Häuser in der gleichen Bauform über grössere Gebiete hinaus entstanden. Ein Bauherr hatte – im Gegensatz zu heute – nicht viel Einfluss auf die äus- sere Gestaltung seines Hauses. Er musste lediglich eine ausreichende Menge Holz beschaffen. Das Holz wur- de in der Regel im Winter geschlagen und im darauffolgenden Sommer ver- baut. Der Bauherr gab seine Grund- Bedürfnisse bekannt und das Haus wurde errichtet. «Ein Hausbau war bestimmt immer eine Dorfangelegen- heit», erzählt Flückiger. Wie genau aber die Häuser aufgerichtet wurden, ist bis heute nicht bekannt, da es kei- ne schriftlichen Überlieferungen gibt.» Ausgewählte Objekte bekannt Flückiger hat inzwischen alle für die Monografie infrage kommenden Häuser «vor dem Berg» angeschaut. Diejenigen des Wasseramtes und des Bucheggbergs wurden bereits von der Solothurner Denkmalpflege unter- sucht. Jetzt bleiben noch Thierstein und der Bezirk Dorneck. «Im Lauf der Jahre entwickelt man ein ‹Gspüri› für die alten Häuser. Viel- fach muss ich mich durchfragen, bei Gemeindebehörden und Lokalhistori- kern», berichtet Flückiger über seine Vorgehensweise. Im Grossen und Ganzen komme er immer in die Häu- ser; ganz selten wolle jemand von der Bauernhausforschung nichts wissen. «Aber heute sind die Hausbesitzer kri- tischer als früher. Sie wollen ganz ge- nau wissen, was wir da tun.» Bis Ende 2018 sollen die Berichte für die Publikation fertig erstellt sein – solange läuft auch der Nationalfonds für das Projekt. 2019 soll das Buch pu- bliziert werden. Insgesamt steht ein Projektkredit von 674 000 Franken zur Verfügung; daran leistet der Kan- ton Solothurn 60 Prozent. 40 Prozent übernimmt der Schweizerische Natio- nalfonds zur Förderung der wissen- schaftlichen Forschung. VON FRÄNZI ZWAHLEN-SANER (TEXT); HANS- JÖRG SAHLI UND BRUNO KISSLING (FOTOS) Das letzte Bauernhaus, dessen Dach noch mit Stroh gedeckt ist, steht in Rohr. Das genaue Jean-Pierre Hurni bohrt die Balken an und entnimmt 12 cm lange Holzkerne. Dieses Altreuer Bauernhaus wird dendrochronologisch untersucht. KANTON SOLOTHURN 23 SZ/GT SAMSTAG, 20. AUGUST 2016 Solothurn angekommen sollen Klarheit über das Alter der Häuser geben Alter wird zurzeit im Rahmen des laufenden Projekts der Schweizerischen Bauernhausforschung ermittelt. Der Plan des Rohrer Hauses mit Balken aus der vermutlich ersten Bauphase (gelb) und der zweiten (orange). Ab 1708 soll die Rauchküche im alten Bauernhaus in Altreu genutzt worden sein. Die Proben werden es beweisen. Eines der 15 Häuser im Kanton Solo- thurn, welche in der Arbeit des fünf- köpfigen Forschungsteams um Benno Furrer vorgestellt werden, ist das Strohdachhaus in Rohr. Erbaut wurde es im 17. Jahrhundert. «Als letztes die- ser Art im Kanton hat es einen speziel- len Wert und gehört zum Projekt ein- fach dazu», so Mitarbeiter Roland Flückiger. Was die frühe Geschichte des Hauses betrifft, stehen noch viele Fragezeichen im Raum. Wann und von wem wurde das Haus gebaut? Wer bewohnte es? Wurde das Haus in mehreren Baupha- sen gebaut oder in einer einzigen? An- hand dessen, was sie vom Gebälk im Dachstock von aussen gesehen haben, gehen die Bauernhausforscher eher von mehr als einer Bauphase aus – dass also nachträglich angebaut oder umge- baut wurde. Ein Teil des Gebälks auf der Seite des kleinen Stalls könne jün- ger sein. Ob und um wie viel, ist noch offen. Haus von Kleinbauern Aufgrund der Ausmasse ist für sie je- doch klar, dass es sich bei den Erbau- ern nicht um reiche Bauern gehandelt haben kann. «Das Haus ist nicht beson- ders gross. Es ist ein sogenanntes Tau- nerhaus, ein Haus von Kleinbauern. Diese waren nicht reich, hatten aber immerhin genug Geld, um sich ein eigenes Haus zu bauen», so Flückiger. «Im Stall standen wenige Tiere.» Dazu passe auch, dass sich früher die reichen Bauern ein Haus zentral im Dorf leisten konnten, wäh- rend die ärmeren Bauern etwas ausser- halb lebten, wie das beim Strohdach- haus der Fall ist. «Dieses Haus steht eher etwas ausserhalb vom Kern des damals sehr kleinen Dorfs», so Flücki- ger. Der alte Stall ist noch sichtbar, ebenso der Räucherofen auf dem Dach- stock. Noch original aus dem 17. Jahr- hundert erhalten sind die Grundmau- ern und das Gebälk im Dachstock. Die Bausubstanz sowie das Dach wurden mehrmals renoviert. Der erste Schritt zu neuen Erkennt- nissen ist nun gemacht: Am Donners- tag entnahm Jean-Pierre Hurni vom «Laboratoire Romand de Dendrochro- nologie» in Moudon Proben von je vier bis sechs Balken aus den zwei vermu- teten Bauphasen (siehe Kasten). Eine dendrochronologische Untersuchung soll Aufschluss über das Alter der Holzbalken geben, woraus sich das Baujahr ermitteln lässt. Dann können die Forscher im Solothurner Staatsar- chiv auf Spurensuche gehen, um mehr über die Geschichte zu erfahren. «Bau- gesuche wie in der heutigen Zeit gab es damals natürlich noch nicht», so Mit- arbeiter Pius Räber. «Dokumentatio- nen finden sich hauptsächlich im Zu- sammenhang mit Bauholzvergaben, Erbschaften oder Streitfällen und kön- nen Hinweise auf die Geschichte ge- ben.» Ansonsten finde sich oftmals nichts. Im Fall des Strohdachhauses in Rohr ist aber noch nicht klar, wie viel die Forscher im Staatsarchiv herausfin- den können. Verkommen zur Ruine – bis 1963 Deutlich besser bekannt ist die Ge- schichte im 20. Jahrhundert. Seit 1961 befindet sich das Haus im Besitz der Fa- milie Marti aus Rohr. «Wir haben es da- mals als eine Ruine übernommen», weiss Ida Marti-Eng, die Besitzerin des Hauses. Zuvor stand es 30 Jahre lang leer. Ihr inzwischen verstorbener Mann Gottlieb Marti er- möglichte die so- fort nötige Ge- samtrenovation in Zusammenarbeit mit dem Heimat- schutz. «Sonst gä- be es hier wohl kein Strohdachhaus mehr.» Bis 1980 wurde es nur als Ferien- und Wochenendhaus genutzt. «Das war nicht gut, da dann im Winter niemand nach dem Haus schaute und Gefrier- schäden gab», erinnert sich Marti. Seit- her wird es als Wohnhaus vermietet, aktuell wohnen Bruno Renggli und Si- bylle Aschwanden im Strohdachhaus. 1985 wurde eine Teilrenovation nötig, bei der unter anderem das Dach neu gedeckt wurde. Etwa alle 40 Jahre muss das Strohdach saniert werden. Dazwischen reicht die regelmässige Pflege des Dachs, nämlich indem es mit einer grossen Bürste gekämmt und ge- bürstet wird. Rohr Was es mit der Geschichte dieses Hauses auf sich hat, wird sich bald zeigen VON GABRIELA STRÄHL Das letzte Strohdachhaus im Kanton «Wir haben das Strohdach- haus damals als eine Ruine übernommen.» Ida Marti-Eng Besitzerin ie genaueste Bestimmung des Alters eines Hauses gelingt mit Holz, wie Roland Flücki- ger und Benno Furrer erklären. Das Alter des Holzes lässt sich aufs Jahr berechnen. Dazu nutzen die Forscher vom «Laboratoire Romand de Den- drochronologie» in Moudon spezielle Werkzeuge, mittels derer sie bis in die Mitte des Balkens hineinbohren und eine zylinderförmige Säule herausho- len können. In der Untersuchung er- kennen sie die einzelnen Jahrringe und die Abstände dazwischen. «Es ist wichtig, möglichst das ganze Spek- trum des Baumes zu erwischen, da- mit alle Jahrringe sichtbar sind. Ein Stück von der Oberfläche allein sagt nicht viel aus», erklärt Jean-Pierre D Hurni. Um möglichst genaue Ergeb- nisse zu erhalten, nehmen sie jeweils vier bis sechs Proben von verschiede- nen Balken. Da Bäume stark auf äus- sere Bedingungen reagieren, wachsen sie nicht in jedem Jahr um gleich viel. Dies ergibt ein bestimmtes Muster, welches mit Referenzmustern abgegli- chen wird, von denen die Jahreszah- len bekannt sind. «Das geschieht auch heute noch überwiegend mit dem menschlichen Auge statt mit dem Computer und braucht deshalb seine Zeit», erklärt Benno Furrer. Ganz ein- fach ist die Probeentnahme nicht: Hurni kommt ins Schwitzen, wie er über Leitern auf die Balken klettert und sich mit dem speziellen Bohrer durch hartes Holz kämpft. (GS) So lässt sich das Alter bestimmen DENDROCHRONOLOGISCHE UNTERSUCHUNG

SAMSTAG, 20. AUGUST 2016 SZ/GT 223 - Gemeinde Rohr/SO

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Page 1: SAMSTAG, 20. AUGUST 2016 SZ/GT 223 - Gemeinde Rohr/SO

KANTON SOLOTHURN 22SZ/GTSAMSTAG, 20. AUGUST 2016

Die Schweizerische Bauernhausforschung ist im Kanton Solothurn angekommenDendrochronologische Untersuchungen in Altreu und in Rohr sollen Klarheit über das Alter der Häuser geben

Es hat nochüberraschendviele alte HäuserIn diesen Tagen untersucht die SchweizerischeBauernhausforschung alte Häuser im ganzen Kanton.Wir beobachteten die Historiker in Altreu und in Rohr.

ie Schweizerische Bau-ernhausforschung un-tersucht – wie ihr Namesagt – seit 1965 mit derfinanziellen Unterstüt-zung der Kantone und

des Schweizerischen Nationalfondsdie Schweizer Bauernhäuser. Sie gibtdarüber eine Buchreihe heraus, in derheute 33 der geplanten 36 Bände «DieBauernhäuser der Schweiz» realisiertwurden. In diesen Bänden wurdenbisher alle Kantone behandelt – alleausser dem Kanton Solothurn. Mo-mentan ist eine Forschergruppe dar-an, die Solothurner Bauernhäuser zuerforschen, um diese in einem weite-ren Band beschreiben zu können.«Dabei wird das ganze Kantonsgebieterarbeitet», sagt der Leiter der For-schungsgruppe, Benno Furrer ausZug. Und er hält fest: «Es wird keineflächendeckende Inventarisierungbäuerlicher Wohn- und Wirtschafts-formen geben. Entstehen wird abereine Dokumentation ländlicher Bau-ten im gesamten Kantonsgebiet.» Kon-kret werden 15 Objekte aller Epochenund aller Gegenden genauer in Mono-grafien vorgestellt. Ein Vorgehen, wiees in den Bänden über andere Kanto-ne ebenfalls angewandt wurde.

Diese Woche war das fünfköpfigeForscherteam im Kanton Solothurnan der Arbeit, vor allem die dendro-chronologischen (s. Kasten) Untersu-chungen an den Gebäuden vorzuneh-men. Unter ihnen der gebürtige Olt-ner Roland Flückiger, der als frei-schaffender Architekturhistoriker inBern lebt und arbeitet. Er berichtet,wie er durchs Kantonsgebiet reist undnach den herausragendsten Objektensucht. «In Dornach stiess ich auf dievorläufig wohl ältesten Bauteile einesBauernhauses im Kanton. Holz von1499 wurde dort verbaut, dem Jahrder Schlacht von Dornach also.»

Das typische Solothurner Haus?Hochstudhäuser sind typisch für

das Schweizerische Mittelland, auchfür den Kanton Solothurn. Je weiterman aber Richtung Jura vorstösst,

Ddesto mehr Stein wurde verbaut, er-klären die Fachleute. Die mächtigenDächer der Häuser wurden mit Stroh,in der Regel mit Roggenstroh, einge-deckt. Ein wunderschönes Beispieldafür ist das alte Taunerhaus in Rohr(s. nebenstehender Artikel).

Das typische Solothurner Haus überdas ganze Kantonsgebiet hinweg gibtes nicht. Hingegen ein paar regionalgeprägte, eigenständige Bauformen.So beispielsweise das Gäuer Haus,welches man in den Dörfern des Aare-gäu noch heute findet, die Bauern-häuser im Bucheggberg oder die Bau-ernhäuser im Schwarzbubenland, diesich dem Baselbieter Stil anlehnen. InRodersdorf kann man gar ElsässerEinfluss entdecken. «Sehr interessantsind zudem noch die vielen Berghöfe,die oft noch in originalem Zustandsind», sagt Benno Furrer, der sich vor-wiegend dieser Bauten annimmt. Ererwähnt den Obergrenchenberg oderdas Rotmättli beim Scheltenpass aufBeinwiler Gebiet. Wenig originaleBausubstanz fand Flückiger im Thal.

Gebäudeversicherung «schuld»Die Einführung und die Bedingun-

gen der Gebäudeversicherung vorrund 150 Jahren hatte grossen Einflussauf die Architektur der Bauernhäuser.Man versuchte, die Bauherren auf einUmschwenken von Stroh- zu Ziegeldä-chern zu gewinnen. «Das ging so weit,dass man von den Strohdachbesitzerndas Doppelte an Versicherungssummeverlangte, als diejenige für die Ziegel-dachbesitzer», weiss Furrer. VieleHausbesitzer änderten deshalb ihreDächer; andere Hausformen wurdengebaut. Bemerkenswert ist aber: DerKanton Solothurn war bei der Durch-setzung der Gebäudeversicherungs-vorgaben nicht so streng wie andereKantone. So hat sich beispielsweiseim Bucheggberg die traditionelleDachform lange erhalten.

Wie man früher ein Haus bauteIm Kanton Solothurn sind noch er-

staunlich viele alte Bauernhäuser infast allen Dörfern anzutreffen. VieleHäuser wurden nach Tradition undKunst der Zimmerleute ohne Plan er-stellt. Alte Pläne existieren in der Re-

gel nur von Hausbauten, bei denen esStreitigkeiten gab. Zimmerleute undMaurer arbeiteten oft weit ausserhalbihres Wohngebietes. Heute ist sicht-bar, dass es eigentliche Zimmer-Dy-nastien gab, denn immer wieder sindHäuser in der gleichen Bauform übergrössere Gebiete hinaus entstanden.

Ein Bauherr hatte – im Gegensatz zuheute – nicht viel Einfluss auf die äus-sere Gestaltung seines Hauses. Ermusste lediglich eine ausreichendeMenge Holz beschaffen. Das Holz wur-de in der Regel im Winter geschlagenund im darauffolgenden Sommer ver-baut. Der Bauherr gab seine Grund-Bedürfnisse bekannt und das Hauswurde errichtet. «Ein Hausbau warbestimmt immer eine Dorfangelegen-heit», erzählt Flückiger. Wie genauaber die Häuser aufgerichtet wurden,ist bis heute nicht bekannt, da es kei-ne schriftlichen Überlieferungengibt.»

Ausgewählte Objekte bekanntFlückiger hat inzwischen alle für

die Monografie infrage kommendenHäuser «vor dem Berg» angeschaut.Diejenigen des Wasseramtes und desBucheggbergs wurden bereits von derSolothurner Denkmalpflege unter-sucht. Jetzt bleiben noch Thiersteinund der Bezirk Dorneck.

«Im Lauf der Jahre entwickelt manein ‹Gspüri› für die alten Häuser. Viel-fach muss ich mich durchfragen, beiGemeindebehörden und Lokalhistori-kern», berichtet Flückiger über seineVorgehensweise. Im Grossen undGanzen komme er immer in die Häu-ser; ganz selten wolle jemand von derBauernhausforschung nichts wissen.«Aber heute sind die Hausbesitzer kri-tischer als früher. Sie wollen ganz ge-nau wissen, was wir da tun.»

Bis Ende 2018 sollen die Berichtefür die Publikation fertig erstellt sein –solange läuft auch der Nationalfondsfür das Projekt. 2019 soll das Buch pu-bliziert werden. Insgesamt steht einProjektkredit von 674 000 Frankenzur Verfügung; daran leistet der Kan-ton Solothurn 60 Prozent. 40 Prozentübernimmt der Schweizerische Natio-nalfonds zur Förderung der wissen-schaftlichen Forschung.

VON FRÄNZI ZWAHLEN-SANER (TEXT); HANS-JÖRG SAHLI UND BRUNO KISSLING (FOTOS)

Das letzte Bauernhaus, dessen Dach noch mit Stroh gedeckt ist, steht in Rohr. Das genaue Alter wird zurzeit im Rahmen des laufenden Projekts der Schweizerischen Bauernhausforschung ermittelt.

Jean-Pierre Hurni bohrt die Balken an und entnimmt 12 cm lange Holzkerne.

Dieses Altreuer Bauernhaus wird dendrochronologisch untersucht.

Der Plan des Rohrer Hauses mit Balken aus der vermutlich ersten Bauphase (gelb) und der zweiten (orange).

Ab 1708 soll die Rauchküche im alten Bauernhaus in Altreu genutzt worden sein. Die Proben werden es beweisen.

Eines der 15 Häuser im Kanton Solo-thurn, welche in der Arbeit des fünf-köpfigen Forschungsteams um BennoFurrer vorgestellt werden, ist dasStrohdachhaus in Rohr. Erbaut wurdees im 17. Jahrhundert. «Als letztes die-ser Art im Kanton hat es einen speziel-len Wert und gehört zum Projekt ein-fach dazu», so Mitarbeiter RolandFlückiger.

Was die frühe Geschichte des Hausesbetrifft, stehen noch viele Fragezeichenim Raum. Wann und von wem wurdedas Haus gebaut? Wer bewohnte es?Wurde das Haus in mehreren Baupha-sen gebaut oder in einer einzigen? An-hand dessen, was sie vom Gebälk imDachstock von aussen gesehen haben,gehen die Bauernhausforscher ehervon mehr als einer Bauphase aus – dassalso nachträglich angebaut oder umge-baut wurde. Ein Teil des Gebälks aufder Seite des kleinen Stalls könne jün-ger sein. Ob und um wie viel, ist nochoffen.

Haus von KleinbauernAufgrund der Ausmasse ist für sie je-

doch klar, dass es sich bei den Erbau-ern nicht um reiche Bauern gehandelthaben kann. «Das Haus ist nicht beson-ders gross. Es ist ein sogenanntes Tau-nerhaus, ein Hausvon Kleinbauern.Diese waren nichtreich, hatten aberimmerhin genugGeld, um sich eineigenes Haus zubauen», so Flückiger. «Im Stall standenwenige Tiere.» Dazu passe auch, dasssich früher die reichen Bauern ein Hauszentral im Dorf leisten konnten, wäh-rend die ärmeren Bauern etwas ausser-halb lebten, wie das beim Strohdach-haus der Fall ist. «Dieses Haus stehteher etwas ausserhalb vom Kern desdamals sehr kleinen Dorfs», so Flücki-ger. Der alte Stall ist noch sichtbar,ebenso der Räucherofen auf dem Dach-stock. Noch original aus dem 17. Jahr-hundert erhalten sind die Grundmau-ern und das Gebälk im Dachstock. DieBausubstanz sowie das Dach wurdenmehrmals renoviert.

Der erste Schritt zu neuen Erkennt-nissen ist nun gemacht: Am Donners-

tag entnahm Jean-Pierre Hurni vom«Laboratoire Romand de Dendrochro-nologie» in Moudon Proben von je vierbis sechs Balken aus den zwei vermu-teten Bauphasen (siehe Kasten). Einedendrochronologische Untersuchungsoll Aufschluss über das Alter derHolzbalken geben, woraus sich dasBaujahr ermitteln lässt. Dann könnendie Forscher im Solothurner Staatsar-chiv auf Spurensuche gehen, um mehrüber die Geschichte zu erfahren. «Bau-gesuche wie in der heutigen Zeit gab esdamals natürlich noch nicht», so Mit-arbeiter Pius Räber. «Dokumentatio-nen finden sich hauptsächlich im Zu-sammenhang mit Bauholzvergaben,Erbschaften oder Streitfällen und kön-nen Hinweise auf die Geschichte ge-ben.» Ansonsten finde sich oftmalsnichts. Im Fall des Strohdachhauses inRohr ist aber noch nicht klar, wie vieldie Forscher im Staatsarchiv herausfin-den können.

Verkommen zur Ruine – bis 1963Deutlich besser bekannt ist die Ge-

schichte im 20. Jahrhundert. Seit 1961befindet sich das Haus im Besitz der Fa-milie Marti aus Rohr. «Wir haben es da-mals als eine Ruine übernommen»,weiss Ida Marti-Eng, die Besitzerin desHauses. Zuvor stand es 30 Jahre langleer. Ihr inzwischen verstorbener Mann

Gottlieb Marti er-möglichte die so-fort nötige Ge-samtrenovation inZusammenarbeitmit dem Heimat-schutz. «Sonst gä-

be es hier wohl kein Strohdachhausmehr.»

Bis 1980 wurde es nur als Ferien- undWochenendhaus genutzt. «Das warnicht gut, da dann im Winter niemandnach dem Haus schaute und Gefrier-schäden gab», erinnert sich Marti. Seit-her wird es als Wohnhaus vermietet,aktuell wohnen Bruno Renggli und Si-bylle Aschwanden im Strohdachhaus.1985 wurde eine Teilrenovation nötig,bei der unter anderem das Dach neugedeckt wurde. Etwa alle 40 Jahremuss das Strohdach saniert werden.Dazwischen reicht die regelmässigePflege des Dachs, nämlich indem es miteiner grossen Bürste gekämmt und ge-bürstet wird.

Rohr Was es mit der Geschichte diesesHauses auf sich hat, wird sich bald zeigen

VON GABRIELA STRÄHL

Das letzteStrohdachhausim Kanton

«Wir haben das Strohdach-haus damals als eine Ruineübernommen.»Ida Marti-Eng Besitzerin

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ie genaueste Bestimmung desAlters eines Hauses gelingtmit Holz, wie Roland Flücki-

ger und Benno Furrer erklären. DasAlter des Holzes lässt sich aufs Jahrberechnen. Dazu nutzen die Forschervom «Laboratoire Romand de Den-drochronologie» in Moudon spezielleWerkzeuge, mittels derer sie bis in dieMitte des Balkens hineinbohren undeine zylinderförmige Säule herausho-len können. In der Untersuchung er-kennen sie die einzelnen Jahrringeund die Abstände dazwischen. «Es istwichtig, möglichst das ganze Spek-trum des Baumes zu erwischen, da-mit alle Jahrringe sichtbar sind. EinStück von der Oberfläche allein sagtnicht viel aus», erklärt Jean-Pierre

D Hurni. Um möglichst genaue Ergeb-nisse zu erhalten, nehmen sie jeweilsvier bis sechs Proben von verschiede-nen Balken. Da Bäume stark auf äus-sere Bedingungen reagieren, wachsensie nicht in jedem Jahr um gleich viel.Dies ergibt ein bestimmtes Muster,welches mit Referenzmustern abgegli-chen wird, von denen die Jahreszah-len bekannt sind. «Das geschieht auchheute noch überwiegend mit demmenschlichen Auge statt mit demComputer und braucht deshalb seineZeit», erklärt Benno Furrer. Ganz ein-fach ist die Probeentnahme nicht:Hurni kommt ins Schwitzen, wie erüber Leitern auf die Balken klettertund sich mit dem speziellen Bohrerdurch hartes Holz kämpft. (GS)

So lässt sich das Alter bestimmenDENDROCHRONOLOGISCHE UNTERSUCHUNG

KANTON SOLOTHURN 23SZ/GTSAMSTAG, 20. AUGUST 2016

Die Schweizerische Bauernhausforschung ist im Kanton Solothurn angekommenDendrochronologische Untersuchungen in Altreu und in Rohr sollen Klarheit über das Alter der Häuser geben

Es hat nochüberraschendviele alte HäuserIn diesen Tagen untersucht die SchweizerischeBauernhausforschung alte Häuser im ganzen Kanton.Wir beobachteten die Historiker in Altreu und in Rohr.

ie Schweizerische Bau-ernhausforschung un-tersucht – wie ihr Namesagt – seit 1965 mit derfinanziellen Unterstüt-zung der Kantone und

des Schweizerischen Nationalfondsdie Schweizer Bauernhäuser. Sie gibtdarüber eine Buchreihe heraus, in derheute 33 der geplanten 36 Bände «DieBauernhäuser der Schweiz» realisiertwurden. In diesen Bänden wurdenbisher alle Kantone behandelt – alleausser dem Kanton Solothurn. Mo-mentan ist eine Forschergruppe dar-an, die Solothurner Bauernhäuser zuerforschen, um diese in einem weite-ren Band beschreiben zu können.«Dabei wird das ganze Kantonsgebieterarbeitet», sagt der Leiter der For-schungsgruppe, Benno Furrer ausZug. Und er hält fest: «Es wird keineflächendeckende Inventarisierungbäuerlicher Wohn- und Wirtschafts-formen geben. Entstehen wird abereine Dokumentation ländlicher Bau-ten im gesamten Kantonsgebiet.» Kon-kret werden 15 Objekte aller Epochenund aller Gegenden genauer in Mono-grafien vorgestellt. Ein Vorgehen, wiees in den Bänden über andere Kanto-ne ebenfalls angewandt wurde.

Diese Woche war das fünfköpfigeForscherteam im Kanton Solothurnan der Arbeit, vor allem die dendro-chronologischen (s. Kasten) Untersu-chungen an den Gebäuden vorzuneh-men. Unter ihnen der gebürtige Olt-ner Roland Flückiger, der als frei-schaffender Architekturhistoriker inBern lebt und arbeitet. Er berichtet,wie er durchs Kantonsgebiet reist undnach den herausragendsten Objektensucht. «In Dornach stiess ich auf dievorläufig wohl ältesten Bauteile einesBauernhauses im Kanton. Holz von1499 wurde dort verbaut, dem Jahrder Schlacht von Dornach also.»

Das typische Solothurner Haus?Hochstudhäuser sind typisch für

das Schweizerische Mittelland, auchfür den Kanton Solothurn. Je weiterman aber Richtung Jura vorstösst,

Ddesto mehr Stein wurde verbaut, er-klären die Fachleute. Die mächtigenDächer der Häuser wurden mit Stroh,in der Regel mit Roggenstroh, einge-deckt. Ein wunderschönes Beispieldafür ist das alte Taunerhaus in Rohr(s. nebenstehender Artikel).

Das typische Solothurner Haus überdas ganze Kantonsgebiet hinweg gibtes nicht. Hingegen ein paar regionalgeprägte, eigenständige Bauformen.So beispielsweise das Gäuer Haus,welches man in den Dörfern des Aare-gäu noch heute findet, die Bauern-häuser im Bucheggberg oder die Bau-ernhäuser im Schwarzbubenland, diesich dem Baselbieter Stil anlehnen. InRodersdorf kann man gar ElsässerEinfluss entdecken. «Sehr interessantsind zudem noch die vielen Berghöfe,die oft noch in originalem Zustandsind», sagt Benno Furrer, der sich vor-wiegend dieser Bauten annimmt. Ererwähnt den Obergrenchenberg oderdas Rotmättli beim Scheltenpass aufBeinwiler Gebiet. Wenig originaleBausubstanz fand Flückiger im Thal.

Gebäudeversicherung «schuld»Die Einführung und die Bedingun-

gen der Gebäudeversicherung vorrund 150 Jahren hatte grossen Einflussauf die Architektur der Bauernhäuser.Man versuchte, die Bauherren auf einUmschwenken von Stroh- zu Ziegeldä-chern zu gewinnen. «Das ging so weit,dass man von den Strohdachbesitzerndas Doppelte an Versicherungssummeverlangte, als diejenige für die Ziegel-dachbesitzer», weiss Furrer. VieleHausbesitzer änderten deshalb ihreDächer; andere Hausformen wurdengebaut. Bemerkenswert ist aber: DerKanton Solothurn war bei der Durch-setzung der Gebäudeversicherungs-vorgaben nicht so streng wie andereKantone. So hat sich beispielsweiseim Bucheggberg die traditionelleDachform lange erhalten.

Wie man früher ein Haus bauteIm Kanton Solothurn sind noch er-

staunlich viele alte Bauernhäuser infast allen Dörfern anzutreffen. VieleHäuser wurden nach Tradition undKunst der Zimmerleute ohne Plan er-stellt. Alte Pläne existieren in der Re-

gel nur von Hausbauten, bei denen esStreitigkeiten gab. Zimmerleute undMaurer arbeiteten oft weit ausserhalbihres Wohngebietes. Heute ist sicht-bar, dass es eigentliche Zimmer-Dy-nastien gab, denn immer wieder sindHäuser in der gleichen Bauform übergrössere Gebiete hinaus entstanden.

Ein Bauherr hatte – im Gegensatz zuheute – nicht viel Einfluss auf die äus-sere Gestaltung seines Hauses. Ermusste lediglich eine ausreichendeMenge Holz beschaffen. Das Holz wur-de in der Regel im Winter geschlagenund im darauffolgenden Sommer ver-baut. Der Bauherr gab seine Grund-Bedürfnisse bekannt und das Hauswurde errichtet. «Ein Hausbau warbestimmt immer eine Dorfangelegen-heit», erzählt Flückiger. Wie genauaber die Häuser aufgerichtet wurden,ist bis heute nicht bekannt, da es kei-ne schriftlichen Überlieferungengibt.»

Ausgewählte Objekte bekanntFlückiger hat inzwischen alle für

die Monografie infrage kommendenHäuser «vor dem Berg» angeschaut.Diejenigen des Wasseramtes und desBucheggbergs wurden bereits von derSolothurner Denkmalpflege unter-sucht. Jetzt bleiben noch Thiersteinund der Bezirk Dorneck.

«Im Lauf der Jahre entwickelt manein ‹Gspüri› für die alten Häuser. Viel-fach muss ich mich durchfragen, beiGemeindebehörden und Lokalhistori-kern», berichtet Flückiger über seineVorgehensweise. Im Grossen undGanzen komme er immer in die Häu-ser; ganz selten wolle jemand von derBauernhausforschung nichts wissen.«Aber heute sind die Hausbesitzer kri-tischer als früher. Sie wollen ganz ge-nau wissen, was wir da tun.»

Bis Ende 2018 sollen die Berichtefür die Publikation fertig erstellt sein –solange läuft auch der Nationalfondsfür das Projekt. 2019 soll das Buch pu-bliziert werden. Insgesamt steht einProjektkredit von 674 000 Frankenzur Verfügung; daran leistet der Kan-ton Solothurn 60 Prozent. 40 Prozentübernimmt der Schweizerische Natio-nalfonds zur Förderung der wissen-schaftlichen Forschung.

VON FRÄNZI ZWAHLEN-SANER (TEXT); HANS-JÖRG SAHLI UND BRUNO KISSLING (FOTOS)

Das letzte Bauernhaus, dessen Dach noch mit Stroh gedeckt ist, steht in Rohr. Das genaue Alter wird zurzeit im Rahmen des laufenden Projekts der Schweizerischen Bauernhausforschung ermittelt.

Jean-Pierre Hurni bohrt die Balken an und entnimmt 12 cm lange Holzkerne.

Dieses Altreuer Bauernhaus wird dendrochronologisch untersucht.

Der Plan des Rohrer Hauses mit Balken aus der vermutlich ersten Bauphase (gelb) und der zweiten (orange).

Ab 1708 soll die Rauchküche im alten Bauernhaus in Altreu genutzt worden sein. Die Proben werden es beweisen.

Eines der 15 Häuser im Kanton Solo-thurn, welche in der Arbeit des fünf-köpfigen Forschungsteams um BennoFurrer vorgestellt werden, ist dasStrohdachhaus in Rohr. Erbaut wurdees im 17. Jahrhundert. «Als letztes die-ser Art im Kanton hat es einen speziel-len Wert und gehört zum Projekt ein-fach dazu», so Mitarbeiter RolandFlückiger.

Was die frühe Geschichte des Hausesbetrifft, stehen noch viele Fragezeichenim Raum. Wann und von wem wurdedas Haus gebaut? Wer bewohnte es?Wurde das Haus in mehreren Baupha-sen gebaut oder in einer einzigen? An-hand dessen, was sie vom Gebälk imDachstock von aussen gesehen haben,gehen die Bauernhausforscher ehervon mehr als einer Bauphase aus – dassalso nachträglich angebaut oder umge-baut wurde. Ein Teil des Gebälks aufder Seite des kleinen Stalls könne jün-ger sein. Ob und um wie viel, ist nochoffen.

Haus von KleinbauernAufgrund der Ausmasse ist für sie je-

doch klar, dass es sich bei den Erbau-ern nicht um reiche Bauern gehandelthaben kann. «Das Haus ist nicht beson-ders gross. Es ist ein sogenanntes Tau-nerhaus, ein Hausvon Kleinbauern.Diese waren nichtreich, hatten aberimmerhin genugGeld, um sich eineigenes Haus zubauen», so Flückiger. «Im Stall standenwenige Tiere.» Dazu passe auch, dasssich früher die reichen Bauern ein Hauszentral im Dorf leisten konnten, wäh-rend die ärmeren Bauern etwas ausser-halb lebten, wie das beim Strohdach-haus der Fall ist. «Dieses Haus stehteher etwas ausserhalb vom Kern desdamals sehr kleinen Dorfs», so Flücki-ger. Der alte Stall ist noch sichtbar,ebenso der Räucherofen auf dem Dach-stock. Noch original aus dem 17. Jahr-hundert erhalten sind die Grundmau-ern und das Gebälk im Dachstock. DieBausubstanz sowie das Dach wurdenmehrmals renoviert.

Der erste Schritt zu neuen Erkennt-nissen ist nun gemacht: Am Donners-

tag entnahm Jean-Pierre Hurni vom«Laboratoire Romand de Dendrochro-nologie» in Moudon Proben von je vierbis sechs Balken aus den zwei vermu-teten Bauphasen (siehe Kasten). Einedendrochronologische Untersuchungsoll Aufschluss über das Alter derHolzbalken geben, woraus sich dasBaujahr ermitteln lässt. Dann könnendie Forscher im Solothurner Staatsar-chiv auf Spurensuche gehen, um mehrüber die Geschichte zu erfahren. «Bau-gesuche wie in der heutigen Zeit gab esdamals natürlich noch nicht», so Mit-arbeiter Pius Räber. «Dokumentatio-nen finden sich hauptsächlich im Zu-sammenhang mit Bauholzvergaben,Erbschaften oder Streitfällen und kön-nen Hinweise auf die Geschichte ge-ben.» Ansonsten finde sich oftmalsnichts. Im Fall des Strohdachhauses inRohr ist aber noch nicht klar, wie vieldie Forscher im Staatsarchiv herausfin-den können.

Verkommen zur Ruine – bis 1963Deutlich besser bekannt ist die Ge-

schichte im 20. Jahrhundert. Seit 1961befindet sich das Haus im Besitz der Fa-milie Marti aus Rohr. «Wir haben es da-mals als eine Ruine übernommen»,weiss Ida Marti-Eng, die Besitzerin desHauses. Zuvor stand es 30 Jahre langleer. Ihr inzwischen verstorbener Mann

Gottlieb Marti er-möglichte die so-fort nötige Ge-samtrenovation inZusammenarbeitmit dem Heimat-schutz. «Sonst gä-

be es hier wohl kein Strohdachhausmehr.»

Bis 1980 wurde es nur als Ferien- undWochenendhaus genutzt. «Das warnicht gut, da dann im Winter niemandnach dem Haus schaute und Gefrier-schäden gab», erinnert sich Marti. Seit-her wird es als Wohnhaus vermietet,aktuell wohnen Bruno Renggli und Si-bylle Aschwanden im Strohdachhaus.1985 wurde eine Teilrenovation nötig,bei der unter anderem das Dach neugedeckt wurde. Etwa alle 40 Jahremuss das Strohdach saniert werden.Dazwischen reicht die regelmässigePflege des Dachs, nämlich indem es miteiner grossen Bürste gekämmt und ge-bürstet wird.

Rohr Was es mit der Geschichte diesesHauses auf sich hat, wird sich bald zeigen

VON GABRIELA STRÄHL

Das letzteStrohdachhausim Kanton

«Wir haben das Strohdach-haus damals als eine Ruineübernommen.»Ida Marti-Eng Besitzerin

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ie genaueste Bestimmung desAlters eines Hauses gelingtmit Holz, wie Roland Flücki-

ger und Benno Furrer erklären. DasAlter des Holzes lässt sich aufs Jahrberechnen. Dazu nutzen die Forschervom «Laboratoire Romand de Den-drochronologie» in Moudon spezielleWerkzeuge, mittels derer sie bis in dieMitte des Balkens hineinbohren undeine zylinderförmige Säule herausho-len können. In der Untersuchung er-kennen sie die einzelnen Jahrringeund die Abstände dazwischen. «Es istwichtig, möglichst das ganze Spek-trum des Baumes zu erwischen, da-mit alle Jahrringe sichtbar sind. EinStück von der Oberfläche allein sagtnicht viel aus», erklärt Jean-Pierre

D Hurni. Um möglichst genaue Ergeb-nisse zu erhalten, nehmen sie jeweilsvier bis sechs Proben von verschiede-nen Balken. Da Bäume stark auf äus-sere Bedingungen reagieren, wachsensie nicht in jedem Jahr um gleich viel.Dies ergibt ein bestimmtes Muster,welches mit Referenzmustern abgegli-chen wird, von denen die Jahreszah-len bekannt sind. «Das geschieht auchheute noch überwiegend mit demmenschlichen Auge statt mit demComputer und braucht deshalb seineZeit», erklärt Benno Furrer. Ganz ein-fach ist die Probeentnahme nicht:Hurni kommt ins Schwitzen, wie erüber Leitern auf die Balken klettertund sich mit dem speziellen Bohrerdurch hartes Holz kämpft. (GS)

So lässt sich das Alter bestimmenDENDROCHRONOLOGISCHE UNTERSUCHUNG