Samurai – eine Kunst zu leben und zu sterben Krieger des alten Japan... · 13 „Der Weg des Samurai liegt im Tod.“ Aus dem Hagakure1 Samurai – eine Kunst zu leben und zu sterben

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    Der Weg des Samurai liegt im Tod.Aus dem Hagakure1

    Samurai eine Kunst zu leben und zu sterben

    Der Samurai gilt in der Kriegertradition Japans als Urbild des tapferen, ein-zelgngerischen und romantischen Menschen, der treu ist bis zu seinem Tode. Fr unzhlige Generationen von Japanern war dieser Kriegertypus, der sich zugleich durch Stolz und Bescheidenheit, durch Kraft und Empfi ndsamkeit auszeichnete, ein Muster der Tugendhaftigkeit. Whrend 700 Jahren spielten die Samurai eine entscheidende Rolle in der bewegten Geschichte ihres Lan-des. Sie brachten Frstenfamilien an die Macht und strzten sie. Sie schlugen sich im Dienste rivalisierender Parteien, sie trotzten auf allen Schlachtfeldern dem Tode und lebten nach ihren eigenen Regeln.

    Das Wort Samurai entwickelte sich phonetisch aus saburai, das wiederum abgeleitet ist von sabura, zur Seite stehen, bewachen, dienen. Der Begriff kam zwischen dem 9. und dem 11. Jahrhundert auf. Als Samurai wurde zu-nchst eine Elite bezeichnet, die aus den Familien der groen Lehnsherren des Landes stammte und unter denen jene ihre Vasallen auswhlten. Die ersten Samurai waren demzufolge von geringer Zahl, und jeder von ihnen verfgte ber eigene Truppen. Sie waren damit den Grafen des europischen Mittelal-ters vergleichbar. Diese Vertreter des Kriegeradels (buke) standen anfangs im Schatten der kaiserlichen Macht. Im 12. Jahrhundert nderten sich jedoch die Machtverhltnisse. Im Ergebnis verheerender Brgerkriege wurde einer der ihren zum Shgun2 und damit zum tatschlichen Machthaber im Lande. Nachdem der Klan der Minamoto (auch Genji3 genannt) den mchtigen Tai-ra-Klan (auch als Heike-Klan4 bezeichnet) vernichtend geschlagen hatte, wur-

    1 Yamamoto, Tsunetomo: Hagakure. Die Weisheiten des Samurai. Erftstadt: Area 2006. Die-ses Zitat wird mitunter auch mit Der Weg des Samurai liegt im Sterben bersetzt. Anm. d. bers.2 Shgun: jpn. Japanischer Militrtitel fr Anfhrer aus der Kriegerkaste der Samurai. Ursprng-lich entsprach der Rang eines Shguns etwa dem eines europischen Herzogs. Im Laufe der Zeit wurde der Shgun jedoch zum eigentlichen Herrscher Japans, der die faktische Macht im Lande innehatte, whrend der Kaiser (Tenn) nur noch eine symbolische Machtposition einnahm. 3 Genji: Sinojapanische Lesart der chinesischen Schriftzeichen (kanji) fr Minamoto (gen) und Familie (uji oder ji). 4 Heike (auch Heishe): Sinojapanische Lesart des chinesischen Schriftzeichens fr Taira.

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    de im Jahre 1192 das Oberhaupt des Siegerklans, Minamoto-no-Yoritomo, zum Seii Taishgun ernannt, d. h., zum Oberbefehlshaber mit dem Auftrag, die Barbaren zu unterwerfen. Damit hatte das Zeitalter der Krieger (buke jidai) begonnen, das erst 1868 zu Ende ging. Dieses Zeitalter lt sich in zwei Epochen unterteilen: Die ersten vier Jahrhunderte (1192-1603), die ren Ka-makura, Muromachi und Azuchi-Momoyama, waren geprgt durch zahlrei-che Brgerkriege, in denen die Kriegerklane miteinander um die Macht strit-ten. Das ganze Land wurde durch Feuer und Schwert verwstet. Mit Anbruch der Tokugawa-ra, die von 1603 bis 1868 andauern sollte und die durch Tokugawa Ieyasu gegrndet wurde, stabilisierten sich die Machtverhltnisse, und die Kaste der Samurai wurde gezwungen, sich zu disziplinieren. Dieses Zeitalter fand 1868 mit der Meiji-Revolution ein Ende. Unter Fhrung des jungen Kaisers Mutsuhito begann eine grundlegende Modernisierung des Landes. Die Samurai wurden hierfr nicht mehr bentigt, und somit endete unwiderrufl ich ihre Zeit.

    Es waren vor allem die Samurai der Tokugawa-ra, die als Typus ihrer Gat-tung in das Bewutsein des Volkes eingingen. Diese Zeit wurde durch starke Zentralisierung der Regierungsgewalt geprgt. Whrend die Kaiser in Kyto residierten, regierten die Shgune das Land von der Stadt Edo aus, dem heu-tigen Tokio. Den Tokugawa gelang es, im ganzen Land den Frieden durchzu-setzen. Dieser Pax Tokugawa, der vom Shgun auferlegt wurde, sttzte sich vor allem auf die unter seiner Kontrolle stehenden lokalen Herrscher, die in Burgen lebenden Daimy5. Den Samurai wurde somit mehr und mehr die Grundlage ihrer Existenz genommen, denn sie lebten fr den Kampf.

    5 Daimy: jpn. groer Name. Bezeichnung fr einen groen Lehnsherren bzw. Militrgou-verneur im japanischen Mittelalter. Ursprnglich wurde damit eine Person bezeichnet, die eine Flche urbar gemacht hat, welche gro genug fr die Anlage eines Reisfeldes war und deren Eigentmer sie wurde. Um diese Lndereien von denen des Staates (kden) zu unterscheiden, bezeichnete man sie als myden. Der Eigentmer wurde dementsprechend als Myju bezeich-net. Solange das Eigentum vom Umfang her wenig bedeutend war, wurde er Shomy genannt. Besitzer bedeutender Lndereien hieen Daimy. Im Mittelalter wurden aus den Bezeichnun-gen Shomy und Daimy Titel, welche Familien des Militradels (buke) vorbehalten waren, die ab dem 10. Jahrhundert im Rang ber den Adelsfamilien (kuge) standen. Die Lndereien der Daimy wurden echte Lehnsgter, auf denen sie Festungen errichteten und Armeen, die durch Samurai angefhrt wurden, unterhielten. Zur Zeit des Pax Tokugawa gab es 327 dieser groen Lehnsgter, mit 3 Millionen Kriegern, unter ihnen 500 000 Samurai. Die Bevlkerungszahl Japans zu jener Zeit betrug 20 Millionen. Habersetzer, R. u. G.: Encyclopdie des Arts Mar-tiaux. Paris: Amphora 2004.

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    Die Zeiten waren gnstig fr den Stand der Kaufl eute, die immer reicher wurden, whrend die Krieger mehr und mehr ohne Beschftigung waren und in Vergessenheit, schlielich gar ins Elend gerieten. Erstaunlicherweise entstand gerade in jener Epoche das romantische Bild des Samurai als Heldentypus, und das bushid6, das seine Lebensregel, seinen Ehrenkodex darstellte, wurde popu-lr. Da solch eine verklrte Darstellung der Vergangenheit, die half, die Ge-genwart zu ertragen, sich verbreitete, lag nicht zuletzt darin begrndet, da sie sehr gut ins Konzept der Machthaber pate. Die Tokugawa-Shgune waren zu allen Zeiten darauf angewiesen, da die Samurai ihnen auch unter den widrig-sten Bedingungen treu und ergeben blieben. Sie waren der beste Garant dafr, da ihre Herrschaft im Lande bestehen blieb. Nachdem nun die Zeit der un-aufhrlichen Kriege zwischen den rivalisierenden Klanen vorber war, muten andere Mglichkeiten gefunden werden, den Samurai einen Daseinszweck zu vermitteln. Ihre gewaltige Energie mute so gelenkt werden, da sie den Herr-schenden nicht gefhrlich wrde. Zum einen wurde daher der Umgang mit den Waff en auf die Art kodifi ziert, wie sie oft auch heute noch in den japanischen Kampfknsten besteht. Auf diese Weise entwickelten sich zunchst das bugei7 und daraus das bujutsu8, die Techniken des Kriegers, und schlielich bildete sich das bud9 heraus, der Weg des Kriegers. Zum anderen frderte das Shgunat

    6 Bushid: jpn. Weg (d) des Kriegers (bushi). Ehren- und sozialer Verhaltenskodex der Berufs-krieger. Das Konzept entwickelte sich seit dem 12. Jahrhundert mit dem Weg des Bogens und des Pferds (kyba-no-michi), der eine erste formulierte Ethik des japanischen Kriegers darstell-te. Whrend des Gempei-Krieges (vgl. S. 25 ff .) fl ossen Elemente der Shint-Religion ein, wo-hingegen mit Beginn des Tokugawa-Zeitalters (1603) zunehmend Lehren des Konfuzianismus und des Zenbuddhismus Eingang in den Ehren- und Verhaltenskodex der japanischen Krieger fanden. Der Begriff bushid tritt zum ersten Mal im 17. Jahrhundert auf. Habersetzer, R. u. G.: Encyclopdie des Arts Martiaux. Paris: Amphora 2004.7 Bugei: jpn. Methode fr den Kampf. Bu bedeutet kriegerisch, gei bedeutet Kunst. Gesamtheit der Techniken, die durch die Krieger (bushi) des hohen japanischen Mittelalters eingesetzt wurden. Diese Techniken waren kodifi ziert und muten grndlich erlernt werden. Unter dem Einfl u ethischer Lehren entwickelte sich das bugei zu bud. Habersetzer, R. u. G.: Encyclopdie des Arts Martiaux. Paris: Amphora 2004.8 Bujutsu: jpn. Kampftechniken oder Techniken des Kriegers. Gesamtheit der Techniken, deren sich die Krieger des alten Japan bedienten, um den Feind auf dem Schlachtfeld zu besie-gen. Habersetzer, R. u. G.: Encyclopdie des Arts Martiaux. Paris: Amphora 2004. 9 Bud: jpn. Weg des Kampfes oder Weg des Kriegers. Zusammengesetzt aus bu (kriege-risch) und d (Weg). Gesamtheit der japanischen Kampfknste, die als ethischer Weg (d oder michi) praktiziert werden, als Weg zur Vervollkommnung des Menschen auf der Suche nach sich selbst. Habersetzer, R. u. G.: Encyclopdie des Arts Martiaux. Paris: Amphora 2004.

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    die hhere Bildung der Samurai, mit dem Ergebnis, da aus ihren Reihen viele Dichter hervorgingen. Auf diese Weise wurde der Samurai des klassischen Zeit-alters geboren. In den Zeiten der Brgerkriege hatte er die berlebensregeln ge-lernt, die ihn noch immer zu einem furchteinfl enden Wesen machten. Aber zu seinem unerschtterlichen Siegeswillen war Eleganz hinzugetreten, seine Ge-waltttigkeit war gezhmt worden er wurde ein zivilisierter Mensch.

    Der Typus des Samurai hat sich also im Laufe der Geschichte gewandelt. Doch sein Wesenskern blieb unverndert: Der Samurai lebte, um zu dienen, allen Widrigkeiten zum Trotz und bis in den Tod hinein. Wenn es geschah, da seine Bindung zu seinem Herren verlorenging, weil z. B. der Klan, dem er diente, im Kriege unterging und aufhrte zu existieren, wurde der Samurai zum Rnin10. Befreit von seinem Eid und seiner Pfl icht, wurde er entweder zum Verteidiger der Schwachen oder aber zum Wegelagerer. Sein ganzes Ver-mgen, das er stets bei sich trug, waren seine Waff en. Der Rnin, der zum Helden vieler Romane wurde, trat mitunter auf seinen Reisen in verschiede-nen dj11 als Lehrer auf und vermittelte seine Kampferfahrungen. Manchmal grndete er auch eine eigene Kampfschule (ry), fr gewhnlich auf dem Ge-biet des Schwertkampfes (kenjutsu).

    Mit der Zeit ff nete sich die Samurai-Elite der ersten Jahrhunderte, so da auch Menschen aus nichtaristokratischen Schichten Zugang zu ihren Kreisen fanden. Die soziale Herkunft wurde zweitrangig bei der Rekrutierung neuer Samurai. Was zhlte, waren allein die Tapferkeit im Kampf und die Bereit-schaft, sich fr den Herrn, an den sie sich banden, aufzuopfern. Im Lauf der Zeit fhrte diese Entwicklung zu einem gewissen Verfall der sehr strengen Sitten, die einst dazu gefhrt hatten, da die alte Kriegerkaste zu solch einer

    10 Rnin: jpn. Wellenmann, d. h., jemand, der wie eine Welle umherschweift und getrieben wird. Ursprnglich bezeichnete der Begriff Bauern, die sich, um die Zahlung von Steuern zu umgehen, auf herrenlosen Lndereien niedergelassen hatten, auf die weder Adelsherren noch Klster Ansprche hatten. Whrend des Tokugawa-Shgunats (1603-1868) verstand man un-ter Rnin Berufskrieger (Samurai), die keine Herren besaen, da sie entweder aus ihrem Klan ausgeschlossen worden waren oder keine Anstellung fanden, oder weil die Familie ihres Herren durch Kriegshandlungen oder durch kaiserliche Ungnade vernichtet worden war. Da sie ohne Verpfl ichtungen waren, gingen diese Krieger auf Wanderschaft. Manche von ihnen wurden Wegelagerer, andere Leibwchter, wieder andere, wie z. B. der berhmte Miyamoto Musashi, grndeten Kampfkunstschulen. Habersetzer, R. u. G.: Encyclopdie des Arts Martiaux. Paris: Amphora 2004.11 Dj: jpn. Ort des Weges. Raum, in dem Kampfknste gebt werden.

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    Ob er sich nun auf dem Kriegspfad befand oder nicht, der Samurai hatte stets das Recht auf uere Zeichen seines besonderen Standes. Eines dieser Vorrech-te bestand darin, in der Stadt den hakama tragen zu drfen, einen bis zu den Kncheln reichenden Hosenrock. Ein weiteres Privileg bestand darin, ein Paar Schwerter unterschiedlicher Lnge, daish genannt, zu tragen. Das katana war das Langschwert, und das wakizashi das Kurzschwert. Die Schwerter steckten im Grtel, und ihre Schneiden zeigten nach oben, so da es unmittelbar nach dem Ziehen des Schwertes mglich war, damit einen Schnitt auszufhren (iai-jutsu). Der Schdel des Samurai war von vorn bis zur Kopfmitte rasiert. Das Haar trug er sorgfltig geknotet und nach hinten frisiert. Dieser Haarknoten (chonmage) wurde abgeschnitten, sobald der Samurai in den Ruhestand trat oder zum Rnin wurde. Wenn er in den Kampf zog, trug der Samurai eine Rstung (yoroi, spter den leichteren dmaru), die im Vergleich mit den Panzerungen europischer Ritter relativ wenig wog, dafr aber auch leichter zu durchdringen war. Sie bestand aus lackierten Eisenplatten oder aus beweglich angeordneten Lederplttchen, die sich manchmal berlagerten und die miteinander durch farbige Bnder verbunden waren (die Farbe war das Unterscheidungsmerkmal fr die Zugehrigkeit zu einem bestimmten Klan). Auf dem Kopf trug er einen Eisenhelm (kabuto) mit Visier und einem groen Nackenschutz. Geschmckt war der Helm mit Flgeln, Hrnern oder sogar mit der Nachbildung eines Tieres in Bronze oder Leder. Manchmal bedeckte eine Maske aus Metall oder Leder das ganze Gesicht (smen), oder, was hufi ger der Fall war, die untere Gesichtshlfte (menpo). Die Maske sollte sowohl das Gesicht schtzen als auch furchteinfl end auf den Gegner wirken. Es war blich, da der Samurai sich

    Samurai-Helm.

    Gre und Reinheit gelangen konnte. Doch trotz dieser Demokratisierung unterschied sich ihre Klasse nach wie vor aufs deutlichste von der der ge-whnlichen Krieger. Letztere wurden als unwrdiges Fuvolk (ashigaru) be-trachtet. Die ashigaru waren wesentlich leichter bewaff net, und in Schlachten wurden sie als Hilfstruppen eingesetzt. Ihr Motiv fr den Kampf waren eher die bei Plnderungen zu erwartenden Gewinne als die Ehre.

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    Ankleiden eines Samurai.

    vor der Schlacht schminkte und parfmierte, damit er im Falle seines Todes ein schnes Haupt auf dem Schlachtfeld zurcklassen konnte. Entweder auf dem jimbaori, einer rmellosen Weste, die der Samurai ber der Rstung trug, oder auf einem Wimpel (sashimono) an einem Schaft, der am Rckenteil der Rstung befestigt war, waren Wappen (mon) gestickt. Auf diese Weise konnte man stets die Familie oder den Klan, dem der Samurai angehrte, erkennen.

    Die Geschichte kndet durchaus auch von Niedertracht, Korruption, Treue-bruch, Intrigen und unntigen Grausamkeiten von Seiten der Samurai. Dies mag das Bild vom edlen Samurai trben, aber nichtsdestotrotz berwogen andere, weit positivere Eigenschaften bei der Mehrzahl dieser hartgesottenen Mnner, die dem Leid mit Hrte begegneten und Schicksalsschlge ergeben hinnahmen. Tatschlich bedeutete das Dasein als Samurai in erster Linie eine Lebenskunst. Je tapferer diese Krieger waren, desto feinfhliger waren sie auch. Ihre Empfi ndsamkeit war oft auerordentlich, aber sie wuten ihre Gefhle zu beherrschen, denn niemals durfte es soweit kommen, da ein Sa-murai das Gesicht verlor.

    Der klassische Samurai war sehr empfnglich gegenber den pathetischen Aspekten der Dinge (mono-no-aware) und der unabwendbaren Macht des Schicksals (Karma)12. Den Verlierern (hgan biiki) galt sein tiefes Mitgefhl.

    12 Karma: Sanskrit. Gesetz der Kausalitt, gem welchem alle Handlungen, Worte und Gedan-ken ber eine Dichte und eine dynamische Kraft verfgen, die im Verlauf aufeinanderfolgender Existenzen (Samsura) zum Ausdruck gebracht wird, bis das Karma vollstndig aufgebraucht (zerstrt) ist, was zur endgltigen Erlsung (Nirwana) fhrt. Dieses religise und philosophische Konzept stammt aus dem Hinduismus (Upanishaden) und wurde von Buddhismus und Zen bernommen. Habersetzer, R. u. G.: Encyclopdie des Arts Martiaux. Paris: Amphora 2004.

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    Es konnte geschehen, da er von einer Welle der Melancholie berrollt wurde, so da man ihn kaum wiederzuerkennen vermochte. Er konnte dann pltz-lich zerbrechlich wie ein Kind sein, und er verwandelte sich in einen Dichter oder einen Musiker. Der traditionelle Typus des Samurai entsprach weder ei-nem mit allen Wassern gewaschenen Haudegen noch einem bernatrlichen, wie aus Stein gemeielten Heldenwesen. Falls er dennoch in den Augen der anderen wie ein bermensch wirkte, so lag das daran, da er aufgrund seiner speziellen Ausbildung in der Lage war, Herr seiner Schwchen zu sein und auf auerordentliche Kraftreserven zurckzugreifen.

    In der Anfangszeit der Geschichte der Samurai war die Ausbildung zwei-felsohne sehr spartanisch und darauf ausgerichtet, die fr den Kampf ntigen Refl exe zu entwickeln. Aber es ging stets auch darum, den Lernenden fr Kunst, Kultur und Religion empfnglich zu machen, fr eine Philosophie, die danach strebte, den Menschen in ein harmonisches Verhltnis zum ge-samten Universum zu stellen. Dieser Harmonie sollte die echte Eff ektivitt entspringen, sowohl auf dem Schlachtfeld als auch in Bezug auf alle anderen Dinge. Shintismus, Konfuzianismus und schlielich der Zenbuddhismus beeinfl uten diese Menschen, die es gewohnt waren, dem Tod ins Auge zu blicken, zutiefst. Die Erfahrung, immer wieder mit den Schrecken des Krie-ges konfrontiert zu werden und immer wieder dem Tode knapp zu entrinnen brachte sie dazu, nach einem aufs uerste verfeinerten Leben zu streben und es wertzuschtzen. Das Bewutsein, jeden Augenblick vom Tod ereilt werden zu knnen, lie sie in Friedenszeiten nach Luxus und Eleganz trachten. Diese unerschrockenen Krieger waren stheten, wenn die Umstnde es erlaubten. Sie lebten ganz im Augenblick, sowohl in der Schlacht als auch im Alltag. Die Liebe zur Schnheit und der Wunsch nach Vollendung fanden selbst in ihrer Bewaff nung Ausdruck. Auch wenn der eigentliche Zweck der Waff en darin bestand, mit ihnen den Gegner zu besiegen, wurden sie im Laufe der Zeit zu echten Kunstwerken. Auf diese Weise wollten sie sogar dem Tode Schnheit verleihen, denn der Tod war der wahre Begleiter der Samurai. Er wich ihnen nie von der Seite, er war Teil ihres Lebens. Von frhester Jugend an bereiteten sie sich auf ihn vor, und durch diese Vertrautheit mit ihm nahmen sie ihm den Charakter der Bestrafung, des Bruchs. In gewisser Weise gelang es ihnen, den Tod zu zhmen. Er stand ihnen zeit ihres Lebens zur Verfgung.

    Samurai sein bedeutete auch, zu sterben zu wissen. Jeder Samurai lernte bereits in jungen Jahren, wie man gut stirbt, den Regeln entsprechend und

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    derte entwickelte sich auf diese Weise ein ganzer Kodex des freiwilligen Todes, des Todes als ff entliches Schauspiel, bei dem man sich den Bauch aufschnitt. Das Ritual war bis in die Einzelheiten festgelegt, und es verlieh den letzten Augenblicken des Samurai, der beschlossen hatte, auf diese Weise aus dem Le-ben zu scheiden, eine ethische Dimension, die seiner Kultur entsprach. Dieses Ritual wurde seppuku genannt. Bekannter ist es unter dem volkstmlichen Begriff des hara kiri, was wrtlich den Bauch aufschneiden bedeutet; der Bauch wurde als Sitz des Atems und der Lebensenergie betrachtet.

    Seppuku wurde mit dem kleineren der beiden Schwerter des Samurai durch-gefhrt oder mit einem Dolch (tant). Nachdem er wie es blich war ein Abschiedspoem verfat hatte, kniete sich der Samurai nieder. Sein Oberkrper war frei. Er schnitt sich den Bauch von links nach rechts auf und vollendete die Bewegung, indem er die Klinge in der Wunde nach oben drehte und so die Schnittwunde vergrerte. Wenn er danach noch die Kraft dazu hatte, zog er die Klinge wieder heraus, um sie sich ins Herz oder in die Kehle zu sto-en. Die Tradition verlangte, da man es dem Mann berlie, seinen Schmerz zu beherrschen und da niemand eingreifen durfte, bevor das Ritual nicht

    in der richtigen Haltung. Nichts durfte dem Zufall berlassen werden, oder zumindest so wenig wie mglich. Der Idealfall be-stand darin, selbst den Zeitpunkt des Todes zu bestimmen, ihn sich selbst zu geben, wenn keine ande-re Mglichkeit mehr bestand, die eigene Ehre oder die des Herren zu retten. Der Freitod erfolgte auf langsame Weise und wenn mg-lich in der ff entlichkeit. Diese Todesart war ein Weg, den Le-benden seinen Mut ins Antlitz zu schleudern. Sie war auch ein Mit-tel des Protestes. Zudem gab sie alles, was sich weiterhin ans Le-ben klammerte, der Lcherlich-keit preis. Im Lauf der Jahrhun-

    Darstellung eines seppuku. Holzschnitt.

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    glcklich zu Ende gebracht worden war. Nur auf diese Weise konnte ein Mann in dieser Situation seinen Mut beweisen, und nur, wenn ihm dies ge-lungen war, konnte man ihm auch nach seinem Tode noch Respekt entgegen-bringen. Die ganze Zeit ber stand hinter dem Samurai der Assistent (kaisha-ku-nin) mit erhobenem Schwert. Aber erst ganz am Ende durfte er der Agonie des Sterbenden ein Ende setzten, indem er ihn mit einem einzigen schrgen Hieb enthauptete.13 Diese Rolle war heikel, da sowohl ein zu frhes als auch ein zu sptes Eingreifen falsch gewesen wre. Der seppuku begehende Samurai mute durch leichtes Neigen des Hauptes anzeigen, da er seine Tat vollendet hatte, erst dann durfte der kaishaku-nin seine Aufgabe erfllen. Als kaishaku-nin agieren zu drfen, galt als auerordentliche Ehre, und in der Regel wurde sie nur einem Verwandten oder einem sehr engen Freund zuteil. Eine Variante des rituellen Selbstmordes war das junshi. Es bedeutete, da ein Samurai das seppuku ausfhrte, um seinem Herren in den Tod zu folgen, denn es hie, da ein Samurai in seinem Leben nur einem einzigen Herren dienen sollte.

    All die Tugenden, die den Weg des Kriegers (bushi-no-michi) ausmachten und dem Wort des Kriegers (bushi-no-ichi gon) Gewicht verliehen, wie auch die Kunst, gut zu leben und zu sterben, waren Bestandteil des Ehrenkodex der Samurai. Im 17. Jahrhundert kam hierfr der Begriff bushid auf. Zuvor sprach man vom shid, dem Weg des Edelmannes, vom mononofu-no-michi, dem Weg des Kmpfers, vom masurao-no-michi, dem Weg des Helden oder auch vom kyba-no-michi, dem Weg des Bogens und des Pferdes. Der Begriff bushid, Weg des Kriegers, vereinte all diese alten Begriff e und ersetzte sie schlielich. Aus dem 17. Jahrhundert stammen auch die ersten schriftlichen Aufzeichnungen zu dieser Th ematik. Zuvor war das Wissen ausschlielich mndlich berliefert worden. Die erste systematische Darstellung der Kon-zepte des Weges der Krieger stammt aus der Feder von Yamaga Sok (1622-1685). Sein Werk ist eine komplexe und detaillierte Darstellung der morali-schen Prinzipien, nach denen ein Krieger sich streng zu richten hatte. Dies bezog sowohl die Ausbung des Waff enhandwerks als auch die anscheinend unbedeutendsten Einzelheiten des tglichen Lebens mit ein, fr alles wurde klar defi niert, was richtig und was falsch sei. Auch verlangte er, da ein Krie-ger dem Tode gegenber bewut gleichgltig zu sein habe.

    13 Teilweise wurde auch verlangt, da das Haupt dabei nicht vollstndig abgeschlagen wrde, son-dern da ein Hautlappen es am Ende noch mit dem Rumpf verbinden sollte. Anm. d. bers.

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    Aber erst in der ra der Tokugawa kam es zur Blte des bushid-Konzepts. Anfang des 18. Jahrhunderts, im Jahre 1716, erschien ein Werk, das ein gro-er Klassiker werden sollte: das Hagakure. Hierbei handelt es sich um die gesammelten Schriften des Samurai Yamamoto Tsunetomo (1659-1719), her-ausgegeben durch Tashiro Tsuramoto. Das Hagakure14 (Verborgen unter den Blttern) bringt auf vollendete Weise den Samurai-Geist zum Ausdruck. Im Mittelpunkt des Werkes stehen die Tugenden, die dem Leben eines Kriegs-mannes seinen Sinn verleihen: Dazu zhlten giri (Pfl icht), y (Mut), enryo (Todesverachtung), reigi (Hfl ichkeit), makoto (Aufrichtigkeit, Wahrheitslie-be), hont (Tatschlichkeit), chgi (Loyalitt, absolute Treue), gishi (Recht-schaff enheit), shiki (Entscheidungskraft), niny (Menschlichkeit), bushi-no-nasake (Mitgefhl), dory (Edelmut) und ansha (Freigebigkeit). All diese Wer-te beruhten auf folgendem Grundsatz: Wenn der Samurai sich zu jeder Zeit selbstkritisch beobachtet und wenn er darber hinaus bereit ist, sein Leben zu lassen, wann und wo dies erforderlich ist, wird er in allen Kampfknsten vollendet sein, und er wird ein Leben fhren, das rein ist wie ein Diamant. Diese Ideen lebten im japanischen Geiste fort, selbst nach der kaiserlichen Restauration von 1868 (meiji jidai).

    Dennoch nderte sich der Status der Samurai mit der Meiji-Restauration radikal. Sie verloren ihre Privilegien, ihren Daseinsgrund. Das neue Japan hatte sich fr eine Armee modernen Typus entschieden, die auf der Zahlung von Sold beruhte und nicht mehr auf dem Schwur der Samurai, der sie zu lebenslanger Treue einem einzigen Herren gegenber verpfl ichtete. Insbe-sondere wurde ihnen das Tragen der Schwerter verboten (haitrei-Edikt von 1876). Dieser Angriff auf die geheiligte Tradition des yamato kokoro (Geist des alten Japan) stie auf Unverstndnis und fhrte zu Unruhen und off enem Aufruhr. Der bekannteste dieser Aufstnde war die Satsuma-Rebellion (Satsu-ma-no-ran) unter Saig Takamori. Aber die Neuausrichtung der japanischen Gesellschaft erwies sich als unumkehrbar. 1872 wurde der Status des Samurai abgeschaff t, und die ehemaligen Krieger wurden nun entweder den Shizo-ku (Adlige) oder den Heimin (Brgerliche) zugeordnet. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts, als die Bevlkerung Japans 20 Millionen zhlte, gab es 500 000 Samurai. Zur Zeit der Meiji-Reform gab es bis zu 2,1 Millionen Shizoku, whrend die Einwohnerzahl des Landes auf 46,6 Millionen gestiegen war.

    14 Siehe Funote 1 auf S. 13.

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    Publikum zum Trumen, und auch aus den alten populren Romanen, Mr-chen und Legenden sind diese Krieger des alten Japan nicht wegzudenken.

    In diesem Buch werden nun einige der Heldentaten der Samurai, die in den Augen ihrer Zeitgenossen oft an Zauberei grenzten, erzhlt. Bis heute werden sie als Heilige, Heroen, Unbesiegbare angesehen, und man sagte ber sie, da ein einziger von ihnen tausend gewhnliche Kmpfer aufwog.

    15 Kabuki: jpn. Epischer Th eaterstil, der im 17. Jh. entstanden ist. In den kabuki-Th eaterstk-ken werden Geschichten ber die Taten der historischen Helden Japans in farbenprchtiger und realittsnaher Darstellung aufgefhrt. Habersetzer, R. u. G.: Encyclopdie des Arts Mar-tiaux. Paris: Amphora 2004.N: jpn. Im 14. Jh. entstandener lyrischer Th eaterstil. Traditionell wurden n-Th eaterstcke nur von Mnnern gespielt bzw. getanzt und musikalisch begleitet. Meist trgt der Hauptdar-steller (shite) eine Maske. Die traditionellen Th emen betreff en meist japanische oder chinesi-sche Mythologie oder Literatur. In der Edo-Zeit (1603-1868) war es ein Privileg der Samurai, n-Th eater zu spielen und es zu besuchen. Damals besaen n-Schauspieler den erblichen Sa-muraistatus. Anm. d. bers.

    Samurai in der Schlacht, mit blank gezogenem katana und einem sashimono auf dem Rcken.

    Allen Reformen zum Trotz ist die japanische Kultur noch heute von den Werten, denen die Samurai einst ihr Leben ver-schworen hatten, durchdrun-gen, wenn dies auch manchmal nicht ohne weiteres erkennbar ist. Sie waren bereits die Helden der melancholischen Balladen, die die im Mittelalter von Burg zu Burg ziehenden japanischen Troubadoure, die biwa hshi, begleitet von Lautenmusik zum besten gaben. Und noch immer bringen die Schauspieler der kabuki- und n-Th eater15 mit den beispielhaften Lebensge-schichten der alten Samurai ihr