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6 wettbewerbe 323 Porträt Der European Prize for Architecture ist laut Pressemel- dung „Europe‘s most prestigious prize“ und „Europe‘s Highest Award“. Vergeben wird er vom Architektur- und Designmuseum Chicago Athenaeum und dem Euro- pean Centre for Architecture Art Design and Urban Studies aus Dublin. Dessen Aufgabe ist eher allgemein definiert: „The mission of the European Centre is to improve all aspects of the human and urban experi- ence by promoting greater public awareness and the broader appreciation and importance of architecture, design, art, and urban planning.“ Letztes Jahr erhielt die Auszeichnung Alessandro Mendini, davor Bjarke Ingels, die Berliner graft, das norwegische Büro TYIN Tegnestue und der Finne Marco Casagrande. Die diesjährige Ver- gabe des Preises an Calatrava lässt Raum für Überlegun- gen grundsätzlicher Art. Der erste Stararchitekt Der 1951 in Valencia geborene Santiago Calatrava Valls war einer der ersten seines Fachs, denen das Label „Star- architekt“ aufgedrückt wurde. Die Presseaussendung zum nun vergebenen Preis bezeichnet seine Architektur als „neo-futuristic“ – was von einer erstaunlichen Unkennt- nis der Prinzipien des Futu- rismus zeugt – sowie „visio- nary“, „utopian“ und „iconic“. Was genau ist nun die Vision, die Utopie in Calatravas Ar- chitektur, die ferner, gemäß der Eigendefinition des Preises, außerdem als „deeply humane and committed to forward the principles of Eu- ropean humanism“ betrach- tet wird? Iris Meder SANTIAGO CALATRAVA: EIN BESSERER HUNDERTWASSER? In Architektenkreisen gilt der mit zahllosen Würdigun- gen und Ehrendoktoraten ausgezeichnete Calatrava heute als besserer Hundertwasser, als Designer des schnellen, populären Wow-Effekts und Aha-Erlebnisses an der Grenze zum Kitsch, beliebt bei Laien, nicht ernst genommen von der Fachwelt. Das war nicht immer so. Ursprünglich als Bauingenieur ausgebildet, stand Calatrava in den 1980er und 1990er Jahren vor allem für hochelegante Brücken und Bahnhöfe; sein größter Triumph waren die Bauten für die Olympischen Spiele in Barcelona. Leicht wiedererkennbare Markenzeichen Calatravas sind seither, kurz gesagt, Konstruktionen in der Art weißer Vogelgerippe, die, mit Glas ausgefacht, unterschiedliche öffentliche Funktionen aufnehmen. Konstruktive Fehlplanungen Nicht nur wegen seiner zunehmend eher auf Effekte als auf Funktionalität und Praktikabilität abzielenden Signature-Architektur ist Calatrava in den letzten Jahren in die Kritik geraten: Seine spektakulären Bauten haben sich mehr als einmal als massive konstruktive Fehlpla- nungen erwiesen. 2,96 Millionen Euro Schadensersatz – die Differenz aus einer errechneten Entschädigung von 10,24 Millionen und seinem Honorar von 7,28 Millionen – muss Calatrava der spanischen Stadt Oviedo zahlen, nachdem aufgrund von Planungsfehlern während der Bauphase u. a. Dachteile des Kongresspalasts einge- stürzt waren. Nachdem es in das Opernhaus in Valencia stark hineinregnet, mag ihm auch seine Heimatstadt keine Aufträge mehr erteilen. Auf der Calatrava-Brücke in Bilbao rutschen reihenweise Fußgänger aus, und der Fußgängersteg beim Bahnhof in Venedig wurde 2009 nach zwölfjähriger Planungszeit ohne Festakt seiner Bestimmung übergeben, nachdem schwere statische Mängel die Konstruktion zu einem hochriskanten Unter- nehmen gemacht hatten. Calatrava gilt in Venedig seit- Die Zubizuri-Fußgängerbrücke in Bilbao (1997, dahinter zwei Türme von Arata Isozaki). Beim Palau de les Arts, Valencia (2005) regnete es herein. © iStock Foto: Enta Yang Foto: Wikimedia CC 3.0 Der katalanische Bauingenieur und Architekt Santiago Calatrava ist mit dem Europäischen Architekturpreis 2015 ausgezeichnet worden. Was genau ist nun die Vision in seiner Architektur?

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Der European Prize for Architecture ist laut Pressemel-

dung „Europe‘s most prestigious prize“ und „Europe‘s

Highest Award“. Vergeben wird er vom Architektur- und

Designmuseum Chicago Athenaeum und dem Euro-

pean Centre for Architecture Art Design and Urban

Studies aus Dublin. Dessen Aufgabe ist eher allgemein

definiert: „The mission of the European Centre is to

improve all aspects of the human and urban experi-

ence by promoting greater public awareness and the

broader appreciation and importance of architecture,

design, art, and urban planning.“ Letztes Jahr erhielt die

Auszeichnung Alessandro Mendini, davor Bjarke Ingels,

die Berliner graft, das norwegische Büro TYIN Tegnestue

und der Finne Marco Casagrande. Die diesjährige Ver-

gabe des Preises an Calatrava lässt Raum für Überlegun-

gen grundsätzlicher Art.

Der erste Stararchitekt

Der 1951 in Valencia geborene Santiago Calatrava Valls

war einer der ersten seines Fachs, denen das Label „Star-

architekt“ aufgedrückt wurde. Die Presseaussendung

zum nun vergebenen Preis bezeichnet seine Architektur

als „neo-futuristic“ – was von

einer erstaunlichen Unkennt-

nis der Prinzipien des Futu-

rismus zeugt – sowie „visio-

nary“, „utopian“ und „iconic“.

Was genau ist nun die Vision,

die Utopie in Calatravas Ar-

chitektur, die ferner, gemäß

der Eigendefinition des

Preises, außerdem als „deeply

humane and committed to

forward the principles of Eu-

ropean humanism“ betrach-

tet wird?

Iris Meder

SANTIAGO CALATRAVA: EIN BESSERER HUNDERTWASSER?

In Architektenkreisen gilt der mit zahllosen Würdigun-

gen und Ehrendoktoraten ausgezeichnete Calatrava

heute als besserer Hundertwasser, als Designer des

schnellen, populären Wow-Effekts und Aha-Erlebnisses

an der Grenze zum Kitsch, beliebt bei Laien, nicht ernst

genommen von der Fachwelt. Das war nicht immer

so. Ursprünglich als Bauingenieur ausgebildet, stand

Calatrava in den 1980er und 1990er Jahren vor allem

für hochelegante Brücken und Bahnhöfe; sein größter

Triumph waren die Bauten für die Olympischen Spiele

in Barcelona. Leicht wiedererkennbare Markenzeichen

Calatravas sind seither, kurz gesagt, Konstruktionen in

der Art weißer Vogelgerippe, die, mit Glas ausgefacht,

unterschiedliche öffentliche Funktionen aufnehmen.

Konstruktive Fehlplanungen

Nicht nur wegen seiner zunehmend eher auf Effekte

als auf Funktionalität und Praktikabilität abzielenden

Signature-Architektur ist Calatrava in den letzten Jahren

in die Kritik geraten: Seine spektakulären Bauten haben

sich mehr als einmal als massive konstruktive Fehlpla-

nungen erwiesen. 2,96 Millionen Euro Schadensersatz –

die Differenz aus einer errechneten Entschädigung von

10,24 Millionen und seinem Honorar von 7,28 Millionen

– muss Calatrava der spanischen Stadt Oviedo zahlen,

nachdem aufgrund von Planungsfehlern während der

Bauphase u. a. Dachteile des Kongresspalasts einge-

stürzt waren. Nachdem es in das Opernhaus in Valencia

stark hineinregnet, mag ihm auch seine Heimatstadt

keine Aufträge mehr erteilen. Auf der Calatrava-Brücke

in Bilbao rutschen reihenweise Fußgänger aus, und der

Fußgängersteg beim Bahnhof in Venedig wurde 2009

nach zwölfjähriger Planungszeit ohne Festakt seiner

Bestimmung übergeben, nachdem schwere statische

Mängel die Konstruktion zu einem hochriskanten Unter-

nehmen gemacht hatten. Calatrava gilt in Venedig seit-

Die Zubizuri-Fußgängerbrücke in

Bilbao (1997, dahinter zwei Türme

von Arata Isozaki).

Beim Palau de les Arts, Valencia (2005) regnete es herein.

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Der katalanische Bauingenieur und Architekt Santiago Calatrava ist mit dem Europäischen Architekturpreis 2015

ausgezeichnet worden. Was genau ist nun die Vision in seiner Architektur?

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her als persona non grata, die „Brücke des Lichts“ als Glas

gewordener Alptraum mit zahllosen Pannen, Verzöge-

rungen, auf mehr als das Dreifache gestiegenen Kosten

und weiteren Schadensersatzforderungen von Seiten

der Kommune in der Höhe von 3,4 Millionen Euro.

Insofern hat die Stadt Wien wohl richtig gehandelt, als

sie den im Jahr 2008 freihändig vom damaligen Stadtrat

Rudolf Schicker an Calatrava vergebenen Auftrag für

eine Fußgängerbrücke über die Triester Straße stor-

nierte – Calatrava hatte sich

geweigert, die Kostendecke-

lung zu akzeptieren und mit

Fachleuten vor Ort zusam-

menzuarbeiten. Unmut hatte

bei Architekturschaffenden

vor allem die Umgehung

der nach Vergabegesetz

erforderlichen EU-weiten

Wettbewerbsausschreibung

durch die Stadt Wien erregt

– mit dem Argument des

Kunstcharakters der Brücke. Auch vom angekündigten

Auftrag für die U-Bahn-Station Aspern an Calatrava war

bald keine Rede mehr. „Signale“ und „Wahrzeichen“ hatte

sich Schicker für Wien erhofft und damit eine Haltung

gezeigt, die eine Stadt als touristisches Erlebnisland be-

greift, nicht ohne gebannten Blick auf den Aufschwung

Bilbaos durch ein einziges Bauwerk von Calatravas Kol-

legen Frank Gehry.

Stararchitektur als Massenbetrieb

Nun: Probleme mit Statik und eindringendem Regen

hatten auch Größen der Architekturgeschichte wie Pe-

ter Behrens und Le Corbusier, deren Bedeutung außer

Frage steht. Aber was bringt letztlich die Architektur

voran, wie es ja der Anspruch des nun an Calatrava ver-

liehenen Preises ist? Der für und von ihm selbst immer

wieder in Anspruch genommene „organische“ Charakter

seiner Entwürfe ist als Konzept auch schon bald hun-

dert Jahre alt. Calatravas zwischen Eleganz und Bom-

bast angesiedelte Bauten funktionieren, wie sich gezeigt

hat, gerade in ihrer Statik vielfach nicht und können

damit konstruktiv nicht vorbildhaft wirken. Bleibt also

der Landmark-Charakter der Bauten, der nur allzu gern

im Sinne eines City Branding eingesetzt wird. Hier beißt

sich die Katze in den Schwanz, wenn sich mehr und

mehr Städte mehr und mehr Tourismus von der Investi-

tion in einen Calatrava, Coop, Gehry oder Hadid erhof-

fen. Die immer kapitalintensiveren, spektakuläreren Pro-

jekte haben der Qualität der Architektur noch in keinem

Fall gut getan, sondern im Gegenteil austauschbare, im

schlimmsten Fall sich selbst kopierende Projekte her-

vorgebracht, deren Reiz mit zunehmender Dichte stark

abnimmt. Bei dem Massenbetrieb, als der die Büros der

Architekten-Stars unterdessen funktionieren, ist dies

wohl auch schwer anders möglich. Wie die Kriterien der

Preisvergabe für Calatrava im Detail begründet wurden,

muss offen bleiben.

Planungsfehler beim Kongresspalast von Oviedo, Spanien (2011).

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