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2012 Das Gespräch

SaTüR 2012 – Rhetorik und Gespräch

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Salzburg-Tübinger Rhetorikgespräche am 08/09 Juni 2012

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2012

Das Gespräch

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theorie trifft praxis • praxis fragt theorie

„...man muss ebenso gerne zuhören als selbst sprechen...“

Friedrich Nietzsche: Rhetorik-Vorlesungen

vermutungen der theorie • berichte aus der praxis

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Das Gespräch20

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Die Rhetorikgespräche wurden 2004 unter dem Namen „Salzburger Rhetorikgespräche“ vom Re-feratsbüro Rhetorik an der Paris-Lodron-Universi-tät Salzburg ins Leben gerufen und fanden seither jährlich statt.

2008 wurden sie erstmals vom Seminar für Allge-meine Rhetorik und dem Verein zur Förderung der Rhetorik in Wissenschaft und Praxis e.V. an der Eberhard Karls Universität Tübingen unter dem Namen „Salzburg-Tübinger-Rhetorikgespräche“ ausgerichtet und finden seitdem im jährlichen Orts-wechsel mit der Paris-Lodron-Universität Salzburg statt.

Was ist [Sa|tü|r]

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Inhaltsverzeichnis

Programmübersicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6-9

Abstracts der Vorträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10-24

Referenten und Moderatoren . . . . . . . . . . . . . . 25-27

Allgemeine Hinweise. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30-31

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Abstracts der Vorträgeund Kurzvitae (in alphabetischer Reihenfolge)

Bernd BlaseRhetorik vs. eristische Dialektik

Rhetorik und Gespräche als Symbiose umgeben uns mit all ihren Facetten, sie sind Wegbereiter, Anerkennung und deuten uns auf ein zu verwirklichendes Gesprächsziel hin. Das dritte newtonsche Gesetz, Kräfte treten im-mer paarweise auf (Aktion – Reaktion, Ursache – Wirkung), kann auch auf ein Gespräch bezogen werden: Rhe-torik erfüllt genau diese Funktion – sie stößt an, sie verändert, sie bewegt, ist zum „Verstoffwechseln“ angetreten.Nur das, was Newton nicht beschrieben hatte, war, wann kommt die angestoßene Kraft wieder zurück?Rhetorik in einem Gespräch ist wie eine ständig sich bewegende Spirale in einem „Raum“, dass sollte demjenigen bewusst sein, wer die Rhetorik gesund anwendet. Die eristische Dialektik von Schopenhauer mit ihren 38 Kunst-begriffen, um in einem Dialog oder Monolog recht zu behalten, ist ein dialektisches Instrument, welches nur das Ziel des Rechthabens verfolgt.Eristik dient als Begriff für den wissenschaftlichen Meinungsstreit, insbesondere aber auch für das Streiten um des Rechthabens willen. Recht haben wollen ist aber nicht die Essenz der Rhetorik in einem Gespräch. Dieser Vortrag wird sich mit dem geschilderten Zwischenleben von Rhetorik und Eristik im Gespräch beschäftigen.

Kurzvita: Bernd Blase, 1964, ist freiberuflicher Trainer, Dozent und Honorar-Lehrkraft.

Prof. Dr. Arnulf DeppermannRhetorik im Verständigungsprozess: Der konversationsanalytische Zugang zur rhetorischen Analyse von Gesprächen

Die von Sacks und Schegloff in den 1960er Jahren in Kalifornien begründete Konversationsanalyse hat sich seither als international anerkannteste Methodologie zur Untersuchung verbaler Interaktionen in Linguistik und Soziologie etabliert. Sie erforscht, wie GesprächsteilnehmerInnen in Aushandlungsprozessen Schritt für Schritt ihre Interaktion organisieren und dabei gemeinsam Sinn konstituieren. Grundlage dafür ist die sequenzielle Ord-nung der Interaktion, die im Nacheinander aufeinander Bezug nehmender Beiträge hergestellt wird. Der Vortrag stellt zunächst kurz das Gegenstandsverständnis, das methodische Vorgehen und einige wesentliche Befunde der Konversationsanalyse dar. Der Schwerpunkt liegt dann in der Diskussion, wie in der Sequenzialität der Interaktion Verstehen angezeigt und Verständigung hergestellt werden und welche Rolle dabei rhetorische Strategien spielen. Rhetorische Potenziale und Funktionen, aber auch kommunikative Risiken und Gefahren von sprachlich-kom-munikativen Praktiken werden durch die Reaktionen der Rezipienten fassbar und in Bezug auf ihren Beitrag zur Herstellung von Intersubjektivität bestimmbar. Anhand eines Datenausschnitts aus einer Talkshow wird dies ex-

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emplarisch an Verfahren der Themensteuerung gezeigt. Dabei wird verdeutlicht, dass in rhetorisch kompetitiven Gesprächsprozessen zwischen Verstehen und Verständigung unterschieden werden muss und dass Verstehen und rhetorischer Erfolg stets hinsichtlich spezifischer Verstehensgegenstände, die im Spannungsverhältnis zueinander stehen können, bestimmt werden muss.

Kurzvita: Prof. Dr. Arnulf Deppermann studierte Psychologie, deutsche Philologie/Sprachwissenschaft und Philosophie an der Universität Freiburg und promovierte mit der Arbeit „Glaubwürdigkeit im Konflikt. Rhe-torische Techniken in Auseinandersetzungsprozessen“. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter und Hochschul-assistent an den Universitäten in Freiburg und Frankfurt am Main. Derzeit ist er Professor für germanistische Linguistik an der Universität Mannheim und Leiter der Abteilung „Pragmatik“ am Institut für Deutsche Sprache (IDS). Außerdem ist er Herausgeber und Redakteur der Online-Zeitschrift Gesprächsforschung, Mitglied des ‚Fach-kollegs Sprachwissenschaften‘ bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und Mitglied des wissenschaft-lichen Netzwerks „construction grammar“.

Robert T. HeinemannFührung durch Kommunikation – Rhetorik im Mitarbeitergespräch

In den Unternehmen fehlt Führenden zunehmend die Zeit für Mitarbeitergespräche. Das Tagesgeschäft überrollt sie, interne Termine und Projekte haben oft eine höhere Priorität. Es wird Zeit, sich wieder auf die originäre Verantwortung als Führender zu besinnen. Der Vortrag soll auch anhand von Beispielen aus der täglichen Be-ratungspraxis sensibilisieren und Führende wie Mitarbeiter daran erinnern, welche Bedeutung das Gespräch im Miteinander hat.Der Fokus liegt nicht auf den üblichen zeitraubenden Sitzungen aller Art oder Unterhaltungen im Zusammen-hang mit fachlichen Themen, wovon es unzählige gibt. Vielmehr stehen persönliche Fragestellungen im Vorder-grund: • Wie fühlt sich der Mitarbeiter aktuell • Welche Herausforderungen gibt es momentan / sind absehbar • Wo wird Unterstützung durch den Führenden benötigt • Welche Fragen gibt es zu Aufgaben / Perspektiven / Unternehmenssituation etc.

Betrachtet wird ausschließlich das persönliche Gespräch zwischen Führenden und Mitarbeitern. Der Blick richtet sich sowohl auf firmenintern „vorgegebene“ Mitarbeitergespräche (z. B. Zielvereinbarungen, Jahresgespräche), oder regelmäßig anberaumte Treffen (wöchentlicher Jour-fixe u. ä.), wie auch situativ notwendig werdende, eher ungeplante, Unterredungen. Desweiteren wird zwischen Dialogen in normalen Zeiten und in Krisen (Schlecht-leistung, Unternehmen in der Krise etc.) unterschieden.Vielen Führenden ist intuitiv und natürlich auch intellektuell klar, dass Führung ohne Kommunikation nicht möglich ist. Insoweit darf dieses zwar als selbstverständlich gelten, beachtet und bewusst wahrgenommen wird es dennoch oft nicht. Beleuchtet wird die verbale und nonverbale Kommunikation, wobei der Schwerpunkt auf die Sprache und damit auf die verbale Kommunikation gerichtet ist.In Anlehnung an die Benediktusregel (Kapitel 2 - Über den Abt) wird auf die Bedeutung und Notwendigkeit des individuellen Führens eingegangen. Grundlage ist das Zitat aus Kapitel 2 „Muß er doch dem einen mit gewin-nenden, dem anderen mit tadelnden, dem dritten mit überzeugenden Worten begegnen. Nach der Eigenart und Fassungskraft jedes einzelnen soll er sich auf alle einstellen und auf sie eingehen.“ Dem Zuhörer soll über den Vortrag vermittelt, resp. in Erinnerung gerufen werden, dass Führung harte Arbeit ist und damit Zeit benötigt.

Kurzvita: Robert T. Heinemann, geboren 1961, studierte Verwaltungswissenschaften an der Verwaltungsakade-mie Ostwestfalen-Lippe. Der Diplom-Verwaltungswirt verfügt über langjährige Fach- und Managementerfahrung in den Bereichen Personal, Vertrieb und Finanzen. Seine Karriere führte ihn über Stationen in der öffentlichen Verwaltung und der Finanzdienstleistungsindustrie im In- und Ausland zu seiner heutigen Tätigkeit als Berater. 2009 gründete er die in München ansässige Beratungsgesellschaft Heinemann Management Consulting und berät mit seinem Team mittelständische Unternehmen mit dem Schwerpunkt Personal und Vertrieb. Er ist Experte im Bereich Führung oder Leadership-Management.

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Norbert JansenGespräche im Business – Hierarchien, Rollen und die Möglichkeiten einer Rhetorik des Dialogs im Geschäftsleben. Zur Vermittlung einer Ge-sprächskompetenz in Trainings

Das Gespräch ist unter humanistischen und demokratischen Gesichtspunkten immer auch die Möglichkeit und das Medium für ein Zusammenfinden, das Sich-Einigen, indem Konflikte, Meinungsverschiedenheiten zwar kon-trovers, aber dennoch mit dem Ziel bewältigt werden, eine Einigung zu erzielen, die für beide Seiten des Disputs einen Vorteil darstellt – sodass eine heute so genannte Win-Win-Situation gemeinsam avisiert und erzeugt werden kann, insofern beide oder mehrere Seiten es denn tatsächlich wollen. Die rhetorischen Regeln und Tugenden, wel-che dabei ins Spiel kommen oder eingesetzt werden sollten, sind die einer positiven, also konstruktiven Praxis der Verhandlung und Beratung (genus deliberativum). Im 20. Jahrhundert sind etwa Theorien der Verhandlung wie das Harvard-Konzept (Getting to Yes, R. Fisher, W. L. Ury, 1981 (dt. Das Harvard-Konzept) oder zur gewaltfreien Kommunikation (M.B. Rosenberg) dazu entwickelt worden, die das konstruktive Reden oder Verhandeln für das Schaffen eines relativ gerechten Ergebnisses empfehlen. Dasselbe gilt für Theorien zum Dialog. So hat etwa P. Ulrich, Gründer des Instituts für Wirtschaftsethik in St. Gallen, in seinem Buch „Integrative Wirtschaftsethik“ – Grundlagen einer lebensdienlichen Ökonomie –, in Anlehnung an die Diskurskonzeption von J. Habermas ein Bild des idealen Dialogs entworfen. Darin werden als basale und ideale Voraussetzungen für den Dialog etwa die Topoi Chancengleichheit, Zwanglosigkeit, Offenheit und Argumentation sowie Konsens als Ziel transportiert.Der gelingende Dialog hat sowohl einen ethischen als auch einen sprachlichen, rhetorischen Aspekt. Vorausge-setzt wird einerseits eine richtige, das heißt: demokratische oder humanistische Einstellung gegenüber der allge-meinen beziehungsweise jeweils aktuellen Lebenswelt und den Gesprächsteilnehmern. Grundsätzlich beachtet ja die theoretische Rhetorik diesen ethischen Aspekt immer mit, was bereits im antiken Ideal des vir bonus (Quin-tilian) formuliert worden ist.Der rhetorisch-sprachliche Aspekt des Dialogs nun betrifft besonders die Praxis des sprachlichen Handelns, des Sprechens und strategischen Argumentierens. Auch für diesen Anteil des Dialogs lässt sich ein Ideal beschreiben; es wären etwa die Maximen Paul Grice‘ für das angemessene Sprechen relevant sowie eine Theorie der ethisch angemessenen, wahrhaftigen, plausiblen und sachlichen Argumentation. Trotz der Existenz und allgemeinen Be-kanntheit dieser Vorstellungen oder Idee eines idealen Dialogs sieht die Wirklichkeit natürlich meistens anders aus. Auch dort, wo intelligente und geschulte Menschen aufeinander treffen und miteinander arbeiten sollten: im Geschäftsleben. Gerade hier hat zwar das mündliche Gespräch als solches eine immense Bedeutung. Der Erfolg ganzer Konzerne hängt ab vom richtig eingesetzten gesprochenen Wort. Aber das wird in dieser Tragweite in den Unternehmen sehr selten nur tatsächlich realisiert. Dort geht es um die hard facts, um die Umsätze, die Gewinne, die Rendite, den Return on Investment. Die Unternehmenskommunikation wird selbstverständlich nicht vernachlässigt und dann thematisiert, wenn es um das Marketing, die Public Relations, die Pressearbeit oder Corporate Social Responsibility geht. Dafür wird Kommunikation an sich instrumentalisiert. Was die interne Unternehmenskommunikation angeht, so wird auch hier ein Kompendium an Medien eingesetzt, um bei den Mitarbeitenden durch Information und ein Sympathisieren von ober her zur Loyalität zu bewegen und sie so an das Unternehmen zu binden. Da gibt es Mitarbeiterzeitungen, in denen Aufstiege oder auch Geburtstage Einzelner oder Erfolge ganzer Teams in ein feierliches Licht gerückt werden. Das alles aber spricht doch die Mitarbeitenden weniger an, es überzeugt nicht. Deshalb ist es die Regel, dass einmal oder auch zweimal im Jahr ein Vorstand oder Geschäftsführer im Rahmen größerer Veranstaltungen zur Menge der Arbeitnehmer spricht, um ebenfalls für die rechte Stimmung zu sorgen. Aber auch das erreicht die Menschen nicht wirklich so, dass diese aus ganzer Überzeugung alles für das Unternehmen geben würden.Als umso größer wird allgemein die Bedeutung des Gesprächs mit dem unmittelbar Vorgesetzten angesehen – als der wichtigsten Bezugsperson für den Arbeit-nehmer im gesamten Unternehmen. Die Qualität dieses miteinan-der Redens entscheidet nämlich darüber, ob eine Fach- oder Führungskraft zuletzt tatsächlich so engagiert und produktiv arbeitet wie man es seitens der Unternehmen gerne hätte. Doch wie sieht es denn mit der Qualität dieser Gespräche unter dem Aspekt des idealen Dialogs aus? – Eine erste Einschränkung bilden die Hierarchien in den Unternehmen. Es wird keineswegs – im Sinne der Aufklärung – auf Augenhöhe miteinander gesprochen. Vielmehr wird in der Regel aus einer Position und in einer entsprechenden Rolle Sprache eingesetzt als Mittel zum Zweck. Das ist der allgemeine äußere und wenn man so will: der politisch-gesellschaftliche Rahmen. Obwohl so häufig vom Mitarbeiter als dem „größten Kapital“ der Unternehmen oder von „flachen Hierarchien“ (lean

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management) gesprochen wird – dieser Rahmen bleibt unumstößlich bestehen. Eine zweite und dritte Einschrän-kung bilden die persönliche Bildung der Fachund Führungskräfte sowie deren rhetorische Kompetenz. An diesen Punkten kann ein gut konzipiertes Training der Rhetorik ansetzen, um die Kultur des Gesprächs und des Dialogs entscheidend zu fördern. Der ethische Aspekt aber muss indessen in erster Linie meistens vernachlässigt werden.Das Avisieren des Dialogs erfordert zuerst eine richtige Einstellung. Diese Haltung als Intention ist erlernbar. Und viele, die einmal ein paar wenige Grundregeln des Dialogs, vor allem aber seine Vorteile auch zum Erreichen persönlicher Ziele kennengelernt haben, halten sehr gerne daran fest. Ebenso akzeptiert werden entsprechende rhetorische Regeln und Techniken der Gesprächsführung. Das Erzeugen des Dialogs ist, trotz der begrenzten Möglichkeiten in den Unternehmen heute, in Trainings erlernbar. Der Vortrag soll einige Möglichkeiten und Aspekte des Trainings der Gesprächsführung vorstellen und erörtern.

Kurzvita: Norbert Jansen studierte Rhetorik, Neuere Deutsche Literatur und Philosophie in Tübingen. Bereits gegen Ende des Studiums arbeitete er in einem Institut für Medien-Training. Nach dem Studium war er unter anderem als Produkt-Manager in einem Verlag, Textchef und Redakteur eines Computer-Magazins und Manager für Unternehmenskommunikation. Seit 2004 ist er selbständiger Kommunikationsberater und Rhetoriktrainer.

Dr. Gregor KalivodaDas Gespräch: Theoretische Fragen, historische Exempel, fachliche Zu-gangsweisen

Die klassische Rhetorik hat – im Gegensatz zu Theorie und Praxis der Rede – bekanntermaßen keine vergleich-bare Konzeptualisierung des Gespräches (Dialoges, Diskurses) hervorgebracht. Gleichwohl sind die Eigenschaf-ten und Funktionen des Gespräches und die dialogischen Implikationen der Einzelrede seit jeher Gegenstand des rhetorischen Nachdenkens gewesen. So hat schon Cicero (De officiis, 132 b) auf das Desiderat einer Gesprächs-rhetorik aufmerksam gemacht: Ist die Rede dem Gericht, den Volksversammlungen und dem Auftritt im Senat zugewiesen, so soll das Gespräch in „Zusammenkünften, bei Disputationen und bei familiären Begegnungen vor-kommen und auch den Gastmählern folgen. Für die Streitrede gibt es Regeln von Rhetoren, für das Gespräch gibt es keine, obwohl es auch diese geben könnte. Aber für eifrige Schüler werden Lehrer gefunden, jedoch sind keine vorhanden, die sich um dieses Gespräch bemühen; überall findet sich der Schülerschwarm der Rhetoren; indessen werden die Regeln, die für die Anordnung von Worten und Sätzen gegeben werden, zugleich für das Gespräch gelten.“ Beide Formen des Sprachgebrauchs werden von Cicero meisterhaft praktiziert: als contentio oder λόγος πολιτικός in der Öffentlichkeit der πόλις bzw. als sermo oder λόγος φιλοσοφικός in der privaten Umgebung des

. Seine Gerichtsreden und die ‚Tusculanae disputationes‘ mögen dafür bipolare Exempel sein. Die konti-nuierliche Parallelität der Praxis und die Einseitigkeit ihrer rhetorischen Theoretisierung sind bis heute gegeben.Ausgehend von Ciceros Forderung soll in diesem Zusammenhang an die Gesprächsanalyse ethnomethodologi-scher Provenienz angeknüpft und nach ihren rhetorischen Implikationen gefragt werden – auf einer heuristischen Ebene, d.h. im Hinblick auf eine zu entfaltende rhetorische Theorie und Analyse des Gespräches. Strukturen, Funktionen, Sequenzialität, sprachliche Mittel und fachliche Kongruenzen in ihrer Beschreibung sollen dabei im Mittelpunkt stehen, ohne dabei die differentia specifica zwischen den partes orationis und den partes dialogi aus den Augen zu verlieren. Autoren wie Jörg Bergmann und Hubert Knoblauch haben die Rhetorizität von Gesprächen aus soziologischer Sicht, Joachim Knape, Arnulf Deppermann oder Werner Kallmayer aus rhetorischer Sicht mit wichtigen Beiträgen auf die wissenschaftliche Tagesordnung gesetzt. Es sind moderne Antworten auf Ciceros Forderung nach einer Gesprächsrhetorik. Auch daran soll hier im skizzierten Sinne und am Beispiel ausgewählter Gesprächsmerkmale angeknüpft werden.

Kurzvita: Gregor Kalivoda studierte von 1976 bis 1980 Theoretische Linguistik, Neuere Deutsche Literatur und Politikwissenschaft an der Universität Konstanz (Abschluß: Magister Artium). Von 1981 bis 1986 war er Wissenschaftlicher Mitarbeiter in einem Forschungsprojekt (Politische Sprache) am Fachbereich Germanistik der Universität Kassel. Er promovierte 1986 mit einer Dissertation zur Parlamentarischen Rhetorik und Argumentation. Von 1987 bis 2011 war Kalivoda Geschäftsführer und Redakteur des DFG-Projektes Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Seit 2012 ist er Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Dozent am Seminar für Allgemeine Rhetorik der Uni-versität Tübingen (Forschungsschwerpunkte: Politische Rede, Topik und Argumentation, Wissenschaftsbegriff der Rhetorik, Juristische Rhetorik, Gesprächsrhetorik).

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Dr. Jan C.L. König Medizinische Kommunikation – Rhetorik und Gespräch als Teil der Hu-manmedizin

Der Begriff Medizinische Kommunikation ist für alle Bereiche einer in der Medizin auftretenden verbalen und non-verbalen Kommunikation in Gebrauch. Ärztliche Therapiegespräche oder Gespräche, die im Hinblick auf eine anschließende Therapie geführt werden, sind, so wie Gespräche unter Ärzten oder zwischen Ärzten und Pfle-gepersonal, als face-to-face- Kommunikation Gegenstand nicht nur der klassischen Rhetorik generell, sondern im engeren Sinne neuerdings Objekt der Erforschung als „Medizinische Kommunikation“. Dennoch steht eine wissenschaftlich fundierte Orientierung aktueller medizinischer Gesprächsführung an rhetorischen Kommunika-tionsmodellen bislang aus, wenn sich auch die Ergebnisse aus medizinischen Publikationen mit dem rhetorischen Wissen über Kommunikationsstrukturen konfrontieren lassen. Bezüge zwischen Kommunikation in der Medizin und Rhetorik bestehen allerdings seit der Antike. Sie finden sich z.B. im Vergleich der wissenschaftlichen Diszi-plinen, in der medizinischen Terminologie und in der Repräsentation der Medizin vor einem fachinternen oder fachexternen Publikum. Rhetorische Aspekte lassen sich so auch über das Mittelalter über die Frühe Neuzeit und Neuzeit bis zur Gegenwart identifizieren. Ihre Beobachtung gibt nicht nur Auskunft über die historische Entwicklung der Humanmedizin und die Relevanz von Rhetorik, Kommunikation und Gespräch, sondern auch über das Verständnis des Arztberufs und seiner Ausübung bis in unsere Zeit. Der Vortrag wird diese Entwicklung, die Bedeutung und verschiedenen Verknüpfungen von Rhetorik, Medizin und Gespräch darstellen. Durch eine Diskussion des Stellenwerts von rhetorischer Kommunikation in der heutigen Medizin stellen sich zurecht die Fragen, wie lange Studium, humanmedizinische Wissenschaft und Arztberuf noch auf die rhetorische Sprach-wissenschaft verzichten können.

Kurzvita: Jan C. L. König, Studium der Germanistik mit den Nebenfächern Rechtswissenschaft, Anglistik und Medienwissenschaft (Magister Artium 2004, Universität Hannover), Promotion in Germanistischer Sprachwis-senschaft (Dr. phil. 2010, bei Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Ernest W. B. Hess-Lüttich, Universität Bern) und Graduier-tenstudium der Rechtsökonomie (LL.M. 2012, Universität Hamburg; European Master of Law and Economics 2012, Universität Wien). Dissertation mit den methodischen Schwerpunkten Rhetorik, Text- und Diskursanalyse über die Wirkungsmacht der Rede an Beispielen zeitgenössischer und literarischer politischer Reden (erschienen bei V&R unipress 2011). Seit 2011 Mitglied des Arbeitsbereichs Unternehmenskommunikation unter der Leitung von Prof. Dr. Theo Bungarten (Universität Hamburg) und Wissenschaftlicher Assistent bei Ernest W. B. Hess-Lüttich an der Universität Bern; seit 2012 zusätzliche Lehrtätigkeit an der Universität Hamburg (Germanistische Sprach-wissenschaft). Gründer der Forschungsgruppe Strategische Kommunikation (forsk). Forschungsschwerpunkte sind Strategische Kommunikation, Rhetorik und Diskurslinguistik, Politolinguistik, Wirtschaftskommunikation, Medizinische Kommunikation, regionale Literatur und Forensische Linguistik.

Sebastian KönigAmbiguität im Flirt, Telosobskurität im ‚Date‘, aber Gewissheit im Part-nerwerbungserstkontaktgespräch? Überlegungen zu den Differentiae specificae von Courtshipkommunikation

Die rhetorische Perspektive des Partnerwerbungsgesprächs ist rasch definiert: Es geht um Widerstandsüberwin-dung durch bewusst kalkulierte kommunikative Einflussnahme aus der Sicht eines Gesprächsteilnehmers, des Orators, mit dem Ziel, dass der Gesprächspartner, der Adressat, sich als Intimpartner versteht und verhält. Der pragmatische Anspruch der Rhetorik, Konzepte für unterschiedliche Situationen resp. Kontexte zu entwickeln oder allgemeiner, eine Theorie aufzustellen, die den Weg zu einer Gesprächsmanagement-Kompetenz des Ora-tors in dieser Gesprächsgattung bereitet, also die Wirkungsfrage nicht ausschließt, versteht sich von selbst. So eindeutig sich die Partnerwerbung jedoch prima facie präsentiert, so mehrdeutig erscheinen schon bei vorwissen-schaftlicher Betrachtungsweise Gespräche, die unter diesen Begriff subsumiert werden können. In bestimmten Gesprächsfällen könnte lediglich ein Flirt vorliegen, d.h., ein spielerisches Verhalten gezeigt werden, ohne dass

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ernste Intimitäts-, Beziehungs- oder Bindungssabsichten vorliegen. Zudem verbergen Gesprächsteilnehmer aus strategischen Gründen selbst in dem klar definierten Gesprächskontext ‚Date‘ häufig ihre Ziele, befolgen damit Konventionen. In manchen Fällen von Courtshipkommunikation sind sich die Akteure ihrer Ziele auch nicht bewusst oder entwickeln diese erst im Gesprächsverlauf. Aus dieser Klassifikationsproblematik ergibt sich die Frage, wie Flirt, ‚Date‘ und Partnerwerbung von einander abzugrenzen und als rhetorische Termini technici zu bestimmen sind. Welche Rolle spielen hierbei Ambiguität und Telosobskurität? Genauer: Wie sind diese (rhetori-schen) Kategorien mit den genannten Begriffen verwoben? Sind sie vielleicht Differentiae specificae des Partner-werbungsgesprächs und wenn ja, wie ist das Verhältnis genau beschaffen? Innerhalb dieser Definitionsfragen zum Partnerwerbungsgespräch ergeben sich auch Vergleiche mit anderen Gesprächsarten und angrenzenden Formen der Persuasion. Gibt es beispielsweise Strukturmerkmale, welche die Partnerwerbung mit der Bewerbung oder der Werbung im Allgemeinen teilt? In meinem Beitrag möchte ich diese definitorischen Fragen erörtern und an die Antworten erste Hypothesen zu ihren persuasionstheoretischen Konsequenzen anknüpfen.

Kurzvita: Sebastian König, 1986, studierte Allgemeine Rhetorik und Philosophie an der Universität Tübingen. Er schreibt seine Magisterarbeit zum Thema „Partnerwerbungserstkontakt-Gespräche“. Seit 2008 ist er am Seminar für Allgemeine Rhetorik als studentischer Projektmitarbeiter (DFG gefördertes Projekt „Televisuelles Überzeu-gen“) und Tutor.

Dr. Manfred KrausNicht-Gespräche: Struktur und Rhetorik polemischer Debatten

Die öffentliche rhetorische Gesprächskultur der Gegenwart scheint in weiten Teilen geprägt von der Form des rein konfrontativ-polemischen Streitgesprächs. In politischen Debatten, in den Talkshows der Massenmedien und in wissenschaftlichen Diskussionen ebenso wie in alltäglichen Auseinandersetzungen beherrschen häufig plakati-ve Darstellung der eigenen Positionen, zirkuläre, fruchtlose Konfrontation und mechanische Widerrede um des Widersprechens willen das Feld, zum Nachteil konstruktiver Argumentations- und Debattenkultur. Dabei wird der Rhetorik oft unterstellt, an dieser Entwicklung maßgeblich beteiligt zu sein.Jedoch herrscht ein offenkundiger Widerspruch zwischen der üblichen, pflichtschuldigen moralischen und in-tellektuellen Verurteilung reiner Polemik einerseits und ihrer unleugbaren Omnipräsenz im öffentlichen Leben demokratischer und pluralistischer Gesellschaften andererseits, eine Diskrepanz, die nach einer Neubewertung der Rolle polemischer Debatten in der Gesellschaft verlangt.Ausgehend vom pragma-dialektischen Modell der kritischen Diskussion soll gezeigt werden, was eine rein pole-mische Debatte kennzeichnet und wodurch sie sich strukturell von einem ernsthaft und verantwortlich geführten Streitgespräch unterscheidet, insofern darin ein Gespräch im vollgültigen Sinne gar nicht zustande kommt, da we-sentliche fundamentale Verhaltensregeln für eine kritische Diskussion verletzt oder ignoriert werden. Es wird aber auch gefragt werden, ob daraus zwangsläufig fehlerhafte oder gar trugschlüssige Argumentation resultieren muß.Durch Bestimmung der epistemologischen Grundlagen und charakteristischen Gegenstände polemischer Diskus-sionen, ihrer logischen Strukturen und der darin typischerweise eingesetzten rhetorischen Mittel und Strategien sollen mögliche Methoden und Wege zur Überwindung solch konfrontativen Denkens und zuletzt auch die po-sitive kognitive Funktion polemischer Debatten im demokratischen Meinungsbildungs- und Entscheidungsfin-dungsprozeß pluralistischer Gesellschaften herausgearbeitet werden. Dabei wird auch die entscheidende Rolle der modernen Medien in dieser Entwicklung deutlich werden.

Kurzvita: Manfred Kraus ist Akademischer Oberrat am Philologischen Seminar der Universität Tübingen. Er studierte Klassische Philologie und Germanistik an den Universitäten München und Oxford. Seine Forschungs-schwerpunkte umfassen Geschichte und Theorie der Rhetorik, Argumentationstheorie, frühe griechische Philo-sophie und Dichtung, Bildungsgeschichte, Byzantinistik und Renaissanceforschung. Er ist Verfasser von Name und Sache: Ein Problem im frühgriechischen Denken (1987) und von zahlreichen Artikeln zur Rhetorik und Argumentati-onstheorie im Historischen Wörterbuch der Rhetorik sowie in internationalen Zeitschriften und Sammelbänden. Er ist Vizepräsident der International Society for the History of Rhetoric und Mitherausgeber der Zeitschrift Rhetorica.

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Stella LangeDie rhetorische Funktion des ‚mündlichen Gesprächs‘ im Briefroman

Denkt man an den Briefroman, fallen einem spontan eher „schriftliche Gespräche“, weniger jedoch „mündliche Gespräche“ ein. Die Gattung Briefroman zeichnet sich nämlich dadurch aus, dass die Korrespondenten gerade nicht in einem direkten Kontakt miteinander stehen, sondern sich nur mittelbar, über das Medium des Briefes, austauschen. Dass man im Fall des Briefromans aber auch literarisch inszenierte „mündliche Gespräche“ finden kann, wird dieser Beitrag exemplarisch an den Briefromanen Die Leiden des jungen Werther und Ultime Lettere di Jacopo Ortis darlegen. In diesem möchte ich der Frage nachgehen, was den „mündlichen Dialog“ in Abgrenzung zu dem sonst anzutreffenden „schriftlichen Dialog“ in der narrativen Darstellung des Briefromans besonders macht, etwa hinsichtlich der Gesprächssituation und den Gesprächsregeln bzw. -konventionen. Im Kontext der Rheto-rikgeschichte des 18. Jahrhunderts wird es dabei ein besonderes Augenmerk sein, die literarischen Bedingungen und Möglichkeiten zur Darstellung verbaler und paraverbaler Sprache im mündlich und schriftlich inszenierten Gespräch zu erörtern und sie gegenüberzustellen. Als übergeordnete Beschreibungskategorien sollen hierfür die „travelling concepts“ natura und ars herangezogen werden, um auf diese Weise gleichsam rhetorische Aspekte einer Sprache des Herzens und/oder einer Sprache der Natürlichkeit hervorzuheben. Abschließen wird der Vortrag mit einer Hypothese über die Funktion und Relevanz des „mündlichen Gesprächs“ für die rhetorische Emotionsdar-stellung im Briefroman, die exemplarisch anhand der ausgewählten Textstellen belegt werden wird.

Kurzvita: Stella Lange, 1981, studierte Deutsch-italienische Studien und BWL in Bonn und Florenz. Ihre Bache-lor-Arbeit an der Universität Florenz verfasste sie zum Thema „L‘inetto Alfonso Nitti: Una vita tra malattia e destino“ (11/2005 bei Prof. Enrico Ghidetti) und ihre Masterarbeit an der Universität Bonn zu „Sprache der Nähe und Sprache der Distanz – Rhetorik der Affektivität im deutsch-italienischen Vergleich am Beispiel von Focolos Ultime Lettere di Jacopo Ortis und Goethes Die Leiden des jungen Werther“ (09/2009 bei Prof. Daniela Pirazzi-ni). Seit 2011 promoviert Stella Lange zu „Codierte Intimität und öffentlicher Wertediskurs. Die poetische und rhetorische Darstellung des Gefühlsausdrucks im europäischen Briefroman (am Beispiel von Rousseau, Goethe und Foscolo)“.

Dr. Christoph LeidlInszenierte Gespräche über Literatur von Aristophanes bis Reich-Ranicki Rhetorische Strategien in Streit und Belehrung

In der Entstehung der Literaturkritik spielen Formen des Gesprächs eine grundlegende Rolle, vielleicht sogar eine stärkere als andere Präsentationsformen von Bewertungen wie der Kommentar oder die gelehrte Abhandlung. Auch wenn man die meist sehr asymmetrische Kommunikation eines Dichters mit seiner Inspirationsinstanz bei-seite läßt – zum Gespräch kommt es hier nur im Ansatz (immerhin läßt sich z.B. ein Ovid zum Versuch der Wider-rede hinreißen) – so verwendet schon der griechische Komödiendichter Aristophanes ein agonistisches Element als wesentliches Mittel der Darstellung, wenn er die bedeutendsten Tragiker des 5. Jahrhunderts, Aischylos und Euripides, in seinen „Fröschen“ um den Vorrang ringen läßt. Freilich ist der Sieg in einem solchen Streitgespräch, ganz entsprechend einem rhetorischen Agon etwa vor Gericht keineswegs nur von sachbezogenen Strategien bestimmt, sondern er wird dem Einsatz des gesamten Repertoires eine Redners (und mitunter auch außerrhe-torischen Mitteln) verdankt. Ein solches Verfahren erlaubt immerhin die Formulierung von Wertmaßstäben als Ergebnis einer Debatte, was deren – gegebenfalls konsensual vermittelte oder autoritativ bestätigte – Akzeptanz bei dem immer anwesenden oder mitgedachten Dritten, dem Zuschauer bzw. -hörer, verstärkt. Die eingesetzten Strategien zielen damit nicht nur auf den Gesprächspartner, sondern immer auch auf das Auditorium. Dieser Effekt ist noch dominanter in einer Literaturform, die einerseits ebenso Formen des Gesprächs zur Verhandlung ihrer Themen einsetzt, andererseits mit der Einführung einer biographisch inszenierten Sprecherrolle (persona) das „persönliche“ Bekenntnis in den Vordergrund stellt: der Satire. „Sermo“, die lateinische Bezeichnung, die Horaz für seine Werke wählt, heißt ja zunächst „Gespräch“, und Gesprächspartner kommen hier, und gerade auch in den der Literatur gewidmeten, immer wieder zu Wort (auch den späteren Lite-raturepisteln des Horaz, allen voran der Ars poetica haften noch die Spuren der Gesprächssituation an, der Brief ist ja nach antiker Theorie ein „halbiertes

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Gespräch“). Das inszenierte Gespräch ist nicht nur Thema antiker Literatur(kritik), sondern auch in der Entstehung mo-derner Literaturkritik spielen literarische Formen, die die Gesprächssituation abbilden, eine große Rolle (vgl. Sylvia Heudecker, Modelle literaturkritischen Schreibens. Dialog, Apologie, Satire vom späten 17. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts, Tübingen 2005). Johann Gottfried Herder läßt die verschiedenen personifizierten Formen sogar in einem Streitgespräch gegeneinander antreten („Kritik und Satyre“). Der Blick auf die antiken Vorläufer läßt vermuten, daß – über die direkte Rezeption antiker Formen hinaus – die Gesprächsform eine Konstellation persuasiv ausgerichteter Kommunikation herstellt, in der prinzipielle Konstituenten von Literatur und ihrer Be-wertung repräsentiert und diskutiert werden können. Dies gilt auch in der modernen Medienkultur, wo das Inszenatorische des Gesprächs ein wichtiges Mittel der Vermittlung literarischer Kritik ist, wofür exemplarisch die Fernsehsendung „Das Literarische Quartett“ (1988-2001) stehen kann (entsprechende Sendungen sind im Kulturprogramm der Fernsehsender bis heute vertreten). In allen angesprochenen Beispielen aus der Kritikgeschichte ist die Form die eines Gespräches mit Zuschauer – ein inszeniertes Gespräch. In dem Beitrag sind nach einem sehr knappen historischen Überblick über die Geschichte der Formen vor allem anhand von Beispielen die spezifisch rhetorischen Kategorien des Literaturgesprächs zu analysieren, die immer als ein Spannungsverhältnis gefaßt werden können: Asymmetrie und (scheinbare) Symmetrie der Kommunikations-situation; multipler Adressatenbezug der Argumentationen (Gesprächspartner – Publikum); Multiperspektivität durch Konfrontation; Konkurrenz zwischen Unterhaltungscharakter (delectare) und Wissensvermittlung (prodesse). Je nachdem, wie hier die Gewichtungen zum einen oder anderen Pol hin verschoben sind, muß auch die Effekti-vität dieser Formen der Kritik selbst kritisiert werden.

Kurzvita: Dr. Christoph Leidl studierte Geschichte und Klassische Philologie an der LMU und am St. John‘s Col-lege (Oxford). 1991 promovierte er in Alter Geschichte mit einem Kommentar zu Appians Iberike. Seit 2002 ist er akademischer Oberrat am Seminar für klassische Philologie an der Universität in Heidelberg. Seine Forschungs-schwerpunkte sind antike Rhetorik und Literaturtheorie und ihre moderne Nachwirkung, Geschichtsschreibung sowie die Rezeption der antiken Kultur in bildender Kunst und Literatur. Er ist Mitglied im Council der Inter-national Society for the History of Rhetoric (ISHR).

Stephan Peters„Das stimmt überhaupt nicht, das ist so pauschal, ich bitte Sie!“ Verunsi-cherung als persuasive Strategie in Gesprächen1

Anders als bisherige Untersuchungen zu persuasiven Strategien in politischen Talkshows widmet sich dieser Bei-trag der Rhetorik der Verunsicherung und damit dem Phänomen, wie es gelingen kann, persuasiv erfolgreich zu sein, indem wir beim Rezipienten negative Affekte evozieren. Sowohl in Alltagsgesprächen als auch in öffent-lichen politischen Diskussionen erleben wir es immer wieder, dass die Gesprächspartner einander überzeugen wollen, indem sie den anderen provozieren, kritisieren, ihm Vorwürfe machen, manchmal gar beleidigen. Das heißt, der Adressat wird verunsichert und soll dennoch – oder gerade aufgrund dessen – zum Umdenken gebracht werden. Ein solches Vorgehen zeugt einerseits von Selbstbewusstsein und Selbstsicherheit – eine gute Basis für Glaubwürdigkeit, andererseits besteht die Gefahr, den Anderen zu verletzen und die Fronten zu verhärten. Eine persuasiv erfolgreiche Verunsicherungsstrategie muss also die Balance zwischen provozierenden negativen und beschwichtigenden positiven Affekten tarieren. Welche Strategien und welche sprachlichen Mittel dafür besonders geeignet sind, möchte dieser Beitrag, der auf umfangreichen empirischen Analysen von politischen Talkshows beruht, zeigen. Außerdem wird sich der Frage gewidmet, warum persuasive Strategien via negativer Affekte mit-unter erfolgreicher sein können als via positiver Affekte. Es soll weiterhin, unter dem Aspekt der verschiedenen Gesprächsbedingungen von privaten und öffentlichen Gesprächen, auf die unterschiedliche Wirkungsweise von Verunsicherung mit persuasivem Potenzial eingegangen werden. Die Untersuchungsergebnisse zeigen einmal mehr, dass die traditionelle scharfe Grenzziehung zwischen Kogni-tion und Emotion, zwischen argumentativ und suggestiv, zwischen rational und emotional nicht länger aufrecht zu erhalten ist. Beim Persuasionsprozess greifen, wie bei fast jeglicher sprachlicher Kommunikation, Gedanken und Gefühle ineinander und beeinflussen so unsere mentalen Repräsentationen von und unsere Haltung und

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Einstellung zu bestimmten Sachverhalten. Das Korpus besteht aus ca. 20 Stunden Gesprächsmaterial aus öffentlichen politischen Talkshows. Das Material liegt sowohl in videographischer als auch in schriftlicher Form (Transkripte) vor. Dazu kommt umfangreiches „Gesprächs“material aus Internet-Kommentarforen, wie sie unter Spiegel Online u. a. zu finden sind. Eine klei-nere Anzahl an Belegen von Verunsicherungsstrategien mit persuasivem Potenzial aus privater nichtöffentlicher Kommunikation rundet das Korpus ab. Auch wenn einige gesprächspragmatische Untersuchungen zu Streit- und Konfliktgesprächen existieren, so ist dieser kognitionslinguistische Ansatz innerhalb der linguistischen Pragmatik doch ein Novum und kann interessante neue Aspekte zu gesprächsspezifischen Persuasionsstrategien beitragen.

1 Die Ergebnisse stammen aus der Projektarbeit des von der DFG finanzierten und innerhalb des Exzellenz-clusters „Languages of Emotion“ (FU-Berlin) stattfindenden Projekts: Rhetorik der Verunsicherung – Muster negativer Affekt-Strategien und ihre persuasive Funktion.

Kurzvita: Stephan Peters hat Sprach- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Siegen und der Tech-nischen Universität Berlin studiert. 2012 beendete er sein Studium mit der Masterarbeit: „Schein-Evidenz als persuasive Strategie in Presse-Texten“. Im April dieses Jahres erhielt er einen Lehrauftrag für ein Seminar zum Thema „Mediensprache“. Außerdem übernahm er im Juni die Stelle von Frau Damisch als wissenschaftlicher Mit-arbeiter am Institut für Sprache und Kommunikation im Fachbereich Allgemeine Linguistik bei Frau Professorin Schwarz-Friesel. Hier ist er Mitarbeiter des vom Exzellenzcluster „Languages of Emotion“ finanzierten Projekts: Rhetorik der Verunsicherung. Muster negativer Affekt-Strategien und ihre persuasive Funktion.

Prof. Dr. Christian SchärfGesprächsrhetorik und literarische Kreativität

In meinem Beitrag geht es um das Verhältnis zwischen der Rhetorik des Gesprächs und den daraus abzuleitenden Potenzialen kreativer Selbstprofilierung, vor allem im Hinblick auf die Möglichkeiten literarischer Kreativität. Im Gespräch zeigt sich, dass die Rede das Medium ist, in dem Identitäten niemals zur Abschließung kommen, sondern immer wieder um ihre Positionen und Methoden kämpfen müssen. Die Teilnehmenden eines Gesprächs müssen sich in dessen Verlauf ständig neu öffnen, haben immer wieder angesichts plötzlich veränderter Situatio-nen unmittelbar zu reagieren und sind darauf angewiesen, ihre performativen Strategien permanent zu optimie-ren. Deshalb kann man das Gespräch als eine extreme Form literarischer Inszenierung im Alltag betrachten, die ein hohes Maß kreativer Anforderungen an die Subjekte stellt. Dies ist eine Disposition, die sich wiederum auf die Gestaltung literarischer Strukturen überhaupt beziehen lässt, da die aus dem Gespräch gewonnenen kreativen Aspekte auch in der Schriftlichkeit umsetzbar sind. Dabei sind folgende Fragen zu erörtern:

1. Inwiefern und inwieweit lassen sich performative Strategien in Gesprächen beobachten und strategisch sys-tematisieren?

2. Welcher Kreativitätsfaktoren lassen sich aus diesen Beobachtungen erkennen und wie kann man sie für die eigene Rede nutzbar machen?

3. Gibt es eine ‚Literarizität‘ des Gesprächs? Welche Formen der elocutio und der actio müssen erreicht werden, um das miteinander Reden auf eine artistische Ebene zu heben?

4. Welche Rückschlüsse lassen aus solchen Beobachtungen für die Praxis des Kreativen Schreibens ziehen, insbe-sondere für dramatische und dialogische Schreibweisen?

Kurzvita: Prof. Dr. Christian Schärf, geb. 1960, apl. Professor am Institut für Literarisches Schreiben und Lite-raturwissenschaft der Universität Hildesheim. Studium der Deutschen, Philologie, der romanischen Philologie und der Philosophie in Mainz und Paris. Promotion an der Universität Mainz 1993, mit einer Arbeit über Goethes Ästhetik. Eine Genealogie der Schrift, Habilitation 1998, 1998-2006 Hochschuldozent an der Universität Mainz, seit 2007 Lehrender für besondere Aufgaben an der Universität Hildesheim. Gastdozenturen an den Universitäten Bologna, Dijon und Valencia.Forschungsschwerpunkte: Essayistik, Rhetorik, Mediengeschichte der Literatur und der Künste, Kulturgeschichte

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des Produktiven Typus, Kreativitäts- und Schreibforschung. Zahlreichen Monografien und Aufsätze. Vorträge im In- und Ausland. Ständige freie Mitarbeit bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und beim Südwestrundfunk.Im Studiengang „Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus“ an der Universität Hildesheim betreue er seit vielen Semestern das Gebiet der Rhetorik, das als Konzept als Urform des Kreativen Schreibens begreifen wird und dem in historischer, theoretischer und vor allem auch praktischer Hinsicht größte Aufmerksamkeit entgegen gebracht wird.

Dr. Hans-Jochen SchildWer hat das Sagen? Funktionale Merkmale, Strukturen von Gesprächsrhe-torik

Die Reziprozität der rhetorischen Transaktion im Gespräch stellt andere Voraussetzungen an den bzw. die Ge-sprächsteilnehmer, als es die Aufgaben der Inventio tun, mit denen der traditionelle Rhetor befasst ist. Das Grundverständnis der Aristotelischen Rhetorik in der Verlässlichkeit einer politischen und sozialen Ordnung, in der Gewissheit aus Recht und Gesetz, in das Vertrauen einer gemeinsamen Wertordnung und Weltanschauung ist in Frage gestellt. Ihr Fehlen beeinträchtigt die wirkungsgewisse rhetorische Inventio als Herz der (noch) geltenden Rhetoriklehre. Für die Ansprüche und Aufgaben einer Inventio mangelt es der Gesprächsrhetorik situations- und performanzbedingt an Voraussetzung einer möglichen Planbarkeit und an den unberechenbaren Umständen ei-ner gegebenenfalls aktuell gebotenen Präsentation in den wechselseitigen Prozess der Rede und Widerrede. Um im Gespräch zu bestehen und zu reagieren, gibt es keine Vorbereitungszeit, keine Zeit, sich für eine geplante Rede eine passende Argumentationslinie zurechtzulegen. Anstelle einer inhaltlichen Vorbereitung einer passenden Präsentation, gelten für die dyadische Gesprächssituation, wo auch immer sie stattfindet, andere Bedingungen, um sich Gehör und Durchsetzung zu verschaffen. Gefordert sind im Gespräch Reaktionsbereitschaft, kombina-torische Schlagfertigkeit, weniger Vorbereitung auf einen bestimmten Gesprächbeitrag als eine aufmerksame und, wenn möglich, kluge Einschätzung des Gegenübers. Zuhören und Geschick im Umgang mittels einer Replik sind in der dyadischen Situation gefragt. Und deshalb kommt es auch weniger auf die jeweils gegebene Gesprächsitu-ation als auf die gesellschaftliche Stellung des Gegenübers an, wie sich die rhetorische Transaktion gestalten lässt. In asymmetrischen Situationen, in denen ein Gesprächspartner von vorneherein aus gegebener Machtvollkom-menheit , als Vorgesetzter, professionell, oder auf Grund seiner Rolle, aus Befehlsgewalt das Sagen hat oder als Vertreter einer Institution die Berechtigung hat, Gesprächsinhalte vorzugeben oder abzufordern, oder aufgrund seiner Kompetenz oder Berufung einzuschränken, findet sich der Gesprächspartner als Klient, Kunde, Prüfling oder als Verdächtiger wieder. In solchen asymmetrischen Situationen bilden die Angesprochenen ein Publikum, das einem dafür vorbereiteten Gegenüber Rede und Antwort zu stehen hat. Neben solchen durch Asymmetrie der Gesprächspartner bestimmten Gesprächssituationen gibt es viel interessantere Situationen, in denen beide Gesprächpartner ein gleichberechtigtes Sagen haben, das verschiedensten Zielen dient, einem Kennenlernen, dem Erfahrungsaustausch, der gegenseitigen Bestätigung, Ritualen der Ausgrenzung oder der Zugehörigkeit. Eine wei-tere wichtige Gesprächsituation dient den Verhandlungen, um etwas zu erwerben. Immer ist Reaktionsvermögen gefordert. Eine strategische Einschätzung ist ein Apriori, das den Gesprächsprozess unausgesprochen begleitet, der deshalb oft nach Vereinbarung in verschiedenen Gesprächs- oder Verhandlungsphasen abläuft, um beiden Seiten die Gelegenheit zu bieten, besser einzuschätzen, mit welchen Überraschungen, welchen Schwächen oder Konzessionen zu rechnen ist und wann der günstigste Zeitpunkt (Kairos) – erreicht ist, wichtige Entscheidungen zu fällen und Zugeständnisse zu geben oder zu erringen, um so ein qualifiziertes Sagen zu behaupten.Während in der triadischen Grundsituation, die für die herrschende Rhetoriklehre als etabliert gilt, einander in der Regel widerstreitende Rhetorikbeiträge in einer prästabilisierten gesellschaftlichen Arena mit einem vorsitzenden Richter, Vorsitzenden Versammlungspräsidenten oder einem prominenten Fest- bzw. Trauerredner stattfinden, die für den Beitrag angestrebte Handlungs-Entscheidung oder Redeziele aber nicht im Ermessen der Vortra-genden, sondern dem Entscheidungsprivileg der angesprochenen Instanzen oder der zustimmenden Bewertung der Honoratioren unterliegen, fehlen solche organisatorische „arbeitsteiligen“ Regelungen im dyadischen Rheto-rikprozess. Hier bleibt der Redner für den bewirkten Effekt in der Erwiderung unmittelbar verantwortlich und hat sozusagen direkt auf eine Provokation zu reagieren, um weiterhin das Sagen zu haben, d.h. seinen in Frage gestellten Standpunkt nachzubessern und erfolgreich verstehen zu lassen.Die Aufgabe, wie Gesprächsrhetorik zu verstehen, zu gestalten und theoretisch zu begründen ist, ist gleichzeitig

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eine Frage nach der Belastbarkeit, Relevanz und Leistung der bekannten bzw. klassischen Rhetoriktheorie für die-se besondere Aufgabenstellung. Ein Blick auf die theoriekritische Diskussion dieser Frage lässt leicht erkennen, dass die besondere unvermittelte Berücksichtigung des Publikums und des Gegenübers in der rhetorischen Aus-einandersetzung und damit der aktiven Replik eine besondere und andere Perspektive auf die rhetorische Trans-aktion erforderlich macht. Allen Gesprächssituationen und Gesprächtypen liegt das rhetorische Grundmuster der Interaktion und der Reziprozität zugrunde. Die rhetorische Ausgestaltung der prozesshafte Interaktion in der Praxis hängt weniger von einer gezielten Vorbereitung, der Inventio ab, sondern vielmehr von einer informierten und klugen strategischen Einschätzung der möglichen alternative Repliken ab, welche ihrerseits die kontextuellen Macht- und Kräfteverhältnissen der Interaktanten widerspiegeln. Strategisches Denken, welches auf die Ein-schätzung von Künftigen gerichtet ist, ergänzt hiermit die Aufgaben aus der Inventio, die aus der Vergangenheit rhetorischer Erfolgserfahrungen schöpft und berät. Dies ist mit Bezug auf die theoretische Fragestellung und an einigen Beispielen aus der Gesprächspraxis zu erläutern.

Kurzvita: Dr. Hans-Jochen Schild, geb. 1940, studierte Latein, Anglistik, American Studies und Philosophie in Frankfurt, Promotion zu: „Sprache und Herrschaft: Studien zur Theorie politischer Rhetorik und ihrer zeitge-nössischen Praxis in den USA.“ MA in English Literature der University of Chicago. Unterricht an der Northern Illinois University1965 und an der University of Wisconsin.1972 . Leiter der Politische Bildung beim Bildungs-werk der DAG, Leiter Hochschulprojekt BA-Studiengang Engl. Philologie (Univ. Kiel) und VhS Leiter und Fach-bereichsleiter Sprachen (VhS Offenbach).

Tobias SchmohlSelbstgespräch als rhetorisches Szenario?

Wer im Bereich der Rhetoriktheorie von Selbstgesprächen, Selbstüberzeugung oder gar von ‚Strategien auto-persuasiver Einflussnahme‘ spricht, setzt zumindest dreierlei voraus: erstens die Möglichkeit selbstgerichteter symbolischer Interaktion (Autokommunikation), zweitens, dass das, was der Begriff ‚Selbst‘ bezeichnet, ein geeig-netes Objekt rhetorisch-persuasiven Handelns darstellt und drittens, dass es Mittel und Wege einer kalkulierbaren strategischen Einflussnahme auf diesen eigentümlichen Gegenstand des Handelns gibt (vgl. Wiesenthal 2006, S. 9). Dies sind keine selbstverständlichen Prämissen. Persuasion als rhetorische Zentralkategorie bedeutet gezielte und erfolgsorientierte Einflussnahme eines Orators auf die Meinung, die Einstellung oder das Verhalten eines Adressaten (Vgl. Knape 2000, S. 79). Meinung und Einstellung bilden sich auf kognitiver Ebene heraus: sie entstehen durch Sinnkonstruktion. Kognition wird hier als Sammelbegriff gebraucht für sämtliche „Prozesse der Erkenntnis, der Erfahrungs- und Informationsverarbei-tung und der mentalen Repräsentation“ (Knobloch 2005, S.325). Er umfasst also alle psychischen Vorgänge der „Aufnahme und Verarbeitung von Wissen über die Außen- und Innenwelt (z. B. Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Denken)“ (Kuhl 2010, S. 22.), wodurch letztlich im psychischen System Sinn konstituiert wird. Persuasion ist umso effektiver, je erfolgreicher der Orator diese sinngenerativen Konstruktionsvorgänge gemäß seinen Intentionen steuert. Die gezielte und auf rhetorischen Wechsel ausgerichtete Einflussnahme auf die kog-nitiven Vorgänge der eigenen Einstellungs- oder Meinungs-bildung sowie auf alle weiteren (z. B. motivationalen oder emotionalen) Konstituenten des eigenen Verhaltens sollen im Rahmen des Vortrags mit dem Begriff Auto-persuasion skizziert werden.Der Vortrag verfolgt zwei Ziele: Das erste Ziel liegt darin, aufbauend auf dem rhetorischen Ansatz Konturen einer rhetorischen Autopersuasionskategorie zu zeichnen. Das zweite Ziel besteht in dem Versuch, anhand des entstandenen Konzepts der Autopersuasion Strategien zu beschreiben, mit denen sich die oratorische Vorfeld-planung und letztlich auch die rhetorische Performanz in einem konkreten Setting erfolgreicher gestalten lassen.

Literatur:Knape, Joachim (2000): Was ist Rhetorik? Stuttgart: Reclam.Knobloch, Clemens (2005): Kognition. In: Glück, Helmut (Hg.): Metzler Lexikon Sprache. Stuttgart, Weimar: Metzler.Kuhl, Julius (2010): Lehrbuch der Persönlichkeitspsychologie. Motivation, Emotion und Selbststeuerung. Göt-tingen: Hogrefe.

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Wiesenthal, Helmut (2006): Gesellschaftssteuerung und gesellschaftliche Selbststeuerung. Eine Einführung. Wiesbaden: VS Verlag.

Kurzvita: Tobias Schmohl studierte in Tübingen Allgemeine Rhetorik, Philosophie, Germanistik und Kompara-tistik. Seit Abschluss seines Studiums im September 2010 leitet er das Blended-Learning-Seminar „Schreibkom-petenz“ der Reihe Virtuelle Rhetorik, an dem er bereits seit der Entwicklungsphase mitwirkt. Er promoviert im Fach Allgemeine Rhetorik zu rhetorischen Steuerungsvorgängen im Kontext handlungs- und systemtheoretischer Konzeptionen. Seit April 2012 ist er zudem im Deutschen Seminar der Universität Tübingen am Lehrstuhl Prof. Braungart als wissenschaftlicher Angestellter tätig.

Dr. Jan Henning SchulzeSequentielle und parallele Prozesse in der Gesprächsführung

Gespräche verlaufen im Wesentlichen sequenziell, d.h. sie bilden eine geordnete Abfolge einzelner Wörter, Äuße-rungen und Redebeiträge. Dennoch geschieht vieles während eines Gesprächs parallel und gleichzeitig, z.B. Re-den, Zuhören, Rückmeldung geben, Gestik, Mimik. In dem Vortrag sollen einige Konsequenzen herausgearbeitet werden, die sich aus Sequenzialität und Parallelität für die Produktion, Perzeption und theoretische Behandlung von Gesprächen ergeben. Grundlegend für die Überlegungen ist die Hypothese, dass bei kognitiven Prozessen zwischen zwei verschiedenen Systemen bzw. Typen unterschieden werden muss. Prozesse in System 1 verlaufen automatisch, unbewusst und parallel, Prozesse im System 2 dagegen kontrolliert, bewusst und sequenziell. Über-raschend viele kognitive Prozesse, die während eines Gesprächs ablaufen, werden vom Gehirn in System 1 und damit automatisch, unbewusst und parallel abgearbeitet: Die Steuerung und Wahrnehmungen von Gestik und Mimik, das Formulieren und Verstehen einfacher Sätze, das Hinzufügen implizit gelassener Informationen, die zur sinnvollen Interpretation der gehörten Sätze notwendig sind, aber auch physiologische Reaktionen auf das Gehörte, all das geschieht während eines Gespräches parallel. Komplexe kognitive Prozesse dagegen verlaufen in System 2 und damit kontrolliert, bewusst und sequenziell: Die Steuerung und Wahrnehmungen atypischer Ges-ten, das Verstehen selten gebrauchter Wörter und komplexer Sätze, das Abwägen verschiedener Standpunkte und Meinungen, all dies findet nicht gleichzeitig, sondern hintereinander statt. Wichtige Eigenschaften der Prozesse in System 1 bzw. System 2 sind nun, dass die parallelen und unbewussten Prozesse in System 1 keine große Mühe bereiten und sehr schnell ablaufen, während die sequenziellen und bewussten Prozesse im System 2 durchaus mühsam sein können und vergleichsweise langsam ausgeführt werden. Da Gespräche, so wie alle sprachlichen Erzeugnisse, sequenziell ablaufen und eine längere Zeitspanne in Anspruch nehmen, gehören sie ihrem Wesen nach zu den mühevollen, aber auch kontrolliert ablaufenden Prozessen in System 2. Dennoch werden so viele Prozesse (oder Bündel von Prozessen) wie möglich automatisiert und in System 1 integriert. Entscheidend für die Automatisierung ist die Frage, wie häufig ein Prozess wiederholt wird. Je höher seine Frequenz, desto eher wird er ein Bestandteil von System 1, und das heißt: der Prozess verläuft automatisch, unbewusst und unkontrolliert. Die Gefahren dieser Automatisierung liegen auf der Hand. Die Prozesse sind der bewussten Kontrolle entzogen und sind bei leicht veränderter Ausgangslage, beim Hinzutreten neuer Faktoren und in gänzlich neuartigen Situ-ationen bestenfalls suboptimal, schlimmstenfalls katastrophal. Ein großer Teil der bekannten Fallazien kann auf solche automatisierten Prozesse zurückgeführt werden, die zwar im Großen und Ganzen meist gut funktionieren, im Einzelfall aber auch zu falschen Schlüssen führen können. Die Vorteile der Integration möglichst vieler Pro-zesse in System 1 ist aber ebenfalls offensichtlich. In kürzester Zeit kann ohne Mühe eine große Menge Informa-tionen parallel verarbeitet werden. Die alltägliche Routine-Kommunikation wäre ohne automatisierte Prozesse in System 1 nicht denkbar. Und selbst ausgefeilte wissenschaftliche Diskurse setzen in erheblichem Ausmaß solche Prozesse beim Leser/Hörer als selbstverständlich voraus. Eine vollständig kontrolliert und explizit durchgeführte Diskussion (in der keine Prämissen und keine Konklusion implizit und unüberprüft bliebe) ist auch in der Wis-senschaft nicht denkbar, solange sie von Menschen betrieben wird. Die sich daraus ergebende Aufgabe ist klar: Gefunden werden muss ein optimales Verhältnis zwischen parallelen und sequenziellen Prozessen innerhalb eines Diskurses. Je kritischer, elementarer und weitreichender eine Fragestellung ist, desto mehr müssen die bei der Entscheidungsfindung ablaufenden Prozesse bewusst kontrolliert werden, und das heißt: sequenziell in System 2 abgearbeitet werden. Die immanente Sequenzialität des Gesprächs setzt die besten Rahmenbedingungen dafür. Je wichtiger eine anstehende Entscheidung ist, desto dringender sollte sie im Gespräch diskutiert werden.

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Kurzvita: Jan Henning Schulze studierte Germanistische Linguistik, Philosophie, Logik und Wissenschaftsthe-orie an der Universität München. 2003 schloß er seinen Master in Linguistik an der Universität Cambridge ab und wurde 2010 an der Universität Bamberg promoviert zum Thema „Der i-Umlaut im Althochdeutschen“. Seit 2005 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Deutsche Sprachwissenschaft an der Otto-Friedrich- Universität Bamberg.

Antonia SpohrWie man sich mit wenig Aufwand selbst zur Schnecke macht. Über das Führen von Selbstgesprächen

Tagtäglich sprechen wir mit Stimmen, über deren Ursprung wir keine Kenntnis besitzen. Obwohl sie Teil unserer Persönlichkeit sind, werden sie als fremd wahrgenommen. Wie in einem inneren Rollenspiel können diese Stim-men die Tonalität uns bekannter Personen annehmen und stellvertretend für Vater, Mutter oder Tante Gertrud agieren. Sie können aber auch Stereotype wie den dauerfaulen Schweinehund, den ständig kritisierenden Richter oder den optimistischen Motivator verkörpern und unser Handeln mehr oder weniger positiv kommentieren.In der Rhetorikforschung wurde bisher immer der Fokus auf die Persuasion von Adressaten gelegt, welche außerhalb des Orators existieren. Der Umgang mit inneren Stimmen hingegen, wurde bisher nur aus psycholo-gischer Perspektive betrachtet. Deshalb möchte sich dieser Vortrag mit Selbstgesprächen aus rhetorischer Sicht beschäftigen. Denn nur wer sich bereits selbst überzeugt hat, kann auch andere überzeugen.

Kurzvita: Antonia Spohr, Jahrgang 1981, studierte Allgemeine Rhetorik, Philosophie, Romanistik und Kunstge-schichte. Sie arbeitet als Redenschreiberin und Rhetoriktrainerin.

Britta StarckSimulierte Objektivität: Rhetorisches Kalkül in der forensischen Rede

Unter den klassischen vier Teilen einer Rede im Falle der Gerichtsrede ist es die Aufgabe der narratio, des zweiten, „erzählenden“ Teiles, eine Schilderung der Ereignisse zu liefern, die zu dem beanstandeten Klagesachverhalt geführt haben. Der postulierten Objektivität dieser Darstellung steht freilich das parteiliche Interesse des jeweils Redenden entgegen: Er muss, der Natur der Sache gemäß, sich selbst und seinen Beitrag zu den Geschehnissen in ein möglichst positives Licht zu rücken bestrebt sein. Zentrales Anliegen seiner rednerischen Darbietung ist es also, so glaub- und vertrauenswürdig wie möglich zu erscheinen, um die über ihn Richtenden – im Athen des 5. und 4. Jh. v. Chr. durchweg Laiendikasterien, das heißt: seine Mitbürger – von der Korrektheit und Zu-verlässigkeit seiner Angaben zu überzeugen, die ihm u. U. das Leben retten werden. Als (ein) wesentlicher Be-standteil dieses Überzeugungsprozesses ist daher die Präsentation von ethos zu betrachten, also vom ‚Charakter‘ der vortragenden Persona, wie die allgemein gängige Übersetzung dieses Terminus lautet. Dieser in der Rede zur Darstellung gebrachte ‚Charakter‘ ist kaum mehr als ein rhetorisch konzipiertes Konstrukt, das vollständig dem Redeziel der Persuasion geschuldet ist. Nach Aristoteles, wie er es in seiner Rhetorik vorschlägt (Rhet. 3,16,8), kommt diese spezifisch ‚ethische‘ Charakterpräsentation gerade dem Redeteil der narratio zu – doch wie lässt es sich nun in der Konzeption einer Rede bewerkstelligen, sowohl eine (quasi-)objektive Schilderung des Tathergangs als auch ein subjektives, Glaubwürdigkeit suggerierendes Image des Redenden in derselben narratio zu unterbreiten? Die kurzgefasste Antwort lautet: Indem unter Zuhilfenahme rhetorischer Strategien ebenjene Ereignisschilderung, ja bisweilen sogar die gesamte Rede in den Dienst der Charakterporträtierung gestellt wird. Der rhetoriktheoretische ‚Handwerkskasten‘ stellt dem Verfasser einer Rede eine Vielzahl bewährter Mittel zur Verfügung, deren Anwen-dung zum gewünschten Erfolg verhelfen sollen. Wie dies im konkreten Einzelfall ge-staltet werden kann, insbesondere auch durch kreative und innovative Um- und Weitergestaltung solcher Mittel, soll anhand von Beispielen aus dem Corpus des attischen Redenschreibers Lysias, der als unbestrittener Meister dieser Art von Charakterzeichnung gilt, vorgestellt werden.

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Kurzvita: Britta Starck, Jahrgang 1984, studierte Griechische und Lateinische Philologie an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg (2006-2011) und ist seit Oktober 2011 Assistentin am FB Altertumswissenschaften – Klassische Philologie: Gräzistik an der Paris-Lodron-Universität Salzburg beschäftigt. Sie promoviert zum Thema „Lysias Ethographos. Zu einer Theorie der narratio in der attischen Prozessrede“.

PD Dr. Anja StukenbrockKörper und Sprache bei der Darstellung von Schmerzerfahrungen

Der Vortrag beschäftigt sich mit der Frage, wie sprachliche und körperlich-visuelle Ausdrucksmittel zur Darstel-lung und Intersubjektivierung von Schmerzerfahrungen genutzt werden. Datengrundlage bilden Videoaufnah-men von sog. Schmerzkonferenzen, bei denen Patientinnen und Patienten mit chronischen Schmerzen vor einem interdisziplinären Ärztegremium eines Universitätsklinikums ihre Beschwerden vorbringen. Zum institutionellen Rahmen der Kliniksituation tritt als besonderer Faktor der Bühnencharakter der Schmerzkonferenz hinzu. Da-durch entsteht eine spezifische Doppelstruktur, die sowohl die Darstellung als auch das Beteiligungsformat der TeilnehmerInnen betrifft.

Kurzvita: Dr. Anja Stukenbrock studierte Germanistik und Anglistik in Heidelberg und in Edinburgh gefördert durch die Studienstiftung des Deutschen Volkes. Von 1997-2005 war sie Dozentin für Deutsch als Fremdsprache, Sprach- und Literaturwissenschaft im Internationalen Studienzentrum der Universität Heidelberg mit Gastauf-enthalt in Shah Alam, Malaysia (1998). 2004 wurde sie promoviert mit einer Arbeit zum „Sprachnationalismus. Sprachreflexion als Medium kollektiver Identitätsstiftung in Deutschland (1617-1945)“. Nach einer mehrjährigen Assistenz am Lehrstuhl für Germanische Philologie (Prof. Dr. Peter Auer) ist sie seit 2008 als Junior Fellow am Freiburg Institute for Advanced Studies (FRIAS) der Universität Freiburg. Im Februar 2012 habilitierte sie sich über das Thema „Deixis in der face-to-face-Interaktion“.

Prof. Dr. Thomas SchirrenMachtworte. Der Melierdialog des Thukydides gesprächstheoretisch betrachtet

Im Werk des Thukydides sticht eine als exemplarisch zu verstehende Passage heraus, in der die militärisch über-legenen Athener über das Verhältnis von Macht und ethischen Normen mit den von ihnen belagerten Meliern sprechen. Dieser Diskurs kann als eine schonungslose Offenlegung machtpolitischen Kalküls gesehen werden. Der Vortrag stellt die Frage, mit welchem Ethos sich die beiden Parteien äußern. Wie rational oder irrational stellt sich ein rückhaltloses Machtkalkül im Gespräch dar? Kurzvita: Prof. Dr. Thomas Schirren ist Professor für Gräzistik an der Paris-Lodron-Universität Salzburg und Leiter des Rektoratsbüro für Rhetorik. Er absolvierte ein Studium der Klassischen Philologie und Philosophie in Göttingen und München und habilitierte sich in Tübingen. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Antike Philoso-phie, Rhetorik, Rezeption der Antike.

Lisa ÜberallEmotion im Courtship-Gespräch

Bislang gibt es keine umfassende Untersuchung zur emotionalstrategischen Gesprächsführung und keine mo-derne Emotionstheorie der Rhetorik. Aus der Analyse emotionsträchtiger Strukturen im Gespräch lassen sich Handlungsmodellansätze für den reflektierten Einsatz emotionalsprachlicher Mittel in Persuasionslagen ableiten. Hierzu wird insbesondere den Fragen nachgegangen, welche unterschiedlichen Formen sprachlicher Emotio-nalität es gibt und wie sich Emotionalität als komplementärer Persuasionsfaktor zur Argumentation verhält. Es

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ist deutlich zu machen, dass Gespräche nie frei von emotionaler Einflussnahme sind, und dass eine bewusste Steuerung emotionaler Prozesse die Erreichung des Gesprächsziels wahrscheinlicher macht. Als empirische Basis dienen Transkripte von Erstkontaktgesprächen zum Zweck der Partnerwerbung, sogenannte „Courtship-Gesprä-che“. Aufgrund ihrer spezifischen Zielrichtung sind diese Gespräche für eine emotionalrhetorische Untersuchung bestens geeignet.

Kurzvita: Lisa Überall studierte in Tübingen Romanistik, Allgemeine Rhetorik und BWL. Nach Abschluss ar-beitete sie bei der Wirtschafts- und Wissenschaftsfördergesellschaft des Landes Baden-Württemberg als Projekt-leiterin für ein Stipendienprogramm zum internationalen Austausch von Studierenden sowie als Vorstandsrefe-rentin an einem Forschungsinstitut. Nach vier Jahren im Beruf entschied sie sich für eine Promotion im Fach Allgemeine Rhetorik. Von Oktober 2010 bis September 2011 war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Tübingen beschäftigt, seitdem treibt sie ihr Projekt mit der Unterstützung eines Stipendiums voran. In Ihrer Dissertation beschäftigt sie sich mit dem rhetorischen Einsatz von Emotionen im Gespräch.

Sabine WanekRhetorische Strategien im Feedbackgespräch

„Missverständnisse zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern können durch geeignete Metakommunikation besei-tigt, Beziehungen und Konflikte geklärt sowie Vertrauen und Wir-Gefühl im Team dauerhaft gestärkt werden“, so Personalberater und Wirtschaftswissenschaftler Carsten Steinert über den Nutzen des Feedbackgesprächs.Wie lässt sich dieser Anspruch an ein Gespräch rhetorisch einordnen? Wie sind die Rahmenbedingungen des Feedbackgesprächs, wie ist das Setting? Was ist das Telos der Gesprächsteilnehmer? Für den Vorgesetzten zum Beispiel Verhaltensveränderung beim Mitarbeiter. Und für den Feedbacknehmer etwa: sich in ein positives Licht rücken, ohne sich dabei zu rechtfertigen. Was muss der Orator als Feedbackgeber tun, damit der Adressat Feedback annimmt, versteht und sein Verhalten ändert? Mit welchen Strategien und unter welchen Bedingungen wird ein Feedback tatsächlich zu einer Chance, einem „Geschenk“ und nicht als Angriff oder Kritik an der Persönlichkeit verstanden? Was ist angemessenes Feedback?Welche Rolle nehmen die Gesprächsteilnehmer ein, „dürfen“ sie einnehmen? Wie unterscheiden sich die Stra-tegien des Feedbackgebers und des Feedbacknehmers? Ist das Feedbackgespräch eine Kommunikationssituation, in der der Orator (Feedbackgeber) zum Adressaten (Feedbacknehmer) werden kann? Welche Rolle spielt das hierarchische Gefälle beim gegenseitigen Feedback und welche anderen Widerstände müssen beachtet werden? Diese Fragen gilt es durch die rhetorische Brille anhand aktueller Publikationen und Beispiele aus dem Berufs-alltag zu beleuchten und zu diskutieren.

Kurzvita: Sabine Wanek studierte 2001-2007 an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen und an der Univer-sità degli Studi di Firenze Allgemeine Rhetorik, Betriebswirtschaftslehre mit den Schwerpunkten Personal und Marketing sowie Empirische Kulturwissenschaft. Heute ist sie als Personalreferentin in der Zentrale des Goethe-Instituts in München tätig.

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Referentenund Moderatoren(in alphabetischer Reihenfolge)

Blase, BerndService & BeraterwerkstattZabel-Krüger-Damm 167a,D-13469 Berlin, [email protected]

Deppermann, Arnulf Prof. Dr. Institut für Deutsche SprachePF 10 61 21D-68016 [email protected]

Heinemann Robert T.Heinemann Management ConsultingEsterbergstr. 2782319 [email protected]

Jansen, NorbertNorbert Jansen: Interne | Externe Kom-munikation86473 ZiemetshausenBahnhofstraße [email protected]

Kalivoda, Gregor Dr.Seminar für Allgemeine RhetorikWilhelmstr. 5072074 Tü[email protected]

Knape, Joachim Prof. Dr.Seminar für Allgemeine RhetorikWilhelmstraße 5072074 Tü[email protected]

König, Jan C. L. Dr. Arbeitsbereich Unternehmenskommuni-kationp.a. Universität Hamburg Institut für Germanistik I Von-Melle-Park 6 20146 [email protected]

König, SebastianPfleghofstr. 472070 Tü[email protected]

Kramer, Olaf Dr.Seminar für Allgemeine RhetorikWilhelmstraße 5072074 Tü[email protected]

Kraus, Manfred Dr.Philologisches SeminarWilhelmstr. 3672074 Tü[email protected]

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Lange, StellaRosenberggasse 11/4A-8010 [email protected]

Leidl, Christoph Dr.Seminar für Klassische Philologie Universität Heidelberg Marstallhof 2-4 69117 Heidelberg [email protected]

Peters, StephanTechnische Universität BerlinFachgebiet Allgemeine Linguistik, H42Straße des 17. Juni 135, 10623 [email protected]

Robling, Franz-Hubert Dr. habil D.R.Seminar für Allgemeine RhetorikWilhelmstraße 5072074 Tü[email protected]

Schärf, Christian Prof. Dr.Institut für Literarisches Schreiben und LiteraturwissenschaftUniversität HildesheimMarienburger Platz 2231141 Hildesheim

[email protected]

Schild, Hans-Jochen Dr.Hindemithstr 16 a62477 Maintal [email protected]

Schirren, Thomas C. Prof. Dr.Universität SaltzburgAltertumswissenschaftenKlassische PhilologieResidenzplatz 1/IA-5020 [email protected]

Schmohl, TobiasCareer Service Tübingen (Virtuelle Rheto-rik) / Deutsches SeminarWilhelmstr. 5072074 Tü[email protected]

Schulze, Jan HenningOtto-Friedrich-Universität BambergHornthalstraße 2Raum 00696045 [email protected]

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Spohr, AntoniaKiefernweg 7, 89134 Blaustein,[email protected]

Starck, BrittaFB Altertumswissenschaften - Klassische PhilologieResidenzplatz 1/IA-5010 [email protected]

Stukenbrock, Anja PD Dr.Germanistische LinguistikFreiburg Institute for Advanced StudiesAlbertstr. 19 79104 Freiburg im [email protected]

Till, Dietmar Prof. Dr.Seminar für Allgemeine RhetorikWilhelmstraße 5072074 Tü[email protected]Überall, LisaSeminar für Allgemeine RhetorikWilhlmstr. 5072074 Tü[email protected]

Ulrich, Anne Dr.Seminar für Allgemeine RhetorikWilhelmstraße 5072074 Tü[email protected]

Wanek, SabineGuntherstraße 1580639 Mü[email protected]

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Buchhinweis:

Joachim Knape, Olaf Kramer und Thomas Schirren (Hrsg.):

Rhetorik. Bildung – Ausbildung – Weiterbildung. Erträge der Salzburg-Tübinger Rhetorikgespräche

Reihe neue rhetorik Band 13Weidler Verlag Berlin

Erscheint im Sommer 2012

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Inhalt des Buches:

Baldur Kirchner: Über die psychischen Voraussetzungen des rednerischen movere und delectare

Thomas Schirren: Wie die alten Rhetoriker übereinander dachten, schrieben und redeten

Thomas Zinsmaier: Zwischen Orthographie und Philosophie. Lateinische Rhetoriklehrbücher des Frühhuma-

nismus

Meinolf Vielberg: Die Rezeption Quintilians in den Institutiones rei scholasticae von Johann Matthias Gesner

Franz-Hubert Robling: Geschichtsbewusstsein als Erfordernis rhetorischer Wissenschaft und Ausbildung

Heiner Apel, Josefine Méndez und Katrin von Laguna: O Brother, Where Are Thou? Bestandsaufnahme der

(universitären) Ausbildung von Rhetorik-Trainern und ein Seminar-Beispiel der RWTH Aachen

Katie Böhme: Internetbasierte Rhetoriktrainings – Praktiken, Probleme, Potentiale

Roland W Wagner: Zur rhetorischen Ausbildung in Lehramtsstudiengängen. Bedürfnisse – Möglichkeiten –

Probleme am Beispiel Baden Württembergs

Walther Kindt: Redeanalyse und Redebewertung. Ein Plädoyer für eine Neuorientierung und Fundierung der

Schulung und Evaluation rhetorischer Fähigkeiten

Olaf Kramer: Verbotene Rhetorik. List, Tücke und geheimes Wissen als Erfolgsformeln in der rhetorischen

Ratgeberliteratur

Hagen Schick: Was kostet’s, was bringt’s? Zum Problem qualitativer Beurteilung von Rhetoriktrainings

Wolfgang Gast: Die juristische Subsumtion als rhetorisches Verfahren. Überlegungen zur Rolle der Rhetorik in

der juristischen Ausbildung

Alexander Baur: Informalisierung und Flexibilisierung als Gefahr und Herausforderung für das Recht und die

Rechtsausbildung

Simon Wolf: Neue Anforderungen in der Vermittlung juristischer Schlüsselqualifikationen

Manfred Kienpointner: Topik und Didaktik. Zur Lehrbarkeit der Findung von Argu-menten

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VeranstalterRhetorikforumSeminar für Allgemeine Rhetorik, Universität Tübingen

Organisation Prof. Dr. Joachim KnapeJasmina GherairiMaximilian Höke

FotografienAlexander BlumThomas Susanka

ProgrammheftJasmina GherairiThomas Susanka

TagungszeitungJan HeckerJulian Bhadra

VeranstaltungsortEberhard Karls Universität TübingenNeuphilologieWilhelmstraße 50D-72074 Tübingen

Allgemeine Hinweise

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Allgemeine HinweiseTagungsbüroDas Tagungsbüro ist die zentrale Anlaufstelle, bei der Sie alle Informati-onen erhalten, die Sie benötigen.Wilhelmstraße 50Raum 030D-72074 Tübingen

ÖffnungszeitenFreitag, 08. Juni: 11.00 – 13.00 UhrSamstag, 09. Juni: 8.00 – 9.00 Uhr

Bei dringenden Fragen während der Tagung 0176 - 23 58 69 13 (Jasmina Gherairi)01577 - 195 4662 (Maximilian Höke)

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Wir danken herzlich für die Unterstützung:

Universitätsbund Tübingen e.V.