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EVANGELISCH- REFORMIERTE ZEITUNG FüR DIE DEUTSCHE UND RäTOROMANISCHE SCHWEIZ NR. 6.2 | 15. JUNI 2012 WWW.REFORMIERT.INFO / Kanton Zürich HEIMSTäTTE Eine Frage des Werts und des Wertens LUXUSLAGE. Randolins, die christliche Heimstätte in St. Moritz – hier haben viele unvergessliche Jugend- lager oder Gemeindewochen erlebt. Weil das Hotel nicht mehr rentierte, hat es der Zürcher Stadtverband über- nommen. Ist das eine sinn- volle und kirchengerechte Investition? > Seite 2 Kirche sein in Chicago – und in Adliswil STUDIENURLAUB. Sechs Monate standen dem Adlis- wiler Pfarrer Achim Kuhn als «Auszeit» zur Verfügung. Er hat diese Zeit genutzt, um sich auf Ideen und Her- ausforderungen aus anderen Kirchen einzulassen – in Kamerun und in Chicago. Jetzt gilt es, «Leadership» in unseren hiesigen Verhältnis- sen umzusetzen. > Seite 8 SCHWERPUNKT «Die Deutschen? Die sind doch ganz normal» REPORTAGE. Deutsche, die auf den Ar- beitsmarkt drängen, Deutsche, die den Dialekt gefährden, Deutsche, die mit ihrer Rhetorik die Schweizer in den Schatten stellen, deutsche Arroganz im Steuerstreit: Antideutsche Stimmung ist en vogue. Ein Grund, genauer hin- zuschauen und zwei deutsche Pfarrer bei ihrer Konfirmationsfeier zu begleiten: den Lutheraner Johannes Lehnert in der Zürcher Expat-Gemeinde und Sven Hesse, reformierter Jugendpfarrer in Wallisellen. Seine Konfirmanden bilanzie- ren entspannt: «Die Deutschen sind doch ganz normal.» > Seiten 4–5 PORTRäT HEKS Velos zum Leihen und Liefern ARBEITSPROJEKT. «Thalwil bringts!» – die Waren näm- lich, die die Kundin sonst heimschleppen müsste. Und «Wädi rollt!» – auf Leihvelos wohlverstanden. Auch in Kloten, Horgen, Winterthur und am Greifensee stehen Leihvelos zur Verfügung. Mög- lich macht es «Heks rollt», ein Projekt, das Langarbeits- lose beschäftigt. > Seite 3 BILD: ALEXANDER EGGER BILD: CHRISTINE BäRLOCHER BILD: ZVG BILD: CHRISTIAN AEBERHARD KOMMENTAR CHRISTA AMSTUTZ ist «reformiert.»- Redaktorin in Zürich Seen, mit rund 7000 Mitgliedern die drittgrösste Kirchgemeinde in Winterthur, hat ein Luxuspro- blem: Man schwimmt quasi im Geld. 2011 wurde ein Ertragsüberschuss von fast 180 000 Franken erzielt, und zusätzlich stellen Gönner seit Jahren grosszü- gig Mittel zur Verfügung. Dieses Sponsoring geriet Ende 2010 mit dem Rücktritt der liberalen Pfarrerin Ruth Näf Bernhard unter Beschuss. SCHATTENSTRUKTUR. Der Kirchenrat liess den Vor- wurf untersuchen, «evangelikale Kreise» würden mit einer «Schattenstruktur» die Gemeinde kon- trollieren. Er kam zum Schluss: Das bisher über die «Stiftung focus.c» abgewickelte Sponsoring muss rechtlich korrekt aufgegleist werden. Am 30. Mai beschloss die Kirchgemeindeversammlung nun die Gründung eines Fördervereins. Er soll gesponserte Projekte prüfen und der Kirchenpflege zur Geneh- migung vorlegen. Ähnliche Konstrukte kennen auch andere Gemeinden, etwa Gossau oder Steinmaur. Die «Stiftung focus.c» war 2002 gegründet wor- den, um «Mittel an Arbeitskraft und Material» für die Hauskreisarbeit zur Verfügung zu stellen. So lautet auch heute noch der im Handelsregister eingetrage- ne Stiftungszweck, obschon die gesponserten Stel- len sukzessive auf 200 Stellenprozente ausgebaut wurden. Sie sind heute auf sieben Personen verteilt, die in unterschiedlichen Bereichen arbeiten. Geht man von Sozialdiakonen-Salären aus, kann man auf eine gespendete Summe zwischen 140 000 und 240 000 Franken jährlich schliessen. TRANSPARENZ. Woher das Geld stammt, wurde in der Untersuchung des heutigen Kirchenrats Fritz Oesch offengelegt. Sein Bericht und die Liste der Sponsoren sind aber geheim. Es handle sich um Gläubige, die in Seen den Lobgottesdienst be- suchen, aber nicht alle zur Kirchgemeinde Seen gehören. Im geplanten Förderverein wird mehr Transparenz herrschen: Laut Rechtsanwalt Ueli Vogel-Etienne – er amtet im Auftrag des Kirchen- rats als juristischer Berater – wird der Geldfluss für Projekte über die normale Rechnung von Kirchge- meinde und Stadtverband laufen. Dass im neuen Förderverein nur Behördenmit- glieder und Pfarrpersonen Einsitz nehmen können, soll die demokratische Legitimierung garantieren. An der Kirchgemeindeversammlung wurde dazu aber auch Kritik laut: Wer bestimmt die genaue Zusammensetzung des Vereins? Kann er nach der Gründung die Statuten beliebig ändern? Stellen nicht dieselben Leute als Förderverein Anträge, die sie dann als Kirchenpflege bewilligen? BEZIEHUNGEN. Aus dem Kreis der fünfzehn poten- ziellen Förderverein-Mitglieder, der elfköpfigen Kirchenpflege und der vierköpfigen Pfarrschaft, stehen mindestens drei Personen als amtierende oder ehemalige Stiftungsräte mit «focus.c» in Ver- bindung: Kirchenpflegerin Barbara Steiner sowie die Pfarrer Dominik Reifler und Hans-Jürg Meyer. Und wo steht Maren Büchel, die im April gewählte Nachfolgerin von Pfarrerin Ruth Näf Bernhard? Sie vertritt eine «versöhnte Verschiedenheit», sagt Kirchenpflegepräsidentin Verena Bula sibyllinisch: «Pfarrpersonen mit unterschiedlicher theologischer Ausrichtung müssen einander achten und nicht Gräben zementieren. Insofern brauchen wir eine Pfarrperson, die die ‹andere Seite› nicht grundsätz- lich ablehnt, egal, von welcher Seite man ausgeht.» Vakant ist derzeit noch die vierte, eine Ergänzungs- pfarrstelle. Die Landeskirche steht laut Sprecher Nicolas Mori «voll hinter der Lösung in Seen». Der Kirchenrat habe stets betont, dass die Arbeit der Stiftung an sich wertvoll sei und es nicht darum gehen könne, sie zu unterbinden. THOMAS ILLI Wenn das Dach hält, ein Vorbild für die Landeskirche HAUS. «Alle unter einem Dach» – heisst der Leitgedanke der reformier- ten Kirchgemeinde Winterthur- Seen. Mit Worten wie «wohlwollend» und «versöhnend» füllt er auf ihrer Website die Skizze eines Hauses. Als Anhängerin der Volkskirche ge- fällt mir das Bild vom Dach. Doch es verlangt mir einiges ab: Im ge- meinsamen Haus muss es Platz haben für unterschiedliche Meinungen und Glaubensweisen. VIELFALT. Wenn ich Seelennahrung suche, können mich Unterschiede empfindlich stören. Im Gottesdienst etwa: peppige statt tiefgründige Musik, Multimedia statt Liturgie, zu viele Antworten statt Fragen. Umso mehr beeindruckt mich, wie Seen am Dach für alle festhält. Es gibt traditionelle Gottesdienste mit Kantorei und Orgel und Lob- preisfeiern mit christlichem Pop. Es gibt Abende zu gesellschaftspoli- tischen Fragen und Alphalive-Kurse. Auch ich könnte mich engagieren: für Brot für alle, beim ökumenischen Gebet, im World-Bistro. GLEICHGEWICHT. Seen kann Modell- charakter haben. Vorausgesetzt, das Gleichgewicht zwischen Libera- len und Evangelikalen ist gewahrt. Dafür braucht es zwingend Pfarre- rinnen und Sozialdiakone beider Kulturen, die im Gespräch bleiben und nicht gegeneinander arbeiten. Und die Gelder des neuen Förder- vereins müssen auch in Projekte der nicht evangelikalen Seite fliessen. Die grosszügigen Spender kön- nen nun zeigen, dass sie die Gemein- de nicht unterwandern, sondern eine ganzheitliche Kirche wollen – eine, die auf verschiedenen Wegen des Glaubens begleitet und sich leidenschaftlich für mehr Gerechtig- keit in der Welt einsetzt. Die Pfarrer Dominik Reifler und Hans-Jürg Meyer und die Kirchenpflege- präsidentin Verena Bula repräsentieren eine vielfältige Gemeinde BILD: RETO SCHLATTER Schafft Seen den Spagat im Spendenstreit? KOMPROMISS/ Ein Förderverein soll «evangelikales» Sponsoring in demokratisch abgestützte Bahnen lenken.

Schafft Seen den Spagat im Spendenstreit? · evangelisch-reformierteZeitungfür diedeutscheund rätoromanischeschweiZ nr.6.2|15.Juni2012 /kantonzürich heimstätte Eine Frage des

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evangelisch-reformierte Zeitung fürdie deutsche undrätoromanische schweiZ

nr. 6.2 | 15. Juni 2012www.reformiert.info

/ kanton zürich

heimstätte

Eine Frage desWerts unddes Wertensluxuslage. Randolins, diechristliche Heimstätte inSt.Moritz – hier haben vieleunvergessliche Jugend-lager oder Gemeindewochenerlebt.Weil das Hotel nichtmehr rentierte, hat es derZürcher Stadtverband über-nommen. Ist das eine sinn-volle und kirchengerechteInvestition? > seite 2

Kirche seinin Chicago –und in Adliswilstudienurlaub. SechsMonate standen demAdlis-wiler Pfarrer Achim Kuhnals «Auszeit» zur Verfügung.Er hat diese Zeit genutzt,um sich auf Ideen und Her-ausforderungen aus anderenKirchen einzulassen – inKamerun und in Chicago.Jetzt gilt es, «Leadership» inunseren hiesigen Verhältnis-sen umzusetzen. > seite 8

schwerpunkt

«die deutschen?die sind dochganz normal»reportage. Deutsche, die auf denAr-beitsmarkt drängen, Deutsche, dieden Dialekt gefährden, Deutsche, die mitihrer Rhetorik die Schweizer in denSchatten stellen, deutsche Arroganz imSteuerstreit: Antideutsche Stimmungist en vogue. Ein Grund, genauer hin-zuschauen und zwei deutsche Pfarrerbei ihrer Konfirmationsfeier zu begleiten:den Lutheraner Johannes Lehnert inder Zürcher Expat-Gemeinde und SvenHesse, reformierter Jugendpfarrer inWallisellen. Seine Konfirmanden bilanzie-ren entspannt: «Die Deutschen sinddoch ganz normal.» > seiten 4–5

porträt

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Velos zumLeihen undLiefernarbeitsprojekt. «Thalwilbringts!» – dieWaren näm-lich, die die Kundin sonstheimschleppenmüsste. Und«Wädi rollt!» – auf Leihveloswohlverstanden.Auch inKloten, Horgen,Winterthurund amGreifensee stehenLeihvelos zur Verfügung.Mög-lich macht es «Heks rollt»,ein Projekt, das Langarbeits-lose beschäftigt. > seite 3

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Seen, mit rund 7000 Mitgliedern die drittgrössteKirchgemeinde in Winterthur, hat ein Luxuspro­blem:Man schwimmtquasi imGeld. 2011wurde einErtragsüberschuss von fast 180000 Franken erzielt,und zusätzlich stellen Gönner seit Jahren grosszü­gig Mittel zur Verfügung. Dieses Sponsoring gerietEnde 2010mit demRücktritt der liberalen PfarrerinRuth Näf Bernhard unter Beschuss.

schattenstruktur. Der Kirchenrat liess den Vor­wurf untersuchen, «evangelikale Kreise» würdenmit einer «Schattenstruktur» die Gemeinde kon­trollieren. Er kam zum Schluss: Das bisher über die«Stiftung focus.c» abgewickelte Sponsoring mussrechtlich korrekt aufgegleist werden. Am 30.Maibeschloss die Kirchgemeindeversammlung nun dieGründung eines Fördervereins. Er soll gesponserteProjekte prüfen und der Kirchenpflege zur Geneh­migung vorlegen. ÄhnlicheKonstrukte kennen auchandere Gemeinden, etwa Gossau oder Steinmaur.

Die «Stiftung focus.c» war 2002 gegründet wor­den, um«Mittel anArbeitskraft undMaterial» für dieHauskreisarbeit zur Verfügung zu stellen. So lautetauchheute nochder imHandelsregister eingetrage­ne Stiftungszweck, obschon die gesponserten Stel­len sukzessive auf 200 Stellenprozente ausgebautwurden. Sie sind heute auf sieben Personen verteilt,die in unterschiedlichen Bereichen arbeiten. Gehtman von Sozialdiakonen­Salären aus, kann manauf eine gespendete Summe zwischen 140000 und240000 Franken jährlich schliessen.

transparenz. Woher das Geld stammt, wurde inder Untersuchung des heutigen Kirchenrats FritzOesch offengelegt. Sein Bericht und die Liste derSponsoren sind aber geheim. Es handle sich umGläubige, die in Seen den Lobgottesdienst be­suchen, aber nicht alle zur Kirchgemeinde Seengehören. Im geplanten Förderverein wird mehrTransparenz herrschen: Laut Rechtsanwalt UeliVogel­Etienne – er amtet im Auftrag des Kirchen­rats als juristischer Berater – wird der Geldfluss fürProjekte über die normale Rechnung von Kirchge­meinde und Stadtverband laufen.

Dass im neuen Förderverein nur Behördenmit­glieder und Pfarrpersonen Einsitz nehmen können,soll die demokratische Legitimierung garantieren.An der Kirchgemeindeversammlung wurde dazu

aber auch Kritik laut: Wer bestimmt die genaueZusammensetzung des Vereins? Kann er nach derGründung die Statuten beliebig ändern? Stellennicht dieselben Leute als Förderverein Anträge, diesie dann als Kirchenpflege bewilligen?

beziehungen. Aus dem Kreis der fünfzehn poten­ziellen Förderverein­Mitglieder, der elfköpfigenKirchenpflege und der vierköpfigen Pfarrschaft,stehen mindestens drei Personen als amtierendeoder ehemalige Stiftungsräte mit «focus.c» in Ver­bindung: Kirchenpflegerin Barbara Steiner sowiedie Pfarrer Dominik Reifler und Hans­Jürg Meyer.Und wo steht Maren Büchel, die im April gewählteNachfolgerin von Pfarrerin Ruth Näf Bernhard?Sie vertritt eine «versöhnte Verschiedenheit», sagtKirchenpflegepräsidentin Verena Bula sibyllinisch:«Pfarrpersonenmit unterschiedlicher theologischerAusrichtung müssen einander achten und nichtGräben zementieren. Insofern brauchen wir einePfarrperson, die die ‹andere Seite› nicht grundsätz­lich ablehnt, egal, von welcher Seite man ausgeht.»Vakant ist derzeit noch die vierte, eine Ergänzungs­pfarrstelle. Die Landeskirche steht laut SprecherNicolas Mori «voll hinter der Lösung in Seen». DerKirchenrat habe stets betont, dass die Arbeit derStiftung an sich wertvoll sei und es nicht darumgehen könne, sie zu unterbinden. thomas illi

wenndasdachhält,ein vorbild fürdie landeskirchehaus. «Alle unter einem Dach» –heisst der Leitgedanke der reformier­ten Kirchgemeinde Winterthur­Seen. Mit Worten wie «wohlwollend»und «versöhnend» füllt er auf ihrerWebsite die Skizze eines Hauses.Als Anhängerin der Volkskirche ge­fällt mir das Bild vom Dach. Doches verlangt mir einiges ab: Im ge­meinsamen Haus muss es Platz habenfür unterschiedliche Meinungenund Glaubensweisen.

vielfalt. Wenn ich Seelennahrungsuche, können mich Unterschiedeempfindlich stören. Im Gottesdienstetwa: peppige statt tiefgründigeMusik, Multimedia statt Liturgie,zu viele Antworten statt Fragen.Umso mehr beeindruckt mich, wieSeen am Dach für alle festhält.Es gibt traditionelle Gottesdienstemit Kantorei und Orgel und Lob­preisfeiern mit christlichem Pop. Esgibt Abende zu gesellschaftspoli­tischen Fragen und Alphalive­Kurse.Auch ich könnte mich engagieren:für Brot für alle, beim ökumenischenGebet, im World­Bistro.

gleichgewicht. Seen kann Modell­charakter haben. Vorausgesetzt,das Gleichgewicht zwischen Libera­len und Evangelikalen ist gewahrt.Dafür braucht es zwingend Pfarre­rinnen und Sozialdiakone beiderKulturen, die im Gespräch bleibenund nicht gegeneinander arbeiten.Und die Gelder des neuen Förder­vereins müssen auch in Projekte dernicht evangelikalen Seite fliessen.Die grosszügigen Spender kön­nen nun zeigen, dass sie die Gemein­de nicht unterwandern, sonderneine ganzheitliche Kirche wollen –eine, die auf verschiedenen Wegendes Glaubens begleitet und sichleidenschaftlich für mehr Gerechtig­keit in der Welt einsetzt.

Die Pfarrer Dominik Reifler und Hans-Jürg Meyer und die Kirchenpflege-präsidentin Verena Bula repräsentieren eine vielfältige Gemeinde

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Schafft Seen den Spagatim Spendenstreit?kompromiss/ Ein Förderverein soll «evangelikales»Sponsoring in demokratisch abgestützte Bahnen lenken.

2 reformiert. | www.reformiert.info | nr.6.2/ 15.Juni 2012region

Das Ferienzentrum Randolins am Luxushügel von St.Moritz. Geschätzter Gesamtwert: hundert Millionen Franken

Gemeindeferien im Jetset-Landferien/ Die reformierten Kirchgemeinden der Stadt Zürich investieren viel Geld in eindefizitäres, aber traditionsreiches christliches Hotel im mondänen St.Moritz. Macht das Sinn?

Bild:Z

vg

Virtuelle Boldern-Millionenerhitzen die GemüterVereinsVermÖgen/ Vor einem möglichen Neustart mit neuen Zielen strittder Trägerverein von Boldern um die Liquidation des Vermögens.

Auf den ersten Blick zeig­ten die Traktanden der Bol­dern­VereinsversammlungAnfang Juni wenig Brisanz:Eine Statutenänderung standim Zentrum. Aber die Dis­kussion wurde bald hitzig;die streitbare Pfarrerin LeniAltwegg beklagte sich: «Allesdreht sich in der Diskussionum Geld.» Indes: Auf Bolderndreht sich seit Jahren allesums Geld, seitdem die Bil­dungs­ und Tagungsstätte indie roten Zahlen schlitterte.

abrupt. Vergangenes Jahrzog der Kirchenrat abrupt dieNotbremse. Statt weiterhinjährlich eine halbe Millionfür den Studienbereich aufzu­bringen, wurde dieser in dieLandeskirche integriert. Füreine Gruppe um den Theolo­gieprofessor Werner Kramerwar deshalb klar: Die Ver­einsstatuten passen nach dervonderKirche forcierten Inte­gration des Bildungsbereichsnicht mehr, denn sie räumen

der Landeskirche das Privilegein, bei einer möglichen Auf­lösung des Boldernvereinsdas potenzielle Bauland imWert von sechzig MillionenFranken zu verwerten – nachAbzug der ungefähr fünf Mil­lionen Franken Schulden.

unfreundlich. Bereits imVorfeld warnten KirchenratFritz Oesch und Kirchenrats­präsident Michel Müller dieVersammlung schriftlich vordem «unfreundlichen» Akteiner «übereilten» Statu­tenänderung. Der Brief gingan die Kirchenpflegen, dieeingeschriebene Mitgliederdes Trägervereins Boldernsind. Begründung des Kir­chenrats: Boldern sei von derLandeskirche mit Millionensubventioniert worden. DieVereinsversammlung wardenn auch gespalten: Auf dereinen Seite standen die Ein­zelmitglieder, die sich auf den«Geist von Boldern» berie­fen und die Statuten ändern

wollten; auf der anderen dieKirchgemeinden. Sie setztenihren Antrag auf Nichteintre­ten in das Geschäft der Statu­tenänderung durch – mit 62Nein­ zu 40 Ja­Stimmen bei6 Enthaltungen.

zukunftsfähig. Der ganzeStreit um die Rechtsform istpsychologisch zu erklären, alseine Gegenreaktion auf dasVorgehen der Landeskirche.Der Vereinsvorstand will dieStatuten erst ändern, wenntragfähige Projekte für dieNeuausrichtung von Bolderngefunden wurden. Die ersteEtappe dazu ist die Zukunfts­konferenz vom 1.September.Dort sollen mögliche Projektegefunden werden. Im Januar2013 soll nach dem Plan desProjektleiters Roman Baurdie Entscheidung für eineNeunutzung fallen. Dann solles neben einer überzeugen­den Idee auch einen realisti­schen Businessplan geben.delf bucher

thomas illi

pro

sonderzonenmit ho-herwohnqualitätin obwalden, wo rei-che quasi ausserhalb des für normals-terbliche gültigenBaurechts ihre villenerrichten könnten;

sonderspuren für Besserver-dienende auf autobahnen – diesevorschläge sind leider keinescherze, es hat sie in der tat schongegeben. die «seefeldisierung»betrifft nicht nur Zürich, sonderndie ganze schweiz. dass sichimoberengadin normalverdienen-de einheimische daswohnenund normalverdienende unterlän-der das ferienmachen kaummehr leisten können, ist leiderbereits tatsache. soll man davorkapitulieren? nein! der sozialefrieden in der schweiz verträgtkeine Parallelgesellschaften:auch normalsterbliche sollen sichin den touristischen «sonderzo-nen» aufhalten dürfen, alswillkommene feriengäste undnicht nur als dienstpersonal.dafür darf und soll sich auch dieKirche einsetzen.

Der Suvretta­Hang ob St.Moritz gilt alseine der exklusivsten Wohnlagen in derSchweiz. Doch inmitten der Villen derSuperreichen ist eine 19000Quadratme­ter grosse Oase für Normalbürger erhal­ten geblieben: Randolins – Dreisterne­Hotelbetrieb sowieGruppenunterkünfte,verteilt auf insgesamt fünf Häuser.

reich und arm. Bis vor Kurzem ge­hörte das Ferienzentrum dem Vereinfür evangelische Heimstätten Zürich.GeschätzterGesamtwert: hundertMillio­nen Franken. Doch trotz der Traumlageist Randolins seit Jahren defizitär. Es hatmit Boldern (sieheArtikel unten) ein Pro­blemgemein:millionenschwerer Boden,aber keine liquiden Mittel. Nun hat derVerband der reformierten StadtzürcherKirchgemeinden auf Bitte des Vereins

für knapp zweieinhalbMillionenFrankenRandolins übernommen – nicht direkt,sondernüberdie neue «StiftungZentrumRandolins St.Moritz», in der er federfüh­rend ist. Der Stadtverband stellt zudemwährend vorerst vier Jahren jährlich400000 Franken für Investitionen bereit.Der alte Vereinszweck wurde verkürztals Stiftungszweck übernommen: Als«Ort der Besinnung und Bildung» solledasZentrum«christlichesGedankengut»mit «aktuellenThemenundBedürfnissender Gesellschaft» verbinden.

Randolins wurde 1954 auf Initiativevon Hannes Studer, damals Pfarrer inSchwamendingen, für wenig Geld ge­kauft. Kirchliche Gruppen bauten dieeinfachen Häuser in Fronarbeit aus, bisdie ersten Gemeindeferien und Konfir­mandenlager stattfinden konnten.

richtig und falsch. Ist es Aufgabe derKirche, ein Hotel zu betreiben? «Ja», fin­det Martin Zollinger, Stiftungspräsidentund Vorstandsmitglied im Stadtverband.«Wir wollen Randolins wieder zum Be­gegnungsort für Kirchgemeindemitglie­der machen» (siehe Beilage). Der Stadt­verband habe das Zentrum schon langemit Darlehen unterstützt, die nun in dieStiftung geflossen seien. Für die Ein­stiegssumme hätten nur anderthalb Mil­lionenFrankenneu aufgewendetwerdenmüssen, so Zollinger. «Das Stiftungsreg­lement erlaubt zudem, zur SicherungderZweckerfüllung notfalls Aktiven, etwaein Haus, zu verkaufen.»

In der Zentralkirchenpflege (ZKP),dem Parlament des Stadtverbands, wur­de das Geschäft mit grosser Mehrheitabgesegnet. «Nicht vertretbar», findet

Max Wipf, ZKP­Delegierter der Kirch­gemeinde Oberstrass, den Entscheid,«angesichts der laufenden Reform derStadtzürcher Kirchgemeinden und derfür die Kirchen zu erwartenden Finanz­engpässe». Wipf ist auch der Stiftungs­zweck zu allgemein: «Wenn schonFeriensubventionieren,dann fürdie, die sie sichnicht leisten können, nicht für alle.»

strand und berge. Schon seit Jahrenbetreibt der Stadtverband erfolgreichdas Ferienzentrum Magliaso im Tessin.Auch das 24000­Quadratmeter­Anwe­sen am Luganersee gehörte einst demVerein für evangelischeHeimstätten.MitRandolins ist der Stadtverband nun auchGastgeber im Engadin. Und die ZürcherReformierten haben die Wahl zwischenStrand und Bergen. christa amstutz

Ist es richtig, dass die Kirche Hotels inHochpreisgebieten unterstützt?

delf Bucher

kontra

die Kirche schütztvieles. sie schütztmenschen am rande,sie ist schutzpa-tronin für den arbeits-freien sonntag, siewacht über christlicheKulturgüter.ausge-

hend von der schöpfungstheologie,setzt sie sich für den umwelt-schutz ein. und nun finanziert sieauch noch eine kapitalismus-freie schutzzone amvillenhügelvon st.moritz. dem stadtver-band ist das unrentable hotelrandolins vier millionen frankenwert. manche werden dies alssympathische geste zu schätzenwissen.aber ich bin sicher:der kirchliche heimatschutz, dender stadtverband im fernenst.moritz betreibt, wird von an-deren als verschwendung vonsteuergeldern kritisiert.wenn dieKirche aber für tausend allein-erziehendemütter einmal familien-ferien finanzieren würde, dannhätte sie die gelder wirkungsvolleingesetzt und auch ihr sozia-les engagement unter Beweis ge-stellt.

reformiert. | www.reformiert.info | nr.6.2/ 15.Juni 2012 region 3

2009 hatte die reformierte Kirchge­meinde Trüllikon­Truttikon im ZürcherWeinland (Bezirk Andelfingen) einenKredit von 400000 Franken verabschie­det, um eine 260 Quadratmeter grosseFotovoltaikanlage auf dem Kirchendachzu installieren. Doch war für Trüllikonvon Anfang an klar, dass das Projektnur zu realisieren sei, wenn Swissgrid,die nationale Netzgesellschaft, eine kos­tendeckende Einspeisevergütung (KEV)garantiert. Lange stand Trüllikon auf derWarteliste und musste sich gedulden.Im April nun hat die Swissgrid die KEVgutgeheissen und damit denWeg freige­macht zur Umsetzung des Projekts, wie«reformiert.»­Recherchen ergaben.

Im Herbst dieses Jahres soll die Solar­anlage installiert werden. Violette Ste­wart, verantwortlich für FinanzenundÖf­

fentlichkeitsarbeit in derKirchgemeinde,streicht heraus: «DieKirche vonTrüllikonist perfekt geeignet für eine Fotovoltaik­anlage, sowohl von der Neigung des Da­ches, seiner Grösse wie auch von seinerFarbe her.»

kaum wahrzunehmen. Die 1968 ge­baute Kirche mit ihrem markanten Turmprägt das Ortsbild. Das Dorf liegt auf derNordseite der Kirche, die Solaranlagewird jedoch auf der Südseite des schrägliegenden Pultdaches montiert. Hinzukommt, dass die schwarzen Solarmo­dule auf der dunkelgrauen Farbe desDachs optisch kaum wahrnehmbar seinwerden. Lorenz Vetter, Leiter des So­larenergiekraftwerks Ossingen (Solko)und Berater Trüllikons beim Solarpro­jekt, ist denn auch überzeugt, dass der

Heimatschutz keine Bedenken habenwird. In der Trülliker Fotovoltaikanlagewerden160modernste Solarzellen von je1,6×1Quadratmetern einen Ertrag vongegen 50000 Kilowattstunden im Jahrerbringen. Das entspricht dem Energie­verbrauch von zwölf Haushalten.

AbHerbst wird der Strom ins Netz derElektrizitätswerke des Kantons Züricheingespiesen werden können. Es wirdsich lohnen: Aufgrund der günstigenPreisentwicklung und gewisser Überka­pazitäten in der Solarbranche kostet dieAnlage nicht 400000 Franken, wie 2009von der Gemeinde budgetiert, sondernnur noch rund 180000 Franken.

potenzial vorhanden. Auf gut einemDutzend kirchlicher Gebäude in derSchweiz sind Installationen zur Gewin­

nung von Sonnenenergie eingerichtet.Die einzige mit einem kompletten Solar­dachwar bislang dieökumenischeKirchevon Halden SG. Nun erhält Trüllikon lautVetter «dasKirchendachmit der grösstenEnergieleistung in der Schweiz». KurtAufdereggen, Umweltbeauftragter desVereins «oeku Kirche und Umwelt», istzufrieden: «Mit solchen Projekten tre­ten die Kirchgemeinden den Tatbeweisan, dass es ihnen ernst ist, aktiv an derEnergiewende mitzuwirken.» Für Aufde­reggenhat abernachwievordasEnergie­sparen Priorität: «Bevor KirchgemeindenSolaranlagenmontierenunderneuerbareEnergien produzieren, müssen sie daraufachten, wo und wie sich der Energie­verbrauch in Kirchgebäuden reduzierenlässt. Da ist noch ein riesiges Potenzialvorhanden.» stefan schneiter

Trüllikon holt Energie vom Himmelsolarenergie/ Bundesgeldern sei Dank: Trüllikon rüstet als erste Gemeinde im KantonZürich das Kirchendach mit einer flächendeckenden Fotovoltaikanlage aus.

Langzeitarbeitslosetreten in die Pedale«heks rollt»/ Veloverleih und Hauslieferdienste –rechtzeitig für die Sommersaison hat Hekssein Sozialprojekt für Erwerbslose erweitert.

Vor zwei Jahren war der 24­jährige René Spirig*am Boden zerstört. Beruflich gescheitert, privatisoliert, wurde er mit einer schweren Depressionin die Psychiatrie eingewiesen. Heute sagt er: «Ichbin froh, dass ich den Einstieg in den Beruf wiedergeschafft habe.» Nach mehr als einem Jahr ArbeitbeimHeks­Sozialprojekt «Thalwil rollt» kann er nunbeim Aufbau eines neuen Heks­Veloprojektes inKloten mithelfen – in verantwortlicher Position undmit einem Arbeitsvertrag in der Tasche.

sechs standorte. Spirig soll nun in Kloten denGratis­Veloverleih und den Bring­ und Abholdienstaufbauen, bei dem sechs Langzeitarbeitslose be­schäftigt werden. «René hat in Thalwil bewiesen,dass er gut organisieren kann», sagt EdoTikvesa. Erselber hat in nur drei Jahren das von Heks betreuteProjekt «Wädi rollt» zu einem kantonsübergreifen­den Angebot mit sechs Standorten ausgebaut. InThalwil existieren heute ein gut funktionierenderVeloverleih und ein Hauslieferservice (siehe Spalte

rechts). Auch das im Sommer 2011 am Greifenseelancierte Projekt «Heks rollt» wird nach der be­standenen Pilotphase als fester Standort im Netzder Heks­Velostationen bleiben. Hier sind zwanzigVelos und zwei Kinderfahrräder stationiert. Undrechtzeitig zur Velosaison im Sommer können auchKlotener und Winterthurerinnen Velos ausleihen.In Winterthur hat Edo Tikvesa ausserdem eineneue Nische für den Hauslieferdienst entdeckt: InZusammenarbeit mit der Stadtbibliothek wird einBücher­Bring­und­Abhol­Dienst ausprobiert.

viel nutzen. Auch in Horgen wird ein Pilotprojektaufgegleist. Hier ist die reformierte Kirchenpflegeauf Edo Tikvesa zugekommen. Es soll eine Velosta­tion amSee aufgebautwerden, ähnlichwie amGrei­fensee bei Uster. «Für Heks und die Kirche entstehtdamit eine Win­win­Situation», sagt Tikvesa.

Auch in Wädenswil und in Thalwil sind Partner­schaften entstanden: Nun rollen Velos oder Anhän­ger mit den Logos der Kirchgemeinden durch die

Strassen. Die wichtigste Win­win­Situation siehtTikvesa aber zwischen der Bevölkerung und denSozialhilfeempfängern: «Die Gesellschaft bekommtetwas von den Steuergeldern für Sozialausgabenzurück und die Langzeitarbeitslosen erhalten wie­der eine sinnvolle Aufgabe in unserer Gesellschaft,die sich ja in einem erheblichen Mass über dieArbeit definiert.»

Der in den Philippinen geborene Manu Molina*bestätigt das: «Seit ich bei ‹Thalwil bringts!› mit­mache, geht es mir psychisch viel besser, das Velo­fahren hat mich gesundheitlich wieder auf Vorder­mann gebracht.» Er habe hier auch Zeit, über seineZukunft nachzudenken. Fünf Projektteilnehmeraus Wädenswil und zwei aus Thalwil haben letztesJahr wieder den Sprung ins normale Berufslebengewagt. Tikvesa, der sich selbst vom Projektteil­nehmermit Flüchtlingsausweis zumSozialmanagerhochgestrampelt hat, verhehlt es nicht: «Ich binstolz auf die Heks­Veloprojekte.» delf bucher

*name geändert

Ob Hauslieferung oder Abholdienst, der Heks-Velokurier ist schon unterwegs

der hauslieferdienst«thalwil bringts!»velokuriere transportieren imstundentakt in thalwil und umge-bung einkäufe, die bei den Kassenvon migros, coop oder bei an-derenwarenanbietern abgegebenwerden (maximal zwei taschenmit einemgesamtgewicht von etwazwanzig Kilo).auf dem retour-weg ist das abtransportieren vonrecyclingmaterial möglich.lieferzeiten: montag bis freitag9 bis 18 uhr, samstags bis 16 uhr.

Der Heks-Lieferdienst: umwelt- und menschenfreundlich

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gewisse liturgische Strenge. Die Liturgie drohe inderVielgestaltigkeit der reformiertenGottesdienstean Gewicht zu verlieren. «Das ist schade.» Obwohler die Gestaltung des Gottesdienstes weitgehendden Jugendlichen überlässt, bleibt die Predigt imZentrum: Hesse verbindet den von den Konfirman­dinnen und Konfirmanden zum Motto erkorenenWerbespruch «Just Do It» («Tu es einfach») mitdem Gleichnis vom verlorenen Sohn. Die Klassehat die Geschichte auch in einem bemerkenswertprofessionell produzierten Kurzfilm in ihre eigeneLebenswelt übertragen. Das Werk wird im Got­tesdienst gezeigt. Und der Pfarrer berichtet mitunüberhörbarem Stolz von den Dreharbeiten.

Sven Hesse hält seine Rollen sauber ausein­ander: hier jene des Amtsträgers, für den einetraditionelle, klare liturgische Sprache ebenso eineSelbstverständlichkeit istwie das Tragendes Talars,dort diejenige des volksnahen Jugendseelsorgers,der in seinem auf der Internetseite der Gemeindeplatzierten Steckbrief die Jugendlichen gleich zumDuell im Tischfussball herausfordert. In der Probein der noch leeren Kirche klingt er zuweilen wie einFussballtrainer, wenn er die Jugendlichen ermutigt,lauter zu sprechen, selbstbewusster aufzutreten.Und verhaspelt er sich imGottesdienst, findet ermiteinemcharmantenSpruch sogleich spielendwiederin die Spur: «Das ist live.»

zwischentöne. Obwohl Hesse glaubt, liturgischeElemente stärker zubetonenals viele seiner Schwei­zer Pfarrkollegen, fällt es der Kirchenpflege schwer,Unterschiede zwischen deutschen und einheimi­schen Pfarrern zu benennen. Seine Gottesdienst­form habe Hesse schnell angepasst. Überhaupthabe weder die negative Stimmung gegenüber dendeutschenZuzügern noch eine vermeintliche kultu­relle Differenz auf die Zusammenarbeit abgefärbt.«Zu Beginn fiel das Schnelle, Zackige auf, doch dasliegt wahrscheinlich nur an der Sprache», sagt Kir­chenpflegerin Ruth Fries. Einige in der Gemeindehätten natürlich schon gefragt, ob es denn wirklich«unbedingt ein Deutscher sein müsse», ergänztihre Kollegin Silvia Braun. Und für eine deutscheMehrheit im Pfarrteam sei die Zeit wohl nicht reif.Wobei: Wenn die Gemeinde einen neuen Pfarrerdann wirklich kennengelernt habe, sehe die Situa­tion vielleicht schon wieder anders aus.

Hesse selbst spricht von einer Angewöhnungs­zeit. Er sei in den ersten Monaten häufig zu forschaufgetreten, habe zu direkt kritisiert. «Ich habe ge­lernt, auf die Zwischentöne zu hören.» So hat es derneue Pfarrer zu Beginn als Kompliment aufgefasst,wenn nach einem Anlass gesagt wurde, «fast alles»sei gut gewesen. «Erst als ich darauf aufmerksamgemachtwurde, erkannte ich, dass solcheRückmel­dungen eigentlich als Kritik gemeint sind.»

in der diaspora. Von Johannes Lehnert wiederumwird keine Anpassung verlangt, sondern von seinendeutschen Gemeindegliedern gefordert, dass er inihrer Wahlheimat ganz unverfälscht die «deutscheMesse» nach Martin Luther zelebriert. Sonntag fürSonntag säumen deshalb Autos mit ausserkantona­len Kennzeichen die Strasse vor der Kirche.

Diese kleine Kirche verzeichnet oft mehr Be­such als viele der grossen reformierten Kirchenin der Zwinglistadt. In der Diaspora ist eben dasBekenntnis zum Glauben nicht nur auf die hohenFesttage terminiert. Die Frau mit fränkischem Ak­zent sagt nach dem Abendmahlgottesdienst: «Beider Taufe unseres Sohnes war es ganz klar, dass

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Die Segensübung: Sven Hesse probt in der noch leeren Kirche die Konfirmation

Das letzte Training: Pfarrer Sven Hesse spricht jetzt wie ein Fussballcoach

wir in die lutherische Kirche wollen.» Und wennauch der Wohnort im Aargau vierzig Autominutenentfernt von der Kirche liegt, blieb die Familie derExilgemeinde treu. Nun hat, nachdem der Sohnbereits in der Martin­Luther­Kirche konfirmiertwurde, auch die Tochter am Pfingstsonntag hierihre Taufe bestätigt. «Freiwillig», betont die Mut­ter, und sie ergänzt: «Obwohl uns der reformiertePfarrer in unsererWohngemeinde sehr zusagt.» EinandererDeutscher, vonHaus aus katholisch, jedochmit einer Lutheranerin verheiratet, fühlt sich in denZeremonien der Zürcher Luther­Gemeinde behei­matet, während ihm der reformierte Ritus «dochsehr trocken und unfestlich» vorkommt.

fast katholisch. Der Ritus, das ist ein zentralesAnliegen von Pfarrer Lehnert. «Mein persönlicherAnspruch ist es, eine klare, traditionelle Liturgie zupflegen und gleichzeitig in Fürbitte und Predigt ei­nemmodernen reformatorischenAnspruchgerechtzuwerden», sagt er. Die klar geordnete Liturgie,wiesie in der modernen Kirche oberhalb des Becken­

hofs zelebriert wird,kommt, so sagt es derdeutsche Seelsorger,auch der «Sehnsuchtnach Gemeinschaft»nach. Die lutherischeGemeinde, die sichausschliesslich überSpenden finanziert,hat so über Jah­re die Zahl von fast1400 Mitgliedern sta­bil halten können –200 von ihnen sindSkandinavier, dieanderen vor allemdeutsche Staatsange­hörige. Mancher der

teilweise reformierten Göttis wird sich am Pfingst­sonntag bei der Konfirmation in der Martin­Luther­Kirche seine Augen gerieben haben. Schon dieweisse Albe mit der roten Stola, die sich JohannesLehnert zur Konfirmationsfeier übergezogen hat,wird ihm katholisch vorgekommen sein. Unge­wohnt für Reformierte ist es auch, wenn sich derPfarrer bei manchen liturgischen Handlungen wieein katholischer Priester vom Kirchenvolk wegund hin zum Kreuz wendet. Der Wechselgesangzwischen Gemeinde und Pfarrer ist ihnen genausowenig vertraut wie die Kreuzzeichen des Pfarrers.

gottsegnet.Und dann geschieht etwas für Zwing­lianer Unvorstellbares: Bei der Handauflegung unddem Segen knien die Konfirmandinnen und Konfir­manden vor dem Pfarrer nieder. Später wird Leh­nert sagen, dass dies keineswegs als katholischerAkt zu verstehen sei. Nicht er als Pfarrer spende denSegen, sondern Gott wirke durch ihn. Er sei von derGemeinde eingesetzt, den Segen weiterzugeben.«Deshalb ist der Kirchenvorstand an der Spitze derKonfirmationsklasse in die Kirche eingezogen undich erst amSchluss.»Hier haben die Lutheraner vondenReformierten gelernt: Nach demModell der de­mokratisch gewählten Kirchenpflege organisierensich auch die deutschen, norwegischen und finni­schen Lutheraner in Zürich. «Das Unhierarchischegefällt mir sehr», sagt Lehnert. Auch Sven Hessestört es nicht, dass er in der Schweiz der Kirchen­pflegeunterstellt ist undnicht dieBehörde leitetwiein Deutschland. Im Gegenteil: «In Deutschland ist

der Verwaltungsaufwand im Pfarramt viel grösser.»Auch helfe es in Konfliktsituationen, wenn der Pfar­rer in Personalfragen nicht voll in der Verantwor­tung stehe, sondern die Kirchenpflege nur berate.In der Schweiz bräuchten zudemviele Projekte zwareine längere Vorlaufzeit, weil jede Frage zuerst aus­diskutiert werde. «Aber dafür klappt es dann auchimerstenAnlauf, was inDeutschlandundenkbar ist,sobald mehrere Parteien beteiligt sind.»

eine liebeserklärung. Hesse hat seine Heimatverlassen, weil er vor der Wahl stand, «auszu­wandern oder einen neuen Beruf zu suchen». DieRheinische Kirche verschrieb sich damals einenrigorosen Sparkurs und verfügte für Hesses Jahr­gang faktisch einen Einstellungsstopp. Seine Fraufolgte ihm schweren Herzens, fand als Assistenz­ärztin aber immerhin leicht eine Stelle. Nachder zweijährigen, berufsbegleitenden Zusatzaus­bildung in Zürich legte Hesse eine Prüfung inSchweizer Kirchengeschichte und Kirchenrecht ab.Das habe geholfen, sich rasch einzuleben. Die Wal­liseller Kirchenpflege bestätigt es gerne: Hesse seisehr gut aufgenommen worden. «Er hat eine richti­ge Fangemeinde», sagt Kirchenpflegerin Braun.

Trotz der immer wieder aufflammenden Debatteüber die Einwanderung aus Deutschland sind die

deutschen Pfarrerinnen und Pfarrer alsolängst angekommen in der SchweizerNormalität. «Wir haben uns inzwischendaran gewöhnt, dass sich viele deutschePfarrer auf eine ausgeschriebene Stellebewerben», sagt derWalliseller Kirchen­pflegepräsident Heinz Vögelin. Und diePfarrerin Heike Radtke aus dem Rhein­land, die im Januar in der GemeindeDällikon­Dänikon ihre Stelle angetretenhat, formuliert eine deutsche Liebes­erklärung an die Schweiz: «Ich könntejeden Tag von Neuem mein Auto anmel­den, so höflich sind die Beamten.»

Nur: Im Stau helfen natürlich auchdie nettesten Beamten nichts. Dass dasAuto manchmal besser in der Garagebleibt und derWeg von Zürich in die Ag­glomeration im Feierabendverkehr langsein kann, muss Sven Hesse wohl erstnoch lernen. Auch diese Spitze kontertder Pfarrer aus dem Ruhrpott sogleichsouverän: Er wisse, wie man eine Fahr­karte für die S­Bahn löse. Aber für dieReportage müsse er doch das deutscheKlischee bedienen und den Journalis­ten im frisch gewaschenen Opel KombinachWallisellen chauffieren. Damüssendie Konfirmandinnen und Konfirmandenhalt einmal eine Viertelstunde warten.

profitiert. diewelle sei ver-ebbt, sagt nicolas mori, sprecherder Zürcher landeskirche. 2007und 2008 hatte die Zuwanderungaus deutschland die mitglieder-verluste fast kompensiert.auchdie reformierten profitierten alsokurz von der migration. in denfolgejahren jedoch verlor die Zür-cher Kirche 3800 mitglieder.

rückläufig. vor fünf biszehn Jahren war noch jeder zwei-te Pfarrer, der sich auf einestelle im Kanton Zürich bewarb,ein deutscher. heute habenvon 448 Pfarrerinnen und Pfar-rern 56 einen deutschen Pass,was einer Quote von 12,5 Prozententspricht. in den Kirchenpfle-

gen ist die tendenz hingegensteigend. die auswirkungen desneuen Kirchengesetzes werdenerst bei den nächstenwahlenspürbar, weil die Kandidatensu-che vielerorts abgeschlossenwar, als das ausländerstimm-recht in Kraft trat. 2010 wurden19 ausländer gewählt.

gefragt. dass die deutschenals Kirchenmitglieder gefragtsind, zeigt ein informationsblatt,mit dem sichwallisellen analle «evangelischen Zuzüger ausdeutschland» wendet: em-pfohlen wird, sich bei der einwoh-nerkontrolle als «evangelisch-reformiert» eintragen zu lassen,sofern sich die einwanderer

«als evangelisch empfindenund nicht explizit am lutherischenBekenntnisstand hängen».

ähnlich. die landeskirchehat sich zudemmit den einwoh-nerkontrollen auf ein Papiergeeinigt, das verhindern soll,dass deutsche als konfessions-los erfasst werden, weil siemit dem Begriff «reformiert»wenig anfangen können. in dentheologischen Kernthemenunterscheiden sich reformierteund lutheraner kaum. diegrösste differenz besteht imver-ständnis des abendmals.während die lutheraner voneiner realen anwesenheitvon leib und Blut christi in der

abendmahlsfeier ausgehen,feiern es die reformierten alsgedächtnismahl. liturgischorientieren sich reformiertestreng an der Bibel und lehnendie riten der alten Kirche ab.die lutheraner wiederum ken-nen Kruzifixe und zahlreicheriten. sie haben Bischöfe undsind in ihrer organisationweit stärker von der obrigkeitbestimmt als die demokratischaufgebaute reformierte Kirche.

fusioniert. die «unierten»sind aus der verschmelzungbeider Kirchen hervorgegangen –eine folge von grenzverschie-bungen während der napoleoni-schen Kriege. fmr/bu

zahlen und fakten

die deutschen in der Zürcher Kirche

Die deutsche Welle ist verebbt

«sagten dieleute nacheinemanlass,fast alles seigut gewesen,meinte ichanfangs noch,das sei einkompliment.»

sven hesse

55

6 leBen /glauBe reformiert. | www.reformiert.info | nr.6.2/ 15.Juni 2012

Bach hören und Gutes tunBenefizkonzert/ In der vollen Tonhalle wurde Bachs h­Moll­Messegespielt. Der Konzerterlös kommt Heks­Projekten zugute.

Ohne die Gönner, die treu und grosszügig spenden,könnte das Hilfswerk der Evangelischen KirchenSchweiz (Heks) nicht existieren. Nun wollte es denSpendern einmal auf besondere Weise Dank undWertschätzung ausdrücken. Daraus entstand dieIdee, die Sammeltätigkeit mit einemmusikalischenLeckerbissen zu verbinden. Frei nach dem Motto:«BachgeniessenundgleichzeitigGutes tun» luddasHilfswerk am 4.Juni zum Benefizkonzert in die Zür­cher Tonhalle. Zu hören gab es die h­Moll­Messevon Johann Sebastian Bach.

heks-ziele. In einer kurzen Ansprache am vor­gängigenApéroumrissHeks­Stiftungsratspräsident

Claude Ruey die Ziele des Hilfswerks: Armut be­kämpfen und den Unterdrückten helfen, sich gegenAusbeutung und für ein Leben inWürde zuwehren.Er wolle keine einzelnen Anwesenden namentlichherausheben, sagte Ruey mit charmantem wel­schem Akzent, da für Heks alle Menschen auf glei­cher Stufe ständen.

genialeswerk. Theo Haupt, Pfarrer an der KircheEnge, brachte den Anwesenden Bachs Werk näher.Die h­Moll­Messe, eine der bedeutendsten Kompo­sitionenBachs, sprengtwegen ihrer Länge von rundzwei Stunden den Rahmen heutiger Gottesdienste.Haupt sprach von einem «genialen Werk». Bach er­

zähle darin vomLeben, ohne etwas zu beschönigen.Er suche nach Antworten auf jene Fragen, welchedas Leben tausendfach stellt. Zweifelnd, fragend,mit Widerständen ringend, nimmt der Komponistdie Zuhörenden mit in einen Dialog mit Gott.

Gottfried Locher, der Präsident des Rates desSchweizerischen Evangelischen Kirchenbundes(SEK), übergab seinem Namensvetter, Heks­Direk­tor Ueli Locher, vor dem Konzert einen Scheck von60000 Franken: der erzielte Benefizerlös. Heks ver­suche mit seine Projekten das konkret umzusetzen,was die Pfarrer predigen, es trage damit zur Glaub­würdigkeit der Kirche bei. Ueli Locher sprach vonden «unbeschreiblichen Gegensätzen auf unseremPlaneten»; Spenderinnen und Spender von Hekstrügen dazu bei, diese Gegensätze ein klein wenigzu vermindern. Diese Spenden seien zwar nur einTropfen auf einen heissenStein – «aber dennoch einwertvoller Beitrag», sagte Ueli Locher.

sinnvolleprojekte.DerErlösdesKonzerts kommtzwei Projekten zugute: In der Schweiz mietet HeksParzellen in öffentlichen Familiengartenarealenund stellt sie Flüchtlingsfamilien zur Verfügung.Dort können sie Gemüse, Beeren und Kräuter –auch Pflanzen aus ihrer Heimat – kultivieren.So finden sie Anschluss an die Gesellschaft –ein Stück aktive Integration. Das andere Projekt:In Senegal unterstützt Heks 1500 Frauen aus19 DörfernmitWeiterbildung. Die Frauen sammelnmedizinisch wertvolle Wildpflanzen und ­früchte;diese verarbeiten sie und verkaufen sie in der Stadtauf dem Markt.

Inszeniert wurde die Bach­Messe vom BachEnsemble Zürich und vomCapriccio Barockorches­ter. Die Initiative zum feierlichen Anlass war vonUlrich Meldau, Organist und Kantor an der KircheEnge, ausgegangen. Virtuos brachte er am Kon­zertabend die Raffinessen desWerks zumAusdruckund spornte das Orchester und den Chor mit denzahlreichen jungenSolisten zu einerHöchstleistungan. stefan schneiter

katrinwiederkehrBuchautorin undPsychotherapeutinmit Praxis in Zü[email protected]

impressum/

reformiert.kanton zürichherausgeber:trägerverein «reformiert.zürich»Präsident: Pfr.rolf Kühni, stäfa

redaktionsleitung: felix reich

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frage. Wir haben sehr jung geheiratet undsind unterdessen mehr als ein halbes Jahr-hundert zusammen.Wir habenvierKinder, ichmachtedieBuchhaltung inunseremGeschäftund dann hütete ich zwei Enkel. Nun hat sichmein Mann aus dem Geschäft zurückgezo-gen und ist immer zu Hause.Das ist nicht ein-fach. Er hat zwar seinen Jassstamm und gehtmanchmal mit einem Freund wandern, aberwir sind viel mehr als früher zusammen, unddas ist ein Problem. Letzthin hatten wir rich-tigStreit: Ichhatte ihmgesagt,unsereTochterkommemitderKleinstenzumMittagessen.Erhatte es jedoch vergessen und verpasste sie.Das wurmte ihn, und er behauptete, ich hät-te es ihm nicht gesagt. Er hört mir nie zu, unddann soll ich im Fehler sein… Er ist oft müh-sam,zerstreutundbrummig.Ichbin richtiger-leichtert,wenn er einmal nicht da ist, aber ichkomme mir dabei schlecht vor. Ich habe mirunsere alten Tage anders vorgestellt. M.C.

antwort. Liebe Frau C., nehmen Siees sich nicht übel, dass Ihr Mann Ihnenmanchmal auf dieNerven geht. Das ist inIhrer Situation zu erwarten. Wesentlichist vielmehr, dass Sie sich davon nichthinunterziehen lassen. BeanspruchenSie ohne schlechtes Gewissen Freuden­

inseln und Alleinzeiten für sich. Mög­licherweise findet sich in der Vergan­genheit Nahrung für die Gegenwart.Erinnern Sie sich an gute Momente, dieSie mit Ihrem Mann früher hatten? Viel­leicht sind da ganzeGlücksfilme aus demSeelenarchiv zu holen? Die Gegenwartallerdings dürfte verbesserungsfähigsein. Nehmen Sie sich Zeit für das, wasSie beide gernemiteinandermachen. Siehaben sich Ihr Alter anders vorgestellt.Wie? Vielleicht lässt sich das eine undandere noch verwirklichen. VerzichtenSie nicht zu früh.

Im Alter verlangsamt sich das Denken.Das Frischgedächtnis, das ungefähr dieeben vergangene Stunde festhält, wirdschlechter, das LernenbrauchtmehrZeitund mehr Wiederholungen, und es wirdschwieriger, mehrere Dinge gleichzeitigim Auge zu behalten. Diese Veränderun­gen sind bei den einzelnen Menschensehr unterschiedlich ausgeprägt. Oftsind deshalb auch gleichaltrige Partnernicht am selben Ort, was die Denkfähig­keit anbelangt. Es ist gar nicht einfach,für einen vergesslichen, verlangsam­ten Partner Verständnis aufzubringen,

leBensfragen

besonders, wenn er einem noch dieSchuld für seine Fehler in die Schuheschiebt. Und doch: Es ist gut möglich,dass sich IhrMann für seineVergesslich­keit schämt. In diesem Fall wäre er sehrauf Ihre Unterstützung angewiesen.

Der Zürcher Psychiater Craig Guggen­bühl hat einmal geschrieben, die Ehesei ein Heilsweg, kein Glücksweg. Esgehe dabei nicht darum, glücklich zuwerden, sondern eine gewählte Aufgabezu erfüllen und sich von ihr formen zulassen. Guggenbühls Auffassung ent­lastet alle, die in nicht perfekten Ehenleben. Also alle. Das Aushalten einesschwierigen Ehepartners (und wer istnicht auch schwierig?) ist anspruchsvoll,und dabei trotzdem gut zu leben hoheLebenskunst.

dermann ist pensioniertund nun immer zuhause.und er nervt.

illu

strat

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eren

ast

ummer

gemeinsames alter/ Zusammen das Leben verbringen, das istein Ideal für viele Ehepaare. Aber dann kann es geschehen, dass dasAlter ganz anders aussieht, als man es sich gewünscht hat.

in der rubrik «Lebens- und Glaubensfragen»beantwortet ein theologisch und psychologischausgebildetes Team Ihre Fragen.Alle Anfragen werden beantwortet. In der Zeitungveröffentlicht wird nur eine Auswahl.

Senden Sie Ihre Fragen an:«reformiert.», Lebensfragen, Postfach, 8022 Zü[email protected]

nachrichten

mehr geld für dieentwicklungshilfebern. Der Nationalrat hat alsErstrat Ja zu Entwicklungs­hilfekrediten von insgesamt11,3 Milliarden Franken fürdie nächsten vier Jahre ge­sagt. Diese Summe entspricht0,5 Prozent des Bruttonatio­naleinkommens. Die SVPscheiterte mit ihren Kürzungs­anträgen. Das Parlamenthatte vor anderthalb Jahrenentschieden, die Mittel derEntwicklungshilfe auf diesenWert zu erhöhen. Damitliegt die Schweiz im Mittel­feld der OECD­Länder. sts

heks schreibt dermigros einen briefzürich. Die Migros willab 2013 Produkte ausisraelischen Siedlungen inden besetzten Gebietenim Westjordanland und inOstjerusalem deklarieren.Dafür hat ihr das Hilfswerkder Evangelischen KirchenSchweiz (Heks) in einemoffenen Brief gedankt. Vieledieser Produkte würdenunter Verletzung des Völker­rechts und der Menschen­rechte hergestellt. Heksfordert die Migros auf, ent­sprechende Produkte ausdem Sortiment zu nehmen.Jüdische Kreise verurteilenden Migros­Entscheid. sts

alkoholverzicht ander fussball-emwarschau. Im Vorfeld derEuropameisterschaft habenPolens römisch­katholischeBischöfe die Fans zum Alko­holverzicht aufgerufen. DerAufruf steht auch vor demHintergrund des massivenGewaltproblems im Land, daszusammen mit der UkraineGastgeber ist. sts

SEK-Präsident Gottfried Locher (rechts) übergibt Heks-Direktor Ueli Locher einen Scheck mit dem Benefizerlös

Bild:rued

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reformiert. | www.reformiert.info | nr.6.2/ 15.Juni 2012 Veranstaltungen 7

leserBriefeagenda

reformiert. 11.5.2012Front: «Ausgebrannt imAmt»

reizungelektrosmog ist nicht der aus-löser für ein Burn-out, aberder elektrosmog reizt den geistund den Körper andauernd,24 stunden amtag, 7 tage diewoche und damit braucht esin der folge nur noch einen «klei-nen» auslöser für ein Burn-out.wenn aber die andauernde reizungreduziert werden kann, bleibtdamit mehr Platz für andere Be-lastungen, ohne dass es zumBurn-out kommenmuss.martin

zahnd, zürich

neuschöpfungdurch das auch in unserem Kör-per wunderbar wandelndewirkender für uns unverfügbaren gött-lichen schöpferkraft dürfen wiruns vom Kreuz unseres eigenenBurn-outs, an demwir hängen,immer wieder neu herunterholenlassen, sodass es uns wohl wirdin unserer haut und uns geschenktwerden kann, dass wir uns wiederkörperlich stark, zuversichtlichund einsatzfreudig fühlen. eduarddobler, wald

reformiert. 27.4.2012Dossier: «Baustelle Kirche»

führungmarketing, imagepflege, laden-lokal, glücksspiel, Kirchentouris-mus. ist das derweg? christiweg war anders. er ging zu denleuten und überzeugte mit leerenhänden, und sie kamen in scha-ren. ist das nicht auch die Kernkom-petenz unserer Pfarrpersonen?warummachen sie es nicht wiechristus, ihr «chef»? peter giesch,

birchwil

haltungBesonders interessant: dasdossierzur frage der «Baustelle Kirche»und –mindestens inmeinem emp-finden – die implizite antwortdarauf im leitartikel. dennmeinermeinung nach sollte die Kirche –und ich sage das als einer, der seingeld immarketing verdient –auf keinen fall rubbelgewinnspie-lemachen und sich auch nichtirgendwelchenZielgruppen gegen-über anbiedern.vielmehr solltedie Kirche stellung beziehen, hal-tung zeigen und den mut haben,alltägliches moralisch zu beurtei-len. ich bin überzeugt davon, dasseine derartige Beurteilung vielenein hilfe wäre. david guggenbühl,

zürich

reformiert. 27.4.2012«Du sollst nicht stehlen. Oder doch?»

unterscheidunges ist einerseits richtig, ungutedinge aufzudecken (aber umwelchen Preis?), und andererseitsist der datenverkauf auch landes-verrat. ich frage mich schon lan-ge, warum andere nationen erstin den letzten Jahren mit Klagenreagieren, wenn die ganzeweltdoch seit Jahrzehnten um unserBankgeheimnis weiss. für michist das Kaufen dieser cd trotz

langjährigemwissen um diesache auch scheinheilig. annisalis, winterthur

reformiert. 11.5.2012Evangelisation: Otis Moss in Zürich

gottesbeziehungotis moss spricht mir da austiefstem herzen.als christ wirdman nicht geboren und christsein ist keine religion, keinelebensart oder eine methode.sondern die existenzielle Be-ziehung zu gott, die wir nurdurch Jesus christus erhalten.leider ist es so, dass viele re-ligiöse wie bekennende christengenauso wie die säkulareweltdie Kirche nur konsumorientiertund egozentrisch für sich selbstbenutzen. reni fischer, zürich

kirchenbeziehungenZweifellos leisten die Kirchen inden usaBedeutendes.abermir scheint, dass daswort «ein-

heit» (der Kirchen) für viele nichteine Besorgnis ist. einige ken-nen denweltkirchenrat gar nicht,und andere wollen nicht «mit-machen». gewiss setzen sich dieglieder solcher kirchlicher ge-meinschaften eifrig ein.aber sieziehen den alleingang vor undkümmern sich wenig um Bezie-hungen zu anderen mitchristen.als mitglied einer minderheits-kirche fühle ichmich an den Öku-menismus gebunden.jean-jacQues mäusli, siders

reformiert. allgemein

gewinnich gehe zwar nicht sehr häufigzur Kirche. ihre Zeitung lese ichaber regelmässig mit gewinn,wofür ich mich bei ihnen bedan-ken möchte.martin schamaun,

feldmeilen

gefallennicht jede ausgabe kannmirgleich gefallen.Besonders die zweineusten nummern habenmirjedoch so viel gegeben, dass ichdenwunsch habe,mich dafürzu bedanken. ich wünsche ihnenweiterhin eine erfolgreicheredaktionsarbeit. heini brunner,zürich

besondere gottesdienste

jazzgottesdienst zum flüchtlingssonntag.mit Joscha schraff (Piano), Paul amereller(drums), Pascal rüegger (Bass) und Pfrn. elkerüegger-haller. 17.juni, 10uhr, reformierteKirche letten, imfeldstr.51, Zürich.

ökumenischer gottesdienst zum zurichpride festival (christopher street day).mit vertretern der reformierten, der christ-katholischen und der römisch-katholischenKirche.musik: orgel und trompete.17.juni, 14 uhr, römisch-katholische Kirchest.Peter und Paul,werdgässchen/Birmens-dorferstrasse, Zürich.anschliessend apéro.

ökumenisches johannisfest. «wendezeit:kosmisch–gesellschaftlich– kirchlich». mitmonika schmid (gemeindeleiterin),antongunzinger (unternehmer). «teilet» der mitge-brachten speisen am Johannisfeuer. ein-ladung der Ökumenischentisch-gemeinschaftsymbolon.23.juni, 17–22uhr, romanischelazariterkirche gfenn/dübendorf.

ökumenisches taizé-abendgebet.26.juni, 19.30–20.15uhr, ref.Kirche rüti.

ökumenische abendmeditation.27.juni, 11.juli, jeweils 20uhr, alte reformierteKirche Zürich-witikon.

treffpunktgespräch und händeauflegen. Jeden sams-tag, 10–13uhr, city-Kirche offener st.Jakobam stauffacher, Zürich.auskunft: andreas Bruderer, 0442428915.

drinnen – draussen.ausstellung zu straf-fälligkeit und resozialisierung (1972–2012).Konzipiert von style&design-studierendender Zürcher hochschule der Künste.vernissage: 21.juni, 18–20uhr.22.juni –11.juli, Karlsturm, grossmünster Zürich,mo-sa, 10–17 uhr; so 12.30–17.30uhr.Bei kirchlichen anlässen und schlechtemwetter bleibt der turm geschlossen.

muslimische und christliche frauen imdialog.veranstaltungsreihe. religionen–antworten auf fragen, die niemandmehrstellt? 23.juni, 14–16uhr, haus am linden-tor, hirschengraben7, Zürich.

arabischer frühling–herausforderungfür den religionsfrieden.mit amor Benhamida,autor aus tunesien. einladung derreligiös-sozialistischen vereinigung.23.juni, 15–17uhr, gartenhofstr.7, Zürich.

märchen zur mittsommerzeit.mit ursulaKarli, Judith Biegel-fessler und gitarrenbeglei-tung (alexandra Zehnder-Biegel).24.juni, 17uhr, Zentrum amneumarkt,Bosshardengässchen1,winterthur.

wer spielt, hat mehr vom leben. Kurs fürfreiwillige und interessierte mit hans fluri(spielpädagoge).28.juni, 9–17uhr,hirschengraben7, Zürich. info/anmeldung:0442589266, [email protected]

offener gesprächsnachmittag für verwit-wete frauen. «träume, die nie mehr wahrwerden».28.juni, 14–17 uhr, oase, Brahms-strasse 32, Zürich. fr.20.–. ohne anmeldung.

zmorge-treff für frauen. «die lust am feil-schen und Palavern».mit Katharina morello.30.juni, 9–11 uhr, hotel Krone,marktgas-se 49,winterthur. fr.20.–. ohne anmeldung.

kloster kappeltai-chi – verbunden mit dem leben.für alle, die den «tanz des lebens» kennen-lernen oder ihre Kenntnisse vertiefenmöchten.leitung: christoph endress.6.–8.juli.

heilung und erholung – tage zumauf-tanken.ausspannen für Körper, seele undgeist. Kursleitung: matthias a.weiss,vreni schaer. 10.–15.juli.

Kloster Kappel, Kappel amalbis. info/anmel-dung: 0447648830, [email protected]

kultur«lettische impressionen in musik undbild». Konzert mit liedern von richardstrauss, gabriel fauré, claude debussy, dazuprojizierte fotos von lettland. einladung derreformierten Kirchgemeinde im gut. 16.juni,19uhr, thomaskirche, Burstwiesenstr.44,Zürich. eintritt frei – Kollekte.ab 18uhr.gelateria auf der Piazza der thomaskirche.

konzertlesung der nicaraguanischenschriftstellerin gioconda belli.mit latein-amerikanischer musikbegleitung.6.juli, 20uhr, reformierte Kirche Kloten,dorfstrasse.vorverkauf: 0448131044(Papeteriewertli). abendkasse ab 18uhr.

reisenauf den spuren der frühchristlichen kelti-schen heiligen in irland. entdeckungsreisezu den wichtigsten Plätzen der frühchrist-lichen irisch-keltischen Kirche: inis mór/aran islands, skellig micheal, glendalough.16.–25.juli und 8.–17.august. reise-leitung/info/anmeldung: elizabeth Zollinger,0442520918, www.irish-culture.ch

«tänze und texte in masuren». eintauchenin die heitere landschaft masurens mittänzen aus dem Baltikum und exkursionen.leitung: christinewieland, reinhild traitler.15.–22.september. info/anmeldung:0765772402 oder 0449205471,[email protected]

tipp

Johannisnachtsternwanderung/ In der kürzestenNacht auf Pilgerwegen unterwegs zumlängstenTag.Aufbruch:Samstagabend,23. Juni, 20 Uhr von der Kirche Offe­ner St. Jakob am Stauffacher aus. VierUhr: Johanniterfeuer und liturgischeFeier im Kloster Kappel. Wanderzeit:etwa sechs Stunden. Weitere Besamm­lungsorte: Oberrieden, Affoltern a.A.,Wädenswil, Zug. Kosten: Fr.40.–.

anmeldung bis 22.Juni: Pilgerzentrum St.Jakob,Tel. 044 242 89 15, [email protected]

religionssoZiologie

gewalt, undwie diemenschheit damit umgeht

dass gott den gewaltsamentod seines sohnesals versöhnungswerk braucht, war währendJahrhunderten unbestrittener glaubensinhalt.sinn und gültigkeit der «opfertheologie»werden erst seit relativ kurzer Zeit öffentlichdiskutiert und infrage gestellt. Zu dieserauseinandersetzung hat das Buch «das heiligeund die gewalt», erschienen 1972, wichtigeimpulse gegeben. der französische Kulturan-thropologe und religionsphilosoph renégirard setzt sich darin mit der frage ausein-ander,warumgewalt – undreligion – zurmenschheitsgeschichte gehören. er legt dar,dass mythen und rituale die aufgabe haben,gewalt einzudämmen: geschichten vonBruderzwist, wie sie in der Bibel, in antikensagen und in anderen Kulturen weltweitüberliefert sind, deutet girard dementspre-chend. und er beschreibt die entwicklun-gen im umgangmit gewalt von der racheüber das opfer zur rechtsprechung. kk

renÉ girard: Das Heilige und die Gewalt.Patmos-Verlag, 2012. 480 Seiten, Fr.36.90

damonalbarn ist ein suchender.mit der briti-schen Band Blur feierte er weltweit erfolge,begab sich aber früh auf kreative abwege. erversteckte sich hinter comicfiguren odergründete die virtuelle Band gorillaz. er reistenach afrika, wo er das fantastische musik-tagebuch «mali music» (2002) einspielte. daerstaunt kaum noch, dass der passionierteausprobierer nun eine oper vorlegt: «dr dee»widmet sich dem leben undwerk von Johndee (1527–1608), mathematiker, astronom,okkultist und Berater von Königin elizabeth i.albarn spricht von einer «meditation überein paar themen aus dees leben».astronomieund glaubensfragen stehen dabei im Zent-rum. das mäandrierende «cathedrals» ist einwunderbar zerbrechlicher Popsongmit offe-nen enden, der von albarns zwischen noncha-lance und melancholie oszillierender stimmelebt. das von klassisch ausgebildeten sängerninterpretierte «a Prayer» wiederum scheintmit seiner kreisenden, spartanischenBegleitungnur kurz auf. überhaupt profitiert daswerkvom geschickt arrangiertenwechselspiel opu-

lenten operngesangs undalbarns zarten, sichlangsam entfaltenden songs (das grossartige«apple carts» oder das beinahe unbemerkt be-schleunigte «themarvelous dream»).hinzukommen die vom famosen tony allen getrom-melte fantasie «Preparation» oder das syn-kopische experiment «9 Point star».mit allenhat albarn zuletzt auf «rocket Juice and themoon» zusammen gearbeitet, einem betontzurückhaltend bearbeiteten afro-Beat-albummit illustren gästen und packenden Phasen.auf demtitelbild zitiertalbarn übrigensmar-kus 10,27: «denn alles istmöglich bei gott.»«dr dee» ist nicht über jeden Zweifel erhaben.erst nach mehrmaligem hören zugänglich,eröffnet die Platte aber glücksmomente.weilalbarn den mut zum unfertigen aufbringt,tappt er nicht in die falle,dieoper zu überladen.sein talent für das fragile lied, das fragmentbleiben muss, um zu berühren, ist auch imklassischenwerk hörbar. fmr

damonalbarn: Dr Dee, Parlophone, Fr.27.90

musiK

damon albarn,der meister des unfertigen

Bilder

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Ökumene/ VonGemeinsamkeitenund Grenzen

erscheint am 29. juni 2012

Vorschau

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Pfarramt im Spannungsfeldder unterschiedlichen Ansprüche

Otis Moss erzählte in Zürich vonseiner Kirche in Chicago

ihre meinung interessiert uns. Schrei-ben Sie an [email protected] an «reformiert.» Redaktion Zürich,Postfach, 8022 Zürich.

Über Auswahl und Kürzungen entschei-det die Redaktion.Anonyme Zuschriftenwerden nicht veröffentlicht.

René Girard, ReligionsphilosophAuf der Suche: Damon Albarn

tipps

8 die letzte reformiert. | www.reformiert.info | 6.2/15.Juni 2012

erheben dürfen. Kuhn sah, wie Weisse,Schwarze undHispanics in abgetrenntenWelten leben.Wie vernachlässigt bei denmeisten Amerikanern das ökologischeBewusstsein ist, zeigte sich Kuhn aufFahrten entlang von kilometerlangenMüllhalden, die hoch giftig sind.

menschen. In Chicago wurde AchimKuhn die Bedeutung der Begriffe «Vi­sion» und «Leadership» für die Kirchebewusst. «Amerikanische Pfarrpersonenhaben dann eine grosse Ausstrahlung,wenn sie als Leader mit einer Visionauftreten. Auch hierzulande muss dieKirche mit einer Vision ihre Bedeutungin der Gesellschaft deutlich machen.»Wo? «Im wirtschaftlichenMahlwerk undÜberlebenskampf droht bei uns vor al­lem die Mittelklasse auszubrennen. Ei­ne sinnstiftende, seelsorgerische Kirchekann – muss – Visionen entwickeln fürArbeitsmodelle, welche die Wirtschaftam Laufen halten, aber nicht die Men­schen zerstören, Visionen gegen dieAusbeutung und Selbstausbeutung derMenschen.» stefan schneiter

Predigen bewusst Wiederholungen ein­setzen, um die Zuhörer miteinzubezie­hen und zu Zwischenrufen zu animieren.Kuhn begegnete vielen Kindern, die ihreEltern durch Aids verloren hatten. Er er­lebte fröhliche Menschen und grimmigeUniformierte, aber auchdasMiteinanderder Religionen und den hohen Stellen­wert des Hexen­ und Wunderglaubensin Kamerun. «Die Magie ist allgegen­wärtig», erzählt Kuhn, «Männer verkau­fen in den Autobussen Fläschchen, diegleichzeitig vor Zahnweh, Armut undEinbruch schützen, Studenten fürchtensich vor einer Hexe im Dorf.» Am natio­nalen Fernsehen betete ein TV­Predigerzu Gott, er möge den Bauchtumor einerFrau in ein Baby verwandeln.

müllhalden. Die nächste Station inKuhns Kontrastprogramm war Chicago.Dort besuchte er viele Gottesdiensteund bildete sich in Leadership undFundraising weiter. In den USA verbrin­gen Pfarrer bis zu vierzig Prozent ihrerArbeitszeit mit Geldsammeln, da dieamerikanischen Kirchen keine Steuern

Zwölf Jahre Pfarramt in Adliswil lagenhinterAchimKuhn,JahremitbreiterSeel­sorgetätigkeit und vielfältigen AufgabenwiezumBeispieldemNeuaufbauderKin­derkirche. Im Sommer 2011 begann fürihn ein sechsmonatiger Studienurlaub,das sogenannte Sabbatical, das Pfarre­rinnen und Pfarrern nach einer gewissenAmtszeit zusteht. Als Erstes suchte Kuhnim Kapuzinerkloster in Rapperswil dieStille, er meditierte, er las. Danach wa­ren drei Wochen Einzelunterricht an derTheaterakademie in Freiburg im Breis­gau angesagt. Kuhnwurde dort bewusst,wie dieKörpersprache die innereBefind­lichkeit ausdrückt – und wie wichtig siefür denTransport einer Botschaft ist. Dashilft ihm, fortan die Überzeugungskraftseiner Botschaft in den Gottesdienstenzu erhöhen.

magie. Eine gänzlich andere Welt er­wartete Achim Kuhn in Kamerun. Erbesuchte das Theologische Seminar derPresbyterian Church of Cameroon (PCC)in Kumba und andere reformierte Ein­richtungen. Hier sah er, wie Pfarrer beim

Aus der Auszeit wächsteine Vision für die Kirche

Pfarrer Achim Kuhn, 49, will Erkenntnisse aus seiner halbjährigen Auszeit in Gemeinde und Landeskirche einbringen

Schwert und Schrift bei Zwingli

Zur Zeit Zwinglis und auch nochlange nach der reformationstanden staat und Kirche in en-ger Beziehung. in der gegen-wart jedoch ist manches infragegestellt und muss für die Zu-kunft geklärt werden. um dieseProblematik geht es in der ta-gung,die dasZentrum für Kirchen-entwicklung (ZKe) am 22. und23.Juni veranstaltet. eröffnet wirdsie am freitagnachmittag mitBeiträgen von Bernhard egg,Zür-cher Kirchenrat und Präsidentdes Kantonsrats, und gottfriedlocher, dem Präsidenten desrates des schweizerischen evan-gelischen Kirchenbundes (seK).über das «wächteramt der Kir-che» referiert Prof.wilhelm gräbvon der humboldt-universität

Veranstaltungen

Berlin.amabend kann das Pub-likum einem gespräch zwischendemZürcher Kirchenratspräsi-denten Pfr. michel müller, gene-ralvikar dr.martin grichting undweiteren teilnehmern folgen.am samstag, 22.Juni, geht esum «Public theology – ein globa-les Programm für die lokaleKirche» mit referaten und ge-sprächsgruppen.am nach-mittag moderiert Brigitta rotachein Podiumsgespräch mit ver-tretern der politischenParteien.kk

öffentliche kirche – Kirche imöffentlichen Raum.22./23.Juni, Kirchgasse 9, Zürich.Kosten für zwei Tage mit Imbiss undLunch: Fr.150.–, ein Tag: Fr.75.–.Auskünfte und Anmeldung bis 17.Juni:[email protected]

tagung

wie soll esweitergehen in der beziehungzwischen kirche und staat?

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porträt/Was macht die Bedeutung der Kirche aus? In seinemSabbatical suchte Pfarrer Achim Kuhn nach Antworten.

achim kuhnder dreifache familien-vater achim Kuhn-schellpeper ist seit1999 Pfarrer inadliswil und dekanim Bezirk horgensowie Kommunika-tionsberater fürnonprofitorganisa-tionen. 2005 er-schien von ihm derKrimi «senioren-trost», 2010 «hoheKunst und eineleiche» und das Buch«was der menschbraucht», in dem23 Persönlichkeitenüber einen für siewichtigen religiösentext nachdenken.

vomausverkaufdes sonntagskönig. Es ist Samstag. Der grosseEinkauf ist gemacht, doch die Milchging vergessen. Also noch schnellin den Coop. Und weil es Schöneresgibt am freien Samstag, als sich ander Kasse in die Schlange zu stellen,zögern wir den Zweiteinkauf hin­aus bis kurz vor Ladenschluss. Frü­her rannten wir um halb vier los.Heute lassen wir uns Zeit bis um halbneun. Juhui: Der Kunde ist König.Steht deshalb nur eine PackungMilch mehr im Kühlschrank? Essenwir jetzt mehr Joghurt? Natürlichnicht. Nur die Mutter, die im Ladenan der Kasse sitzt, der Vater, derdie Regale einräumt, haben einfachspäter Feierabend. Juhui: Der Kun­de ist König.

knecht. Die selbst ernannten Kämp­fer gegen die Krake der Bürokra­tie, deren liberale Denkkraft sich zu­sehends im Engagement für dieIndividualisierung des Konsums er­schöpft, wollen am kommendenSonntag per Volksinitiative errei­chen, dass wir bald überhaupt nichtmehr denken müssen im Super­markt. Die vergessene Milch sollenwir jederzeit kaufen können. Juhui:Der Kunde ist König. Sonntagssowieso. Wer den Knecht spielt, in­teressiert nicht.

kapitulation. Dass das Sonntags­arbeitsverbot längst aufgeweichtwurde und an Tankstellen, Flughäfenund Bahnhöfen die Ladentürentäglich offen stehen, ist kein Argu­ment. Das ist Kapitulation: Nurweil viele am Sonntag arbeiten, müs­sen nicht noch mehr Menschen amSonntag arbeiten. Überhaupt: DerAusverkauf des Sonntags bringtnicht mehr Freiheit. Ein Ruhetag istmehr als ein freier Tag. Er gibt denRhythmus vor, ermöglicht Begeg­nungen, ist nicht zuletzt wichtig fürFamilien. Der Sonntag versprichtFreiraum: Wenigstens ein wenig we­niger Verkehr und Platz im öffent­lichen Raum, ein bisschen Stille. Unddie Möglichkeit, zur Ruhe – undzur Besinnung – zu kommen. Nach­zudenken: über dieses StückchenFreiheit vielleicht, das sich zu ver­teidigen lohnt. Auch für liberaleGeister und solche, die sich dafürhalten.

felix reichist «reformiert.»-Redaktor in Zürich

cartoon JÜrg kÜhni