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Danica Vukićević gedichte serbisch deutsch drava Schamanin

Schamanin - german.traduki.eugerman.traduki.eu/leseprobe/343_Vukicevic_Leseprobe.pdf · Ich bin primitiv und böse, bin verrückt, hab keine Ahnung wie das alles passiert ist: ich

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Ich bin primitiv und böse, binverrückt, hab keine Ahnung wie das allespassiert ist: ich atme, gehe, esse,hier und dort, und all das, Leutewas bin ich dumm und grob, und irgendwie jämmerlichund all das, Leute.Und eine Seele, winzig, wie ein zischelndesWeibchen in Panto� eln und Bademantel, mit Fett� eckenan den Schenkeln, und krummen Beinchenlieb und san� , unsichtbarJa, ja, ja.

Die lyrischen Texte von Danica Vukićević beschreiben die Wirklichkeit nicht so wie sie ist, obgleich manch-mal hyperrealistische Bilder wie unter der Lupe die Hässlichkeit der äußeren Welt zeigen. Der Punkt, von dem solche Einblicke möglich sind, ist die Wirklich-keit, wie sie sein könnte, wie wir sie uns so im Halb-schlaf ersehnt haben, in kindlicher Phantasie, die uns zu guter Literatur führt.

Danica Vukićević zeichnet die Zersplitterung der Welt, die sie umgibt, präzise auf. Die Dichterin erfasst das Au� litzen des Schönen im alltäglichen materiel-len und geistigen Lauf der Dinge, manchmal auch die fragilen, unverlässlichen Erinnerungen an die Leich-tigkeit des Seins.

Mit unerwartet frischen und befreienden Bildern und deren o� atemberaubendem Wechsel zeigen uns die Gedichte eine Welt, die uns aus dieser Region bislang nicht bekannt war.

Die Wirklichkeit ist längst banalisiert und ent-zaubert. Aber die Dichterin ist dennoch in der Lage, uns kra� ihrer Texte zu verzaubern, in Erstaunen zu versetzen, sich und uns für einen Augenblick aus den Fallen des Lebens zu befreien. Das ist das uralte alchemistische Paradoxon der Dichtung, niemand weiß, wie es zugeht, aber bisweilen, in ihren besten Momenten, wird die komplexe Realität, anonym und hässlich wie sie ist, benannt und ganz zur Sprache gebracht, und so verliert sie für einen Augenblick ihre Macht über uns. Das ist die schamanistische Bändigung der bösen Geister der Realität.

dan ica vuk ićević , geboren 1959 in Valjevo, studierte in Beograd Allgemeine Li te raturwissenscha� , absolvierte danach Frauen studien an der Fakultät der Politik-wissenscha� en. Danica Vukićević schreibt Lyrik, Prosa, Essays und Literaturkritik, arbeitet als Lektorin und lebt in Beograd. Sie verö� entlichte sechs Gedichtbände und zwei Prosa bände. Mehrere Auszeichnungen für ihre literarischen Verö� entlichungen. Ihre Gedichte wurden ins Englische, Spani-sche, Polnische, Französische, Makedonische, Griechische und Deutsche übersetzt.

In deutscher Sprache ist sie in der Antho-logie Eintrittskarte/Ulaznica (Drava 2011) vertreten.

EUR 17,80

Danica Vukićević

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Schamanin

Edition SErbiSchE Lyrik 3Herausgegeben von Dragoslav Dedović

danica vukićEvić

SchamaninGedichte · Pesme

Aus dem Serbischen von Matthias Jacob

drava

Der Druck dieses Werkes wurde ermöglicht durch die finanzielle Unterstützung des Kulturministeriums der Republik Serbien.

Die Herausgabe dieses Werks wurde gefördert durch TRADUKI, ein literarisches Netzwerk, dem das Bundes ministerium für europäische und internationale Angelegenheiten der Republik Österreich,das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland, die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia, KulturKontakt Austria, das Goethe- Institut,die Slowenische Buchagentur JAK, das Ministerium für Kultur der Republik Kroatien, das Ressort Kultur der Regierung des FürstentumsLiechtenstein, die Kulturstiftung Liechtenstein und die S. Fischer Stiftungangehören.

Drava Verlag · Založba Drava GmbH9020 Klagenfurt/Celovec www.drava.at

© Copyright 2014 by Drava Verlag/Založba DravaUmschlag: Walter OberhauserDruck: Druckerei Theiss GmbH

isbn 978-3-85435-734-6

inhaLT – saDRŽaJ

[In Gedichten] 11[U pesmama]

PoStkartE auS haiFaraZGLEdnica iZ haiFEHaifa 15

HaifaDer Schwarze 17

Crnac[Als er dasaß] 21

[Dok sedeo je][Auch das kam vor] 23

[Došlo je][Ich bin primitiv] 25

[Ja sam primitivna][Wirklich jetzt] 27

[Zar sada][Ich beobachtete die Fischer] 29

[Gledala sam ribare]Nacktheit 31

Golotinja[Wenn ich fortfahre] 33

[Da otputujem]Durch Bordelle ziehe ich 35

Po bordelima se vučem[Aus dem Gefängnis entlassen] 37

[Izašavši iz zatvora]Weil dort Licht war 39

Jer tamo je bilo svetloDie Schamanin 41

Šamanka[Einer zu sein, den man liebt] 43

[Da budeš voljen]

[Ich sitze hier] 45[Sedim ovde]

[Ich schlafe ein] 47[Zaspim]

[In der Welt des Romans] 49[U svetu romana]

[Der Schnee ist auf dich gefallen] 51[Sneg je pao na tebe]

[Ein Frühling] 53[Proleće]

Für diese Lehre ist es Pflicht … 55Za onaj nauk obavezno je …

[Süßer Geruch] 57[Slatki miris]

[Ich reiste] 59[Putovala sam]

[Lass die Toten tot sein] 61[Neka mrtvi mrtvuju]

Kontinuität 63Kontinuitet

[Das gab es schon] 65[Već je bilo]

PEoPLEhavEthEPoWErPEoPLrhavEthEPoWErBring mich nicht um, böse Banalität 69

Nemoj me ubiti, zla banalnosti[Die Menschen, die hier leben] 71

[Ljudi koji žive ovde]Peoplehavethepower 73

Peoplehavethepower[Nur Schwüle] 75

[Tek sparina]Unumgänglich: Nicht-Versklavung 77

Neminovnost ne-ropstva

[Diese Frau stirbt bald] 79[Ta žena će umreti]

Lust for life 81Lust for life

Zwei alte Frauen im Aufzug 83Dve starice u liftu

[Ich beobachte sie] 85[Posmatram ih]

[Seit ich mich kenne] 87[Otkad znam za sebe]

[Bei denen weiß man nie] 91[S tim se nikad ne zna]

[Oh Gott] 93[O bože]

kućna radinoSthEiMarbEitGerüche 97

Mirisi[Offen gesagt] 99

[Otvoreno volim]Ein Güterzug erfasste meine Schwester 103

Teretni voz udario je moju sestru[In einem Augenblick] 105

[U jednom trenutku][Sie üben das Arpeggio] 107

[Oni vežbaju arpeđo][Ihr lieben] 109

[O dragi][Papi, Papi] 111

[Tatice tatice][Meine alt gewordenen Schwestern] 113

[Moje ostarele sestre]Zwei Tanten 115

Dve tetke

[Großmutters Schwester] 119[Babinu sestru]

[Es war zehn Uhr morgens] 121[Bilo je deset sati ujutro]

Fremd 123Strano

[Sie ist blass und zerbrechlich] 125[Ona je bleda i nežna]

[Wie seltsam das ist] 127[Kako je to čudno]

Ein Gedicht für meinen Mann 129Pesma za moga muža

[Siebziger Jahre, die Familie auf den Fotos] 131[Sedamdesetih, porodica na fotografijama]

Geboren am 5. Juli 133Rođen 5. jula

Dein Gedicht 135Tvoja pesma

[Was war das für ein Faschist] 137[Kakav je to fašista bio]

Bilja und Zlata 139Bilja i Zlata

Dragoslav DedovićŠamanka – pripitomljavanje stvarnosti 140Schamanin – Bändigung der Wirklichkeit 143

Zu Danica Vukićević 146

schamaninšamanka

***

U pesmama, obraćam se nekomeNejasno je – komeObraćam se jer je takva PotrebaPozivam sebe da izađem, obasjavam se I prizivamNejasno je – kogaI govorim, govorim prave stvariNejasno je – s kojim ciljemIpak ima nečeg radosnog, u toj tužnoj navici

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***

In Gedichten wende ich mich an jemandenUnklar ist – an wenIch tu es, weil es mich danach drängtFordere mich, herauszugehen, leuchte mich ausUnd rufe Unklar ist – wenUnd sage, sage richtige DingeUnklar ist – zu welchem ZweckDoch etwas Freude ist in dieser traurigen Gewohnheit

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POsTkaRTe aus haiFaRaZGLeDnica iZ haiFe

haiFa

Danas je stigla razglednica iz HaifeVeliki simetrični vrtZeleno mirno lišćeBez ikogaLep vrt, iz dalekog gradaNe postoji gradNe, ni razglednicaReči koje je napisao prijatelj kuće – zubarTo je laž, broj jedan i broj dvaZubar je laž, broj triStigla je razglednica, jutrosIz grada HaifeTo je istina, to je sve što se desiloZubar je kupio razglednicuNapisao reči za moju porodicuZalepio markuPoklonio poštanskoj službenici ceo vrtCeo gradSlužbenica je rekla: Zubar vam šaljeVrt našega gradaSada ja imam veliki vrt Haife

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haiFa

Heute kam eine Postkarte aus HaifaEin großer symmetrischer GartenFriedlich grünes LaubNiemand daSchöner Garten, aus einer fernen StadtSie ist nicht da die StadtNein, auch die Postkarte nichtDie Worte, ein Freund des Hauses hat sie geschrieben –

ein ZahnarztDas ist eine Lüge, Nummer eins und Nummer zweiDer Zahnarzt ist eine Lüge, Nummer dreiEine Postkarte ist gekommen, morgensAus der Stadt HaifaDas ist wahr, das ist alles, was geschahDer Zahnarzt hat eine Postkarte gekauftWorte an meine Familie geschriebenEine Marke aufgeklebtDer Postbeamtin einen ganzen Garten vermachtEine ganze StadtDie Postbeamtin hat gesagt: Der Zahnarzt schickt euchEinen Garten unserer StadtJetzt habe ich einen großen Garten in Haifa

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crnac

Slagala sam jednogCrnca da se zovem JuliaMoreno i da sam ItalijankaRekla sam mu da sam ovdeSamo usput, kod prijatelja, obilazimEvropuSlagala sam jednog CrncaDa se smejemNisam htela da se ljubim s njim,Nisam htela da idemoU cinema, pravila sam se da ne znamGde ćuMoj Crnac i Julia popili suKafu, smejala sam se kao njegova verenicaPopili smo i sokSlagala sam jednog CrncaDa sam komunista (kad sam to rekla,rukovali smo se kao Fidel Kastro iBrežnjev)Slagala sam jednog CrncaDa nisam odavde, da ne poznajemUlice i prolaznikeSlagala sam jednog CrncaDa se smejem i daMi je kosa zadovoljna pod njegovimDivljenjemMoj Crnac i ja smo seŠetali, bratski, komunistički,Razgovarali, a ja nisamJulia Moreno i BerlinguerMi nije ujakLakoumni Crnče!Lakoumna Julio!

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dEr SchWarZE

Ich hab ihn belogen, denSchwarzen, dass ich JuliaMoreno heiße und Italienerin seiIch hab ihm gesagt, ich sei hierNur auf Durchreise, bei Freunden, ich reisedurch EuropaIch hab den Schwarzen belogenAls ich lachteIch wollte ihn nicht küssenWollte nicht dass wirIns Cinema gehen, tat so als wüsste ich nichtWeiterMein Schwarzer und die Julia trankenKaffee, ich lachte wie seine VerlobteWir tranken auch SaftIch hab den Schwarzen belogenIch sei Kommunistin (als ich das sagteSchüttelten wir uns die Hände wie Fidel Castro undBreschnew)Ich habe den Schwarzen belogenIch sei nicht von hier, kenne nichtStraßen und PassantenIch hab den Schwarzen belogenMit meinem Lachen und dassMein Haar sich freut an seinerBewunderungMein Schwarzer und ichGingen spazieren, wie Brüder, KommunistenUnterhielten uns, aber ich bin nichtJulia Moreno und BerlinguerIst nicht mein OnkelLeichtsinniger Schwarzer!Leichtsinnige Julia!

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Čak sam ga slagala da sam CrnkinjaSve sam ga slagalaPosle godinu dana video meNa sajmu knjigaGledao me besno i upitnoGledala sam ga kao da ga ne znamMog CrncaMog Kubanca

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Ich hab sogar gelogen, ich sei eine SchwarzeMit allem hab ich ihn belogenEin Jahr später hat er mich gesehenAuf der BuchmesseBlickte mich an wütend und fragendIch sah ihn an, als kenne ich ihn nichtMeinen SchwarzenMeinen Kubaner

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ŠaManka – PriPitoMLJavanJE StvarnoSti

Lirski tekstovi Danice Vukićević ne opisuju stvarnost kakvaona jeste, mada se ponekad mogu uočiti hiperrealističke slike,u kojima kao pod lupom vidimo nakaznost spoljašnjeg svi-jeta. Međutim, tačka iz koje su takvi uvidi mogući jeste stvar-nost kakva je mogla biti, kakvu smo priželjkivali u polusnu, udječijim maštarijama, koja nas zavodi u dobroj literaturi. Mje-rena željom za slobodnim samoodređenjem »prava« stvar-nost je ustvari konglomerat degenerativnih procesa i pojava, ukojima se gurkaju velegradski, nesrećni i otupjeli ljudi.

Pjesništvo je unutrašnje drhtanje nad tim procjepom iz-među životnih činjenica (koje su u zemlji Srbiji u posljednjihnekoliko decenija za većinu ljudi na granici podnošljivosti) iduboko ljudske nade da to nije sve, da je mrva radosti, kreativ-nosti i slobode u rastočenom i fragmentizovanom svijetu jošuvijek moguća.

Pritom jezik Danice Vukićević precizno evidentira rasutostsvijeta koji je okružuje – mada bi u njenom slučaju bolje biloda se kaže da je riječ o svijetu pod čijom se opsadom nalazi žen-ski subjekt. Istovremeno pjesnikinja bilježi i probljeske Lije pogu svakodnevnom materijalnom i duševnom toku stvari ili, po-nekad, krhko i nepouzdano sjećanje na lakoću življenja.

Radmila Lazić, ključna osoba savremenog srpskog ženskogpjesništva primjećuje da Vukićevićkine pjesme »najčešće nenose naslov pa se tako čine kao delovi imaginarne celine . A ta»imaginarna celina« je poprište borbe, ponekad rata jačihprotiv slabijih, želja protiv dužnosti, tranzicionog sivila protivpotrebe da sanjamo u boji. Ni porodica ni brak nisu pošteđeniobesmišljavanja, a time i pjesničkog propitivanja. Lazićkaističe da su kod Danice Vukićević »odnosi između ženskihsrodnica posebno apostrofirani (i detabuzirani)«. Danica Vu-kićević naprosto odbija da prizna kako je sve u redu i kako ćesve jednom da dođe na svoje. Šta se krije iza tog kompleksnogsistema svakodnevnog samozavaravanja? Mogu li ičim u menii izvan mene opravdati nadu?

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Pjevati iz procjepa između sopstvene slabašne nade i krup-nih, nepobitno ružnih životnih činjenica, tražiti riječi za du-binu i neizlječivost tog procjepa, sa sviješću o atributima polakao dodatnim oružjima agresivne stvarnosti, još uvijek nejemči dobro pjesništvo. Jemstvo se sastoji iz neočekivano svje-žih i oslobađajućih slika te iz njihovog često zadihanog smje-njivanja. Tako nam ovi tekstovi pokazuju svijet koji nam iztog ugla nije bio poznat.

S jedne strane, stvarnost je odavno banalizovana i bez čaro-lije.

Nemoj me ubiti, zla banalnosti, jeste naslov koji može poslu-žiti kao ilustracija ove teze. Šoping centar je mjesto na kojemse orgijastično slavi »zla banalnost«. U pjesmi se na krajukaže: »Ushićenje nije više / napolju. / U bunaru je. Bunar je umeni. / Svakog trenutka moguće je izgubiti / Dostojanstvo. /Svet je moj bio … čaroban ...«

Sa druge strane, pjesnikinja je, ispostavljajući dijagnozu daje stvarnost u nama i oko nas neizlječivo raščarana, da smo iz-loženi sirovim silnicama, ipak u stanju da nas svojim teksto-vima očara, iznenadi. Da sebe i nas za trenutak izbavi iz živo-tne klopke. To je prastari alhemijski paradoks pjesništva, nikone zna kako, ali katkad, u najboljim trenucima, anonimnakompleksna ružnoća stvarnosti biva tačno imenovana, timelijepo iskazana, čime za tren gubi svoju moć nad nama. To ješamansko pripitomljavanje zloduha stvarnosti.

Ima u tekstovima Danice Vukićević i čežnje za daljinom, zane-ovdje i ne-sada. Bez obzira da li je govor sav od jetke ironijeili melanholične upitnosti, a u najboljim slučajevima i sav odnjihove legure, njeno pjesništvo ukazuje na dualizam našegtjelesnog i simboličnog postojanja u gustoj mreži zavisnosti.Hipersenzibilnost našeg duševnog sklopa nam uprkos svemusugeriše da život mora biti više od koprcanja u toj mreži kojusu drugi ispleli.

Nenad Milošević, pjesnik i kritičar, a u privatnom životu isuprug Danice Vukićević, zapisao je o njenoj poeziji sljedeće:»Pesme Danice Vukićević dnevnik su susretanja sa moćima i

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silama uvek pretećeg sveta. Ali svako iskustvo i jeste iskustvoodnosa moći. I to hiperosetljivo registrovanje sila u svetu,dato u iskazima i slikama i čini ovu poeziju tako uverljivom«.

Dragoslav Dedović

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SchaManin – bÄndiGunG dEr WirkLichkEit

Die lyrischen Texte von Danica Vukićević beschreiben dieWirklichkeit nicht so wie sie ist, obgleich man manchmal hyperrealistische Bilder wahrnehmen kann, in denen wir wieunter der Lupe die Hässlichkeit der äußeren Welt sehen. DerPunkt jedoch, von dem solche Einblicke möglich sind, ist dieWirklichkeit, so wie sie sein könnte, wie wir sie uns so imHalbschlaf ersehnt haben, in kindlicher Phantasie, so wie dieverführerische Wirklichkeit in der guten Literatur ist. Gemes-sen an dem Wunsch nach freier Selbstbestimmung ist die»wahre« Wirklichkeit eigentlich ein Konglomerat degene-rativer Prozesse und Phänomene, in denen Großstadtmen-schen unglücklich und abgestumpft aufeinanderprallen.

Dichtung ist das innere Schaudern über jenem Spalt, derklafft zwischen den Tatsachen des Lebens (die sich für dieMehrheit der Menschen in Serbien in den letzten Jahrzehntenam Rande des Erträglichen bewegen) und der zutiefstmenschlichen Hoffnung, dass das nicht alles ist, dass in dermaroden und fragmentarisierten Welt noch immer ein biss-chen Freude, Kreativität und Freiheit möglich sind.

Dabei zeichnet die Sprache von Danica Vukićević die Zer-splitterung der Welt, die sie umgibt, präzise auf – obwohl es inihrem Fall besser wäre zu sagen, dass es um eine Welt geht miteinem weiblichen Subjekt im Belagerungszustand. Zugleicherfasst die Dichterin das Aufblitzen des Schönen im alltäg -lichen materiellen und geistigen Lauf der Dinge, oder manch-mal die fragilen, unverlässlichen Erinnerungen an die Leich-tigkeit des Seins.

Radmila Lazić, eine Schlüsselfigur der modernen serbi-schen Frauenpoesie, bemerkt, dass die Gedichte von Vu-kićević »meist keine Titel haben und damit als Teile einesimaginären Ganzen erscheinen.« Aber dieses »imaginäreGanze« ist Schauplatz einer Schlacht, manchmal eines Kriegsdes Stärkeren gegen den Schwächeren, des Aufbegehrensgegen herrschende Zwänge, des grauen Alltags der Über-

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gangszeit gegen unseren Wunsch, in Farben zu träumen.Weder Familie noch Ehe werden von der Umdeutung unddamit poetischen Hinterfragung verschont. Lazić betont,dass bei Danica Vukićević »die Beziehungen zwischen weib-lichen Verwandten besonders apostrophiert (und detabui-siert) sind«. Danica Vukićević weigert sich einfach anzuer-kennen, dass alles in Ordnung sei und sich alles schon einmalgeben werde. Was steckt hinter diesem komplexen System all-täglichen Selbstbetrugs? Kann ich die Hoffnung mit irgend-was in mir und außerhalb von mir rechtfertigen?

Für gute Dichtung bürgt noch lange nicht, wenn man ausder Kluft zwischen der eigenen trügerischen Hoffnung undden unbestreitbar hässlichen Tatsachen des Lebens dichtet,wenn man um Worte für diese tiefe unheilbare Kluft ringt undwenn man dabei das Bewusstsein besitzt über Geschlechter-rollen als zusätzliche Waffen einer aggressiven Realität. Fürgute Dichtung bürgen unerwartet frische und befreiende Bil-der und deren oft atemberaubender Wechsel. So zeigen unsdiese Texte eine Welt, die uns aus dieser Region bislang nichtbekannt war.

Die Wirklichkeit ist einerseits längst banalisiert und ent-zaubert. Töte mich nicht, böse Banalität heißt ein Titel, derdiese These illustriert. Das Einkaufszentrum als Ort, wo die»böse Banalität« orgiastisch gefeiert wird. Am Schluss desGedichts heißt es: »Leidenschaft gibt es nicht mehr / drau-ßen. / Im Brunnen ist sie. Der Brunnen ist in mir. / Jeden Mo-ment kann man sie verlieren / Die Würde. / Meine Welt war… magisch …«

Andererseits ist die Dichterin, indem sie die Diagnosestellt, dass die Wirklichkeit in uns und um uns unheilbar ent-zaubert ist, dass wir brutalen Kräften ausgeliefert sind, den-noch in der Lage, uns kraft ihrer Texte zu verzaubern, in Er-staunen zu versetzen, sich und uns für einen Augenblick ausden Fallen des Lebens zu befreien. Das ist das uralte alchemis-tische Paradoxon der Dichtung, niemand weiß wie es zugeht,aber bisweilen, in ihren besten Momenten, wird die komplexe

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Realität, anonym und hässlich wie sie ist, benannt und ganzzur Sprache gebracht, und so verliert sie in diesem Augen-blick ihre Macht über uns. Das ist die schamanistische Bändi-gung der bösen Geister der Realität.

In den Texten von Danica Vukićević gibt es auch die Sehn-sucht nach Ferne, nach dem Nicht-Hier und Nicht-Jetzt. Un-abhängig davon, ob von bitterer Ironie oder melancholi-schem Hinterfragen die Rede ist, und im besten Fall auch vonden Verschmelzungen beider, verweisen ihre Gedichte aufden Dualismus unserer physischen und symbolischen Exis-tenz in einem dichten Netz der Abhängigkeiten. Unser über-empfindlicher spiritueller Organismus suggeriert uns trotzallem, das Leben müsse mehr sein, als in einem Fangnetz zuzappeln, das andere gesponnen haben.

Nenad Milošević, Dichter und Kritiker und in seinem pri-vaten Leben Ehemann von Danica Vukićević, schrieb überihre Poesie: »Die Gedichte von Danica Vukićević sind ein Ta-gebuch, in dem einem Mächte und Gewalten einer stets be-drohlichen Welt begegnen. Aber jede Erfahrung ist auch eineErfahrung von Machtverhältnissen. Und dieses hypersensibleRegistrieren der Kräfte in der Welt, gegeben in Aussagen undBildern, macht diese Poesie gerade so glaubwürdig.«

Dragoslav Dedović

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danica vukićEvić

Danica Vukićević rođena je u Valjevu 1959. Diplomirala na Filološkomfakultetu Univerziteta u Beogradu na grupi za Opštu književnost i teo-riju književnosti. Završila Ženske studije.

Objavila dosad sedam knjiga poezije: Kao hotel na vetru, KOS, Beo-grad 1992; Kada sam čula glasove, Matica srpska, Novi Sad 1995; Ša-manka, Centar za stvaralaštvo mladih, Beograd 2001; Luk i strela, Pove-lja, Kraljevo 2006; Prelazak u jednu drugu vrstu, Prosveta, Beograd2007; Visoki fabrički dimnjaci, Povelja, Kraljevo 2012; Svetlucavost i mi-lost, Dom omladine, Pančevo 2013; knjigu kratke proze Na plažama,RAD, Beograd 1998. i proznu knjigu Život je gorila, KOV, Vršac 2000.

Dobitnica je nagrade ProFemina koju dodeljuje istoimeni časopis tenagrada Biljana Jovanović i Milica Stojadinović Srpkinja. Bavi se i knji-ževnom kritikom i esejistikom. Pesme su joj prevođene na španski, en-gleski, poljski, francuski, nemački, makedonski i grčki.

Radi kao lektor-redaktor, živi u Beogradu.

danica vukićEvić

Danica Vukićević wurde 1959 in Valjevo geboren. Sie ist Absolventin derPhilologischen Fakultät der Universität Belgrad in den Fächern Allge-meine Literatur und Literaturtheorie. Sie hat außerdem einen Abschlussim Bereich der Gender Studies.

Sie veröffentlichte bisher sieben Lyrikbände: Kao hotel na vetru [Wieein Hotel im Wind], KOS, Belgrad 1992; Kada sam čula glasove [Als ichStimmen hörte], Matica srpska, Novi Sad 1995; Šamanka [Die Schama-nin], Centar za stvaralaštvo mladih, Beograd 2001; Luk i strela [Pfeilund Bogen], Povelja, Kraljevo 2006; Prelazak u jednu drugu vrstu[Übergang in eine andere Art], Prosveta, Beograd 2007; Visoki fabričnidimnjaci [Hohe Fabrikschlote], Povelja, Kraljevo 2012; Svetlucavost imilost [Glitzern und Gnade ], Dom omladine, Pančevo 2013; ein Buchmit Kurzprosa Na plažama [An den Stränden], RAD, Belgrad 1998, undden Prosaband Život je gorila [Das Leben ist ein Gorilla], KOV, Vršac2000.

Sie erhielt den ProFemina-Preis der gleichnamigen Zeitschrift, denBiljana-Jovanović-Preis sowie den Milica-Stojadinović-Srpkinja-Preis.Sie schreibt Literaturkritiken und Essays. Ihre Gedichte wurden ins Spa-nische, Englische, Polnische, Französische, Deutsche, Mazedonischeund Griechische übersetzt.

Danica Vukićević arbeitet als Lektorin und Redakteurin und lebt inBelgrad.

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