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Zum Thema: Palliativmedizin | Der Urologe [B] 3•2001 228 In Deutschland ist wie in nahezu allen Industrieländern eine Zunahme der Zahl von Tumorerkrankungen und der Krebs- mortalität zu verzeichnen. Gemäß den Angaben des Statistischen Bundesam- tes starben 1998 nahezu 213.000 Perso- nen infolge einer bösartigen Erkran- kung. An Krebs Erkrankte leiden in der Regel an einer Vielzahl von physischen und psychischen Funktionsstörungen, die bei unzureichender oder fehlender Behandlung zu einem deutlichen Ver- lust an Lebensqualität führen. Schmer- zen sind dabei das dominierende Sym- ptom mit entsprechend gravierenden Auswirkungen auf den Patienten und seine Angehörigen. Zwar gibt es von verschiedenen Organisationen Thera- piekonzepte für eine suffiziente Schmerztherapie, doch diese werden häufig nicht in ausreichendem Maße umgesetzt. Dieser Beitrag stellt daher umfassend die Schmerztherapie als einen entscheidenden Eckpfeiler in der Palliativmedizin dar. Quantitative Daten über die Schmerz- prävalenz bei Tumorerkrankungen lie- gen für Deutschland leider nicht vor.An- hand von Anhaltszahlen hat Heidemann eine Schätzung dieser Prävalenz vorge- nommen [15]. Die Autorin kommt dabei zu dem Schluss, dass an jedem Tag in Deutschland etwa 220.000 Tumorpati- enten unter behandlungsbedürftigen Schmerzen leiden und dass somit jähr- lich mehr als 80 Mio.„Tumorschmerz- patiententage“ anfallen. Dabei kann da- von ausgegangen werden, dass bei Pati- enten mit soliden Tumoren, die unter aktiver Therapie stehen, etwa in 30–50% und bei solchen mit fortgeschrittener Erkrankung in 70–90% der Fälle chro- nische behandlungsbedürftige Schmerz- zustände auftreten. Von zahlreichen Organisationen wird immer wieder auf die Bedeutung einer suffizienten Schmerztherapie für diese Patientengruppe hingewiesen. Entsprechende Therapiekonzepte wur- den z. B. vorgelegt von der Arzneimittel- kommission der deutschen Ärzteschaft [3], der Deutschen Krebsgesellschaft e.V. [7] sowie von der Weltgesundheitsorga- nisation [30]. Weil sie bisher nicht in kontrollierten klinischen Studien unter- sucht wurde, ist lediglich die Frage strit- tig, in welchem Prozentsatz die vorhan- denen Therapieempfehlungen zu einer angemessenen Schmerzlinderung füh- ren können [16].Von der WHO werden für das von ihr empfohlene Stufensche- ma Erfolgsraten zwischen 75 und 90% genannt [30]. Leider werden aber auch in Deutschland bis heute bei einer großen Zahl der von Schmerzzuständen betrof- fenen Tumorpatienten die prinzipiell verfügbaren Therapieempfehlungen nicht adäquat umgesetzt. Die Ursachen für diesen Missstand sind vielfältig: Wissensdefizite der behandelnden Ärzte hinsichtlich der vorhandenen Möglichkeiten zur Symptomkontrolle, geringer Stellenwert der Schmerz- therapie und Symptomkontrolle im Verhältnis zur kurativen Behandlung bei Ärzten und Patienten, Patienten neigen zur Dissimulation von Schmerzen, z. B. aus Angst vor der Realisierung eines Tumorpro- gresses, oder aufgrund irrationaler Ängste (z. B.„nur wer bereits dem Zum Thema: Palliativmedizin Urologe [B] 2001 · 41:228-235 © Springer-Verlag 2001 G.G. Hanekop · D. Kettler · M.T. Bautz · F.B.M. Ensink Zentrum Anaesthesiologie, Rettungs- und Intensivmedizin, Georg-August-Universität Göttingen Schmerztherapie in der Palliativmedizin G.G. Hanekop, F.B.M. Ensink, M.T. Bautz: Mitar- beiter bei SUPPORT,einem Modellprojekt der Ärztekammer Niedersachsen (Berliner Allee 20, 30175 Hannover) zur Qualitätssicherung der palliativmedizinisch orientierten Ver- sorgung von Patienten mit Tumorschmerzen. Dieses in der Modellregion Südniedersachsen angesiedelte Projekt wird gefördert durch das Bundesministerium für Gesundheit (AZ: FB 2- 43332-50/11). G.G. Hanekop: Mitglied des Arbeitskreises „Tumorschmerz“ der Deutschen Gesellschaft zum Studium des Schmerzes e.V. (DGSS) und der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedi- zin e.V. (DGP) Dr. Franz Bernhard M. Ensink Arbeitsgruppe SUPPORT,Waldweg 35, 37073 Göttingen

Schmerztherapie in der Palliativmedizin

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In Deutschland ist wie in nahezu allenIndustrieländern eine Zunahme der Zahlvon Tumorerkrankungen und der Krebs-mortalität zu verzeichnen. Gemäß denAngaben des Statistischen Bundesam-tes starben 1998 nahezu 213.000 Perso-nen infolge einer bösartigen Erkran-kung. An Krebs Erkrankte leiden in derRegel an einer Vielzahl von physischenund psychischen Funktionsstörungen,die bei unzureichender oder fehlenderBehandlung zu einem deutlichen Ver-lust an Lebensqualität führen. Schmer-zen sind dabei das dominierende Sym-ptom mit entsprechend gravierendenAuswirkungen auf den Patienten undseine Angehörigen. Zwar gibt es von verschiedenen Organisationen Thera-piekonzepte für eine suffizienteSchmerztherapie, doch diese werdenhäufig nicht in ausreichendem Maßeumgesetzt. Dieser Beitrag stellt daherumfassend die Schmerztherapie als einen entscheidenden Eckpfeiler in derPalliativmedizin dar.

Quantitative Daten über die Schmerz-prävalenz bei Tumorerkrankungen lie-gen für Deutschland leider nicht vor.An-hand von Anhaltszahlen hat Heidemanneine Schätzung dieser Prävalenz vorge-nommen [15]. Die Autorin kommt dabeizu dem Schluss, dass an jedem Tag inDeutschland etwa 220.000 Tumorpati-enten unter behandlungsbedürftigenSchmerzen leiden und dass somit jähr-lich mehr als 80 Mio. „Tumorschmerz-patiententage“ anfallen. Dabei kann da-von ausgegangen werden, dass bei Pati-enten mit soliden Tumoren, die unteraktiver Therapie stehen, etwa in 30–50%und bei solchen mit fortgeschrittenerErkrankung in 70–90% der Fälle chro-nische behandlungsbedürftige Schmerz-zustände auftreten.

Von zahlreichen Organisationenwird immer wieder auf die Bedeutungeiner suffizienten Schmerztherapie fürdiese Patientengruppe hingewiesen.Entsprechende Therapiekonzepte wur-den z. B. vorgelegt von der Arzneimittel-kommission der deutschen Ärzteschaft[3],der Deutschen Krebsgesellschaft e.V.[7] sowie von der Weltgesundheitsorga-nisation [30]. Weil sie bisher nicht inkontrollierten klinischen Studien unter-sucht wurde, ist lediglich die Frage strit-tig, in welchem Prozentsatz die vorhan-denen Therapieempfehlungen zu einerangemessenen Schmerzlinderung füh-ren können [16]. Von der WHO werdenfür das von ihr empfohlene Stufensche-ma Erfolgsraten zwischen 75 und 90%genannt [30].

Leider werden aber auch inDeutschland bis heute bei einer großen

Zahl der von Schmerzzuständen betrof-fenen Tumorpatienten die prinzipiellverfügbaren Therapieempfehlungennicht adäquat umgesetzt. Die Ursachenfür diesen Missstand sind vielfältig:

● Wissensdefizite der behandelndenÄrzte hinsichtlich der vorhandenenMöglichkeiten zur Symptomkontrolle,

● geringer Stellenwert der Schmerz-therapie und Symptomkontrolle imVerhältnis zur kurativen Behandlungbei Ärzten und Patienten,

● Patienten neigen zur Dissimulationvon Schmerzen, z. B. aus Angst vorder Realisierung eines Tumorpro-gresses, oder aufgrund irrationalerÄngste (z. B.„nur wer bereits dem

Zum Thema: PalliativmedizinUrologe [B]2001 · 41:228-235 © Springer-Verlag 2001

G.G. Hanekop · D. Kettler · M.T. Bautz · F.B.M. EnsinkZentrum Anaesthesiologie, Rettungs- und Intensivmedizin, Georg-August-Universität Göttingen

Schmerztherapie in der Palliativmedizin

G.G. Hanekop, F.B.M. Ensink, M.T. Bautz: Mitar-beiter bei SUPPORT, einem Modellprojekt derÄrztekammer Niedersachsen (Berliner Allee 20,30175 Hannover) zur Qualitätssicherungder palliativmedizinisch orientierten Ver-sorgung von Patienten mit Tumorschmerzen.Dieses in der Modellregion Südniedersachsenangesiedelte Projekt wird gefördert durch dasBundesministerium für Gesundheit (AZ: FB 2-43332-50/11).

G.G. Hanekop: Mitglied des Arbeitskreises„Tumorschmerz“ der Deutschen Gesellschaftzum Studium des Schmerzes e.V. (DGSS) undder Deutschen Gesellschaft für Palliativmedi-zin e.V. (DGP)

Dr. Franz Bernhard M. EnsinkArbeitsgruppe SUPPORT,Waldweg 35,37073 Göttingen

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Tode nahe ist, bekommt Morphin!“)sowie

● unzuverlässige Medikamentenein-nahme durch den Patienten auf-grund mangelnder Compliance bzw.wegen unzulänglicher Aufklärung,dass z. B. Dauerschmerzen auch eineDauertherapie erfordern.

Diese bei Patienten aber auch bei Ärztenhäufig anzutreffenden irrationalen Ein-stellungen und Überzeugungen [9, 12,24, 29] beruhen zum größten Teil aufmangelndem Fachwissen und ungeprüfttradierten Vorurteilen. Hier steht jederArzt, der Tumorpatienten behandelt, inder Pflicht, sich diesbezüglich auf demneuesten Stand zu halten und die ent-sprechenden Fakten vorurteilsfrei sei-nen Patienten zu vermitteln.

Ätiologie und Pathogenese von Tumorschmerzzuständen

Den Tumorschmerz als Entität gibt esnicht. Vielmehr werden unter diesemBegriff Schmerzzustände subsumiert,die durch unterschiedlichste Ursachenhervorgerufen sein können. Dabei han-delt es sich stets um ein multidimensio-nales Geschehen, da neben somatischenauch kulturelle, psychosoziale und spi-rituelle Faktoren die Schmerzwahrneh-mung des Patienten beeinflussen (vgl.Abb. 1). Etwa 60–75% aller Schmerzzu-stände, die bei erwachsenen Tumorpati-enten auftreten, sind direkter Effekt derErkrankung [7, 23], etwa 15–25% sindtherapiebedingt und zwischen 2–5% tre-

ten unabhängig von Tumorerkrankungund -therapie auf [6, 13].

In Bezug auf die Pathogenese lassensich akute und chronische Schmerzendifferenzieren. Diese Unterscheidung istbei der Behandlung von Tumorpatien-ten insofern von Bedeutung, als akuteSchmerzzustände zwar in der Regel vor-übergehender Natur sind, wegen ihrerAkutheit und Intensität aber ein sofor-tiges und aggressives Vorgehen erfor-dern. Chronische Schmerzen sind hin-gegen zumeist weniger intensiv, stellenwegen ihrer Penetranz für die Betroffe-nen aber ebenfalls eine große Belastungdar, aus der heraus sich die vorrangigeNotwendigkeit einer suffizienten Thera-pie ergibt.

Weiterhin lassen sich pathogene-tisch nozizeptive von neuropathischenSchmerzen differenzieren, die aufgrundihrer verschiedenartigen Auslösemecha-nismen auch unterschiedliche Behand-lungsmaßnahmen erfordern. Als nozi-zeptiv werden alle Schmerzen bezeich-net, die durch Erregung schmerzemp-findlicher Nervenfasern im Gewebe(z. B. infolge einer Verletzung) ausgelöstwerden. Als somatisch werden dieseSchmerzen bezeichnet, wenn Gelenke,Knochen und/oder Weichteile betroffensind. Bei Auslösung derartiger Schmer-zen in den Eingeweiden werden diese alsviszeral klassifiziert. Viszerale Schmer-zen werden ausschließlich über C-Fa-sern vermittelt und erweisen sich in derRegel als opioidsensibel. SomatischeSchmerzen hingegen werden sowohlüber C- als auch über Aδ-Fasern vermit-

telt und sprechen deswegen nur bedingtauf die Gabe von Opioiden an. Neuropa-thische Schmerzzustände hingegen wer-den durch aberrante somatosensorischeProzesse sowohl in der Peripherie alsauch im ZNS hervorgerufen.

Schmerzerfassung und -dokumentation

Die erfolgreiche Therapie von Tumor-schmerzen setzt eine sorgfältige Ana-mneseerhebung und Befunddokumen-tation voraus, die jeweils standardisierterfolgen sollten. Da die Schmerzwahr-nehmung ein subjektives Phänomen ist,können nur die Angaben des Patientenselbst verlässliche Hinweise auf eine ent-sprechende Therapienotwendigkeit ge-ben. Aufgrund des multidimensionalenCharakters derartiger Schmerzen soll-ten nach Möglichkeit Erfassungsinstru-mente eingesetzt werden, die gleicher-maßen die sensorischen, die affektivenund auch die kognitiven Anteile derSchmerzwahrnehmung abbilden, wiez. B. das „brief pain inventory“ in seinerdeutschen Fassung [25].

Die Dokumentation der empfunde-nen Schmerzen sollte ihre Intensität,Qualität, Topographie,Verlaufsmerkma-le und verstärkende bzw. lindernde Fak-toren berücksichtigen. Nur die regelmä-ßige Überprüfung dieser Befunde imVerlauf einer Behandlung gestattet zu-verlässige Aussagen über die Effektivi-tät schmerztherapeutischer Interventio-nen bzw. über den Verlauf der Erkran-kung.

Bedenken sollte man in diesemKontext, dass andere physische und psy-chische Faktoren bzw. Symptome dieSchmerzwahrnehmung des Patientenwesentlich beeinflussen können. In An-lehnung an Woodruff [31] wird darum

Abb. 1 m Konzept des „Total Suffering“ nach Woodruff [31]: Zusammenwirken verschiedener Einfluss-ebenen auf das Schmerzerlebnis. Unzureichende Schmerzkontrolle kann Probleme in allen übrigenBereichen des Leidensspektrums verursachen oder verstärken. Ungelöste Probleme in irgendeinemder übrigen Bereiche des Leidensspektrums kann Schmerzen auslösen oder die Schmerzwahrneh-mung verstärken

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auch vom „total suffering“, also etwavom „umfassenden Leiden“ des Patien-ten gesprochen (vgl. Abb. 1). Gerade beider Behandlung von Tumorschmerzendürfen diese Faktoren nicht vernachläs-sigt werden. Folgerichtig wird deshalbzunehmend auch die Lebensqualität desPatienten als Beurteilungskriterium fürdie Angemessenheit einer Therapiesämtlicher Symptome erachtet, die eineTumorerkrankung begleiten.

Behandlung von Schmerzen bei Tumorpatienten

Die Behandlung von Schmerzen kannprinzipiell tumororientiert oder sym-ptomorientiert erfolgen (Tabelle 1). Eineerfolgreiche Behandlung von Schmerz-zuständen setzt das sorgfältige Abwägenbestehender therapeutischer Alternati-ven voraus. Bei der Entscheidung überdiese Optionen müssen der Allgemein-zustand des Patienten und die Patho-physiologie des Schmerzes berücksich-tigt werden; die Behandlungsstrategiemuss sich weiterhin an den persönli-chen Erfahrungen des Behandlers, anden ihm zur Verfügung stehenden Res-sourcen sowie an den aktuellen indivi-duellen Therapiezielen des Patientenorientieren.

Auch wenn in den etablierten Be-handlungskonzepten (z. B. [1, 3, 30])übereinstimmend das Primat einer en-teralen Pharmakotherapie propagiertwird, sollten andere symptomorientier-te Therapieoptionen (z. B. rückenmark-

nahe Medikamentenapplikation, ablati-ve Techniken etc.) nicht außer Acht ge-lassen werden. Dies gilt insbesonderedann, wenn durch die enterale Therapieallein keine zufriedenstellende Analge-sie erreicht wird und/oder nicht-akzep-table Nebenwirkungen auftreten, durchdie sich die Lebensqualität des Patientenzusätzlich verschlechtert.

Strahlentherapie im Rahmen der Schmerztherapie

Im Rahmen eines analgetischen pallia-tivmedizinischen Behandlungskonzep-tes stellt vor allem die Strahlentherapieeine unverzichtbare Option dar. Speziellbei Schmerzzuständen, die unter Bewe-gung und Belastung auftreten (z. B. in-folge von Knochenmetastasen bei Lun-gen-, Brust- und Prostatakarzinomen),ist die Strahlentherapie eine hervorra-gende Therapiemaßnahme, die unab-hängig von der Tumorhistologie bei70–80% der Patienten zu einer ange-messenen Schmerzlinderung führt [19].Bei der Behandlung diffuser Knochen-schmerzen infolge einer Disseminationvon Knochenmetastasen hat sich dieAnwendung von injizierbaren Radioiso-topen bewährt, wobei meist β-Strahlerverwendet werden, wie z. B. Ho-166, Rh-186, Sa-153, Sr-89 etc. [17, 21, 22].

Neben der analgetischen Wirkkom-ponente trägt die Radiotherapie auch zueiner Verbesserung der Stabilität imAchsenskelett bei. Auch spinale und ze-rebrale Prozesse mit und ohne neuropa-

thische Schmerzkomponente stellen ei-ne Indikation für die Radiotherapie dar,ebenso wie das Vorliegen anderer soma-tischer Symptome, wie z. B. obere Ein-flussstauung bei V.-cava-superior-Syn-drom oder Dyspnoe, Hämoptysen undHusten bei trachealer bzw. bronchialertumorbedingter Obstruktion [28].

Chemotherapie in der Palliativmedizin

Im Gegensatz zur Strahlentherapie istdie Indikation für eine Chemotherapieunter der Zielsetzung einer analgeti-schen Symptomkontrolle nur wenig ge-sichert.Dies mag vor allem daran liegen,dass die Variablen „Analgesie“ bzw.„Schmerzreduktion“ bis dato nur seltenals primäres Erfolgskriterium in ent-sprechenden Studien eingesetzt wurden.Ein positiver Effekt systemischer oderlokaler Chemotherapien ist aber bei spe-ziellen Schmerzkonstellationen gleich-wohl vorstellbar. Diese Aussage dürftevor allem dann gelten, wenn die Be-schwerden durch eine Tumorkompres-sion mitbedingt sind [5, 20].

Im Rahmen eines palliativmedizini-schen Gesamtkonzeptes sollte aber vorder Indikationsstellung einer Chemo-therapie zum Zwecke der Symptomkon-trolle eine sorgfältige Abwägung zwi-schen dem reell zu erwartenden Nutzensowie den potentiellen Nebenwirkungenmit ihren negativen Effekten auf die Le-bensqualität des Patienten erfolgen. DasFür und Wider einer diesbezüglichen In-dikationsstellung muss eingehend mitdem Patienten besprochen werden,da ineinzelnen Arbeiten über eine positiveKorrelation zwischen der Durchführungeiner Chemotherapie und dem Vorhan-densein starker Schmerzen berichtetwird [8]. In bestimmten Fällen werdenChemotherapeutika bei Tumorpatien-ten aber auch ganz gezielt für analgeti-sche Zwecke eingesetzt, wie z. B. Gemci-tabin bei Pankreaskarzinomen [23].

Analgetisches Therapiekonzept

Bei der analgetischen Therapie sollteaber nicht ausschließlich auf somatischeBefunde geachtet werden, da auch psy-chosoziale und spirituelle Momente ei-nen wesentlichen Anteil am Leiden desPatienten haben können. Bei Vorliegeneiner entsprechenden Konstellation sinddiese Faktoren angemessen in einem

Tabelle 1Methoden der Tumorschmerztherapie

Tumororientierte Verfahren Symptomorientierte Verfahren

Bestrahlung Primäre Maßnahme: Enterale PharmakotherapieChemotherapie – OralHormontherapie – Per SondeOperation – Rektal

Sekundäre Maßnahme: Parenterale Pharmakotherapie● Nichtinvasive Applikation: – Transdermal

– Sublingual● Invasive Applikation: – Subkutan

– Intravenös

Tertiäre Maßnahmen:● Rückenmarknahe Applikation: – Epidural

– Intrathekal● Neuroablative Verfahren

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umfassenden Therapiekonzept zu be-rücksichtigen. Auch die Indikation fürden Einsatz physiotherapeutischer Inter-ventionen (z. B. Massage, Wärme- oderKälteanwendung, Lymphdrainage) undspezieller Hilfsmittel (z. B. Rollstuhl, Or-thesen, Lagerungshilfen) ist nur indivi-duell zu bestimmen,sollte aber stets mit-bedacht werden. Tumorpatienten mitSchmerzzuständen werden am bestendurch ein multimodales Konzept mit ei-nem multi- bzw. interdisziplinären,teamorientierten Vorgehen behandelt.

Der Schwerpunkt der Schmerzthe-rapie im palliativmedizinischen Kontextliegt eindeutig auf Seiten einer adaptier-ten Pharmakotherapie. Wie bereits zuBeginn aufgezeigt, liegen von unter-schiedlichen Organisationen und Ein-richtungen Empfehlungen für diesenZweck vor. Die weiteste Verbreitung hatsicherlich das 3-Stufen-Schema derWHO gefunden [30]. Die Weltgesund-heitsorganisation hat ihrem Behand-lungskonzept 4 wesentliche Prinzipienzu Grunde gelegt:

1. das Primat der oralen Applikation(„by the mouth“),

2. die Verordnung gemäß der Wirkzeitder Substanz („by the clock“),

3. die Orientierung am Stufenschemader WHO („by the ladder“), und

4. die Anpassung der Therapie an jedeneinzelnen Patienten.

Aus diesen Vorgaben ergibt sich dieEmpfehlung einer zeitkontingenten, aneiner Maßnahmeneskalation (sowohlbezüglich der Dosis als auch der Aus-wahl der verwendeten Pharmaka) aus-gerichteten, individuellen enteralenPharmakotherapie. Wesentlichstes Kri-terium für die Auswahl der einzusetzen-

den analgetisch wirksamen Medika-mente ist die Schmerzintensität (Tabel-le 2). Die Schmerzanamnese kann zu-sätzlich Anhaltspunkte liefern für einesinnvolle parallele Anwendung adjuvan-ter Pharmaka (z. B. für den Einsatz vonAntidepressiva, Antikonvulsiva undNMDA-Antagonisten bei Vorliegen ei-ner neuropathischen Schmerzkompo-nente). Jedoch ist der Erfolg einer anal-getischen Therapie durch die Klassifi-zierung bestehender Schmerzen in pa-thophysiologische Kategorien im Einzel-fall nicht vorhersehbar [10].

Stufe 1: Nichtopioide

Durch kontrollierte klinische Studien istdie analgetische Wirksamkeit der mei-sten Nichtopioide bei Tumorschmerzpa-tienten belegt (Ausnahme: Paraceta-mol). Als nichtopioide Analgetika sindseit kurzem auch die sogenannten selek-tiven COX-2-Hemmer am Markt verfüg-bar. Angesichts des offensichtlich sehrgünstigen Wirkungs-/Nebenwirkungs-verhältnisses erscheint ihr Einsatz prin-

zipiell auch bei Patienten mit Tumor-schmerzen naheliegend.Allerdings wur-den bisher keine kontrollierten Studienfür diese Indikation publiziert. Auchkonnte eine eindeutige Überlegenheiteiner speziellen Substanz der Nicht-opioide bisher nicht gezeigt werden.

Die Wahl eines Medikamentes ausdieser Gruppe sollte sorgfältig erfolgenund sich am substanzspezifischen Wir-kungs-/Nebenwirkungsprofil orientie-ren (Tabelle 3). Dieser Aussage kommtdeswegen eine besondere Bedeutung zu,da die Gruppe der Nichtopioide von al-len verwendeten Analgetikaklassen die-jenige ist, die am häufigsten z. T. lebens-bedrohliche Nebenwirkungen auslöst.Eine Prophylaxe gastrointestinaler Kom-plikationen bei Einnahme von NSAIDist nur bedingt durch die parallele An-wendung von Prostaglandinanalogaoder Protonenpumpenhemmern mög-lich. Deswegen sollte bei der Auswahl ei-nes nichtopioiden Analgetikums nebender persönlichen Erfahrung des Verord-nenden mit der jeweiligen Substanzauch die Bedürfnislage und der Allge-meinzustand des Patienten berücksich-tigt werden. Außerdem gilt es möglicheWechselwirkungen mit einer bereits lau-fenden Begleitmedikation zu beachten:z. B. erhöhen NSAID die Toxizität vonMethotrexat.

Stufe 2: Opioide für mäßige bis starke Schmerzen

Reicht die Gabe von Nichtopioiden nichtmehr aus, um eine akzeptable Schmerz-reduktion zu gewährleisten, so wird vonden Experten der Weltgesundheitsorga-nisation der Einsatz von Opioiden derStufe 2 des WHO-Stufenschemas emp-

Tabelle 2WHO-3-Stufen-Schema

WHO-Therapiestufe Schmerzintensität Medikation a

Stufe 1 Leicht bis mäßig Nichtopioide

Stufe 2 Mäßig bis stark Nichtopioide + Opioide für mäßige bis starke Schmerzen

Stufe 3 Stark bis sehr stark Nichtopioide + Opioide für starke bis sehr starke Schmerzen

a Auf jeder Stufe können je nach klinischer Situation zusätzlich Koanalgetika oder andereadjuvante Medikamente verabreicht werden

Tabelle 3 Medikamente der Stufe 1 „Nichtopioide Analgetika“ des WHO-3-Stufen-Schemas (Auswahl gebräuchlicher Substanzen)

Substanz Einzeldosis [mg] Dosisintervall

Acetylsalicylsäure 500–1000 4-stündlichDiclofenac 50 6-stündlichDiclofenac retardiert 100 8- bis 12-stündlichIbuprofen 400–600 6-stündlichIbuprofen retardiert 600–800 8- bis 12-stündlichMetamizol 500–1000 4-stündlichNaproxen 250 bzw. 500 6- bis 8- bzw. 12- stündlichParacetamol 500–1000 4-stündlich

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fohlen (Tabelle 4),die dann zusätzlich zuden Nichtopioiden bzw. statt der Nicht-opioide verabreicht werden. Bei diesenOpioiden handelt sich um zumeist reineAgonisten. Allerdings gibt es auch Fer-tigarzneimittel mit einer fixen Kombi-nation aus dem reinen Agonisten Tilidinund dem reinen Antagonisten Naloxon.

Die Dosierung der Opioide erfolgtindividuell titrierend. Für alle Stufe-2-Opioide (mit Ausnahme des Buprenor-phins) gilt, dass ab einem Dosisbereichvon 600–900 mg/Tag eine weitere Stei-gerung nicht mehr sinnvoll ist und des-wegen ein Wechsel auf ein Opioid derStufe 3 (s. unten) erfolgen sollte. Einesolche Umstellung erfolgt anhand einerÄquipotenztabelle auf der Basis des so-genannten „intramuskulären Morphin-äquivalents“ (Tabelle 5).

Prinzipiell kann es nach Anwen-dung von Opioiden der Stufe 2 desWHO-Stufen-Schemas zu allen opioid-typischen Nebenwirkungen kommen,wie sie auch vom Morphin (vgl. Stufe-3-Opioide) bekannt sind. Da es unter Ap-plikation aller Opioide regelhaft zu ei-ner Obstipation kommt, ist bei jedemmit solchen Substanzen behandelten Pa-tienten die antizipatorische Gabe vonLaxantien obligat.

Stufe 3: Opioide für starke bis sehr starke Schmerzen

Bestehen bei einem Patienten starke bissehr starke Schmerzen sind i. d. R. Op-ioide der Stufe 3 des WHO-Stufensche-mas indiziert (Tabelle 6). Ebenso sollteauf die Substanzen dieser Gruppeimmer dann zurückgegriffen werden,

wenn mit den empfohlenen Maximaldo-sen der Stufe-2-Opioide keine befriedi-gende Schmerzlinderung erzielt werdenkann: in einem solchen Fall wird dasStufe-2-Opioid abgesetzt und stattdes-sen ein Opioid der Stufe 3 des WHO-Stu-fen-Schemas angesetzt. Eine paralleleAnwendung von Stufe-2- und Stufe-3-Opioiden ist nicht angezeigt.

Von der Weltgesundheitsorganisa-tion wird Morphin als das Referenz-opioid der Stufe 3 empfohlen [30]. Mor-phin ist nach wie vor das am besten un-tersuchte Opioid mit einer insgesamtguten Verträglichkeit. Bei Patienten miteingeschränkter Nierenfunktion kanneine Behandlung mit Morphin aller-dings problematisch werden, da im Rah-men des chemischen Abbaus der Sub-stanz aktive Metaboliten entstehen,durch deren Kumulation es zu typischenNebenwirkungen wie Halluzinationen,Myoklonien und Verwirrtheit kommen

kann. Speziell in angloamerikanischenPublikationen wird deshalb die Notwen-digkeit betont, durch eine sequenzielleAnwendung unterschiedlicher Stufe-3-Opioide (im Rahmen einer sogenannten„Opioidrotation“) dasjenige Präparat zufinden, das bei gegebener Schmerzphy-siologie und bei spezifischen Patienten-charakteristika das beste Wirkungs-/Ne-benwirkungsverhältnis aufweist [4, 23].

Zu der im Rahmen eines Wechselszwischen den verschiedenen Stufe-3-Opioiden erforderlichen Dosisumrech-nung werden sogenannte Äquipotenzta-bellen verwendet (vgl. Tabelle 5). Zu-gleich wird für eine solche Therapieum-stellung die Anwendung der „50%-Re-gel“ empfohlen [7]. Diese Regel besagt,dass die unter Zugrundelegung der An-gaben aus der Äquipotenztabelle ermit-telte Tagesdosis des „neuen“ Opioids ausSicherheitsgründen zunächst um 50%reduziert wird und danach eine Titrati-on gegen den Schmerz bis zum Errei-chen eines neuen „steady-state“ erfolgensollte. Besondere Vorsicht ist bei derUmstellung auf Levomethadon ange-zeigt, da diese Substanz sehr variableEliminationshalbwertszeiten aufweisenkann und die Wirkungsäquivalenz so-wohl zu Morphin als auch zu Hydro-morphon stark dosisabhängig ist [26,27]. Hier hat es sich bewährt, die Dosisdes „alten“ Opioids sukzessive um täg-lich 50% zu reduzieren und mit Levo-methadon neu gegen den Schmerz zutitrieren, wobei als Initialdosis 2,5–5 mg/3 h zu empfehlen ist. Nach 3 Tagen wirddie täglich verabreichte Levomethadon-Menge ermittelt und zeitkontingent –auf 2 bis 3 Tagesdosen verteilt – verab-reicht.

Tabelle 4Medikamente der Stufe 2 „Mittelstarke Opioide“ des WHO-3-Stufen-Schemas (Auswahl gebräuchlicher Substanzen)

Substanz Einzeldosis [mg] Dosisintervall

Codein 60 3- bis 4-stündlichDextropropoxyphen retard 150 6- bis 8-stündlichDihydrocodein retard 60–90 8- bis 12-stündlichTilidin (+Naloxon) 50–100 4-stündlichTilidin (+Naloxon) retard 100–200 8- bis 12-stündlichTramadol 50–100 4-stündlichTramadol retard 100–200 8- bis 12-stündlichBuprenorphin a (sublingual) 0,2–0,4 6- bis 8-stündlich

a Buprenorphin ist im Gegensatz zu den anderen Stufe-2-Opioiden BtM-pflichtig

Tabelle 5Äquianalgetische Dosierungen ausgewählter Opioide

Reine Agonisten Partialagonisten/Agonist-Antagonisten

0,15 mg Fentanyl 0,4 mg Buprenorphin1,5–2 mg Hydromorphon5 mg Levomethadon7,5–10 mg Oxycodon

10 mg Morphin10 mg Methadon60 mg Dihydrocodein 40 mg Pentazocin80–100 mg Tramadol80–100 mg Tilidin

~120 mg Codein

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Bei der Anwendung von Fenta-nyl TTS – einem weiteren Stufe-3-Op-ioid – wird dem Patienten der analgeti-sche Wirkstoff aus einem Pflaster trans-dermal zugeführt. In absehbarer Zeitdürfte auch für den Wirkstoff Buprenor-phin eine Pflasterapplikation am Markteingeführt werden. Fentanyl TTS führtein einer randomisierten Studie im Ver-gleich zu retardiertem Morphin bei ver-gleichbarer Analgesie zu einer geringe-ren Inzidenz von Obstipation und Mü-digkeit [2]. Zu bedenken sind bei Fenta-nyl TTS allerdings die langen An- undAbflutungszeiten; deswegen ist der Ein-satz dieses Systems auch vorzugsweisebei Vorliegen eines stabilen Schmerzge-schehens indiziert.

Ein weiteres alternatives Opioid istdas Hydromorphon,welches inzwischenauch als retardierte Zubereitung zuroralen Anwendung vorliegt. Als Vorteildieser Substanz gilt, dass bei ihrer Ver-stoffwechslung keine aktiven Metaboli-ten entstehen.

Umstellung des Applikationsweges

Im Verlauf einer Tumorerkrankungkann es infolge des Auftretens vonSchluckstörungen, Übelkeit bzw. Erbre-chen sowie von gastrointestinaler Ob-struktion oder anderen Komplikationennotwendig werden,den Applikationswegder analgetischen Medikation zu än-dern. Eine ausführliche Darstellung derverfügbaren Applikationsmöglichkeitenwurde von einer Arbeitsgruppe der Eu-ropean Association of Palliative Care(EAPC) publiziert [14]. Dabei ist eine

Verbesserung der Analgesie durch einensolchen Wechsel der Anwendungsartnur dann zu erwarten, wenn zuvor beider oralen Gabe eine unvollständigeoder variierende Resorption der verab-reichten Substanzen auftrat. Ansonstenist der Grad der Analgesie,der durch un-terschiedliche Applikationswege erzieltwerden kann, äquivalent, wie durchzahlreiche vergleichende Untersuchun-gen belegt worden ist.

Jedoch kann es durch die verschie-denen Anwendungsarten sehr wohl zu

relevanten Differenzen hinsichtlich deszu beobachtenden Nebenwirkungsspek-trums kommen. Dies erklärt sich ausdem Umstand, dass sich durch die fürverschiedene Applikationsformen benö-tigten Wirkstoffmengen und die darausresultierenden unterschiedlichen Kon-zentrationen am Wirkort sowie durchmethodenspezifische Nebenwirkungenbei jedem einzelnen Patienten einehöchst differente Situation ergeben kann.

Liegt ein stabiles Schmerzgesche-hen vor, kann die Umstellung einer vor-bestehenden anderweitigen Opioidme-dikation auf die transdermale Verabrei-chung von Fentanyl eine sinnvolle Op-tion zur Vermeidung des enteralen Ap-plikationsweges sein.

Von den invasiven Techniken ist diesubkutane Gabe die technisch einfachsteund sicherste Methode. Die Liegedauerder verwendeten Kanülen variiert zwi-schen 1 und 7 Tagen und ist zudem starkabhängig von den verabreichten Medi-kamenten. Ist bei einem Patienten einintravenöser Zugang vorhanden (perku-tan ausgeleitet als Broviac- bzw. Hick-man-Katheter oder vollständig implan-tiert als Portsystem), kann dieser auchzur kontinuierlichen Analgetikaapplika-tion genutzt werden.

Als weitere invasive Alternativesteht die rückenmarknahe Medikamen-

Tabelle 6Medikamente der Stufe 3 „Starke Opioide“ des WHO-3-Stufen-Schemas (Auswahl gebräuchlicher Substanzen)

Substanz Applikation Initialdosis Dosisintervall

Fentanyl-TTS transdermal 25 µg/h (48- bis) 72-stündlichHydromorphon retard oral 3–5 mg 8- bis 12-stündlichLevomethadon oral 2,5–5 mg – initial: nach Bedarf, frühestens

nach 3 Stunden zu wiederholen– steady state: 8- bis 12-stündlich

Morphin oral 5–10 mg 4-stündlichMorphin rektal 5–10 mg 4-stündlichMorphin retard oral 10 mg 8- bis 24-stündlichMorphin s.c-Infusion 20–30 mg 24-stündlichMorphin i.v.-Infusion 20–30 mg 24-stündlichOxycodon retard oral 10 mg 8- bis 12-stündlich

Tabelle 7Auswahl gebräuchlicher Koanalgetika und anderer adjuvanter Medikamente für die Tumorschmerztherapie

Substanz Dosierung Dosierungshinweise

AntidepressivaAmitriptylin (oral) 25–75–(150) mg Einmaldosis zur NachtClomipramin (oral) 10–50 mg Einmaldosis morgensAntikonvulsivaCarbamazepin (oral) 200–1.200 (–1.600) mg TagesdosisClonazepam (oral) 0,3–1,0 mg TagesdosisGabapentin (oral) 1.600–2.400 (–3.600) mg TagesdosisValproinsäure (oral) 1.600–2.400 mg TagesdosisBisphosphonateClodronsäure (oral/i.v.) 1.040–3.200 mg TagesdosisIbandronsäure (i.v.) 2–4 mg (max. 6 mg) 3- bis 6-wöchentlichPamidronsäure (i.v.) 60–90 mg 3-wöchentlichKortikosteroideDexamethason (oral/i.v.) 2–24 mg 1 bis 3 mal täglichLaxantienLactulose (oral) 15–45 ml 1 bis 3 mal täglichMacrogol (oral) 1 Beutel 1–2 bis 2–3 mal täglichNatriumpicosulfat (oral) 10–20 Tropfen 1 bis 2 mal täglich

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tenzufuhr (in Form der epiduralen oderintrathekalen Kathetertechniken) zurVerfügung. Die Indikationsstellung unddie Wahl der zu verabreichenden Sub-stanzen sollten dabei stets durch einenerfahrenen Schmerztherapeuten erfol-gen. Dieser sollte zu Beginn der Behand-lung den Patienten am besten auchselbst überwachen. Die Fortführung derTherapie kann im weiteren Verlaufdurch entsprechend eingewiesenewohnortnahe Ärzte erfolgen.

Koanalgetika und andere adjuvanteMedikamente

Unter dieser Rubrik wird eine sehr hete-rogene Gruppe von Substanzen zusam-mengefasst. An dieser Stelle soll nur aufbestimmte Antidepressiva und Antikon-vulsiva, sowie auf Bisphosphonate, Kor-tikosteroide und Laxantien eingegangenwerden (Tabelle 7). Indikationen für denEinsatz derartiger Medikamente sinddas Vorliegen einer neuropathischenSchmerzkomponente, sowie Knochen-schmerzen und Nervenkompressionenbzw. erhöhter Hirndruck [7]. Es ist aller-dings anzumerken, dass die Mehrzahlder genannten Substanzen für die Indi-kation „Schmerztherapie“ keine Zulas-sung besitzt; eine diesbezügliche An-wendung erfolgt also unter besondererVerantwortung des verordnenden Arz-tes.

Neuroablative bzw.neurodestruierende Verfahren

Die unter dieser Überschrift zu subsu-mierenden Verfahren (vgl. [11]) warenvor der Ära der retardierten Opioide dieBehandlungsmaßnahmen der Wahl. Da-bei ist nur für einzelne neuroablativeVerfahren, wie z. B. für die Neurolyse desGgl. coeliacum, der Stellenwert durch

kontrollierte randomisierte Untersu-chungen belegt [18]. Die Indikationsstel-lung für solche destruktiven Verfahrenist an eng definierte Voraussetzungengebunden (Tabelle 8). Zwar bleibt dieDurchführung neuroablativer Verfahrenbesonders spezialisierten Einrichtungenvorbehalten. Die prinzipiellen Möglich-keiten derartiger Eingriffe [vgl. 11] soll-ten jedoch jedem Arzt, der Tumorpati-enten behandelt, bekannt sein, damit ersie im Erfordernisfall in sein therapeuti-sches Kalkül miteinbeziehen kann.

Zusammenfassung

Auch in Deutschland steigt wie in allenIndustrienationen die Zahl der Krebs-erkrankungen kontinuierlich an. DurchFortschritte bei der Behandlung nimmtdie Überlebenszeit der Betroffenen zu.Da aber aktuell trotz aller Weiterent-wicklungen in der Therapie die Mehr-zahl der Tumorerkrankungen nicht ge-heilt werden können und gerade in fort-geschrittenen Tumorstadien Schmerzenein häufig auftretendes Symptom dar-stellen, sollte eine effektive algesiologi-sche Behandlung höchste Priorität inder palliativen Betreuung von Tumorpa-tienten haben.

In der Schmerztherapie steht heut-zutage eine Vielzahl an Methoden undMedikamenten zur Verfügung, die beiadäquater Anwendung eine befriedigen-de Schmerzlinderung ermöglichen.Zahlreiche Fach- und Expertengremienhaben Empfehlungen für diese Indikati-on ausgesprochen (z. B. Arzneimittel-kommission der Deutschen Ärzteschaft,Weltgesundheitsorganisation u. a.). Al-lerdings setzt eine zufriedenstellende Be-schwerdelinderung für die überwiegen-de Mehrheit der ambulant oder stationärbetreuten Patienten eine konsequenteUmsetzung dieser Empfehlungen voraus.

Fazit für die Praxis

In der Schmerztherapie ist in den zurück-liegenden Jahrzehnten eine Vielzahl neuerMethoden und Medikamente eingeführtworden. Bei konsequenter Anwendung dervorliegenden standardisierten Therapie-empfehlungen sollte damit für die meistenTumorpatienten eine befriedigendeSchmerzlinderung zu gewährleisten sein.Falls jedoch trotz adäquater Umsetzungder dargestellten Behandlungsmaßnah-men unzureichend kontrollierbareSchmerzzustände oder therapierefraktäreNebenwirkungen auftreten, sollte der be-handelnde Arzt sich den Rat einesschmerztherapeutisch versierten Kollegeneinholen oder den Patienten in einerSchmerzambulanz vorstellen.

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Tabelle 8Voraussetzungen für die Indikationsstellung eines neuroablativenbzw. neurodestruierenden Verfahrens

Indikationskriterien

● Fortgeschrittenes Tumorleiden● Lokal umschriebener Schmerz● Nicht ausreichend wirksame Pharmakotherapie● Maximale Lebenserwartung von ca. 6–12 Monaten● Keine erfolgversprechenden nichtdestruierenden Alternativen

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DPC AKADEMIE – Forschungspreis 2001

Die DPC AKADEMIE schreibt den DPC AKADEMIE-Forschungspreis 2001 aus für hervorragende Ar-beiten zum Thema Fortschritte in der Sepsisdia-gnostik. Der Preis ist mit DM 20.000 dotiert undwird an junge Wissenschaftler verliehen, die zumZeitpunkt der Bewerbung das 35. Lebensjahrnoch nicht überschritten haben. Für die Bewer-bungen um den DPC AKADEMIE-Forschungspreis2001 können Arbeiten zum Thema, die 2001 pu-bliziert oder zur Publikation angenommen seinmüssen, bis spätestens 31.12.2001 jeweils auf ei-nem Datenträger (Diskette/CD-ROM) und in ei-nem kopierfähigen Exemplar in Schriftform ein-gereicht werden an:Dr.Werner Kühnel, Präsident der DPC AKADEMIE,Hohe Straße 6, 61231 Bad Nauheim

Die Verleihungsordnung des DPC AKADEMIE-For-schungspreises können Sie über die DPCAKADEMIE anfordern, oder informieren Sie sichunter http://www.dpc-akademie.de.

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