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1 I 2009 Editorial 25 Jahre DGS – Schmerztherapie für alle? _____________2 Spezialisierte ambulante Palliativ- versorgung (SAPV) Kollektives Scheitern vor dem Lebensende _________________________4 SAPV : aktueller Stand _______________6 Palliativmedizin Musiktherapie im Alltag einer Palliativstation _______________________7 Medizin und Recht Zum Verbot gewerblicher Tätigkeiten für Ärzte _____________________________9 Der Deutsche Schmerztag 2009 CME-Modul: Das Fibromyalgie-Syndrom ____________11 Dermatologie: Schmerztherapie beim Herpes zoster ___16 DGS-Veranstaltungen/Interna ________19 Bio-psycho-soziales Modell Soziale Interaktionen bestimmen den Verlauf chronischer Schmerzen mit _____20 DRG und KHRG Neue Bedingungen im Krankenhaus – einfacher wird es nicht ! _______________21 Schmerz im Krankenhaus Die Schmerzkonferenz ________________23 Nachrichten aus der Berufspolitik Luftnummer, Durchbruch oder doch Einbruch für Schmerztherapeuten? _____24 Apotheker als Partner _________________25 Kasuistik Komplexe Schmerzen nach Wirbelsäulen- operationen __________________________ 27 ISSN 1613-9968 Schmerztherapie vor neuen Herausforderungen 25. Jahrgang 2009 Ehemals StK www.dgschmerztherapie.de 25 JAHRE SCHMERZTHERAPIE / StK SCHMERZTHERAPIE 25 Jahre DGS

Schmerztherapie vor neuen Herausforderungen · Schmerztherapie beim Herpes zoster ___16 DGS-Veranstaltungen/Interna _____19 Bio-psycho-soziales Modell Soziale Interaktionen bestimmen

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1 I 2009

Editorial25 Jahre DGS – Schmerztherapie für alle? _____________2

Spezialisierte ambulante Palliativ- versorgung (SAPV)Kollektives Scheitern vor dem Lebensende _________________________4SAPV : aktueller Stand _______________6

Palliativmedizin Musiktherapie im Alltag einer Palliativstation _______________________7

Medizin und RechtZum Verbot gewerblicher Tätigkeiten für Ärzte _____________________________9

Der Deutsche Schmerztag 2009 CME-Modul: Das Fibromyalgie-Syndrom ____________11

Dermatologie: Schmerztherapie beim Herpes zoster ___16

DGS-Veranstaltungen/Interna ________19

Bio-psycho-soziales ModellSoziale Interaktionen bestimmen den Verlauf chronischer Schmerzen mit _____20

DRG und KHRGNeue Bedingungen im Krankenhaus – einfacher wird es nicht ! _______________21

Schmerz im KrankenhausDie Schmerzkonferenz ________________23

Nachrichten aus der BerufspolitikLuftnummer, Durchbruch oder doch Einbruch für Schmerztherapeuten? _____24

Apotheker als Partner _________________25

Kasuistik Komplexe Schmerzen nach Wirbelsäulen- operationen __________________________ 27

ISSN 1613-9968

Schmerztherapie vor neuen Herausforderungen

25. Jahrgang 2009 Ehemals StK

www.dgschmerztherapie.de

25 Jahre

SCHMERZTHERAPIE / StK

SCHMERZTHERAPIE

25 Jahre DGS

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� SCHMERZTHERAPIE 1/2009 (25. Jg.)

Editorial

Gerhard H. H. Müller-Schwefe, Göppingen

25 Jahre DGS − Schmerztherapie für alle?�5 Jahre Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie haben die medizinische Landschaft in Deutschland verändert. Mussten die Gründer unserer Gesellschaft sich noch dafür einsetzen, dass chronische Schmerzen überhaupt als diagnosti-sches und therapeutisches Problem wahrgenommen werden, hat eine systema-tische Grundlagenforschung inzwischen nicht nur unser Verständnis des chro-nischen Schmerzes verändert, sondern auch Therapieoptionen eröffnet, die für viele Patienten mit chronischen Schmerzen wieder Lebensqualität und Zukunft bedeuten.

Die DGS vermittelt neues Wissen

In ihren großen Kongressen, dem gerade anstehenden 20. Deutschen Schmerz- und Palliativtag (Programmübersicht sie-he S. 16/17) wie auch in ihrem Innovationskongress im Novem-ber vermittelt die Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie dieses neue Wissen ebenso wie in den regelmäßigen Fortbil-dungsveranstaltungen, die in ihren 120 regionalen Schmerz-zentren von engagierten Algesiologinnen und Algesiologen veranstaltet werden. Durch ihre Aktivitäten hat diese Gesell-schaft und damit Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, mehr zur öffentlichen Wahrnehmung und zum Verständnis der Schmerz-therapie beigetragen als alle Gesundheitspolitiker, Ärztefunkti-onäre und Kassenärztlichen Vereinigungen zusammen.

Schmerztherapie für alle? Ist damit Schmerztherapie tatsächlich für alle Menschen in diesem Land verfügbar geworden? Und gibt es überhaupt ein Recht auf Schmerztherapie? Klaus Kutzer, vorsitzender Rich-ter am Bundesgerichtshof a. D., hat zu dieser Frage eindeutig Stellung genommen:

Hier wird ein eindeutiger Rechtsanspruch auf Schmerzthera-pie gegenüber jedem Arzt formuliert.

Schmerztherapie im Sicherstellungsauftrag? 1955 hatten die Kassenärztlichen Vereinigungen den Sicher-stellungsauftrag, das heißt die gesamte ambulante ärztliche

Versorgung von Kassenpatienten übernommen und im Gegenzug auf ihr Streikrecht verzichtet und bei Konflikten zwischen Krankenkassen und Vertragsärzten einem gesetzlich gere-gelten Schiedsverfahren zugestimmt, das heute vom erweiterten Bewertungs-ausschuss repräsentiert wird.

Obwohl in diesem System „Qualität und Wirksamkeit der Leistung ... dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksich-ten haben“ (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V) war Schmerztherapie im Leistungskatalog für gesetzlich Versicherte über Jahre nicht zu finden.

Diesen skandalösen Zustand zu ändern war eine der Antriebsfedern der Gründer unserer Ge-sellschaft, insbesondere von Thomas Flöter und Dietrich Jungck, die beide für ihr Lebenswerk mit dem Deutschen Schmerzpreis ausgezeichnet wurden (siehe Fotos). Und auch ich selbst habe in über 60 Pro-zessen vor Sozialgerichten bis hin zum Bundessozialgericht Klarheit darüber erstritten, auf welche Form von Therapie chronische Schmerzpatienten Anspruch haben.

DGS etabliert schmerztherapeutische Versorgung Trotzdem war es auch 1991 und 1994 nur im Rahmen von Sonderver trägen möglich (Schmerz-therapievereinba-rung mit zunächst den Ersatzkassen, später auch der P r imär kassen) , Schmerztherapie wenigstens für ei-nige Gruppen von gesetzlich Versi-

“... denn der Patient hat einen Rechtsanspruch darauf, dass der Arzt alle heute möglichen Verfahren der Linderung schwerster und chronischer Schmerzen zum Vorteil des Kranken ausschöpft. Schon nach geltendem innerdeutschem Recht kann die Haftung wegen Körperverletzung durch mangelhafte Schmerzbehand-lung umschlagen in eine solche wegen eines Tötungsdelikts, wenn der nicht fachgerecht behandelte Schmerzpatient wegen unerträglicher Dauerschmerzen ... Suizid begeht.“

Grundgesetz Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 formuliert darüber hinausgehend einen Rechts-anspruch auf Schmerztherapie an die Gesellschaft: „Jeder hat das Recht auf Le-ben und körperliche Unversehrtheit.“

Dietrich Jungck, Hamburg

Thomas Flöter, Frankfurt/Main

25 Jahre

SCHMERZTHERAPIE / StK

DGS-Deutschlandkarte 2009: 120 regionale Schmerzzentren

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3SCHMERZTHERAPIE 1/2009 (25. Jg.)

Editorial

cherten verfügbar zu machen. Eine flächendeckende Versorgung von Schmerzpatienten entsprechend dem aktuellen Kenntnis-stand der Schmerztherapie war von allen Kassenärztlichen Ver-einigungen und auch der Kassenärztlichen Bundesvereinigung über Jahre hinweg nicht umgesetzt worden.

Eine grundlegende Änderung erfuhr dies erst mit Einfüh-rung der schmerztherapeutischen Grundpauschale Gebüh-renordnungsnummer 30.700 im EBM 2008, mit der erstmals Schmerzpatienten über eine Grundpauschale der sie versor-genden Fachgruppe der Schmerztherapeuten als Fachgebiet zugeordnet wurden. Dies war ein Paradigmenwechsel in der Gebührensystematik und damit auch in der Wahrnehmung die-ser Patienten, der wesentlich auf das jahrelange Engagement

von Dietrich Jungck und aufseiten der Kassenärzt-lichen Bundesvereinigung von Dr. Andreas Köh-

ler zurückging. Bereits 2004 hatte die Deutsche Ge-

sellschaft für Schmerztherapie mit dem bundesweiten allerersten Integrations-vertrag überhaupt, dem Vertrag über Interdisziplinäre Schmerzkonferenzen, ein wichtiges Element schmerz-therapeutischer Versorgung mit Krankenkassen vereinbart, weitere innovative Versorgungsverträge stellen die integrierte Versorgung von Palliativpatienten dar, die fe-derführend Thomas Nolte (siehe

auch S. 4 und 6) vereinbart hat.All diese Erfolge waren nur durch die

in unserer Gesellschaft entstandenen Instru-mente zur Qualitätssicherung wie Deut-

scher Schmerzfragebogen und Deutsches Schmerztagebuch, die inzwischen mit der DGSS konsentiert wurden, wie auch

durch striktes Qualitätsmanagement und jährliche Rezertifizierung möglich.

Honorarreform 2009 gefährdet schmerztherapeutische Versorgung

Schien mit all diesen Maßnahmen die Schmerztherapie nun endlich qualitätsgesichert in der Regelversorgung der GKV etabliert, wird sie mit der Honorarreform 2009 unter Einfüh-rung fachgebietsbezogener Regelleistungsvolumina erneut vollständig infrage gestellt (siehe Editorial SCHMERZTHERA-PIE 4/2008).

Mit Vergütungsgrenzen, die nur noch die Behandlung von „halben“ Patienten zulassen (der maximale Fallwert wird bereits beim Erstkontakt um mehr als das Doppelte überschritten), droht Schmerztherapie aus der Versorgung zu verschwinden. Ein Fachgebiet wie die Schmerztherapie, in dem ein Arzt auch bei maximalem Engagement nur ver-gleichsweise geringe Fallzahlen pro Quartal behandeln kann, gehört in der Systematik der Honorare von 2009 zwangsläufig zu den Verlierern.

Kassenärztliche Vereinigungen verlieren Sicherstellungsauftrag Mit der Einführung der integrierten Versorgung und der Haus-arztverträge 2009 sowie dem aktuellen Beschluss des erwei-

terten Bewertungsausschusses vom 22. Januar 2009, nach dem das Honorarvolumen der Kassenärztlichen Vereini-gungen um das Volumen der Selektivverträge gemindert wird, liegt der Sicherstellungsauftrag nicht mehr bei den Kassen-ärztlichen Vereinigungen. Damit droht die gerade erst flächen-deckend gesicherte Schmerztherapie erneut auf der Strecke zu bleiben.

Neue Herausforderungen und Aufgaben der DGS Die meisten Schätzungen gehen davon aus, dass in den nächsten Jahren 45% der Gesamtvergütung in Selektivver-trägen zwischen Kassen und Arztnetzen oder Arztgruppie-rungen verteilt werden. Damit ist klar, dass in dem neuen System der Honorarverteilung die Schmerztherapie mit ihren geringen Fallzahlen und hohen Qualitätsstandards auch in Zukunft zu den Verlierern zählen oder vollständig aus der Ver-sorgungslandschaft der gesetzlichen Krankenkassen ver-schwinden wird.

Bereits 2007 hat deshalb der Vorstand dieser Gesellschaft Integrationsmodelle zur qualitätsgesicherten Schmerzthera-pie mit einzelnen Kassen erprobt und durchgeführt. Ich per-sönlich bin überzeugt, dass die in der Satzung unserer Gesell-schaft definierte zentrale Aufgabe der DGS, „die Versorgung chronisch schmerzkranker Patienten zu verbessern“, sich nur umsetzen lässt, wenn qualitätsgesicherte Schmerztherapie in direkten Verträgen mit Krankenkassen zu wirtschaftlich kalku-lierbaren Honoraren führt und damit den Ärzten, die sich um die schwierigsten aller Patienten kümmern, ein gesichertes Auskommen erlaubt.

Schmerztherapie in Zukunft sichernNach 25 Jahren Aufbauarbeit, Förderung öffentlicher Wahr-nehmung und Sicherung von Schmerztherapie und Qualitäts-standards geht es jetzt darum, Schmerztherapie für die Zu-kunft zu erhalten, zu sichern und zu gestalten.

Dies, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden wir nur ge-meinsam erreichen, wenn wir uns nicht nur auf dem bisher Erreichten ausruhen, sondern neben den Risiken auch die Chancen zukünftiger Versorgungsformen erfassen und ge-meinsam gestalten.

Ich selbst werde mich gemeinsam mit dem gesamten Vorstand unserer Gesellschaft und Ihnen allen hierfür ein-setzen. Viele Fragen neuer Versorgungsformen wie auch von Vergütungsregelungen und künftigen Verträgen werden ne-ben wissenschaftlichen Themen im Rahmen des Deutschen Schmerz- und Palliativtages 2009 in Frankfurt am Main vom 26. bis zum 28. März 2009 ausführlich dargestellt und disku-tiert werden. Hierzu möchte ich Sie ganz herzlich einladen.

Ich freue mich darauf, Sie in Frankfurt/Main zu sehen, und grüße Sie für heute herzlich

Ihr

Dr. med. Gerhard H. H. Müller-Schwefe Präsident Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie e. V.

Thomas Nolte, Wiesbaden

Andreas Köhler, Berlin

Deutscher Schmerz- und Palliativtag 2009 in Frankfurt a. Main

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� SCHMERZTHERAPIE 1/2009 (25. Jg.)

Kollektives Scheitern vor dem LebensendeDie Medienwelt ist erfüllt mit Diskussionen um Sterbebegleitung, aktive Ster-behilfe und die Verbindlichkeit von Patientenverfügungen und Betreuungsvoll-machten. Die gesamte Diskussion greift allerdings zu kurz, solange sie nicht die seit Jahrzehnten in Deutschland gewachsenen Strukturen und die daraus entstan-denen Zusammenhänge näher beleuchtet. Nur so kann der Zuspruch zur aktiven Sterbehilfe hinterfragt und möglicherweise als Ausdruck des hilflosen Ausgelie-fertseins der Betroffenen relativiert werden, erläutert Dr. med. Thomas Nolte, Vizepräsident DGS, Wiesbaden.

N icht zuletzt das stetige Anwachsen der bürgerschaftlichen Hospizbewegung seit

über 20 Jahren unterstreicht das wachsende Unbehagen, ja Misstrauen in die Medizin, die im Spannungsfeld eines unkontrollierten Aus-einanderdriftens von als nahezu unendlich ein- geschätzten therapeutischen Möglichkeiten und deren sinnvoller Begrenzung mit allen Möglichkeiten der Maximalmedizin die Orien-tierung verloren hat.

Was machen die Rechtsprechung und die Politik?Aber auch die bis heute von Juristen und Bun-destagsabgeordneten geschürte Debatte über das Anrecht auf einen menschenwürdigen Tod hat eher zur weiteren Verunsicherung und auch in der Medizin zu einer angstbesetzten Fortset-zung des „Weiter so“ mit Lebensverlängerung um jeden Preis geführt, als den bestehenden Rechtsrahmen auszunutzen, der eigentlich in seiner Eindeutigkeit keiner weiteren Erläute-rung bedarf.

Wie konnte es so weit kommen?

Die Medizin hat in den letzten 30 Jahren das Thema Sterben und Tod als fehlverstandenen Ausdruck ihres eigenen Scheiterns angesehen und die über Generationen gewachsene Erfah-rung der Ärzteschaft zu diesem Thema verlo-ren. (Zitat: „In unserer Klinik wird nicht gestor-ben.“) Der Tod wird bis heute interpretiert als das Scheitern einer sich als omnipotent verste-henden Medizin, der Sterbeprozess als solcher wird verdrängt. Kurative Aspekte in der Be-handlung von Patienten am Lebensende wer-den unreflektiert fortgesetzt bis zu einem Au-genblick, wo der Tod als vermeintlich unerwar-tetes Ereignis vor der Tür steht.

Mangelnde Kompetenz und HonorierungAuch in der hausärztlichen Versorgung ist ein über Jahrzehnte gewachsener Kompetenz- und Erfahrungsverlust zu beklagen. Das Sterben findet unter dem Signum der Heilung nach wie vor überwiegend im Krankenhaus statt. Auch die Hausärzteschaft hat so die Sterbebeglei-

tung aus den Händen gegeben.

Außerdem herrscht hier große Unsicherheit. Unter der therapeu-tischen Vorherrschaft der Krankenhäuser traut sich der Hausarzt nur selten, korrigierend und im Sinne einer palliativen Umsteuerung zum Wohle seines Patienten einzugreifen. Das überrascht auch insofern nicht, als Palliativmedizin Haus-ärzten nicht gelehrt wird. Dazu passt, dass palliativmedizinische Versorgungsinhalte in den Gebührenkatalogen der niedergelassenen Ärzte konsequenterweise völlig unberücksich-tigt bleiben. Dies bedeutet, dass der besondere zeitliche Aufwand, die fachliche Qualifikation und der hohe Beratungs- und Betreuungsbe-darf bei den Themen „Patientenverfügungen, Betreuungsvollmachten, intensive Versorgung in von schwerer Krankheit belasteten Lebens-situationen“ nicht bezahlt werden. Vielmehr wird von der Ärzteschaft erwartet, dies ohne jedes Honorar zu leisten.

Auf die Diagnose folgen gute Absichten!Die Reaktion der Bundesärztekammer ist – auch auf öffentlichen Druck hin – nicht ausge-blieben! Seit ca. fünf Jahren bemüht sich diese, Empfehlungen zur Sterbebegleitung in der Ärz-teschaft zu verankern, die ihr im Umgang mit Fragestellungen am Lebensende Orientierung, Haltung und Sicherheit vermitteln sollen. Gut ist, dass die Bundesärztekammer die Haltung vertritt, dass die aktuellen gesetzlichen Rege-lungen nach ärztlichem und juristischem Kodex ausreichend sind, um schon heute Verbesse-rungen in der Sterbebegleitung realisieren zu können.

Allerdings leidet die Standesvertretung un-ter einem Glaubwürdigkeitsproblem, da sich seit der Eröffnung der Diskussion auch in der Ärzteschaft weder die Strukturen noch die Hal-tung grundlegend verändert haben.

Erschwerend kommt hinzu, dass zwar die Bedeutung der Palliativmedizin insgesamt aufgewertet wurde, diese aber als Quer-schnittsfach darunter leidet, dass deren In-halte nach der Überzeugung einer großen Zahl von Ärzten ja ohnehin schon seit Jahren beherrscht und praktiziert werden. („Das ma-chen wir doch sowieso schon seit Jahren.“)

Dabei wird vergessen, dass es sich neben den besonderen fachlichen Anforderungen

Thomas Nolte, Wiesbaden

Die Betroffenen müssen sich das gesetzlich verbriefte Recht auf SAPV gegenüber den Kran-kenkassen oft vor Gericht erstreiten.

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Spezialisierte ambulante Palliativversorgung

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5SCHMERZTHERAPIE 1/2009 (25. Jg.)

bei der Palliativmedizin insbesondere um eine besondere Kompetenz in Fragen der Kommunikation und Kooperation handelt, die in der Ärzteschaft wenig Verbreitung ge-funden hat. Dazu gehört auch eine ethische Grundhaltung, die sich von der weitverbrei-teten paternalistischen Einstellung des Arztes grundlegend verabschiedet.

Was meinen die potenziell Betroffenen?Natürlich wird die öffentliche Meinung von den riesigen Fortschritten der Medizin, wie sie auch in den Medien dargestellt werden, geprägt. Diese nährt auch bei vielen Betroffenen den unerschütterlichen Glauben an die grenzen-losen Fortschritte der Medizin. In wechselsei-tiger Versicherung des guten Ausgangs des medizinischen Problems zwischen Patient und Arzt wird das notwendige Umsteuern der The-rapie am sich abzeichnenden Lebensende versäumt.

Die brüske Konfrontation mit einem dann plötzlich neu bewerteten hoffnungslosen Krankheitsstadium führt bei den Betroffenen zu unermesslicher Wut und Trauer, die sich in dem Wunsch nach aktiver Sterbehilfe Luft ver-schafften. „Wenn das jetzt alles umsonst war, dann will ich auch nicht mehr weiterleben.“

Natürlich spielen hierbei auch die sich dramatisch verändernden sozialen Rahmen-bedingungen mit zunehmender Vereinzelung alter Menschen und fehlendem familiärem Zu-sammenhalt eine Rolle. Dies führt paradoxer-weise zu einer Überschätzung medizinischer Möglichkeiten, da das Unvorstellbare (allein – hilflos – schwerkrank) noch intensiver ver-drängt wird.

Hilfe naht am Horizont – oder wieder nur eine Fata Morgana?Diese Perpetuierung des Status quo in der Me-dizin hat nun auch letzten Endes die Gesund-heitspolitik auf den Plan gerufen, um über ge-setzliche Regelungen Reformen für die Versor-gung von Schwerstkranken durchzusetzen. Hier sind insbesondere der § 32 b und § 132 d SGB V zu nennen, die seit dem 01.04.2007 (!) den Krankenkassen und der Ärzteschaft vor-schreiben, dass jeder gesetzlich Versicherte von diesem Zeitpunkt an einen gesetzlich ver-ankerten Anspruch auf eine spezialisierte am-bulante Palliativversorgung (SAPV) hat, wenn eine besonders schwere Erkrankung und das nahende Lebensende als Voraussetzungen gegeben sind.

Diese mit zwei Gesetzen untermauerte In-tervention spiegelt das Misstrauen der Politik in die Reformbereitschaft der Krankenkassen und Ärzteschaft wider, nämlich fähig zu sein,

sich den veränderten medizinischen Heraus-forderungen wie dem demografischen Wandel und der zunehmenden Zahl chronisch Kranker wirkungsvoll zu stellen. Da sich hier weder in den internen Prozessen der Ärzteschaft noch in den Verhandlungen mit den Krankenkassen in den letzten Jahren eine wirkungsvolle Ent-wicklung abgezeichnet hat, war diese Interven-tion überfällig.

Sie war auch insofern überfällig, als die Dis-kussion um die politische Regelung von Pati-entenverfügungen und Betreuungsvollmachten seit Jahren in einer Sackgasse steckt. Man bemüht sich zwar mit immer neuen guten Vor-schlägen, hier Rechtssicherheit zu schaffen, scheitert aber letzten Endes an den besonders komplexen und diffizilen Fragestellungen zwi-schen Autonomie und Lebenserhalt. Bei aller in den letzten Jahren geäußerten Kritik an dem rasanten Reformtempo der Bundesministerin für Gesundheit muss dieser hier Anerkennung und Respekt gezollt werden, da mit der An-ordnung einer verbesserten Palliativversor-gung zum ersten Mal eine Kompetenzebene zwischen der verunsicherten Bevölkerung und der übertechnisierten Medizin eingeführt wird.

Widerstand der Krankenkassen – wer kann das verstehen?Doch niemand hat mit dem anhaltenden und hartnäckigen Widerstand der Krankenkassen gerechnet! Obwohl alle gesetzlich Versicherten seit über 20 Monaten einen gesetzlich veran-kerten Anspruch auf eine qualifizierte Versor-gung am Lebensende haben, gibt es bis heute bundesweit nur vereinzelt kleine Krankenkas-sen, die auch bereit sind, diesen Anspruch zu bezahlen (siehe auch Seite 6 „SAPV – aktu-eller Stand ...“).

Seit dieser Zeit wird zwischen den Spit-zenverbänden der Krankenkassen, den Or-ganen der Selbstverwaltung in Ärzteschaft und Pflege hartnäckig und anhaltend über die Ausführungsbestimmungen und damit indirekt über das Geld diskutiert. Die Krankenkassen

haben bis heute gebraucht (20 Monate nach Veröffentlichung des Rechtsanspruchs), um einen Antrag auf Verordnung für diese be-sondere Versorgungsform zu erstellen. Inzwi-schen wird durch diese anhaltende Untätigkeit in einzelnen Regionen – ausgelöst durch die Versicherten, ihren nahen Tod vor Augen – vor den Sozialgerichten darum gestritten, diesen Anspruch gegenüber den Krankenkassen auch durchzusetzen.

Hier schließt sich der Kreis aus Nicht- beachtung, Hilflosigkeit, Überforderung und Verweigerung aller Beteiligten, wenn sogar gesetzliche Vorgaben für die Versorgung von Schwerstkranken am Lebensende in den Müh-len des Taktierens untergehen!

AusblickGerade der Aufbau einer neuen hospizlichen, palliativpflegerischen und palliativmedizi-nischen Versorgungskultur wäre ein wichtiger Beitrag zur Wiederherstellung der Glaubwür-digkeit der Medizin. Diese neuen Strukturen könnten auf einer Ebene der individuellen Be-ratung den Patienten und ihren Angehörigen Orientierung im Spannungsfeld zwischen be-rechtigter Hoffnung und der Fortführung sinn-loser Maßnahmen vermitteln.

Die durch die öffentlichen Diskussionen und die zahlreichen parlamentarischen wie auch juristischen Stellungnahmen verunsicherte Ärz-teschaft hätte auf diese Weise die Möglichkeit, gemeinsame Lösungswege im interdisziplinären Diskurs zu erarbeiten. Dazu müsste allerdings die sektoralisierte Versorgungslandschaft durchlässig werden und den fachübergreifenden Austausch mehr noch als bisher fördern. Das heißt, Ärzteschaft und Krankenkassen müssten sich aus ihren jetzigen Schützengräben heraus-bewegen und die Öffentlichkeit über realistische Lösungsansätze – strukturell wie auch indivi- duell – aufklären.

Den Ärzten würde es ein Mehr an Transpa-renz und Offenheit und ein Abrücken von ihrer paternalistischen Grundhaltung abverlangen. Die Krankenkassen müssten endlich bereit sein, sinnvolle neue Strukturen zu finanzieren und die gesundheitsökonomischen Chancen zu erkennen, die sich durch ein patientenori-entiertes sinnvolles Abwägen von Therapie-entscheidungen am Lebensende ergeben.

Das Sterben hätte eine Chance, wieder als Teil unseres Lebens rehabilitiert zu werden und als „gelebte“ Erfahrung aus dem Kreis des (familiären) Umfeldes auch von seinem Schrecken zu verlieren. Der Ausstieg durch die Hintertür mit der Aufschrift „aktive Sterbehilfe“ würde deutlich an Attraktivität verlieren! ■

Thomas Nolte, Wiesbaden

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Spezialisierte ambulante Palliativversorgung

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6 SCHMERZTHERAPIE 1/2009 (25. Jg.)

SAPV – aktueller Stand der Verhandlungen

A llerdings gibt es in einigen Regionen hoff-nungsvolle Ansätze, die den Anspruch der

Versicherten auf spezialisierte ambulante Pal-liativversorgung (SAPV) regeln. So hat sich in Hessen die Landesarbeitsgemeinschaft LAPH zusammengefunden, um den bestehenden IV-Vertrag der großen Versorgerkassen inhaltlich und auch ökonomisch den besonderen Anforde-rungen an die SAPV anzupassen. Hier hat sich eine von allen Leistungsanbietern mandatierte Verhandlungsgruppe gebildet, die mit den Kran-kenkassen (außer der Techniker Krankenkasse, hier besteht bereits ein IV-SAPV-Vertrag) eine landesweit einheitliche Lösung herbeiführen soll. Allerdings wird auch hier mit Hinhaltetaktik und Infragestellung des Verhandlungsmandats weiter auf Zeit gespielt. Außerdem wurde be-dauerlicherweise der mit dem BKK-Landesver-band abgeschlossene IV-Palliativ-Vertrag (ana-log zum TK-Vertrag) mit den Palliativzentren in Fulda und Wiesbaden gekündigt.

Tagesbasiertes globales Budget

Dies ist umso verwunderlicher, als zur gleichen Zeit die BKK-Nord für den Versorgungsbereich Hamburg den selben Vertrag als Blaupause über-nommen hat, so wie er im Jahr 2006 in Fulda und Wiesbaden abgeschlossen und umgesetzt wur-de. Die damit gemachten positiven Erfahrungen (siehe Vorbericht, SCHMERZTHERAPIE 4/2008, S. 10) konnten hier nach dem „Nolte-Modell“ ein-fließen. Somit gibt es jetzt bereits in zwei Re- gionen (Hamburg mit der BKK-Nord und Hessen mit der TKK) einen IV-SAPV-Vertrag mit tages-basierter globaler Budgetverantwortung.

Auch in den Verhandlungen in Hessen zeichnet sich ab, dass der besondere Aufwand in der SAPV am ehesten über Tagespauscha-len abgebildet werden kann. So stehen hier konsentiert von allen Leistungserbringern gestaffelte Tagespauschalen zur Diskussion;

diese umfasst Beträge von 250 € für die komplette Budgetverantwortung pro Tag des Einschlusses des Patienten über 200 € als Add-on zur Regelversorgung bis hin zu 90 € für Ruf- und Einsatzbereitschaft bei Patienten, die im stationären Hospiz nach SAPV-Kriterien versorgt werden. Dabei sind die besonders in Hessen weitreichenden Erfahrungen in der IV-Versorgung an den Standorten Hanau, Fulda, Gießen, Marburg und Wiesbaden in die Be-rechnungen eingeflossen.

Vertragsabschlüsse, die sich unterhalb die-ser Vorgaben bewegen, werden sich in Zukunft angesichts der hohen Vorhaltekosten für die Ruf- und Einsatzbereitschaft, des hohen zeitlichen persönlichen Einsatzes und des umfangreichen Koordinierungsaufwands finanziell nicht tragen oder aber inhaltlich die ihnen gestellte Aufgabe nicht lösen können.

Leider ist damit zu rechnen, dass der An-spruch auf SAPV in vielen Regionen nach wie vor über Einzelanträge und auch individuelle Eilanträge bei den Sozialgerichten eingeklagt werden muss. Dies ist umso bedauerlicher, als seit mehr als zehn Jahren um die Etablierung ambulanter Versorgungsstrukturen und eine ad-äquate Honorierung gerungen wird und seit fast zwei Jahren sogar ein gesetzlicher Anspruch auf qualifizierte Palliativversorgung besteht. ■

Thomas Nolte, Wiesbaden

Durch den zunehmenden Druck der Gesundheitspolitik, der Leistungserbringer und der Patienten, die dieses neue Versorgungsangebot für sich beanspruchen, ist in den letzten Wochen mehr Dynamik in die Verhandlungen zwischen den Leistungs-erbringern und den Krankenkassen gekommen. Letztere versuchen allerdings in den meisten Fällen, den gesetzlich verbrieften Anspruch auf spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) durch Hinhaltetaktik zu unterlaufen. Über den aktuellen Stand informiert Dr. med. Thomas Nolte, DGS-Vizepräsident, Wiesbaden.

Niedrig dosiertes epidurales Clonidin senkt den MorphinbedarfClonidin besitzt als Alpha-2-Adrenorezeptor-agonist analgetische und sedierende Eigen-schaften. In einer placebokontrollierten, rando-misierten Studie an 66 Patienten, die sich einer spinalen Operation unterzogen, zeigten A.D. Farmery et al., dass diese Substanz epidural niedrig dosiert den Morphinbedarf und die postoperative Übelkeit signifikant reduzierte (Anesth Analg 2009;108:631–634).

Topischer Kühlspray erleichtert den venösen ZugangMit einem alkalischen Kühlspray aus Propan, Butan und Pentan, der für zwei Sekunden aus einer Entfernung von 12 cm auf die Haut ge-sprüht wird, lässt sich der Schmerz bei der Anlage eines venösen Zugangs in Notfall-situationen signifikant reduzieren. Dies zeigte

eine doppelblinde placebokontrollierte Studie von R. Hijazi et al. an 201 Erwachsenen (Brit Med J 2009;338:2993).

Kortison bei Rotatorenmanschetten- SyndromDie sonografisch geführte Injektion von Korti-son in den subakromialen Gelenkbeutel ist nicht besser als die systemische Applikation von Kortison in die Glutealregion, ergab eine randomisierte Studie von O.M. Ekeberg et al. (Brit Med J 2009;338:2599).

Mit retardiertem Oxycodon gegen Herpes-zoster-SchmerzRetardiertes Oxycodon ist sicher, wird gut to-leriert und lindert den akuten Schmerz bei ei-ner Zosterinfektion. Gabapentin linderte den akuten Zosterschmerz dagegen nicht besser als Placebo. Zu diesen Resultaten kamen R. H.

Dworkin et al. aufgrund einer randomisierten klinischen Studie an 87 Patienten mit akutem Herpes zoster (Pain, 2009, Epub ahead of print).

Akupunktur nur schwach analgetisch?Akupunktur ist nur ein sehr geringes Analgeti-kum und dieser Effekt tritt auch bei der Place-boakupunktur auf. Zu diesem Ergebnis kom-men M.V. Madsen et al., die 13 randomisierte klinische Studien analysiert haben mit 3025 Patienten (Brit Med J 2009;338:a3115).

Belastungsübungen gegen RückenschmerzenBei rezidivierenden Rückenschmerzen profitie-ren die Patienten von einem abgestuften Belas-tungstraining mehr als von täglichen Spazier-gängen, ergab eine Studie von E. Rasmussen-Barr et al. an 71 Patienten (Spine 2009;34: 221–228).

INFO -Telegramm

Spezialisierte ambulante Palliativversorgung / INFO-Telegramm

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�SCHMERZTHERAPIE 1/2009 (25. Jg.)

Musiktherapie im Alltag einer PalliativstationMusik ist Ausdrucks- und Kommunikationsträger und ein Vermittler von Gefühl und Verbindung. Aufgrund dieser Eigenschaften erleichtert die Musiktherapie das Bewältigen schwerer Leiden und der Finalphase. Wie die Musiktherapie im Alltag einer Palliativstation aussieht, schildert die Musikpädagogin Antje Nell-Schliermann, Remscheid.

D ie Musiktherapie widmet sich schwer-kranken Patienten oft zu einem Zeit-

punkt, da er sich mit widerstreitenden Gefühlen auseinandersetzen muss. Auf der einen Seite finden sich Hoffnungslosigkeit, Hader, Wut, Trauer und Depression, auf der anderen Seite aber auch Dankbarkeit und Freude über Ver-gangenes und gegenwärtig Erlebtes. Ange-sichts des Bewusstseins um die Begrenzung der eigenen Lebenszeit verdichten sich diese Gefühle zu einer besonderen Intensität.

Besonderheiten der MusikMusik ist Ausdruck, sie weckt Emotionen, steht dem Gefühlserleben nahe, ist lebendig. Kom-ponisten aller Musikgenres haben komponiert, um etwas auszudrücken, um ihre Empfindung hörbar zu machen. Eine veränderte Spielweise auf einem Instrument kann zu sehr unter-schiedlichen emotionalen Tönungen führen.

Musik ist Kommunikation, Beziehung. Sie schafft Nähe und das Gefühl von Gemeinsam-keit. Während des Musikmachens findet ein lebendiger Kontakt zwischen den Spielenden statt, ungeachtet dessen, ob sie ein bereits komponiertes Stück interpretieren oder impro-visieren, wie es in der Musiktherapie meist der Fall ist.

Aktive und rezeptive MusiktherapieBei der aktiven Musiktherapie spielt der Patient selbst, macht spontan seine eigene Musik. Auch ich als Therapeutin improvisiere viel, um auf das Spiel der Patienten einzugehen, setze aber auch Material ein, das dem Patienten ver-traut ist, wie z. B. ihm bekannte Lieder.

Von rezeptiver Musiktherapie wird gespro-chen, wenn der Patient Musik hörend in sich aufnimmt – entweder von Tonträgern kommend oder vom Therapeuten selbst gespielt. Nach der Improvisation oder dem Rezipieren von Musik wird in der Regel über das Gespielte bzw. Gehörte gesprochen. Oft erübrigt sich das anschließende Gespräch aber auch, die Musik wirkt aus sich heraus.

Häufig wird Musiktherapie in Gruppen durchgeführt. Das in der Regel fortgeschritte-

ne Stadium der Erkrankung eines Patienten auf der Palliativstation lässt jedoch oft nur noch ein Einzelsetting zu, zumal die meisten Patienten bettlägerig sind.

Es gibt üblicherweise einen Musikthera-pie-Raum mit verschiedenen Instrumenten, die leicht handhabbar und ohne Vorkenntnis-se spielbar sind. Im Palliativbereich werden gewichtsmäßig leichte und im Bett spielbare Instrumente bevorzugt, da der geschwächte Mensch schwere Instrumente kaum mehr hal-ten kann – z.B. die Leier, Klangschalen, das Monochord, leichte Trommeln etc. Die nicht transportfähigen Patienten besuche ich auf ihrem Zimmer.

Während in anderen therapeutischen Zu-sammenhängen oft konfliktzentriert gearbeitet wird, steht im Palliativbereich der erlebnis-orientierte Ansatz im Vordergrund. Es geht primär um die Bewältigung der Gegenwart mit ihren vielen Facetten und die Stärkung für das Kommende, weniger um die Aufarbeitung der Vergangenheit. Die Unterstützung bei der Krankheitsverarbeitung und die Verbesserung der Lebensqualität sind bei der Musiktherapie

vorrangig. In der Regel kommen die Patienten ein- bis zweimal pro Woche zur Musikthe-rapie. Therapieüber-greifende multimodale Teamsitzungen, in de- nen Informationen ausgetauscht und Ziele formuliert wer-den, finden einmal pro Woche statt.

Was bewirkt Musiktherapie?Die meisten unserer Patienten haben einen langen Weg der Krankheit und Behandlung hinter sich, begleitet von Angst, Hoffnung, Schmerz und Ausgeliefertsein. Sie sind körper-lich und seelisch oft so erschöpft, dass sie häufig nur noch den tiefen Wunsch nach Ent-spannung und Zur-Ruhe-Kommen äußern. „Spielen Sie mir einfach etwas Ruhiges“, habe ich häufig gehört. Dahinter steht die Suche nach Harmonie und Einklang, vielleicht auch nach Schönheit oder Genuss, das Bedürfnis, für kur-ze Zeit den brutalen Folgen der Erkrankung entrinnen zu können.

Die musikalische Vorgehensweise, nach den Wünschen des Patienten zu spielen, nennen wir nach Timmermann das „Für-Spielen“, im Gegensatz zum „Vor-Spielen“. Timmermann: „Sowohl das Instrument als auch die Art und Weise des Spieles werden vom Therapeuten durch Einfühlung in die Situation gewählt und entwickelt.“ Übertragen auf die Palliativsitua-tion könnte man diesen Vorgang auch Musik-spielen im Dienste des „Ummanteltwerdens“, des musikalischen Schutzgebens nennen.

Antje Nell-Schlier-mann, Remscheid

Aufnehmen freudiger Klänge und Emotionen im Rahmen der Musiktherapie-Stunde durch die Therapeutin.

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Palliativmedizin

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8 SCHMERZTHERAPIE 1/2009 (25. Jg.)

Um erfahren zu können, welche Musik ei-nen solchen „Mantel“ darstellen könnte, frage ich die Patienten in der ersten Therapiestunde nach ihren musikalischen Vorlieben, sodass sie wählen können: Volkslieder, alte Schlager, Kirchenlieder (vor allem bei alten Menschen) oder auch klassische oder neue Schlager- und Popmusik oder eine nur allgemein angegebene Richtung wie „ruhige oder lustige Musik“.

Vitalität in der MusikAuch im fortgeschrittenen Stadium der Erkran-kung verfügt der Patient über gesund und heil gebliebene Anteile. Diese Anteile gemeinsam zu entdecken, sie zu beleben, das Gefühl, „das kann ich noch, hier spüre ich Lebendigkeit und Selbststeuerung in mir“ zu wecken, das ist eine der wesentlichen Aufgaben und Möglichkeiten in der Musiktherapie. Musik und Gefühl – Mu-sik und Vitalität – gehen beide Hand in Hand.

Ich möchte das anhand eines Beispiels aus meiner Arbeit zeigen: Frau K., eine 68-jährige Schmerzpatientin mit Metastasen in der tiefen inneren Rückenmuskulatur, entwickelte beim Improvisieren mit verschiedenen Instrumenten viele Bilder: „Wir gehen einen Berg hinunter und treffen dabei auf eine Quelle, einen mur-melnden Bergbach (Leier, zart gespielt), von ferne Autogeräusche (Leier, kräftig ange-schlagen), aus der Ferne die Kirchenglocken (chimes). Der Pfarrer ist in der Kirche, hat aber keine Lust mehr auf Kirche.“ Dabei unterbricht sie ihr Spiel und lacht über ihren eigenen Witz. In dieser Beschäftigung mit der Fülle ihrer Fantasie tritt sie aus ihrer Schmerzspirale he-raus und meint anschließend: „Ich habe meine Schmerzen ganz vergessen!“

Trauer in der MusikImmer wieder sind in der Kunst Trauergefühle in Musik umgesetzt worden: Trauermärsche, viele Lieder von Verlust und Melancholie. Schwerstkranke Menschen sind über weite Strecken ihrer Erkrankung immer wieder oder

auch ständig von Gefühlen der Trauer begleitet: Trauer über begrenzte Lebensperspektiven, Trauer um das, was vielleicht nie gelebt werden konnte. Trauerprozesse brauchen viel Zeit und erfordern oft viel Begleitung zur Verarbeitung.

Die Veränderungen im Gesundheitswesen haben heute immer mehr zum Diktat des Ge-hetztseins geführt. Angemessene Zeitrahmen zu Krankheitsverarbeitung und Trauerbeglei-tung scheinen nicht mehr ausreichend vorge-sehen zu sein. Der Patient hat eine begrenzte Zeit vor sich, die er jetzt füllen möchte mit „Qualität“, mit Betrachtungen über sein Leben – Bilanzziehen, Ordnen der Vergangenheit, Anschauen dessen, was noch vor ihm liegt. Kreativtherapeuten haben das Privileg, mehr Zeit und Raum für den Patienten zu haben, um solche Prozesse zu begleiten.

Im Laufe meiner Musiktherapieerfahrung habe ich viele Menschen weinen gesehen. Wei-nen, d. h. das Loslassenkönnen von Unausge-sprochenem, von Bedrückendem, von Beäng-stigendem ist Teil der Krankheitsbewältigung. Weinen können ist Entlastung, ist Reduktion des (seelischen) Schmerzes, ist das Zeigen- dürfen von Schwäche- und Hilflosigkeitsge-fühlen. Frau P., einer 73-jährigen Schmerzpa-tientin, standen nach einer Trommelimprovi-sation die Tränen in den Augen. „Das ist alles Schmerz, der hier drin ist“, sagt sie und zeigt dabei mit ihrer Hand auf ihre Brust: „Der kam nie raus, ich war immer tapfer.“ Sie weint: „Ich bin allein, muss alles schaffen, und Traurigkeit ist auch da. Weinen ist so eine Erleichterung, und wenn alles rauskäme, könnte ich einen ganzen Tag nur weinen.“

Das Erleben von Erinnerungen in der MusikMusikmachen und -hören wirkt assoziativ. Wir verbinden mit Musik Bilder und Erinnerungen, Situationen, in denen wir diese Musik schon einmal gehört haben. Dies ist von besonderer Bedeutung in der Arbeit mit Menschen, die nur noch wenig Zukunft vor sich, aber viel Vergan-genheit hinter sich haben. Ich habe in meiner Arbeit oft die Erfahrung gemacht, dass die Pa-tienten gerne über ihre Erinnerungen spre-chen, auch wenn sie nicht immer nur positiv waren. Je nach Mitteilungsbedürfnis sind diese Verknüpfungen Einstieg für Erzählungen aus der Vergangenheit, die die guten Zeiten hervor-holen mit all ihren kraft- und auch glücksgefühl-spendenden Momenten. Aber auch die nega-tiven Erinnerungen finden einen Platz, wo sie noch einmal betrachtet, bewegt, betrauert und vielleicht abgeschlossen werden können.

Ob und in welcher Intensität Erinnerungen mitgeteilt werden, bestimmt allein der Patient, der Therapeut begleitet und hält ihn dabei.

Kommunikation und Beziehung in der MusikKommunikation im Musikmachen findet immer statt, ohne sie wäre die Arbeit mit Menschen grundsätzlich gar nicht denkbar. Ich möchte ihre Bedeutung aber trotzdem gesondert be-trachten, weil das Erleben von Kontakt und Nähe für einige Patienten tatsächlich vorrangig ist. Für viele gerade ältere Patienten steht die Angst vor dem Verlust menschlicher Bindungen, das Erleben von Einsamkeit und das Gefühl, diese Situation allein bewältigen zu müssen, als massive Sorge ganz im Vordergrund. In der Mu-sik zeigt sich das häufig in einer besonderen Art des Abgeschiedenseins während des Spiels. Man gewinnt den Eindruck, der Patient spiele ganz allein für sich, ohne Bezug zu neh-men auf das musikalische Angebot des Thera-peuten. Hier liegt die schwierige Aufgabe des Musiktherapeuten, den Patienten einzuladen zur Begegnung in der Musik, zum Erleben von Kontakt, Nähe und Interesse.

VerweigererEs gibt auch Patienten, die nicht von einem Musiktherapieangebot profitieren können. Eine Patientin sagte mir klar und deutlich, mit Musik habe sie überhaupt nichts am Hut, für sie wäre Musik nur zum Ausschalten gut. Die meisten Patienten willigen jedoch ein, es ein-mal auszuprobieren, und die meisten möchten auch wiederkommen.

Bedeutung von Musik in der FinalphaseKeiner von uns weiß, was der im Sterben lie-gende Mensch noch erlebt und empfindet. Ich gehe davon aus, dass er weit mehr mitbe-kommt, als seine Reaktionen vermuten lassen. So lasse ich mich in der Sterbebegleitung in meinem Singen oder Spielen entweder leiten von den wenigen Reaktionen oder Lebenszei-chen, die noch wahrnehmbar sind, z. B. von seinem Atemrhythmus, seinen Augenliderbe-wegungen, oder von dem, was in den bishe-rigen Musiktherapiestunden für den Patienten von Bedeutung gewesen ist.

Manchmal muss ich mich auch ganz auf mein eigenes Gefühl verlassen, so wie bei Herrn L., den ich zum ersten Mal sah, als er bereits im Sterben lag. Als ich an sein Bett trat, war Herr L. sehr unruhig. Ich setzte mich zu ihm und begann leise die Leier zu spielen. Nach und nach fügte ich Lieder hinzu. Ich weiß nicht, ob ich die richtigen getroffen habe, je-denfalls entspannte sich Herr L. zusehends. Unter Streicheln seines Armes, Halten seiner Hand und dem Singen kam Herr L. zur Ruhe. ■

Antje Nell-Schliermann, Remscheid Gemeinsames Improvisieren.

Palliativmedizin

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9SCHMERZTHERAPIE 1/2009 (25. Jg.)

Zum Verbot gewerblicher Tätigkeiten für ÄrzteDas OLG Sachsen-Anhalt befasste sich aktuell mit dem berufsrechtlichen Verbot gewerblicher Tätigkeit, insbesondere der Abgabe von Medizinprodukten im Zusam-menhang mit der ärztlichen Berufsausübung, das die Abgabe von Medizinprodukten regelt. Im Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetz-lichen Krankenversicherung hat der Gesetzgeber die Thematik ebenfalls aufgegriffen und mit dem neu eingeführten § 1�8 SGB V eine Regelung zur „Unzulässigen Zusammenarbeit zwischen Leistungserbringern und Vertragsärzten“ geschaffen, die Dr. Ralf Clement, Rechtsanwälte Ratajczak & Partner, Sindelfingen, vorstellt.

B ereits in Heft 4/2007 der SCHMERZTHE-RAPIE hatten wir darauf hingewiesen,

dass trotz oder gerade wegen der weitgehen-den Liberalisierung der ärztlichen Berufsord-nungen die Gerichte in jüngster Zeit bemüht zu sein scheinen, über die verbleibenden Gren-zen umso strenger zu wachen, insbesondere wenn es um die Freiheit und Unabhängigkeit der ärztlichen Therapieentscheidung geht.

Nachdem sich das OLG Stuttgart in seiner Entscheidung vom 10.05.2007 – 2 U 176/06 – mit dem Verbot der Zuweisung gegen Ent-gelt auseinandergesetzt und jedem Versuch, dieses durch mehr oder weniger einfallsreiche gesellschaftsrechtliche Gestaltungsformen zu umgehen, eine klare Absage erteilt hat, hat sich das Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt in seiner Entscheidung vom 26.06.2008 – 1 U 9/08 – nun mit der Abgabe von Medizinprodukten im Rahmen der ärzt-lichen Berufsausübung beschäftigt.

Das Urteil des OLG Sachsen-Anhalt Grundlage der Entscheidung war § 3 Abs. 2 der Berufsordnung der Ärztekammer Sachsen-Anhalt, dessen Wortlaut mit § 3 Abs. 2 der MBO identisch ist, und der es Ärzten untersagt, im Zusammenhang mit der Ausübung ihrer ärztlichen Tätigkeit Waren und andere Gegen-stände abzugeben oder unter ihrer Mitwirkung abgeben zu lassen sowie gewerbliche Dienst-leistungen zu erbringen oder erbringen zu las-sen, soweit nicht die Abgabe des Produkts oder die Dienstleistung wegen ihrer Besonder-heiten notwendiger Bestandteil der ärztlichen Therapie ist. Der Beklagte hatte im Rahmen seiner ärztlichen Tätigkeit Medizinprodukte (Ti-tannadeln) zum Selbstkostenpreis i. H. von 95 Euro an einen Patienten abgegeben, die er von einem Medizinproduktelieferanten bezog, des-sen alleiniger Gesellschafter er war und des-sen Vorlieferant in der Schweiz, an dem er ebenfalls Aktienanteile hielt, die Titannadeln zu einem Preis in Höhe von höchstens 20 Euro erworben hatte. Das OLG kam mit deutlichen

Worten zu dem Schluss, dass ein Arzt, der sich zugleich als gewerblicher Händler für diejeni-gen Medizinprodukte betätigt, die notwendiger Bestandteil seiner ärztlichen Therapie sind, und über deren Verwendung überhaupt sowie auch zahlenmäßig er im Rahmen seiner ärzt-lichen Berufsausübung entscheidet, gegen das berufsrechtliche Verbot des § 3 Abs. 2 BO ver-stößt. Die personale Identität des Arztes, der über die Auswahl und die Anzahl der als Dau-erimplantat einzusetzenden Nadeln maßgeb-lich entscheidet, und des wirtschaftlichen Nutznießers der Lieferungen dieser Nadeln an den Arzt rufe objektiv erhebliche, in dem kon-kreten Fall nicht widerlegbare Zweifel daran hervor, ob die angewandte Therapie allein me-dizinischen Aspekten folgt und sich nicht etwa auch an wirtschaftlichen Kriterien orientiere.

Das OLG sah in der gewählten Vorgehens-weise zugleich auch ei-nen Verstoß gegen das Verbot der isolierten Abrechnung von Medi-zinprodukten zu höhe-ren als den Selbstkos-tenpreisen des Arztes nach § 10 GOÄ. Beide Verstöße führten nach Auffassung des Gerichts zu einer Nichtigkeit des gesamten Behandlungsvertrages, so dass es dem Anspruch des Patienten auf (teilwei-se) Rückerstattung des Behandlungshonorars stattgab. Mit den darüber hinausgehenden be-rufs- und ggf. strafrechtlichen Konsequenzen musste sich das OLG nicht befassen.

Über die Frage, wie der Sachverhalt zu werten wäre, wenn die Gesellschaftsanteile an dem Medizinproduktelieferanten durch ein Familienmitglied bzw. einen Treuhänder ge-halten worden wären, hatte das OLG eben-falls nicht zu entscheiden. Die Begründung der Entscheidung lässt aber vermuten, dass dies an der rechtlichen Bewertung im Ergeb-nis nichts geändert, das OLG auch dies viel-mehr als unzulässigen Umgehungsversuch eingestuft hätte.

Ralf Clement, Sindelfingen

Medizin und Recht

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10 SCHMERZTHERAPIE 1/2009 (25. Jg.)

§ 128 SGB V

Im Gesetzgebungsverfahren zum „Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-OrgWG)“ hat der Gesetzgeber – bisher wenig beachtet – für den vertragsarztrecht-lichen Bereich mit § 128 SGB V eine spezielle Regelung für die Zusammenarbeit zwischen Leistungserbringern und Vertragsärzten ge-schaffen, mit denen er „Fehlentwicklungen in der Zusammenarbeit zwischen Leistungser-bringern und Vertragsärzten“ entgegenwirken will. Nach seiner Auffassung seien die beste-henden straf-, berufs- und wettbewerbsrecht-lichen Vorschriften in der Praxis offenbar nicht ausreichend, um fragwürdige Formen der Zu-sammenarbeit wirksam zu verhindern.

Abgabe von Hilfsmitteln unzulässigNach Abs. 1 der neuen Vorschrift ist die Abga-be von Hilfsmitteln an Versicherte über Depots bei Vertragsärzten unzulässig, soweit es sich nicht um Hilfsmittel handelt, die zur Versorgung in Notfällen benötigt werden. Dies gilt entspre-chend für die Abgabe von Hilfsmitteln in Kran-kenhäusern und anderen medizinischen Ein-richtungen.

Mit dieser Neuregelung wird die Abgabe von Hilfsmitteln über die Depots bei Vertrags-ärzten grundsätzlich untersagt. Zur Begrün-dung wird angeführt, dass solche Depots Leistungserbringern in besonderem Maße einen Anreiz bieten, sich durch unzulässige Zuwendungen für die Einrichtung eines De-pots ungerechtfertigte Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Man habe festgestellt, dass in derartigen Fällen das Wahlrecht der Ver-sicherten unter den versorgungsberechtigten Leistungserbringern bei Vertragsärzten fak-tisch eingeschränkt werde.

Abs. 2 der Vorschrift sieht vor, dass Leis-tungserbringer Vertragsärzte nicht gegen Ent-gelt oder Gewährung sonstiger wirtschaftlicher Vorteile an der Durchführung der Versorgung mit Hilfsmitteln beteiligen oder solche Zuwen-dungen im Zusammenhang mit der Verordnung

von Hilfsmitteln gewähren dürfen. Unzulässig ist ferner die Zahlung einer Vergütung für zu-sätzliche privatärztliche Leistungen, die im Rahmen der Versorgung mit Hilfsmitteln von Vertragsärzten erbracht werden, durch Leis-tungserbringer.

Grund für die neue Regelung ist, dass über die Verordnung von Hilfsmitteln die Vertrags-ärzte grundsätzlich unbeeinflusst von eigenen finanziellen Interessen entscheiden und nicht von der Ausstellung einer Verordnung oder der Steuerung von Versicherten zu bestimmten Leistungserbringern profitieren können sollen. Um derartige Konfliktsituationen zu verhindern, werden den Leistungserbringern sämtliche Geldzahlungen und sonstige Zuwendungen an Vertragsärzte im Zusammenhang mit der Versorgung mit Hilfsmitteln ausdrücklich un-tersagt. Mit der Neuregelung wird auch aus-geschlossen, dass Leistungserbringer Ver-tragsärzten durch die Zahlung der Vergütung für zusätzliche privatärztliche Leistungen, die im Rahmen der Versorgung mit Hilfsmitteln von diesen erbracht werden, wirtschaftliche Vorteile gewähren.

Ausnahme: verkürzter VersorgungswegEine Ausnahme regelt lediglich Abs. 4, der es den Krankenkassen ermöglicht, Ärzte dann gesondert zu vergüten, wenn diese auf der Grundlage vertraglicher Vereinbarungen mit Krankenkassen über die ihnen im Rahmen der ver tragsärztlichen Versorgung oblie-genden Aufgaben hinaus an der Durchfüh-rung der Versorgung mit Hilfsmitteln mitwir-ken. Dies soll insbesondere den von der Rechtsprechung entwickelten sogenannten „verkürzten Versorgungsweg“ auch weiterhin ermöglichen.

Die Absätze 3, 4 und 5 verpflichten die Krankenkassen, Verstöße gegen § 128 SGB V angemessen zu sanktionieren und die zustän-digen Ärztekammern zu informieren. Inwieweit die Ärztekammern aufgrund dieser Hinweise berufsrechtliche Verfahren einleiten werden, bleibt abzuwarten; es ist jedoch nicht ausge-schlossen, dass die Krankenkassen vor dem Hintergrund der Neuregelung auch die Staats-anwaltschaften über entsprechende Vorgänge informieren.

Der neu eingefügte § 128 SGB V tritt am 1. April 2009 in Kraft. Damit soll den Betrof-fenen insbesondere die Möglichkeit einge-räumt werden, nach geltendem Recht noch zulässige Versorgungsformen auf die neuen Rahmenbedingungen hin zu überprüfen und gegebenenfalls umzustellen. ■

Dr. Ralf Clement, Sindelfingen

Impressum

Organ der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie

Herausgeber Gerhard H. H. Müller-Schwefe, Schillerplatz 8/1, D-73033

Göppingen; Tel. 07161/976476, Fax 07161/976477

E-Mail: [email protected]

Schriftleitung Thomas Flöter, Frankfurt; Dietrich Jungck, Hamburg;

Uwe Junker, Remscheid; Stephanie Kraus (verantw.), Stephanskirchen, Tel.: 08036/1031; Thomas Nolte, Wiesbaden;

Michael Überall, Nürnberg

Beirat Christoph Baerwald, Leipzig; Wolfgang Bartel, Halberstadt; Heinz-Dieter Basler, Marburg; Günter Baust, Halle/ Saale; Klaus Borchert, Greifswald; Burkhard Bromm, Hamburg; Thomas Cegla, Wuppertal; Oliver Emrich, Ludwigshafen; Ingunde Fischer, Halle; Gideon Franck, Fulda; Gerd Geisslinger, Frankfurt; Hartmut Göbel, Kiel; Olaf Günther, Magdeburg; Winfried Hoerster, Gießen; Klaus Johannes Horlemann, Kevelaer; Stein Husebø, Bergen; Uwe Kern, Wiesbaden; Edwin Klaus, Würzburg; Eberhard Klaschik, Bonn; Lothar Klimpel, Ludwigshafen; Bruno Kniesel, Hamburg; Marianne Koch, Tutzing; Bernd Koßmann, Wangen; Michael Küster, Bad Godesberg-Bonn; Klaus Längler, Erkelenz; Peter Lotz, Bad Lippspringe; Eberhard A. Lux, Lünen; Christoph Müller-Busch, Berlin; Joachim Nadstawek, Bonn; Robert Reining, Passau; Robert F. Schmidt, Würzburg; Günter Schütze, Iserlohn; Harald Schweim, Bonn; Hanne Seemann, Heidelberg; Ralph Spintge, Lüdenscheid; Birgit Steinhauer, Limburg; Roland Wörz, Bad Schönborn; Walter Zieglgänsberger, München; Manfred Zimmermann, Heidelberg

In Zusammenarbeit mit: Deutsche Gesellschaft für Algesiologie – Deutsche Gesellschaft für Schmerzforschung und Schmerz-therapie; Deutsche Akademie für Algesiologie – Institut für schmerztherapeutische Fort- und Weiterbildung; Deutsche Gesellschaft für interdisziplinäre Palliativversorgung e. V.; Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes e.V. (DGSS); Deutsche Schmerzliga e.V. (DSL); Gesellschaft für algesiolo-gische Fortbildung mbH (gaf mbH); Gesamtdeutsche Gesell-schaft für Manuelle Medizin e.V. (GGMM); Institut für Quali-tätssicherung in Schmerztherapie und Palliativmedizin (IQUISP); Verband Deutscher Ärzte für Algesiologie – Berufsverband der Schmerztherapeuten in Deutschland e.V. (BVSD).

Mit der Annahme eines Beitrags zur Veröffentlichung erwirbt der Verlag vom Autor alle Rechte, insbesondere das Recht der weiteren Vervielfältigung zu gewerblichen Zwecken mithilfe fotomechanischer oder anderer Verfahren. Die Zeitschrift sowie alle in ihr enthaltenen einzelnen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt.

Hinweis: Die in dieser Zeitschrift angegebenen Dosierungen – vor allem von Neuzulassungen – sollten in jedem Fall mit dem Beipackzettel der verwendeten Medikamente verglichen werden.

Bezugspreis: Einzelheft 1�,– Euro; Abonnement für � Ausgaben pro Jahr �0,– Euro (zzgl. Versand, inkl. MwSt.). Der Mitglieds-beitrag der DGS schließt den Bezugspreis der Zeitschrift mit ein. Die Zeitschrift erscheint im �5. Jahrgang.

Verlag: © URBAN & VOGEL GmbH, München, März �009Leitung Medical Communication: Ulrich Huber (verantw.)Redaktion: Dr. Brigitte Schalhorn; Herstellung/Layout: Maren Krapp; Druck: Stürtz GmbH, Würzburg Titelbild: Foto Archiv (MEV, Reinhard Eisele)

Inhaber- und BeteiligungsverhältnisseDie Urban & Vogel GmbH ist 100%ige Tochtergesellschaft der Springer Medizin-Verlag GmbH, Heidelberg. Die alleinige Gesellschafterin der Springer Medizin Verlag GmbH ist die Springer-Verlag GmbH mit einer Beteiligung von 100%. Die Springer-Verlag GmbH ist eine 100%ige Tochtergesellschaft der Springer Science + Business Media Deutschland GmbH. Die alleinige Gesellschafterin der Springer Science + Business Media Deutschland GmbH ist die Springer Science + Business Media Netherlands B.V., die 100% der Anteile hält. Die Springer Sci-ence + Business Media Netherlands B.V. ist eine 100%ige Toch-tergesellschaft der Springer Science + Business Media Finance S.àR.L. Die Springer Science+Business Media Finance S.àR.L. ist eine 100%ige Tochter der Springer Science+Business Media S.A.

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11SCHMERZTHERAPIE 1/2009 (25. Jg.)

Das Fibromyalgie-SyndromDie klinischen Symptome des Fibromyalgie-Syndroms (FMS) und deren pathophy-siologische Aspekte geben Ausblick auf neue therapeutische Ansätze, die sich auch in der neuen S3-Leitlinie zum FMS wiederfinden. Über den aktuellen Stand der Dis-kussion um das Fibromyalgie-Syndrom informieren Dr. med. Axel Hoffmann, Köln, und Dr. med. Uwe Junker, Remscheid.

Ü ber die Existenz dieses Schmerzbildes wird immer wieder heftig diskutiert, un-

abhängig davon, von welcher Seite man sich dem Beschwerdebild nähert: mehr von der psychiatrischen, der psychosomatischen oder der organisch-biochemischen Seite her. Auch die Leitlinien zum Fibromyalgie-Syndrom wer-den die Diskussion voraussichtlich nicht been-den können.

Symptombasierte Diagnose statt Tender Points?Zukünftig wird sicherlich die Frage nach dem Stellenwert der Tender Points (Abb. 1) im kli-nischen Praxisalltag hinterfragt werden müs-sen. Die Klassifikationskriterien des American College (ACR) räumen diesen einen besonde-ren Stellwert ein. Zu beachten ist aber, dass Tender Points nie als Diagnosekriterien erar-beitet wurden, sondern eine Definition des Patientenguts innerhalb von Studien gestatten sollten (Wolfe et al.).

Wolfe, der Erstautor der ACR-Kriterien für das FMS, hat vorgeschlagen, für klinische Zwecke eine symptombasierte Diagnose des FMS mit Verzicht auf die Tenderpoint-Unter-suchung als gleichwertig (Abb. 1) zu betrach-ten (Häuser et al.). Die Unterscheidung in primäres FMS und sekundäres FMS wurde längst aufgegeben.

Pragmatisches Procedere für die PraxisFür den Alltag in der Schmerztherapie gestaltet sich die Realität noch pragmatischer: Gefordert werden eine ausführliche Anamnese und eine effiziente Therapie. Dies entspricht auch den Empfehlungen der aktuell publizierten Leitlinie (Häuser et al. 2008). Haupt- und Leitsymptom für das Fibromyalgie-Syndrom ist der ausge-prägte Muskel- und/oder Gelenkschmerz, der schon bei geringer körperlicher Belastung zu-nimmt und durch feuchte und kühle Witterung beeinflusst wird. Der Schmerz wird nach heu-tigen Erkenntnissen durch eine zentrale Verän-derung der Schmerzregulation verursacht, die vielschichtig in zentrale Prozesse eingreift.

In der Anamnese finden sich häufig Rücken-schmerzen, entweder im Bereich der HWS oder der unteren LWS. Zusätzlich lassen sich eine körperliche und geistige Erschöpfung und eine Vielzahl weiterer Symptome eruieren.

Gerade diese Vielzahl der klinisch führen-den Symptome (Tab. 1), die im Verlauf der Erkrankung noch zunimmt, ist typisch bzw. sogar charakteristisch für das Krankheitsbild. Häufig handelt es sich um vegetative Symp-tome, wie u. a. ein Reizdarm-Syndrom oder Reizblase, Schlaf- und Durchschlafstörungen, Leistungsabfall, Konzentrationseinbußen, aus-geprägte, allmählich sich entwickelnde rasche

Erschöpfbarkeit und Kopfschmerzen. Die Liste der Beschwerden ließe sich noch erheblich verlängern.

Die vielschichtige Anamnese bei Patienten mit FMS macht die Erhebung schwierig. Des-halb hat sich die Gliederung der Beschwerden in drei Hauptgruppen als hilfreich erwiesen (Abb. 2).

Leitsymptom RückenschmerzenInitial bestehen häufig Schmerzen der unteren LWS oder oberen HWS. Meist wird ein Trauma oder eine Operation als Auslöser angegeben. Der Charakter des Rückenschmerzes weist auf entzündliche Komponenten hin, vor allem wenn er in den frühen Morgenstunden auftritt, mit Steifigkeit verbunden ist und vor dem 40. Le-bensjahr begonnen hat.

Der entzündliche Rückenschmerz ist ein we-sentlicher Bestandteil der Spondyloarthritiden. Deshalb sollte in der Anamnese und Befunder-hebung speziell nach weiteren möglichen Ma-nifestationsformen einer Spondylarthritis ge-fragt werden, etwa nach einer Uveitis anterior, der Psoriasis vulgaris oder einer entzündlichen Darmerkrankung. Vorhandene radiologische Untersuchungen sollten auf Zeichen einer Spondyloarthritis durchgesehen werden.

Innerhalb einer aktuellen Untersuchung (Häuser et al. 2008) stellten die häufigsten

Uwe Junker, Remscheid

1. Okziptal: an den subokzipitalen Muskelansätzen

5. 2. Rippe: Knorpel-Knochen-Übergang

9. Knie: proximal des medialen Gelenkspaltes

8. Trochanter major: dorsal der Trochanterspitze

7. Gluteal: oberer äußerer Quadrant

6. Epicondylus lateralis: 2 cm distal des Epicondylus

4. M. supraspinatus: über den Ursprung an d. Scapula

3. M. trapezius: freier oberer Rand

2. Hals: vorderer Intertransversalspalt, Höhe C5-C7

9 9

8 7 78

6 6

5

3 2

4

1

Muskel- und Gelenk-schmerzen,

Rückenschmerz

OrgansystemeAspekte neuropathischer

Schmerz

ExtraartikuläreSymptome

Symptomatologie

Erschöpfung / Müdigkeit

SCHMERZTHERAPIE

Abb. 1: Tender Points (nach den ACR-Kriterien). Abb. �: Gliederung der klinischen Symptome

Axel Hoffmann, Köln

Der Deutsche Schmerztag / Zertifizierte Fortbildung

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1� SCHMERZTHERAPIE 1/2009 (25. Jg.)

• Ein- und Durchschlafstörungen mit ineffizientem Schlaf (mangelnde Erholung)

• Ausgeprägte, sich allmählich entwickelnde Müdigkeit

− Konzentrationsstörungen, Vergesslichkeit und Leistungseinbuße

− Stimmungsschwankungen bis hin zur Depression

− Kopfschmerzen und Migräne

− Taubheitsgefühle, unruhige Beine (Restless Legs)

− Herzstolpern ohne Nachweis von Rhythmusstörungen

− Reizdarm-Syndrom, Reizmagen

− Schmerzhafte Regelblutungen

− Kalte Hände und Füße

− Allergien

Tab. �: Häufige Symptome beim Fibromyalgie-Syndrom

Symptom FMS [%] CFS [%] Genauigkeit [%]

Halsschmerzen 1,8 80,4 89,3

Reizbarkeit 1,8 62,5 80,4

Fieber 5,4 62,5 78,6

Plötzlicher Beginn 1,8 57,1 77,7

Vergesslichkeit 0,0 51,8 75,9

Lymphadenopathie 8,9 58,9 75,0

Husten 16,1 58,9 71,4

Konzentrationsstörungen 41,1 78,6 68,8

Gelenkschmerzen 91,1 62,5 64,3

Herzbeschwerden 25,0 51,8 63,4

Schlafstörungen 85,7 60,7 62,5

Morgensteifigkeit 50,0 26,8 61,6

Hautveränderungen 46,4 23,2 61,6

Vorübergehende Skotome 0,0 14,3 57,1

Nykturie 12,5 0,0 56,3

Diarrhö 25,0 12,5 56,3

Allergien 32,1 19,6 56,3

Empfindungsstörungen 44,6 35,7 54,5

Atemnot 7,1 0,0 53,6

Allgemeine Muskelschwäche 14,3 21,4 53,6

Kopfschmerzen 57,1 62,5 52,7

Gastrointestinale Störungen 51,8 46,4 52,7

Gewichtsabnahme 3,6 7,1 51,8

Myalgien 82,1 85,7 51,8

Photophobie 3,6 5,4 50,9

Gewichtszunahme 1,8 3,6 50,9

Nac

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Tab. 1: Fibromyalgie-Syndrom (FMS) und chronisches Erschöpfungssyndrom (CFS)Leitsymptom Erschöpfung/Müdigkeit Innerhalb des Beschwerdekomplexes des FMS kommt dem Symptom „Erschöpfung und Mü-digkeit“ eine zentrale Bedeutung zu. Allerdings werden viele Erkrankungen durch das Symp-tom Erschöpfung geprägt.

Mit der neuronalen Netz-(NN-)Untersuchung (Abb. 3) von Linder et al. wurde die Erschöp-fung bei Fibromyalgie näher charakterisiert. Sie tritt im Gegensatz zur Erschöpfung beim chronischen Erschöpfungs-Syndrom (CFS) allmählich auf. Dieser Symptomkomplex „Er-schöpfung und Müdigkeit“ erwies sich als ein klinisch sehr trennscharfes Symptom. Neuere Untersuchungen kommen ohne die sehr auf-wendigen NN-Untersuchungen zu entspre-chenden Ergebnissen (Häuser et al.). Beim CFS tritt der Gelenkgliederschmerz in den Hintergrund. Damit nähert man sich wieder der bereits von Smythe 1972 charakterisier-ten „Fibrositis“ mit chronischen Schmerzen in mehreren Körperregionen, chronischer Müdigkeit und Schlafstörungen, die verbun-den sind mit einer ausgeprägten lokalen ver-mehrten Schmerzempfindlichkeit.

Zusammenfassend sollte die symptomba-sierte Definition und Diagnose des FMS die sich allmählich vermehrende körperliche und geistige Erschöpfbarkeit/Müdigkeit neben den chronischen multilokulären Glieder- und Mus-kelschmerzen als obligate Symptome aufneh-men. Hinzu kommen die diversen extraartiku-lären Symptome (Abb. 2).

Beachte: Multilokuläre Schmerzen und Mü-digkeit können aber auch in der Normalbevöl-kerung und bei vielen chronischen Krankheiten im Sinne eines psychophysischen Distress-Kontinuums nachgewiesen werden.

PathophysiologieDiese Gliederung der Symptome schafft mög-liche Zugangsebenen für pathophysiologische Überlegungen beim Fibromyalgie-Syndrom. Es gibt bis heute keine klaren und stichhal-tigen Argumente für eine einzelne Ursache, sondern eher Hinweise auf eine Vielzahl von Einzelfaktoren.

Der Schmerz beim FMS hat Effekte auf neurohumorale Bahnen und hypothalamisch/hypophysäre Achsen. So führt er z.B. zu einer Verringerung der Wachstumhormonsekretion oder aber zu einer Umkehr der Kortisolsekre-tion. Daraus lassen sich bestimmte Phäno-mene erklären wie die Störung des Tiefschlafs, was wiederum die Schmerzschwelle senkt. Der gestörte REM-Schlaf führt seinerseits zu Ver-änderungen der somatotropen Achse, weil die pulsatile Sekretion des Wachstumshormons im REM-Schlaf erheblich reduziert ist. So kommt es zu einer Schlafstörung durch den Schmerz

Symptome beim FMS HWS-Schulterschmer-zen, Gelenk-/Gliederschmerzen und Kreuz-/ Rückenschmerzen sowie Erschöpfbarkeit und Müdigkeit dar. Der Gelenkschmerz ist meist

wetterabhängig, weist aber nicht die lange Morgensteifigkeit von mehr als 60 Minuten Dauer auf, wie sie für die rheumatoide Arthritis typisch ist.

Zertifizierte Fortbildung

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13SCHMERZTHERAPIE 1/2009 (25. Jg.)

(Hoffmann et al.). Auch die Umkehr der Korti-solsekretion resultiert aus der Schlafstörung.

Verfolgt man den Gedanken des Wachs-tumshormondefizits weiter, so ist der Umbau des Muskelgewebes in Fettgewebe erklärlich. Zusätzlich wird dieser Effekt durch die vom Pa-tienten häufig vorgenommene Ernährungsum-stellung mit Reduktion der Proteinaufnahme und Zunahme der Kohlenhydrataufnahme ver-stärkt. Damit rückt das Fettgewebe als endo-krines Organ in den Blickpunkt, denn dieses ist z.B. ein effektiver Produzent des proinflamma-torischen Zytokins Interleukin-6 (IL-6). Erhöhte IL-6-Spiegel wurden bei FMS-Patienten gefun-den; sie sinken bzw. normalisieren sich, wenn die Schmerztherapie effektiv ist.

Häufig werden Symptome wie Kribbel-, Par- und Dysästhesien mit Ameisenlaufen der Unterschenkel angegeben. Die Beschwer-den erinnern an die Small-Fiber-Neuropathie (SMN). Aktuelle Untersuchungen mit QST-Messungen ergaben hier keine unmittelbaren Veränderungen im Sinne der SMN, jedoch eine Störung der zentralen Schmerzverarbeitung im Sinne des Wind-up-Phänomens.

Zur Dokumentation der Folgen des Schmerzes empfehlen sich spezielle Fra-gebögen, die die Symptome wie Schlafstö-rungen, Depressivität und Auswirkungen des Schmerzes auf das Alltagsleben erfassen. Mit entsprechenden Erhebungen kann man dem Patienten auch die therapeutischen Möglich-keiten verständlich machen, da sie als Begrün-dung herangezogen werden können, warum zum Beispiel eine Therapie mit Antidepressiva oder auch eine später aufzugreifende psycho-therapeutische Intervention sinnvoll wäre.

Therapeutische Strategien

Im klinischen Alltag kommt der Verhinderung der weiteren Schmerzchronifizierung eine vor-rangige Bedeutung zu. Die Anamnese (vgl. Abb. 1) mit Schilderung einer Vielzahl von kör-perlichen Beschwerden und Symptomen (Abb. 2 und 3) sowie die körperliche Untersuchung sind wichtig zur Diagnose und differenzial-diagnostischen Abklärung, um möglichst keine Systemerkrankung zu übersehen. Deshalb empfiehlt sich eine an den Leitlinien orientierte Vorgehensweise.

Die Umsetzung der Behandlungsoptionen gestaltet sich aber häufig schwierig. Die Mehr-zahl der Patienten mit FMS stehen einer The-

rapie nämlich meist zurückhaltend gegenüber, z.B. weil sie teilweise schlechte Erfahrungen mit bestimmten Medikationen gemacht haben.

Aus diesem Grund ist es wichtig, dass der Arzt dem FMS-Patienten die therapeutischen Optionen erklärt und diese durch allgemei-ne Maßnahmen der Lebensführung ergänzt werden. Bei den therapeutischen Optionen muss man von medizinischer Seite strikt zwi-schen einer Medikation mit entsprechender Studienlage (evidenzbasierte Medizin) und solchen Therapieoptionen unterscheiden, für die es keine Grundlagen beziehungsweise nur negative Studienergebnisse gibt.

Analog zu der Gliederung der Anamnese in die drei Schwerpunkte Müdigkeit und Er-schöpfung, Gelenk- und Muskelschmerzen sowie extraartikuläre Symptome lassen sich drei Schwerpunkte für die Therapie definie-ren: Schlafvermögen, Schmerz und Stimmung (Abb. 4).

Pharmakotherapie

Antidepressiva

Zu den Therapieoptionen mit positiver Studien-grundlage gehört die Substanz Amitriptylin. Durch die Beeinflussung des Tiefschlafes, die Wirkung auf die deszendierende Schmerzhem-mung, aber auch auf die Stimmung (Depres-sion) führt Amitriptylin zur Schmerzlinderung. Dabei kommt der Induktion des Tiefschlafes eine wesentliche Bedeutung zu.

Für die Gruppe der Serotonin-Reuptake-Hemmer wie z.B. Fluoxetin, Paroxetin, Ven-lafaxin oder Citalopram konnten beim Fibro-myalgie-Syndrom keine eindeutigen schmerz-lindernden Effekte festgestellt werden. Zwar

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FMS

CFS

Halsschmerzen

Reizbarkeit

Plötzlicher Beginn

Gelenkschmerzen

Herzbeschwerden

Schlafstörungen

Hautveränderungen

Allergien

Mod

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Abb. 3: Neuronales Netz zur Symptomcharakterisierung beim Fibromyalgie-Syn-drom (FMS) oder chronischem Erschöpfungssyndrom (CFS).

Evidenz-basiert

Wider-sprüchliche Evidenz

Keine Evidenz

Nicht untersucht

tNSAR +

Coxibe +

Steroide +

Amitriptylin +

Duloxetin +

SSRI-Gruppe +

Pregabalin +

Tramadol +

Tilidin/Naloxon +

Ausdauertraining +

Krankengymnastik +

Massage +

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Tab. 3: Evidenzbasierte Therapie des Fibromyalgie-Syndroms

Zertifizierte Fortbildung

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1� SCHMERZTHERAPIE 1/2009 (25. Jg.)

1. Conen H: Schenk dir selbst ein neues Leben. Die Kunst, sich immer wieder neu zu erfinden. Campus Verlag, �00�.

�. Häuser W, Zimmer C, Felde E, Köllner V. Was sind die Kernsymptome des Fibromyalgiesyn-droms? – Ergebnisse einer Befragung von Mitgliedern der deutschen Fibromyalgie-vereinigung. Der Schmerz �008;��:1�6–183.

3. Häuser W et al. (S3-Leitlinie): Definition, Pa-thophysiologie, Diagnostik und Therapie des Fibromyalgiesyndroms. www.uni-duesseldorf.de/awmf/II/II_0�1.htm.

�. Hoffmann A, Linder R, Kröger B, Schnabel A, Krüger GRF. Fibromyalgie Syndrom und Chro-nic Fatigue Syndrome: Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Dtsch Med Wschr 1996;1�1: 1165–1168.

5. Linder R, Hoffmann A, Kröger B, Lipinski FG, Krueger GRF: Entwicklung von Klassifikations-

kriterien für das chronische Erschöpfungs-syndrom. In: Baur MP, Fimmers R, Blettner M (Ed.): Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie GMDS ´96 , �1. Jahrestagung der GMDS.

6. Linder R, Dinser R, Wagner M, Krueger GRF, Hoffmann A: Generation of classification cri-teria for chronic fatigue syndrome using an artificial neuronal network and traditional criteria set. In vivo �00�;16:3�–��.

�. Smythe HA, Moldofsky H. Two contributions to understanding of the “fibrositis” syn-drome. Bull Rheum Dis 19��;�8:9�8–931.

8. Wolfe F, Smythe HA, Yunus MB, et al. The American College of Rheumatology criteria for the classification of fibromyalgia: report of the multicenter criteria committee. Arthritis Rheum 1990;33:160–1��.

Weiterführende Literatur

gelingt eine Einflussnahme auf depressive und Angstsymptome, andere Symptomenkomplexe werden aber kaum beeinflusst.

Der Erfolg des selektiven Serotonin/Nor-adrenalin-Wiederaufnahmehemmers Dulo-xetin (Cymbalta®, Ariclaim®) gründet sich auf seine Wirkung auf die zentralen deszen-dierenden Schmerzbahnen, die wesentlich stärker ist als unter Amitriptylin. Mit Duloxetin gelingt ein guter Effekt auf Stimmung und Schmerz, jedoch weniger auf das Phänomen Schlaf. Duloxetin wird u.a. über CYP2D6 ver-stoffwechselt.

Die Studien zu Duloxetin haben wesentliche Optionen in der Therapie eröffnet und Fort-schritte im pathophysiologischen Verständnis des „neuropathischen Schmerzes“ ermöglicht. Leider ist die Substanz nur in den USA in der Indikation Fibromyalgie zugelassen. Die EMEA konnte sich Ende 2008 zu einer Zulassung in Europa ohne weitere placebokontrollierte Stu-dien nicht entscheiden.

AntikonvulsivaÄhnlich günstige neue Therapieerfahrungen wurden gemacht mit dem GABA-Analogon Pregabalin (Lyrica®), das beim neuropa-thischen Schmerz eingesetzt wird. Der Antrag auf Zulassung für die Indikation FMS ist bei der EMEA gestellt. Pregabalin besitzt eine Kalziumkanal modulierende Wirkung. Eine Verstoffwechselung findet nicht statt, sodass Wechselwirkungen mit anderen Medikationen kaum auftreten können.

Die verschiedenen pathophysiologischen Aspekte deuten bei FMS wie bereits darge-stellt auf zentrale Störungen der Schmerz-regulation hin (Wind-up-Phänomen). Aber auch Stimmung und Schlaf sind in den Prozess der Schmerzauslösung unmittelbar involviert. Antikonvulsiva greifen zentral in diese Regula- tionsprozesse ein. Dabei konnten für Prega-

balin Effekte auf die genannten Zielgrößen Schlafstörungen, Stimmung und Schmerz ge-zeigt werden (Abb. 4).

Entsprechend eigenen Erfahrungen sind die Therapieerfolge mit Pregabalin als günstig zu bewerten, wenn auch für diese Indikation noch keine europäische Zulassung besteht. Eine ein-schleichende Dosierung mit einem abendlichen Beginn in einer Dosierung von 25 mg zur Nacht sollte dann im weiteren Verlauf individuell ge-steigert werden. Gegebenenfalls ist auch eine morgendliche Dosierung notwendig. Selten werden dabei Dosierungen von über 300 mg/d Pregabalin überschritten (eigene Erfah-rungen).

Cave NSAR und GlukokortikoideDer Einsatz nicht steroidaler Antirheumatika, einerlei ob es sich um traditionelle nicht stero-idale Antirheumatika (tNSAR) oder Coxibe handelt, ist in der FMS-Therapie nicht Erfolg

Schlafvermögen

Pharmakotherapie*

Stimmung

Schmerz

*in Mono- und Kombinationstherapie

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Abb. �: Kardinale Therapieansätze bei FMS.versprechend. Glukokortikoide sind obsolet. Paracetamol kann zwar eingesetzt werden, hat aber eine relativ kurze Halbwertszeit.

OpioideDie Therapie mit Tramadol wird immer wieder kontrovers diskutiert. Die Therapie mit Trama-doltropfen sollte nicht mehr durchgeführt wer-den. Retardierte oder ultralang retardierte Darreichungen von Tramadol können jedoch in der Schmerztherapie des FMS eingesetzt wer-den. Nebenwirkungen wie Übelkeit, Brechreiz oder Schwindel sind sehr häufig und damit ein wesentlicher limitierender Faktor.

Zur Therapie mit Tilidin/Naloxon gibt es in der Indikation FMS keine Studien. Strikt ist auf die Komorbidität zu achten, vor allem bezüglich eines möglichen Suchtpotenzials. Es gelten die Richtlinien für die Verordnung von Opioiden.

Die neueren Substanzen sind in der Kom-bination mit Pregabalin deutlich effektiver, was die Therapie jedoch verteuern kann.

Physikalische BegleittherapieDie medikamentöse Therapie des FMS sollte im Sinne des multimodalen Schmerzkonzepts durch physikalische Maßnahmen ergänzt wer-den. Innerhalb der physikalischen Maßnahmen haben ein leichtes Kreislauf-Zirkeltraining un-ter Kontrolle der Kreislaufparameter und die Warmwassergymnastik die beste Studienlage. Ihr Einsatz darf als bedeutend in der Behand-lung des FMS bezeichnet werden. Klärungen im Umfeld des Patienten mit einem Coaching gestalten den Rahmen und schaffen Zugänge für eine Schmerzbewältigung (Conen et al.). ■

Axel Hoffmann, Köln Uwe Junker, Remscheid

Zertifizierte Fortbildung

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15SCHMERZTHERAPIE 1/2009 (25. Jg.)

So kommen Sie zu Ihren Punkten: Die Teilnahme ist nur möglich via Internet unter www.cme-punkt.de. Dort melden Sie sich als Arzt an und finden unter dem Kopf der Zeitschrift SCHMERZTHERAPIE die derzeit aktive zertifizierte Fortbildung. Damit der Fragebogen für die Zertifizierung ausgewertet werden kann, benötigen wir von Ihnen die Einheitliche Fortbildungsnummer EFN. Sie erhalten via Internet unmittelbar Rückmeldung darüber, ob Sie die Fragen richtig beantwortet haben oder nicht, und können die Bescheinigung sofort ausdrucken. Wir empfehlen, die Bescheinigungen gesammelt bei Ihrer Lan-desärztekammer einzureichen. Wir führen auf dieser Seite auch ein elektronisches Punktekonto für Sie. Bei erfolg-reicher Teilnahme werden Ihre Daten an den Einheitlichen Informationsverteiler (EIV) der Ärztekammern weitergegeben. Nähere Hinweise hierzu unter: www.cme-punkt.de/faq.html. Teilnahmeschluss ist der 17.9.2009. Viel Glück beim Punktesammeln!

Das Fibromyalgie-SyndromHier können Sie CME-Punkte sammeln a) für die Pflichtfortbildung aller Vertragsärzte und b) für freiwillige Fortbildungszertifikate, die viele Landesärztekammern anbieten. Die Multiple-Choice-Fragen beziehen sich auf den vorangegangenen Fortbildungsbeitrag (S. 11–1�). Die Antworten ergeben sich aus dem Text. Wenn Sie mindestens �0% der Fragen richtig beant-worten, erhalten Sie � Punkte, bei 100% 3 CME-Punkte. Es wird jeweils nur eine richtige Ant-wort gesucht. Teilnehmen können Sie nur via Internet über www.cme-punkt.de (Einzelheiten

siehe unten). Einsendeschluss ist der 1�.9.�009.

1. Welcher Schritt in der Diagnose des Fibro- myalgie-Syndroms (FMS) wird derzeitig heftig diskutiert? A Die ausführliche Anamnese B Die Wertigkeit von vegetativen

Begleitsymptomen C Der Wert der Tender-Point-

UntersuchungD Verzicht auf Anamnese und alleinige

Diagnose durch apparative UntersuchungenE Die Anamnese abzukürzen und die laborchemi-

schen Untersuchungen erheblich auszudehnen

2. Welches klinische Symptom ist bei FMS diagnoseführend? A Ausgeruhter Nachtschlaf B Allmählich zunehmende Erschöpfbarkeit

und Müdigkeit C Wohlbefinden bei kühler und feuchter

Witterung D Neigung zur Obstipation E Ausgeglichene Stimmung

3. Initial findet/n sich anamnestisch sehr häufig folgende/s Symptom/e (eine richtige Antwort gesucht):

A Durchfälle und Obstipation im Wechsel (Reizdarm)

B Bradykardien C Urogenitale Beschwerden (z.B. Reizblase)D Rückenschmerzen E Hitzegefühl im Körper

4. Für die Praxis lassen sich bei FMS bestimmte Symptomkomplexe zusammenfassen. Was ist ein wichtiger Symptomkomplex bei FMS? A Juxtaartikuläre Symptome B Intraartikuläre Symptome C Extraartikuläre Symptome D Sensomotorische Symptome E Sensible Symptome

5. Pathophysiologisch scheinen bei Fibromyalgie verschiedene Vorgänge eine Rolle zu spielen. Wel-cher Vorgang gehört nicht dazu?A Gestörter REM-Schlaf B Erhöhte Schmerzschwelle C Veränderung endokriner Achsen D Wind-up-Phänomen E Veränderungen der Kortisolsekretion

6. Welche klinische Symptomatik wird dem Fibromyalgie-Syndrom zugerechnet? A Neigung zu Ekzemen B Colon irritabile C Psoriasis vulgaris D Subfebrile Temperaturen E Epileptische Anfälle

7. Die Therapie des FMS konzentriert sich auf drei Schwerpunkte. Welcher dieser Schwerpunkte ist hier korrekt genannt?A Gastrointestinaltrakt B Schlafvermögen C Erschöpfung und Konzentration D Urogenitaltrakt E Stoffwechsel und Endokrinium

8. Welche der nachfolgend genannten Therapien bei FMS ist evidenzbasiert?

A Verordnung von t-NSAR oder CoxibenB Verordnung von Opoiden wie

z.B. Tilidin/Naloxon C Verordnung von Nahrungsergänzungs-

mitteln wie z.B. Vitamin C D Verordnung von Pregabalin E Verordnung von Glukokortikoiden

9. Die Wirkung auf deszendierende Schmerz-bahnen ist eine Erklärung für die Wirksamkeit der Therapie bei FMS. Für welche hier genannte Therapie trifft dies zu? A Tilidin/Naloxon B Opiate C Duloxetin D Physikalische Therapie wie

Massagen E Kohlenhydratreiche Ernährung,

z. B. Schokolade

10. Welche physikalische Therapie wird von Patienten mit FMS in der Mehrzahl am besten toleriert und ist zudem evidenz- basiert? A Ausdauertraining bis zur ErschöpfungsgrenzeB Massagen C Halbstündige Wassergymnastik bei einer

Wassertemperatur von unter 28° C D Kältekammeranwendungen E Leichtes Kreislauf-Zirkeltraining

CME-Herausgeber- und Review-Board:

Dr. Uwe Junker, Remscheid, Dr. Gerhard Müller-Schwefe, Göppingen; Dr. Thomas Nolte, Wies-baden; Priv.-Doz. Dr. Michael Überall, Nürnberg

In Zusammenarbeit mit der Bayerischen Landesärztekammer und der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie e.V. – DGS

Zertifizierte Fortbildung

SCHMERZTHERAPIE

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16 SCHMERZTHERAPIE 1/2009 (25. Jg.)

Schmerztherapie beim Herpes zoster

Die Schmerzen beim akuten Herpes zoster sind ebenso wie bei der Postzosterneu-ralgie komplex, können sowohl nozizeptiv als auch neuropathisch verursacht sein und erfordern eine differenzierte Therapie, wie Dr. med. Stephanie Soost, Prof. Dr. med. Margitta Worm und Prof. Dr. med. Wolfram Sterry, Klinik für Dermatolo-gie, Venerologie und Allergologie, Charité Universitätsmedizin Berlin, erläutern.

B eim Herpes zoster handelt es sich um eine Viruserkrankung der Haut, die

durch eine Reaktivierung des Varizella-Zo-ster-Virus (VZV) ausgelöst wird und gehäuft bei immunsupprimierten Patienten und äl-teren Menschen auftritt.

Das klinische Bild (Abb. 1, S. 18) zeigt ty-pischerweise gruppiert stehende Bläschen auf erythematösem Grund. Schon vor dem Auftreten der ersten Hautveränderungen in der Prodromalphase treten bei einem Groß-teil der Patienten im betroffenen Dermatom,

einem von einem Rückenmarksnerven (Spi-nalnerven) innervierten Hautgebiet, Miss-empfindungen und neuralgiforme Schmerzen (zosterassoziierte Schmerzen) auf.

Chronische Zosterneuralgien, auch als postzosterische Neuralgie (PZN) bezeich-net, treten nicht bei allen Patienten auf. Die postzosterische Neuralgie bezeichnet daher kein typisches Symptom des Herpes zoster, sondern ist eine Spätkomplikation, die als Schmerzkrankheit ein eigenständiges Krank-heitsbild darstellt [1].

Definitionen und Risikofaktoren

Die Definition der Zos-terneuralgie ist in der Literatur nicht einheitlich. Aktuelle Einteilungen unterscheiden drei Pha-sen (Tab. 1, S. 18), wobei als chronische Manifes-tationsform die Zoster-neuralgie (PZN), d.h. die Neuralgie, bezeichnet wird, die vier Monate nach Auftreten der ersten Hautläsionen weiterbesteht. Unter Berücksichtigung von Pathophysiologie und epidemiologischen Untersuchungen lassen sich Risikofaktoren für die Entwicklung einer PZN finden wie weibliches Geschlecht, hohes Alter, starke Akutschmerzen, ausgeprägte Hautverän-derungen, das Vorhandensein von Prodromal-neuralgien sowie Immunsuppression [1].

Stephanie Soost, Berlin

Uhrzeit Donnerstag 26.03.09 Freitag 27.03.09 (Teil 1)

7:00

8:00

9:00

10:00

11:00

12:00

13:00

14:00

15:00

16:00

17:00

18:00

19:00

Juristische Beratung für

DGS-Mit-glieder

VIP-Lounge, 14:00 – 17:00

Auftaktvortrag – Über die Funktion zur StrukturFunktionsstörung im Bewegungssystem

Harmonie, 08:15 – 08:30

PlenumInfektionskrankheiten

und Schmerz: HIV

Harmonie, 08:30 – 10:00

PlenumTherapie fokaler neuropathischer Schmerzen: Wie zentral muss –

wie peripher kann Therapie sein?

Harmonie, 10:30 – 12:00

HOW*Kommunikations-

training

Illusion 3, 10:30 – 12:00

HOW*Integrierte

Versorgung – Erfolgsmodelle

Illusion 1+2, 10:30 – 12:00

LunchseminarEinsatz des Laserstimulators

in der Schmerzdiagnostik

Illusion 1+2, 12:10 – 13:30

LunchseminarInfektionskrankheiten und

Schmerz: Herpes zoster Spektrum 1+2, 12:10 – 13:30

LunchseminarEntzündliche Schmerzen –

Stiefkind Morbus Bechterew Fantasie 1+2, 12:10 – 13:30

LunchseminarSchmerzen bei diabetischer Poly-

neuropathie – Perspektive? Conclusio 1+2, 12:10 – 13:30

HOW*Rückenschmerz interdisziplinär

Illusion 3, 12:10 – 13:30

PlenumRisikoadaptierte

Schmerztherapie in der täglichen Praxis

Harmonie, 13:45 – 15:15

HOW*

Standardisierte Dokumentation für

Algesiologie

Spektrum 1+2, 13:45 – 15:15

HOW*

Wundmanagement in der Integrierten

Versorgung

Illusion 1+2, 13:45 – 15:15

Plenum

Therapie von Durchbruch-schmerzen im gesundheits-politischen Spannungsfeld

Harmonie, 1 15:45 – 17:15

HOW*

IGEL-Leistungen und Privatliquidation in der

Schmerztherapie

Illusion 1+2, 15:45 – 17:15

HOW*

Moderations-techniken

Fantasie 1+2, 15:45 – 17:15

Arbeit der Schmerzthera-

piekommis- sionen

Fantasie 1+2, 15:45 – 17:15

Autosuggestion zur Schmerztherapie

Ruheraum, MARITIM, Raum Hamburg, 16:00 – 17:00

Mitgliederversammlung DGS

Fantasie 1+2, 17:30

Internet-Café

Spektrum 1+2

10:00 – 18:00

FrühstücksseminarPraxismarketing – der Einsatz von IGeL

am Beispiel von Biofeedback

Fantasie 1+2, 07:00 – 08:20

PlenumDurchbruchschmerz heute: schnell wirksame OpioideHarmonie, 08:30 – 10:00

PlenumParadigmenwechsel in der

Therapie starker Schmerzen

Harmonie, 10:30 – 12:00

LunchseminarManuelle Diagnostik u. Therapie

von Rückenschmerzen

Conclusio 1+2, 12:10 – 13:30

LunchseminarCoxibe – immer für

eine Überraschung gut

Illusion 1+2, 12:10 – 13:30

PlenumUnterschwellige Chronifi-

zierungsmechanismen

Harmonie, 13:45 – 15:15

Plenum

Ziconotid – der Maßstab in der intrathekalen Schmerztherapie

Illusion 1+2, 15:45 – 17:15

HOW*Wohin entwickeln sich die Struk-

turen in der Schmerztherapie?

Conclusio 1+2, 15:45 – 17:15

Plenum

Den Schmerz an der Wurzel packen – kontinuierliche Wundinfusion

Harmonie, 17:30 – 19:00

HOW*Posterpräsentation und

-diskussion

Illusion 3, 17:30 – 19:00

*HOW = Hands-on-Workshop, begrenzte Teilnehmerzahl

Der Deutsche Schmerz- und Palliativtag 2009: 26.–28.3.2009, Congress Center Messe Frankfurt/Main

Zoster und Schmerz

Page 17: Schmerztherapie vor neuen Herausforderungen · Schmerztherapie beim Herpes zoster ___16 DGS-Veranstaltungen/Interna _____19 Bio-psycho-soziales Modell Soziale Interaktionen bestimmen

1�SCHMERZTHERAPIE 1/2009 (25. Jg.)

Zosterneuralgie – Pathogenese, Pathophysiologie und Klinik Die akute Zosterneuralgie wird ausgelöst durch eine Entzündungsreaktion im Bereich der Spi-nal- oder Hirnnervenganglien der peripheren Nerven in den Hinterwurzeln des Rücken-marks. Durch Erregung der nozizeptiven Affe-renzen der Nervi nervorum entstehen die nozi-zeptiven Schmerzen. Neuropathische Schmer-zen und Sensibilitätsempfindungen entstehen durch eine Zerstörung von Nervengewebe in-folge der Virusreplikation [1].

Beim Auftreten von Hautveränderungen kommt es dann durch Reizung peripher kuta-ner Nozizeptoren zu einem brennenden, po-chenden Dauerschmerz; weniger häufig sind in dieser Phase Hyperalgesie und Allodynie.

Hervorzuheben ist, dass auch in der Pro-dromalphase bzw. bei der akuten Zosterneu-ralgie neuropathische Schmerzen auftreten, die bei der Schmerztherapie oftmals nicht berücksichtigt werden, da sie vom entzün-dungsbedingten akuten Schmerz überdeckt werden [1, 2].

Nach Abheilung der Hautveränderungen stehen die neuropathischen Schmerzen, zum Beispiel der Berührungsschmerz (mecha-nische Allodynie), der durch einfache mecha-nische Reize ausgelöst wird, im Vordergrund. Bei einigen Patienten kann jedoch auch ein spontaner Dauerschmerz dominieren, wäh-rend wieder andere Patienten sowohl Allo-dynie als auch Dauerschmerzen entwickeln können.

Letztendlich zeigen die aktuellen Kenntnisse der Pathophysiologie, dass die Mechanismen der Schmerzentstehung, die bei der Therapie der postzosterischen Neuralgie berücksichtigt werden müssen, komplex sind [1].

Therapie des Herpes zoster und der PZN Ein wichtiges Ziel der Schmerztherapie beim Herpes zoster besteht darin, neben der Linde-rung der Akutschmerzen eine Minimierung und schnelle Abheilung der Hauterscheinungen zu erreichen und Komplikationen wie die PZN zu verhindern.

Beim akuten Herpes zoster erfolgt dabei neben austrocknenden Maßnahmen (z.B. Franz-branntwein-Einreibung), insbesondere in den oben genannten Risikogruppen, auch eine vi-rostatische Therapie. Für den weiteren Verlauf der Erkrankung entscheidend sind dabei ein frühzeitiger Beginn und ein rasches Erreichen des erforderlichen Wirkspiegels.

Heutzutage werden neben Aciclovir auch Brivudin, Famciclovir und Valaciclovir ange-wendet, wobei diese unterschiedliche Effekte auf den zosterassoziierten Schmerz bzw. die postzosterische Neuralgie zeigen [3–7].

Bei der Behandlung des unkomplizierten Herpes zoster werden Brivudin, Valaciclovir und Famciclovir dem oral verabreichten Aciclo-vir aufgrund ihrer besseren Pharmokokinetik, Bioverfügbarkeit und der einfacheren Appli-kation bevorzugt [1, 3, 5, 7]. Bei komplizierten Verläufen findet eine intravenöse Gabe von Aciclovir Anwendung. Neben der antiviralen Therapie ist auch eine frühzeitige Kombination mit Analgetika sinnvoll, wobei das wichtigste Ziel die Schmerzarmut sein sollte.

Uhrzeit Freitag 27.03.09 (Teil 2) Samstag 28.03.09

7:00

8:00

9:00

10:00

11:00

12:00

13:00

14:00

15:00

16:00

17:00

18:00

19:00

Internet-Café

Spektrum 1+2

Freitag

10:00 bis 18:00

Samstag

10.00 bis 16.00

Frühstücksseminar

Infektionskrankheiten und Schmerz: Borreliose

Conclusio 1+2, 07:00 – 08:20

Freie Vorträge

Session I

Illusion 1+2, 07:00 – 08:20

Freie Vorträge Session II

Illusion 3, 07:00 – 08:20

HOW*Präemptive und postoperative Anal-gesie – eine überholte Hypothese?

Illusion 1+2, 08:30 – 10:00

HOW*SAPV – quo vadis? Casemanage-ment in der Palliativversorgung

Illusion 3, 08:30 – 10:00

Obstipationsprophylaxe in der Schmerztherapie

Illusion 1+2, 10:30 – 12:00

HOW*Verhaltensmodifikation in

der Schmerztherapie

Illusion 3, 08:30 – 10:00

LunchseminarNeues Therapieprinzip für die opi-

oidinduzierte Obstipation

Fantasie 1+2, 12:10 – 13:30

LunchseminarDurchbruchschmerzen: Sublinguales Fentanyl

Spektrum 1+2, 12:10 – 13:30

HOW*Externa in der Therapie von Muskel- /Gelenkschmerzen

Illusion 3, 12:10 – 13:30

HOW*Standardisierte Dokumen-

tation für Algesiologie

Spektrum 1+2, 13:45 – 15:15

HOW*Survival für Schmerztherapeuten – wo-

hin entwickelt sich die Schmerztherapie?

Illusion 3, 13:45 – 15:15

Autosuggestion zur Schmerztherapie

Marriott, 16:00 – 17:00

Abendsymposium

Opiate gestern – heute – morgen Ergebnisse der Konsensuskonferenz

Ruheraum, 19:30

Frühstücksseminar

Onkologie, Palliativmedizin und Schmerztherapie – Hand in Hand?

Fantasie 1+2, 07:30 – 08:50

Frühstücksseminar

Interventionelle Schmerztherapie – Expertenmeinung oder evidenzbasiert?

Conclusio 1+2, 07:30 – 08:50

Freie Vorträge Session III

Illusion 1+2, 07:30 – 08:50

Freie Vorträge Session IV

Illusion 3, 07:30 – 08:50 Plenum BVSD

Harmonie, 08:00 – 09:00

PlenumHerausforderungen in der

Schmerztherapie:

Harmonie, 09:00 – 10:30

Dronabinol zwischen Theorie und Praxis

Illusion 1+2 , 09:00 – 10:30

ALFA- Seminar

Curriculum Algesio- logische

Fach- assistenz

Illusion 3, 10:00 – 15:00

PlenumPerspektiven der modernen

Schmerztherapie

Harmonie, 11:00 – 13:00

Lunchseminar

Differenzialthera- pie mit Triptanen

Fantasie 1+2, 13:10 – 14:30

Lunchseminar

Ganzheitliche und naturheilkundliche

Verfahren Conclusio 1+2, 13:10 – 14:30

HOW* Myofasziale

Schmerz- syndrome

Illusion 3, 13:10 – 14:30

Plenum Gesundheitspolitisches Forum – Hat Schmerztherapie Zukunft?

Round-Table mit Gesundheitspolitikern

Harmonie, 14:00 – 17:00

Im Fokus: 25 Jahre DGS: Schmerztherape heute – alte Glaubenssätze – neues Wissen

Zoster und Schmerz

HOW*Auch Sie können …

z.B. Ihr Einkommen verbessern

Illusion 3, 09:00 – 10:30

Page 18: Schmerztherapie vor neuen Herausforderungen · Schmerztherapie beim Herpes zoster ___16 DGS-Veranstaltungen/Interna _____19 Bio-psycho-soziales Modell Soziale Interaktionen bestimmen

18 SCHMERZTHERAPIE 1/2009 (25. Jg.)

lische Ereignisse und Reizleitungsstörungen am Herzen und Herzinsuffizienz beachtet wer-den müssen.

Lange fanden auch ältere Antikonvulsiva wie Carbamazepin Anwendung in der Thera-pie von Zosterneuralgien. Carbamazepin kann jedoch zahlreiche dermatologische Nebenwir-kungen (Urtikaria, Hypersensitivitätssyndrom, Photosensibilität) mit sich bringen. Daher werden heutzutage Wirkstoffe, wie Gabapen-tin und Pregabalin, bevorzugt [1]. Beide Anti-konvulsiva haben eine gute Wirksamkeit bei postzosterischer Neuralgie und reduzieren den Verbrauch von Opioiden [8]. Bei der Gabe von Gabapentin sind dabei eine langsame Do-sissteigerung und Blutzucker- und Pankreas-enzymkontrollen (Amylase, Lipase) zu beach-

Gemäß der Stufentherapie nach WHO-Kriterien erfolgt bei der Behandlung akuter Zosterschmer-zen zunächst die Gabe von Analgetika, z.B. Paracetamol, oder Antiphlogistika, z.B. Ibupro-fen (Stufe 1). Reichen diese nicht aus, ist der zusätzliche Einsatz von schwach wirksamen Opioidanalgetika, z.B. Tramadol oder Codein, empfehlenswert (Stufe 2). In Stufe 3 werden zu-sätzlich stark wirksame Opioide angewandt.

Bei ausgeprägter Schmerzsymptomatik ist eine weitere Kombination mit trizyklischen Antidepressiva (TCA) wie Amitriptylin ratsam, wobei Nebenwirkungen wie z.B. Schläfrigkeit, Mundtrockenheit, Gedächtnisstörungen, ortho-statische Dysregulation und Kontraindikationen wie z.B. Glaukom, Pylorusstenose, Prostata-hypertrophie, anamnestische thromboembo-

Phase 1 Akute Zosterneuralgie

Prodromalneuralgie bis 30 Tage nach Auftreten der ersten Hautveränderungen.

Phase 2 Subakute Zosterneuralgie

Entspricht dem �. bis �. Monat nach Auftreten der ersten Hautveränderungen.

Phase 3 Chronische Zosterneuralgie

Neuralgie, die � Monate nach Auftreten der ersten Hautläsionen weiterbesteht und Jahre anhalten kann.

Tab. 1: Definition der Zosterneuralgie

Abb. 1: Herpes zoster: gruppiert stehende Bläschen auf erythematösem Grund.

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st

ten. Eine Kombination von Antikonvulsiva und Antidepressiva ist möglich [9].

Zusammenfassend besteht die aktuelle The-rapie der postzosterischen Neuralgie daher aus trizyklischen Antidepressiva (z.B. Amitriptylin), Antikonvulsiva (z.B. Gabapentin) und starken Opioiden, jeweils als Monotherapie bzw. als Kombinationstherapie einsetzbar [7].

Neben diesen systemischen Therapiemög-lichkeiten existieren auch Lokalmaßnahmen wie die Gabe von Capsaicin (als 0,025–0,1%-ige Salbe, viermal täglich), 5%iges Lidocain-Hydrogel-Pflaster oder 5%ige Lidocain-Prilo-cain-Creme (alle vier bis sechs Stunden). Auch Sympathikusblockaden mit Lokalanästhetika finden Anwendung und zeigen einen positiven Effekt bei der akuten Zosterneuralgie.

Capsaicin wirkt an spezifischen Vanilloid-Rezeptoren auf nicht myeliniserte nozizeptive C-Fasern durch Depolarisation der Axonendi-gungen, Blockade der Erregungsleitung, Ent-leerung zahlreicher Neuropeptide (u.a. Sub-stanz P, CGRP) und Reduktion von C-Fasern [10], wodurch initial eine Schmerzverstärkung und sekundär nach vier Wochen eine nachge-wiesene Schmerzreduktion eintritt. Aufgrund des typischen Brennens beim Auftragen (initi-ale Schmerzverstärkung) wird die Therapie von vielen Patienten abgebrochen; daher ist das Auftragen einer Benzocain- oder Lidocain-Pri-locain-Creme ca. eine Woche lang 30 Minuten vor Capsaicinanwendung sinnvoll.

Der Einsatz von Kortikosteroiden wird un-terschiedlich beurteilt. Durch ihre Anwendung können Akutschmerzen reduziert und eine Abkürzung der Analgetikaeinnahme erreicht werden, signifikante Effekte auf die Dauer der postzosterischen Neuralgie finden sich aber nicht [1]. Weiterhin ist der Einfluss der Varizel-lenimpfung auf das Auftreten und den Verlauf des Herpes zoster und der PZN unklar [1].

Fazit

Der frühzeitige Einsatz von Virustatika in der Akutbehandlung des Zosters reduziert das Auftreten der postzosterischen Neuralgie (PZN). Dennoch kann das Auftreten der PZN nicht bei allen Patienten verhindert werden. Eine optimale Schmerztherapie der akuten Zosterschmerzen beeinflusst den Verlauf der PZN günstig. Daher sollte eine frühzeitige effi-ziente patientenadaptierte Schmerztherapie erfolgen. Hierbei kommen neben Antikonvulsi-va, trizyklischen Antidepressiva und Opioiden auch Lokalmaßnahmen wie Lidocain und Cap-saicin sowie Nervenblockaden zum Einsatz. ■ Literatur bei den Verfassern

Stephanie Soost, Berlin

Zoster und Schmerz

Liegen keine Hinweise auf eine spinale Ursache vor, ist die bildgebende Diagnostik bei Rücken-schmerzen wenig hilfreich und überflüssig. Ärzte sollten daher vom routinemäßigen Einsatz von bildgebender Diagnostik (Röntgen, Computerto-mogramm und Kernspintomografie) bei Rücken-schmerzen absehen. Dies folgern R. Chou et al. aufgrund einer systematischen Übersicht und einer Metaanalyse von randomisierten kontrol-lierten Studien, die den Einsatz der bildgebenden Diagnostik mit herkömmlichen klinischen Versor-gungsmaßnahmen verglichen. Berücksichtigt

wurden sechs Studien mit mehr als 1800 Pati-enten. Die beiden Gruppen waren sowohl nach drei Monaten als auch nach sechs bis zwölf Mo-naten in ihren Ergebnissen in puncto Schmerz und Funktion vergleichbar. Die amerikanischen Experten fordern aufgrund dieser Daten eine nachhaltige Aufklärung der Patienten mit Rü-ckenschmerzen, um eine unnötige Bildgebung künftig zu vermeiden.

R. Chou et al. Imaging strategies for low-back pain: systematic review and meta-analysis. Lancet �009;3�3:�63–���.

Internationale Presse

Bildgebende Diagnostik bei Rückenschmerz meist überflüssig

Page 19: Schmerztherapie vor neuen Herausforderungen · Schmerztherapie beim Herpes zoster ___16 DGS-Veranstaltungen/Interna _____19 Bio-psycho-soziales Modell Soziale Interaktionen bestimmen

19SCHMERZTHERAPIE 1/2009 (25. Jg.)

DGS-VeranstaltungenWeitere Informationen zu den Seminaren erhalten Sie über die Geschäftsstelle des DGS Oberursel: Tel.: 06171/286060, Fax: 06171/286069, E-Mail: [email protected] aktuellsten Informationen zu den Veranstaltungen und den Details finden Sie im Internet unter www.dgschmerztherapie.de mit der Möglichkeit der Onlineanmeldung.

û Die Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie e.V. bietet mit über 200 regionalen Praxis-Seminaren und Curricula in etwa 120 regionalen Schmerzzentren auch im Jahr 2009 ein umfang-reiches Fort- und Weiterbildungsprogramm für alle an der Schmerztherapie interessierten Ärzte, Psychologen und medizinischen Assistenzberufe an. Neben Grundlagenwissen stehen praktische Entwicklungen in Klinik und Praxis im Mittelpunkt. Die verbandsinternen Qualifikationen Algesio-logie, Schwerpunkt Schmerztherapie sowie Schwerpunkt Palliativmedizin sind Grundlage für Ver-gütungsregelungen im Rahmen des EBM. Darum sind die entsprechenden Angebote darauf aus-

gerichtet.Viele der im Kalender aufgeführten Fortbildungsveranstaltungen

sind Voraussetzung für den Nachweis verschiedener Qualifikatio-nen wie z.B. die Zusatzbezeichnung „Spezielle Schmerztherapie“ sowie für die Teilnahme an der Qualitätssicherungsvereinbarung Schmerztherapie (§ 135 SGB V). Hierzu werden die von allen Landesärztekammern anerkannten Seminarreihen Curriculum Spezielle Schmerztherapie, Block A bis C angeboten.

Der Kalender mit den Fortbildungsveranstaltungen 2009 infor-miert umfassend über dieses Angebot. Enthalten ist auch eine aktuelle Übersicht über die regionalen Schmerzzentren der Deut-schen Gesellschaft für Schmerztherapie e. V. Der Kalender kann bei der Geschäftsstelle angefordert werden. StK

Sport in der Schmerztherapie01.04.2009 in Berlin; Regionales Schmerzzentrum DGS Berlin-Mitte

Multiprofessioneller Gesprächskreis QZ Palliativ-medizin Siegen01.04.2009 in Siegen; Regionales Schmerzzentrum DGS-Siegen

CME – Update Schmerz: Aktuelles zu Strategien in der Rheumatherapie06.04.2009 in Ludwigshafen; Regionales Schmerz-zentrum DGS-Ludwigshafen

Kindliche Migräne – Medizinische Therapie, Biofeedback08.04.2009 in Chemnitz; Regionales Schmerzzentrum DGS-Chemnitz

Bringen uns Tierversuche in der Schmerzforschung weiter?17.04.2009 in Wismar; Regionales Schmerzzentrum DGS-Wismar

Interdisziplinäres Schmerzforum Siegen – ISS21.04.2009 in Siegen; Regionales Schmerzzentrum DGS-Siegen

Einsatz von Opiaten bei Nicht-Tumorschmerz22.04.2009 in Dinslaken; Regionales Schmerzzentrum DGS-Dinslaken

Praxisseminar Palliativmedizin – Schmerz und Symp-tomkontrolle, pflegerische Aspekte, praktische Um-setzung in der Region22.04.2009 in Leipzig; Regionales Schmerzzentrum DGS-Leipzig

Biofeedback / Neurofeedback 22.04.2009 in Münster; Regionales Schmerzzentrum DGS-Münster

1. Chronifizierungsprozesse bei Schmerzen; 2. Differenzialdiagnostik nächtlicher Beinschmerzen 29.04.2009 in Hechingen; Regionales Schmerzzentrum DGS-Albstadt

Palliativmedizin – Symptomkontrolle (Fallbeispiele)29.04.2009 in Halle; Regionales Schmerzzentrum DGS-Halle Saale

Neurochirurgische Schmerztherapie gestern und heute29.04.2009 in Bielefeld; Regionales Schmerzzentrum DGS-Herford

Update Kopfschmerz29.04.2009 in Herne; Regionales Schmerzzentrum DGS-Herne

Mai 2009

CME – Update Schmerz: Neuropathische Schmerzen – Das Leid der Diagnostik04.05.2009 in Ludwigshafen; Regionales Schmerzzen-trum DGS-Ludwigshafen

April 2009Curriculum Algesiologische Fachassistenz – Kursteil 2/108.05.– 09.05.2009 in Kassel; Geschäftsstelle DGS

Akupunktur-Ausbildung: Zusatzbezeichnung Akupunktur Aku D (24 UE)08.05.–10.05.2009 in Bad Bergzabern; Regionales Schmerzzentrum DGS-Bad Bergzabern

Kopfschmerzen – Diagnostik und Therapie bei Funk-tionsstörungen der HWS und der Muskulatur08.05.–10.05.2009 in Göppingen; Regionales Schmerz-zentrum DGS-Göppingen

Aktueller Fortbildungskalender 2009 erschienen

Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie e.V.German Pain Association · Sociéte Allemande de la Douleur

Fortbildungskalender2009

DGS Termine / Nachrichten

DGS – Zentrum Essen Wir begrüßen Dr. med. Astrid Gendolla, Ärztin für Neurologie, Zusatz-bezeichnung Spezielle Schmerztherapie und Psychotherapie, Alge-siologin DGS, als neue Leiterin des DGS-Zen-trums Essen. Sie ist niedergelassene Neu-rologin und Schmerztherapeutin in Essen sowie Regionalbeauftragte der DMKG.

DGS – Zentrum Berlin/MitteWir begrüßen Dr. med. Ludwig Weh, Facharzt für Orthopädie, Fach-arzt für Physikalische und Rehabilitative Me-dizin, mit den Zusatz-bezeichnungen Spezi-elle Schmerztherapie, Chirotherapie, Physi-kalische Therapie, Sportmedizin, Sozialmedizin, Algesiologe DGS als neuen DGS-Leiter des regionalen DGS-Zentrums Berlin-Mitte. Schwerpunkte: Interdisziplinäre Therapie chronischer Rückenschmerzen, wissen-schaftliche Begleitung und Auswertung. Angewandte Verfahren: Chirotherapie, PRT, Pharmakotherapie.

Astrid Gendolla, Essen

Neue DGS-Leiter

Ludwig Weh, Berlin

Page 20: Schmerztherapie vor neuen Herausforderungen · Schmerztherapie beim Herpes zoster ___16 DGS-Veranstaltungen/Interna _____19 Bio-psycho-soziales Modell Soziale Interaktionen bestimmen

�0 SCHMERZTHERAPIE 1/2009 (25. Jg.)

Langfristig bestimmen soziale Interaktionen den Verlauf chronischer Schmerzen mitDas bio-psycho-soziale Krankheits- und Behandlungsmodell entwickelte sich vor über 30 Jahren und stellte damals einen Paradigmawechsel dar. Der Schwerpunkt der Schmerzforschung richtete sich dennoch weiterhin auf die biologischen Struk-turen und Prozesse der Nozizeption, obwohl soziale Interaktionen den Verlauf chronischer Schmerzen maßgebend bestimmen, vermerkt Priv.-Doz. Dr. med. Roland Wörz, DGS-Leiter, Bad Schönborn.

S chon bei der ersten Jahrestagung der Ge-sellschaft zum Studium des Schmerzes

für Deutschland, Österreich und die Schweiz 1976 wurde festgestellt: „Bei chronischem und unerträglichem Kreuzschmerz sind gewöhnlich sowohl organische als auch psychosoziale Fak-toren an der Erkrankung beteiligt“ [4], und es wurde auf interaktive Prozesse hingewiesen. Die in Psychiatrie und Psychosomatik nun seit über 100 Jahren bekannte multidimensionale Betrachtungsweise wurde auch für die Diagno-se und Bewertung von chronischen Schmerz-syndromen anstelle der monokausalen Erklä-rungsform empfohlen.

Ein Komitee der International Association for the Study of Pain (IASP) definierte Schmerz 1979 als „eine unangenehme sensorische oder emotionale Erfahrung, die mit aktueller oder potenzieller Gewebeschädigung assoziiert ist oder mit Begriffen einer solchen Schädigung be-schrieben wird“ [3]. Die prinzipielle Verschieden-heit von „Nozizeption“ und „Schmerz“, welche nicht vermischt werden sollten, weil sie jeweils voneinander unabhängig vorkommen können, wurde von der IASP 2008 unterstrichen [1].

Schmerz ist eine Bewusstseins- erscheinungIn der Wahrnehmung von Schmerz, also einem Bewusstseinsinhalt, wird die riesige Menge einlaufender Informationen aus der Umwelt oder dem eigenen Organismus durch die vor-gegebene selektive Struktur von Sinnesor-ganen mit den funktionellen Nachfolgeereig-nissen stark reduziert und zentralnervös in einem kohärenten Prozess zum ganzheitlichen, subjektiven Erleben verarbeitet.

Neben der Erlebnisqualität ist die Inten- tionalität, d.h. das Gerichtetsein ein weiteres Charakteristikum. In Wahrnehmung, Ausge-staltung und Schmerzverhalten gehen die Bedeutung der Situation, die Auswirkungen von Erfahrungen, Lernprozessen in der Ver-gangenheit und zukunftsbezogene Vorstel-lungen ein.Erhebliche Beachtung fanden

psychologische Lern- und Gedächtnisstudien mit Erklärungsrelevanz für wichtige Schmerz-syndrome, nämlich das pawlowsche Konditi-onieren, Lernen am Erfolg (instrumentelles Konditionieren) und Lernen durch Imitation (am Modell). Allerdings wurden die unter der Bewusstseinsschwelle liegenden soge-nannten prozeduralen, nicht deklarativen und die bewussten, deklarativen oder expliziten Prozesse und Strukturveränderungen meist nicht getrennt, sondern undifferenziert als „Schmerzgedächtnis“ subsumiert.

Dysfunktionale Bewältigungs- mechanismenNeben dem physiologischen Vermeidungsver-halten nach einer erlittenen Schädigung, der „Harm Avoidance“ („gebranntes Kind scheut das Feuer“) zeigten viele Untersuchungen eine noch größere Bedeutung der „Fear Avoidance“, der Vermeidung von Furcht vor schmerzhaft erlebten Schädigungen, für den weiteren Ver-lauf der Schmerzkrankheit.

Die Bedeutung von „Fear Avoidance“ wurde schon in den 1980er Jahren bei Schmerzpati-enten erkannt. Eine erhebliche Zahl späterer Untersuchungen ergab übereinstimmend, dass es sich um einen sehr wichtigen dysfunk-tionalen Coping-Mechanismus handelt. Er hat also nachteilige Folgen für die Betroffenen. Weitere dysfunktionale Verhaltensweisen sind schmerzbezogene Inaktivität und vor allem das ebenfalls schon in den 1980er-Jahren erkann-te „Katastrophisieren“, d.h. Befürchtungen wie „es wird immer schlimmer, niemand kann hel-fen, das endet in einer Katastrophe“.

Zu diesen Vorstellungen kommen Aus-drucksformen in Mimik, Gestik, motorischem Verhalten und Klagsamkeit mit Appellcharak-ter. Inhaltliche Mitteilungen können durch nicht sprachliche Leidensbekundungen ergänzt und bekräftigt werden, sich an die Empathie des Gegenüber in teilbewusster oder klarer Absicht richten und dessen Mitleid, Hilfe und Unterstüt-zung fordern.

Komplexität auf sozialer EbeneAus der ursprünglich kognitiven, also intra-psychischen Betrach-tung von Katastrophi-sieren entwickelte sich die Erweiterung in die kommunikative Ebene mit Rückmeldung, Be-kräftigung oder Abwei-sung durch Bezugs-personen in Familie und Berufsleben.

Soziale Interaktionen sind entsprechend gerade bei Schmerzpatienten nicht eingleisig und schon gar nicht linear aufzufassen, son-dern als potenziell gegenläufige Prozesse in Komplexität. Schon in der Kind-Mutter-Bezie-hung können Schmerzäußerungen zu Sorge und Zuwendung, zu schützendem Verhalten oder aber zu Verärgerung und Aggressivität bis hin zur Isolierung führen.

Zuwendung muss für das Kind nicht immer gut sein. Bei Übertreibung kann gut gemeinte Fürsorge über instrumentelles Lernen patholo-gische Verhaltensweisen fördern. Anhaltendes Katastrophisieren der Betroffenen erhöht nicht nur das Schmerzerleben selbst. Es verstärkt auch abnormales Verhalten und Beeinträchti-gungen. Schonverhalten kann die Leistungs-fähigkeit verringern und sozialer Rückzug die Tagesstruktur aufheben.

Schmerzerleben und Schmerzäußerungen sind also nicht nur intrapsychische, an das Bewusstsein gebundene Seinsweisen. Wenn sie die soziale Ebene erreichen, über Lern-prozesse bekräftigt und über Inaktivität ge-fördert werden, kann sich eine fatale Spirale zum Nachteil der Betroffenen bei durchaus gutwilligem Bemühen aller Interaktionspartner entwickeln.

Eigenständigkeit des sozialen LebensSozialsysteme sind definitionsgemäß komplex, denn die menschliche Kommunikation erfordert mindestens zwei Personen. Soziale Systeme besitzen nach modernen soziologischen Theo-rien eine Eigenfunktionalität [2], wenngleich sie auf biologischen Strukturen und dem Bewusst-sein als Voraussetzungen beruhen. Nach N. Luhmann (1984) sind psychische und soziale Systeme in Koevolution entstanden. Beide kön-nen zwar ohne biologische Basis nicht existie-ren, haben jedoch Eigengesetzlichkeit. Soziale

Roland Wörz, Bad Schönborn

Bio-psycho-soziales Modell

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�1SCHMERZTHERAPIE 1/2009 (25. Jg.)

Systeme arbeiten über Kommunikation, über die Dreiheit von Information (Nachricht, Signal, Verringerung von Komplexität), Mitteilung über eine ausgewählte, z. B. verbale oder nicht sprachliche Verhaltensweise und dem Verste-hen in mehr oder weniger ausgeprägter Klar-heit. Über Bedeutungszuerteilung und Bewer-tung, Relevanz oder Irrelevanz wird die über-mittelte Information angenommen oder abge-lehnt, aufgeschoben oder modifiziert.

Daraus ergeben sich gerade in der langfris-tigen Behandlungssituation bei Patienten mit intermittierenden oder chronischen Schmerzu-ständen ganz wesentliche Einflussmaßnahmen

auf den Verlauf. Begriffe wie Compliance und Coherence werden in der Fachliteratur zuneh-mend aktualisiert und diskutiert. Zusammen-fassend finden wir auf den drei Ebenen des biologischen Lebens, des Bewusstseins und im sozialen Bereich jeweils komplexe Verhält-nisse, die nur in einem schmalen Anknüpfungs-bereich miteinander verbunden sind.

Das konventionelle patriarchalische Arzt-Patienten-Verhältnis, das bei akuten Schä-digungen und Erkrankungen aufgrund des überlegenen Fachwissens und Könnens des Arztes angemessen ist und in aller Regel vom Patienten angenommen wird, funktioniert bei

chronischen Verläufen mit letztlich unheil-baren Erkrankungen weniger zuverlässig. Es ist durch partnerschaftliche Zusammenarbeit auf gleicher Augenhöhe zu ersetzen, zumal sich wissbegierige chronische Schmerz-patienten über elektronische Medien und Selbsthilfeverbände selbst zu Experten ihrer Erkrankungen (wie z.B. Fibromyalgie) entwi-ckeln können. ■

Literatur beim Verfasser

Roland Wörz, Bad Schönborn

men bei Krankenhäusern mit zu erwartenden Budgetzuwächsen, Krankenhäuser mit konver-genzbedingten Budgetminderungen erhalten diese halbiert. Mehrleistungen der Kranken-häuser, die für das Jahr 2009 nicht vereinbart wurden, sind mit Preisnachlässen der Kran-kenhäuser gekoppelt, welche allerdings mit den Kassen verhandelt werden können. Hier-bei ist auch das Anrufen der Schiedsstelle weiterhin möglich.

Bundesweiter Basisfall- korridor

Das DRG-System wird weiterentwickelt. Bis zum Jahr 2015 sollen die Landesbasisfallwerte auf einen bundesweiten Basisfallkorridor ange-nähert werden, was wiederum zu Mehr- oder Minderbelastung von Krankenhäusern führt. Dem DRG-System angenähert wird ab 2013 das Vergütungssystem für Leistungen der Psychiatrie und Psychosomatik, wobei von

A uf der Grundlage des Krankenhausfinan-zierungsreformgesetzes (KHRG), das

der Bundestag Ende vergangenen Jahres ver-abschiedete, stehen den deutschen Kranken-häusern im Jahr 2009 zusätzliche 3,5 Milliar-den Euro, bereitgestellt durch die Krankenkas-sen, zur Verfügung. Diese Summe wurde bei der Festlegung des einheitlichen Beitrags-satzes veranschlagt. Die für die Jahre 2008 und 2009 tarifvertraglich vereinbarten Lohn-steigerungen in den Kliniken werden zu 50% durch die Krankenkassen refinanziert. Mit einem Förderprogramm, in welchem der Ei-genanteil der Krankenhäuser 10% beträgt, sollen 17 000 neue Stellen im Bereich der Pfle-ge geschaffen werden.

Bei Einführung des DRG-Systems im Jahr 2003 erhielten unterschiedliche Kliniken für die gleichen Leistungen eine differierende Finan-zierung, bedingt durch die klinikindividuellen Basisfallwerte, deren Grundlage die Kran-kenhausbudgets des Jahres 2002 waren. Das Prinzip – gleiches Geld für gleiche Leistung – soll mit einer Konvergenzphase durchgesetzt werden, welche 2008 beendet sein sollte. Diese Konvergenzphase des DRG-Systems wird nun um ein Jahr verlängert. Damit halbie-ren sich die konvergenzbedingten Mehreinnah-

Ina Broß, Lünen

Neue Bedingungen im Krankenhaus – einfacher wird es nicht!Was ändert sich durch das Krankenhausfinanzierungsreformgesetz (KHRG) und im DRG-System für die Behandlung chronisch schmerzkranker Patienten? Wenig ermutigende Auswirkungen skizzieren Dr. Eberhard Albert Lux, Chefarzt der Klinik für Schmerz- und Palliativmedizin, und Ina Broß, Fachärztin für Chirurgie, Medizin-Controlling, beide Klinik St.-Marien-Hospital, Lünen. Eberhard A. Lux,

Lünen

DRG Bezeichnung Relativ- gewicht

Erlös bei Basisfallwert

�600 �

Mittlere VWD

Z��Z Multimodale Schmerztherapie bei Faktoren, die den Gesundheitszustand beeinflussen, und an-derer Inanspruchnahme des Gesundheitswesens

1,��6 331�,600 1�,8

I��Z Multimodale Schmerztherapie bei Krankheiten und Störungen an Muskel-Skelett-System und Bindegewebe

1,186 3083,600 13,�

B��Z Multimodale Schmerztherapie bei Krankheiten und Störungen des Nervensystems

1,�35 3�31,000 1�,1

U��Z Multimodale Schmerztherapie bei psychischen Krankheiten und Störungen

Kranken-haus-

individuell

Kranken-haus-

individuell

Kranken-haus-

individuell

Tab. 1: Neu im OPS-Katalog sind OPS 8-91b und OPS 8-91c

Bio-psycho-soziales Modell / DRG und KHRG

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�� SCHMERZTHERAPIE 1/2009 (25. Jg.)

den bisher zu berechnenden ta-gesgleichen Pflegesätzen pau-schalierte und tagesbezogene Vergütungssätze eingeführt wer-den.

Inwieweit geplante Aktivitäten zum Aufbau bzw. Erhalt oder Aus-bau bestehender schmerzthera-peutischer Strukturen in Kranken-häusern von den neu eingeführten Regelungen profitieren, kann nur in der konkreten Situation vor Ort abgeschätzt werden.

Erweiterter OPS-KatalogBeachtenswert sind jedoch die erweiterten Inhalte im OPS-Kata-log für das Jahr 2009. Die nicht abrechungsrelevante OPS Akut-schmerzbehandlung bleibt unver-ändert bestehen.

OPS 8-918 Multimodale SchmerztherapieMindestens siebentägige interdis-ziplinäre Behandlung von Pati-enten mit chronischen Schmerzzuständen (einschließlich Tumorschmerzen) unter Einbe-ziehung von mindestens zwei Fachdisziplinen, davon eine psychiatrische, psychosomatische oder psychologische Disziplin, nach festge-legtem Behandlungsplan mit ärztlicher Be-handlungsleitung bei Patienten zu kodieren, die mindestens drei der nachfolgenden Merk-male aufweisen:■ Manifeste oder drohende Beeinträchtigung der Lebensqualität und/oder der Arbeitsfähig-keit■ Fehlschlag einer vorherigen unimodalen Schmerztherapie, eines schmerzbedingten operativen Eingriffs oder einer Entzugsbe-handlung■ Bestehende(r) Medikamentenabhängigkeit oder -fehlgebrauch■ Schmerzunterhaltende psychische Begleiter-krankung■ Gravierende somatische Begleiterkrankung.Erforderlich sind:1. Interdisziplinäre Diagnostik durch mindes-

tens zwei Fachdisziplinen (obligatorisch eine psychiatrische, psychosomatische oder psychologische Disziplin)

2. Anwendung von mindestens drei der fol-genden aktiven Therapieverfahren: Psycho-therapie, spezielle Physiotherapie, Entspan-nungsverfahren, Ergotherapie, medizinische Trainingstherapie, sensomotorisches Trai-ning, Arbeitsplatz-Training, künstlerische Therapie (Kunst- oder Musiktherapie) oder sonstige übende Therapien. Die Therapie-

einheiten umfassen durchschnittlich 30 Mi-nuten. Zusätzlich: Überprüfung des Behand-lungsverlaufs durch ein standardisiertes therapeutisches Assessment, eine tägliche Visite oder Teambesprechung und eine in-terdisziplinäre wöchentliche Teambespre-chung.

Wie bereits vorbestehend erfolgt eine Differen-zierung des OPS durch die Behandlungsdauer (7 bis 13, 14 bis 20, über 21 Behandlungstage). Diese wird jedoch nochmals differenziert durch die erbrachten „Therapieeinheiten“, bei län-gerem Verweilen des Patienten werden auch die psychotherapeutischen Behandlungsver-fahren differenziert. Eine finanzielle Differen-zierung anhand der Verweildauer findet jedoch nicht statt.

Voraussetzung für eine sachgerechte und Erfolg versprechende Abrechnung der multi-modalen Schmerztherapie ist jetzt ein konse-quentes Erfassen der geleisteten Therapieein-heiten mit Zeitangabe und Inhalt.

FinanzierungCW-Wert entsprechend der Schwere des er-krankten Patienten, mindestens jedoch ... �.

OPS 8-91b Multimodale schmerzthera-peutische KurzzeitbehandlungDiese Prozedur wird als Therapieerprobung nach einer multidisziplinären algesiologischen Diagnostik (1-910) oder als Therapiestabilisie-rung nach einer multimodalen Schmerzthera-pie (8-918 ff.) durchgeführt.

Mindestmerkmale:■ Behandlung unter Leitung eines Arztes mit der Zusatz-weiterbildung „Spezielle Schmerztherapie“■ Die Behandlungsdauer be-trägt maximal sechs Tage■ Interdisziplinäre Teambe-sprechung zum Therapiever-lauf■ Einbeziehung von mindes-tens drei therapeutischen Disziplinen, davon eine psy-chiatrische, psychosoma-tische oder psychologische Fachdisziplin mit gleichzei-tiger Anwendung von mindes-tens drei der folgenden ak-tiven Therapieverfahren: Psy-chotherapie (Verhaltensthera-pie), spezielle Physiothera-pie, Entspannungsverfahren, Ergotheapie, medizinische Trainingstherapie, sensomo-torisches Training, Arbeits-platztraining, künstlerische

Therapie (Kunst- oder Musiktherapie) oder sonstige übende Therapien in patientenbezo-genen unterschiedlichen Kombinationen.

FinanzierungDieser OPS-Code führt im Jahr 2009 in keine DRG, ist also nicht abrechnungsrelevant, eine Erlösrelevanz ist frühestens für das Jahr 2010 zu erwarten.

OPS 8-91c Teilstationäre multimodale SchmerztherapieJeder teilstationäre schmerztherapeutische Be-handlungstag, an dem die nachfolgenden Be-dingungen erfüllt werden, ist einzeln zu kodie-ren. Die multimodale algesiologische Diagnostik kann mit dem Code 1-910 verschlüsselt werden, wenn die dort angegebenen Bedingungen erfüllt sind.Mindestmerkmale:■ Vor Beginn der teilstationären multimodalen Schmerztherapie wurde eine multidisziplinäre algesiologische Diagnostik unter Mitarbeit von mindestens zwei Fachdisziplinen (davon eine psychiatrische, psychosomatische oder psychologische Disziplin) mit psychome-trischer und physischer Funktionstestung und abschließender Teambesprechung abge-schlossen.■ Teamintegrierte Behandlung chronischer Schmerzpatienten unter fachärztlicher Behand-lungsleitung nach festgelegtem Behandlungs-plan. Zum Team gehört ein ärztlicher oder psy-chologischer Psychotherapeut.

DRG und KHRG

Page 23: Schmerztherapie vor neuen Herausforderungen · Schmerztherapie beim Herpes zoster ___16 DGS-Veranstaltungen/Interna _____19 Bio-psycho-soziales Modell Soziale Interaktionen bestimmen

�3SCHMERZTHERAPIE 1/2009 (25. Jg.)

Zur weiteren Spezifizierung der notwendigen Voraussetzungen und Inhalte sei auf den OPS-Katalog verwiesen.

FinanzierungEine teilstationäre DRG für die multimodale Schmerztherapie gibt es im Jahr 2009 noch nicht. Der Code kann für teilstationäre Fälle codiert werden, ist jedoch nicht erlösrelevant. Ob es im Jahr 2010 eine entsprechende DRG geben wird, bleibt abzuwarten. Bisher war die Datenbasis aufgrund der Kalkulationsdaten des InEK (Institut für das Entgeltsystem im

Die Schmerzkonferenz am KrankenhausInterdisziplinäre fachgruppenübergreifende Schmerzkonferenzen gehören durch die Arbeit der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie zu einem etablierten Quali-tätsmerkmal schmerztherapeutischer Einrichtungen. Sie finden nicht nur Berück-sichtigung in der Qualitätssicherungsvereinbarung, sondern auch im neuen EBM. An Krankenhäusern sind diese Konferenzen ebenso notwendig und sinnvoll und im DRG-System auch vergütungsrelevant, schildert Dr. med. Thomas Cegla, DGS-Leiter Wuppertal.

S chmerzkonferenzen können helfen, die Versorgungssituation stationärer Pati-

enten zu verbessern. Schon vor einem opera-tiven Eingriff können Patienten, die mit chro-nischen Schmerzen in die Klinik kommen, hier vorgestellt werden, und kann die postoperative Schmerztherapie interdisziplinär und fachgrup-penübergreifend geplant werden. Weitere Mög-lichkeiten bestehen in der direkten Vorstellung von Patienten mit problematischen Schmerz-zuständen. Auch hier ist die Therapieabspra-che schneller möglich, als dies durch Konsile zu handhaben wäre. Bei der Betreuung chro-nisch schmerzkranker Patienten, die zu einem stationären Aufenthalt in einer Klinik sind, ist solch eine Kon-ferenz auch vergütungsrelevant.

Standardisiertes Assessment im DRG-System gefordert Die fallbezogene pauschalisierte Vergütung im stationären Bereich über das DRG-System (Diagnosis related group system) und hier über den OPS 8-918 für die multimodale Schmerztherapie fordert ein standar-disiertes Assessment mit Teambe-sprechung; dies ist nichts anderes als die Schmerzkonferenz. An dieser müssen alle an der Behandlung Be-

teiligten teilnehmen. Dies sind der behand-lungsführende Arzt mit der Zusatzbezeichnung „Spezielle Schmerztherapie“, weitere Fach-ärzte unterschiedlicher Disziplinen, zwingend aus dem Bereich der psychosomatischen Me-dizin, Psychotherapie oder Psychologie, Phy-siotherapeutInnen, ErgotherapeutInnen, alge-siologische FachassistentInnen und Schwes-tern/Pfleger der speziellen schmerztherapeu-tischen Einrichtung. Diese beraten über not-wendige diagnostische Maßnahmen, den vor-handenen Behandlungsplan und kontrollieren in weiteren Konferenzen den Therapieerfolg.

Obligate DokumentationDie Dokumentation der Konferenzen ist zwin-gend notwendig. Ge-fordert wird eine indivi-duelle Dokumentation pro Patient, aus der die Teilnehmer und thera-peutischen Maßnah-men hervorgehen. Der Dokumentationsaufwand kann enorm sein und sogar den Konferenzablauf stören. Hier sind einheitliche Regelungen mit dem medizi-nischen Dienst der Krankenkassen wünschens-wert. Dieser hat auf Anfrage immer wieder die angesetzten Komplexpauschalen zu überprüfen und tut dies anhand der Aktenlage. Unvollstän-dig dokumentierte Schmerzkonferenzen führen dabei zur Streichung der Komplexziffer.

Für eine bessere Kommunikation mit dem medizinischen Dienst der Krankenkassen ist es notwendig, dort kompetente Ansprech-

partner zu finden, die ebenfalls die Zusatzbezeichnung „Spezielle Schmerztherapie“ besitzen, sich weiter schmerztherapeutisch fort-bilden und selbst die Teilnahme an Schmerzkonferenzen vorweisen können. Erst dann kann man eine Prüfung des medizinischen Diens-tes als glaubwürdig bezeichnen.

Zusammenfassend führen inter-disziplinäre Schmerzkonferenzen zu einer Verbesserung der in der klinischen Zusammenarbeit Täti-gen und damit zu einer Verbesse-rung der schmerztherapeutischen Versorgung in Krankenhäusern. ■

Thomas Cegla, WuppertalRege Beteiligung bei einer interdisziplinären Schmerzkonferenz.

Thomas Cegla, Wuppertal

Krankenhaus) für teilstationäre Leistungen sehr uneinheitlich, sodass es außer der teilsta-tionären geriatrischen Komplextherapie und der teilstationären Dialyse keine abrechen-baren DRGs gibt, obwohl dies vom Gesetzge-ber durchaus gewollt ist.

ZusammenfassungDer finanzielle Spielraum der Kliniken zur Er-bringung spezialisierter schmerztherapeu-tischer Leistungen ist für 2009 kaum verän-dert. Die Abrechnungsmodalitäten im DRG-System sind für stationär zu erbringende,

schmerztherapeutische Leistungen für 2009 weiter differenziert worden und stellen hohe Anforderungen an die Dokumentation als Vo-raussetzung der sachgerechten und erfolg-reichen Abrechnung. Nicht abrechnungsrele-vante OPS sollten wir dennoch dokumentie-ren. Wir unterstreichen damit die Notwen- digkeit der weiteren Finanzierung erbrachter schmerztherapeutischer Leistungen. ■

Eberhard Albert Lux und Ina Broß, Lünen

DRG und KHRG

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�� SCHMERZTHERAPIE 1/2009 (25. Jg.)

Luftnummer, Durchbruch oder doch Einbruch für Schmerztherapeuten?Während die KBV nicht müde wird, die Vorteile der Honorarreform �009 zu prei-sen, hat sich zurzeit bei vielen schmerztherapeutisch arbeitenden Kollegen ein-mal wieder die anfängliche Unsicherheit in Frust gewandelt, kritisiert Dr. med. Hubertus Kayser, DGS-Leiter Bremen und Präsidiumsmitglied BVSD.

F ür die Schmerztherapie standen die Zeichen zunächst gar nicht so schlecht. So wird in

der Anlage 1 zum Teil F des Beschlusses des Erweiterten Bewertungsausschusses gemäß § 87 Abs. V zur Neuordnung der vertragsärzt-lichen Vergütung vom 27. und 28. August 2008 deutlich, dass „ausschließlich schmerztherapeu-tisch tätigen Vertragsärzten gemäß der entspre-chenden QSV“ ein eigenes Regelleistungsvolu-men (RLV) zukommt. Inzwischen ist festgelegt, dass es sich dabei um diejenigen Ärzte handeln soll, die die Zulassung der Abrechnung 30704 haben, d.h. mindestens zu 75% schmerzthera-peutisch tätig sind. Diese Kollegen sind somit anderen Facharztgruppen gleichgestellt.

Dies ist insofern ein Durchbruch, als die für die Schmerztherapie erforderliche Leis-tungsdichte erstmals nicht mehr von der Zuge-hörigkeit zum jeweiligen Herkunftsfachgebiet abhängt. Schon im November 2008 hat der BVSD darauf hingewiesen, dass es „entschei-dend darauf ankommen wird, dass die RLV hoch genug angesetzt werden, da bei diesen Kollegen ja durch die Beschränkung auf 300 Fälle pro Quartal der hohe Stellenwert der be-sonderen Anforderungen an die Qualität und den Zeitbedarf unterstrichen wird“.

RLV zu niedrig

Leider ist genau dieses in vielen KV-Bereichen nicht erfolgt. So wurden in vielen regionalen KVen die RLV für diese Kollegen auf 50 bis 100 Euro festgelegt. Wenn man einen realistischen Punktwert von 4,6 Cent zugrunde legt, kann man mit bloßem Auge erkennen, dass man schon bei der Abrechnung der Ziffern aus dem Kapitel 30.7.1. auf ca. 125 Euro kommt. Offen-sichtlich hat man vielerorts übersehen, dass die Ziffern des Kapitels 30.7.1. innerhalb der RLV angesiedelt sind und somit schon diesen Betrag ausmachen.

Der BVSD hatte schon frühzeitig eine Um-frage bei seinen Landesverbänden gestartet, um etwaige Probleme zu erkennen. Um andere Fachgruppen mit unrealistischen Forderungen von 200 Euro nicht zu verprellen, einigte man sich im Vorstand des BVSD auf die Marsch-route, die Herausnahme des Kapitels 30.7.1. aus dem RLV auch für diejenigen Kollegen zu fordern, die überwiegend schmerztherapeu-tisch arbeiten.

KBV-ReaktionGleichzeitig wurde die KBV auch im direkten Kontakt von diesen Missständen in Kenntnis

gesetzt. Sie reagierte auch sehr zeitnah, in-dem sie die regionalen KVen darum bat, so-weit wie möglich auch die Auswirkungen der EBM-Reform zum 1. Ja-nuar 2009 auf die Höhe der Fallwerte zu berücksichtigen. Dies betrifft insbesondere im Bereich der Nervenheilkunde die neu in den EBM aufgenommenen Gebüh-renordnungspositionen 21213 – 21315 sowie die Anwendung von Anpassungsfaktoren für den Fall, dass die hiervon betroffenen Leistun-gen dem RLV unterliegen. Von Letzterem sind insbesondere die Leistungen des Abschnitts 30.7.1 betroffen, da diese für ausschließlich schmerztherapeutisch tätige Ärzte dem Re-gelleistungsvolumen unterliegen.

So weit die Reaktion der KBV, die zusätzlich am 17.12.2008 die Forderung zur Aufnahme einer bis zum 30. Juni 2009 befristeten Über-gangsregelung in den Bewertungsausschuss eingebracht hat. Diese soll den Partnern der Gesamtverträge gestatten, ergänzende Maß-nahmen zur Bestimmung der Regelleistungs-volumen mit dem Ziel einer flächendeckenden Sicherstellung der Versorgung mit vertragsärzt-lichen Leistungen zu beschließen. So hieß es dort: „Der Bewertungsausschuss hat daher vereinbart, über die Forderung der Kassenärzt-lichen Bundesvereinigung in der Sitzung am 15. Januar 2009 abschließend zu beraten und – soweit notwendig – in der vorbehaltlich noch am selben Tag anberaumten Sitzung des Er-weiterten Bewertungsausschusses auch auf dem Schlichtungswege zur Beschlussfassung zu bringen.“

Man kann also hoffen, dass auf die regio-nalen KVen genügend Druck aufgebaut wird, realistische RLV auch für überwiegend arbei-tende Schmerztherapeuten festzulegen.

Situation der „Teilzeit“-SchmerztherapeutenFür „Teilzeit“-Schmerztherapeuten stellt sich die Situation folgendermaßen dar: Von den jeweiligen RLV-Vergütungsvolumina gibt es ei-nen Abzug für „Leistungen des Abschnittes 30.7.1. zur Versorgung chronisch schmerz- kranker Patienten durch nicht ausschließlich schmerztherapeutisch tätige Ärzte“.

Das heißt, dass die Abrechnung der Ziffern 30700–30708 für „Teilzeit“-Schmerzthera-

Hubertus Kayser, Bremen

Zum 1. Januar 2009 hat der Vorstand des VDÄA (Verband Deutscher Ärzte für Algesio-logie, Berufsverband Deutscher Schmerzthe-rapeuten e.V.) gewechselt. Die bisherigen Vorstandsmitglieder haben nach 20-jähriger erfolgreicher Vorstandsarbeit nicht wieder kandidiert. Gewählt wurden bei der letzten Mitgliederversammlung:

Präsidentin: Frau Dr. med. Erika Höhne,Mail: [email protected]äsident: Herr Dr. med. Luis Emilio Tobar-Rojas, Mail: [email protected]: Herr Dr. med. Bruno Kniesel, Mail: [email protected]

Alle Vorstandsmitglieder sind Fachärzte für

Anästhesiologie mit Bereichsbezeichnung „Spezielle Schmerztherapie“, als Schmerz-ärzte in eigenen Praxen niedergelassen und vertragsärztlich tätig.

Neuer Vorstand des VDÄA

Frau Dr. Erika Höhne, designierte Präsi-dentin des VDÄA, und Dr. Dietrich Jungck

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Nachrichten aus der Berufspolitik

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peuten ohne Belastung ihres für sie geltenden RLV erbracht werden können („extra-RLV“, nicht extrabudgetär im bisherigen Sinn!). Alle anderen Leistungen – mithin auch die „Stech-leistungen“ aus dem Kapitel 30.7.2. – unterlie-gen dem RLV ihrer jeweiligen Fachgruppe.

Mischkalkulationen für GemeinschaftspraxenIn großen Gemeinschaftsmischpraxen, in denen einige Kollegen schwerpunktmäßig Schmerztherapie betreiben, andere z.B. ambu-lante Anästhesien durchführen, kann es zu ei-

ner Mischkalkulation kommen, indem die je-weils für die Einzelmitglieder der Praxen gel-tenden RLV zusammengezählt und gegenseitig aufgefüllt werden können (z.B. erhält ein Anäs-thesist als überwiegender Schmerztherapeut das Schmerztherapeuten-RLV, ein anderer Anästhe-sist in dieser Praxis das Anästhesisten-RLV). Als Berufsausübungsgemeinschaft erhalten sie – po-litisch so gewollt – einen 10%igen Aufschlag auf die RLV. Für solche Praxen wird es weiter Pro-bleme mit Medikamenten- und Heilmittelbudgets geben. Dies muss regional oder bundespolitisch vordringlich geregelt werden.

Weitere Ziele

Der BVSD wird in Kürze mit der KV-Spitze wei-tere Gespräche führen, die es zukünftig er-möglichen sollen, dass die qualitätsgesicherte Behandlung chronischer Schmerzzustände auch für Kollegen, die ihre Arbeit durch andere Tätigkeiten nicht quersubventionieren können oder wollen, ein Auskommen sichert. Dies ist und bleibt das Ziel der ehrenamtlich Tätigen in den schmerztherapeutischen Gesellschaften und im Berufsverband. ■

Hubertus Kayser, Bremen

Apotheker als Partner – aktuelle EntwicklungenDer multidisziplinäre Behandlungsansatz in der Palliativmedizin ist einer der Erfolgsgaranten der integrierten Versorgung. Apotheker in der Klinik und im ambulanten Bereich leisten dabei einen wichtigen Beitrag zur Versorgungssi-cherheit und Qualitätssicherung. Allerdings fehlte es bisher an Möglichkeiten, die pharmazeutische Arbeit in der Palliativmedizin zu fokussieren. Das wird sich jedoch bald ändern. Was bis jetzt schon in Bezug auf Fort- und Weiterbil-dung möglich ist, und welche Entwicklung im Gange ist, schildert Dr. Matthias Rothenberger vom HospizPalliativnetz Wiesbaden.

D as Pharmaziestudium wurde in den letz-ten Jahren überarbeitet und moderni-

siert. Die für die palliative Betreuung wohl wichtigste Neuerung ist die deutlich höhere Gewichtung des klinisch-pharmazeutischen Bereiches. Dies ermöglicht eine bessere und schnellere Integration junger Pharmazeuten in multidisziplinäre Betreuungsprogramme, wie sie gerade im palliativen Bereich von großer Bedeutung sind. Neben dem chemischen Auf-bau von Wirkstoffen, deren Pharmakologie und Besonderheiten in der Anwendung lernen Pharmazeuten heute auch vermehrt, ihr Wis-sen besser in Bezug auf die Belange der kom-plexen Patientenversorgung anzuwenden. Jedoch wurden Alternativen zu den rein kura-tiven Behandlungsansätzen wenig oder gar nicht vermittelt.

Hessen als Vorreiter im StudiumDas Bundesland Hessen bietet seinen Phar-maziestudenten aus Frankfurt und Marburg seit dem Sommersemester 2008 im 3. Prü-fungsabschnitt die Vorlesung „Apotheker in der palliativen Betreuung“ an und macht das The-ma auf diese Weise zum potenziellen Prü-fungsfach. Vermittelt werden Grundlagen der

Versorgungsstrukturen, der interdisziplinäre Ansatz der Betreuung sowie Grundlagen der Symptomkontrolle.

Pharmazeutische PraxisFür Apotheker, die sich generell über die Arbeit in der palliativen Betreuung informieren möch-ten, bietet die Landesapothekerkammer Hes-sen einen Workshop „Palliative Betreuung“ an. Das Referenten-Team besteht aus einem Apo-theker mit der entsprechenden fachlichen Vor-aussetzung und einer Fachpflegekraft. In Hes-sen konnten Lothar Lorenz (Leitung Hospiz Advena, St. Ferrutius) und Dr. Matthias Rothen-berger (Apotheke am Hochfeld) vom Hospiz-Palliativnetz Wiesbaden und Umgebung e.V.

bereits zum zweiten Mal inter-essierte Apotheker begrü-

ßen, die sowohl den Erstkontakt mit der Thematik, oder

weiterführende Informationen suchten. Was

jedoch bis-her fehlte ist ein Ar

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Qualifikationszertifikat für Apotheker, die be-reits in integrierten Ver-sorgungsprogrammen mitarbeiten, bei deren Aufbau helfen oder palliative Versorgung praktizieren.

Bundesweites Fort-bildungsprogrammZwar ist es möglich, an palliativen Ausbildungs-gängen wie an der Universität Leipzig oder lo-kalen Angeboten teilzunehmen, aber ein flä-chendeckendes Angebot für das gesamte Bundesgebiet konnte noch nicht angeboten werden. Auf Antrag der Landesapothekerkam-mer Hessen wurde eine solche Fortbildung auf dem Bundesapothekertag gefordert und auch beschlossen.

Im Oktober 2008 wurde in Berlin durch die Bundesapothekerkammer ein Fortbildungspro-gramm erstellt, das durch die Kammern um-gesetzt werden soll. Der Zeitumfang soll ca. 40 Stunden betragen und sowohl eine Hospi-tation in einer palliativen Einrichtung wie auch die schriftliche Betrachtung eines Patienten-beispiels beinhalten. Inhaltlich orientiert sich das Curriculum unter anderem am Basiskurs Palliative Care der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP). Auch soll bei der Auswahl der Referenten großer Wert auf den interdisziplinären Charakter der Ausbildung gelegt werden.

Nach den Medizinern, Krankenschwestern, Pflegekräften und anderen Berufsgruppen stellen sich nun auch die Apotheker den An-forderungen einer integrierten palliativen Ver-sorgung und Fortbildung und leisten auf diese Weise einen wichtigen Beitrag zu deren Quali-tätssicherung und Sicherheit. ■

Dr. Matthias Rothenberger, Wiesbaden

Matthias Rothen-berger, Wiesbaden

Nachrichten aus der Berufspolitik

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�6 SCHMERZTHERAPIE 1/2009 (25. Jg.)

Wenn Schmerzen chronisch werden ...

û Allgemeinmediziner sind die erste Anlaufstelle für Patienten mit Schmerzen und daher sind sie die Adressaten dieses praxisnahen Büchleins der beiden Algesiologinnen aus dem Wiesbadener Schmerz- und Palliativzentrum. Mit zahlreichen Fallbeispielen und stichpunktartigen Diagnose- und Therapiekonzepten werden die wichtigsten Krankheitsbilder, die zu chronischen Schmerzen führen können, kompetent und übersichtlich abgehandelt. Neben den Hin-weisen zu Zusatzuntersuchungen und zur Nachsorge werden kon-krete Behandlungsstrategien mit Angabe der Therapiekosten und Tipps zu den Abrechnungsfragen sowie den Verschreibungsbeson-derheiten bei BtM-Rezepten gegeben. Es bleibt zu hoffen, dass die-se beiden Autorinnen mit diesem Buch möglichst viele Allgemein-

mediziner erreichen, da nur diese Fachgruppe langfristig drohende Schmerzchronifizierungen ver-hindern kann. StK

Liliana Tarau, Mechthilde Burst: Chronischer Schmerz. Therapiekonzepte für die hausärztliche Praxis. �009, 181 S. m. 15 Abb. und 61 Tab., kt, �9,95 €. ISBN 9�8-3-�691-1��8-1, Deutscher Ärzte Verlag, Köln.

Wie schmerzgeplagt sind die Deutschen?

û Chronische Schmerzerkrankungen gehören zu den größten und teuersten Gesundheitsproblemen in Europa. Millionen Patienten sind davon in Deutschland betroffen, dennoch bestehen nach wie vor spe-ziell hierzulande Defizite in der Medizinerausbildung und in den ge-sundheitspolitischen Rahmenbedingungen. Mit dieser Bestandsaufnah-me soll den politisch Verantwortlichen die Möglichkeit gegeben werden, einen ungeschminkten Eindruck von der aktuellen Situation in Deutsch-land zu erhalten. Gegliedert nach den verschiedenen klinischen Enti-täten Schmerz, Rückenschmerz, Kopfschmerz, Schmerzen im Bewe-gungssystem, Neuropathie, Tumorschmerz werden die spezifischen

Probleme und Defizite von den Experten in diesem Gebieten aufgezeigt. In den abschließenden Kapiteln werden noch die psychologische Versorgungssituation sowie aktuelle Entwicklungen in der Schmerz-versorgung und die gesundheitsökonomische Bedeutung der Schmerzerkrankungen von den deutschen Experten in diesen Gebieten erörtert. Im Schlusskapitel erläutern Marianne Koch, Gerhard Müller-Schwefe, Rolf-Detlef Treede und Michael Zenz was sich in Deutschland ändern muss, um die adäquate Versorgung dieser Schmerzkranken zu gewährleisten. StK

Marianne Koch/Hand Rüdiger Vogel (Hg.): Weißbuch Schmerz. Eine Bestandsaufnahme der Versorgungssi-tuation von Patienten mit chronischem Schmerz in Deutschland. 119. S., 1� Abb., �� Tab., kartoniert. �9,95 €, �008, ISBN 9�8-3-13-1�9911-0. Georg Thieme Verlag, Stuttgart.

Fotos aus dem Kinderhospizû In dieser Fotodokumentation wird den Lesern sehr eindrucksvoll mit vielen vierfarbigen Bildern gezeigt, wie das tägliche Leben in einem Kinderhospiz in Niedersachsen, nahe Bremen, aussieht. Was ganzheitliche, multimodale Therapie im besten Sinne einer Palliation für schwerkranke Kinder darstellt, wird fast ohne Kommentar mit den eindrucksvollen ganzseitigen Fotografien der Münsteraner Fotografin illustriert. Auf wenigen Seiten werden besonders Interessierten die Adressen der Deutschen Kinderhospize, die ähnlich dem Kinderhospiz in Syke arbeiten, an die Hand gegeben und die gesamten v. Bodel-schwinghschen Anstalten Bethel, zu denen das Hospiz Löwenherz gehört, kurz vorgestellt. StK

Natali Metzger: Dem Tag viel Leben geben. Das Kinderhospiz Löwenherz. Gebundene Ausgabe: 168 Seiten, Verlag: Bethel-Verlag; Auflage: 1 (1. Mai �00�), ISBN-10: 39359��156, ISBN-13: 9�8-39359��15�, Bielefeld.

Bücherecke

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��SCHMERZTHERAPIE 1/2009 (25. Jg.)

Der Schmerzfall aus der Praxis

Dorsale thorakale und lumbale Spondylodese nach Berstungsfraktur des �. BWK und Kompres-sionsfraktur des 3. LWK.

Komplexe Schmerzen nach Wirbelsäulenoperation

mer zu Teerstühlen gekommen (endoskopisch florides Ulkus). Zeitgleich wurde retardiertes Morphinsulfat in einer Dosis von 2 x 60 mg ge-geben, bei weiter bestehenden neuropa-thischen Schmerzen Pregabalin 2 x 150 mg.

Unter dieser Therapie massive Flüssig-keitseinlagerung und Gewichtszunahme, ausgeprägte Unter- und Oberschenkelödeme sowie Magen-Darm-Krämpfe. Trotz Gabe von Macrogol und Natriumpicosulfat zunehmend Obstipation mit erschwerter Darmentleerung (3-bis-4-Stunden-Sitzungen), Stuhlfrequenz ein- bis maximal zweimal pro Woche. Gravie-render aber war für den Patienten eine bleierne Müdigkeit mit imperativem Schlafzwang.

In der stationären Rehabilitation wurde des-halb orales Morphin gegen transdermales Fen-tanyl (50 µg/Stunde) ausgetauscht. Hierunter Schmerzreduktion auf VAS 50, aber weiterhin anhaltende Obstipation, Ödeme am ganzen Bein, brennende Schmerzen im Bereich des rechten Oberschenkels und massivste Mü-digkeit in Verbindung mit Konzentrations- und Gedächtnisstörungen. Auf Wunsch des Patien-ten wurden deshalb Fentanyl und Pregabalin abgesetzt.

Schmerzbedingt waren unter diesen Um-ständen jegliche aktivierenden Maßnahmen im Rahmen der Rehabilitation unmöglich, sodass die stationäre Rehabilitation schließlich nach zehn Tagen abgebrochen wurde. Bis zur Vor-stellung im Schmerzzentrum hatte der Patient seine Tage liegend verbracht.

Schmerzdiagnose

Die Schmerzen weisen auf ein gemischtes Schmerzsyndrom hin, bei dem nozizeptive An-teile aus dem Bereich des Operationssitus neben neuropathischen Schmerzen bestehen, die sowohl durch die operationstechnisch be-dingte Kompression der Interkostalnerven als auch durch ödembedingte Kompression des N. cutaneus femoris lateralis verursacht sind.

Therapie und VerlaufNur mühsam konnte der Patient überzeugt werden, nochmals einen Therapieversuch mit Opioiden zu wagen. In einschleichender Dosie-rung wurde Oxycodon/Naloxon (Targin®) auf 2 x 20/10 mg gesteigert. Unter dieser Medika-tion kam es rasch zu einer deutlichen Bes- serung der gesamten Schmerzsituation mit Schmerzspitzen von maximal VAS 30, überwie-gend VAS 20, individuelles Behandlungsziel VAS 20. Unter dieser Therapie besserten sich nicht nur die dumpfen, drückenden Rücken-schmerzen, sondern auch die neuropathischen Schmerzen im Bereich der Interkostalnerven wie auch des Oberschenkels.

Nach 14 Tagen gelang zunehmend die Mo-bilisierung, sodass jetzt ein aktives Übungs-programm durchgeführt werden konnte. Im Rahmen eines ambulanten Rehabilitationspro-gramms mit Koordinationstraining, Kraft- und Ausdauertraining konnte der Patient innerhalb von vier Wochen so weit stabilisiert werden, dass ein Rollstuhl nicht mehr nötig war.

Die vom Patienten so sehr gefürchtete Obstipation konnte unter der Kombination von Oxycodon mit Naloxon (Targin®) vollständig vermieden werden. Nach einem halben Jahr zunehmenden Trainings konnte der Patient in seinen Beruf (Beratertätigkeit) zurückkehren.

ResümeeGemischte nozizeptive und neuropathische Schmerzen als Unfallfolge oder Folge von Ope-rationstechniken führen häufig zu massiven Beeinträchtigungen.

Bei unserem Patienten konnten die Schmerzen erst durch die Einstellung auf Oxycodon/Naloxon (Targin®) ohne limitie-rende gastrointestinale Nebenwirkungen er-folgreich behandelt werden, sodass eine Re-habilitation und Wiedereingliederung in den Beruf möglich wurde. Der frühzeitige Einsatz von Targin® hätte bei diesem Patienten eine monatelange Verzögerung der Rehabilitation verhindern können. ■

Gerhard H. H. Müller-Schwefe

D er 52-jährige Patient erlitt im Februar 2009 einen Sportunfall: Mit dem Snow-

board war er gestürzt und hatte dabei eine Berstungsfraktur des 7. Brustwirbels sowie eine Kompressionsfraktur des 3. Lendenwirbels erlitten. Bei thorakaler Querschnittssymptomatik wurde zunächst die BWS mit einer dorsalen Spondylodese stabilisiert, dem folgten eine dor-sale lumbale Spondylodese und ein endosko-pischer thorakaler und lumbaler Wirbelersatz.

Der Patient wird im Rollstuhl in das Schmerz-zentrum gebracht mit der Fragestellung, ob eine intrathekale Schmerztherapie möglich sei, da alle systemischen Therapieverfahren unwirksam oder wegen massiver Nebenwir-kungen unmöglich waren.

SchmerzanamneseDominierend waren thorakale und lumbale Schmerzen, die bewegungsabhängig sowohl im Bereich der gesamten körperaufrichtenden Muskulatur, insbesondere in den Operations-gebieten, auftraten wie auch elektrisierend ausstrahlende Schmerzen und Berührungs-überempfindlichkeit im Bereich der rechten Thoraxwand. Die maximale Schmerzintensität wurde auf der visuellen Analogskala VAS 100 mit 99 angegeben, Erträglichkeitsniveau 20.

Darüber hinaus bestanden brennende Schmerzen im rechten Oberschenkel im Aus-breitungsgebiet des N. cutaneus femoris latera-lis. Der Neuropathiescore (Frage 12 Deutscher Schmerzfragebogen) gab mit einem Summen-score von 27 deutliche Hinweise auf neuropa-thische Schmerzen.

Der Patient verbrachte seine Tage liegend, da aufrechte Körperhaltung schmerzbedingt nicht möglich war. Selbst Sitzen am Tisch war nur un-ter Abstützen auf den Ellbogen möglich.

Schwierige postoperative SchmerztherapieDie postoperative Schmerztherapie nach den Fusionsoperationen hatte sich außerordentlich schwierig gestaltet. Auf Entzündungshemmer (versucht wurden u. a. Diclofenac, Naproxen, Etoricoxib) war es trotz Protonenpumpenhem-

Die Rehabilitation nach komplexen Wirbelsäuleneingriffen stellt häufig eine enor-me Herausforderung an die Schmerztherapie dar. Häufig resultieren gemischte Schmerzsyndrome mit somatisch nozizeptiven Komponenten wie auch neuropa-thischen Komponenten. Effiziente und nebenwirkungsarme Schmerztherapie ist für diese Patienten für Mobilisation und Rehabilitation essenziell, schildert Gerhard H. H. Müller-Schwefe, Göppingen, anhand eines Falles aus seiner Praxis.