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Schnider, Franz & Stenger, Werner - Johannes und die Synoptiker (Kösel, 1971, 182pp)

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  ranz

Schnider

Werner Stenger

Kösel

ohannes

und

die Synoptiker

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Die beiden Verfasser behandeln

die drei neutestamentlichen Mo

tiv

-Komplexe die Johannes

mit

den Synoptikern gemeinsam hat

Tempelreinigung

Hauptmann

von

Kapharrraum bzw.

der

nigliche Beamte Brotvermeh

rung. Die Passion

wird

ausge

nommen. Die Redaktionen der

einzelnen Evangelisten werden

einschließlich

ihrer

Quellen mit

einander verglichen.

Dadurch

gewinnt

man

nicht

nur Detail-

wissen sondern

vor

allem einen

Einblick in die theologische Sicht

jedes Evangelisten

und

in die

Deutungsmethoden der jungen

Christengemeinden. So

wird

deutlich wie si  h die »vielgestal

tige W

eis

heit Gottes«

in

der

Freiheit innerer

und

äußerer

Pluriformität artikuliert

. Ge

ra

de die unterschiedlichen

und

doch unaufgebbaren theologi

schen Sichtweisen jedes Evange

liums lassen

so

das Gemeinsame

erkennen was »Evangelium«

meint: die in Jesus von Naza

reth angebrochene neue Welt

Gottes.

Die

Verfass er zeigen das

in

einer einleuchtenden

und

gut

lesbaren Sprache die im Stil

durch die integrative Arbeits

methode inzwischen so ange

glichen ist

daß man

die

Arbeit

der Autoren nicht mehr zu tren

nen vermag.

F

ranz

Schnider und W erner

Stenger sind Assistenten am

Lehrstuhl

für

biblische Theolo

gie und Exegese des N euen Te

staments an der Universität Re

gensburg.

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Reihe> Biblische Handbibliothek<

Bisher sind erschienen:

Band I. Rudolf Schnackenburg:

Neutestamentliche Theologie.

Der

Stand der Forschung. 2 Auf-

lage.

I59

Seiten. Leinen

DM

I

r.8o

.

Kartoniert DM

9.50

Band I I. Beda Rigaux : Paulus

und seine Briefe. Der Stand der

Forschung. Deutsch von

A

Berz.

235

Seiten. Leinen

DM

I8.8o

.

Kartoniert

DM

I 5 8o

Band

III.

Josef Schreiner : Die

Zehn Gebote im Leben des Got-

tesvolkes. Dekalogforschung und

Verkündigung. I22 Seiten. Lei-

nen DM

I5.8o

Band IV. Wolfgang Trilling:

Christusverkündigung in den

synoptischenEvangelien. Beispie-

le gattungsgemäßer Auslegung.

243 Seiten. Leinen DM I9.8o

Band V J osef Blank: Schriftaus-

legung in Theorie und Praxis.

260 Seiten. Leinen

DM

25.

Band VI. Josef Schreiner : Alt-

testamentlich jüdische Apoka-

lyptik. Eine Einführung. 204

Seiten. Leinen DM

5.

Band VII. Franz Mußner : Die

Auferstehung J

esu

207 Seiten.

Leinen DM 22.50

Band VIII. Joachim Gnilka: Je-

sus Christus nach frühen Zeug-

nissen des Glaubens. I

8o

Seiten.

Leinen DM

24.50

KOSEL VERLAG

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BIBLISCHE H NDBIBLIOTHEK

B ND IX

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PRANZ

SCHNIDER

WERNER

STENGER

JOH NNES

UND

IE SYNOPTIKER

ergleich ihrer arallelen

KöSEL

VERLAG MÜNCHEN

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ISBN 3 466 2son o

© 1971

by Kösel-Verlag

GmbH

Co., München. Printed in

Germany. Mit kirchlicher Druckerlaubnis: München, 16. 7· 1971,

GV

Nr.

3873/4

Dr.

Gerhard Gruber, Generalvikar. Gesamt

herstellung: Graphische Werkstätten Kösel, Kempten Allgäu).

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INHALT

Vorwort

I EVANGELIUM UND EVANGELIEN

13

r

Markus: Die Bindung des Kerygmas an die Jesustradi-

tionen

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

14

2.

Matthäus: Die Interpretation es Logienstoffs durch das

Evangelium

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . I

8

3· Lukas: Die Sammlung »aller« Jesustraditionen als Ver-

mächtnis für die Kirche . . . . . . . . . . . 2

Johannes: Die Bindung der Christusrede an Jesus. . . . 21

II.

DIE

TEMPELREINIGUNG

Mk

11,15-17. 27-33;

Mt

21,12-13. 23-27;

Lk

19,45-46;

20,1-8;

Jo 2,14-22 . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

r

Die Herrschaft Gottes als Ende

es

Tempels Vorlage es

Markus)

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

2.

Die universalistische Weitung es Tempels für »alle Völker«

Markus) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

3· Die Tempelreinigung Jesu als Handlung in eschatologischer

Vollmacht Vorlage es Johannes) 37

Die Vorlage und ihre Redaktion 37

Die Zeichenhandlung . . . . . 4

Das Tempellogion . . . . . . 45

Jesus der wahre Tempel Johannes).

49

111

DER

HAUPTMANN

VON KAPHARNAUM-

DIE HEILUNG

DES

SOHNES

DES »KÖNIGLICHEN«

Mt

8,5-13; Lk 7,1-10; Jo 4,46-54 . . . . . . . . . . . . 54

r

Vergleich der Fassung der Perikope bei Matthäus, Lukas

und Johannes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54

Synoptische übersieht . . . . . . . . . . . . . . .

55

2.

Der Hauptmann von Kapharnaum Matthäus und Lukas) 57

Die Redaktion des Matthäus 58

Die Redaktion des Lukas 6o

Die gemeinsame Vorlage . . 63

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3· Die Heilung es Sohnes es »Königlichen« Johannes) . 64

Die

Redaktion

des Johannes 64

Die Vorlage . . . . . . . . . . . . . .

70

Die theologischen

Akzente

. . . . . . . .

73

»So einen Glauben habe ich

in

Israel nicht

gefunden <<

Logienquelle) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

Der Hauptmann -

Stammvater

im Glauben der Heiden-

christen Matthäus) . . . . . . . . . .

75

Der

Hauptmann - Vorbild von Demut und starkem

Glauben Lukas) . . . . . . . . . . . . . . . . .

78

Das mächtige

Wunder der

Fernheilung Vorlage des Jo

hannes) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79

>>Wenn ihr

nicht Zeichen und

Wunder

seht,

glaubt ihr

nicht.« Johannes) . . . . . . . . . . . . . . . . 81

IV. DER BROTVERMEHRUNGSKOMPLEX BEIMARKUS

MATTHJ>i.US) UND

JOHANNES

8

Mk 6,30-8,21;

Mt

14,13-16,12;

Jo

6,1-71} . . . . • . . . . .

89

1. Die Speisung der Fünftausend

und

die Speisung der Vier

tausend bei Markus . . . . . . . . . 89

Synoptische Obersicht . . . . . . . . . . . . . . .

90

Vergleich

von

Mk 6 32-44

und

Mk

8,1-9 . . . . . . . 94

2 Das Erbarmen Gottes speist durch Jesus die hungrige

Menge Vorlage von Mk 6,32-44) . . . . 98

Der Seewandel Jesu bei Markus

Mk

6,45-52)

. . . . 103

Synoptische Obersicht . . . . . . . . . . . . . .

104

Die

Epiphanie Jesu

auf

dem See Genezareth Vorlage) .

107

Jesus steigt zu den Jüngern ins Boot Markus)

113

Das Jüngerunverständnis bei Markus. 115

Das Motiv . . . . . . . .

115

Das Geheimnis der Brotwunder . . . 1 2 5

Die

Öffnung der

Augen . . . . . .

127

5· Speisung

und

Seewandel Matthäus) - Verständnis und

Kleinglaube der Jünger

. . . . . . . . . . . . . . 134

6.

Brotvermehrung und Seewandel nach Johannes Jo 6,1-25)

141

Die großen Wunder am See Vorlage des Johannes) .

142

Das

mißverstandene »Zeichen« Johannes) 150

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Die johanneische Brotrede

-

Erschließung des Zeichens

im

Offenbarungswort Jo 6,26-7r . 154

»Ich bin das

Brot

des Lebens« . 15 5

Glauben

und

Unglauben . . . .

160

Fleisch für das Leben der Welt

163

Brotwunder und Brotrede - Jesus das in den Tod ge-

gebene Passahlamm . . . . . . . . . . . . . . 166

V

J SUS

DIE MITTE DER EVANGELIEN

Abkürzungsverzeichnis

Personenregister

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V RW RT

Die neue Ordnung der Sonntagsperikopen lenkt die

Aufmerksamkeit auf die alte Frage nach dem Ver-

hältnis der vier Evangelien zueinander. Der Vergleich

von Parallelen der Synoptiker mit Johannes will an-

hand konkreter Texte darauf achten, wie der »uner-

gründliche Reichtum Christi« (Eph 3,8) von den

Evangelisten in verschiedener Weise zur Sprache ge-

bracht wird.

Die Verfasser bedanken si h bei Professor Franz

Mußner, der ihnen großzügig Zeit zur eigenen Arbeit

ließ, bei Dr Elmar Bartsch für die freundliche Be-

ratung bei der Erstellung des Manuskriptes, beiHerrn

Reinhold Stenger für die gewährte Gastfreundschaft

in Dalberg und bei Frau Anne Brand für die Schreib-

arbeiten.

Regensburg, den 7· Juli 1971

ranz Schnider

Werner Stenger

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I

EVANGELIUM UND

EVANGELIEN

Schon die alte Kirche war der Überzeugung daß das J ohannes

evangelium das letzte der vier kanonischen Evangelien gewe

sen ist. Nach dem Zeugnis der Kirchengeschichte

des Eusebius

berichtete

Klemens

vo

Alexandrien

von einer ihm überliefer

ten Tradition

es sei

das »Letzte der Evangelien gewesen das

Johannes weil er wußte daß in den anderen Evangelien die

leiblichen Dinge offenbar gemacht seien auf Zuraten seiner

Vertrauten und

auf

göttlichen Antrieb

des

Geistes geschrieben

habe als ein geistliches Evangelium«

1

Man sieht daran daß

schon die alte Kirche sich Gedanken um das Verhältnis des

Johannesevangeliums zu den anderen Evangelien gemacht hat.

Klemens

nennt das Johannesevangelium ein »geistliches« und

versteht die anderen Evangelien als solche die die »leiblichen«

Dinge überliefert haben. Damit will er die Besonderheit des

Johannesevangeliums gegenüber den Synoptikern erklären

die auch schon der empfindet der die vier Evangelien aus

flüchtiger Lektüre kennt. Dennoch trennt

Klemens

das Johan

nesevangelium nicht von den anderen sondern sieht

sie

unter

dem Stichwort »Evangelium« als Einheit. »Evangelium« ist

für

Klemens

schon ein feststehender literarischer Begriff.

Es

wird »gemacht« geschrieben.

Es

gibt »frühere« die auch schon

Evangelien heißen und

es

gibt ein »letztes«. Die Evangelien

schreibung ist abgeschlossen. Die Evangelien haben einen be

stimmten Inhalt: »Leibliches« und »Geistliches«. Johannes

wird

durch Zureden seiner Vertrauten bewogen ein Evange

lium zu schreiben offenbar weil diese

es

vorher aus seinem

Munde gehört hatten und

es

gern aufgeschrieben sahen. Daß

es

geschrieben wird führt

Klemens

auf göttlichen Antrieb

des

Geistes zurück.

Klemens

weiß

daß

das was Johannes schreibt

sich

von den früheren unterscheidet. Dabei setzt er voraus daß

Johannes die früheren Evangelien kennt

. Diese kurze Notiz aus der Kirchengeschichte

des

Eusebius

Eusebius H E

VI 14 5-7

IJ

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ist im Grunde schon eine ganze Theorie, eine Frucht

der

Be

schäftigung

mit

den vier Evangelien und ein früher Versuch,

das Problem zu erfassen, daß s nicht ein Evangelium

von

Jesus Christus gibt, sondern deren vier, obwohl doch der Be

griff Evangelium verbietet,

daß

neben dem einen ein anderes

Evangelium verkündet wird Gal 1,6-9). Wenn Klemens auch

»Evangelium« schon als literarischen Begriff kennt,

weiß

er

dennoch,

daß

das Wort »Evangelium« nicht nur jedes der vier

Bücher

für

sich benennt. Vielmehr will

s

auch sagen, daß in

den vier Evangelienbüchern das eine »Evangelium Gottes«

laut wird. Dieses wurde durch die Propheten vorher verkün

det

und handelt

in der apostolischen Predigt von dem, »der

geworden ist aus dem Samen Davids dem Fleische nach, der

als Sohn Gottes eingesetzt ward in Macht dem Geist der

Heiligkeit nach, durch die Auferstehung von den Toten,

von Jesus Christus unserem

Herrn«

Röm 1,2-4). Dieses Evan

gelium, dessen

Inhalt

für die nachösterliche Gemeinde Jesus

Christus selber ist,

war

von

Jesus selbst als Evangelium Gottes

von der Erfüllung der Zeiten und vom angekommenen König

tum Gottes verkündet worden Mk 1,14 f.). Darum ist s be

reits ein Programm, wenn vier Schriften den Namen »Evan

gelium« erhalten. Was sich in diesen Schriften befindet, besitzt

Evangeliumscharakter, ist Evangelium.

I

Markus Die Bindung des Kerygmas an die ]esustraditionen

Die neutestamentliche Wissenschaft ist heute ziemlich sicher,

daß Markus

als erster die

Gattung Evangelium

geschaffen hat.

Sie ist in der antiken Literatur ohne Parallele. Das Evange

lium will Glauben wecken

und

unterscheidet sich

darum

von

jeglicher Biographie.

Die

schriftstellerische

und

theologische

Eigenleistung des Markus kann nicht hoch genug angesetzt

werden. Es ist nicht so, als sei das Kerygma

von

Tod und

Auf

erstehung Jesu Kristallisationspunkt der verschiedenen über

lieferten Worte und Taten Jesu geworden, vielmehr hatte die

mündliche

Tradition

zentrifugale Tendenz. Die Einzeltradi-

I4

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tionen drängten auseinander

und

drohten, sich vom Zusam

menhang mit dem »Evangelium«, dem Kerygma der apo

stolischen Predigt loszulösen. Indem Markus die Gattung

Evangelium schuf, vollbrachte er eine bewußte und originale

Leistung. Man

darf

nicht annehmen, die mündliche

Tradition

habe schon die Tendenz gehabt, die Einzelperikopen um das

zentrale Kerygma zu versammeln. Markus

hat

nicht bloß

mündlich schon längst Vorliegendem

nur

die schriftliche Fixie

rung gegeben. r hat vielmehr als originale Leistung in der

von ihm geschaffenen Gattung des Evangeliums die ausein

anderstrebenden Einzeltraditionen von Jesus fest

mit

dem

Kerygma von Leiden, Tod

und

Auferstehung Jesu verbunden.

r tat

das, indem er die Einzelperikopen in den Rahmen ein

fügte, der durch die beiden Pole »Taufe des Johannes«

und

>>Auferstehung« abgesteckt ist. Markus war also nicht nur

Vollstreckungsgehilfe eines schon

in

Gang gekommenen Sam

melprozesses.

r

hat vielmehr diesen Sammelprozeß erst in

Gang gebracht.

Das pure Kerygma, die bloße Formel,

hat

die Tendenz,

sich

in

den Raum objektiver Sätze

und

ewiger Wahrheiten abdrän

gen zu lassen und so das Skandalon der historisch einmaligen

Konkretheit Jesu und ihrer Bedeutung für den christlichen

Glauben zu einer sanften Idee der Welt- und Geschichtserklä

rung zu c h e n ~ Die bloßen Einzeltraditionen fliegen wie auf

gescheuchte Vögel in den weiten Himmel des Anekdotischen

und

Mirakelhaften, wenn

sie

ihren Zusammenhang mit dem

ihre Bedeutsamkeit herausstellenden Kerygma verlieren. So ist

es

nicht das Kerygma, das sich

in

seiner Einmaligkeit >>auch

seine eigene literarische Form geschaffen hat), die weder dem

antiken Bios noch der antiken Kultlegende noch der antiken

Preisrede entspricht«,

so

daß die Evangelien >>auch in ihrer

vollendeten Gestalt noch eine Form urchristlichen Kerygmas

sind«, sondern dies ist die schriftstellerische und theologische

Eigenleistung des

Mar

kus

2

Die schriftstellerische Originalität des Markus besteht darin,

2

] Schniewind

Synoptiker Exegese,

ThR NF 2 1930), 140, 152

5

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daß

er die ihm zugänglichen Einzeltraditionen in den »Rah

men der Geschichte Jesu«

K.

L

Schmidt) von

der Taufe des

J ohannes · bis

zu

Leiden, Kreuz

und

Auferstehung einfügt,

nicht

nur

um eine Passionsgeschichte nach vorne zu verlängern

M. Kähler: »Passionsgeschichte mit ausführlicher Einleitung<< ,

und

um

so

die Bedeutsamkeit der Einzeltraditionen durch ihre

Verbindung mit dem Kerygma von

Tod und

Auferstehung zu

erweisen, sondern auch um Kreuz

und

Auferstehung Jesu

durch die Geltendmachung des irdischen Jesus in ihrem Sinn

festzulegen.

Damit

ist zweierlei erreicht:

1

Die Einzeltraditionen verlieren das bloß Zufällige

und

Be

deutungslose und werden als geschichtswirksame Ereignisse

verkündet.

2

Dem Kerygma von

Tod und

Auferstehung Jesu

wird

das

sachlich Verschwommene und bloß Ideenhafte - seine stän

dige Gefahr - genommen, indem durch die Rückbindung

an den irdischen Jesus, d. h. an die Jesustraditionen, be

schrieben wird, wer

da

leidet

und

aufersteht.

Damit aber

wird

aus der

schriftstellerischen

Originalität des

Markus eine

theologische.

Das, was der apostolischen Predigt

unreflektiert zu eigen war, hebt er in die erzählerische Re

flexion. Solange die »Vita Jesu«

und

das Kerygma von

Tod

und

Auferstehung in der Predigt der

Apostellaut

wurde,

war

der Zusammenhang beider durch die Person des Apostels ver

bürgt. Doch für die zweite Generation und für die immer wei

ter vom Land der Ereignisse und seinen Traditionen wegliegen

den kirchlichen Gemeinden

war

die Verbindung von Kerygma

und

Vita nicht mehr so fraglos in der Person

des

Verkünders

repräsentiert. So

wurde die Erhebung der wechselseitigen b-

hängigkeiten zwischen Vita und Kerygma

eine Notwendig

keit, wollte die christliche Gemeinde

ihr

Schiff zwischen der

Skylla antiker religiöser Geheimbündelei

und

der Charybdis

hellenistischen Mysterienwesens hindurchsteuern. Auseinan

derstrebende Einzeltraditionen hätten Jesus als einen unter

vielen religiös Entzündeten und charismatisch Begabten ge

zeichnet, als einen der vielen antiken Heroen,

von

denen man

si h

wunderliche Taten erzählte, vorgestellt. Das Kerygma

r

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allein wäre vor dem alles aufsaugenden Mysterienwesen des

Stirb und Werde nicht zu bewahren gewesen. Dieser Gefahr

begegnete das Evangelium als eigenständige Leistung des

Theologen Markus. »Markus

hat

also verstanden,

daß

Gottes

Wort an die Welt im Ganzen

des

Wirkens, Sterheus und Auf-

erstehens J esu geschah, weder in einzelnen Worten J esu, so

daß er bloß der Lehrer bliebe, dessen Weisheit man auch über-

nehmen könnte, ohne von ihm selbst überhaupt zu wissen,

noch in einzelnen Wundertaten, so daß man ihn als göttlichen

Zauberer verehren könnte, noch in einem vorbildlichen Leiden,

so

daß er

nur

zur Nachahmung verlockte, noch in einer ab-

strakten Verkündigung göttlicher Gnade, die man zur

Not

auch von Jesus loslösen könnte«

3

Das sog. »Papiaszeugnis«

hat

darum in einer theologischen

Weise recht, wenn

es

vom Markusevangelisten als dem

Her-

meneuten des Petrus spricht, der die Predigt des Petrus über

Jesu Worte und Taten aufgezeichnet habe

4

• Nicht als habe

Markus dem Petrus unter den Heiden »gedolmetscht«

und

seine Predigt mitstenographiert, aber in dem Sinne,

daß

er der

zweiten, der nachapostolischen Generation, die apostolische

Predigt »gedolmetscht« hat, indem er an die Stelle der Gestalt

des Apostels die Gestalt seines Evangeliums gesetzt hat. Was

der ersten Generation die Person des Apostels lebendig ver-

bürgte, den Zusammenhang von Vita Jesu und Kerygma,

tut

für die zweite Generation und alle künftigen die von Markus

geschaffene, literarische Gattung

des

Evangeliums.

Die neutestamentliche Wissenschaft stützt sich im allgemeinen

heute auf die sog. Zweiquellentheorie. Einer ihrer tragenden

Pfeiler ist die Annahme, daß sowohl Matthäus als auch Lukas

bei der Abfassung ihrer Evangelien das Markusevangelium als

Quelle benutzt haben. Markus aber ist für beide nicht der

Steinbruch, aus dem sie die Steine zur Errichtung ihrer eigenen

Gebäude herausbrechen, sondern er ist eher das Haus, an das

sie anbauen, und in das sie weiteres Material hineintragen. Sie

3

E Schweizer

Das Evangelium nach Markus, Göttingen

I967, I I

NTDI

4

Eusebius

H. E. 111 39, I5

17

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stehen auf den Schultern des Markus weil sie die von ihm ge

schaffene Gattung des Evangeliums übernehmen. Darin aber

erweist sich noch einmal die Größe des markinischen Entwur

fes. Was Markus als erster getan hatte war

so

zeitentspre

chend so von seinem kirchengeschichtlichen Standort gefor

dert daß

es

geeignet ist zum Anziehungspunkt ähnlicher theo

logischer Absichten zu werden. Es ist wie mit einem Wort das

einer klärend in eine verworrene Situation hineinsagt; es wirkt

so daß es weitere Knoten entwirrt. In der Obernahme der

Gattung »Evangelium« von Markus zeigen Matthäus und Lu

kas daß

sie si h

in einer ähnlichen theologie- und kirchen

geschichtlichen Situation wie Markus befinden wenigstens was

das grundsätzliche Obergehen von der apostolischen zur nach

apostolischen Situation angeht.

2 Matthäus: Die Interpretation des Logienstoffs durch das

Evangelium

Für Matthäus bot der Rahmen des Markusevangeliums einen

geeigneten Anknüpfungspunkt für ein Thema das ihm be

sonders am Herzen lag nämlich das der Lehre fesu. Markus

hatte Kerygma- und Vitatraditionen im Evangelium verbun

den. Dabei leitete ihn nicht das Interesse des Historikers son

dern das des Theologen der das Kerygma inhaltlich näher be

stimmen und die Traditionen als bedeutsam erweisen wollte.

Doch eigentliche Lehre Jesu d. h. Logien bietet er wenig.

In-

dem er aber immer wieder grundsätzlich von der Lehre Jesu

spricht behauptet er die Relevanz dieser Lehre über Jesu

Tod

und Auferstehung hinaus. Möglicherweise hatte er wenig Zu

gang zu Traditionen von Logienstoff.

Darum

werden bei ihm

die Traditionen über die Taten Jesu zu beredter Lehre die das

Kerygma inhaltlich präzisieren. M atthäus dagegen verfügte in

einem Milieu einsetzender christlicher Schrifl:gelehrsamkeit und

katechetischer Unterweisung über viel Logienstoff der wohl

schon vor Matthäus in einer Sammlung von Herrenworten

ge-

sammelt worden war. Schon die Sammlung von Herrenworten

r

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stellt das Stadium einer bewußten Bewahrung inhaltlicher

Lehre dar. Wenigstens durch die Bindung einzelner Logien in

einen

Kontext

von anderen Logien

und

durch ihre Rückbezie

hung auf ein »Jesus sagt:«

waren

die einzelnen Logien davor

bewahrt in die Unverständlichkeit oder aber in die

Banalität

einer Binsenweisheit zu versinken. Das zeigt z. B die Gleich

nisüberlieferung:

Ohne

die Bindung an die eschatologische Si

tuation

Jesu werden sie unverständlich. Weisheitsworte wie

z. B »daß nicht die Gesunden des Arztes bedürfen sondern

die Kranken«

Mk

2 17 parr), gleiten ohne die Bindung an

den Sprecher Jesus ab

auf

die Ebene harmloser Weisheiten die

niemandem schaden aber auch keinem nützen. Solange die

Person des Apostels die Formelhaftigkeit des »Jesus sagt« wie

der

in die lebendige Situation Jesu zu überführen vermochte

war

die »Verständlichkeit« dieser Sammlung von Logien ge

währleistet. Sobald aber der Beziehungszusammenhang von

Lehre

Vita und

Kerygma durch den

Tod

des Augenzeugen

allmählich verlorenging

wurde

auch für die Sammlung

von

Herrenworten die Möglichkeit für einen neuen Bezug frei.

Dabei drohte aber die

Gefahr

einer verfälschenden Neuinter-

pretation

oder einer verflachenden Unverbindlichkeit. So

kann

eine ganze Sammlung von Logien Jesu ein neues Vorzeichen

bekommen wenn sie nicht in Verbindung mit der Vita Jesu

in

ihrem Sinn festgelegt

wird. Man

vergleiche etwa die Spruch

sammlung des gnostisierenden Thomasevangeliums. Es ist eben

kein »Evangelium« sondern nur eine Sammlung von Logien

und als solche leicht gnostisch zu interpretieren. Wenn aber

eine Logiensammlung nicht in Verbindung mit dem Kerygma

von Tod und

Auferstehung Jesu steht verliert sie ihre Autori

tät

und wird zur

Sammlung mehr oder weniger verpflichten

der

Sprüche eines Weisen denen

man

sich anschließen mag

oder nicht. Was die Logien Jesu bedeuten zeigt seine »Vita«

d. h. seine eschatologische Situation. Daß sie verpflichten zeigt

seine Auferstehung.

Das

von Markus geschaffene Evangelium

erwies

sich

also auch hier geeignet den Logienstoff aufzuneh

men ihn an die

Vita

Jesu an seine eschatologische Situation

zu binden

und

so die wenigstens grundsätzliche Verständlich-

19

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keit zu gewährleisten sowie ihm durch die Bindung

an

das

Kerygma vom auferstandenen Jesus bleibende Autorität zu

sichern.

Zudem gelingt

es

Matthäus durch die Vorschaltung von

Stammbaum und Kindheitsgeschichte und durch die Einfüh

rung alttestamentlicher Verheißung das Jesusereignis als Voll

endung der Heilsgeschichte Gottes mit Israel zu verkünden.

Damit

ist die Kontinuität des Jesusereignisses m t der heiligen

Geschichte Israels gesichert und Kirche und Jesusereignis in

einen größeren Zusammenhang gebracht. Zugleich ist damit

die historisch-einmalige Konkretheit Jesu unterstrichen dessen

Vita ja nicht irgendwann und irgendwo sondern in Israel das

Evangelium vom herangekommenen Königtum Gottes ver

künden sollte.

·

Lukas: Die Sammlung »aller« ]esustraditionen als

Vermächtnis für die Kirche

Auch Lukas stellt das Jesusereignis in die Kontinuität des gött

lichen Heilswillens. Auch er fügt Logienstoff Jesu hinzu. Doch

liegt seine Leistung eher darin daß er die Kontinuität von

Kirche

und

Jesusereignis herausstellt denn sein Evangelium

erhält eine Gestalt die durch ihr Bezogensein auf die Apostel

geschichte bestimmt ist. Damit verkündet Lukas der zweiten

kirchlichen Generation daß die apostolische Generation das

Jesusereignis legitim weitergeführt hat.

Er

akzeptiert bewußt

die Bedeutsamkeit der apostolischen Generation in der das

Jesusereignis durch Person und Verkündigung des Apostels

unverfälscht repräsentiert wurde. Zugleich aber schärft er da

durch ein daß Kirche

nur

dann Kirche ist wenn in ihr immer

wieder das Jesusereignis zur Geltung gebracht wird. Die»Vita

Jesu« bestimmt also Kirche auch inhaltlich und bewahrt sie

vor

dem Abgleiten in eine

sich

selbst vergötzende und

sich

sel

ber zum Maßstab nehmende Ideologie. Ihr Maßstab ist und

bleibt Jesus. o wird das was beiMarkusdurch die Schaffung

der Gattung Evangelium

sich

unreflektiert vollzogen hatte

2

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zum Programm.

BeiMarkus trat

die Gattung Evangelium an

die Stelle

des

Apostels. Bei Lukas

wird

darüber reflektiert und

die Gestalt des Apostels programmatisch. Aus der Erkenntnis

heraus, daß für seine Generation das Evangelium die mit der

Vita Jesu verbindende Funktion

des

Apostels übernehmen

muß, fügt auch er weiteren Logienstoff und Erzählgut in den

markinischen Rahmen ein, die Matthäus und Markus nicht

kannten. Dabei geschieht das nicht nur, um die Gestalt und

Relevanz der Lehre Jesu zu sichern, sondern auch aus dem

bewußten Bestreben, den nachfolgenden kirchlichen Genera-

tionen jede mögliche Jesustradition, »alles« zu vermitteln und

zu bewahren Lk r,r-4 . Was bei Markus faktisch begonnen

hatte, gelangt bei Lukas zu einem gewissen Endpunkt; die

Gattung Evangelium wird eingesetzt als eine die Funktion des

Apostels ersetzende »Augenzeugenschaft« zur Verkündigung

des Evangeliums von Jesus von Nazareth, der der auferstan-

dene Christus ist.

· Johannes: Die Bindung der Christusrede an Jesus

Dennoch entsteht nach Lukas noch ein anderes Evangelium,

nämlich das

des

Johannes Wenn Klemens in dem oben ange-

führten

Zitat

das Johannesevangelium ein »geistliches« nennt,

so zeigt das schon eine bestimmte Stellungnahme gegenüber der

Frage: Warum entstand nach dem Lukasevangelium noch ein

weiteres? Klemens versucht die

Antwort

zu geben, indem er

im Johannesevangelium eine notwendige, ja gottgewollte

Er

gänzung der Synoptiker sieht, die neben das »Leibliche« auch

das »Geistliche« stellt. Die

Antwort

des

Klemens

taucht in der

Forschungsgeschichte in vielfach variierter Gestalt auf. Eines

aber ist diesen Antwortversuchen gemein: Sie halten das Jo

hannesevangelium für eine Ergänzung der Synoptiker, sei

es

daß J ohannes den Synoptikern unbekannten Stoff bewahren

wollte, sei es daß Johannes den Christus der Synoptiker in

einer besonderen, von den Synoptikern vernachlässigten

Art

und Weise sichtbar machen wollte. Diese Antwortversuche

21

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können darum unter dem Namen »Ergänzungshypothese« zu

sammengefaßt werden.

Wenn die Antwort so gegeben wird, daß Johannes mit seinem

Evangelium die Synoptiker interpretieren wollte auch diese

Nuance mag bei der Antwort des Klemens mitschwingen-, so

kann man diese Art der Antwort als »lnt rpr t tionshypo-

these« bezeichnen. Eine Interpretation aber kann in verschie

dener Weise erfolgen. Sie kann dazu dienen, den Sinn eines

Werkes besser zu erfassen. Sie kann aber auch den Sinn eines

Werkes umdeuten, weil sie

sich

selber an die Stelle des Werkes

setzen will. Sieht

man

in Letzterem die

Antwort

auf

die Frage

nach der Entstehung des Johannesevangeliums, muß man das

Johannesevangelium als den Versuch, die synoptischen zu ver

drängen, ansehen. Man spricht deshalb von »Verdrängungs-

hypothese«. Schließlich kann man auch annehmen, Johannes

habe unabhängig von den Synoptikern ein Evangelium eige

nen Typus geschaffen Unabhängigkeitshypothese .

Nach dem Inkanischen Werk konnte die Gattung Evangelium

nicht mehr weiterentwickelt werden. Natürlich wäre es denk

bar

und ist es sogar wahrscheinlich, daß es J esustraditionen

gab, die Lukas einfach faktisch nicht erreichbar waren. Aber

ein Späterer, der sie noch zusätzlich gesammelt hätte, wäre

über die bei Lukas erreichte Reflexionsstufe grundsätzlich nicht

hinausgekommen. Das will das Johannesevangelium, wie

es

selber sagt, auch gar nicht tun. Der Verfasser weiß, daß

es

über die von ihm verwandten Stoffe hinaus noch Jesustraditio

nen gegeben hat. Jesus hat mehr getan, als im Buch des Johan-

nes aufgeschrieben ist Jo

20,30);

aber Johannes liegt im Ge

gensatz zu Lukas gar nichts an der Vollständigkeit; er will

durch das, was er schreibt, Glauben wecken Jo

20,31).

War-

um aber benutzt auch er die Gattung »Evangelium«? Es wäre

denkbar, daß er sie in einem dem Markus kongenialen Akt,

unabhängig von ihm, aber aus einem ähnlichen Bedürfnis,

ebenfalls geschaffen hat.

o

etwas gibt

es ja

durchaus in der

Geistesgeschichte. Doch ist eher anzunehmen,

daß

Johannes

die Gestalt der von Markus geschaffenen Gattung Evangelium

gekannt hat. Selbst wenn er um keines der synoptischen Evan-

22

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gelien aus direkter literarischer Kenntnis wußte,

so

war es doch

seit Markus für die christliche Gemeinde der zweiten Genera

tion eine theologische Notwendigkeit, sich in der Predigt des

Evangeliummusters zu bedienen. Es tat ja für die zweite Gene

ration

das, was die Person des Apostels der ersten Generation

verbürgt hatte,

es

gewährleistete nämlich den Zusammenhang

des kirchlichen Kerygmas mit dem irdischen Jesus

5

• Seit Mar

kus, seit dem Aussterben der Apostel,

mußte

die kirchliche

Verkündigung,

um

wirklich noch Evangelium

zu

sein,

sich

des

Evangeliummusters bedienen. Von hier aus kann vielleicht

noch ein wenig Licht

auf

die Entstehung des Johannesevange

liums fallen. Kirchliche Predigt der zweiten Generation dar

über hinaus jeder kirchlichen Generation) mußte, um nicht

häretisch zu sein,

in

Evangeliumsgestalt sich vollziehen, mußte

den Zusammenhang zwischen historischem Jesus

und

Kerygma

vom Auferstandenen bewahren. Ein Beispiel dafür sind

etwa

die Reden der Apostelgeschichte. Die Forschung hat gezeigt,

daß

sie weitgehend lukanische

Redaktion

sind. Wenn in ihnen

im Mund der Apostel das Evangeliummuster erscheint z. B.

Apg 2,22-36), so gibt das vielleicht nicht die Art und Weise

wieder, wie die Apostel gepredigt

hatten,-

für sie war es

ja

so

nicht notwendig, weil sie die Rückbeziehung auf den histori

schen Jesus

repräsentierten-

wohl aber die Art und Weise, wie

christliche Predigt in der nachapostolischen Generation aus

sehen mußte. Diese

Art »rechtgläubiger«, »apostolischer«,

evangeliumsgestaltiger Predigt istJohannes bekannt. Will

man

die besondere Leistung des J ohannes gegenüber den Synop

tikern

in den Blick bekommen, so ist

es

daher günstig, ihn nicht

allein als Gegenüber der Synoptiker zu sehen, sondern das

von ihm gebrauchte, aus der nachapostolischen Predigt stam

mende Evangeliummuster gegenüber dem von ihm verwende-

5

Vorliegende Arbeit berührt die literarkritischen Fragen nur am Rande.

Zum Stande der Forschung vgl. die

Standardwerke

der Einleitungswissen

schaft und die Einleitungen der Kommentare zu Johannes, besonders:

R. Schnackenburg Das Johannesevangelium I, Freiburg 1965, 1-196

Herders Theologischer Kommentar zum Neuen Testament IV/r sowie

den Forschungsbericht

von J

Blinzler Johannes

und

die Synoptiker,

Stutt

gart 1965 SBS 5

23

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ten Stoff zu betrachten. ann nämlich ließe

sich

entdecken

wie Johannes Traditionen und zu seiner Zeit und in seiner

Gemeinde übliche Christusreden mit der Evangeliengestalt

verschmilzt.

amit

aber gelingt es ihm in einer Zeit wuchern-

der Wundertraditionen und neuartiger religiöser Reden das

orthodoxe Evangeliummuster einzusetzen um das

erneut

drohende Auseinanderfallen von irdischem fesus

und

erhöh-

tem Christus

und das Auseinandertreiben von präexistentem

Offenbarer und Jesus von

Nazareth

einzufangen.

s

gelingt ihm verwilderte Wundertradition zu reinigen und

tiefsinnige Offenbarungsreden in den Dienst kirchlicher Pre-

digt zu stellen indem er für

sie

mittels

des

Evangeliummusters

den irdischen Jesus zur Geltung bringt. Damit aber gibt er ein

Modell für die Verkündigung aller kirchlichen Generationen:

sich neuaufkommender Redeweisen dann legitim zu bedienen

wenn auch sie durch das Evangeliummuster vor der Gefahr be-

wahrt

werden Jesus in eine allgemeine Idee aufzulösen. Voll-

ziehen die Synoptiker dies indem sie die altenJesustraditionen

durch ihre Evangelien vor Auflösung bewahren so ist Johan-

nes insofern progressiv als er nicht alte Tradition allein son-

dern auch

neue

ede

dem Evangelium von Jesus Christus

dienstbar macht. So erweist sich christliche Predigt als unter

dem Evangelium stehend. Sie hat die Aufgabe dieses Evange-

lium zu bewahren kein anderes Evangelium aufkommen zu

lassen. Das bedeutet aber nicht daß Bewahren nur Wieder-

holung

des

Buchstabens ist. Christliche Predigt ist vielmehr

in dem Sinne progressiv daß sie alle Wirklichkeit unter das

Muster

des

Evangeliums bringt d. h. von Jesus von

Nazareth

her und auf ihn hin versteht.

Unsere Überlegungen haben gezeigt: Wenn man

sich

anschickt

Parallelen zwischen Johannes und den Synoptikern ins Auge

zu fassen ist die erste und grundlegende Parallele in der

Tatsache zu sehen daß

fohannes und die Synoptiker si h der

Gestalt eines Evangeliums bedienen

Der Blick soll nun auf

stoffliche Parallelen zwischen J ohannes und den Synoptikern

gerichtet werden weil

so

an Einzelheiten die Verschiedenheit

und die Einheit zwischen synoptischer Sicht und johanneischer

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Sehweise hervortreten soll. azu wurden drei größere Kom-

plexe ausgewählt die das Problem besonders sichtbar machen.

Erstrebt wurde also keine Vollständigkeit des Materials ver-

zichtet wurde vor allem auf einen Vergleich der synoptischen

und

johanneischen Leidensgeschichten.

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I I

DIE TEMPELREINIGUNG

Mk 11,15-17. 27-33; Mt 21,12-13. 23-27; Lk 19,45-46; 20,1-8;

Jo

2,14-22)

1 Die H errschafl Gottes als Ende des Tempels Vorlage des

Markus)

Die Perikope von der Tempelreinigung ist in vier Fassungen

überliefert, bei den Synoptikern

und

bei Johannes. Die Über

einstimmungen unter den Synoptikern zeigen, daß Matthäus

und ebenso Lukas von Markus abhängig sind. Dabei folgt

Matthäus mit Ausnahme von

Mk

I

I,I6

dem Markus recht

genau, während Lukas die eigentliche Erzählung von der

Tempelreinigung stark verkürzt.

Es

ist danach zu fragen, ob

auch die vorliegende Markusfassung ihrerseits schon eine Be

arbeitung einer Vorlage ist.

Läßt sich

bei Markus

Vorlage und

edaktion

unterscheiden?

Mk

II,I

5

a berichtet davon, daß

Jesus mit seinen Jüngern nach Jerusalem kommt.

Der

Vers soll

die Perikope von der Tempelreinigung an das Vorhergehende

anschließen.

Er

führt Jesus

und

die Seinen am Tage nach dem

feierlichen Einzug in Jerusalem erneut von Bethanien in die

heilige Stadt.

Daß

der Vers

nur

verknüpfen soll, zeigt, daß er

nicht zum eigentlichen Grundbestand der Perikope von der

Tempelreinigung gerechnet werden

darfl.

In

der Vorlage be

gann die Perikope wohl mit Vers I

5

b: »Und er

trat

ein in das

Heiligtum und begann die Verkäufer und Käufer im Tempel

hinauszuwerfen.« Die Perikope schildert nun im einzelnen,

wie Jesus die Tische der Geldwechsler und die Stände der

Taubenverkäufer umstößt und nicht zuläßt, »daß jemand ein

Gerät durch

d ~

Heiligtum trägt« Mk

II,I6 .

Vers

I5b

und

Darauf weist auch wohl die Verwendung des Präsens der Erzählung hin,

in dem der Eintritt in Jerusalem Vers 15a beschrieben wird. Die Erzäh

lung von der Tempelreinigung berichtet dagegen im Aorist. Außerdem hebt

Vers 15b erneut an und spricht im Singular nur von einem Eintreten Jesu

in den Tempel. Der Plural des Verses 15a »Sie kommen« setzt jedoch vor

aus, daß Jesus zusammen

mit

seiner Jüngerschar in die heilige Stadt

kommt.

6

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16 hatten die eigentliche Handlung der Tempelreinigung be-

schrieben. Mit Vers I7 wird aus der Handlung die Lehre ge-

zogen und aus dem einmaligen Ereignis der Tempelreinigung

2

das abgeleitet, was immer gilt

3

• Ereignis und Lehre sind durch

eine Zäsur voneinander abgehoben, die Matthäus und Lukas

nicht mehr

so

offensichtlich hervortreten lassen, indem sie das

betonte »Er lehrte« weglassen. Das Imperfekt »Und er lehrte

und

sprach« leitet die aus der Handlung gezogene Lehre ein.

Sie wird in der Form eines alttestamentlichen Mischzitats ge-

geben. Durch das Mischzitat soll das erstaunliche, ja anstößige

und »frevelhafte« Verhalten Jesu im Heiligtum »religiös« ge-

deutet werden. Als Zitat aus der Heiligen Schrift läßt es das

Verhalten Jesu dem in den Schriften enthaltenen Gotteswillen

entsprechen.

Die Perikope läßt sich in zwei Abschnitte gliedern. In einen

ersten (Verse I 5

b-I6

erzählenden und in einen zweiten (Vers

17) belehrenden Reflexionsabschnitt. Das Mischzitat zeigt, daß

das Verhalten Jesu der Deutung bedurfte, weil

es

für die über-

liefernde Gemeinde nicht recht verständlich war, ja möglicher-

weise mit dem Bild, das

sie von dem Manne Gottes Jesus hatte,

nur schwer vereinbart werden konnte. Vers I 8 scheint die Ge-

schichte beenden zu wollen. Er bringt eine Reaktion von

Hohenpriestern und Schriftgelehrten auf die Ereignisse und

Worte der Verse 1 5

b-

I

7

Doch beendet Vers I 8 die Geschichte

nicht, sondern verweist den Leser auf noch folgende Ereignisse

in der Abfolge des Evangeliums. Die Absicht der Hohen-

priester und Schriftgelehrten, J esus zu vernichten, nimmt die

Entscheidung des in Mk I4,I-2.IO-I 1 gefällten Todesbeschlus-

ses

voraus. (Auch dort werden Hohepriester und Schriftge-

lehrte erwähnt ) Doch wird in Vers I8 der Beschluß durch den

Hinweis auf die Popularität Jesu und die Furcht der Hohen-

priester und Schriftgelehrten vor dem Volk noch in der Schwebe

gehalten

4

• So können, bevor es zu der Entscheidung von Mk

2

V gl. die Aoriste von Vers 15

b

3

Vgl. die Imperfekte von Vers q »Er lehrte und sprach.«

4

Auch das Motiv der Furcht vor dem Volk stammt ursprünglich aus dem

Todesbeschluß, wo in direkter Rede von der Rücksicht der Hohenpriester

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1 4 1 - 2

kommt, noch weitere Ereignisse berichtet werden.

Der

Redaktor schafft sich die Möglichkeit, weiteren Stoff einzu-

gliedern. Daß er das mit Elementen des in Mk 1 4 1 - 2 erzähl-

ten Todesbeschlusses über Jesus

tut

(Hohepriester und Schrift-

gelehrte, Furcht vor dem Volk), bietet uns vielleicht einen

Hinweis darauf, daß die Tempelreinigung wohl in der Vor-

lage

schon nicht als Einzelperikope überliefert wurde, sondern

n einem größeren Zusammenhang zu dem auch

Mk

1 4 1 - 2

gehörte. Zumindest sah die dem Redaktor vorliegende Tradi-

tion schon einen Zusammenhang zwischen der unerhörten

Tat

der Tempelreinigung und dem Todesbeschluß. Die Verse

I8

und I9 schaffen Raum für weiteren Traditionsstoff. Es können

noch ein

paar

Tage bis zum Todesbeschluß von Mk

q I-2

ver-

gehen, während derer Jesus sich in Jerusalem aufhält, um

abends aus der Stadt zu gehen.

Demgemäß kann Vers

2 0

von dem auf die Tempelreinigung

folgenden Morgen berichten. Nach dem jetzigen redaktionel-

len Zusammenhang ist seit der Tempelreinigung Zeit ver-

gangen. Daher kann das Ergebnis

einesamTage

der Tempel-

reinigung geschehenen Ereignisses besichtigt werden. Der Fei-

genbaum, von dem in den Versen

3

und

4

auf dem Weg

zur

Tempelreinigung die Rede war, ist bis

in

die Wurzel verdorrt.

Ausdrücklich verbindet die Bemerkung »da erinnerte sich Pe-

trus« von Vers

2 I

mit dem in Vers

I4

b eigens erwähnten

»seine Jünger hörten

es«

Die direkte Rede des Petrus in Vers

2 I : »Meister, sieh, der Feigenbaum, den du verflucht hast, ist

verdorrt« stellt die Beziehung zu dem in Vers 14 berichteten

Fluchwort Jesu über den Feigenbaum her. Vers 12 ordnet die

Geschehnisse um den Feigenbaum in den redaktionellen Zeit-

ablauf ein. So geht es offensichtlich

auf

Redaktion zurück, daß

die

Feigenbaumgeschichte

die Perikope von der Tempelreini-

gung rahmend umgibt. Als Rahmen aber

hat sie

den Sinn, die

Geschichte von der Tempelreinigung zu interpretieren. Sie ist

also eine weitere Deutung.

und Schriftgelehrten auf das Volk gesprochen wird:

»Sie

sagten nämlich:

Nicht am Festtag, damit kein Lärm im Volke entsteht « (Mk 14,2 . Vgl.

auch Mk 12,12

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. Die Perikope von der Tempelreinigung findet

sich

bei Markus

also innerhalb eines weitgehend redaktionellen Zusammen-

hangs. Vers 5 a ist redaktionelle Verknüpfung, ebenso wie

Vers 8 Durch sie wird die Perikope in das redaktionelle

Dreitageschema eingepaßt. Auch die nähere Rahmung durch

die Feigenbaumgeschichte ist redaktionell. Haben wir durch

die Abhebung des redaktionellen Rahmens die Gestalt der

Perikope in der Vorlage schon erreicht?

Dann würde die Peri-

kope den Eindruck einer unabgeschlossenen und bruchstück-

haften Geschichte machen.

Da

die Reaktion der Hohenpriester

und Schriftgelehrten von Vers 8 redaktionell ist, würde in der

Vorlage auf die ärgerniserregende

Tat

Jesu im Tempel keiner-

lei Reaktion berichtet werden. Mußte aber nicht diese Hand-

lung Jesu im Heiligtum von Jerusalem die

Hüter

des Heilig-

tums auf den Plan rufen? Mußte nicht auch die Vorlage schon

von einer Reaktion auf die Tat Jesu berichten? In diesem Zu-

sammenhang fällt eine weitere Ungereimtheit auf, die der

heutige Markustext bietet, und die von den beiden anderen

Synoptikern schon bemerkt und beseitigt wurde. Mk

I

I,27

nämlich führt Jesus mit seinen Jüngern erneut nach Jerusalem

und in den Tempel. Er geht im Tempel umher. Hohepriester,

Schriftgelehrte und Alteste treten an ihn heran und fragen ihn:

»In welcher Vollmacht tust du das?« Mk II,28 . Dem Zu-

sammenhang nach bezieht

sich

ihre Frage auf das von Vers 27

erwähnte Umhergehen Jesu im Tempel. Doch bedurfte

es

dazu

keiner besonderen Vollmacht, sondern war jedem männlichen

Israeliten ohne weiteres gestattet und lediglich den Heiden

verwehrt

5

Die Vollmachtsfrage bei Markus ist also in ihrem heutigen

5

Matthäus und Lukas mögen das ebenfalls empfunden haben. Sie ändern

hier

und

beziehen die Vollmachtsfrage der zuständigen Autoritäten

auf

die Lehre Jesu im Tempel Mt 21,23; Lk 2o,r).

In

ihren Augen war also

bloßes Umhergehen im Tempel kein Grund zu einer Frage nach der Voll-

macht, wohl aber das Lehren. V gl. Billerbeck

I,

859 f. Bultmann erwägt

diese Frage auch und gibt die Möglichkeit zu: »Das mag in einer früheren

Redaktion des Markus der Fall gewesen sein, ob aber auch ursprünglich,

ist sehr fraglich, da die Tempelreinigung nicht als Anlaß einer rabbinischen

Debatte, um die es sich handelt, geeignet erscheint.« R. Bultmann Die Ge-

schichte der synoptischen Tradition, Göttingen

6

r964, r8

29

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Zusammenhang

nur

schwach, ja eigentlich gar nicht motiviert.

Die Vorlage der Tempelreinigung scheint ohne Echo auf die

ungewöhnliche

Tat

Jesu zu enden. Ein Blick auf die Johannes

fassung kann uns hier weiterbringen. Bei Johannes folgt näm

lich auf die Tempelreinigung sofort eine Frage der »Juden«

Jo 2,14-18). Sie fordern von Jesus ein Zeichen, das seine

Tat

legitimieren soll. Man kann vermuten, daß Johannes der ur

sprünglichen Fassung der Tempelreinigungsperikope näher

steht als Markus. Zumindest folgt bei Johannes der

Tat

Jesu

eine entsprechende Reaktion.

Näher

besehen ist die Reaktion

bei Johannes der markinischen Vollmachtsfrage sehr ähnlich.

Johannes formuliert zwar mit Hilfe

des

den Synoptikern an

anderer Stelle auch bekannten Zeichenforderungsmotivs vgl.

Mk 8,II-I2; Mt 12,39-42;

Lk

u,29-32 ,

doch läuft die For

derung der »Juden« nach einem Legitimationszeichen auf das

selbe hinaus wie die Frage der Hohenpriester und Schriftge

lehrten nach der Vollmacht Jesu bei Markus. Nimmt man hin

zu, daß Matthäus und Lukas das Umhergehen Jesu im Tempel

Mk

u,27

als Motivation für die Vollmachtsfrage nicht

ge-

nügt, und sie die Lehre Jesu im Tempel als Anlaß zu dieser

Frage nennen Mt 21,23; Lk 2o,r), ist man berechtigt, in der

Tempelreinigung Jesu den eigentlichen Anlaß zur Frage nach

Jesu Vollmacht durch die zuständigen Autoritäten zu sehen.

Das gilt umso mehr, als Tempelreinigung und Vollmachts

frage in jeweils direktem Bezug zu dem redaktionellen Drei

tageschema stehen Mk u,r5. 27),

und auch die rahmende

Feigenbaumperikope als redaktionelle Deutung verstanden

werden muß.

Für

die Vorlage des Markus muß darum ange

nommen werden, daß Tempelreinigung

un

Vollmachtsfrage

eine zusammengehörige Einheit bildeten

Mk r,r7

deutet die Handlung Jesu durch ein Schriftwort. Als

Zitat

aus der Heiligen Schrift sagt

es

daß Jesu Handlung dem

Willen Gottes entspricht. Den nach der Vollmacht fragenden

Autoritäten wäre somit eine

Antwort

auf ihre Frage gegeben:

Gott hat

Jesus zu diesem Handeln ermächtigt. Streng genom

men hätten

sie

also höchstens wie bei Johannes nach einem Be

glaubigungszeichen, nicht jedoch nach Vollmacht überhaupt

30

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fragen dürfen. Das läßt vermuten, daß auch der die Handlung

Jesu deutende Vers 17 nicht zum ursprünglichen Bestand der

Perikope gerechnet werden

darf

6

Sein redaktioneller Charak

ter wird sich dann zeigen lassen, wenn sein Zusammenhang

mit der redaktionellen Deutung der Tempelreinigung durch

die Feigenbaumperikope bedacht wird. Wir dürfen darum an

nehmen, daß in der Vorlage des Markus die Vollmachtsfrage

der Hohenpriester, Schriftgelehrten und Altesten unmittelbar

auf die Erzählung von der Handlung Jesu im Tempel folgte.

Jesus betritt den Tempelbereich und treibt Geldwechsler und

Händler

von Opfertieren aus dem Tempel. Die offiziellen

Tempelbehörden schreiten ein und fragen Jesus nach einer

Vollmacht für sein sakrilegisches Handeln • In Autorität ant

wortet Jesus mit einer Gegenfrage, die die Berechtigung der

Fragesteller, ihn nach der Vollmacht zu fragen, zurückweist.

Die Antwort Jesu stellt die Vollmacht seines Handeins hin,

ohne sie zu begründen. Er vergleicht seine Handlung im Tem

pel mit der Taufe Johannes

des

Täufers. Auch die Taufe des

Johannes stellte vor die Frage, ob sich darin ein Handeln im

Auftrag und in der Vollmacht Gottes ereignete oder aber

menschliche, ja sogar vielleicht in bezug auf den offiziellen

Religionsbetrieb häretische Anmaßung. Wie die Taufe

des

Johannes vor eine absolute Entscheidung stellte und nicht

nach einer

sie

legitimierenden Vollmacht hinterfragt werden

konnte, stellt auch die Tempelreinigung Jesu vor eine absolute

Frage. Sie führt

vor

die Alternative, das durch sie Verkündete

anzunehmen oder abzulehnen. Insofern sie eine Zeichenhand-

8

Der

absolute Gebrauch von l;ölllucrxEv Er lehrte) ist zudem eine mar

kinische Eigentümlichkeit. Des öfteren

führt

er den lehrenden J esus vor,

ohne aber wie Matthäus durch großen Logienstoff den

Inhalt

der Lehre

Jesu wiedergeben zu können.

So

ist

ja

auch die in Vers

7

mitgeteilte

Lehre nicht ein originales Herrenwort, sondern ein biblische Stellen zusam

menziehendes Mischzitat.

7

Die Vermutung

Bultmanns

Geschichte der synoptischen Tradition, 18

»daß sich das <Uii<u n o L E i ~ auf die Tauftätigkeit Jesu bzw. seiner Ge

meinde) bezogen hat«,

läßt sich

nicht aufrecht erhalten. Vor allem die

Johannesparallele, die der Tempelreinigung eine ähnliche Frage der

»Ju-

den« an Jesus folgen läßt, scheint zu zeigen, daß die Vollmachtsfrage von

Mk

11,28 sich unmittelbar auf die Tempelreinigung bezog.

JI

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lung ist, wie die Taufe des Johannes auch, weist sie auf etwas

Inhaltliches hin. Einer, der im Tempelbereich die für den

Opfergottesdienst notwendigen Tierhändler und Geldwechsler

vertreibt, wendet

sich

nicht gegen Pervertierung des Gottes

dienstes durch Geschäftemacherei, sondern viel radikaler gegen

den Opfergottesdienst überhaupt. Wie die Taufe des Johan

nes im Zusammenhang mit seiner eschatologischen Bußpredigt

zu sehen ist, und als Zeichen der Bereitung für das heran

kommende Königtum Gottes verstanden werden muß Mk

1,2-8 ,

will auch die Handlung Jesu im Tempel als eschatolo

gische

Zeichenhandlung verstanden werden. Sie ist in den Ge

samtzusammenhang der eschatologischen Botschaft Jesu ein

zuordnen. Seine sich gegen den Opfergottesdienst im Tempel

richtende Handlung ist nicht im Sinne prophetischer Kult

kritik allein zu verstehen. Diese will den Opfergottesdienst

aus dem Tempel in das zerknirschte Herz des

sich

erbarmenden

Frommen verlagern

8

• Jesus will darüber hinaus die Unnötig

keit jeglichen Kultes angesichts der hereinbrechenden Herr

schaf :

Gottes dokumentieren. Wenn Gott selbst kommt, wer

den Opfer unnötig.

2 Die universalistische Weitung des Tempels für »alle Völker«

Markus)

Wie hat Markus die Perikope seiner Vorlage verstanden? Was

will er vor allem durch die Rahmung der Tempelreinigung mit

der Geschichte von der Verfluchung des Feigenbaums seiner

Gemeinde sagen? Am Tage nach dem feierlichen Einzug in

Jerusalem geht Jesus nach der markinischen Darstellung mit

seinen Jüngern von Bethanien aus, wo er die Nacht verbracht

hat, in die heilige Stadt. Unterwegs, so wird unvermittelt be

richtet, hungerte ihn Mk rr,12). Er sieht einen Feigenbaum

und versucht Früchte an ihm zu finden, doch er findet nur

Blätter Mk r

r,r

3). »Da redete er ihn an: Von dir soll in Ewig-

8 Vgl. Am 5,4-7.21-23; Hos 6,6; Jer 7,21-23; Jes I,10-17; Ps 50,9.13 f ;

p,I8 f

32

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keit keiner mehr eine Frucht essen «

Die

Darstellung

vermerkt

eigens,

daß

die Jünger es hören (Mk rr,14). Es folgt die Tem

pelreinigung und Vers

9 führt am

Abend Jesus wieder aus

der

Stadt hinaus. Am nächsten Morgen kommen sie wieder an

dem Feigenbaum vorbei und sehen: Er ist bis zur Wurzel ver

dorrt (Mk rr,2o). Petrus erinnert sich

und

weist Jesus darauf

hin: »Meister, sieh, der Feigenbaum, den du verflucht hast, ist

verdorrt.«

Mk

rr,2r). Die Brücke zum Tag vorher ist ge

schlagen. Als Rahmen um die Tempelreinigung hat die Peri

kope deutenden Charakter. Wie aber ist die Deutung zu

ver

stehen?

Wir müssen

davon

ausgehen, daß schon innerhalb der Peri

kope von der Tempelreinigung eine Deutung der

Handlung

Jesu im Tempel in dem auf sie folgenden Schriftzitat erfolgt.

Die Deutung durch das Schriftzitat findet sich auch bei

Mat-

thäus

und

Lukas. Allerdings haben sie

es

in bezeichnender

Weise verändert, indem sie das »für alle Völker« weggelassen

haben. Sie verstanden nämlich die

Handlung

Jesu im Tempel

als eine

Art

Tempelreform, die den durch Geschäftemacherei

pervertierten Tempeldienst seiner eigentlichen Bestimmung

wieder zuführen wollte. Sie sahen das in dem Schriftwort aus

gedrückt

und

empfanden das »für alle Völker« als überflüssig,

weil es

nach ihrer Meinung über die durch das Schriftzitat an

gezielte Aussage hinausging. Doch findet sich gerade hier der

Anknüpfungspunkt

dafür,

daß

die Feigenbaumperikope als

Deutung

der Tempelreinigung verstanden werden kann. Das

»für alle Völker« entstammt einem Jesajazitat (Jes 56,7).

Jes 56,3-8 spricht in der

Form

einer Heilszusage von zwei

Gruppen

von Menschen: Beide, die Verschnittenen

und

die

Fremden, erheben Klage darüber, daß sie nicht zur

Jahwe-

gemeinde gehören (Jes 56,3).

Ihre

Klage

wird

durch eine in

der

Form

eines Gottesspruches ergehende Heilsverheißung ab

gewiesen. Beiden wird ein Platz

im

Hause Jahwes zugesichert

und es wird

ihnen in kultischer Terminologie ihre Zugehörig

keit

zur

Jahwegemeinde zugesagt (Jes 56,4-5 für die Ver

schnittenen, Jes 56,6-7 für die Fremden). Der

Abschnitt

schließt mit einem Spruch Jahwes, der die Versprengten sam-

33

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melt

]es

56,8). Das bei Markus verwandte Zitat stammt aus

der Heilsverheißung an die Fremden. Ihnen wird zugesichert,

daß auch ihnen Freude gewährt wird im Bethause Jahwes, daß

auch ihre

Opfer

wohlgefällig seien, »denn mein

Haus

soll ein

Bethaus genannt werden für alle Völker«. Anteilnahme am

Jahwekult im Tempel

wird

zu einem Bild

für

die eschatologi

s he

Heilsteilhaftigkeit auch der Heidenvölker. Vers 7 bei

Markus will also offensichtlich die Tempelreinigung Jesu

so

interpretieren, daß durch

sie

das eschatologische Heil auch für

die Heidenvölker bereitet wird. Dadurch aber geht die Deu

tung über den der bloßen Handlung zu entnehmenden Sinn

hinaus. Durch

sie wollte Jesus die Fragwürdigkeit des Tem

pels angesichts der herannahenden Herrschaft Gottes selber

verkünden. Vers I7 deutet die Handlung unter der Perspek

tive der schon hereingebrochenen Herrschaft Gottes, die nicht

nur

den Tempel unnötig macht, sondern seine nationalen Gren

zen sprengt. Weil Gottes Herrschaft hereingebrochen ist, ist

Gottes Heil für alleVölker da, und der Sionsberg wird durch

Jesus für die eschatologische Völkerwallfahrt von den Grenzen

der Erde her bereitet.

Der

Evangelist schreibt von dem Stand

punkt einer Gemeinde her, die das in Jesu Handeln verkün

dete Angebot angenommen hat, und die als Konsequenz des in

Jesus hereingebrochenen Eschatons erkannt hat, daß Gottes

Herrschaft und Heil

si h

nicht mehr auf Israel beschränken

lassen, sondern alle Völker umfassen will. Sie sieht in Jesu

Handlung das bei Tritojesaja prophetisch verheißene Eschaton

anwesend.

Aber die Deutung nimmt nicht nur den eschatologischen Heils-

charakter der Handlung ]esu

wahr, den

sie

in universalistische

Perspektiven wendet, sondern sie versteht sie auch als Schei-

dung

und

Gericht.

Sie sieht Jesu Handlung nicht nur als Ende

des Tempels, sondern auch als Restitution eines ursprünglichen,

dessen eigentlicher Sinn durch die Schuld der Angeredeten ver

dunkelt worden ist: »Ihr aber habt es zur Räuberhöhle ge

macht « (Mk I I,I7 .

Der

zweite Teil des Mischzitats von Vers

17

entstammt der Tempelrede

des

Propheten Jeremia (]er

7,

u . Jeremia klagt die Judäer an, daß sie durch ihren verwil-

34

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derten sittlichen Wandel den Tempel Jahwes zu einer Räuber

höhle machen, wenn

sie

weiterhin ohne Umkehr sich auf den

Tempel berufen und zu ihren religiösen Feiern benutzen

]er

7,I-u .

Mit diesem Jeremiazitat will Vers

I7

die Tempel

reinigung zugleich als ein Gerichtszeichen über Israel verstan

den wissen. Auch hier wird die Perspektive einer Gemeinde

wirksam, die das in Jesus hereingebrochene Eschaton als von

Israel abgelehnt erfahren hat. Zugleich

darf

man hier den

Ansatzpunkt dafür erkennen, warum Markus die Tempel

reinigungsperikope mit der Feigenbaumverfluchung umrahmt.

Klagten

sich

bei Tritojesaja die Verschnittenen als »dürre

Bäume« an, weil sie nicht zur Heilsgemeinde gehörten J

es

56,3), und wurde ihnen dort bedeutet, daß ihre Klage nicht

den Plänen Jahwes entspreche, der auch ihnen einen Namen

und einen ewigen Anteil in seinem Haus geben will

]es 56,

4-5 , so wird beiMarkusder Feigenbaum »Israel« vorgeführt,

der im Gegensatz zu den Heidenvölkern dem

an

ihm Früchte

suchenden Messias nur Blätter bieten kann und durch den

Fluch Jesu als verdorrter Baum bezeichnet wird. In einem

Drohwort spricht J eremia die Führer des Volkes an: »Will ich

Lese halten - so lautet der Spruch des Herrn - so sind keine

Trauben am Weinstock, keine Feigen am Feigenbaum, das

Laub ist verdorrt« }er

8,I 3 .

Für die eschatologischen Zeiten

kündet Ezechiel an: »Dann werden alle Bäume des Feldes er

kennen, daß

ich,

der

Herr,

den hohen Baum erniedrigt und den

niedrigen Baum erhöht habe, daß ich den saftreichen Baum

habe verdorren lassen und den dürren Baum zur Blüte gebracht

habe« Ez

I7,24)

 

Die Feigenbaumperikope spricht von Israel; es bringt keine

Frucht und

wird

zum dürren Baum. Es ist möglich, daß die

angehängten Logien über den Glauben den

Grund

angeben,

warum der Baum keine Frucht bringt: Es fehlt ihm der Glau

ben an Gott, weil er sich dem Messias verweigert Mk I I ,22 ).

Daß

die

Feigenbaumperikope

n

engem Zusammenhang zu

dem die Tempelreinigung deutenden Vers 17 steht, zeigt, daß

35

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die in Vers

17

zitierte Stelle aus Tritojesaja in ihrem Kontext

das Bild von den »dürren Bäumen« kennt. Darum ist anzu-

nehmen, daß derselbe, der die Tempelreinigungsperikope mit

der Geschichte vom Feigenbaum umgab, auch das Schriftzitat

von Vers I7 in die Tempelreinigungsperikope einfügte. Bei

Tritojesaja las er von den »dürren Bäumen« und assoziierte

die Perikope vom unfruchtbaren Feigenbaum.

Es

mag sein,

daß ihm dafür ein dem Gleichnis

des

Lukas Lk q,6-9 ähn-

liches Bildwort vorlag, das von Israel als dem unfruchtbaren

Feigenbaum sprach. Indem er dieses Bildwort zu einer

Hand

lung Jesu umformte und die Tempelreinigungsperikope damit

umrahmte, setzte er den Heidenvölkern, für die Jesus den

Tempel zum eschatologischen Bethaus reinigte, das unfrucht-

bare Israel gegenüber. Wegen

des

Zusammenhangs mit dem

redaktionellen Dreitageschema darf man in dem Redaktor

Markus vermuten. Folgendes könnte Markus dazu bewegt

haben, die Tempelreinigung als universalistisches Heilszeichen

»für alle Völker« und als Gerichtszeichen über den unfrucht-

baren Feigenbaum Israel zu verstehen.

Er

las in seiner Vorlage

die Geschichte von der Tempelreinigung wohl schon in Ver-

bindung mit der Passionsgeschichte. In ihr sah er die Geschichte

der Ablehnung

des

Messias Jesus durch sein Volk Israel. Die

Altesten und Hohenpriester sind

es

die den

Tod

des Messias

Jesus beschließen Mk 14,1).

War

die Tempelreinigung durch

Jesus möglicherweise der historische Anlaß für die Gescheh-

nisse, die zur Kreuzigung Jesu führten, kann Markus sie theo-

logisch als Zeichen des messianischen Gerichts über den un-

fruchtbaren Feigenbaum Israel, zugleich aber auch als Ankün-

digung der universalen Weitung

des

Heils »für alle Völker«

interpretieren. Die Tempelreinigung partizipiert dadurch an

der in Jesu Kreuz und Tod

sich

vollziehenden Entschränkung

des

Heils.

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3· Die Tempelreinigung ]esu als Handlung in eschatologischer

Vollmacht Vorlage des Johannes)

Die Vorlage und ihre Redaktion

Auch das Johannesevangelium kennt die Perikope von der

Tempelreinigung und läßt eine Frage nach einem Legitima

tionszeichen folgen. Im Wortlaut und in den Einzelheiten

weist diese Fassung Unterschiede zu Markus auf, die darauf

schließen lassen, daß eine direkte literarische Abhängigkeit

nicht vorliegt.

Der

auffallendste Unterschied besteht darin,

daß Johannes die Perikope nicht wie die Synoptiker gegen

Ende der Wirksamkeit Jesu in seinen Aufriß einordnet, son

dern sie schon ganz zu

Beginn seines Evangeliums

bringt. Nach

dem Jesus in Kana in Galiläa den Anfang mit seinen Wundern

gemacht hat, führt ihn Jo 2 13 unmittelbar darauf nach Jeru

salem zum Passahfest der Juden, wo die Tempelreinigung er

folgt. Wir dürfen annehmen, daß die Einordnung in diesen

Zusammenhang auf den Johannesredaktor zurück geht. Die

Festreisen Jesu nach Jerusalem gehören zu den Mitteln johan

neischer Komposition. Außerdem bedarf Johannes nicht der

Tempelreinigung als Anlaß zur Passion, weil er durch die Auf

erweckung

des

Lazarus den Weg Jesu in sein Todesschicksal

münden läßt Jo 11,1-53). Geht schon die Einordnung der

Perikope in den johanneischen Aufriß auf den Redaktor zu

rück,

so

lassen

si h

auch innerhalb der Perikope deutliche

redaktionelle Akzente erkennen. Wir müssen darum wie bei

Markus versuchen, zwischen Vorlage und johanneischer

-

daktion

zu unterscheiden.

Liest man die Geschichte von der Tempelreinigung

und

das

darauffolgende Gespräch in der johanneischen Fassung auf

merksam durch und achtet dabei auf den erzählerischen Ab

lauf, wecken besonders die Verse

2

und

2 2

die Aufmerksam

keit. Sie heben

si h

nämlich von der Ebene des Gesprächs der

Juden mit Jesus insofern ab, als auf den von den Juden nicht

verstandenen Sinn der Worte J

esu

reflektiert wird: »Jener

37

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sprach aber vom Tempel seines Leibes.« Zudem verläßt die

Reflexion den zeitlichen Rahmen der Geschichte und

des

Ge

sprächs und begibt

sich

zu einer nachösterlichen Verstehens

situation: »Als er nun von den Toten auferstanden war, er

innerten

sich

seine Jünger daran,

daß

er dies gesagt hatte.«

Außerdem werden die theologischen Grundlagen der nach

österlichen Reflexion angegeben: »Sie glaubten der Schrift

und dem Worte, das Jesus gesprochen hatte«. Von ihrer Inten

tion her ist diese Reflexion eine nachträgliche Erklärung für

den Leser. Sie lassen sich im Johannesevangelium häufiger

finden (Jo

7,39;

II IJ;

12,33).

Im

Licht der Erklärung

des

Wortes J esu in Vers I 9 durch Vers 2 I erweist sich das in Vers

2

zutage tretende Verständnis des Wortes durch die Juden als

ein Mißverständnis. Die Mißverständnistechnik ist aber eben

falls bei J ohannes sehr beliebt

10

Schließlich kommen johan

neische Spracheigentümlichkeiten hinzu

11

, die uns erlauben, in

den Versen 2 I und 22 johanneische Redaktion zu erkennen.

Dieser dürfen wir auch Vers 2 zurechnen.

Er

nimmt das Stich

wort

ßydQELV (aufrichten, auferwecken) von Vers I9 mißver

stehend auf (s. Vers 22

).

Die von Vers 22 ausgesprochene nachösterliche Erinnerung der

Jünger wird als Verständnis des Wortes Jesu im Licht der es

erklärenden Heiligen Schrift gesehen. Zum Verständnis kom

men die Jünger, indem

sich

für sie nach Ostern die Begegnung

des erinnerten Wortes Jesu mit dem Wort der Schrift voll

zieht. Eine solche Begegnung findet auch in Vers I 7 statt. In

Vers

I6

spricht Jesus das Wort: »Nehmt das fort und macht

das Haus meines Vaters nicht zu einem Handelshaus « Das

Wort Jesu erschließt sich ihnen, indem sie sich der Schrift er

innern: »Seine Jünger erinnerten sich, daß geschrieben steht:

>Der

Eifer um dein Haus

wird

mich verzehren<.« Dem Ablauf

der Erzählung nach scheinen sich die Jünger in dem Augenblick

an das Schriftwort zu erinnern,

da

Jesus dies sagt. Doch schiebt

1

0 Vgl. H. Leroy Rätsel und Mißverständnis, Ein Beitrag zur Formge

schichte des J ohannesevangeliums, Bonn

1968 (

=

BBB 30)

Vgl. R. Bultmann Das Evangelium des Johannes, Kritisch-exegetischer

Kommentar über das Neue Testament, Göttingen

17

1962,

89

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sich diese Bemerkung die sich auf ein Geschehen im Innern

der Jünger bezieht störend in den Ablauf des

äußeren Ge

schehens ein.

Auf

die Handlung Jesu und sein tadelndes Wort

muß

nämlich eine Reaktion erfolgen die auf derselben äuße-

ren

Ebene bleibt. Sie erfolgt aber erst

in

Vers

I8

in

der

Frage

der »Juden«

an

Jesus: »Welches Zeichen gibst du uns daß du

dies tust?« Die in Vers I7 verwandten Stichworte »Erinne-

rung« und »Schrift« müssen jedoch von den Versen

2 I

und

her gelesen werden. Für den Redaktor dringt das nachöster-

liche V erstehen

der

Jünger in den vorösterlichen Geschehens-

raum so ein daß beides untrennbar ineinander übergeht. Auch

Vers 7 wird demnach auf die Redaktion zurückgehen. Durch

seine Einfügung werden die verstehenden Jünger

den

unver

ständigen »Juden« konfrontiert.

In

der Bezeichnung der Geg-

ner Jesu als »Juden« kann ebenfalls redaktionelle Gestaltung

gesehen werden

12

Für

den

blauf

der erikope in der Vorlage ergibt sich damit

folgendes Bild: Jesus findet im Tempelbereich die

Händler

von

Opfertieren und Münzwechsler

und

treibt sie

mit

einer Geißel

aus dem heiligen Bezirk. Von den

»Juden« -

in der Vorlage

wohl ähnlich wie bei Markus von der offiziellen Behörde . ...

wird

er zur Rede gestellt. Sie fordern

von

ihm ein Beglaubi-

gungszeichen das sein Tun als ein von Gott ermächtigtes

Han

deln aufweisen kann. Jesus gibt ihm zur Antwort: »Reißt

diesen Tempel ein

und

ich

werde

ihn in

drei

Tagen

wieder

errichten.« Was folgt gehört der Redaktion an. Damit

ent

spricht die Perikope in

der

Struktur der Vorlage des Markus.

Auf die Handlung Jesu im Tempel folgt eine Frage der Be-

hörde

nach

der

Berechtigung seines Tuns. Es folgt eine

Ant

wort Jesu. Die vormarkinische Fassung läßt erkennen

daß

12

Im Johannesevangelium werden die »Juden« als die Repräsentanten der

sich Gott und seinem Offenbarer gegenüber in Unglauben verschließenden

Welt häufig genannt.

Daß

der Evangelist

sie

in diesem Sinn versteht zeigt

sich darin daß er sie die Rede Jesu mißverstehen läßt. Es ist aber auch

denkbar daß schon die Quelle von den »Juden« sprach; vgl. etwa den

Sprachgebrauch der Apostelgeschichte z.

B

Apg

9 23.

Dann wäre das ein

Indiz dafür daß die Quelle einer Zeit entstammt in der die christliche

Gemeinde Israel schon als »den Juden« gegenübersteht.

39

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die Antwort Jesu die Gegner ratlos macht. Dieses Moment ist

in der Johannesfassung durch das Mißverständnis aufgenom

men. Doch hat gerade hier die Redaktion die ursprünglich be

richtete Reaktion der Gegner verdrängt, die wohl - analog

zur vormarkinischen

Fassung

von einer Bestürzung der Geg

ner berichtete. Der besseren Obersicht halber soll nachfolgende

Gliederung die Ähnlichkeit im Aufbau der beiden Vorlagen

verdeutlichen:

Vorlage

des

Markus Vorlage des Johannes

I

andlung fesu

Jesus betritt den Tempel und

wirft die Händler und Käufer

hinaus.

Die Tische der Münzwechsler

wirft er um, ebenso die Stände

der Taubenhändler.

Er läßt

nicht zu, daß jemand

ein Gerät durch den Tempel

trägt.

II

Jesus findet im TempelHänd

ler von Rindern, Schafen und

Tauben, Münzenwechsler.

Er macht si h eine Geißel und

wirft alle aus dem Tempel

hinaus.

Die Münzen schüttet er aus,

die Tische stößt er um.

Den Taubenhändlern sagt er:

»Nehmt das

weg

macht nicht

das Haus meines Vaters zu

einem Handelshaus «

Frage der Gegner nach der erechtigung des Tuns

Hohepriester, Schriftgelehrte Die »Juden«.

und Älteste.

»In welcher Vollmacht tust »Welches Zeichen zeigst du .

du das?« uns, daß du solches tust?«

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III

ntwort

su

edingung dafür,

daß

er ih-

nen antwortet, ist

ihre

nt-

wort auf seine Frage: »Die

Taufe des Johannes,

war

sie

vom Himmel oder von Men-

schen?«

edingung für die Gewäh-

rung des Zeichens ist,

daß

sie

zuvor etwas tun: »Reißt die-

sen Tempel ab, und

in

drei

Tagen werde ich ihn errich-

ten.«

IV.

Ratlosigkeit

Reaktion der Gegner

Durch den redaktionell em-

gefügten Vers 2 nicht mehr

zu erkennen.

Die Zeichenhandlung

Die beiden Vorlagen sind in bezug

auf

ihren Aufbau sehr

ähnlich. Die Unterschiede in den Einzelheiten lassen für die

Johannesvorlage erkennen, daß

sie Jesu Handeln noch direk-

ter gegen den Opferkult im Tempel gerichtet darstellte.

über

Markus hinaus spricht sie von den Händlern mit Opfervieh

allgemein, nicht nur von Käufern, Verkäufern

und

Tauben-

händlern. Jesu

Handeln

richtet sich gegen den Personenkreis,

der für die Aufrechterhaltung des Opferdienstes notwendig

war. Grundsätzlicher noch als die Markusvorlage stellt auch

das Tempellogion in der Antwort Jesu an die Gegner den

Tempel in Frage.

Für

die Markusvorlage vermuteten wir, daß

sie die Tempelreinigung in Zusammenhang mit der eschatolo-

gischen Botschaft J esu von der nahe herangekommenen

Herr-

schaft Gottes sah. Das gleiche gilt aber auch für die Vorlage des

Johannes. Dem scheint zu widersprechen, daß das Wort Jesu

an die Taubenhändler: »Macht das Haus meines Vaters nicht

zu einem Handelshaus « (Jo 2,16) die

Handlung

Jesu als

Tempelreform versteht. Wir hatten schon bei Markus gesehen,

4

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wie die Handlung Jesu, die das Ende des Tempels in der

Herr-

schaft Gottes ankündigen sollte, durch Markus als universale

Entschränkung des Heils gedeutet wird. Wir dürfen darum

annehmen, daß auch das Wort Jesu von

Jo 2,16

die

Handlung

Jesu interpretieren soll. Schon im Stadium der Überlieferung

vor

Johannes ist es wohl dem Bericht über die

Handlung

Jesu

zugewachsen.

Zwar

mildert

es

das Anstößige dieser Handlung,

indem es Jesus als Eiferer für die Reinheit des Tempels ver-

steht, doch hat

es

den eschatologischen Charakter der

Hand-

lung Jesu nicht verdrängt.

Es

spielt nämlich

auf

ein

Wort des

Propheten Sacharja an: »Und

es

wird

keinen

Händler

mehr

geben im Hause

des Herrn

der Heerscharen

an

jenem Tage.«

Sach

14,21). Zwar

ist bei Sacharja nicht völlig zu klären, ob

mit

»Händlern« oder »Kananäern« zu übersetzen ist, ob da-

mit

die Tempelhändler oder die »Bevölkerung

des

ehemaligen

Nordreiches, die zwischen der endgültig konstituierten samari-

schen Kultgemeinde auf dem Garizim und der jüdischen Ge-

meinde in J erusalem hin und her schwankte

und

den

Ortho-

doxen ein

Dorn

im Auge sein mußte« gemeint ist

13

• Doch

läßt

sich

dem Kontext entnehmen, daß Sach

14,21

an

eine eschato-

logische Abschaffung

des

bisherigen Opfergottesdienstes denkt

und

ihn durch einen Opfergottesdienst ersetzt sieht, in dem

auch die profane Wirklichkeit heilig ist, und

es

keiner beson-

deren Opfergeräte braucht, um Gott zu dienen. »An jenem

Tage

wird

auf den Schellen der Rosse stehen: Heilig dem

Herrn,

und die Töpfe im Hause des

Herrn

werden wie die

Opferschalen vor dem Altar sein

14

• Da

wird

jeder

Topf

in

Jerusalem und in

Juda

dem Herrn der Heerscharen heilig sein,

und

alle Opferer werden kommen und von ihnen nehmen und

in ihnen kochen.« Sach

14,20

f.).

Der

eschatologische Charak-

ter

der Handlung Jesu im Tempel

wird

darum durch das Wort

J esu an die Taubenhändler nicht verdrängt. Auch für die

Vor-

13

K. Eiliger Das Bud:J. der zwölf Kleinen Propheten 11 Göttingen

5

r964,

r86 =

ATD25)

14

Gemeint ist, daß in den eschatologischen Zeiten die »Töpfe des Tempels

zu Sprengschalen für den besonderen Blutritus am Altar befördert wer-

den.« K. Elliger ebd. r86

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  age des ]ohannes

gilt,

daß sie

Jesu

Handlung vor

dem

Hori-

zont der in Jesus wirksamen, hereinbrechenden Gottesherrschaft

versteht. Wie die Markusvorlage sieht sie die

Tempelreinigung

als ein seine Botschaft von der kommen en Gottesherrschaft

begleitendes Zeichen.

In

vielem erinnert die Handlung Jesu im Tempel an die Zei

chenhandlungen der alttestamentlichen Propheten. Als regel

mäßig wiederkehrende, selbständige Merkmale der propheti

schen Zeichenhandlung nennt Fohrer: »Befehl

zur

Ausführung

der

symbolischen Handlung, Bericht über die Ausführung der

symbolischen Handlung, Deutung der symbolischen Hand-

lung«

5

Von einem göttlichen Befehl zur Ausführung der

Handlung

ist bei Jesus im Unterschied

zu

den Propheten nicht

die Rede. Auch fehlte wahrscheinlich wenn auch

mit tradi-

tionsgeschichtlichen Mitteln nicht zweifelsfrei nachweisbar) die

Deutung der

Handlung

durch Jesus. Diente bei den Propheten

der

Befehl

zur

Ausführung der symbolischen

Handlung

dazu,

aufzuweisen,

daß

der

Prophet

die

Handlung

nicht

in

eigenem

Willen

und

eigener Vollmacht

tat

- »er will also die Hand-

lung nicht

auf

eigenen Wunsch oder nach dem Willen anderer

Menschen vornehmen«

6

-

so fehlt bei der

Handlung

Jesu die

Bezugnahme

auf

einen göttlichen Befehl.

Die

Deutung der

symbolischen

Handlung

erfolgte bei den Propheten um der

Verstehbarkeit der

Handlung

willen, aber auch

um

anzuzei

gen,

daß

das durch die

Handlung

bezeichnete, künftige Gesche

hen nicht durch eine im magischen Sinn

zu

verstehende Hand-

lung vorbewirkt werde, sondern durch den Willensentschluß

Gottes eintreten werde. »Demgegenüber

hat

die prophetische

Handlung

meist ein deutendes

Wort

bei sich,

vor

allem in

Form

eines vom Propheten verkündeten oder

zu

verkünden

den Jahwewortes.

Der

Sinn der Handlung soll erklärt

und

wie

jede Verkündigung verstanden

und

angeeignet werden.

Mit

der Deutung unmittelbar verbunden sind die Ausdrücke

für

die Zusage Jahwes, daß das symbolisierte Geschehen

sich

ver-

  5

G. Fohrer Die symbolischen Handlungen der Propheten, Zürich

2

1968,

r8 = AThANT

54

8

G.

Fohrer ebd.

95

43

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wirklichen wird«

17

Sollte die Deutung der

Handlung

bei Je

sus

fehlen, trifft sich das mit einer Eigentümlichkeit auch der

Gleichnislehre Jesu. Die Gleichnisse wurden von Jesus nicht

erklärt

und gedeutet, und die Angabe des Markus: »Ohne

Gleichnis sprach er nicht zu ihnen, nachher aber legte er sei

nen Jüngern alles aus« (Mk 4,34), ist ein redaktionelles Mittel

tnarkinischer Theologie, die sich an später nicht mehr zu ver

stehenden Gleichnissen Jesu entzündet hat. Die Gleichnisse be

dürfen auch keiner eigenen Deutung; denn Jesus selber ist der

Schlüssel zu ihrem Verständnis. »Seine wahrhaft aufregende

und

bedrängende

Nähe

entfaltet das Gleichnis erst, wenn man

Jesus selber hinzunimmt. Man kann gerade ihn nicht aus der

Situation heraushalten«

18

Was für die Gleichnisse gilt, gilt

auch hier: Der erklärende Kontext zur

Handlung

Jesu im

Tempel ist er selber und seine Lehre. Bei den Gleichnissen läßt

sich

feststellen,

daß

die tradierende Gemeinde sie neu für

sich

erschließt, indem

sie sie

mit einer Deutung versieht (vgl.Mk 4).

Die Deutung aber vereinseitigt zugleich wie jede Interpreta

tion das Gleichnis. Auch wenn Markus die Tempelreinigung

als Heils- und Gerichtszeichen deutet, vereinseitigt er den ur

sprünglich umfassenderen Sinn der Handlung Jesu. »Die Er

starrung

und

Kristallisation der Tradition bringt

auf

diese

Weise mit sich was man den Verlust hermeneutischen Poten

tials nennen könnte: d. h., das offene Ende des Gleichnisses,

das den

Hörer

dazu einlädt, seine eigene Anwendung zu ma

chen,

wird

verschlossen«

19

• Durch das offene Ende eignet der

Gleichnislehre Jesu ein herausfordernder Ton. Sie verlangt

Stellungnahme. Deshalb wurde die Lehre Jesu als ärgernis

erregend empfunden. Hierin trifft sich die

Handlung

der Tem

pelreinigung mit der Lehre und dem Auftreten Jesu überhaupt.

Was Jesus im Tempel tat, mußte als außergewöhnlich emp

funden werden und

zur

Stellungnahme herausfordern.

17

G. Fohrer ebd. 97

19

J

Blank Marginalien zur Gleichnisauslegung, in: Bibel und Leben 6

( 965), 58

19

R. W. Funk Langnage Hermeneutic and Word of God, New York

966,

34

f

44

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Auch die Zeichenhandlungen der Propheten verlangten Stel

lungnahme. Weil sie aber ihre Handlung jeweils auf göttlichen

Befehl zurückführten und sie mit einem Gottesspruch deute

ten, war es möglich, sich gegenüber der von ihnen durch die

Handlung aktuell verkündeten Sache zu entscheiden, ohne

durch eine generelle Entscheidung sich an den Propheten und

alles, was er sagte, zu binden. Bei Jesus fehlt die aktuelle Be

rufung auf ein Gotteswort und die Deutung seiner Handlung

ist sein gesamtes eschatologisches Wirken und Reden. Dadurch

aber fordert seine Handlung eine Stellungnahme heraus, die

nicht nur gegenüber der durch die

Handlung

vertretenen Sache

erfolgen konnte, sondern ein Ja oder Nein gegenüber seiner

Person

und

allem, was er vertrat, verlangte.

Das Tempellogion

Die Stellungnahme, die J esu

Handeln

herausforderte, erfolgt.

In der Frage der Gegner nach einem Legitimationszeichen wird

die Entscheidung gefällt. Die Frage wird unter der Verwen

dungdes auch sonst beiJohannes und den Synoptikern bekann

ten Zeichenforderungsmotivs gestellt

20

Das läßt jüdisches Mi

lieu erkennen vgl. etwa I Kor 1,22 . Das Motiv begegnet

schon im Alten Testament vgl. Ex 4; Ri 6; Jes 7). Nach der

Lehrmeinung der Rabbinen muß ein Prophet sich durch ein

Zeichen beglaubigen: »Wenn ein Prophet, der zu weissagen

anfängt d. h. der noch nicht bewährt und

anerkannt

ist), ein

Zeichen

und

Wunder gibt, so muß man

auf

ihn hören; wenn

aber nicht, so braucht man nicht auf ihn zu hören«

21

• Die Zei

chenforderung versteht die Tempelreinigung Jesu als ein Han-

deln mit religiösem Anspruch, das der Legitimation durch ein

Zeichen gedacht ist an ein Wunderzeichen) bedarf. Wo das

Motiv bei den Synoptikern vorkommt, verweigert Jesus strikt

die Gewährung eines Zeichens.

Hier wird

scheinbar auf die

Zeichenforderung eingegangen. Allerdings wird die Gewäh-

20

Vgl. Mk 8,11;

Mt

12,38-4.2; 16,1-.2.4; Lk

n 16

29-3.2;

Jo

6,30

21

illerbeck

II,

480

5

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rung des Zeichens (Jo 2,19 »Ich werde ihn aufrichten«) an die

vorherige Erfüllung einer Bedingung geknüpft >>Reißt diesen

Tempel nieder «). Diese ist schon durch den sprachlichen Stil

als für die Fragesteller unerfüllbar gekennzeichnet

22

Die

Ant-

wort Jesu kommt somit einer Zurückweisung der Fragesteller

gleich. Seine Handlungsweise bleibt ohne Beglaubigungszei-

chen. Ein derartiges Verlangen

hat

gegenüber seinem

Handeln

keinen Platz. Das Wort, mit dem Jesus die Fragesteller zurück-

weist, ist uns auch durch die Synoptiker bekannt. Mk 14,57 f.

treten bei der Verhandlung

vor

dem

Hohen Rat

»Falschzeu-

gen« auf, die ein von Jesus gesprochenes

Wort

bezeugen: »Wir

haben ihn sagen hören: Ich werde diesen mit Händen gemach-

ten Tempel zerstören und einen anderen, der nicht mit Hän-

den gemacht ist, in drei Tagen aufrichten.«

In

einer anderen

Form begegnet

es

auch

Mk

15,29: Die Schar der Spötter ruft

dem Gekreuzigten höhnisch zu: »Ha der du den Tempel nie-

derreißen und in drei Tagen aufbauen wolltest, rette dich selbst

undsteigvom

Kreuz herab « (Mt 27,40).

Mt

26,59f. spricht

von Falschzeugen.

Mt

26,6o

f.

bezeugen zwei von ihnen: »Die-

ser

hat

gesagt:

>Ich kann

den Tempel Gottes zerstören und ihn

binnen drei Tagen wieder aufbauen.«< Dieselbe Tradition steht

womöglich hinter Apg 6,13 f., wo im Prozeß gegen Stephanus

ebenfalls Falschzeugen auftreten, die von Stephanus behaup-

ten: »Dieser Mensch hört nicht auf, Reden wider die heilige

Stätte und das Gesetz zu führen. Wir haben ihn nämlich sagen

hören, dieser Jesus von

Nazareth

werde diese Stätte zerstören

und die Gebräuche abschaffen, die uns Moses überliefert hat.«

Sowohl die Markustradition

23

wie auch die Johannestradition

kennen dieses rätselhafte

Wort

Jesu. Gerade weil

es

rätselhaft

22

Bultmann (Johannesevangelium, 88) spricht

von

dem »ironischen Impe-

rativ

des prophetischen Stils«

und

verweist als Beleg

auf

Am

4,4: »Zieht

nach Bethel und frevelt Nach Gilgal und frevelt noch mehr « (vgl.

]es

8,9 f.; ]er 7,2r). Blaß Debrunner

§

387,

2)

spricht von einem Imperativ,

der einem Konzessivsatz gleichkommt.

23

Eventuell könnte man auch vermuten,

daß

es im Hintergrund von Mk

13,2 steht: >>Siehst

du

diese großen Bauten, nicht

wird

stehenbleiben ein

Stein

auf dem anderen, der nicht niedergerissen wird « x a , ; a / . u ~ n ) (Vgl.

Mt

24,2;

Lk

21,6). Vgl. Thomasevangelium 71: Jesus sprach: Ich werde

[dieses) Haus zerstören und niemand

wird

es [wieder] aufbauen.

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ist, dürfte es auf Jesus selber zurückgehen. Das Logion

hat

nämlich der überliefernden »Gemeinde schwere Verlegenheit

bereitet«

24

• Dennoch scheidet die Tradition es nicht aus, son

dern überliefert es in verschiedener Form, versucht aber auf

vielerlei interpretierende Weise seine

Anstößigkeit

abzumil

dern. Der Versuch, die Traditionsgeschichte

des

Logion eini

germaßen aufzuhellen, ist sehr problematisch. Vor allen Din

gen

wird sich

nicht mit Sicherheit angeben lassen, welchen Sinn

es

im Munde

des

historischen Jesus hatte. Daß die-Markustra

dition

es

im Zusammenhang

des

jüdischen Prozesses gegen Je

sus überliefert, erlaubt die Annahme, daß das

Wort

Jesu in

irgendeiner Weise jüdischerseits als Vorwurf gegen die Chri

sten verwandt wurde.

Es

konnte in Diskussionen

mit

der frü

hen Gemeinde als Argument gegen die Messianität Jesu ein

gesetzt werden: Ein Mann, der

so

etwas gegen den Tempel

sagt, kann nicht der Messias sein, als den ihr ihn hinstellt.

Na-

türlich ist nicht ausgeschlossen, daß

es

in ähnlicher Weise schon

im historischen Prozeß als Anklage gegen J

esus

benutzt wurde.

Doch mag Markus

es

nicht ohne Absicht in den Mund »fal

scher« Zeugen gelegt haben. Er wollte wohl kaum den jüdi

schen Prozeß als korrupt herausstellen, sondern vielmehr sei

nen Messias von dem V erdacht befreien, er habe

sich

in

gottes

lästerlicher Weise gegen den Tempel ausgesprochen. Der zwei

felsohne sekundäre Zusatz bei Markus »von Händen gemach

ter

Tempel«, zeigt den Versuch, das Logion für die Gemeinde

spiritualisiert verständlich zu machen

25

Auch Matthäus mil

dert das Logion ab, indem er von einem den »Tempel-abrei

ßen-können« spricht. Dadurch betont er zugleich die Macht

des Messias Jesus. Lukas vermeidet die Schwierigkeit

des

Wor

tes, indem er

es

an der entsprechenden Stelle ganz wegläßt

und

erst im Prozeß gegen Stephanus wieder verwendet.

In

der

Vorlage des Johannes ist

es

schließlich nicht mehr Jesus, der

den Tempel abreißt, sondern er fordert die Gegner auf,

es

zu

tun. Durch die redaktionelle Hinzufügung

des

Johannes: »Er

24

E

Schweizer

Evangelium nach Markus, 187

5

Schweizer ebd.

187)

vermutet unter Hinweis

auf

Apg

7,48; 17,24;

2 Kor 5,1;

Eph

z II ; Hehr 9 II.24 Einfluß hellenistischen Denkens.

7

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aber sprach vom Tempel seines

Leibes

Jo

2,21)

wird

es

zu

einem Offenbarungswort. Will man versuchen das Wort in

den Kontext der Botschaft Jesu hineinzustellen, könnte man

es so

verstehen, daß Jesus damit die Ablösung

des

Tempels

durch die in seiner Verkündigung hereinbrechende Gottesherr

schaft betonen wollte. Die schon dem Alten Testament und der

jüdischen Apokalyptik bekannten Voraussagen, daß in der

eschatologischen Zeit

Gott

bzw. sein Messias einen neuen Tem

pel aufführen werden, mögen den Verständnishintergrund des

Wortes im Munde des historischen Jesus bilden

26

Es

ist weiter

möglich,

daß

das

Wort

dann in verdrehter

Form

von den Geg

nern polemisch gegen Jesus bzw. die Gemeinde verwandt

wurde. Dennoch hat die Gemeinde

es

als Jesuswort gekannt

und versucht, es in den Kontext des Traditionsstoffes auf ver

schiedenste Weise interpretierend und entschärfend einzufü

gen. Die verwickelte Traditionsgeschichte des Logion läßt er

kennen, daß

es

bei seiner Interpretation als Teil der johan

neischen Vorlage nicht inhaltlich überstrapaziert werden darf.

Es ist auf seine Funktion zu achten, die

es

im Zusammenhang

hat. Hier soll

es

die Zeichenforderungsfrage der Juden zurück

weisen, indem

es

als Vorbedingung für die Gewährung des

geforderten Zeichens von den Fragenden etwas Unmögliches

verlangt. Jesus

läßt

sein Handeln nicht durch ein Urteil begut

achten. Sein

Handeln

fordert ein, und darin besteht seine Voll

macht. Das Tempellogion

hat

damit die gleiche Funktion wie

die Frage Jesu nach der Taufe des Johannes in der Markus

vorlage. Es soll die Gegner der Stellungnahme gegenüber Jesus

nicht entweichen lassen. Diese konnte wie

in

der Markusvor

lage

nur

ein Nein gegenüber Jesus sein. Auch wenn die Peri

kope in dem johanneischen Aufriß zu Anfang der Wirksam

keit Jesu berichtet wird, weist doch ihre ganze Anlage als

Ruf

in die endgültige Entscheidung gegenüber Jesus darauf hin,

daß

sie

bei Markus in dem ursprünglicheren und wohl auch

historischen Zusammenhang überliefert ist. Forderte schon die

Lehrweise Jesu das Ärgernis und den Anstoß heraus- niemand

28

Ez 40-44;

Tob 13 1Iff.;

14,7ff.;

Aeth. Henoch

27ff.;

illerbeck

I, 28;

1004

f ;

IV, 884

f ;

929-933

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würde einen kreuzigen, der

nur

schöne Geschichten erzählt

-

so mußte die Tempelreinigung um so mehr den Anlaß für den

Todesbeschluß

und

die Verhaftung Jesu bieten.

· ]esus- der wahre Tempel ]ohannes)

Die Frage der Gegner ist

in

beiden Vorlagen nicht: Was tust

du da? sondern: Wer bist du, daß du das tust? Die Handlung

Jesu richtet einen persönlichen Anspruch

auf und

fordert

in

der einen Handlung nach einer Stellungnahme gegenüber sei-

nem ganzen Werk.

Wer zu dem in der Tempelreinigung er-

scheinenden Anspruch ja sagt, bejaht Jesus ganz. Wer sich dem

Anspruch versagt, lehnt Jesus ganz ab.

An

diesen personbezo-

genen Akzent der Vorlage knüpft der Johannesredaktor an,

indem er zwei Motive verwendet, die auch sonst zu seinen

Lieblingsmotiven gehören. Diese beiden Motive sind die »Er-

innerung der Jünger« Jo

2 I7.

22)

und das »Mißverständnis

gegenüber Jesu Worten«.

»Erinnerung«

ist bei Johannes die durch Ostern bzw. die durch

die Verherrlichung

und

Erhöhung Jesu ermöglichte Glaubens-

einsicht in sein Leben

und

seine Worte vgl. J o I

2

I 6)

27

• Durch

seine Erhöhung ist er in Stand gesetzt, den Jüngern den Trö

ster zu senden Jo I6,7). Dessen Aufgabe aber ist es, die Ge-

meinde an J esus zu erinnern: »Er wird euch an alles erinnern,

was ich euch gesagt habe« Jo q 26 vgl. auch Jo

I5,26;

I6 I 3 f.). Das Erinnern der Jünger ist also die durch die

Er

höhung Jesu bewirkte, bleibende Möglichkeit der Gemeinde,

den irdischen Jesus in glaubender Sicht zu verstehen. Die »Er-

innerung« der Jünger von Vers

I7

bringt die Sehweise des

Redaktors

zur

Geltung, der in der Tempelreinigung durch Je

sus ein »Zeichen« für das gesamte Schicksal Jesu sieht. Die

Tempelreinigung zeigt, wie die gesamte Existenz Jesu

von

einem

sich

für das Haus Jahwes verzehrenden Eifer bestimmt

27

Zwar

wird das Wort fLLfLVTJO XOfUlL erinnern) außer

Jo z q.zz

nur noch

in Jo

1 2 1 6 verwandt, doch entspricht

sacl:tlicl:t

die Gewohnheit des Johan

nesredaktors,

an

Früheres

zu

erinnern.

49

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war.

Um

das zu sagen, deutet der Redaktor die Tempelreini

gung im Licht von Ps 69.

Er

kann

es

weil in Ps 69,10 von

einem Knechte Jahwes die Rede ist, der sich als Eiferer für den

Tempel im Dienst für das Haus Jahwes verzehrt

28

• Die Tem

pelreinigung wird zu einem Bild für die bis in den Tod

sich

erstreckende Hingabe J

esu

für die Sache Gottes. Es wird ver

ständlich, warum die Tempelreinigung nach dem johanneischen

Aufriß zu Beginn der Wirksamkeit Jesu berichtet wird.

Sie

ist

das Vorzeichen für den verzehrenden Dienst Jesu an Gott. Aus

der Rückschau

des

Johannes wird die Tempelreinigung zu ei

nem christologischen »Zeichen«. Recht besehen, in der »Erin

nerung« an die Schrift gläubig verstanden, enthüllt

.es

das Ge

heimnis von J esu Dienst und Lebenshingabe. Sein Leben und

Sterben ist Eifer für seinen Vater. Jo 2,16). Die durch die

Tempelreinigung bezeichnete Sache wird mit der Person Jesu

identifiziert.

Auf dem Hintergrund der gläubigen Erinnerung der Jünger

enthüllt

sich

die Frage

der»

Juden« nach dem Zeichen als

Miß-

verständnis.

Sie werden zum Gegenbild der

sich

erinnernden

Jünger. Ihr Blick dringt nicht ein in das durch das Zeichen be

zeichnete Geheimnis der Lebenshingabe J esu. Sie verstehen

seine Handlung als einen religiösen Anspruch unter anderen

und wollen

sich

unter Zuhilfenahme ihrer eigenen religiösen

Verstehenskategorien versichern, daß dieser Anspruch zurecht

besteht. Durch die Einfügung

des

Verses

17

beginnen

sich

die

Akzente der Vorlage zu verändern.

In

der Vorlage war die

28

Kraus vermutet in dem Eiferer

für

Gottes Haus einen Angehörigen der

Gruppe, »die nach der Heimkehr aus dem Exil unaufhörlich zum Tempel

bau drängten.

Wird

also nach einer Ursache des gegenwärtigen Leides und

der Schmähungen gefragt,

so

liegt es allein darin,

daß

die Feinde, die

offenbar früher den Tempelbau schmähten,

nun

weiterhin-

und m

Leiden

erst recht - den Eiferer befehden. So fallen die Schmähungen, die Jahwe

gelten, auf den, der sein Leben in den Dienst des Tempels stellte.« H J

Kraus Psalmen I, Neukirchen

2

I96I, 482f. =

BKAT

XV I). Weiser da

gegen verzichtet

auf

eine genaue Datierung, vermutet aber, »daß hinter

dem Psalm religiöse Auseinandersetzungen - vielleicht über Fragen des

Opferkultes im

Tempel-

stehen, die dem Dichter u. a. die grundlose An

klage seitens seiner zahlreichen Gegner und möglicherweise sogar die Ver

haftung zugezogen haben.« A Weiser Die Psalmen, Göttingen

5

I959, 336

=

ATD I5

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Frage nach dem Zeichen durch die Handlung herausgefordert.

Bei Johannes ist die Frage nicht mehr nur noch notwendige

Folge der

Handlung

Jesu, sondern soll das ungläubige Mißver-

stehen offenbaren. Vers I hat aus der Handlung der Tempel-

reinigung schon ein christologisches Zeichen gemacht. Wenn

man diesem Zeichen gegenüber noch fragen kann- wie die Ju

den in Vers 8

- , so

zeigt dies, daß man

es

nicht verstanden hat,

daß

man nicht glaubt. Die

Antwort

Jesu in Vers

19

soll nicht

mehr nur die Frage der Juden nach dem Zeichen als unberech-

tigte Hinterfragung seiner Vollmacht zurückweisen, sondern

soll die Juden noch tiefer in ihr Mißverstehen führen. Dadurch

aber wird die

Antwort

Jesu in Vers 19, was ihren Inhalt be-

trifft, gegenüber der Vorlage aufgewertet. In der Vorlage

hatte sie nur den Sinn, eine für die Fragesteller unmögliche Be-

dingung für die Gewährung eines Zeichens aufzustellen, um

die Frage der Gegner zurückzuweisen. Bei Johannes dagegen

soll das Mißverständnis der Juden noch offenbarer werden als

es

schon ist. Sie mißverstehen nicht nur das Zeichen der Tem-

pelreinigung, sondern sie mißverstehen auch das, was Jesus

sagt.

Er

spricht daher jetzt nicht

nur

zu ihnen, die ihn mißver-

stehen, sondern auch zu denen, die den Sinn seines Wortes ver-

stehen können. Die Juden verstehen ihn nämlich

xa r·a cragxa

(nach der

Art

des Fleisches). Sie verstehen, was der Satz aus-

sagt, buchstäblich. Ihre

Antwort

zeigt es: »46 Jahre

hat man

an diesem Tempel gebaut, und du willst ihn in drei Tagen er-

richten?« (Jo

2,20 .

Daher zweifelt ihre Antwort zugleich und

ergeht in der Form einer Frage; denn wer ihn mißversteht,

muß in der Antwort

an ihn den Ton

des

Zweifels haben. Ihn

mißzuverstehen heißt: nicht an ihn und das, was er sagt, glau-

ben.

Bultmann

sieht das Typische des johanneischen Mißver-

ständnisses darin, »daß

es

Begriffe und Aussagen gibt, die

in

einem vorläufigen Sinn

auf

irdische Sachverhalte, in ihrem ei-

gentlichen Sinn aber

auf

göttliche Sachverhalte gehen. Das

Mißverständnis erkennt die Bedeutung der Wörter richtig,

wähnt aber, daß sie sich in der Bezeichnung irdischer Sachver-

halte erschöpfen«

29

29

R. Bultmann

Johannesevangelium, 95

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Jesus stellt nach johanneischer Sicht der Perikope nicht mehr

nur noch einen geheimnisvollen nicht legitimierten Anspruch

sondern kann von einer Wirklichkeit reden die dem gewöhn-

lichen Verständnis verschlossen bleibt. Diese Wirklichkeit ist

dem Verstehen nicht grundsätzlich verschlossen. Sie ist zu ver-

stehen

und

ihr Geheimnis eröffnet si h dem dem das V er-

ständnis gegeben ist. Im Gegensatz zu

den»

Juden« weiß näm-

lich der Evangelist was der Sinn dessen ist was Jesus sagt. Je-

sus

spricht nicht von dem Tempel in dem si h die Szene örtlich

ereignet er meint einen anderen. Diesen anderen Tempel wer-

den die Angeredeten niederreißen und Jesus

wird

ihn in drei

Tagen errichten.

In

der Vorlage sollte Vers 19 die Zeichen-

forderung zurückweisen. Die Glaubenssicht des Evangelisten

erkennt in der Zurückweisung des Zeichens zugleich dennoch

seine Gewährung. er Satz wird zu einem Paradoxon. Mit

einem die Zeichenforderung abweisenden Wort kündigt J esus

die Gewährung des Zeichens an. Doch

wird

es auf eine andere

Weise gewährt werden als die Mißverstehenden

es

erwarten.

en Tempel der abgerissen und in drei Tagen wieder aufge-

richtet wird ist der Tempel des Leibes Jesu selber. amit hat

die auf die Person Jesu hinstilisierende Redaktion das Zen-

trum erreicht.

Die Tempelreinigung ist Zeichen für die Selbsthingabe fesu in

den Dienst des Vaters Das Tempelwort spricht von Jesus als

dem Tempel selber.

Er

ist der Tempel in dem in Wahrheit die

göttliche Herrlichkeit wohnt in dem

Gott auf

die einzig mög-

liche Weise die wahre Verehrung entgegengebracht werden

kann.

In ihm ist Gott den Menschen erreichbar.

er

Evangelist

kann das wissen und sagen weil er es aus dem durch Ostern

eröffneten Raum des Verstehens sehen und hören kann. Er

gehört somit selber zu den

si h

»erinnernden Jüngern« denen

Jesus nach seiner Auferweckung die Erinnerung und den Glau-

ben gibt und das V erstehen der Schrift und seines Wortes er-

schließt. Sie befinden si h in dem hermeneutischen Raum aus

dem heraus das Leben und die Worte Jesu in ihrem Offenba-

rungscharakter »erinnert« verstanden geglaubt werden kön-

nen. Für den Redaktor wird somit das Wort mit dem Jesus in

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der Vorlage die Gegner in die Aporie führte, zu einem Offen

barungswort, das Auskunft gibt über das Persongeheimnis

Jesu:

Er

ist der wahre Tempel. Die Darstellungsweise

des

Re

daktors konzentriert alle Aussagen

auf

die Person Jesu.

Er

bedient sich dabei kultischer Terminologie. Das gehört zu den

Eigenheiten

des

Johannesevangelisten, der auch sonst von

Christus in kultischen Begriffen spricht

30

• Jesus selber wird

der allen Kult zusammenfassende Ort. Alles, was immer Got

tesdienst und Ausdruck von Verbindung zwischen Mensch und

Gott

war, zentriert sich in der Gestalt Jesu, in der allein der

Mensch den wahren Zugang zu

Gott

hat. Die Einheit von gött

lichem Logos und Jesus von

Nazareth

ersetzt hinfort Tempel

und Kult. Kult, Gebet, Opfer, Tempel, Priestertum ist hinfort

nur mehr in Jesus gegeben, ja in ihm erst eigentlich das, was

es immer schon sein wollte. Das macht die johanneische Redak

tion an der Tempelreinigungsperikope sichtbar: Die Tempel

reinigung wird zum Zeichen für das was sich

n

der Person

fesu ereignet hatte.

3

Zu dem ku tisd:ten Hintergrund der johanneisd:ten Christologie vgl.

F

Mußner »Kultisd:te« Aspekte im johanneisd:ten Christusbild, in: Litur

gisd:tes

Jahrbud:t I4

(1964), 185-200;

wieder abgedruckt in: F

Mußner

Praesentia Salutis, Gesammelte Studien zu Fragen und Themen des Neuen

Testamentes, Düsseldorf 1967, 133-145

5

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I I I

DER HAUPTMANN

VON

KAP HARNAUM-

DIE HEILUNG DES SOHNES DES »KONIGLICHENc

Mt

8,5-13;

Lk

7,1-10;

Jo

4,46-54)

r. Vergleich derFassungder Perikope bei Matthäus Lukas

un

]ohannes

Eine weitere Perikope, die

es

uns erlaubt, das theologische

Profil des Johannes von dem der Synoptiker abzuheben, ist

die Geschichte über den Hauptmann von Kapharnaum bzw.

über die Heilung des Sohnes des königlichen Beamten. Schon

wenn wir die Geschichte

mit

dieser Überschrift versehen, zeigt

sich, daß ein Vergleich notwendig ist. Denn Johannes spricht

nicht

von

einem Centurio, sondern allgemeiner von einem

»Königlichen«,

und

siedelt die Geschichte nicht wie Matthäus

und Lukas in Kapharnaum, sondern in Kana

an

Jo 4,46 a).

Verschieden ist auch die Stellung der Perikope innerhalb des

Aufrisses der

Evangelien. Bei den Synoptikern findet sich die

Geschichte in fast der gleichen Textfolge. Bei Matthäus folgt

der großen Redekomposition der Bergpredigt Mt 5,1-7,29)

die kurze

von

Markus her übernommene Geschichte über die

Heilung eines Aussätzigen Mt 8,1-4), unddaranschließt

sich

die Geschichte vom

Hauptmann

von Kapharnaum an. Bei Lu

kas geht

ihr

direkt die der Bergpredigt des Matthäus entspre

chende Feldrede Lk 6,17-49) voran. Daß sie bei Markus völ

lig fehlt, wird man bei der Frage nach ihrer Traditionsge

schichte berücksichtigen müssen. Bei Johannes findet sie

sich

nach dem Bericht über die erste Jerusalemreise.

Daß

es

sich

dennoch um die gleiche Geschichte handelt, die in drei Fassun

gen

erzählt wird,

zeigt ein Blick in die Synoptische Vbersicht.

Bei allen Um:erschieden zeichnet sich nämlich ein gemeinsames

Handlungsgerüst ab. Auch die vielen wörtlichen Übereinstim

mungen sprechen dafür.

5

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Perikope folgt auf

die an Bergpredigt

angeschlossene

Aussätzigenheilung

V 5 Kapharnaum

V 5 E)tcn:ov,;ag:x:o<;

V nai<;

V

naga/.u,;t t6<;,

ÖELvÖ>< ß v t ~ -

  E'VO<;·

VV

5 6

Centurio

kommt selber

zu Jesus

mit

Bitte

V 7 J esus versichert

ihm seine Bereitschaft

zu heilen

V 8 Der Centurio

beteuert seine

Unwürdigkeit. Er

glaubt: Jesus kann

durch das Wort heilen

Synoptische Übersicht

Lk

7 1 - I O

folgt

auf

Feldrede

V

I Kapharnaum

V 2

E)ta,;6v,;ag:x:o<;

Öoü/.o<;

V 2 )taKÖ><;

e:x:cov

iif EAAE'V 'tEAEU'tÖ.'V

VV 3-5 Centurio

kommt nicht selbst,

schickt die »Altesten

der Juden«, die ihn

als Gottesfürchtigen

beschreiben

V Jesus geht mit

den Abgesandten

VV b 7 Erneut ab

gesandte »Freunde«

richten dasselbe

Wort

aus. Unwürdigkeit

stärker betont

folgt auf erste

J erusalemreise

V 46 Kana. Sohn ist

krank

in

Kaphar-

naum

V 46 ßacHAL)to<;

uto<;

V 46 i)crtHvEL

V

47

1lf1EAAE'V

.noavucrxEL

v

V 47 Der ,.König

liche« kommt selber

zu Jesus mit

ausdrücklicher Bitte

V

48

Jesus spricht ein

abweisendes

Wort

V 49

Der

»König

liche« wiederholt

seine Bitte. (Glaube

an die Macht des

Wortes Jesu und

Betonung der eigenen

Unwürdigkeit fehlen)

55

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Mt 8,5-13 Lk 7 1-Io

]04 46-54

V 9

Wort

von der V 8 Wort

von

der

Befehlsgewalt Befehlsgewalt.

(von den »Freunden«

ausgerichtet )

V

10

Jesus staunt

V 9 Jesus staunt

über das Gesagte: über den Mann:

Bei keinem in Israel

So ein Glaube in

so ein Glaube. Israel nicht.

VV

II-12

Das Wort

von Ost und West

(vgl. 13,28-29)

V 13 a Jesus

entläßt

V 50 Jesus

entläßt

ihn: ÜJtayE, wie du

ihn: J tOQEuou, ö ul6\;

geglaubt hast soll Dir

oou ~ T · Der Mann

geschehen

glaubt dem Wort und

geht.

V

10

a Die Abge-

V

51

Diener kommen

sandten kehren

entgegen und sagen:

zurück

ö J tUL\;

au-coü

~ i i

V 52 Frage an die

Diener nach

der

Stunde der Heilung:

Gestern um die siebte

Stunde

V 13

b »xal tu1 tlJ

ö

V

10

b Die Abge-

V

53

a

Der

Vater

J tUL\; EV -cf) gq,

sandten finden den erkennt: Es

war:

xetvn«

öoüAo\; gesund vor »exdvn -cn

gq.«

V

53

b

Der

Mann

und

sein Haus

glauben

V

54

Es

war

das

zweite »Zeichen«

56

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Die übersieht zeigt in allen drei Fassungen eine

gemeinsame

Fabe/1:

Ein Mann tritt an Jesus heran und bittet um die Hei-

lung eines anderen. Jesus entspricht der Bitte. Er wirkt das

Wunder der Heilung ohne das Haus des Kranken zu betreten.

Die gemeinsame Fabel ist durch die drei Fassungen jedoch in

verschiedenen Weisen verarbeitet. Das verdeutlichen folgende

Unterschiede:

r.

Johannes lokalisiert die Erzählung nach Kana nicht wie die

Synoptiker nach Kapharnaum.

2 Aus dem Centurio der Synoptiker ist bei Johannes ein »Kö-

niglicher« geworden.

3· Bei Lukas

tritt

der Centurio nicht wie bei Johannes und

Matthäus selber an Jesus heran sondern die Bitte um Hei-

lung

wird

durch zwei verschiedene Gruppen von Abgesand-

ten an Jesus herangetragen.

4· Bei Johannes fehlt das Glaubenswort des Centurio. Bei ihm

trägt der Mann nur die Bitte vor und dies zweimal.

5

Matthäus

hat

am Ende der Geschichte ein Logion

Jesu

das

Johannes nicht kennt und Lukas in einem anderen Zusam-

menhang verwendet.

6. Die Konstatierung des Erfolges ist bei Johannes weiter aus-

gebaut als bei den Synoptikern.

Gemeinsamkeiten wie Unterschiede machen einen Blick

in

die Traditionsgeschichte der Perikope notwendig d. h. es

ist nach der oder den Vorlagen der dreifachen Fassung der

Geschichte zu fragen und die jeweilige Verarbeitung der

Vorlagen durch die Evangelisten zu erheben.

2 Der

Hauptmann von

Kapharnaum

Matthäus

und

Lukas)

Bei dem synoptischen Vergleich fallen

vor

allem die starken

Gemeinsamkeiten von

Matthäus

und

Lukas

auf. Besonders in

1

.

Versucht man den Handlungsverlauf auf die letztmögliche Knappheit

zu

bringen auf sein reines Schema

so

erhält man eben das was die Litera-

turwissenschaft als die

Fabel

eines Werkes zu bezeichnen pflegt.« W Kay-

ser,

Das sprachliche Kunstwerk Bern 1949 77

57

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den entscheidenden Versen, die das Glaubenswort

des

Centu-

rio bringen, herrscht wörtliche übereinstimmung

2

• Auch die

Eröffnungsverse der Perikope weisen wörtliche Übereinstim-

mungen auf. Der

Ort

ist derselbe, sowie die Berufsbezeich-

nung. Was die Verteilung der erzählerischen Akzente angeht,

stimmen Matthäus und Lukas gerade in den wichtigsten Punk-

ten überein.

Es

wird von einem Centurio erzählt, dessen Knecht

erkrankt ist und dessen demütige und glaubensvolle Worte Je-

sus

zu einem Urteil über den Glauben des Mannes und zur

Heilung seines Knechtes bewegen. Hier wie dort liegt das

Hauptgewicht der Erzählung, nicht

so

sehr auf der Heilung

als solcher, auch wenn

sie

bei beiden als Fernheilung gedacht

wird. Aber das Moment der Fernheilung soll hier nicht in er-

ster Linie Jesu Wunderkraft aufzeigen, sondern das glaubens-

volle Wort des Mannes bestätigen. Gerade hier, in dem wich-

tigsten Teil der Geschichte, treffen

sich

Matthäus und Lukas

in wörtlicher Übereinstimmung. Dagegen finden

sich

die Un-

terschiede vor allen Dingen in den Einzelzügen, die für die

Geschichte von geringerer Bedeutung sind. Dennoch ermög-

lichen

es

gerade diese Unterschiede der jeweiligen Aussageab-

sicht

des

Verfassers auf die Spur zu kommen und seine Vorlage

zu erkennen.

Die Redaktion

des

Matthäus

Sie dürfl:e bei

Mt

8,r

r 12

am leichtesten zu erkennen sein

»Viele werden kommen

...

die Kinder

des

Reiches aber

...« .

Die Verse greifen den in Vers ro ausgesprochenen Gedanken

auf. Lukas kennt das Logion etwas anders gefaßt in einem an-

deren Zusammenhang Lk

I 3,28

f.).

Er

dürfl:e seine ursprüng-

liche Fassung bewahrt haben, während Matthäus das Logion

überarbeitet hat.

Er

stellt

es

um und sagt deutlicher als Lukas,

daß

es

gerade die von Westen und Osten Kommenden sein

werden, die im Gegensatz zu den hinausgeworfenen »Söhnen

2

Kleine Veränderungen, wie z. B die Hinzufügung des Lukas t l l O O Ö f - t E V O ~

hinter ÖJto E ~ o u a t a v Lk 7,8) können das nid:tt verwischen.

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des Reiches« mit Abraham,

lsaak

und Jakob zusammen zu

Tische sitzen werden. Das aber ist nichts anderes als eine Fol

gerung aus dem Gedanken von Vers

10

den Matthäus durch

die Hinzufügung unterstreicht

3

• Daß Matthäus den bei Lukas

ursprünglicher überlieferten Wortlaut verändert hat, zeigen

sprachliche Beobachtungen

4

Das alttestamentliche Schriftzitat

ist bei Matthäus enger mit dem Satzbau des Logion

und

auch

mit seinem Gedankengut verbunden als bei Lukas, bei dem es

durch das nebenordnende <XL und) noch eher als Schriftzitat

erkennbar bleibt. Bei Matthäus ist

es

durch das

ön

recitativum

Doppelpunkt) zu einem integrierten Bestandteil der direkten

Rede J

esu geworden. Durch die Veränderung der Anredeform

der zweiten Person Plural, die das Logion in der Lukasfassung

aufweist, in die Form des Aussagesatzes ist das Logion aus sei

ner Anredesituation in die Form einer allgemein gültigen

eschatologischen Verheißung verändert worden.

Zu

den sprach

lichen Beobachtungen tritt eine inhaltliche: Das Logion unter

streicht nämlich nicht nur den Gedanken von Vers

10

sondern

führt ihn weiter. Vers

10

spricht von dem beispielhaften, bei

keinem in Israel sonst angetroffenen Glauben. Das Logion geht

jedoch grundsätzlich auf das Verhältnis Juden

und

Heiden

3

Es ließe

sich

einwenden, das Logion

Mt

8,11-12 sei schon in

Q

hinter

Mt 8,10 gefolgt. Dafür spräche, daß es bei Lukas als Teil einer künstlichen

Komposition, die

es

mit

anderen Logien zu einer

Art

Gleichnis vereine,

überliefert sei. Die Komposition eines Gleichnisses müsse man Lukas zu

schreiben. Matthäus hätte wohl kaum eine so geschickte Komposition zer

schlagen, wenn sie ihm in Q vorgelegen hätte. Dagegen aber ist zu sagen:

Es entspricht der Arbeitsweise des Matthäus, Logienstoff thematisch neu

zusammenzustellen. Lukas folgt im allgemeinen seiner Vorlage getreuer.

Zudem wäre Matthäus

auf

das aus verschiedenen Logien zusammenkompo

nierte Gleichnis nicht angewiesen gewesen. Im Gleichnis von den klugen

und

törichten Jungfrauen Mt

25,1-13)

fand er ein Gleichnis mit ähnlichen

Motiven vor, das ursprünglich schon als Gleichnis konzipiert war.

Zur

Tra

ditionsgeschichte der Verse vgl.: F Mußner Das »Gleichnis« vom gestren

gen Mahlherrn, Lk

13,22-30,

in:

TrThZ 65 1965), 129-143;

wieder abge

druckt in: Praesentia Salutis, Düsseldorf

1967,

IIJ-124. W. Trilling

Das

wahre Israel, München

3

1964,

88 StANT

X)

4

ßaaLAEla tÖJV oueavöiv Himmelreich) ist matthäisehe Lieblingsformu

lierung. 'tO O )tcho<; 'tO E;ol'tEQOV die äußere Finsternis) kennt nur er Mt

8,12; 22,13; 25,30). Ebenso auch die utot Tij<; ßaoüela<; Söhne des König

reichs) Mt 8,12; 13,38).

59

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ein. Das aber ist ein Gedanke, der dem Matthäus, wie sein

übriges Evangelium zeigt, sehr am Herzen lag.

In

der Kirche

aus Juden und Heiden sieht er das wahre Israel.

Die Redaktion

des

Lukas

Schwieriger ist es zur Gestalt der lukanischen Vorlage zu ge

langen.

Haenchen

5

nimmt an,

daß

in den Versen

Lk 7 2-7a

eine andere überlieferungsform als die der Vorlage des Mat

thäus durchscheine.

Er

macht

darauf

aufmerksam,

daß

in den

Lukasversen

2.3 und ro

von einem

1\oii/.oc;

gesprochen wird,

während da, wo die Geschichte wieder zur Gestalt der Mat

thäusfassung zurückkehre, Vers 7 b, genauso wie bei Matthäus

sonst in der Geschichte Mt 8,6. 8.

13)

von einem nai:c; die Rede

sei.

Das aber lasse darauf schließen, >>daß Lukas den abgeän

derten Text gegenüber Matthäus) nicht selbst hergestellt, son

dern bereits übernommen hat, ohne

daß

er einen dem Mt-Text

entsprechenden Wortlaut kannte«

6

Nach Haenchen steht die

Matthäusfassung einer alten überlieferungsform nahe, die in

judenchristlichem Milieu umgearbeitet wurde, wobei vor allem

die beiden Gesandtschaften eingefügt wurden. Die judenchrist

liehe Gemeinde habe versucht, »mit letzter Energie den Strom

einer Erzählung in ein anderes Bett zu leiten und aus einer

Geschichte, mit der das Heidenchristentum seinen Glauben

pries, eine andere zu machen, nach der die Heiden nur berück

sichtigt werden können, wenn sie besondere Verdienste um Is

rael aufweisen können«

7

• In

dieser umgearbeiteten Form sei

die Geschichte schließlich auf Lukas gekommen. Doch

en-

chens Gründe können nicht überzeugen. Einer der Anhalts

punkte für

H aenchens

These ist der Wechsel der Bezeichnung

1\oiil oc;

mit nai:c;. Wenn man bedenkt, daß bei Johannes das

zweideutige nai:c; des Matthäus eindeutig als vt6c; Sohn) be-

5

E Haenchen

Johanneische Probleme, in: Gott und Mensch, Tühingen

1965, 78-113) 84-86

o E Haenchen

ebd. 86

7

E Haenchen ebd. 85 f

6o

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zeichnet wird,

läßt sich

durchaus erwägen, daß Lukas in ähn-

licher Weise das

mit

Knecht oder Sohn übersetzbare

n a i ~

in

ein eindeutig

mit

Knecht

zu

übersetzendes

o u A o ~

verändert

hat. Das hätte zudem den Erfolg gehabt, die Gestalt des Cen-

turio um

so

tugendhafter erscheinen· zu lassen, denn, daß sich

jemand um die Heilung seines eigenen Kindes bemüht, ist nicht

mehr als selbstverständlich;

daß

er sich aber

so

um seinen

Knecht sorgt,

läßt

ein gutes Licht

auf

seinen Charakter fallen.

Man

beachte im übrigen, wie gerade dieser Zug bei Lukas

un-

terstrichen ist durch den angehängten Relativsatz »der ihm

wert

war« Lk 7,2).

Obwohl

es

sein Knecht ist, so ist er dem

Herrn doch

so

wert

und

teuer,

daß

er

sich

bei Jesus um seine

Heilung bemüht. Gerade dieser Relativsatz hebt den Centurio

aus dem Bereich des allgemein üblichen heraus. Das allgemein

übliche

wird

in Vers 8 dargestellt. Das Verhältnis von Herrn

und

Knecht ist das von Befehl

und

Gehorsam, von dem Vers 8

als von einer Selbstverständlichkeit spricht.

Daß

sich ein Herr

so sehr um seinen ihm teuren Knecht bemüht, geht über das

gerechte Maß der Fürsorge hinaus. Der Centurio erscheint so

als ein guter

Herr

8

aenchen

führt als weiteren Grund für eine auf Lukas über-

kommene judenchristliche Bearbeitung der Geschichte an, in

der Aussendung der Altesten der Juden

und

in ihrer

Fürbitte

werde das Interesse der judenchristliehen Bearbeiter greifbar.

Sie hätten dadurch das Moment der alten Geschichte,

daß

der

Glaube eines

Heiden

gepriesen werde, abschwächen wollen

und

die Heilung auf die jüdische Fürsprache wie auch

auf

die Ver-

dienste des Mannes für Israel zurückführen wollen. Doch

scheint eine solche Begründung allzu gesucht

und

die

wahre

Bedeutung des »Gesandtenmotivs« zu verdecken.

Man muß

nur

aufmerksam

auf

das Gefälle der Erzählung achten. Gewiß

preisen die Gesandten den Mann.

Er

liebt das Volk

und hat

8

Daß

in Vers 7 n : a i : ~ nicht auch in 1 \ o i i ; \ o ~ verändert wurde,

darf

man dar-

auf zurückführen, daß jeder Leser jetzt weiß: Es handelt sich nicht um das

Kind, sondern den Knecht des Centurio. Zudem gehört Vers 7

zu

dem

wichtigsten Teil der Perikope, dem Glaubenswort des Centurio. s ist wohl

viel fester geprägt als der reine Erzählstoff und eine Veränderung in ihm

schlechter möglich als in dem erzählenden Rahmen.

r

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Verdienste um

es

Lk 7,5). Deshalb ist er in den Augen der

Gesandtschaft der Bitte würdig Ul;Lo<; ßcrnv

Lk

7,4). Doch die

Selbsteinschätzung des Mannes widerspricht dem Urteil der

Gesandtschaft: »Ich habe mich nicht für würdig gehalten

(ol M

flUUTov

l j ~ t w c r a Lk

7,7)

«

»Würdig« ist das Stichwort, das uns

die Bedeutung der zweifachen Gesandtschaft erschließt. Da-

durch, daß er einerseits im Urteil der anderen als

a ~ L O < ;

dasteht,

sich selber aber, indem er das Wort verneinend wieder auf-

nimmt, nicht so einschätzt, wird der Kontrast zwischen dem

Fremdurteil und der Selbsteinschätzung betont. Durch den

Kontrast aber

tritt

seine Selbsteinschätzung als eindrucksvol-

les Beispiel

von

Demut hervor. Dem selben Zweck dient die

zweifache Gesandtschaft; denn nicht nur durch das, was die

Gesandten sagen, sondern schon durch ihr Auftreten,

wird

der

Centurio als demütig und bescheiden charakterisiert. Er wagt

es

nicht selbst zu J esus zu gehen, sondern schickt zweimal Ge-

sandte aus, um sich an Jesus zu wenden. Dann aber liegt hier

nicht »ungeschickte«

9

Erzählungskunst vor, die man Lukas

nicht zutrauen dürfe, sondern gerade das Gegenteil. Bis jetzt

ist kein Grund sichtbar geworden, warum Lukas eine beson-

dere, judenchristlich vorgeformte Vorlage benutzt haben soll;

vielmehr weist die augewandte Erzählkunst auf Lukas selber,

was auch wortstatistische Beobachtungen bestätigen

10

9

E. Haenchen Johanneische Probleme,

86

10

Die wartstatistische Untersuchung zeigt folgendes:

r

das in Vers

2

benutzte Wort E V t L f W ~ kommt bei Lukas zweimal vor

Lk 7,2; 14,8), ansonsten findet es.

sich

im Neuen Testament nur noch Phil

2,29

und

I

Pt

2,4.6;

2. das Ö L a o f f i ~ w von Vers 3 kommt bei Matthäus einmal vor Mt I4,36), bei

Lukas

nur

hier, aber in der Apostelgeschichte fünfmal, ansonsten

nur

noch

in I Pt 3,2o;

3· das in Vers 4 vorkommende nagaylvof.LaL mit

n g ~

kommt im Neuen

Testament

nur

bei Lukas

vor:

Lk

7,4; 7,20;

8 I9;

11,6; 22,52;

Apg

2o,I8).

Matthäus gebraucht nagaylvof.LaL überhaupt

nur

zweimal, Markus einmal,

Johannes zweimal, Lukas achtmal, Apostelgeschichte zwanzigmaL

Das

n gexw

von Vers 4 kommt in einer vom Markustext abhängigen

Stelle

vor

Mk

14,6; Mt 26,Io).

Sonst kennen

es Markus und

Matthäus

nicht. Lukas gebraucht es im ganzen viermal Lk 6,29; 7,4; 11,7; I8,5),

außerdem fünfmal in der Apostelgeschichte Apg I6 I6; 17 3I; I9,24;

22,2; 28,2).

5.

f.LUX IUV

von Vers 6 b kommt zweimal

nur

bei Lukas in der Verbindung

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Es handelt

sich

nicht um eine Vorlage aus judenchristlichem

Milieu, die die Sonderrolle der Juden hervorheben will. Viel

mehr hat Lukas redaktionell gestaltet, um den Centurio als

einen guten und demütigen Mann zu charakterisieren. Die An

nahme

Haenchens

von einer besonderen Vorlage

des

Lukas ist

also nicht notwendig.

Die gemeinsame Vorlage

Die Unterschiede von Matthäus und Lukas erw1esen

sich

durchweg als redaktionell. Das verleiht ihren Gemeinsamkei

ten stärkeres Gewicht. Sie lassen darum auf eine gemeinsame

Vorlage schließen, die von den beiden Evangelisten in ver

schiedener Richtung bearbeitet worden ist. Lukas fügte vor

allem das Motiv von der zweifachen Gesandtschaft ein, wäh

rend Matthäus durch die Anfügung des Logion in Vers

u 12

erweiterte. Mit dem Erweis einer gemeinsamen Vorlage von

Matthäus und Lukas ist jedoch unsere Frage nicht völlig beant

wortet. Vielmehr stellt sich als neues Problem, ob die Vorlage

von Matthäus und Lukas als Einzelerzählung umlief oder

aber ob sie Teil einer größeren Quelle war, die von Matthäus

und Lukas benutzt wurde. Mit anderen Worten: Gehörte die

Perikope vom Hauptmann von Kapharnaum zur

Logien-

quelle

Schon allein, daß eine gemeinsame Vorlage benutzt

wurde, spricht dafür. Aber auch der Kontext weist darauf hin.

Bei Matthäus folgt nämlich die Perikope auf die Bergpredigt

Mt 5,1-7,29); nur die kurze Perikope von der Heilung eines

Aussätzigen ist dazwischen eingeschoben Mt 8,1-4).Bei Lukas

folgt sie der der Bergpredigt des Matthäus entsprechenden

Feldrede Lk 6,17-49). Die Akoluthie des Matthäus und des

Lukas entsprechen sich. Da aber die Feldrede wohl die Akolu

thie der Logienquelle bewahrt, ist anzunehmen, daß auch

mit

:n:€xw vor, heidemale ist mit dem Genitivus absolutus konstruiert

Lk 7,6; 15.20).

6. Das :1tEf1:1tW

von Vers 6b kommt bei Matthäus viermal, bei Markus ein

mal, bei Lukas jedoch zehnmal und in der Apostelgeschichte elfmal vor.

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schon die Perikope vom

Hauptmann

von Kapharnaum in der

Logienquelle gestanden hat. Zudem liegt der Akzent der Er-

zählung mehr auf den Worten, die in ihr gesprochen werden

als auf dem erzählenden Teil. Erst Lukas baut ihn weiter aus.

Darum

ist

sie

keine eigentliche Wundererzählung, sondern

es

geht in

ihr

um die Bedeutsamkeit der Worte

des

Centurio und

Jesu. Nicht das Wunder steht im eigentlichen Interesse der

Erzählung, sondern das Glaubenswort

des

Hauptmanns. Auch

Bultmann

vermutet die Zugehörigkeit der Perikope zur Lo-

gienquelle

11

• Dort

haben Matthäus und Lukas

sie

vorgefunden

und

in jeweils eigener

Art

umgeformt.

Die Heilung des Sohnes des »Königlichen« Johannes)

Die stärkeren Übereinstimmungen zwischen Matthäus und

Lukas im Vergleich zur Johannesfassung ließen sich durch den

Nachweis einer gemeinsamen Vorlage der beiden Synoptiker

erklären. Die Unterschiede, die die Johannesfassung gegenüber

den Synoptikern aufweist, können jedoch nicht verdecken, daß

die gleiche Geschichte erzähltwird

12

• Darum muß man fragen,

ob Johannes die gleiche Vorlage wie Matthäus und Lukas ver-

arbeitet hat. Finden

sich

Spuren typisch johanneischer Bearbei-

tung, die von der Vorlage

des

J ohannes abgetragen werden

können

und

den Blick auf sie frei geben? Zu fragen ist also

nach der Redaktion des J ohannes.

Die Redaktion

des

Johannes

Um

diese zu erkennen, müssen

wir

den

blauf der Geschichte

in ihren Erzählschritten genau verfolgen. Dadurch

wird

auch

der Unterschied in der Verteilung der erzählerischen Gewichte

11

Bultmann Geschichte der synopt. Tradition, 39 ordnet

sie

denn auch

nicht der Kategorie der Erzählstoffe als Wundergeschichte ein, sondern der

Kategorie der Worte Jesu als biographisches Apophthegma.

12

So auch:

P.

Wendland, Die urchristlichen Literaturformen, Tühingen

I9I2

275

f.

= HNT

I, 3

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gegenüber den Synoptikern deutlicher hervortreten. Der Sohn

eines »Königlichen«, so berichtet die Geschichte, liegt krank in

Kapharnaum. Der Vater

hat

davon gehört, daß Jesus aus

Judäa wieder nach Galiläa gekommen ist.

Er

geht zu Jesus

nach Kana und bittet ihn, mit ihm zu kommen,

um

seinen

Sohn, der todkrank ist, zu heilen. Schon hier erzählt die Ge

schichte umständlicher als die synoptische Fassung. Dort ge

schieht alles in Kapharnaum.

Hier

ist eigens ein Bittgang

des

Mannes hinauf nach Kana in Galiläa notwendig. uf die Bitte

des Mannes sagt Jesus: »Wenn ihr nicht Zeichen

und

Wunder

seht,

so

glaubt ihr nicht «

Es

fällt auf,

daß

sich

das, was Jesus

sagt, gar nicht auf die Bitte des Vaters bezieht. Dieser hatte

gar nicht um ein Beglaubigungszeichen von Jesus gebeten, das

ihm hätte zeigen können, daß Jesus auch vermag,

worum

er

ihn bittet. Außerdem ist das Wort Jesu allgemein gesprochen;

es

gebraucht die zweite Person des Plural, meint also nicht den

»Königlichen« allein. Und doch ist von anderen gar nicht die

Rede. Die Geschichte erzählt

nur

von einem »Königlichen«.

Auch die Fortsetzung in Vers 49, die ein erneutes Wort des

»Königlichen« an Jesus bringt, geht ihrerseits auch nicht auf

das Wort Jesu ein, sondern wiederholt einfach die Bitte von

Vers

7 b. Wir stoßen offenbar auf eine erzählerische Unge

reimtheit, die die Auslegung, die

sich

an den Text hält, nicht

psychologisierend überspielen darf. Durch die Erklärung etwa:

Jesus habe in Vers

8

den Glauben

des

Mannes auf die Probe

stellen wollen und ihn deshalb bewußt schroff angefahren,

doch habe sich der Mann durch diese Schroffheit nicht von sei

ner Bitte abhalten lassen und sie in Vers

9

hartnäckig wieder

holt, geht man über den Text hinaus. Es ist festzustellen: Vers

8 fügt

sich

schlecht an Vers 47

und

ist mit Vers 9 ebenfalls

nicht recht zu verbinden.

Dagegen schließt sich an die Bitte von Vers 9 die Antwort

Jesu von Vers

50

gut an: »Geh, dein Sohn lebt « Dem Befehl

von Vers 50 a folgt die Ausführung »im Glauben« (V 50 b ),

wobei allerdings der nachklappende Relativsatz »das ihm

Jesus gesagt hatte«, aufhorchen läßt, weil er scheinbar unnötig

an

das Wort erinnert, das Jesus eben im gleichen Vers ge-

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sprochen

hat

13

• Dann geht die Geschichte ihren Gang. Vers

begegnen dem Hinabsteigenden seine Diener, die ihm sagen,

daß sein Kind lebe. Der Mann vergewissert

sich

über den Zeit

punkt der Besserung und erfährt die genaue Stunde V p .

Nun

muß er erkennen, daß

es

die gleiche Stunde war, in der

ihm Jesus gesagt hatte, »dein Sohn lebt« V

53).

Das Wunder ist geschehen, sein Eintreten konstatiert. Jetzt

müßte von der Reaktion der Betroffenen die Rede sein. Und

so

geschieht es auch - das Wunder bringt ihn und sein Haus

zum Glauben V 53). Aber war nicht schon in Vers

5

vom

Glauben

des

Mannes die Rede? Kommt er zweimal zum Glau

ben? Oder ist hier

nur

deshalb vom Glauben die Rede, weil

dadurch gesagt sein soll, daß nicht nur er, sondern auch sein

Haus zum Glauben findet? Oder glaubt er hier auf eine andere

Weise als in Vers

so?

Auch hier darf man nicht harmonisieren,

sondern wird später umfassender nach der Absicht des Redak

tors fragen müssen. Zum Schluß wird das Wunderzeichen ge-

zählt.

Es

ist das zweite in Galiläa, das Jesus wirkte, als er von

Judäa

kam V

54).

Wir sind dem Ablauf der Geschichte entlang gegangen. Dabei

stießen

wir

verschiedentlich

auf

Unebenheiten der Erzählung

durch die der Fluß der Geschichte ins Stocken geriet, und der

Ablauf nicht ohne Holpern weiterging. Es handelt sich um die

vergleichsweise komplizierte doppelte Ortsangabe von Vers

46, um das aneinander Vorbeireden von Jesus und dem Bitt

steller in den Versen

47-49

um den unnötig nachklappenden

Relativsatz in Vers 5 b und um die verschiedenen Weisen, in

der die Perikope vom »Glauben« redet VV 48.

50. 53). In

der

Frage nach der Redaktion einer Vorlage wird

es

günstig sein,

gerade diese Stellen genauer zu beachten.

In

Vers 46 fiel

die

doppelte Ortsangabe

auf. Einerseits berich

tet Vers 46 a da von, daß Jesus nach Kana kommt. Anderer

seits wird von dem Sohn des Königlichen gesagt, daß er krank

zu Kapharnaum liegt. Man könnte sagen, die doppelte Orts-

13

Der Codex Sinaiticus und einige syrische Textzeugen empfinden den

Relativsatz als unnötig und formulieren deshalb einfacher:

»Es

glaubte der

Mann dem Worte Jesu.«

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angabe kompliziere die Geschichte nicht, vielmehr diene sie

dazu die

Entfernung

zwischen dem

Wundertäter und dem

Ort

der Heilung

vor

Augen

zu

führen. So werde das

Wunder

stärker

als Fernheilung herausgestellt. Der

Einwand

wäre dann

richtig,

wenn

nicht das

Kana von

Vers 46 a durch einen ange-

hängten

Relativsatz mit

dem

Kana von Jo 2 I - I I verknüpft

würde und

sogar in Vers 46 a eigens Bezug auf das dort ge-

wirkte

Wunder

genommen würde. Die Synoptiker kennen

im

übrigen

nur

einen Ort

der

Geschichte:

Kapharnaum.

Folgen

wir dem Hinweis

von

Vers

46a

auf Jo 2 I-II. In Vers 11

wird

das Weinwunder

von

Kana als

Anfang

der Zeichen ge-

nannt.

Vers

12

führtJesus

mit

seinen Jüngern

und Verwandten

als Gefolge nach Kapharnaum.

Man

würde erwarten daß in

Kapharnaum etwas Entscheidendes geschehe oder gelehrt

werde. Statt dessen wird

nur

gesagt, daß sie ein paar Tage dort

bleiben. Der

kurze

Vers I3

führt

Jesus

sofort hinauf

nach

Jerusalem.

Warum

wird in

Vers

12 überhaupt von Kaphar-

naum

gesprochen? Nichts geschieht

ja

dort.

Ist

s

bloße histori-

sche Reminiszenz?

Dann

dürfte

man wohl

auch

von

Stationen

des Weges nach Jerusalem hinauf erwarten, daß sie erwähnt

würden. Doch das geschieht nicht. Ein

kurzer

Vers genügt für

die achttägige Reise.

Das

Paschafest der Juden steht

vor der

Tür und

Jesus steigt

hinauf

nach Jerusalem.

Daß

das eine

stereotype Floskel ist, erweist die Wiederholung in J o 5,1;

7,10. Die Floskel dient dazu, den Schauplatz zu wechseln, und

die Vermutung liegt nahe,

daß

Vers

1

3

in

ein

in Galiläa

spie-

lendes Geschehen eingreift, um den ganzen

Komplex der Jeru-

salemreise unterzubringen. Vers 3

wäre

nach dieser

Ver-

mutung

nicht die alte Fortsetzung

von

Vers

I2

gewesen,

sondern

hätte

etwas, was in

Kapharnaum

geschehen

war ab-

geschnitten

und

die Jerusalemreise eingeschoben.

Dann

fällt

s

nicht schwer, Jo

4 46b

an 2 12 anzuschließen. Dann

wäre

ge-

mäß Jo

2 1 2 Jesus

von Kana

nach

Kapharnaum

gegangen und

hätte dort das Wunder der Heilung an dem Sohn des König-

lichen vollbracht.

Kapharnaum

wird ja auch in

der

heutigen

Fassung noch

erwähnt

Jo 4,46b),

und

auch die

Synoptiker

siedeln die Geschichte

in Kapharnaum

an. Der

Redaktor ä t ~

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demnach nach der Jerusalemreise Jesus wieder nach Kana zu

rückkehren lassen, nicht etwa um das Motiv der Fernheilung

zu unterstreichen, sondern um d s Wunder der Heilung dem

Weinwunder von Kana deutlicher beizuordnen

Für ihn war

ja auch durch die Konzeption seiner Jerusalemreise Kana

zum Ausgangspunkt geworden und Kapharnaum von Jo

2 13

nur zu einer Station auf dem Weg nach Jerusalem ohne

eigene Bedeutung. Jesus kehrt nach der Konzeption des Re

daktors an den Ausgangspunkt seiner J erusalemreise zurück -

nach Kana in Galiläa. In der Vorlage der Perikope von der

Heilung des Sohnes des »Königlichen«

wird

darum Kaphar

naum wie bei den Synoptikern der Schauplatz der Heilungs

geschichte gewesen sein. Wir dürfen darum in allen Hinweisen

innerhalb der Geschichte auf die Jerusalemreise und die Rück

kehr redaktionelle Eintragungen sehen, die die Aufgabe haben,

die Geschichte mit dem heutigen Zusammenhang zu ver

knüpfen.

Die Geschichte begann in der Vorlage also wohl mit Jo

2 12

woran sich

Jo

4,46b anschließt. Auch

hört

in Jo 4.47 der Mann

nicht davon, daß Jesus von Judäa nach Galiläa gekommen sei

sondern von Kana nach Kapharnaum. So nimmt die Zeitan

gabe »gestern« von Vers 52 Rücksicht auf die neue Entfernung;

ursprünglich dürfte nur von der siebten Stunde gesprochen

worden sein. Aus demselben Grund wird wohl in der Vorlage

in den Versen 47, 49) und 51 statt des »Heruntersteigen« ein

anderes Verb gebraucht worden sein. Das »Heruntersteigen«

setzt

ja

einen Abstieg des Mannes aus dem im galiläischen

Hügelland gelegenen Kana zu dem am See Genezareth liegen

den Kapharnaum voraus. Sollte das Wunder schon in der Vor

lage gezählt worden sein, wäre es als »Zweites Zeichen« ein

gereiht worden. Doch ist

es

auch möglich,

daß

die Zählung als

»Zeichen« auf den Redaktor zurückgeht, der durch die Be-

nennung einer Wundergeschichte als

>>Zeichen«

sie schon inter

pretieren will. Eine einwandfreie Entscheidung wird sich je

doch nicht treffen lassen. Immerhin bleibt festzustellen, daß

der Redaktor schon am Beginn der Geschichte eingegriffen hat,

indem er sie in einen neuen Zusammenhang einordnet.

68

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Vers 48 fügt

sich

schwer in den Ablauf der Geschichte ein. Auf

die Bitte des Mannes um die Heilung seines Sohnes gibt Jesus

erst eine grundsätzliche Erklärung ab, die aber den Mann in

seiner Bitte nicht abhalten kann. Sieht man in Vers

48

eine

redaktionelle Einfügung, geht ohne sie der Ablauf der Ge

schichte glatter voran.

Der

Mann bittet Jesus um die Heilung

seines Sohnes, und Jesus antwortet darauf (Vers 5oa): »Geh

hin, dein Sohn lebt «

Für

den redaktionellen Charakter von

Vers 48 a spricht aber

vor

allem die Aufnahme eines typisch

johanneischen Gedankens. Vers 48 kritisiert einen Glauben,

der

sich

auf

sichtbare Zeichen und Wunder stützt. Eine Paral

lele zu diesem Vers findet sich bis in die Formulierung hinein

in der Thomasgeschichte (Jo 20,24-29), in der das Thema von

Glauben und Sehen durchgeführt wird

14

• Diese Beobachtungen

zeigen,

daß

es sich in Vers

48

um einen Einschub des Redaktors

handelt

15

Dann

aber muß man auch

Vers 49

auf den Redaktor zurück

führen, denn der Vers hat ja

nur

die Aufgabe, den durch

Vers48 aufgehaltenenAblauf der Geschichte durch Wiederauf

nahme der schon in Vers

47

erwähnten Bitte weiterzuführen.

Bei

Vers

50 ist es schwieriger zwischen Redaktion und Vorlage

zu scheiden. Auf die Bitte des Mannes mußte auch in der Vor

lage eine Reaktion J esu folgen. Darum darf man von Vers 5o a

annehmen, daß er

so

oder ähnlich schon in der Vorlage stand.

Man muß sich allerdings fragen, ob nicht etwa das in Vers 50 a

verwendete (leben) aus der Vorliebe des Johannes für die

durch diese Wortfamilie angesprochenen Vorstellungen zu er

klären ist

16

, und ursprünglich ein anderes Wort, ähnlich etwa

14

Man vergleiche das Wort

des

Thomas von

Jo 20,25

mit Jo 4,48.

Jo

20,25: Utv

J.TJ l:öro

..• o'Ö J.TJ mcr·n:ucrro

Jo

4,48: Utv

J.TJ

Lörp:E

..•

o'Ö

J.TJ

mcrnucrrrrc

Die Parallele geht bis in die grammatikalische Struktur (o'Ö J.lJ mit Kon

junktiv, vierzehnmal bei Johannes, mit Futur dreimal). Siehe dazu:

E

A

Abbat Joannine Grammar, London 1906, Nr. 2255

15

Vgl. auch das bei Johannes etwa 195mal vorkommende o:Ov,

E

A. Ab-

bot ebd., Nr.

2191

1

6

Zu

~ j v

bei Johannes siehe F

Mußner

ZQH, Die Anschauung vom

,.Leben« im vierten Evangelium, München 1952, 49 f. = Münchener Theo·

logische Studien

I

5)

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wie Mt 8,r 3 b, in der Vorlage stand. Das Wort wird zudem

zweimal wiederholt, durch die Diener Vers

5

r) und in der

Reflexion des Mannes auf die Stunde der Heilung Vers

53).

Wenn das Wort in der Vorlage stand,

war

es

dem Johannes

redaktor sehr willkommen. Wenn es nicht dort stand, mußte

an seiner Stelle etwas Entsprechendes stehen.

Dagegen ist in Vers 50 b die Redaktion klarer zu erkennen.

J ohannes liebt es »auf Früheres zu verweisen<<

17

• So ist der

Relativsatz »das Jesus zu ihm gesprochen hatte<< als johannei

scher Stil erkennbar. Vom Inhaltlichen her kommt hinzu, daß

der Glaube an das Wort Jesu ein Gedanke ist, den Johannes

auch sonst kennt

18

• Das aber scheint darauf hinzuweisen, daß

Vers 5o b der Redaktion zuzuweisen ist. Sie trägt das Moment

des ausdrücklichen Glaubens an das

ort

J esu in die Vorlage

ein. Zwar mag auch da schon von einem »er glaubte<< die Rede

gewesen sein, doch hätte es die Vorlage dann eher im Sinn von

Zutrauen als im Sinn von ausdrücklichem Glauben verstanden,

denn vom Glauben des Mannes wird ja erst eigentlich in Vers

53 b gesprochen. Die Vorlage will nicht den Glauben des Man

nes

vor

dem Wunder zeigen. Vielmehr soll das Weggehen

des

Mannes Vers 50 b) das folgende Feststellungsverfahren er

möglichen. Dieses erst führt in der Vorlage den Mann und sein

Haus zum Glauben Vers

53).

Er geht nicht weg, weil er auf

Jesu

Wort

vertraute, sondern weil er

sich

vergewissern wollte,

ob denn auch der Erfolg eingetreten sei.

Die Vorlage

Hebt

man die redaktionellen Einschübe und Veränderungen

von der Vorlage ab, beginnt diese

sich

abzuzeichnen.

Im

Ver-

17

R. Bultmann Johannesevangelium, 151. Vgl. Jo 1,30; 2,22; 6,65; 13,33;

15,20; 16,15; 18,9).

18

Vgl. vor allem

Jo 2,22;

dort ist auch der angehängte,

auf

das Wort Jesu

verweisende Relativsatz zu finden.

Jo 4,50

b: btlcr,;EucrEv

ö v ~ e w n o ~ ,;i J Mycp,

öv

EL:n:Ev a1hi J ö 1 J c r o Ü ~

Jo 2,22: E:n:tcr,;wcrav ,;i J A6yi J, Öv d:n:Ev • ö l l ] G O Ü ~

Ahnlieh Jo 4,41; 5,47; q 2o.

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gleich zu den Synoptikern ist der Schluß der Geschichte stark

ausgebaut. Zwar erwähnt auch Mt 8 13 die »Stunde« der Hei-

lung doch geht der Glaube

des

Mannes voraus und am Ende

ist nicht mehr davon die Rede. Matthäus legt keinen Akzent

darauf den Zeitpunkt des Heilungsbefehls Jesu mit der Zeit

der Heilung zusammenfallen zu lassen. Die Johannesvorlage

hingegen hält es für richtig ein regelrechtes Feststellungsver

fahren vorzuführen: Diener begegnen dem von Jesus kom

menden Mann mit der Botschaft. Er fragt sie nach dem ge

nauen Zeitpunkt der Heilung. Die Uhrzeit wird angegeben -

es

war

die siebte Stunde; die Symptome der Heilung werden

genannt - da verließ ihn das Fieber. Eigens wird herausge

stellt: er Mann erkennt - es

war

dieselbe Stunde in der

Jesus den Heilungsbefehl gab. Das Wunder ist festgestellt -

jetzt kommt der Mann zum Glauben. Die Beachtung der er

zählerischen Akzente führt uns in ein anderes Klima als das

der Synoptiker. ort

war

die Heilung nur nebenbei berichtet

dort war

man nicht daran interessiert die genaue Stunde fest

zustellen. Das Gewicht der Erzählung lag auf den Worten des

Centurio und den Worten Jesu. Die Akzentverlagerung zeigt

uns das eigentliche Interesse der Johannesvorlage.

s richtet

sich auf

das

under und

nicht

auf

das Wort

Darum fehlt auch

in ihr ein der synoptischen Fassung vergleichbares Glaubens

wort

des Mannes. Dagegen

wird

die Größe des Wunders be

tont das den »Königlichen« und sein Haus zum Glauben

bringt.

Die Geschichte

hatte

in der Vorlage des Johannes etwa folgen

des Aussehen:

Sie erzählte von einem »Königlichen« in Kapharnaum dessen

Sohn schwer erkankt war.

Er

hört davon daß Jesus si h in

Kapharnaum befindet geht zu ihm und bittet ihn mitzu

kommen und seinen Sohn zu heilen. Jesus der es nicht nötig

hat zur Heilung eigens mit dem Mann nach Hause zu gehen

spricht ein Heilungswort und der Mann geht nach Hause.

Unterwegs begegnen ihm Diener die ihm schon die Heilung

des Sohnes melden.

Er

forscht genau nach und erfährt daß das

Wunder

zur

gleichen Stunde eingetreten ist in der Jesus das

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Heilungswort aussprach. Die Größe

des

Wunders überwältigt

den Mann und er kommt zusammen mit seiner Familie zum

Glauben.

Vers 54

zählt die Geschichte als zweites Zeichen. Das

läßt

ver

muten, daß die Geschichte schon in der Vorlage Teil eines grö-

ßeren Zusammenhangs war

19

Auch Matthäus

und

Lukas

kannten die Geschichte als Teil einer zusammenhängenden

Quelle Logienquelle)

20

Die Fassung der Geschichte in die

19

Aus der Tatsache der Zählung verschiedener Wunder als »Zeichen« so

wie aufgrund sprachlicher Beobachtungen an

diesen Wundergeschichten,

nimmt Bultmann Johannesevangelium,

78

f.) die Existenz einer Sammlung

von Wundergeschichten an, die Johannes als Quelle benutzt hat. Er nennt,

A. aure

folgend, diese Quelle

O l]f.LELil-Quelle.

Sollte es diese Quelle ge

gehen haben,

so

mag die Bezeichnung Sämeiaquelle nicht allzu günstig er

scheinen, da die Bezeichnung eines Wunders als O l]f.LEtov schon eine Inter

pretation des Wunders darstellt.

Diese Interpretation könnte johanneisch sein, zumindest gebraucht Johan

nes das

Wort

zur Bezeichnung des Wunders auch in redaktionellen Teilen

vgl. etwa Jo 6 26 in positivem Sinn, Jo 4,48 in negativem Sinn). Ob die

Quelle schon von

~ e i c h e n «

sprach,

läßt

sich

nicht sicher entscheiden; zu

dem ist die Zählung nicht konsequent durchgeführt. Man sollte vielleicht

besser von

»Wunder«-Quelle sprechen und sich des hypothetischen Charak

ters einer solchen Quelle in der Gestalt einer Sammlung von Wunder

geschichten bewußt bleiben. Daß Johannes Wundergeschichten - auch

solche, die die Synoptiker nicht kennen - als Vorlage benutzt hat, steht

außer Frage, da

sich

Redaktion und Vorlage im allgemeinen gut vonein

ander unterscheiden lassen. Die Frage ist eben nur, ob diese ihm als Einzel

traditionen zukamen oder aber in einer Sammlung. Ein wesentlicher Unter

schied für die Behandlung der Perikope ergibt

sich

aus der Frage, ob Samm

lung oder Einzelperikope vorlag, nicht, denn allen Wundergeschichten des

Johannes ist

es

gemeinsam, daß die Wunderzüge wesentlich massiver sind

und

die Gefahr besteht,

daß

das Wunder um

des

Wunders willen erzählt

wird. Wir gehen im folgenden von der Annahme der Existenz einer solchen

Wunderquelle aus. Neuerdings hat

R. T. Fortna

eine interessante Rekon

struktion versucht, indem er über die Wundergeschichten hinaus die vor

johanneische Existenz eines ganzen »Zeichenevangeliums« annimmt, das

von Johannes als Quelle benutzt worden sei. Allerdings fangen die Schwie

rigkeiten erst dann richtig an, wenn man über die Wundergeschichten hin

aus noch anderen Stoff Passionsgeschichte

)

dieser Quelle zuschlagen will.

Vgl.

R.

T

Fortna

The Gospel of Signs, Cambridge 1970 = SNTS Mono

graph Series

rr

2

Die Frage, ob die Aufnahme von Erzählstoff in die Logienquelle ihrer

seits schon wieder ein Spätstadium dieser Quelle darstellte, und ob man

zwischen einer nur Logienstoff aneinanderreihenden Q-Quelle und einem

gewisse erzählende Stoffe aufnehmenden Zweitstadium von Q unter

scheiden kann, ist von unserer Perikope aus nicht

zu

entscheiden.

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Logienquelle ist offensichtlich älter als die Fassung der Vorlage

des Johannes. Für die synoptische Vorlage ist nämlich das Ver-

hältnis Heiden/Juden konstitutiv. Dahinter steht eine Kirche,

für die dieses Verhältnis noch ein Problem ist. Für die Fassung

der Geschichte in der Wunderquelle des Johannes jedoch exi-

stiert dieses Problem nicht mehr. Aus dem heidnischen Cen-

turio der synoptischen Fassung ist ein unbestimmter »König-

licher« geworden, von dem mindestens der unbefangene Leser

nicht mehr wissen kann, ob es sich um einen Heiden oder

Juden handelt. Sie spiegelt also das Bild einer Kirche, die die-

sem Problem bereits entwachsen ist.

Es

gibt also

kaum

Be-

rührungspunkte beider Vorlagen. Eher ist schon anzunehmen,

daß die Johannesvorlage von Matthäus oder Lukas abhängig

ist, ohne daß jedoch diese Abhängigkeit literarisch vermittelt

sein muß. Man könnte vermuten, daß die Vorlage des Johan-

nes dem mündlichen Vortrag der synoptischen Perikope evtl.

im Gottesdienst) frei nachgebildet wurde. Wenn

sie das Glau-

benswort der synoptischen Fassung ausläßt, wirft das ein be-

zeichnendes Licht auf das Milieu, in dem die Geschichte von

der Heilung des Sohnes des

Königlichen weiter überliefert

wurde.

· ie theologischen kzente

»So einen Glauben habe ich in Israel nicht gefunden.« Logienquelle)

Die Wandlung

des

Textes von seinen Vorlagen bis zu seinen

Endredaktionen läßt ein vielfältiges Spektrum verschiedener

theologischer Aussagerichtungen aufleuchten. Die Auslegung

hat

zu versuchen, diese voneinander zu unterscheiden. Selbst

wenn diese Auslegung, was die rekonstruierten Vorlagen an-

geht, immer nur Vermutung bleiben wird, tritt die Aussage-

absicht der Endredaktionen deutlicher hervor.

er

Analyse folgend

läßt sich

für die älteste Fassung

des

Tex-

tes in der Logienquelle folgendes vermuten: Die Logienquelle

7

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überlieferte die Geschichte, weil alles in ihr

auf

die Wichtig

keit der Worte des Centurio und der Worte Jesu hinzielte.

Sie beginnt wie eine gewöhnliche Heilungsgeschichte: Ein heid

nischer

Hauptmann

tritt

in Kapharnaum

an

Jesus heran mit

der Bitte, sein todkrankes Kind zu heilen. Doch das ist nur

Exposition, die als Anlaß

dafür

dient, daß die Worte des Man

nes schon

vor

dem Wunder einen tiefen Glauben an das Ver

mögen Jesu offenbaren. Denn als Jesus zur Heilung bereit ist,

wird

er von dem Mann aufgehalten, weil dieser sich als Heide

nicht würdig fühlt, daß Jesus sein

Haus

betritt. Er weiß, daß

das auch nicht nötig ist, denn wie seiner eigenen Befehlsgewalt

Knechte und

Soldaten unterstellt sind, weiß er die Krankheit

seines Sohnes der Mächtigkeit des Wortes Jesu unterstellt. Sein

Glaube an Jesu Befehlsgewalt über die Krankheit ist absolut,

ist ein festes Wissen um ein Ordnungssystem, in dem

Krank-

heit und Unheil der Macht eines anderen unterstehen. Diese

Ordnung ist so selbstverständlich für ihn, wie es das Ord-

nungsgefüge ist, in dem er selber steht und dessen reibungs

loses Funktionieren er täglich erfährt.

Dieser Glaube des Hei-

den ist das eigentliche

under

der Geschichte Solche Sicherheit

des Sich-nicht-irren-könnens ist unter Menschen entweder

Zeichen unendlicher

Naivität und

Torheit oder aber schauer

licher

Irrtum.

Wenn diese

Haltung

aber hier als Glaube ge-

zeigt wird, spricht

sich

darin aus, was die Logienquelle unter

J esus verstand. Die Gemeinden der Logienquelle sprechen im

Glaubenswort des Hauptmanns ihre Überzeugung von der

absoluten Relevanz Jesu für sich selber und ihre Erfahrungen

der eindeutigen Hoheitsstellung Jesu aus. Jesus ist der, der

befiehlt, dessen Befehlswort die Macht der Krankheit gehorcht.

Er

ist der Herr

auf

dessen Herrenturn in Eindeutigkeit und

Sicherheit vertraut werden kann.

Er

ist

es

durch sein Wort;

Er ist es auch dann, wenn seine körperliche Anwesenheit nicht

gegeben ist Hier stehen

wir vor

dem Selbstverständnis der

Gemeinden dieser Quelle, die gerade die Worte ihres Herrn

weiter überliefert. Für sie und ihren Glauben haben diese

Worte weiterhin Relevanz, auch dann, wenn der Herr nicht

mehr leibhaftig unter der Schar seiner Jünger weilt. In der

7

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Autorität und Wirkkraft seines Wortes weiß ihn die Gemeinde

doch gegenwärtig und erfährt

si h

durch ihn betroffen.

Der Glaube, der das mit Sicherheit weiß, ist der Glaube eines

Heiden und »bei keinem in Israel hat Jesus solchen Glauben

gefunden.« Eine Gemeinde, die

so

spricht, weiß sich schon

nicht mehr diesem Israel zugehörig, sondern in den Herr-

schaftsbereich dessen gestellt, an den

sie

mit solcher Sicherheit

glaubt. Der Unterschied zu Israel, von dem in dem Wort Jesu

gesprochen wird, ist der, daß der Glaube si h auf nichts ande

res stützt, als auf J esu Wort und nichts anderes weiß als seine

Gegenwart durch sein Herrsein. Was der Glaube vorwegge

nommen hat, wird schließlich gewährt. Nicht die Bitte nach

Heilung ist das Maß des Wunders, sondern der Glaube: »Wie

du geglaubt hast,

so

soll dir geschehen.« Jesus wendet

si h

mit

diesem Wort nicht direkt an die Krankheit, sondern macht

damit den Glauben zum Vermittler

des

Befehls. Und nichts

anderes kann folgen als der Erfolg - die Heilung des Kindes.

Doch sie wird

nur

nebenbei noch erwähnt, auch der bei Wun

dergeschichten zu erwartende Chorschluß fehlt. Alles Ent

scheidende ist schon gesagt.

Der Hauptmann Stammvater im Glauben der Heidenchristen

Matthäus)

Durch den Glauben an Jesus als den Herrn weiß si h die Ge

meinde der Logienquelle von Israel geschieden. atthäus

braucht diese Linie in den Versen 1 1 1 2 nur weiter auszu

ziehen. Er kann das mit Worten der Logienquelle selber tun.

Hinter den Worten steht die Erfahrung, daß aus Ost und West

Menschen kommen, die in diesen Glauben eintreten.

Und

sie

werden mit den Erzvätern Abraham, Isaak und Jakob, auf die

Israel si h beruft, zusammen die eschatologische Tischgemein

schaft im endgültig aufgerichteten Herrschaftsraum Gottes er

fahren dürfen.

Darauf

gibt es kein Anrecht, und man kann es

nicht erwerben, auch wenn man zu den »Söhnen des Reiches«

gehört.

Der

Glaube an Jesus vollzieht die eschatologische

75

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Scheidung, er gewährt den Platz bei den

Erzvätern

und be-

gründet das wahre Israel.

Durch das von Matthäus angefügte Logion (Verse I I - I 2 wird

die Geschichte von dem beispielhaften Glauben eines Heiden

aus dem einmalig zufälligen Geschehen in eine Allgemein-

gültigkeit hineingehoben, die in der Logienquelle noch nicht zu

erkennen ist. Hatte dort die Geschichte noch die Aufgabe, den

judenchristliehen Leser durch den großen Glauben des Heiden

zur »Eifersucht« zu reizen, um ihn so aufzufordern, selbst

in

den großen Glauben, für den dieser Heide stand, einzutreten,

so

wird

bei Matthäus der glaubende

Heide

zu

einem der vielen

von Ost und West Kommenden, die durch den Glauben im

Unterschied zum ungläubig bleibenden Israel Anteil an der

eschatologischen Tischgemeinschaft gewinnen. So wird der

Centurio bei Matthäus gewissermaßen

zum Stammvater im

Glauben der Heidenchristen Dahinter

stehen natürlich die

Missionserfahrungen des Matthäus.

Das

Christentum

hat

sich

schon aus dem Schoß des Judentums entfernt. Zur Vorbedin-

gung für die eschatologische Gemeinschaft mit den

Erzvätern

gehört nicht mehr die Zugehörigkeit

zu

einem bestimmten

Volk, sondern der Glaube an Jesus als den Herrn. Der Heils-

universalismus der Propheten wird wieder aufgenommen.

Gottes Heil dringt bis an die Enden der Erde.

Der

Centurio

ist

zu

einem der ersten in

der

Völkerprozession geworden, die

sich im Glauben an Jesus

zur

eschatologischen Gemeinschaft

auf den Weg gemacht hat. So fügt sid unsere Perikope gut

in

matthäisehe Gedanken ein. Die Kirche des Matthäus ist schon

eine Kirche, die durch die Mission erfahren hat,

daß

nicht

fleischliche Geburt oder ererbtes Recht (vgl. Mt 8,12 ) Anteil

an

der eschatologischen Gemeinschaft gibt, sondern der Glaube,

für

den der Centurio als Beispiel

angeführt

ist.

Im

Lichte des

Alten Testaments wird die von der Kirche des Matthäus ge-

triebene Mission an den Heidenvölkern durchreflektiert, und

es wird erkannt, wie

sich

aus den Heiden ein neues Volk

auf

den Weg macht, um den neugeborenen König der

Juden

zu

suchen

Mt

2,2). Die Kirche weiß sich durch ihren auferstan-

denen Herrn

zu

der Mission gesandt; sie soll alle Völker zu

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Jüngern dieses Herrn machen. Insofern sie Mission treibt, sieht

sie sich als den Bereich, in dem das Verheißungswort ihres

Herrn anläßlich des Glaubens des Centurio (Mt 8 rr sich zu

verwirklichen beginnt

21

Doch der Heilsuniversalismus

des

Matthäus, der hier zur

Sprache kommt,

hat

auch eine andere Seite. Denn durch die

Mission erfährt die Gemeinde sich zwar als eine Gemeinschaft:,

in der sich die Universalistischen Verheißungen des Alten Te

stamentes erfüllen. Gleichzeitig aber macht sie die Erfahrung,

daß

sich die »Söhne des Reiches« ihrer Botschaft: verschließen.

Insofern

sie sich

als die Gemeinschaft: erfährt, innerhalb derer

die Verheißungen der Propheten vollstreckt werden (»viele

werden von Ost

und

West kommen «), erfährt sie auch die

Gemeinschaft: der Söhne des Reiches als eine solche, die sich der

Vollstreckung des durch die Propheten verheißenen Gottes

willens widersetzt. Daher kann

es

geschehen, daß die Ver

heißung, welche die von

Ost

und West Kommenden zur Ge

meinschaft: mit Abraham, Isaak und Jakob bringt, gleichzeitig

zum drohenden Gerichtswort über die >>Söhne

des

Reiches«

wird. Sie, die in Gemeinschaft: mit den Erzvätern ist, sieht sich

aufgrund der Verheißung als deren Söhne eingesetzt. Sie ist

das wahre Israel durch den Glauben an Jesus als den Herrn.

Dem Israel, das sich diesem Herrn widersetzt, droht die Ent

fernung von seinen angestammten Plätzen und das Gericht

22

Natürlich steht hinter diesen theologischen Gedankengängen

des Matthäus noch das Wissen um die Ablehnung Jesu durch

das Kreuz, aber ebenso auch die eigene Missionserfahrung, die

die christliche Gemeinde aus dem Bereich Israels gegen dessen

Widerstand durch den Befehl

des auferstandenen

Herrn

her

ausführt.

Der

Universalismus des Matthäus ist die bewußte

Entfaltung der Glaubenseinsicht,daß die vonJesus verkündete

Herrschaft: Gottes sich schon in seiner Person und seinem Ge

schick ereignete und nun unaufhaltsam ihrer Vollendung ent-

21

Zum Heilsuniversalismus des Matthäus vgl.

W. Trilling

Das wahre

Israel, München

3

1964, 124-142 ( StANT X)

22

Zu dem Problem, daß durch die Aufrichtung des »Wahren Israels« das

Gericht über Israel geschieht, vgl. W. Trilling, ebd.,

75-96

77

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gegengeht. Das drohende Gerichtswort über das si h dem

Glauben versagende Israel bildet den Hintergrund, auf dem

die Freude über die eigene Auserwählung als »wahres Israel«

um so sichtbarer wird.

Doch das Gerichtswort ist nicht der Abschluß der Perikope,

denn Matthäus

hat

die Verse

so

eingefügt, daß nach dem dro

henden Gerichtswort noch einmal das Thema des Glaubens

aufgenommen wird. »Wie du geglaubt hast, soll dir

ges he-

hen«, wird zu dem Centurio gesagt. Das aber bleibt ständiges

Angebot.

Der Hauptmann

Vorbild von Demut

und

starkem Glauben

Lukas)

Weiß man si h als wahres Israel, besteht die Gefahr, daß man

den Glauben, der die Scheidung brachte, als eigenen Vorzug

versteht

und

auf die herabschaut, die den Glauben nicht oder

nicht

so

haben. Das ist die Gefahr einer Kirche, der das Neu

heitserlebnis im Alltag

des

Gewohnten zu versinken droht,

und die das Geschenktsein solchen Glaubens als Besitz mißzu

verstehen si h

anschickt.

Hinter

der

ukasfassung

der Peri

kope dürfen wir sol he Erfahrungen vermuten. Bei Lukas wird

der Abstand zwischen Jesus

und

dem Centurio größer.

Er

kommt nicht selbst mit seiner Bitte zu Jesus, sondern schickt

Gesandte. Sie bringen seine Verdienste vor, und nach ihrem

Urteil ist er der Gewährung der Bitte würdig. Dochtrotz der

großen Verdienste, trotz der Achtung, die ihm die anderen

entgegenbringen, weiß er

si h

nicht würdig, selber zu ]esus zu

kommen. Die doppelte Gesandtschaft ist darstellerisches Mit

tel, durch das Lukas die

emut

des

Mannes zur Anschauung

bringen will.

Er

ist leuchtendes Vorbild geworden, dem der

Christ nacheifern soll. Er kümmert si h um seinen Sklaven und

. schätzt si h angesichts der Hoheit Jesu selber als gering ein.

Daran

ändert auch die Fremdbeurteilung nichts.

In

seiner

Selbsteinschätzung weiß er si h des Gebers wie der Gabe un

würdig. Seine Demut steht in Verbindung mit festem, ver-

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trauensvollen Glauben. Wenn sich bei Lukas Jesus nicht mehr

über das große Glaubenswort

des

Mannes verwundert, son

dern sein Staunen dem Manne selber gilt, bezeichnet das sehr

gut die Veränderungen der Perspektive der Geschichte, die bei

Lukas vonstatten geht. Alles konzentriert

sich

auf die Vor

bildhaftigkeit

des

Mannes.

In

treuer Sorge um seinen Sklaven,

in tiefer Demut vor der Hoheit Jesu und in festem Glauben

an

die Wirkungsmacht des Wortes J esu wird er zu erstrebens-

werten Vorbild dem nachzueifern Lukas seiner Kirche emp

fehlen will.

Wir

erkennen hier gut lukanische Grundzüge wieder. Beson

ders in der Empfehlung der Demut und Kleinheit als christ

liche Tugenden können

wir

ihn erkennen vgl. Lk

I,38·43·

46-53; 2 p ; r8,9-14 . Er stellt ihn somit seinem heiden

christlichen Leser als das Beispiel einer »Anima naturaliter

christiana« vor. Dem Leser soll dadurch gesagt sein, daß das

Humanum des Heiden nur des Glaubens bedarf, um zum

Herrn

zu kommen. Einen solchen Mann hätte Lukas gern in

seiner Gemeinde gesehen. o soll der Christ sein - die ihm

Untergebenen brüderlich hochschätzend, Almosen schenkend

und

Gutes tuend, doch alles in Demut

und

starkem Glauben.

Das mächtige Wunder der Fernheilung Vorlage

des

Johannes)

Die traditionsgeschichtliche Fragestellung nach der

Vorlage des

fohannes hatte uns dazu geführt, bei der Johannesfassung der

Geschichte die redaktionellen Veränderungen bzw. Einfügun

gen von der Vorlage abzuheben. Wir hatten unter der Johan

nesfassung eine Geschichte vermutet, die trotz einiger An

klänge an die synoptische Fassung, die zeigen, daß sie dasselbe

Ereignis erzählen will, eine Geschichte völlig eigenen Typs

darstellt.

Der

Hauptunterschied zwischen dieser Vorlage

und

der synoptischen Fassung besteht darin, daß bei den Synop

tikern die eigentliche Wundergeschichte ganz an den Rand ge

drückt

wird

und

nur

noch einen Rahmen für die wichtigen

Worte darstellt. Hier hingegen ist das Wort fast verschwun-

79

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den.

Der

Dialog zwischen Jesus und dem Vater

hat

nur noch

die Aufgabe, die Geschichte in Gang

zu

halten

und das

stark

ausgeführte Feststellungsverfahren

zu

ermöglichen. Die Ge

schichte will erzählen, wie der Mann die Heilung seines Sohnes

als Wunder erkennt. Sie sieht Jesus als den großen, mächtigen

Wundertäter der sogar aus der Entfernung, ohne selber den

Kranken überhaupt

zu Gesicht zu bekommen, heilen kann.

Der

große theologische Atem der synoptischen Vorlage ist

nicht mehr

zu

spüren. Sie ist interessiert

an

den die normalen

menschlichen Fähigkeiten, ja sogar die Fähigkeiten etwa ver

gleichbarer Wundertäter übertreffenden Wunderkräften Jesu.

Sie

führt

die Wunderkraft Jesu durch das Feststellungsverfah

ren vor. Wenn man solchen Fähigkeiten begegnet,

dann

bleibt

wirklich nichts mehr übrig als zu glauben.

Während in der synoptischen Fassung das

Wort

des Haupt-

manns seinen Glauben schon

vor

dem Wunder herausstellt,

folgt hier der Glaube auf die Erkenntnis des Wunders. Sogar

einen Hinweis

auf

die relativ späten Gemeinden,

in

denen die

Geschichte

so

erzählt wurde, können

wir

entdecken, wenn vom

Glauben des Mannes mit Worten der Missionsterminologie

gesprochen wird. Es ist schon eine Zeit der Kirche,

in

der man

mit

seinem gesamten Haus glaubt, d. h.

zum

Christentum

übertritt bzw. in die Kirche eintritt

23

• Die Kirche kann sich

werbend

für

diesen Eintritt einsetzen.

Denn

sie kann

auf

die

überragenden Wunderkräfte ihres Herrn hinweisen.

Ein

Mis-

 

sionar, der einen

so

gewaltigen und wundermächtigen Herrn

verkündet,

wird

in der Antike gewiß viele Anhänger finden,

zumal wenn der Wundertäter diese Taten wirkte, um

zu

heilen

und

einem Vater seinen kranken Sohn wieder gesund

zu

ma

chen. Das

um

so

mehr, wenn er durch eine Sammlung solcher

Wundergeschichten

darauf

hinweisen kann,

daß

das nicht ein

Einzelfall gewesen sei, sondern nur eines von vielen Zeichen,

ja wenn man alle hätte aufschreiben wollen, dann hätte wohl

die Welt nicht ausgereicht, um alle Bücher

zu

fassen Jo 21,25).

Diese Theologie entbehrt

des

Tiefgangs, den die synoptische

Fassung hatte. Ja

sie wird

sogar in der Massivität, wie sie Jesus

23

Vgl. Apg

n r4;

x6 rs.Jr; x8 8; I Kor r,r6.

So

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einseitig als Wundertäter verkündet, und in ihrer werbenden

Absicht gefährlich.

Man wird, wenn man in der Wunderquelle des Johannes eine

Sammlung nur solcher Wundergeschichten vermutet, weiter

sagen dürfen: Sie steht in der Gefahr, Jesus unter die allgemein

üblichen Wundertäter der Antike einzureihen und damit seinen

einmaligen Anspruch in der Vielfalt antiken Religionswesens

und

Heilslehrenbetriebs aufgehen zu lassen. Aus Jesus, dem

absoluten Herrn, wird ein etwas besserer Apollonius von

Tyana. Die Verbindung mit dem Kerygma von Tod

und

Auf-

erstehung

wird

aufgelöst. Aus dem Evangelium von Jesus

Christus wird Kunde von einem Wundermann. Leicht besteht

dann die Gefahr, in doketischer Weise zu vergessen, daß der

Sohn Gottes Jesus von

Nazareth

ist, oder, johanneisch ausge-

drückt, daß der Logos Fleisch geworden ist und nicht als

» Theios anär«, als Halbgott, unter die bekannten religions-

geschichtlichen Phänomene eingereiht werden darf. Auch wenn

man

sagen muß,

daß

das zuletzt über die Wunderquelle Ge-

sagte nur Vermutung ist wir wissen ja nicht, wie

sie

in vollem

Umfang ausgesehen haben

mag

ist doch an unserer konkret

vorliegenden Geschichte die Tendenz erkennbar. Zumindest

aber wird man sagen müssen, daß sie das Wundersame un-

gleich stärker herausstellt, als die Synoptiker

es

taten und statt

den Glauben

vor

dem Wunder zu beschreiben, ihn nach dem

Wunder erst erfolgen läßt.

»Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, glaubt ihr nicht.«

Johannes)

Die Eintragungen

des ]ohannesevangelisten

zeigen schließlich,

daß

die Gefährlichkeit der Geschichte nicht

nur

von uns emp-

funden wird, sondern schon dem Evangelisten auffiel. Sie er-

weisen sich nämlich als

Korrekturen an der Vorlage

Sie be-

urteilen sie kritisch und dienen nicht etwa dazu, schon vor-

handene Linien weiter auszuziehen oder Vorhandenes nur zu

akzentuieren. Gerade Vers 48 macht das deutlich.

Er

über-

nimmt nicht eine Funktion im Ablauf der Geschichte: Jesu

8

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Anrede richtet sich nicht an den mit der Heilungsbitte heran-

tretenden Vater, sondern spricht in der, den Leser umfassen-

den Anredeform der zweiten Person Plural: Ihr

Der Satz

ist

eine klare

Kritik

an dem durch die alte Wundergeschichte ver-

tretenen Glaubensbegriff. Ein Glaube, der sich ausschließlich

auf äußerlich sichtbare Wunder und Zeichen stützt,

wird

zu-

rückgewiesen.

Der

Mensch will sich bevor er glaubt, verge-

wissern. Wenn er nicht

zuvor

sieht, will er nicht glauben, wie

Thomas (Jo 20,25). Doch dieser Glaube

wird

zurückgewiesen.

Glaube, der nur durch das Ansichtigwerden spektakulärer

Wundertaten entsteht, ist kein Glaube.

Denn

das Zeichen ist

immer zweideutig, pures Sehen

des

Zeichens

kann

nicht zum

Glauben führen (vgl.

Jo

6,26). Glaube beginnt vielmehr da,

wo dem Wort, das Jesus gesprochen hat, geglaubt wird. Das

Wort Jesu verkündet das Leben. Im Glauben wird es ange-

nommen. So sagt

es

der zweite, von dem Redaktor

in

die Vor-

lage eingetragene Vers (Jo 4,50 b).

Wenn der

Redaktor

das sagen will, müssen

wir

fragen,

war-

um er nicht ganz

auf

das Wunder verzichtet? Denn gerade den

· Teil der alten Geschichte, wo das Wunder

und

das

Motiv

von

der Fernheilung ganz greifbar wird, hat er

ja

übernommen.

Doch ist

zu

bedenken, daß in der Johannesfassung, ungleich

seiner Vorlage,

ja jetzt

ein anderer Mann der Erkenntnis des

Wunders entgegengeht. Indem er vor dem Wunder dem Worte

schon glaubt, das Jesus gesprochen hat, unterscheidet er sich

von dem Mann, der

in

der Vorlage weggeht, um das Wunder

zu erfahren. Als schon Glaubender geht er

auf

das Wunder zu;

so

erst kann er das »Zeichen« erkennen. Jetzt wird sein Erken-

nen nicht

nur

feststellen,

daß es

dieselbe Stunde war in der

sein Sohn geheilt wurde

und

in der Jesus das Heilungswort

gesprochen hatte,

und

er

wird

nicht nur beides im nachfolgen-

den Glauben miteinander verknüpfen, sondern er sieht glau-

bend das »Zeichen«, das sich ihm zu Glauben erschließt. Das

»Zeichen« ist also nicht wertlos, wird von dem Redaktor nicht

weggestrichen, denn für den Glaubenden

hat es

Sinn

und

er-

schließt ihm Glauben, indem

es auf

den verweist, der

es

ge-

wirkt

hat.

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Man muß diese eigentümliche laubensbewegung

mitvollzie-

hen

und darf für

die

Perikope

nicht zu

früh auf

verschiedene

Glaubensweisen schließen, die stufenförmig aufeinander fol

gen. Es wird nicht von der

Reifung

eines Glaubens gesprochen,

der

aus anfänglichem, unbestimmten Gefühl des

Vertrauens

und Erkenntnis der eigenen Hilfsbedürftigkeit, wie es sich

et-

wa

in der Bitte des Mannes von Vers 47 und 49 äußert über

die Stufe des

auf

das

Wort

vertrauenden Glaubens Vers 50)

zur weiteren Stufe des vollen und richtigen Glaubens empor-

steigt. Die Bewegung des Glaubens ist hier nicht eine Bewe

gung

von

Stufe

zu

Stufe, sondern

mehr

einem

Zirkel

vergleich

bar.

Der dem Wort Jesu Glaubende sieht das, was das »Zei

chen« zu zeigen hat und so wird es

ihm

durchsichtig auf Glau-

ben hin. Diese eigentümliche Bewegung des Glaubens finden

wir noch häufiger bei Johannes. Zum

Glauben kommt man

nicht durch schlußfolgernde Beobachtung der Zeichen, sondern

indem man sich dem

Wort

anvertraut

und

sich

auf

es einläßt.

In

dem Maße

in

dem

man

sich

darauf

einläßt,

wird dann

auch

die »Richtigkeit« des Glaubens erfahrbar. Man glaubt nicht,

weil man gesehen hat sondern man sieht, weil man glaubt und

weil man glaubend sieht,

glaubt man

24

3 erkennt und glaubt.

1

Der

Mann

glaubt· dem Wort

24

.Vielmehr lassen

sich

der Sehakt und der Glaubensakt

nimt

voneinander

trennen. Indem der Apostel sieht, glaubt er, und weil er glaubt, >sieht er,

nämlich die Herrlichkeit des Logos und Sohnes Gottes am fleischgeworde-

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Die alte Vorlage

erzählt von

einem

auf

derselben Ebene blei

benden Geschehen: Der

Mann-+

sieht das Zeichen-+ erkennt

-

und

glaubt. Durch die Einfügungen der Redaktion erhebt

sich die Glaubensbewegung aus

der

Ebene und geht in den

Zirkel des Glaubens ein.

Dadurch aber

wird

der Glaube nicht zu etwas, was man ein

für

allemal »geleistet« hat.

Er muß

vielmehr,

um

Glaube zu

sein, immer wieder neu übernommen werden: Glauben aus

Glauben. Eine solche Sicht des Glaubens macht ihn »lebendig«.

Die Bewegung des Lebens ist ähnlich. Wenn

es

wirklich leben

dig ist,

lebt

es

nicht aus der Sicherheit, sondern aus dem Wag

nis.

Man

kann

darum gut

verstehen, wie Johannes den Glau

benden geradezu als einen »von oben Geborenen« bezeichnen

kann

Jo 3,7).

Wie leicht das Stufenschema in die

Interpretation

eindringt,

zeigt ein Blick in die kommentierende Literatur. So sieht

etwa

Schweizer in dem Glaubensvorgang von Jo 4,46-54 eine Stu

fenfolge verschiedener Glaubensgrade.

Für

Schweizer

ist

es

»deutlich,

daß

die Geschichte für den Evangelisten die Schil

derung des

von

Stufe zu

Stufe

wachsenden Glaubens ent

hält«.25

Die entscheidende Glaubensstufe ist erst am Ende erreicht,

dort,

wo

das Glauben auf das Sehen folgt. Dieses Glauben

von

Jo 4,5

3 ist

zwar

nicht »notwendig das letzte Glied in der

Kette« , doch ist es als Abschluß der Perikope »eindeutig

positiv bewertet und jenem ersten Glauben ohne Sehen über

geordnet«

27

,

denn in

ihm

geht

es

ja nicht mehr darum, daß

er

»etwas«

von

Jesus erlangen will, sondern dieser Glaube sucht

Jesus selbst und

nicht etwas durch ihn.

Das Stufenschema scheint auch hinter der Ansicht Bultmanns

zu

stehen, wenn er meint,

daß

das

En:tcrtHJ<JEv

von Vers

53

of

fenbar mehr als das bloße »er wurde Christ« bedeute, sondern

nen Jesus von Nazareth.«

F

Mußner Die johanneische Sehweise, Freiburg

1965,

2

=

Quaest. disp.

28)

5

E Schweizer

Die Heilung des Königlichen, in: Neotestamentica, Zürich

Stuttgart

1963, 411

f

2

6 E Schweizer

ebd.,

413

27 E

Schweizer

ebd.,

413

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vielmehr den Schritt abbilde, der

vom

vorläufigen Glauben

Vers so zum Eigentlichen führt

28

Ähnlich ist wohl auch

Haenchen zu

verstehen,

wenn

er schreibt: »Aber

der

Mensch

kommt - wie hier der königliche Beamte - meist erst zu die

sem

wahren

Glauben,

wenn ihm

ein

Wunder dafür

die

Augen

öffnet. Diesen

Zusammenhang

sah

Johannes in

unserer

Ge-

schichte beschrieben. Zunächst glaubt der

Vater

nur daß Jesus

den Sohn gesund machen werde. Erst danach geht ihm der

wahre Glaube

auf.

Er kam

zum

Glauben samt

seinem

ganzen

Hause«

29

Auch in die Interpretation Schnackenburgs

dringt

das Stufenschema ein:

»Am

Beispiel des >Königlichen<

will

er

Johannes) offenbar zeigen,

wohin

auch sie bei gutem

Willen

gelangen können. Auch sie sollten die

Stufe

des bloßen >Schau

glaubens< Vers 4s überwinden und ähnlich wie der König-

liche zu einem Glauben an das

Wort

Jesu Vers so

und

zum

messianischen Vollglauben Vers

s

gelangen«

30

• Dennoch

sieht Schnackenburg, >>daß es ein >Sehen von

<11']flEL<X<

[gibt]

das

der

johanneische Jesus

anerkennt

und

wünscht;

wenn

die

>Zeichen< aber

nicht im Glauben

erfaßt

werden, sind sie nichts

anderes als äußere >Wunder<, und das will der Evangelist in

4,48 durch die Wendung <11'][ Ei:a <XL ·dgma ausdrücken«

31

Das Stufenschema scheint aber wenig dazu geeignet, die spe

zifisch johanneische Auffassung

vom Glaubensvorgang wieder-

zugeben. Sicherlich legt die Perikope von der Heilung des Soh-

nes des Königlichen es zunächst nahe,

in den

verschiedenen

Versen, in

denen vom

Glauben

gesprochen

wird

verschiedene

Glaubensweisen zu sehen, die es miteinander in Ausgleich zu

bringen gilt. Es mag von unserer

Art

zu denken kommen, daß

man

zunächst versucht,

von

anfänglichem über vorläufiges

zum endgültigen und vollen Eigentlichen vorzudringen. Doch

ist zweierlei

zu

beachten. 1) Es ist nach

der

Absicht des

Re-

daktors

zu fragen,

der

eine Vorlage aufnimmt und sie durch

Einfügungen

verändert.

Wollte er

dadurch

Akzente der alten

28

R. Bultmann

Johannesevangelium, I 54

29

E. Haenchen

Johanneische Probleme, 88

30

R. Schnackenburg

Johannesevangelium,

506

31

R. Schnackenburg

ebd.,

507

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Geschichte herausheben und vorhandene Linien ausziehen, oder

wollte er den Gang der alten Geschichte umbiegen, ihn korri

gieren oder gar kritisieren?

2)

Es ist

darauf

Rücksicht zu neh

men, daß die Perikope, wenn sie von einem

Redaktor

aufge

griffen und verändert wurde, Teil eines größeren umfassenden

Ganzen

wird und

ihr letzter Vers nicht ihr Ende, sondern ihr

Übergang in das Gesamt des Evangeliums ist. Sie ist damit zu

einem Ausschnitt aus einem größeren Bewegungszusammen

hang geworden und im Blick

auf

das Ganze

zu

interpretieren.

Ein Ausschnitt kann nicht für die ganze Bewegung stehen.

Vers

48

aber scheint

darauf

hinzuweisen,

daß

der Redaktor

nicht deshalb in die Geschichte eingegriffen hat, um ihren Ab

lauf deutlicher herauszustellen oder um einige Linien weiter

auszuziehen. Vielmehr wirkt er wie ein Fremdkörper in der

Geschichte; weder mit dem, was ihm vorausgeht, noch mit

dem, was ihm folgt, läßt er sich bruchlos

zu

einer Handlungs

einheit verbinden. Auch wenn der Vers künstlich in die Ge

schichte eingepaßt wurde

und

sich scheinbar an den bittenden

Vater wendet

: 7 t Q O ~ a\rr6v ), so nimmt er doch dessen Bitte

nicht auf

und

führt

sie

auch nicht weiter.

Er

spricht in einer,

sich von der Perikope distanzierenden Allgemeinheit (2. Per

son Plural ). Ein Glaube, der sich

auf

Zeichen und Wunder

stützt- ganz

allgemein- wird

hier kritisiert, nicht das in der

Bitte

sich

äußernde Vertrauen des Mannes. Somit will der Vers

den

Mann

nicht von einer anfanghaften Stufe des Glaubens

zu einer anderen führen, sondern darüber etwas aussagen was

dem Glauben überhaupt widerspricht

nämlich das Sich

berufen-können auf Zeichen und Wunder. Eine solche Sicht

des Verhältnisses von Vers 48

zur

Perikope verbietet es den

Glauben, von dem in der Perikope die Rede ist, nach einem

Stufenschema

zu

verstehen. Eine weitere Beobachtung kann

diese Anschauung unterstützen. Vers

48 kritisiert einen Glau

ben, der sich auf Zeichen und Wunder stützt. Dagegen stellt

Vers 50 einen Glauben auf das

Wort

Jesu

hin

heraus. Vers 48

will aber trotz der Kritik nichts darüber aussagen, daß der

Glaube

nur

aus dem Hören nicht aus dem Sehen komme. Das

Johannesevangelium kennt durchaus auch ein »Sehen«, das

86

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zum Glauben führt vgl.

Jo

zo,8) und kann in bezug auf den

Glauben »Hören« und »Sehen« in gleicher Funktion verwen-

den Jo 3,32; 5,37f.; 8,38). Darum läßt sich schlecht von einer

Stufenfolge des Glaubens sprechen, die mit dem hörenden

Glauben begänne und mit dem erkennenden Glauben ihr Ei-

gentlichstes erreichte. Die Aussagen der Perikope über den

Glauben dürfen nicht isoliert betrachtet werden, sondern müs-

sen als Teil der gesamten johanneischen Aussagen über den

Glauben verstanden werden.

Schlier zeigt, wie im Johannesevangelium einerseits sich der

Glaube »an dem Wort Jesu in seinem ganzen Umfang und sei-

nen verschiedenen Weisen Zeugnis Jesu, der Schrift, des Täu-

fers, des Parakleten, der Apostel) entzündet«

32

, d. h., wie das

Hören

dem Glauben vorausgeht. Er weist darauf hin,

daß

»Hören und Glauben ... aber auch miteinander wechseln«

10,25ff.; 8,46f.; 12,46ff)

33

• Das Hören eröffnet nicht nur

den Glauben, sondern in ihm vollzieht er

sich

auch«

34

Insofern

aber nun nicht jegliches

Hören

den Glauben eröffnet, sondern

nur das

hinhörende«

Hören auf das Wort, nicht nur das bloße

»Anhören und Zuhören«, kann man mit gewisser Berechti-

gung auch sagen, daß schon dieses Hören vom Glauben er-

möglicht wird

35

• Khnlich verhält

es

sich mit dem Sehen; auch

es kann den Glauben eröffnen n,45); auch

es

kann im glei-

chen Sinne wie Glauben gebraucht werden 6.4o; 12,44f.;

14,8 ff.). Auch

es

muß, wenn

es

den Glauben eröffnet, schon

vom Glauben durchwaltet« sein, muß das Zeichen als Zeichen

sehen und nicht bloß »Zeichen und Wunder«

36

Schließlich

kann es aus dem eröffneten Glauben Schau der göttlichen

Herrlichkeit sein,

und

so

wiederum Glauben Jo z,n; 11,40).

Schlier

zeigt, wie

im

Johannesevangelium Sehen und Hören

zusammenrücken und entweder beide zusammen den einen

und selben Vorgang bezeichnen oder das eine mit dem anderen

32

H

Schlier Glauben, Erkennen, Lieben nach dem Johannesevangelium,

in: Besinnung auf das Neue Testament, Freiburg 1964, 2 79

ss H Schlier ebd., 2.81

H

Schlier

ebd., 2.81

35

H

Schlier

ebd., 2.80

36

H Schlier ebd.,

2 8

3

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vertauscht werden kann vgl. 3,32; 5,37f.; 8,38.40)«

  7

• Was

von

»Sehen<<

und »Hören« gilt, gilt auch von dem Verhältnis

des »Erkennens<< zum Glauben. »Erkennen geht dem Glauben

voraus 16,3o; vgl. 1 Jo 4,16). Erkennen und Glauben mei-

nendasselbe 11,42;

17,8.21 <<

38

Erkennen

folgtaber

auchdem

Glauben 6,69; 10,37)

  9

Auf diesem Hintergrund muß unsere Perikope gesehen wer-

den.

Dann

zeigt sich,

daß sie

nicht die stufenweise Genese des

Glaubens oder seine >>Entwicklung<< vom anfänglichen über

den hörenden zum sehenden und zum Vollglauben ansichtig

machen will und das Stufenschema, das Bild von der Kette

oder der Begriff der »Entwicklung<< ungeeignet sind, um die

Perikope zu verstehen. Es ist vielmehr notwendig, die johan-

neische Glaubensbewegung

si h mit

dem Anschauungsmittel

des Zirkels verständlich zu machen. Bei einer zirkelförmigen

Glaubensbewegung ist es dann auch im Grunde nicht so wich-

tig, an welcher Stelle man sich in die Bewegung einläßt, ob

über das Sehen oder das

Hören

so in unserer Perikope) oder

aber über das Glauben oder Erkennen.

An

jeder Stelle tritt

man gleichermaßen in die Bewegung ein. Wer sieht,

hört

auch;

wer glaubt, erkennt; wer erkennt, sieht,

und

wer glaubt, hört,

und wer hört, glaubt und erkennt.

37

H. Schlier ebd., 283

38 H Schlier ebd.,

285

30

H. Schlier ebd., 286

88

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IV

DER

BROTVERMEHRUNGSKOMPLEX

BEIMARKUS

MATTHJ\US) UND

JOHANNES

Mk 6,30-8,21; Mt 14,13-16,12; Jo 6,1-71)

I ie Speisung der Fünftausend

un

die Speisung der Viertausend bei Markus

Die Geschichte von der wunderbaren Brotvermehrung ist sechs-

mal in den Evangelien überliefert Mk 6,32-44; 8,1-10;

Mt

14,13-21; 15,32-39;

Lk

9,10-17;

Jo

6,1-15 .

Matthäus und

Lukas sind gegenüber Markus sekundär. Darum müssen die

beiden Markusfassungen zuerst betrachtet werden. Besondere

Fragen entstehen dadurch, daß Markus die Perikope zweimal

überliefert. Was beabsichtigt er damit? Will er von zwei ver

schiedenen Ereignissen sprechen? In welchem quellenkritischen

Zusammenhang stehen die beiden Fassungen der Geschichte

bzw. die beiden Geschichten? Ein Vergleich der beiden Mar

kusfassungen ist darum unerläßlich. Die Unterschiede in den

Einzelheiten lassen

sich

aus der Synoptischen übersieht er

sehen. Der Vergleich soll vor allem auf den Erzählablauf der

beiden Geschichten achten. Vielleicht lassen sich dadurch An

haltspunkte finden, die es ermöglichen, die Fragen zu beant

worten.

Vergleich von Mk 6,32-44 und Mk

8,1-9

Mk

6.32

schließt die Geschichte an die in

Mk 6,30-31

berich

tete Rückkehr der Apostel von ihrer Aussendung Mk 6,7) an.

Der Vers führt Jesus und seine Jünger im Schiff »für sich« an

einen einsamen Ort. Vers

33

erzählt davon, daß ihre Abfahrt

gesehen wird, und man aus allen Städten zusammenläuft und

dem mit dem Schiff fahrenden Jesus und seinen Jüngern zuvor

kommt. Man ist schon da, als Jesus eintrifft.

Für

die nachfol

gende Geschichte ist es notwendig, daß

sich

eine große Menge

Menschen, von der dann auch Vers 34 spricht, um J esus ver

sammelt. Für den Ablauf der Geschichte selbst ist jedoch der

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Synoptische übersieht

Mk

6,32-44

Mk 8 I-Io

Jo

6 I-I5

VV

3o-3I Rückkehr

7,3I

Jesus kommt

der Apostel von Tyrus und Sidon

in die Dekapolis

7,32-37 Taub-

Stummenheilung

V

p

Jesus und V

I

J

esus

begibt

sich

Jünger mit Schiff an

ans jenseitige Ufer des

einsamen Ort xa-r

galiläischen Meeres

iölav

V 33 »Viele« sehen

V

2

Viel Volk be

Abfahrt und sind vor

gleitet ihn, weil sie

ihnen da

seine Zeichen sahen

V

34

a J esus steigt

aus dem Schiff

V 3 Jesus geht auf

den Berg, setzt sich

mit seinen Jüngern

V

I

a unbestimmte V

4

Ostern

war

nahe

Zeitangabe

V 34 a Jesus sieht

V

I

a Viel Volk V

5

a Jesus erhebt

die Menge

die Augen und sieht,

daß viel Volk

da

ist

V I a nichts zu essen

V b J esus ruft die

V

5

b Jesus sagt zu

Jünger und sagt

Philippus:

ihnen:

V

34

b EOltJ..ayx.vloih] V 2 < m , a y x v l t o ~ u u

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Mk 6,J2-44

Mk 8,1-10

Jo 6,1-15

V

34

c . . . denn sie

waren wie Schafe

ohne Hirten

V

34

d J

esus

lehrt

sie

V35a

EswirdAbend

V 2 (Jesus zu den V 5 b (Jesus zu Phi-

Jüngern:) Das Volk lippus:) Woher sollen

ist schon 3 Tage bei

wir

Brote kaufen,

mir, sie haben nichts

damit diese essen

zu essen. können?

V 3 a Wenn

ich

sie

hungrig entlasse

gehen

sie

auf dem

Weg zugrunde

V 3 b Einige kamen

von weit her

V

35

b Die Jünger

treten an J esus heran

u

sagen: Der Ort ist

einsam, es ist spät,

V 36

Entlaß

sie um

einzukaufen

V 6 Das

tat

er, um

ihn zu prüfen. Er

selbst wußte, was er

tun wollte.

V

37

a Jesus sagt

ihnen: »Gebt

ihr

ihnen

zu

essen.«

V

37

b Jünger ant

V 4 Jünger ant-

V 7 Philippus ant-

worten: Sollen wir

worten: Woher in der

wortet:

Brot

für

für

zweihundert

Wüste das Brot

200 Denare reicht

Denare Brot kaufen

nehmen um

sie

zu

nicht, daß jeder ein

und

es

ihnen zu essen

sättigen?

wenig

davon

be-

geben?

komme

91

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Mk

6 32-44

V

38

a Jesus fragt:

Wieviel Brote habt

ihr geht und seht

V

38

b Jünger ant-

worten: 5 Brote und

Fische

V 3

9 a J

esus

befiehlt

sich in Tischgemein-

schaften zu lagern

V

39

b

auf

das grüne

Gras

V

4 0 Und

sie setzten

sich

in Tischgemein-

schaften zu 50

und

zu

100

s. u.

V 41 a

l..aßoov

a v a ß i . . E " I j l a ~

nii..Oy'l]O"E'V

XCX tEX.ACXO IlV

i\ölöou

, ; o i ~ f L·

V 41 b Jünger sollen

es

verteilen

Mk

8 1 - 1 0

V 5 a Jesus fragt:

Wieviel Brote habt

ihr?

V 5 b Jünger ant-

worten: 7 Brote

V 6 a J esus befiehlt

dem Volk sich

auf

den Boden nieder-

zulassen

s. u.

V 6b l..aßoov

~ X A C X O I l V

i\ölöou

, ; o i ~ f L·

V 6 c Jünger sollen

es

verteilen.

V 6 d Jünger ver-

teilen es

Jo

6 1 - 15

V 8 9 Andreas

sagt:

Es

ist ein Knabe

da der hat 5 Gersten-

brote und Fische.

V 9 b doch was ist

das für die vielen

V 10 a Jesus sagt:

Laßt die Leute sich

setzen

V

10

b

Es

war

viel

Gras an jenem

Ort

V 10 c Die Männer

setzten

sich

V

10

d Zahlenan-

gabe: ungefähr 5ooo

Männer

V

11 8/..aßev

ÖLEÖOXIl'V t O L ~

avaXEL-

  J . E ' V O L ~

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Mk

6 32-44

V

41

c Jesus teilt die

2

Fische unter alle

V 42 und sie aßen

alle und wurden satt

V 43

12

Körbe mit

Resten von Brot u

Fisch

öroöExa xocplvrov

V

44

Zahlenangabe:

sooo Männer

V 45 a Jesus läßt

seine Jünger ins Boot

steigen

und

ans jen

seitige

Ufer

voraus

fahren

Mk 8 1 -10

V 7 Sie hatten ein

wenig Fisch (hier

erst erwähnt )

g,',)..oyi)oa; und be

fiehlt: die Jünger

sollen sie vorlegen

V 8 a und sie aßen

und wurden satt

V 8 b 7 Körbe mit

Resten

V 9 a Zahlenangabe:

ungefähr

4000

Jo

6,1-15

V und gleicher

maßen

mit den

Fischen.

V 12 a als sie gesät

tigt waren . . .

V 12 b Jesus sagt

den Jüngern:

Sammelt die übrig

gebliebenen Stück

lein, damit nichts

verdirbt

V

13

a und sie sam

melten und füllten

2 Körbe mit dem

übriggebliebenen

öroElExa xocplvou;

V r 3 b Stücklein von

den 5 Gerstenbroten,

die übriggelassen

hat ten die Essenden

s 0 .

V

14

Die Menschen

sahen das Zeichen, ist

das nicht

der

Prophet?

s

u.

93

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Mk 6 32-44

V 45 b Jesus entläßt

die Volksmenge

V 46 Jesus geht auf

einen Berg um zu

beten

6 47-52 Seewandel

Mk 8 1-10

V

9

b Jesus entläßt

s1e

V

IO

Jesus und seine

Jünger gehen ins

Schiff und fahren

nach Dalmanutha

Jo 6 1-15

V I a Jesusweiß:

sie wollen ihn zum

König machen

V I 5 b Jesus zieht

sich

auf

einen Berg

zurück

V I6 die Jünger

steigen abends hin

unter zum See

steigen in das Schiff

und fahren nach

Kapharnaum ab

6 17

b-2

I Seewandel

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Zug, daß man die Abfahrt Jesu erspäht, und man ihm zuvor

kommt, nicht nötig. Ebenfalls läßt sich fragen, wie denn die

Nachricht von der bfahrt Jesu in »alle. die Städte« gelangt

sei, aus denen man zusammenläuft und wie

es

möglich ist, daß

man dem mit dem Schiff fahrenden Jesus zu Fuß zuvor

kommt und sogar den »einsamen Ort« kennt, wo er landen

wird.

Mit

Kilometerangaben und Ermittlungen über die

Schnelligkeit der Schiffe auf dem

See

Genezareth läßt

sich

das

nicht erklären. Vielmehr ist nach der Funktion zu fragen, die

diese Verse in bezug auf den Ablauf der Geschichte haben.

Daß

sie verknüpfen sollen, indem

sie

einen neuen Schauplatz

vorbereiten, ist leicht zu sehen. Doch was soll die Bemerkung

von Vers 33, daß man aus allen Städten zusammenlaufend

Jesus und seinen Jüngern zuvorkommt? Offensichtlich soll da-

durch vorbereitet werden, daß Jesus, als er aus dem Schiff

steigt, sich der Menge schon gegenüber sieht. Sie sind ihm zu-

vorgekommen Mk 6,34). Der Erzähler hätte sie aber auch

Jesus folgen lassen können, wie

es

bei Jo

6,2

der Fall ist. Wel-

chen Sinn für den Ablauf des Geschehens

hat

es wenn die

Menge Jesus zuvorkommt? Die Geschichte erzählt in Vers 34

von einem Vorgang im Innern Jesu. Er sieht die ihm zuvor

gekommene Menge und erbarmt sich ihrer. Als Motiv für sein

Erbarmen gibt die Geschichte an: »denn sie waren wie Schafe,

die keinen

Hirten

haben.« Dieser begründende Satz interpre-

tiert die Menge. Er spricht von etwas, was der Menge fehlt.

Sie ist ohne Kopf, ohne einen, der ihr vorangehend

sie

leitet.

Jetzt

wird

ersichtlich, worauf sich der erzählerische Zug,

daß

die Menge Jesus zuvorkommt, beziehen soll. Daß sie aus der

Zerstreuung in »alle die Städte« auf die Kunde von Jesu Ab-

fahrt zusammenlaufen und Jesus zuvorkommen, soll zeigen,

daß

da

keiner ist, der ihr vorher ginge und dem sie folgen

könnten. aß die Menge eine Herde ohne Hirt ist wie Vers 34

das Erbarmen ]esu über

si

motiviert soll in der Darstellung

der Erzählung veranschaulicht und vorgeführt werden. Die

Menge ist kopflos.

Darum

muß das Erbarmen Jesu sich darin

auswirken, daß er die Menge lehrt, ihr Weisung und Leitung

gibt und sie zu einer Herde mit einem

Hirten

macht. Ein

95

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Handlungsablauf ist damit zu seinem Ende gekommen. Damit

es

weitergeht und die Speisung der Vielen berichtet werden

kann, muß die Erzählung einen neuenAnlauf nehmen.

Weil]e

sus die Menge lehrt, und von einem Ende seines Lehrens nicht

gesprochen wird, kann nicht unmittelbar

er

selber die Hand

lungslinie aufnehmen und

sie

mit der Speisung verknüpfen.

Darum treten die Jünger an ihn heran und schlagen Jesus vor,

angesichts der vorgerückten Stunde

und

des einsamen Ortes

die Menge zu entlassen, damit sie

si h

in den umliegenden Ort

schaften

mit

Nahrung versorgen könnten (Mk

6,35

f.). Das

Neuanheben der Geschichte zeigt sich auch in der erneuten

Zeitangabe und im erneuten Hinweis

auf

den Ort des Gesche

hens. Gleichzeitig verbindet die Zeitangabe die beiden Szenen,

die der Lehre und die der Speisung in einem Zeitraum und

ordnet sie dadurch einander zu. Was die Jünger sagen, schafft

eine neue Situation des Mangels, dem die Geschichte Abhilfe

verschaffen muß. Doch zuvor biegt die Entgegnung Jesu:

»Gebt ihr ihnen zu essen « (Mk 6,37) die Linie der Geschichte

noch einmal

auf

die Jünger zurück. Sie hatten nämlich durch

ihr

Herantreten an Jesus eine Möglichkeit der Abhilfe eröff

net, die Jesu Antwort übergeht. Was

sie

darauf

zu

sagen ha

ben, bleibt immer noch innerhalb des

von

ihnen vorgeschla

genen Möglichkeitsrahmens. Erst Vers 38 steuert

auf

eine an

dere Lösung des Konflikts hin, denn Jesus geht erneut nicht

auf ihren Vorschlag ein, und die Zahl der mitgeführten Brote

un Fische leitet über zu dem folgenden Speisungswunder,

welches stilgerecht mit der Konstatierung seiner Größe endet.

Der Ablauf von k 8 1-9 ist vergleichsweise einfacher. Mit

ihrem Kontext ist die Perikope weniger

stark

verflochten als

Mk

6,32-44.

Die unbestimmte Zeitangabe »in jenen Tagen«

(Mk 8,r reiht sie hinter der Taubstummenheilung in der De

kapolis (Mk

7,3 r-37

ein. Es

wird

nicht ausdrücklich gesagt,

daß

Jesus an einen einsamen

Ort

geht wie in Mk

6,3

r Das

ist vielmehr aus der Geschichte zu erschließen (Mk 8,4). Die

für den Ablauf der Speisungsgeschichten notwendige Menge

muß

nicht umständlich herbeigeführt werden

und

kommt auch

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nicht Jesus zuvor. Sie ist einfach da.

Die

Erzählung betritt

mit

der

kurzen

Exposition sogleich den eigentlichen Handlungs

raum: Die Menge hat nichts zu essen. Damit ist auch sofort

ein ausreichendes

Motiv

für das

Erbarmen

Jesu gegeben.

Nicht

weil sie »wie Schafe ohne Hirten« waren, erbarmt sich Jesus

ihrer, sondern, weil sie nichts zu essen haben. Daß Jesus sich

ihrer

erbarmt,

läßt

erwarten,

daß

er

für

Abhilfe ihres Mangel-

zustandes sorgen

wird.

Doch läßt, was er sagt, die Handlungs

linie zuerst noch einmal

auf

seine Jünger zubiegen Mk 8,2 f. .

Die Entgegnung

der

Jünger: >>Woher soll einer hier in der

Wüste

Brot

nehmen,

um

diese

zu

sättigen?«

Mk

8,4 zeigt,

daß sie das Problem nicht

zu

lösen vermögen, und Jesus

der

eigentlich Handelnde

in der

Geschichte ist.

Damit

ist

der Ab

lauf

der

eigentlichen Wundergeschichte genügend vorbereitet,

und sie kann wie in Mk 6 erzählt werden.

Es zeigt sich,

daß der Ablauf der

Speisungsgeschichte nach

Mk 8,1-9

weit

weniger kompliziert ist als

der

von Mk 6,

32-44.

Die

Geschichte ist viel einfacher durchschaubar.

Ein

Mangel

wird

festgestellt und durch ein

Wunder

behoben. Der

Unterschied

der

beiden Fassungen hinsichtlich ihres Ablaufs

wird vor allem in dem otiv des Erbarmens Jesu über die

Menge greifbar.

In

Mk 6 ist es durch die Hirtenlosigkeit der

Menge

motiviert,

in Mk 8 durch ihren

Hunger

Entsprechend

verschieden ist auch die Auswirkung des Erbarmens:

In Mk

6

behebt es einen ideellen Mangel dadurch, daß Jesus die Menge

lehrt,

in

Mk 8 einen physischen Mangel, indem Jesus die Leute

speist.

Die

weiteren Unterschiede sind gerade durch die Ver-

schiedenheit

in

diesem Motiv bedingt.

Während

in

Mk 8 die

Geschichte durch das

Erbarmen

Jesu geradewegs auf die Spei-

sung zusteuern

kann,

bedingt die Beziehung des Erbarmens Jesu

auf

die Hirtenlosigkeit

der

Menge

in

Mk

6 alle übrigen

Unter

schiede zu Mk 8 Die Hirtenlosigkeit der Menge

muß

vorge-

führt werden,

darum

der Zug, daß die Menge Jesus

zuvor

kommt.

Ihre Hirtenlosigkeit muß behoben werden, darum

muß Jesus sie lehren. Das aber hat

zur

Folge,

daß

nun die

Jün

ger

initiativ werden

müssen, um den

Ablauf der Erzählung

wieder

zur

Speisungsgeschichte zurückzuführen. Das ist nur

97

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möglich, indem sie Jesus darauf aufmerksam machen,

daß

die

Menge in den umliegenden Orten nach Nahrung suchen solle.

Die Notsituation ist dadurch aber weniger dringlich als in

Mk

8, wo es diese Möglichkeit nicht gibt,

und

der einzige Aus

weg das Wunder ist.

Ist

die Erzählung einmal zu der Schilde

rung

des

Wunders vorgedrungen, finden

sich

Unterschiede

nur

noch in den Einzelheiten, nicht jedoch im Ablauf der beiden

Fassungen

2

Das Erbarmen Gottes speist durch fesus die hungrige Menge

Vorlage von Mk 6,32-44)

Der Vergleich ließ heraustreten, daß die Fassung der Spei

sungsgeschichte nach

Mk 6

im Ablauf komplizierter ist als

Mk

8. Die vergleichsweise kompliziertere Struktur von

Mk 6

läßt

darauf

schließen, daß die einfachere Form der Geschichte

von

Mk

8 älter ist als die von Mk 6. Wenn darum versucht

werden soll, eine eventuelle Überarbeitung durch Markus von

einer Vorlage abzuheben, wird gerade die kompliziertere Fas

sung der Geschichte den Ausgangspunkt bilden, und hier las

sen

sich

in der

Tat

für Markus typische Motive finden.

Das in Mk

6,32

erwähnte

»Schiff«

kommt im Markusevange

lium vierzehnmal vor, davon siebenmal innerhalb einer

Er-

zählungseinheit wie z.

B.

in der Geschichte vom Sturm

auf

dem Meer Mk 4,35-41). Das läßt darauf schließen, daß in

diesen Fällen das Schiff schon in den von Markus benutzten

Vorlagen erwähnt wurde Mk

1,19.20; 4,37; 6,45; 6,47; 6,51;

Mk

6 stellt

fünf

Brote

und

zwei Fische einer Menge

von

fünftausend

Menschen gegenüber. Mk 8 spricht dagegen von sieben Broten, ein wenig

Fisch und ungefähr viertausend Menschen. Als Rest bleiben in Mk 6 zwölf

Körbe, in

Mk

8 sieben. Mk 6

hat

also

quantitativ

die Leistung des

Wun-

ders gesteigert. In

der

Wortwahl fallen vor allem folgende Unterschiede

auf Mk 6,43 verwendet xoqJLvoc; für die Körbe, Mk

8,8 on:uetc;.

Die Reste

heißen

in

Mk 6,43 JtA I }(IWf.tll ta, in Mk 8,8

JtE(ILOOEUf.tll ta.

Statt des absolut

gebrauchten

EUAOY I JOEV

vor der Verteilung der Brote

in Mk

6,41 a ver-

wendet

Mk 8,6 b EU)(Il(ILO,;i)crac;.

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S,ro; 8,14). Anders verhält

es

sich jedoch an folgenden Stel

len: Mk4 r.36; 5,2.r8.2r; 6,J2·54·

Hier wird

das Schiff nicht innerhalb einer Traditionseinheit

erwähnt.

Es

handelt sich durchwegs um Überleitungen bzw.

Rahmungen.

Darum darf

man annehmen, daß

es

an diesen

Stellen vom Redaktor eingefügt wurde. Mk 4 1 leitet die

Gleichnisrede ein, indem Jesus ein Boot besteigt, um sich ein

wenig von den ihn umdrängenden Volksscharen

am Ufer

ab

zusetzen. Das Boot wird gewissermaßen zur »Kanzel« für die

folgende Gleichnisrede.

In

Mk 4,36 wird das Schiff erwähnt,

um von der Gleichnisrede und Jüngerbelehrung zur Geschichte

vom Sturm auf dem Meer überzuleiten. An die Sturmstillung

wird die Geschichte von der Heilung des Besessenen von Ga

dara

angehängt. Darum

läßt

der Redaktor in Mk 5 2 Jesus

aus dem Schiff steigen und dem Besessenen begegnen. Nach der

Heilung bitten die aus der Fassung gebrachten Gadarener Je

sus, er möge sich aus ihrer Gegend fortbegeben. Die Szene

wird

gewechselt, indem J

esus

in

Mk

5

r 8 das Schiff wieder besteigt,

um

es

in Mk 5 21 amjenseitigen Ufer wieder zu verlassen.

Da-

mit kann der Redaktor zwei weitere miteinander verflochtene

Wundergeschichten von der Heilung der blutflüssigen Frau

und der Erweckung von Jairi Töchterlein anschließen.

In

Mk 6 5 3

f.

wird an Brotvermehrung und Seewandel ein

redaktioneller Sammelbericht angeschlossen. Jesus steigt aus

dem Boot, man erkennt ihn, und wieder umgibt ihn die nach

Heilung suchende menschliche

Not.

Das Schiff dient dazu,

daß

der Redaktor verschiedene Ge

schichten miteinander verknüpfen kann, um einen Fortgang

in der Handlung zu erreichen. Die Geschichten sind deswegen

dazu geeignet, weil

sie

schon in der von Markus vorgefunde

nen Fassung

sich

am

See

abspielen Gadara, Sturm auf dem

Meer, Speisung, Seewandel, Kapharnaum). Ihre Zusammen

stellung aber geht auf den Redaktor zurück.

Auch

in

Mk

6,32 wird durch die

Fahrt

mit dem Schiff die

Szene gewechselt. Es handelt sich also ebenfalls um eine Über

leitung. Wie an den anderen redaktionellen Stellen hat das

»Schiff«

auch hier nicht

nur

Verknüpfungs-, sondern auch

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Aussagefunktion. Jesus besteigt in Mk 6,32 das Schiff, um mit

den Jüngern an einen einsamen

Ort

zu gehen

und

sich dem

Andrang der Menge zu entziehen vgl. Mk 6,3

I).

In Mk

4,1 besteigt Jesus aus einem ähnlichen

Grund

das

Schiff. Er will in eine gewisse Distanz zu der ihn umdrängen-

den Menge gelangen

und

sie von dort aus lehren vgl. Mk 4

36).

Im

Schiff ist Jesus allein bzw. zusammen

mit

seinen

Jün

gern.

Wenn

er aus dem Schiff steigt, findet er

sich

sofort bitten-

den Menschen gegenüber. So bei

Mk

5,2I

und

6,54.

In

Mk

5 2

steigt Jesus an Land,

und

sofort läuft der Besessene

auf

ihn zu.

Das »Schiff« ist nicht

nur

redaktionelles Mittel der

Verknüp-

fung

s

veranschaulicht auch wie die menschliche

ot

an

fesus herandrängt. Für

Mk 6,32

darf

man darum annehmen,

daß der Szenenwechsel per Schiff vom Redaktor stammt.

Sollte das Schiff schon von der Vorlage erwähnt worden sein

vgl.

Jo 6 I - worauf

auch der vorredaktionelle Zusammen-

hang mit dem Seewandel ?)hinweisen könnte- geht zumin-

dest die Verbindung des Schiffs

mit

der Absicht Jesu, sich dem

Andrang

des Volkes zu entziehen, auf den

Redaktor

zurück.

Einer ähnlichen Aussageabsicht dient das Motiv des »einsamen

Ortes«. Auch ihm begegnen wir bei Markus des öfteren. Mk r

3 5 sucht Jesus den »einsamen

Ort«

zum Gebet.

In

dem vorher-

gehenden redaktionellen Sammelbericht,

der

der Geschichte

von der Heilung der Schwiegermutter des Petrus folgt,

wird

die heilungssuchende Menge geschildert, die »alle

Kranken

und

Besessenen

zu

ihm brachte«

2

• Mk I

,4 5 berichtet als redak-

tioneller Abschluß nach der Geschichte von der Heilung eines

Aussätzigen, die Sache habe sich

so

verbreitet, daß Jesus

sich

nicht mehr öffentlich in eine Stadt wagen konnte, »Sondern

er

hielt

sich

draußen

an

einsamen

Orten

auf«.

Der »einsame

Ort«

hat die Funktion, Jesus vom Andrang der

Stadt zu

befreien. Doch gelingt das nicht. »Von allen Seiten

kam

man

zu

ihm« Mk I,45). Auch in

Mk

I,35 f. gewährt der

2

Vgl. die Ahnlichkeit der Formulierung »die ganze Stadt« dort und das

»aus allen Städten« von Mk 6,JJ·

IOO

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einsame Ort Jesus die Ruhe des Gebetes nicht. Sirnon und seine

Gefährten gehen ihm nach und bringen den Andrang der

Menge zu ihm: »Alle suchen dich« Mk 1,37). Entsprechend

gelingt

es

Jesus in Mk

6,33

nicht, seine Absicht auszuführen.

Seine bfahrt wird bemerkt und die Menge eilt an den »ein

samen Ort« voraus. Der »einsame Ort« ist in Mk 6,32 redak

tionell. Zwar mußte auch die Vorlage der Speisongsgeschichte

von einem »einsamen Ort« sprechen vgl. Mk 6, 3

5 .

Doch ähn

lich wie das Motiv des Schiffes verbindet der Redaktor den

>>einsamen Ort<<

mit der Absicht Jesu, allein zu sein, die den

noch nicht durchgeführt werden kann.

Diese Absicht Jesu unterstreicht schließlich das

-xaT

ltav für

sich). In

Mk

4,34; 9,28 wird damit an redaktionellen Stellen

die Situation esoterischer Jüngerbelehrung angegeben. Auch

die auffallende Wiederholung

des

Ausdrucks in den zwei auf

einanderfolgenden Versen Mk 6,31.

32 läßt

markinische Re

daktion vermuten, die das Alleinsein Jesu betont herausstellen

will. Dadurch wird das Moment, daß die Menge dennoch zu

ihm drängt, besonders unterstrichen.

In der

Vorlage

hat dieser

Akzent gefehlt. Der »einsame Ort« hatte lediglich Bedeutung

für den Ablauf der Speisungsgeschichte.

Er

war nötig, damit

die Menge in einer Notlage auf wunderbare Weise gespeist

werden konnte. Durch die markinische Redaktion zeigt er noch

einmal mehr, daß Jesus nicht verborgen bleiben konnte

und

macht die Lehre und Speisung der Menge zu einer der »gehei

men Epiphanien« M. Dibelius) des Markusevangeliums. Daß

Jesus nicht verborgen bleiben konnte, führt auch der erzähleri

sche Zug, daß die Menge ihm zuvorkommt, vor. Zugleich wird

dadurch die Menge als die Herde ohne

Hirten

geschildert.

Auch dieser Zug wie das Hirtenmotiv sind nur von der redak

tionellen Aussageabsicht her zu erklären. Darum dürfte beides

in der Vorlage gefehlt haben. Dadurch, daß Jesus das Volk

lehrt, soll er als Hirte des weisungslosen Volkes erscheinen.

Auch dieses Motiv hängt also von der Aussageabsicht des Re

daktors ab. Daß es sich hierbei um redaktionellen Eintrag

handelt, zeigt schließlich, daß das Lehren Jesu, ohne daß der

Inhalt der Lehre mitgeteilt wird, ein für Markus bezeichnen-

101

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der Zug ist

3

Das Erbarmen Jesu entzündet sich in der vor

liegenden Fassung an der Hirtenlosigkeit der Menge und

wirkt

sich darin aus, daß er die Menge belehrt.

Für

die Vorlage aber

ist anzunehmen, daß ähnlich wie in

Mk

8 der Hunger der

Menge das Erbarmen Jesu begründet, und daß er

sich

in der

Speisung ihrer erbarmt.

Die Unterschiede im Ablauf der Geschichte gegenüber der von

Mk

8 zeigen

sich

als redaktionell verursacht.

Hebt

man die

Redaktion ab, erscheint eine Geschichte, die von Mk 8 nur in

Einzelheiten Zahlenangaben usw.) abweicht. Eine Menge von

Menschen umgibt Jesus an einem einsamen Ort. Sie

harrt

bei

ihm aus. Jesus erbarmt sich über den

Hunger

der Menschen

und speist sie auf wunderbare Weise. Die Analogien der Ge

schichte zur wunderbaren Speisung Israels

auf

dem Wüstenzug

sind unverkennbar. Man

darf

allerdings die schlichte Geschichte

nicht überinterpretieren. Die Gemeinde, die diese Geschichte

überliefert, versteht sich dadurch noch nicht als neue Exodus

Gemeinde um J esus als den neuen Moses. Sie will vielmehr

in dieser Geschichte ihr Vertrauen bekunden, daß Gott in Jesus

ihr auch in ihrer leiblichen Not erbarmend nahegekommen ist.

Jesus ist das Erbarmen Gottes für die Gemeinde.

Er

sorgt für

sie Darum muß sie nicht sorgen. Sie verleiht ihrem Vertrauen

auf das in Jesus erschienene Erbarmen Gottes und auf seine

Fürsorge Ausdruck, indem sie eine Mahlgeschichte erzählt.

Jesus selber hatte der Mahlgemeinschaft eschatologischen Cha

rakter zugewiesen. Das Mahl wird zum Bild der Herrschaft

Gottes. Jesu Mahlgemeinschaft mit Zöllnern, Sündern und

Ausgestoßenen, mit seinen Jüngern, weist

auf

die eschatolo

gische

Tischgemeinschaft mit Abraham, Isaak und Jakob im

Reich-Gottes-Festsaal. Die Herrschaft Gottes befreit den Men

schen von seiner Sorge, in ihr

darf

er sich aufgehoben wissen.

In

ihr begegnet ihm Gottes Erbarmen, dessen Anwesenheit

der Glaube der Gemeinde in Jesus schon bekennt. In der Ge

schichte von der wunderbaren Speisung drängt sich die Erfah-

8

Jesus lehrt das Volk. Der Inhalt der Lehre wird nicht mitgeteilt: Mk

1,21.22; 2,13; 4,1.2; 6,2.6.34; 10,1; II,J7).

102

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rung der Jünger von der Tischgemeinschaft mit dem irdischen

Jesus in einem großen Bild zusammen.

In diese Vorlage

trägt

Markus das Hirtenmotiv ein: Die

Menge ist wie eine Herde ohne

Hirt

und Jesus erweist si h in

seiner Lehre als der eschatologische

Hirte

des Volkes. Sein

eigentliches Wesen kann nicht verborgen bleiben sondern

drängt im Wunder der Speisung zur Epiphanie. Bevor jedoch

die eigentliche Aussageabsicht

des

Markus erkannt werden

kann ist es nötig den näheren und weiteren Kontext zu be-

achten. Erst dann

wird

verstehbar warum Markus die Ge-

schichte von der wunderbaren Speisung zweimal überliefert

und in die eine Fassung redigierend eingreift.

3· Der Seewandel fesu bei Markus Mk 6,45-52

Eine Besonderheit der Speisungsgeschichte von Mk 6 ist daß

ihr wie der Speisungsgeschichte des Johannes die Perikope

vom Seewandel Jesu folgt. Matthäus übernimmt diese Akolu-

thie von Markus doch wird eine direkte literarische Abhän-

gigkeit

des

Johannes von Markus nicht anzunehmen sein. Man

vergleiche nur die auffallenden Unterschiede in den Einzel-

heiten an Hand der synoptischen Obersicht.

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Mt 14,22-33

V a xal eüitioot;

V a Jesus nötigt

die Jünger ins Boot

einzusteigen

V b und voraus

zufahren

V

n

b

an

das jen

seitige Ufer Orts

angabe fehlt)

V c Jesus will die

Menge entlassen

V

23

a Jesus entläßt

die Menge

anders Mk)

V 3 a J

esus

steigt

auf den Berg für sim

um zu beten

V

23

b

o ljliat;

M

YEVOJ LEVTjt;

V

23

b Jesus

war

allein

dort

V 4 a Das Smiff

war viele Stadien

vom Land weg

104

Synoptische übersieht

V 4 5 a J

esus

nötigt

die Jünger ins Boot

einzusteigen

V 45 a und voraus

zufahren

V 45 b an das jen

seitige Ufer

nam

Bethsaida

V

45

c Jesus selbst

will das Volk ent

lassen

V 46 a Jesus ver

absmiedet sim von

ihnen

V 46b Jesus geht

weg auf den Berg um

zu beten

V 47a Ö ljllat; yevo

J LEVTJt;

V 47 a Das Smiff

war in der Mitte des

Meeres

Jo 6,16-u

V 16 a

o ljlia lyive1:o

V

16b

Jünger

steigen zum Meer

hinab

V

17

a Sie steigen in

das Boot

V 17

und fahren

über den See zum

jenseitigen Ufer

1tEflllV)

nam Kaphar

naum

V

17

b

IJXO tLil

i l ~ T

F:yeyovn

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Mt

14 22-33

Mk6 45-52

Jo 6 16-u

V 17b Jesus war

noch

nicht zu ihnen

gekommen

V

47

b Jesus war

allein an Land

V

48

a Jesus sieht

sie

V

48

a wie

sie

sich

abmühen beim

Rudern

V 24 a Das Schiff

müht sich

ab mit den

Wogen

V24bEswar V 48 b

Der

Wind

V 8 Das Meer

Gegenwind

war gegen

sie

wurde von einem

starken Sturmwind

aufgewühlt

V

9

a Sie hatten

25-30 Stadien ge-

rudert

V 25

Nachtwache V 48 b

Nacht-

wache

V 25 Jesus kommt

V 48 b Jesus kommt

seewandelnd zu ihnen

seewandelnd zu ihnen

V 48 b und er wollte

vorübergehen

V 26

Als

sie

ihn see-

V

49

a Als

sie

ihn V

9

b Die Jünger

wandelnd sahen

seewandelnd sahen sahen J

esus

see-

wandelnd und er

war nahe beim Schiff

105

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Mt I4,2.2-33

V26

a) ersd:J.raken sie

b) sagten: er sei ein

Gespenst

c

sd:J.rien

vor Furd:J.t

V 27 Jesus sprid:J.t:

Habt

Mut i yro Elf.tt,

fl.TJ <poßEi a{h

VV 28-31 Petrus

steigt aus dem

Sd:J.iff,

geht auf Jesus zu,

zweifelt, J esus redet

ihn an: Kleingläubi-

ger, warum hast du

gezweifelt

V

32

Jesus

und

Petrus steigen ins

Sd:J.iff

V p Der Wind legt

sid:J.

V33

Die im Schiff

werfen

sid:J. nieder

und

bekennen J esus

als Gottes Sohn

1 6

Mk 6,45-52

V

49b

a glaubten sie, er

sei ein Gespenst,

b) sd:J.rien auf

V

50

a Alle sahen ihn

und ersd:J.raken

V 5 b Jesus spridtt:

Habt Mut eyro

ELfl.L,

fl.TJ

<poßELO"frE

V p a J esus steigt

ins Schiff

V

p b

DerWind

legt sid:J.

V 51 b Die Jünger

geraten außer

sid:J.

V

52

sie hatten bei

den Broten nid:J.t ver

standen,

ihr

Herz

war verhärtet

Jo 6 I6-2I

V I9b

sie fürdtteten

sid:J.

V 20 Er sagt ihnen:

eyro ELf .L,

fl.TJ

qmßEi ai}E

V 2 I a Sie wollen

ihn ins Schiff nehmen

V 2 I b Das Sd:J.iff

war

sofort

an

Land

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Auf die Frage einer literarischen Abhängigkeit des Johannes

von Markus

wird

man bei der Betrachtung

der

Perikope nach

J ohannes noch einmal zurückkommen müssen. Dann

wird es

sich als günstig erweisen, zu wissen, ob Speisungsgeschichte und

Seewandel schon

vor

Markus eine Einheit bildeten, oder ob sie

von Markus erst verbunden wurden.

D.

h.

es

ist nach

der

Re-

daktionsarbeit des Markus in der Perikope

vom

Seewandel

Jesu zu fragen

und

seine Vorlage herauszuarbeiten.

Die Epiphanie Jesu auf dem See Genezareth (Vorlage)

Speisung

und

Seewandel sind nur ungeschickt miteinander ver-

bunden.

Daß

Jesus den Jüngern befiehlt, mit dem Schiff vor-

auszufahren (Mk 6,45), ist durch die Angabe,

daß

Jesus das

Volk

entlassen und auf dem Berg beten wolle, nur schlecht be-

gründet4.

Denn es

ergeben sich augenblicklich Fragen: Wie

hat

man

sich die Entlassung des Volkes vorzustellen? Waren

die 5000

Männer

(Mk 6,44) etwa an Ort und Stelle geblieben,

während

Jesus

zur

Seite

trat um

seine Jünger vorauszuschik-

ken?

Erforderte

die Entlassung des Volkes,

daß

die Jünger

schon vorausfuhren? Wieso werden die Leute

überhaupt

ent-

lassen, da

es

doch Abend ist

und

die Gegend einsam? Die

Fragen

zeigen,

daß

der Anschluß der Seewandelperikope

an

die Speisung künstlich ist

und

offenbar

dazu

dient, Jesus von

den Jüngern zu

trennen,

damit

er, wie die Seewandelperikope

es

fordert, des nachts über die Wasser schreitend zu ihnen ge-

langen kann.

Das Motiv der Entlassung des Volkes tauchte schon in der

Speisungsgeschichte

auf und wird

hier

mit

demselben

Wort

wieder aufgenommen (Mk 6,36; 6,4 5; vgl. auch

Mk 8,3 und

Mk 8,9),

um

das Zurückbleiben Jesu zu motivieren. Auch das

Motiv

des einsam betenden Jesus auf dem Berg dient dazu, die

' »Am Anfang steckt die redaktionelle Verknüpfungsarbeit des Markus in

V 45 f.: Die für die folgende Geschichte notwendige Trennung Jesu von

den Jüngern ist doppelt motiviert: 1) Jesus will das Volk entlassen,

2

er

will allein beten.« R. Bultmann Geschichte der synoptischen Tradition,

231

1 7

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für die Seewandelgeschichte konstitutive Ausgangssituation zu

schaffen, die Vers

47

überdeutlich vorführt: Das Schiff mit den

Jüngern mitten auf dem See und Jesus allein auf dem Land.

Der Anschluß ist künstlich, die Frage aber bleibt, ob Markus

ihn geschaffen hat oder aber schon die Tradition vor ihm?

Die Antwort auf diese Frage setzt bei der schon oft gemachten

Beobachtung ein, daß

es

in der Seewandelgeschichte eine Reihe

von Anklängen an die Perikope von der turmstillung Mk

4,35-41) gibt. Zwar erzählt die Seewandelgeschichte nicht von

einem dem Sturm gebietenden Machtwort Jesu wie die Sturm

stillungsperikope, doch spricht auch

sie

von einem starken

Gegenwind, der die

Fahrt

der Jünger

so

behindert, daß sie sich

tüchtig in die Riemen legen müssen. Das Erscheinen Jesu und

sein Einsteigen ins Schiff bewirkt, daß die Mühe der Jünger

vorbei ist, weil der Wind sich legt wie in der Sturmstillungs

geschichte. Das

wird

im übrigen mit den gleichen Worten ge

sagt wie in

Mk 4,39.

»Und der Wind legte sich«. Es liegt

auf

der

Hand

hier mehr als bloßen Zufall am Werke zu sehen und

eine bewußte Angleichung der beiden Perikopen anzunehmen.

Es kommen weitere Anklänge hinzu: Bei der Sturmstillung

Mk

4,36)

wird erwähnt, daß die Jünger Jesus ins Schiff auf

nehmen. Mk 6,51 steigt Jesus ins Schiff ein. Auch das Motiv

der Entlassung der Menge liegt in

Mk 4,36

vor; ebenso die Er

wähnung, daß die Fahrt dem jenseitigen Ufer zugehe Mk 4

35). Die Annahme, daß hier der Redaktor eine ihm vorlie

gende Tradition mit Zügen aus der Sturmstillungsgeschichte

angereichert hat,

hat

also gute Gründe für

sich.

Diese in die Vorlage eingetragenen Züge hätten demnach die

Vorlage dahingehend erweitert, daß nun das Erscheinen Jesu

auf dem Meer zugleich auch dazu diente, den Mühen und Ge

fahren der Jünger ein Ende zu machen. So wird der in

Mk

6

48 erwähnte Blick Jesu auf die durch den Wind geplagten

Jünger zu einem Blick des Erbarmens. Will man zur Vorlage

durchstoßen, sind diese Züge abzutragen. Sie erlauben es uns

aber, auf die obige Frage eine Antwort zu versuchen.

Derselbe, der diese Züge in die Vorlage eingetragen hat,

hat

die Perikope vom Seewandel mit der Speisung der Fünftau-

108

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send verbunden. Dabei bediente er sich eines Mittels, das Mar

kus auch sonst gern zur Verbindung von Perikopen gebraucht:

Er

wechselt die Szene, indem das Boot ans jenseitige Ufer

fährt

5

Schließlich ist auch das Motiv von dem einsam beten

den J

esus

markinisch

6

Die Einheit der Speisungsperikope

und

der Seewandelperikope ist also nicht vormarkinisch, sondern

auf

Markus zurückzuführen. Welches Interesse hätte auch die

Tradition vor Markus daran haben können, Speisungsge

schichte und Seewandel zu einer Einheit zusammenzuschlie

ßen?7 Markus aber hatte ein Interesse daran, weil er damit

etwas Bestimmtes aussagen konnte.

Welches Interesse

hat

Markus, daß er die Perikope vom See

wandel der Brotvermehrung folgen läßt, und wie sah die Peri

kope vom Seewandel im Stadium ihrer Überlieferung vor

Markus aus? Elemente, die aus der Perikope von der Sturm

stillung in die Seewandelperikope eingetragen sind, dürften in

der Vorlage gefehlt haben

8

• So fehlte in der Vorlage wohl die

Bemerkung, daß die Jünger

sich

wegen

des

Gegenwindes mit

dem Rudern abmühen mußten. Ebenso fehlte Jesu Seewandel

der Akzent, daß er den Jüngern dadurch zu Hilfe kommt Mk

6,48

a).

Ob

die Vorlage davon redete, daß Jesus ins Boot

steigt, wird zu bezweifeln sein Mk

6,51

vgl. Mk

4>36).

Das

Sich-legen des Windes Mk 6,51 b nimmt Mk 4,39 wörtlich

5

Vgl. Mk

5,1

Heilung des Besessenen von Gerasa, Mk 5,21 Auferweckung

von Jairi Töchterlein,

Mk 8,13

nach der zweiten Brotvermehrung.

Der

An

schluß erfolgt immer mit der Formulierung

l ~ 1:0

neeav. Matthäus

und

Lukas bringen das nur,

wo

sie es bei Markus lasen.

8

Vgl. die Parallele in Mk 1,35, wo sich das Motiv in einer klar redaktio

nellen Stelle findet, nach dem Sammelbericht, welcher der Perikope von

der Heilung der Schwiegermutter Simons folgt Mk

1,29-31).

7

Daß beide zu einer vormarkinischen Wundersammlung gehört hätten, die

den Wundertaten des Propheten Elisäus gemäß dem Prinzip der

über-

bietung Wundertaten Jesu gegenüberstellte, also gewissermaßen - ein

Elisäus-Wunderzyklus - wie

G. Hartmann

und ihm folgend

A Heising

vermuten, bleibt allzu hypothetisch. G. Hartmann Der Aufbau des Mar

kusevangeliums, Münster 1936, 145-151 = NTA VII ; A. Heising Die

Botschaft der Brotvermehrung, Stuttgart 1966, 61-68

SBS

15)

8

,.Das ursprüngliche Motiv dieser Geschichte ist doch das Seewandeln, zu

dem das Sturmmotiv sekundär hinzugekommen ist.« R. Bultmann Ge

schichte der synoptischen Tradition,

231;

vgl.

E

Schweizer Markusevange

lium, 9

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auf.

So

entfällt denn auch der Grund für die in Mk

6,p

c er

wähnte Reaktion der Jünger

9

• Im jetzigen Zusammenhang ist

Vers 4 8 b: »Er wollte vorbeigehen« ein gewisses Problem.

Denn durch die Erwähnung,

daß

Jesus die

sich

mit dem Ru

dern plagenden Jünger sieht (von wo aus?), wird sein Wan

deln auf dem

See

zugleich ein Zuhilfekommen. Vers 48b aber

widerspricht dieser Absicht

10

• Fällt aber das Sich-abplagen

der Jünger weg, dann ist das Vorüberziehen-wollen von Vers

48

durchaus zu erklären, denn es gehört stilgemäß zu den

Topoi einer Epiphaniegeschichte und ist geeignet, das Unfaß

liche, nicht vom Menschen her festzuhaltende der Gestalt aus

der himmlischen Welt zur Anschauung zu bringen

11

• Endlich

ist auch Vers 52 redaktionell; denn er nimmt Bezug auf die

Brotvermehrung. Die Vorlage des Markus erzählte demnach

von einer nächtlichen Erscheinung des den Jüngern zuerst un

bekannten Jesus auf dem

See

von Genezareth. Hierzu war

erforderlich, daß die Geschichte die Jünger kurz als auf dem

See befindlich vorstellte. Die Betonung des auf dem Land

bleibenden Jesus einerseits und der Jünger auf dem

See

ande

rerseits fehlte wohl in der alten Geschichte und gehört zur

redaktionellen Verknüpfung der Perikope mit dem Vorher

gehenden. Jesus kommt um die vierte Nachtwache, über den

See wandelnd, zu den im Boot befindlichen Jüngern und zieht

an ihnen vorbei. Sie halten ihn für ein Gespenst und schreien

vor Schreck auf (V 49)1

2

• Jesus spricht sie an: »Ich bin es

fürchtet euch nicht« (V 5ob)1

3

Damit hat die alte Geschichte

ihren Höhepunkt erreicht; wie

sie

weiterging, ist nicht mehr zu

rekonstruieren. Man darf allerdings vermuten, daß in der Ge-

9

Zu der Form bt

1tEQL(HJOii

vgl. das ähnliche 1 t E Q Q L C 1 Ö J ~ ebenfalls in der

Schilderung der Reaktion

auf

Taten Jesu: Mk

ID,26;

I5,I4)·

10

Matthäus läßt den Zug als unverständlich weg:

Mt

I4,22-33.

Vgl. die Epiphanien Jahwes vor Moses

und

Elias: Ex 33,I9.22; 34,6;

I

Kön I9,II und

den»

Vorüberzug des Herrn« bei der Tötung der ägypti

schen Erstgeburt, Ex

1,4.

12

Die in Vers

50

wiederholte Reaktion der Jünger ist redaktionell.

13

Die Verdoppelung der Aufforderung »Fürchtet euch nicht « durch das

der

Selbstvorstellungsformel vorangestellte

»Habt

Mut « ist redaktionell.

Sie bezieht

sich

nicht auf den durch die Epiphanie hervorgerufenen Schrek

ken, sondern ruft die gefährliche Lage des Sturms in Erinnerung.

IIO

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schichte noch davon die Rede sein mußte,

daß

die Jünger den

Herrn

erkannten

und

ihm in irgendeiner Weise huldigten.

Man wird sich

fragen müssen, welche Aufgabe die alte Ge

schichte hatte. Die Selbstvorstellung Jesu:

>>Ich

bin es «

und

sein Vorüberziehen weisen in die Richtung einer Epiphanie

geschichte. Man hat vermutet,

daß

es sich ursprünglich

um

eine

Ostergeschichte

gehandelt hat die von einer galiläischen

Erscheinung des Auferstandenen erzählte.

>>Leichter verständ-

lich würde die Erzählung, wenn sie ursprünglich eine Aufer

stehungserscheinung meinte«

14

• Am

ehesten würde sich

dann

Jo

21

als Parallele anbieten;

dort

spielen Boot, See, Jünger

und

die am

Ufer

stehende, zuerst unerkannte Gestalt des

Auf-

erstandenen eine Rolle. Vielleicht mögen auch Analogien zu

Lk

24,37 vorliegen,

dort

halten die im Saal versammelten

Jün-

ger den

vor

ihnen erscheinenden Auferstandenen für eine Gei

stererscheinung; der Auferstandene stellt

sich mit

dem gleichen

f yro

EL Lt vor

ermahnt sie, von ihrer Furcht

zu

lassen und sucht

sie

davon

abzubringen,

in

ihm einen Geist

zu

vermuten,

>>denn

ein Geist hat doch nicht Fleisch

und

Bein.«

Für

die Annahme,

daß es sich ursprünglich um eine Ostergeschichte handelte, gibt

es also durchaus Anhaltspunkte

15

• Markus hätte

dann

eine ur-

sprüngliche Ostergeschichte in die Zeit des irdischen Jesus zu-

rückverlegt, um so im irdischen Leben J esu das Geheimnis

seiner Person in der Art

>>geheimer

Epiphanien« M

Dibelius)

vor den Jüngern aufleuchten zu lassen

16

Zu einer letzten Sicherheit, ob Ostergeschichte oder Geschichte

über eine Begebenheit aus dem irdischen Leben

wird

man nicht

gelangen können

17

• Man wird

aber sagen dürfen: Es handelt

sich um eine Epiphaniegeschichte, die

der

Evangelist innerhalb

14

] Schniewind, Das Evangelium nach Markus, München-Harnburg 1968,

89

(=Siebenstern-Taschenbuch

107)

15

Vielleicht ist auch in dem Vorbeiziehenwollen von Vers

48

eine gewisse

Ahnlichkeit zu Lk

24,28

f zu sehen, wo der die Ernausjünger begleitende

Herr weitergehen will.

16

»Das könnte einmal eine Schilderung einer Erscheinung des Auferstande

nen gewesen sein, ist aber wahrscheinlich eher eine Geschichte, die Jesu

göttliche Macht innerhalb seines Erdenlebens darstellte.« E Schweizer,

Markusevangelium, 79

17

Vgl. R. Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition,

246

111

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des irdischen Lebens Jesu angesiedelt wissen wollte

18

• In ihrer

ursprünglichen Fassung wollte sie zeigen, wie in Jesus die Epi

phanie Gottes geschieht. Im Wandeln über den

See

soll die

Macht Gottes erscheinen und sich den Jüngern in der Selbst

vorstellung Jesu offenbaren.

Es ist möglich, daß darin eine bewußte ufnahme alttesta-

mentlicher Vorstellungen

zu erkennen ist. Dort

wird

das Was

ser als die unheimliche Chaosmacht gesehen, die Gott durch die

Schöpfungstat in ihre Grenzen weist Gen r,6-ro; Spr

8,27

f.).

Sahen orientalische Mythen die Schöpfung als Kampf zwi

schen Schöpfergott und Urmeer,

so

zeigt Gen

r,

wie das

Ur

meer durch das Wort Gottes begrenzt wird. Doch Gott kann

das Wasser über seine Grenzen treten lassen, dann bedroht es

Mensch und Tier, und die alte Chaosmacht stürmt gegen alles

Geschaffene wieder an Gen

6-9).

So bringt es Tod und Ver

derben; aber es ist

Gott

unterworfen.

Er

kann es zu Taten der

Rettung einsetzen und verleiht diese Macht sogar Menschen

Ex

J4,r6.2r .

Diese ungefragte und ungefährdete Macht

Gottes über den Abgrund der Bedrohung gelangt in Bildern

zum Ausdruck, in denen Gott über die Wasser schreitet Ps

77,20;

Hiob

9,8;

38,r6; Sir

24,5f.).

Sollte im Seewandel Jesu

eine bewußte Aufnahme dieser Vorstellungen vorliegen, würde

darin vor allem das Moment der über Tod und Abgrund herr

schenden Macht Gottes mit ausgesagt sein, was gut zu der Ver

mutung paßt, die in der Vorlage eine ursprüngliche Oster

geschichte zu sehen glaubt.

So ist das Seewandeln Jesu der Absicht einer Epiphaniege

schichte unterstellt und darf nicht als mirakulöser Einzelzug

isoliert werden. Die Geschichte ist Ausdruck des Glaubens an

die in Jesus geschehene Epiphanie Gottes und seiner todüber

windenden Macht.

18

Im

übrigen ist es nicht entscheidend, ob

es sich

»um eine vor- oder nach

österliche Epiphanie handelt.

Es

wäre ein seltsames Mißverständnis, das

vielleicht meint, mit der Bestimmung >nachösterlich sei die Sache leichter zu

ertragen,

es sei

denn, man ist auch mit Ostern bereits irgendwie >fertig

geworden<.« J Blank Die johanneische Brotrede, in: Bibel und Leben 7

1966), 2 7

I I2

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Jesus steigt

zu

den Jüngern ins Boot Markus)

Für Markus erscheint diese Macht im Leben des irdischen

J esus. Insofern er Züge der Sturmstillungsgeschichte einträgt,

charakterisiert er die in Jesus geschehene Epiphanie als ein dem

Jünger in seiner letzten Bedrohtheit Zuhilfe-kommen der gött

lichen Macht. Das »Ich-bin-es« der göttlichen Selbstvorstellung

offenbart nicht nur Gottes anwesende Mächtigkeit, vor der der

Mensch nur erschauern kann, sondern wird bei Markus zu

einem »Mit-ihnen-reden« Mk 6,50), zu einer Offenbarung

darüber,

daß

in

Jesus die todüberlegene Macht Gottes dem

Jünger zugewandt ist, ihn in Hut nimmt, in sein Schiff ein

steigt

und

den Sturm beruhigt. Doch durch die markinische

Eintragung von Zügen aus der Sturmstillungsgeschichte wird

nicht

nur

die dem Menschen rettend zugewandte Seite des epi

phanen Geschehens akzentuiert, sondern gleichzeitig

wird

ein

zweites Thema angeschlagen, das in der Sturmstillungsge

schichte auch eine Rolle spielt.

In

der vorliegenden Perikope

hat es vor

allem

in

den Versen

51

b

und

52

seine Spuren hinter

lassen. >>Was der Abschnitt für Markus bedeutet,

wird

Vers

52

sichtbar. Das Motiv der Blindheit der Jünger wie die Formu

lierung vom verstockten Herzen weist

auf

seine Redaktion«

9

Die

Seewandelperikope schließt

in

der markinischen Fassung

damit,

daß

Jesus zu den Jüngern

in

das Boot steigt. Es bleibt

nicht bei der bloßen Epiphanie, sondern die Zugewandtheit,

dessen, der

da

epiphan wurde, zeigt sich in der doppelten Rich

tungsangabe, von denen die eine an sich unnötig wäre: ZU

ihnen«

und in

das Boot«. Diese Bewegung hatte sich schon

vorher angekündigt.

Zu

Beginn war eine strenge Scheidung

vorgeführt: Die Jünger mitten

auf

dem Meer und

er

allein an

Land Mk 6,47). Doch sein Blick überwindet die Trennung

und

ist bei ihnen törbv

a u r o u ~

Mk 6,48). Sein Kommen ist

nicht

nur

ein Kommen

zur

einmaligen Epiphanie, sondern ein

Auf-sie-hingehen EQXETat n g o ~

a u r o u ~

Mk 6,48). Seine Selbst

vorstellung ist nicht bloß an sie ergehende Offenbarung so in

9

E Schweizer

Markusevangelium,

So

3

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der Vorlage,

tat

Myet a \ r r o i ~ ; Mk 6,5ob), sondern ein Mit

ihnen-reden

(EAUA1 JOEV

lE't'

a\m'Dv; Mk

6,50 b

).

Und

so

bringt

Vers

51

ihn nicht

nur

ins Schiff, sondern auch zu ihnen, d. h.

in ihre Gemeinschaft

n g o ~

a \ n o u ~ Mk

6, 5

20

Die Gemeinschaft des epiphan Gewordenen mit den Seinen

stillt den Sturm. Umso mehr muß das Folgende auffallen. Die

von ihm gebrachte Gemeinschaft wird nicht zum

Grund

von

verstehendem Vertrauen, sondern zum Anlaß eines über alle

Maßen großen Erschreckens Mk 6,5 I b ). Ein solches Er

schrecken folgt auf seiten des Menschen immer als Reaktion

auf das göttliche Handeln. Insofern erscheint Mk

6,5

I

b durch

aus stilgemäß. Bedenkt man allerdings die vorhergehende Be

tonung der Zugewandtheit Jesu,

wird

Vers

52

verständlich,

der das heftige Erschrecken der Jünger von Vers 5 b im Nach

hinein als ein Nichtverstehen des Brotwunders erklärt. Das

Erschrecken der Jünger nimmt nicht wahr, daß die Selbstvor

stellung

des

Epiphanen: »Ich bin

es«

markinisch verstanden

mutmachende Zusage ist. Insofern sie erschrecken, mißver

stehen sie ihn, und insofern sie ihn mißverstehen, ist auch ihr

Herz

verstockt.

Vers

52

macht noch einmal deutlich, daß die Zusammenstel

lung von Speisung der Fünftausend und Seewandel auf

Mar-

kus zurückgeht, denn ihr Erschrecken wird dadurch begründet,

daß

sie

über die Brote noch nicht zum Verständnis gelangt

sind.

Hier

wird auch sichtbar, was in der Epiphaniegeschichte

seiner Vorlage es Markus möglich machte, die Geschichte anzu

schließen. Der für eine Epiphaniegeschichte durchaus stilge-

20

Matthäus übersieht übrigens diese Nuance seiner Markusvorlage:

Er

läßt den Zug von Vers 48, daß Jesus die Jünger sieht, weg, vielleicht aus

der Überlegung heraus, daß es schlecht möglich ist, in der Nacht, bei Dun-

kelheit also, vom

Ufer

aus ein kleines Schiffchen zu sehen, das in der Mitte

des Sees, also im besten Fall vier Kilometer entfernt,

sich

befindet. Umso

mehr unterstreicht dieser Zug bei Markus seine Aussageabsicht: Der Blidt

Jesu sieht die Jünger und ist bei ihnen. Ebenso macht Matthäus aus dem:

»Er redete

m t

ihnen« des Verses

5

ein »Er redete

zu

ihnen«

(EAO.A I]GEV

a\rtoi:<; Mt 14,27)

und ordnet das bei Markus neuanhebende

xat AEYEL

mhoi:<; partizipial unter. Als Jesus mit Petrus) das Boot betritt, fehlt

schließlich auch das neo<;

a\rcou<;

und

es

heißt: »Und als sie in das Boot

stiegen« Mt

14,32).

II4

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mäße Zug, daß die Jünger die auf den Wassern wandelnde

Gestalt für ein Gespenst halten, wird von Markus als Beispiel

ihres Unverständnisses gesehen, bewußt der Speisungsgeschichte

nachgestellt und unter dem Thema des Jüngerunverständnisses

mit ihr zusammengehalten.

Zugleich aber verweist Vers 52 die beiden Perikopen in einen

größeren Zusammenhang; denn die Tatsache,

daß

der zweiten

Brotvermehrung von

Mk

8,1-9 in

Mk

8, 10)13 ebenfalls eine

Seefahrt Jesu mit den Jüngern folgt, während der das Ge

sprächJesu mit den Jüngern auf beideSpeisungenBezug nimmt

Mk 8,19f.), und nun das Thema des Jüngerunverständnisses

erst richtig ausgeführt wird, zeigt, daß der Redaktor hier be

wußt

parallelisiert hat.

·

as Jüngerunverständnis bei Markus

Das Motiv

Was Markus durch das Motiv vom Jüngerunverständnis sagen

will, läßt

sich

erkennen, wenn man das Vorkommen des Mo

tivs verfolgt. Es taucht zum ersten Mal im Zusammenhang der

Gleichnisrede auf Mk 4,1of. 13). Vor dem versammelten Volk

trägt

Jesus vom Boot aus das Gleichnis vom Sämann vor.

In

der darauf folgenden Situation der esoterischen Jüngerbeleh

rung befragen ihn seine Umgebung

und

die Zwölf über die

Gleichnisse. Die ntwort Jesu Mk 4,11) scheidet zwischen

denen »drinnen« und denen »draußen«. Dem Zusammenhang

nach ist das Volk mit denen »draußen«, seine Umgebung und

die Zwölf mit denen »drinnen« zu identifizieren. Die draußen

hören Jesu Botschaft

nur

in Gleichnissen, den Jüngern aber

ist es gegeben, das Geheimnis ·des Reiches Gottes zu ver

stehen.

Der

Zweck der Gleichnisrede nach Markus ist es die durch die

Propheten voraus verkündigte eschatologische Verstockung Is

raels zu bewirken. »Die Gleichnisse Jesu haben direkt den

Zweck, Wahrnehmen und V erstehen, Bekehrung und Vergebung

115

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zu verhindern«

21

• »In ihnen zeigt

sich,

daß am Wort Gottes, im

Wort Gottes die Entscheidung über den Menschen fällt. Das

Wort schafft Leben, aber es schafft auch den Tod; es »bekehrt«,

aber

es

verstockt auch«

22

Das gilt auch

für

die Jünger Jesu.

Der konkrete Fall zeigt, daß

sie

die Gleichnisse nicht verstehen

Mk 4,13). Gehören sie also zu denen, die Augen haben und

doch nicht sehen, mit den Ohren hören und doch nicht ver

stehen? Und gilt ihnen dann auch »damit sie sich nicht bekeh

ren und Vergebung finden« Mk 4, I 2 ? Sind also auch

sie

ver

stockt? Insofern sie die Gleichnisse nicht verstehen, sind sie

es;

insofern sie aber mit Jesus allein sind, werden sie belehrt, in

dem er ihnen im Geheimen alles auslegt. Gelangen

sie

also doch

zum Verständnis?

Für

Markus ist der Sachverhalt komplizier

ter. Die Jünger sind zwar

drinnen-

ihnen ist das Geheimnis

des Gottesreiches übergeben -, aber insofern sie die l e i c h n i s ~

rede nicht verstehen, sind auch

sie

verstockt, sind auch

sie

»draußen«. »Markus versteht diesen Satz V I I

f . -

und da

mit Jesu Absicht bei seinen Gleichnisreden- radikal: Auch die

Sonderbelehrung und Ausdeutung der Gleichnisrede hilft den

Jüngern noch nicht.

So

offenbaren die Gleichnisse Jesu die voll

ständige Blindheit der Menschen, auch der Jüngergemeinde,

für Gottes Handeln. Wenn dieser Jüngergemeinde trotzdem

verheißen ist, daß ihr »das Geheimnis des Reiches gegeben

werde«, dann ist das ein noch weit größeres Wunder als

es

V

I I

f. beschreiben können«

3

Schon bei der Gleichnisrede zeigt

sich

also, was nach dem See

wandel Mk 6,52) von den Jüngern gesagt wird: Ihr Herz ist

verhärtet,

sie

sind verstockt. Ebenso wie die Gleichnisrede Jesu

Mk

4,Iof.I3

der Verstockung dient, führt auch das Spei

sungswunder und der Seewandel in das Unverständnis der

Verstockung. Das Motiv der verstockenden Gleichnisrede folgt

in dem

Gespräch über Rein

un

Unrein

noch einmal und zwar

in Ausrichtung auf die Jünger, die ein Gleichniswort Jesu Mk

7, I 5 nicht verstehen Mk 7, I 7). Die Frage Jesu bezeichnet

21

]

Schniewind

Markusevangelium, 63

2

2

]

Schniewind

ebd., 63

23

E

Schweizer

Markusevangelium,

p.

I I

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auch sie als unverständig

am vETOt, ou

voEi:TE Mk

7, I 8 und

parallelisiert sie xat Uf-tE i:c; Mk 7,I8) mit den in Vers durch

ein Jesajawort, durch Gottes Willen also, als Heuchler verur

teilten Gegnern.

Es

folgt die Reise Jesu ins Gebiet von Tyrus

und

Sidon Mk

7,24-37), und

dann schließt

sich

die zweite

Speisungsgeschichte

an. Hatte

Mk

6 p

schon das Verhalten

der Jünger als ein Nichtbegreifen

des

Brotwunders bei der er

sten Speisung charakterisiert, so muß nach dem Vorhergehen

der ersten Speisung die Frage der Jünger von

Mk

8,4: »Woher

soll einer hier in der Wüste das Brot nehmen, um diese zu sät

tigen?« als erneuter Beweis ihres Unverständnisses gelesen

werden. Wer das Wunder der ersten Speisung erlebt

hat und

wem zudem eine Epiphanie geschehen ist, in der Jesus sich im

Offenbarungswort enthüllt, der

muß

völlig stumpf

und

blind

sein, wenn sich die schon einmal erlebte Situation wiederholt,

und

er genauso töricht reagiert wie beim ersten Mal.

Es beginnt

sich

abzuzeichnen, warum Markus zweimal eine

Brotvermehrung in sein Evangelium aufnimmt: Nicht weil er

nicht erkannt hätte, daß beide Fassungen das gleiche Ereignis

erzählen, sondern deshalb, weil er

auf

diese Weise zeigen kann,

daß

die Jünger stumpf

und

pnverständig für das sind, was sich

in

Jesus ereignet.

Das

wird

vollends

in k

8 I

I I

deutlich.

Der

zweiten Brot

vermehrung folgt eine Seefahrt Jesu mit den Jüngern, die sie

in die Gegend

von

Dalmanutha

bringt Mk 8,Io).

Dort

kom

men Pharisäer, um mit ihm zu streiten Mk

8,u und

fordern

ein Zeichen vgl.

Jo

6,30). Die Pharisäer sind Angehörige der

verstockten

und

herzensharten Gegner Jesu vgl.

Mk 3,5

f.).

Ihre Zeichenforderung macht nach dem vorangegangenen

Wunder ihre Blindheit Jesus gegenüber deutlich,

und

das

Wort

Jesu über

sie

hat

den

Rang

eines Urteils,

so

wie

es

Mk

7,6

f.

schon nach der ersten Brotvermehrung über die Gegner J esu

gefällt worden war.

Wir

dürfen bewußte Komposition vermuten, welche die bei

den Abschnitte parallelisiert.

Man

beachte

nur

das endgültige

von

Mk 8,

3 »und er ließ sie stehen, stieg ein

und

fuhr weg

ans andere Ufer«. Dem entspricht

in Mk

7,I7 das »und als er

II7

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hineingegangen

war

ins Haus, weg von der Menge«. Doch

Markus will mit dem Abschnitt

8,11-13

nicht nur die endgül

tige Blindheit der Gegner darstellen. Diese sind hier gar nicht

als Zeugen der Speisung gedacht. Das Speisungswunder soll

zu den verstockten Gegnern in gar keinem Bezug mehr stehen,

sondern nur für die Jünger ein Zeichen sein, das sie aus ihrer

Blindheit befreien soll. Für die blinden Gegner wird das Spei

sungswunder nicht mehr gewirkt.

über

sie ist das Urteil

ge-

fällt. Ihnen wird kein Zeichen gegeben werden. Doch den Jün

gern hätte darin etwas aufgehen sollen. Die Gegner spielen

also hier keine selbständige Rolle mehr; sie bilden nur

noch

den Hintergrund, der über die Jünger etwas aussagen soll.

es

bei beiden Speisungsgeschichten um die Jünger geht,

macht schließlich der Abschnitt

k

8 14-21

vollends offenbar,

in den verschiedene redaktionelle Linien einmünden, und der

zusammen mit der folgenden Blindenheilungsgeschichte einen

wichtigen Abschnitt

des

Markusevangeliums markiert. Der

Abschnitt beginnt mit einerneuen Situationsangabe: Jesus läßt

die Gegner stehen und fährt mit den Jüngern ans jenseitige

Ufer

Mk 8,IJ). Er ist mit den Jüngern wieder allein. Unver

mittelt berichtet die Exposition, daß die Jünger vergessen ha

ben Proviant mitzunehmen: Nur ein einziges Brot haben

sie

bei

sich

im Schiff. Ebenso unvermittelt

warnt

Jesus

sie

vor

dem

Sauerteig der Pharisäer und vor dem Sauerteig des Herodes.

Dieses Wort Jesu wird von den Jüngern auf nahezu groteske

Weise mit ihrem Versäumnis, Brot mitzunehmen, in Verbin

dung gebracht. Jesus erkennt ihre Gedanken, macht den Jün

gern in Frageform den Vorwurf, verhärtet zu sein und befragt

sie

nach den beiden Brotwundern.

Schon die übersieht zeigt, daß

es

sich

nicht um ein geschlosse

nes Traditionsstück handelt, sondern um Komposition, die den

Abschnitt bewußt Mk 7,17-23 parallelisiert. Voraus geht die

Speisung der Viertausend Mk

8,1-9), Mk 8 10

berichtet von

gemeinsamer Seefahrt, Mk 8,11-13 von auftauchenden Geg

nern, die von sus ein Zeichen fordern und von dem Urteil

Jesu über die Gegner, denen kein Zeichen gegeben wird. Allein

118

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mit

Jesus im Schiff zeigen die Jünger anläßlich eines Bildwor

tes Jesu ihr Unverständnis das die folgenden Fragen Jesu als

Herzenshärte interpretiert.

Darin

aber können

wir

eine be

wußte Angleichung an den Komplex um die erste Brotvermeh

rung sehen. Aus folgender übersieht wird das erkennbar:

6 33-44

Speisung der

5000

8 1-9

Speisung der

4000

6 45-56

Seewandel und 8 10

Jesus mit den Jün-

überfahrt

nach gern auf der über-

Genesareth fahrt nach Dalma-

nutha

7 1-16

Gegnerfrage nach 8 II-13

Zeichenforderung

Rein und Unrein

der

Gegner-

Ur-

Urteil über Gegner

teil über Gegner

7·17-23

Unverständnis der

8 14-21

Unverständnis der

Jünger über das

Jünger über Bild-

Gleichnis- Frage wort Jesu- Fragen

Jesu nach dem Un-

Jesu nach dem Un-

verständnis der verständnis der

Jünger Jünger

So wie in Mk

7 17

die Jünger ein »Gleichnis« Jesu nicht ver

standen

so

zeigt ihr Verhalten von Mk

8 16

daß

si

auch dort

ein Bildwort des Herren mißverstehen. Das Bildwort

Mk 8 15

nämlich ist ein erneutes Beispiel dafür daß nach markinischer

Konzeption die Gleichnisrede Jesu zum Unverständnis führt.

Es bildet den Kern der kompositionellen Arbeit d ;:s Abschnit

tes

Mk

8 14-21.

Stellen wie

1

Kor

5 6-8

und Gal

5 9

zeigen

daß das Bild vom Sauerteig sowohl bei den Rabbinen als auch

in den christlichen Gemeinden innerhalb paränetischer Zusam

menhänge gebraucht wurde

24

• Es war gut dazu geeignet die

Gefährlichkeit eines auch

nur

geringen Sich-einlassens auf das

u

Vgl.

illerbeck

I

728 f

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Böse bildhaft darzustellen. »Die stehende Bedeutung des Bil-

des ergibt sich daraus, daß beim jüdischen Passah aller Sauer-

teig beseitigt

wird

als Gefährdung des Heiligen«

25

Auch Jesus

hat

offenbar das Bild

vom

Sauerteig

verwandt

vgl.

Mt

r 3

33),

allerdings in positiver Wendung.

Mk

8,r 5 gebraucht

es

in

paränetischer Ausrichtung.

Die

Jünger sollen sich hüten. Wo-

vor sie sich in acht nehmen sollen, bleibt allerdings schwer ver-

ständlich.

Daß

nach der Markusfassung die Jünger sich in ir-

gendeiner Weise davor hüten sollen, von den Pharisäern »an-

gesteckt«

zu

werden, darüber sind sich die Synoptiker einig.

Aber sie interpretieren Markus in verschiedener Weise: Bei

Matthäus sollen sie sich

vor

der Lehre der Pharisäer

und

Sad-

duzäer

)

hüten, bei Lukas

vor

der Heuchelei der Pharisäer

(Mt

r6,rz; Lk

rz,r). Was Markus damit sagen will, wird er-

sichtlich, wenn man

auf

die achtet,

vor

denen das Bildwort

warnen

will: Pharisäer

und

Herodes.

In

Mk

3,6 beraten sich Pharisäer

und Herodianer

wie sie Jesus

vernichten könnten. Jesus

hatte

sie

zuvor

gefragt: »Ist

es

er-

laubt,

am

Sabbat Gutes oder Böses zu tun, ein Leben zu retten

oder

zu

vernichten?« Mk 3,4).

Ihr

Schweigen

und

ihre bösen

Pläne charakterisieren sie als Vertreter des Todes, die sich der

mit Jesus hereinbrechenden Lebensmöglichkeit entgegenstel-

len.

Darin

besteht die Verstockung ihrer

Herzen (Mk

3,5), die

sich

im Vernichtungsbeschluß über Jesus in

blanker

Feindschaft

äußert. Noch einmal tauchen die Pharisäer zusammen

mit

den

Herodianern

als Gegner Jesu in

Mk

12,13 auf.

Hier

sind sie

die erste Gruppe

von

Gegnern, die nach der Vollmachtsfrage

(Mk

rr,27-33)

verschiedene Fragen an Jesus herantragen. Sie

fragen

ihn

in der Absicht, ihn »durch ein Wort zu fangen«

(Mk r2,r3).

So wollen sie den in

Mk

r2,r2

gefaßten Beschluß,

sich

seiner zu bemächtigen, ausführen. Was sie tun, ist ein

Schritt

auf

dem Weg,

der

in den endgültigen Todesbeschluß

gegen Jesus

führt

Mk 14,r). Mk

r2,r2

X.Qa-rijam;

Mk r4,r

X Q a r ~ a a v w ; n:ox.-rd

vwaLv).

Wenn

man

außerdem bedenkt, welche Rolle Herodes

im Mar-

  5 ] Schniewind Markusevangelium, 104

12

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kusevangelium

spielt-

er ergreift den Vorläufer Jesu (bt(HXTTJ

crEv Mk

6,17)

und

läßt

ihn hinrichten-, darf man schließen:

Mit Pharisäern und Herodianern sollen

beiMarkusdie

Feinde

Jesu par excellence benannt sein. Aus dieser Perspektive

läßt

sich das Bildwort von Mk 8,15 als eine Jesus von Markus in

den Mund gelegte Warnung an die Jünger verstehen, nicht

auch noch zusätzlich zu ihrer Verstockung aus der Gemein

schaft mit ihm auszubrechen und zur Gruppe seiner Feinde

überzuwechseln, die ihm ans Leben wollen. Dann wäre Jesu

Urteil über die Gegner auch das Urteil über sie.

Markus hätte darüber hinaus erreicht, daß noch einmal die

Gleichnisrede Jesu ihre verstockende Wirkung zeigen kann:

Die Jünger interpretieren sein Wort als einen Vorwurf wegen

ihres Versäumnisses, Brot mitzunehmen. Damit aber erliegen

sie zum dritten Mal dem gleichen Irrtum. Sie verstehen nicht,

daß die Frage, woher man Brot nehmen solle, keine Bedeutung

hat. Es schließt sich die Gegenfrage Jesu an Mk

8,q ,

die ihr

grobes Unverständnis seines Wortes tadelt und zurückweist,

aber auch zugleich in einen größeren Zusammenhang von Un

verständnissen hineinstellt. Insofern also in Mk

8,14-16

die

beiden Motive der verstockenden Gleichnisrede Jesu sowie das

der Gemeinschaft bzw. Gegnerschaft von Verstockten mit bzw.

zu Jesus .auftauchen, erweisen

sich

die Verse als markinische

Komposition. Sie weisen nach der Begegnung mit verstockten

Gegnern Mk

8,10-13)

noch einmal auf die in Gemeinschaft

mit

Jesus befindlichen unverständigen Jünger hin. Das

Unver-

ständnis der ünger unterstreichen

die

sich

in den Fragen Jesu

häufenden Termini, die in irgendeiner Weise von einem Nicht

verstehen handeln

26

• Die in den Versen

17-21

verwendeten

Motive und Termini begegnen alle schon vorher im Markus

evangelium.

Hier

tauchen

sie

zum letzten Mal auf.

Ihre Häu

fung zeigt, daß hier ein Resümee gezogen wird. Das Jesajazitat

von den blinden Augen und tauben Ohren begegnet in der

Gleichnisrede Mk 4,12) und hier. Dort gilt

es

von dem ver-

24

Mk

8,17: oürrro

'VOEL"tE, oUill; 11J'VLE"tE;

Mk 8,18: ou ßl.ErrE tE, oux; ax;ouE tE, o'Ö ft'VTJflO'VEuEn;

Mk 8,21: oürrro auvlE-.;E;

121

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stockten Volk, hier von den unverständigen Jüngern. Beiden,

dem Volk wie den Jüngern erschließt

sich

der Sinn der Worte

Jesu nicht, vielmehr führen diese sie gerade in das Unverständ

nis Mk 4,12

<J'UVLl'Jf L; Mk

7,18 avvEl:oL).

Aber auch die Taten Jesu werden nicht verstanden. Gegenüber

Speisung und Seewandel bleibt die Verschlossenheit bestehen

ou

yag

auvrpmv Mk 6 p

vgl.

Mk

8,17). Insofern die Jünger

der Gleichnisrede und den Taten Jesu gegenüber blind und

taub bleiben, sind

sie

in ihren Herzen verhärtet.

Damit

glei

chen sie den Gegnern Jesu und dem verstockten Volk. Selbst

für die Jünger bleibt

Wort

und

Werk Jesu verschlossen, selbst

die Jünger führt Jesu Wort und Werk in die eschatologische

Verstockung Mk 3,5;

6 p;

8,17).

In

ihrem Verstocktsein sind

die Jünger den beiden anderen Gruppen gleich. Ihr Unver

ständnis wird immer wieder betont hervorgehoben Mk 4,10.

11. 13· 34· 40f.; 5,31); 6,37); 6 p; 7,17f.; 8,4); 8,14-21;

8,29); 8,33; 9,5 f.; 9,10. 18. 19. 28.

31 f.

33·

34· 38.

39; 10,10.

13. 24. 26.

32·

35-40). Aber im Unterschied zu den anderen

Gruppen

wird

von ihnen immer wieder betont,

daß

sie mit

Jesus sind, daß Jesus bei ihnen ist, daß sie Jesus nachfolgen,

daß Jesus ihnen vorangeht Mk 1,16-20.29. 36-38; 2,14-15;

2,19-20); 2 2 3 ~ 3,7. 13-19; 4,10. 34· 36-41; 6,1. 30-p; 6,48.

50.

p

7,17; 8,1. 10. 27; 9,2. 14· 28. 30.

33·

41; 10,10. 23. 27.

28-30. 32. 46.

p

II II.

14;

J4 J4.

17-25). Sie sind

zwar

ver

stockt, ihre Herzen sind zwar verhärtet, ihre Augen blind und

ihre Ohren taub, doch sie sind die Berufenen, die dem Herrn

folgen, wohin er auch immer geht. Erst bei seiner Passion ver

lassen auch sie ihn Mk 14,37·50.66-72). Vom Volk unter

scheidet sie, daß sie ständig mit ihm sind. Das Volk umdrängt

ihn, aber nur dann, wenn er kommt Mk 1,33·37·45;

2 1

f.;

3,7-9; 3,2o; 4,1; 5,21.31; 6,31.33f.55; 8,1).

Es

steht nicht

in ununterbrochener Gemeinschaft mit ihm, und der Andrang

des Volkes ebbt von der ersten Leidensverkündigung

an

ab.

Auch die Gegner Jesu unterliegen der Verstockung Mk 3,5).

Sie kennen überhaupt keine Gemeinschaft mit Jesus. Die fünf

polemischen Szenen Mk 2,1-3,6) zeigen Pharisäer, Schriftge

lehrte, Herodianer von Anfang an als entschiedene Gegner

122

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Jesu, die schon während

des

Galiläazyklus den Todesbeschluß

fassen (Mk 3,6). Die Jünger aber sind als die, die er selbst

wollte, gerufen und zu ihm gekommen.

Er hat

sie geschaffen

(Mk 3,14 btot Y]crfv), damit sie (Mk 3,14 Lva) mit ihm seien

(Mk 3,14 fldaurou . Sie sind immer wieder mit ihm allein,

im Haus, für

sich;

sie sind drinnen und werden belehrt (vgl.

Mk

7,17-23 . Ihre Verstockung verwehrt

zwar

den Jüngern

das Verständnis der Worte und Taten Jesu. Aber ihr Aushar-

ren in seiner Gemeinschaft läßt sie

sich

zumindest der unver-

standenen Einzelbei ten erinnern. Weil sie bei ihm bleiben,

können sie Jesus Antwort geben, wenn er nach der Zahl der

Körbe frägt (Mk 8,r9f.)

27

• Was sie nicht verstehen, ist der

verborgene Sinn.

Es

gelingt ihnen nicht, die Einzelheiten in

eine Kontinuität zu bringen, weil ihr Geheimnis ihren blinden

Augen verschlossen geblieben ist, und ihre Ansprache von

ihren tauben Ohren nicht vernommen wurde. Für sie sind

es

unverbundene Einzelheiten; die alleinige Kontinuität zwi-

schen beiden Ereignissen liegt darin, daß sie Jesus weiter ge-

folgt sind. V erstehen hieße, das, was das Ausharren

und

die

blinde Gemeinschaft mit Jesus an Ereignissen hintereinander

reiht, zusammensehen zu können, so daß sich die einzelnen

Perlen an einer Kette aufreihen ließen und ihre Verbindung

untereinander sichtbar würde. Verstehendes Erinnern wäre in

der Lage, die geheime Linie, den unsichtbaren Bogen zu erken-

nen, die Ereignis an Ereignis fügt. Zu diesem Erinnern sind die

Jünger nicht fähig. Aber sie bewahren die Einzelheiten. Die

Gemeinschaft der Jünger mit Jesus erlebt wenigstens die

bruta

factaund

bewahrt sie stumpf in der Erinnerung. Die Gemein-

samkeit

des

Volkes mit Jesus führt die Zeugenschaft seines

Wortes und Werkes immer

nur

von Fall zu Fall herbei. Die

Gegner verschließen ihre Augen gegenüber dem, was Jesus

tut

und ihre Ohren absichtlich gegenüber dem, was er sagt.

Darum

kann

man die Warnung Jesu vor dem Sauerteig der Pharisäer

27

Man beachte, wie in der Frage Jesu die beiden verschiedenen Worte für

Korb

x o q n v o ~ Mk 8,19

=

Mk

6,43

o n u e t ~

Mk

8,zo

=

Mk 8,8), worin

auch die beiden Speisungsgeschichten

sich

unterscheiden, sowie die ver-

schiedenen Zahlenangaben ausdrücklich aufgenommen werden.

123

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und des Herodes Mk 8,15) als eine Warnung an die Jünger

verstehen, wenigstens die unverstandene Reihenfolge der mit

J

esus

erlebten Ereignisse und Worte nicht

zu

unterbrechen.

Der

Gegner steht außerhalb jeglicher Kontinuität und sei es

auch einerunerleuchteten

und

uneingesehenen.

Die Stelle

kann

uns verstehen lassen, wie Markus seine eigene

Arbeit als Evangelienschreiber auffaßt:

Er

fügt auch Ereig-

nisse bzw. deren sprachliche Schatten,

und

Worte bzw. deren

Echo hintereinander.

Er

ist sich, wie das Beispiel der Jünger

von Mk 8,19 f. zeigt, bewußt,

daß

es eine Art der Aneinander-

reihung gibt, die der Kontinuität der Ereignisse untereinander

nicht einsichtig wird,

daß

es eine Erinnerung der Einzelheiten

gibt, der es nicht gelingt, zugleich verstehende Erinnerung zu

sein. Andererseits ist er, wie die Frage Jesu von Mk 8,18.21

beweist Mk 8 18 ou flV1 JflOVEVETlo; Mk 8,21

oü:rcw

O UVLETE), der

Überzeugung, daß es der Erinnerung, wie sie die Frage Jesu

voraussetzt, gerade gelingen müßte, die Einzelheiten aus ihrer

Vereinzelung zu lösen, indem sie das einsieht, was die Einzel-

heiten zu einem Ganzen zusammenfügt. Nach der Meinung

des Evangelisten gehört dazu eine soziologische Kontinuität

des Ausbarrens bei Jesus, selbst wenn

sie

zuerst stumpf und

blind bleibt. Doch zeigt sein Evangelium auch das Scheitern

dieser Kontinuität: In der Flucht der Jünger in der Passion

Jesu Mk J4,rof.JO.J7·5o-p.66-72 . Andererseits ist er aber

auch der Überzeugung, daß sein Geschäft, nämlich die Anein-

anderfügung von Traditionen,

sich

im rein Technischen nicht

erschöpft, sondern daß es ihm gelingt, sie in den ihre Verbin-

dung sichtbar machenden Rahmen einzufügen.

Er

ist über-

zeugt,

daß

ihm die verstehende Erinnerung gegeben ist.

Darum

muß er trotz der Unterbrechung durch die Flucht der Jünger

an eine fortbestehende oder wiederaufgenommene Kontinui-

tät der Gemeinschaft mit Jesus glauben. Er beansprucht die

von J

esus

gemeinte, verstehende Erinnerung zu haben, die die

Jünger noch nicht besitzen.

Er

behauptet

zu

verstehen, was die

Jünger nicht verstanden haben. Was

hätten

sie ȟber den Bro-

ten« verstehen sollen? Mk 6,

p

8,r9 f.).

124

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Das Geheimnis der Brotwunder

Die Darstellung des Markus betont, daß die Speisungsgeschich-

ten ein Geheimnis haben, das sich den Jüngern nicht erschließt.

Das

Geheimnis ist da zu suchen, wo Markus innerhalb der

Speisungsgeschichten redaktionell gestaltet hat. Wir hatten ge-

sehen, wie gerade das Hirtenmotiv von Mk 6 auf seine Re-

daktion zurückgeht. Jesus erweist sich in Lehre und Speisung

als eschatologischer Hirte seines Volkes.

Dort

wird man das

Geheimnis, daß die Jünger nicht verstehen, suchen müssen.

Aufgabe des eschatologischen

Hirten

ist

es

die >>versprengten

Schafe Jahwes<< aus ihrer Versprengung in die eschatologische

Herde zu sammeln

28

• Nach Hes 34 1 r-r6 ist Jahwe selber es

der die Schafe zur

Herde

zusammenführen wird

29

• So soll in

Mk 6 JI-44 davon gesprochen werden, wie

Gott

in Jesu Wort

und Werk sich als der eschatologische Hirte seiner verspreng-

ten Schafe erweisen will. Auf markinische Redaktion geht aber

auch zurück,

daß

Jesus das Volk lehrte Mk 6,34). Die Lehre

Jesu ist nach Markus sein Lehren in Gleichnissen:

>>Ohne

Gleichnis sprach er nicht zu ihnen« Mk 4,34). Die Gleichnis-

rede Jesu aber

hat

verstockenden Charakter Mk 4,11 f.).

Wenn sich darum der Jesus der Speisungsgeschichte von

Mk

6

als

Hirte

des hirtenlosen Volkes in Lehre und Speisung erwei-

sen will, ist zu erwarten,

daß

das Volk ihn nicht als den escha-

tologischen Hirten anerkennen wird. In der eschatologischen

Verhärtung verweigert es sich dem Hirten.

Mk 8 r7f.

zählt

auch die Jünger zu denen, die von dieser Verhärtung

erfaßt

werden. Wenn man danach fragt, was die Jünger hätten er-

kennen sollen, ist >>die Beziehung des Nichtverstehens der Jün

ger auf die Tatsache der Messianität Jesu zu einseitig«

30

Die

Meinung,

>>die

Jünger

...

sollten nach dem wiederholt erlebten

Speisungswunder wissen, daß Jesus ihnen allezeit wahres Brot

gibt<<

31

, geht an der Aussageabsicht

des

Markus vorbei.

Dem

28

Vgl. »alle die Städte« Mk

6,33

mit Hes

34,12.

2

9 Vgl.

Nm

27,17; 1 Kön 22,17.

3

f

Roloff Das Kerygma und der irdische Jesus, Göttingen 1970, 249

31

M

Dibelius

Die Formgeschichte des Evangeliums, Tübingen

5

1966, 230

25

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Verständnis näher steht Schniewind: »Die

Jünger

haben noch

nicht begriffen, wer Jesus ist, nämlich der Gottessohn, der alles

vermag«

32

,

auch wenn die kategoriale Ausdrucksweise der

Redeweise von Mk 6 nicht ganz gerecht wird.

Es genügt nicht »über den Broten« Jesus als Messias zu er

kennen, vielmehr hätten sich die

Jünger auf

die

Dynamik

des

Geschehens einlassen müssen;

über

den Broten hätten sie ver

stehen sollen,

daß

in Wort und

Werk

Jesu Gottes eschatologi

sches

Hirtensein begann,

daß

in Wort und

Werk

Jesu Gott da

bei war, seine endzeitliche Herrschaft zu errichten. Aber weder

das Volk noch die Jünger dringen

zum

Verständnis vor. Sie

bleiben verhärtet. Wie der Gleichnisrede Jesu vor dem Volke

die Auslegung im geheimen Jüngerkreis folgt

Mk

4,10.34),

folgt auch der Speisung ein Geschehen, das

nur den Jüngern

gilt. Die Selbstoffenbarung Jesu in dem

yw

LflL des Seewan

dels

Mk

6,50) sollte die geheime Einweisung der Jünger in das

ihnen verschlossen gebliebene Geschehen der Speisung sein. Das

zeigt sich besonders daran,

daß

Markus

die Epiphaniege

schichte seiner Vorlage

mit

Elementen des Auf-die-Jünger

zugehens auffüllt. Jesu Werk soll als für sie getan aufgewiesen

werden. Aber auch die geheime Unterweisung des Seewandels

führt nur zu unverständigem Schrecken Mk 6,51). So schließt

Mk

6,52 Speisung und Seewandel im Unverständnis zusam

men.

Zu fragen bleibt, ob die zweite Speisung

Mk

8,1-10) die

Jün-

ger etwas anderes erkennen lassen sollte als die erste. So meint

etwa Friedrich: »Es ist

kaum

anzunehmen,

daß

er Markus)

sich einfach wiederholt und zweimal dasselbe schreibt.

Mit

Recht

wird man

vermuten dürfen,

daß er

mit jeder Geschichte

etwas anderes zum Ausdruck bringen will«

33

• »In Mk 8 han

delt

es

sich

nur

um eine zeitliche Speisung

Hungernder,

in Mk 6

dagegen

um

das eschatologische Mahl, für das die Fülle charak

teristisch ist«

34

Dagegen spricht,

daß

die Fragen Jesu in Mk

8

32

] Schniewind

Markusevangelium, 89

33

G.

Friedrich

Die beiden Erzählungen von der Speisung in Mk

6,31-44;

8,1-9, in: Theologische Zeitschrift

2 1964), 10

34

G.

Friedrich ebd., 21

126

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17-21

beide Speisungen zusammenschließen. Man achte nur

auf

den völlig parallelen Aufbau der Fragen. Markus berichtet

von zwei Speisungen, weil er sagen will: Alle Worte und

Werke Jesu sind von einer Absicht her zu verstehen. Durch sie

soll die Königsherrschaft Gottes aufgerichtet werden. Die

Zweizahl der Speisungen macht ebenso deutlich, daß die

Stumpfheit und Blindheit selbst der Jünger auch durch eine

Häufung

von eschatologischen Taten des irdischen Jesus nicht

zu überwinden ist. Gerade Letzteres wird im Mißverständnis

des Wortes Jesu vom Sauerteig Mk 8,14-16) noch einmal be

sonders deutlich, wiederholt

sich

doch geradezu zum dritten

Mal anläßlich der Brote ihr Unverständnis für das, was in

Jesus in ihre Welt hineinragt.

Die Speisungen dürfen nicht voneinander isoliert werden. Sie

werden verständlich aus ihrem redaktionellen Zusammenhang

untereinander, der von Mk 8,14-21 her gesehen werden muß.

ann

nämlich

läßt

sich erkennen, wie sie vom Unverständnis

der Jünger her gelesen werden müssen, und innerhalb

des

Markusevangeliums ein neues Beispiel für die Fremdheit Jesu

und der Herrschaft Gottes in der Welt sind und ebenso wie die

Gleichnisreden Jesu zeigen, daß angesichts seines Werkes und

Wortes

sich

alle, einschließlich seiner Jünger, in der von Jesaja

vorausverkündeten eschatologischen Verstocktheit

und

Ver

härtung der Herzen befangen erweisen.

Die Öffnung der Augen

er

die beiden Speisungen zusammenschließende Abschnitt

Mk 8,14-21

ist zugleich ein wichtiger Wendepunkt innerhalb

des Markusevangeliums.

s

folgt die Geschichte einer Blinden

heilung Mk 8,22-26). Markus

hat

diese Perikope wohl mit

Bedacht gerade an diese Stelle gefügt.

Er

will dadurch nämlich

sagen, daß, wo alle Augen blind sind und alle Ohren taub Mk

8,1 8), nur ein Wunder die Augen zu öffnen vermag. Das Wun

der

darf

aber nicht bloß vor den Augen geschehen,

es

muß sich

an

ihnen selber vollziehen. Aus der eschatologischen Blindheit

127

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können die Jünger

nur

durch eine Tat Gottes befreit werden.

Darum darf

in der Blindenheilung ein »Zeichen« gesehen wer-

den »für das, was den Jüngern widerfahren muß«

35

• Aller-

dings bleibt zu fragen, wo und wann das den Jüngern wider-

fahren wird. Die Ansicht von

J Weiß daß

»Unser Bericht ein

Präludium

auf

den folgenden Abschnitt (ist), in dem den bis-

her blinden und verstockten Jüngern für das Geheimnis des

Todes Jesu die Augen geöffnet werden«, scheint nicht richtig

zu

sein

36

Sicherlich beginnt in der Darstellung des Markus nun

der Rückzug Jesu auf die Jüngerbelehrung; das Volk tritt

merklich zurück,

und

während man vorher immer wieder den

Wechsel von Lehre in Gleichnissen

vor

dem Volk und privater

Auslegung

vor

den Jüngern feststellen konnte, spricht Jesus

nun »frei heraus das Wort« zu den Jüngern (Mk 8,32). Auch

der Inhalt der Lehre ist ein anderer geworden, er besteht nicht

mehr in

>>Vielem«

(Mk

4,2),

sondern nur noch in dem Einen:

»Der Menschensohn muß

vielleiden und

verworfen werden

von den A..ltesten Hohenpriestern

und

Schriftgelehrten und

getötet werden und nach drei Tagen auferstehen« (Mk 8 3 r).

Doch

so

wie die private Auslegung der Gleichnisse

und

die pri-

vate Erschließung des Geheimnisses der Speisung durch den

Seewandel die Jünger nicht aus der Verhärtung der Herzen

und

dem Unverständnis herauszuführen vermochten, bleibt

auch die Jüngerbelehrung des nun folgenden Abschnittes ohne

Erfolg.

Man darf die Blindenheilung nicht als Vorzeichen für das se-

hen, was im Petrusbekenntnis oder der Verklärung auf dem

Berg folgt. Vielmehr ,ist

sie

als Hinweis darauf zu verstehen,

daß es dem Menschen unmöglich ist der eschatologischen Ver-

härtung zu entrinnen wenn nicht

ott

selber durch ein völlig

neues eschatologisches Handeln ihn daraus befreit. Markus

will darum den folgenden Abschnitt seines Evangeliums nicht

als Versuch Jesu verstanden wissen, die unverständigen

Jün

35

W. Grundmann

Das Evangelium nach Markus, Berlin

3

1968, 65

= Theologischer Handkommentar zum Neuen Testament). Vgl. E

Schweizer Markusevangelium, 91

38

f Weiß Das Markusevangelium, Göttingen

3

1917, 145 (= SNT I)

28

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ger doch noch zu Verständnis und Einsicht zu führen. Viel

mehr soll er zeigen, daß auch der Weg Jesu zum Kreuz sich

dem Verständnis der Jünger entzieht, ja ihre Verhärtung bis

zum letzten offenbar werden läßt.

>>War es

vorher die Bot

schaft und Vollmacht Jesu,

so

ist es nunmehr sein Weg als der

des leidenden Menschensohnes, der sich den Jüngern ver

schließt«

37

Hier sei

nur darauf hingewiesen, wie jeder der

drei Leidensankündigungen des Markusevangeliums eine Peri

kope folgt, die von einem V erhalten der Jünger spricht, das

der Niedrigkeit des Leidens und Kreuzes entgegengesetzt ist.

Auf Mk

8,31

folgt in

Mk

8,32f.

der Vorwurf Petri, auf

Mk

9,3 folgt in Mk 9.32 die ausdrückliche Bemerkung sie aber

verstanden das Wort nicht und fürchteten sich, ihn zu fragen«,

und auch ihr Verhalten in der anschließenden Perikope zeigt

im Rangstreit der Jünger ihr völliges Unverständnis Mk 8,

33 3 5

.

Die dritte und letzte Leidensankündigung Mk ro,

33

f.) schließlich wird gefolgt von der Bitte der Zebedäussöhne

zur

Rechten und Linken seines Thrones sitzen zu dürfen Mk

10,35-45). Jesus bleibt auch in diesem Abschnitt der den Jün

gern Fremde und Unverständliche, sie begreifen nichts, auch

nicht seine offene Rede, und zeigen sich

so

als die in ihrer V er

ständnislosigkeit unweigerlich Gefangenen.

Vielleicht soll die Blindenheilung in Jericho, die der dritten

Leidensweissagung folgt und zu den Ereignissen in J erusalem

und zu Jesu Passion überleitet, für diesen Abschnitt des Mar

kusevangeliums eine ähnliche Funktion erfüllen, wie

es

die

Blindenheilung von Mk

8,22-26

für den vorigen Abschnitt tut.

Die Blindheit des Menschen für das sich in J esus ereignende

Eschaton kann

nur

durch eine neuerliche eschatologische Tat

Gottes überwunden werden. >>Am historischen Jesus ist für den

Menschen nicht ablesbar, was hier wirklich geschieht;

nur

das

Wunder des lebendigen Gottes kann blinde Augen dafür öff

nen«

38

Die

Tat

Gottes, die den Jünger aus seiner Verhärtung befreien

soll und ihn zur Erkenntnis des in Jesus anwesenden Eschatons

37

] Roloff Das Kerygma und der irdische Jesus,

249

38 E. Schweizer Markusevangelium, 223

129

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führen soll, muß radikal sein. Es genügt nicht,

daß

den Jün

gern nach dem Tod ihres Meisters die Augen geöffnet werden.

Denn ihre Verstockung hat immer noch nicht ihren letzten

Höhepunkt erreicht; sie erreicht ihn erst

in

dem Augenblick,

wo die Jünger J esus verlassen und auch noch das aufgeben, was

sie

vom Volk und von den Gegnern Jesu unterschied: nämlich

die Gemeinschaft mit ]esus. So bleibt

aufseitender

Jünger gar

nichts mehr, was sie verstehend und sehend machen könnte.

Es bedarf eines radikalen Neueinsatzes durch Gott, daß die

Verstockung aufgehoben

und

verstehende Gemeinschaft be

gründet werde. »Die Verständnislosigkeit der Jünger begleitet

Jesus nach der markinischen Darstellung bis zum Kreuz, um

hier in der Verleugnung des Petrus und der Flucht der Jünger

ihre äußerste Klimax zu erreichen«

39

Kurz vor

dieser Klimax taucht dann noch einmal ein Motiv

auf, dem

wir

schon in der ersten Speisung begegneten (Mk 6

34).

Dort

zeigte sich in Jesu Lehre und Speisung, daß sich in

ihm

Gott

als der eschatologische

Hirte

seiner versprengten

Schafe annehmen wollte. Nach

Mk8 14-21

erfolgte eine Eng

führung vom Volk weg

auf

die Jünger, so daß an ihrem Un

verständnis gezeigt werden konnte, wie sich die versprengten

Schafe alle ohne Ausnahme dem in Jesus wirkenden Hirten

handeln Gottes widersetzten. Die das alttestamentliche Wort

aufnehmende Prophezeiung Jesu: »Ich will den

Hirten

schla

gen und die Schafe werden zerstreut werden« (Zach 13,7;

Mk

14,27)

auf

dem Weg vom Abendmahlsaal zum ölgarten zeigt,

daß

die Schafe sich der Sammlung widersetzten und Gottes

Hirtenhandeln einen neuen Weg gehen muß, um doch noch

seine Schafe zu sammeln. Es ist sicherlich kein Zufall, sondern

gestalterische Absicht, wenn diesem Wort dieAnsage Jesu folgt:

»Aber nach meiner Auferweckung will ich euch vorangehen

nach Galiläa (Mk 14,28)«

4

o.

39

]

Roloff

Das Kerygma

und

der irdische Jesus,

249

40

Das 3t(louynv ist in diesem Fall sicherlich intransitiv

zu

verstehen.

Andernfalls ergäbe sich wenn man Mk r6,7 vergleicht, ein unmöglicher

Sinn. »Ich führe euch voraus nach Galiläa ?«

Daß es

sowohl in zeitlichem

wie örtlichem Sinn gebraucht werden kann (vgl. E

Schweizer

Markus

evangelium, 177), ergibt in keinem Fall für unsere Stelle einen Bedeu-

130

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Jesu Vorangehen nach Jerusalem hatte nur fürchtende Nach-

folge der Jünger bewirkt (Mk IO,J2). Sie ließ den nicht er-

kennen, der ihnen da voranging,

ja sie

endete in

der

über-

stürzten Flucht der Jünger. Der eschatologische Hirte Gottes

war nicht verstanden worden, als er der Herde vorangehend

sie sammeln wollte. Aber

mit

der Zerschlagung der

Herde

ist

sein Hirtesein nicht

zu

Ende, denn Gottes eschatologische Tat

führt ihn durch sein Todesschicksal in die Auferweckung,

und

so kann

er in neuer Weise seiner

Herde

als

Hirte

vorangehen,

die ihn jetzt nicht mehr verständnislos begleitet (Mk

IO,J2),

sondern sehend in seine Nachfolge eintreten

kann

(Mk 16,7).

Jesus aber verheißt die neue Sammlung der Herde aus der

Zerstreuung in die Nachfolge.

Und

erst

sie

wird wahrhafte

Einheit in wahrhafter Nachfolge ermöglichen«

41

Die t:Hfnung der Augen

und

Ohren zum Erkennen

von

Gottes

Handeln und

die wirksame Aufhebung der endzeitliehen Ver-

stockung verkündet das Markusevangelium als durch die

Auf-

erweckung Jesu

von

den Toten durch

Gott

bewirkt. Kirche ist

nach dem Markusevangelium darum die Gemeinschaft derer,

die sich in der Nachfolge

des

auferweckten, von

Gott

bestell-

ten endzeitliehen

Hirten

Jesus befinden. Ihnen ist es möglich,

ihn frei von aller Blindheit zu sehen

und

im Licht seiner

Auf-

erweckung die Worte und Werke des irdischen Jesus frei von

aller Verstockung

zu

verstehen. So gibt die Auferweckung Jesu

erst den Blick frei zum Verständnis seiner Person, seines irdi-

schen Wirkens

und Redensund

bewirkt,

daß

den ihm Nach-

folgenden das Geheimnis

des

Gottesreiches« übergeben ist.

Das Leiden Jesu selbst wird in großer Nüchternheit beschrie-

ben, wobei das Versagen der Menschen wiederum bis

in

den

engsten Jüngerkreis hinein besonders betont wird. Nicht mehr

der historische J esus, erst der auferstandene, von dem der

Engel kündet,

daß

er nicht mehr bei den Toten weile, wird

tungsunterschied, da örtliches und zeitliches Vorangehen hier zusammen-

fallen. Die Richtungsangabe L ~ 'tijV

rui.ti.utuv

(Mk 14,28; 16,7 jedoch

zeigt, daß es hier in örtlichem Sinn gebraucht wird. Wie Mk 10,32 beweist,

entspricht dem ngouyELV ein xoi.ou{}Etv. Vgl.

W. Bauer

Wörterbuch zum

Neuen Testament, Berlin

5

1963, 1392

4

E

Schweizer Markusevangelium, 177

IJI

Page 132: Schnider, Franz & Stenger, Werner - Johannes und die Synoptiker (Kösel, 1971, 182pp)

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durch sein Vorangehen nach Galiläa und die Aufforderung,

ihm nachzufolgen, die Jünger zum wirklichen Sehen führen«

42

Man

müßte

Schweizers

Satz dahingehend ergänzen, daß

es

sich

bei dem durch die Auferstehung ermöglichten »wirklichen

Sehen« nicht um das Sehen von irgend etwas geht, sondern

um

das Sehen« des irdischen Jesus.

Ein weiteres Problem gilt

es

noch kurz zu streifen.

Roloff

be-

merkt: »Die Verständnislosigkeit der Jünger begleitet Jesus

nach der markinischen Darstellung bis zum Kreuz ... wobei

Markus mit ihrer Herausarbeitung nur Linien verstärkt, die

ihm bereits von der Tradition vorgegeben waren«

43•

Das läßt

die Frage entstehen, ob Markus mit dem Jüngerunverständnis

eine sachgerechte Interpretation des Weges Jesu durchführt

oder aber etwas dem Weg Jesu Fremdes einträgt. Man kann

wohl noch gut erkennen, daß das Jüngerunverständnis wenig-

stens in der Konsequenz, wie

es

bei Markus eingesetzt wird,

literarische Konstruktion ist, ebenso wie die damit zusammen-

hängende Vorstellung von der totalen Verstockung. Bestimmt

hatte die Gleichnisrede Jesu nicht den Zweck, die totale Ver-

stockung herbeizuführen, wie sich noch gut an der von Markus

stehengelassenen Notiz seiner Gleichnisquelle in Mk 4,33 er-

kennen läßt, wonach die Gleichnisse Jesu der Verstehensart des

Volkes angepaßt sein sollen. Sicherlich hatten auch die Wun-

der Jesu nicht den Zweck zur Verstockung zu führen, wie bei

Markus die beiden Speisungen, sondern wurden von Jesus

-wie

Lk

u 2o Mt 12,28

Q)

beweist-

als Anzeichen der

hereinbrechenden Gottesherrschaft verstanden. Und sicher war

eine Nachfolge der Jünger bis Jerusalem nicht ohne ein wenig-

stens ansatzweise vorgreifendes Verständnis Jesu und dessen,

was er wollte, möglich. Aber insofern Jesus letztlich durch die

Kreuzigung doch abgelehnt wurde,

und

sein Jüngerkreis

sich

auflöste,

hat

Markus das theologische Recht, das Kreuz als die

Aufgipfelung des Widerstandes gegen Jesus zu interpretieren

und darin das sichtbarste Zeichen einer durch das Auftreten

Jesu herbeigeführten allgemeinen Verstockung zu sehen. ln-

42

E Schweizer ebd.,

223

43

J

Roloff

Das Kerygma und der irdische Jesus, 249

132

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sofern die Jünger letztlich doch von Jesus fliehen zeigt diese

Flucht für Markus daß auch

sie

unter die allgemeine Ver-

stockung fallen. o erklärt sich für ihn die unbegreifliche

Tat-

sache daß der den er

und

seine Gemeinde für den Messias

Israels halten mit seinem Wort und Werk nicht aufgenommen

wurde sondern von allen verlassen am Kreuz starb.

Darüber

hinaus gelingt

es

ihm begreiflich zu machen wie über den irdi-

schen Jesus hinaus das eschatologische Handeln Gottes in der

Auferweckung Jesu von den Toten einen neuen Anfang ma-

chen mußte. Für ihn war die Frage brennend:

Wieso bedurfte

s

des Todes

un

Auferweckungsschicksals ]esu?

Seine

nt-

wort lautet: Weil die versprengten Schafe Jahwes sich in ihrer

Verstockung dem Hirtenhandeln Gottes in Jesus zunächst ver-

sagten. Dabei stellt er sich nicht die hypothetische Frage was

denn eingetreten wäre wenn die Schafe ihren

Hirten

erkannt

hätten. Er geht von der für ihn feststehenden Heilsbedeutung

des Kreuzes und der Auferweckung Jesu aus. Was für ihn

zur

Frage wird ist die Bedeutsamkeit des irdischen Jesus. Dadurch

daß er ihn als den Unverstandenen der totalen Verstockung

begegnen läßt gelingt es ihm die für ihn in ihrer Bedeutung

ungefragte eschatologische Tat Gottes in Kreuz und Aufer-

weckung als den Erweis von Gottes Heilswillen durch allen

Widerstand der Menschen hindurch zu verstehen. Die

Tat-

sache daß die Verstockung nicht auf bösen Willen der Men-

schen sondern auf Gottes Willen selber wieder zurückgeführt

ist läßt erst recht die Ungeheuerlichkeit und Unerwartetheit

des göttlichen Handeins in der Sammlung der Schafe hervor-

treten.

Um

die Speisungsgeschichte des Markusevangeliums zu inter-

pretieren war es nötig sie innerhalb des Gesamtzusammen-

hangs des Markusevangeliums zu betrachten. Das aber ist ein

Zeichen dafür zu welcher Dichte und Geschlossenheit Markus

die ihm überkommenen Traditionen innerhalb des Rahmens

seines Evangeliums zu vereinen wußte.

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5 Speisung

und

Seewandel M

atthäus -

Verständnis

und

Kleinglaube der Jünger

Matthäus

folgt im großen und ganzen der Markusakoluthie.

Auch er berichtet von zwei Speisungen, vom Seewandel, vom

Gespräch über Rein und Unrein, von der Syrophönizierin, von

dem

Wort

vom Sauerteig. Statt der Taubstummenheilung Mk

7,3 r-37) bringt er einen Sammelbericht über viele Heilungen

Mt r 5,29-31); in den Seewandel fügt er die Petrusperikope

ein Mt

r4,28-3r),

und die Blindenheilung von Mk

8,22-26

läßt

er weg.

Der

Absatz

Mk

8,q-2r

erwies sich als Ansatz

punkt

zum Verständnis der .beiden Speisungsgeschichten

des

Markusevangeliums. Diese zeigten sich nach markinischem

Verständnis weniger als W undergeschichten, denn als Jünger

geschichten. Matthäus übernimmt den Stoff von Markus, aber

er ändert in bezeichnender Weise. Gerade in der Parallele zu

Mk 8,q-2r wird dies sichtbar: BeiMarkus schließt die Peri

kope

mit

der das völlige Unverständnis der Jünger offen

barenden Frage Jesu: »Versteht ihr immer noch nicht?« Bei

Matthäus verstehen die Jünger, was mit dem Bildwort Jesu

vom Sauerteig der Pharisäer gemeint ist Mt r6,12). Die

Jün

ger wissen: Jesus will sie vor der Lehre der Pharisäer und

Sadduzäer mit dem ein wenig dunklen Wort vom Sauerteig

warnen. Was mit der »Lehre der Pharisäer

und

Sadduzäer«

inhaltlich gemeint ist, kann nicht mit letzter Sicherheit gesagt

werden. Die Warnung

vor

der pharisäischen Lehre stößt sich

ein wenig

mit

Mt

23,1-3,

wo Jesus dazu auffordert, dem, was

die Pharisäer

und

Schriftgelehrten sagen, zu folgen, nicht je

doch auch ihren Handlungen nachzueifern. Am ehesten wird

die Vermutung zutreffen, daß der Christ der matthäisehen

Gemeinden durch das Sauerteiglogion

vor

einem inhumanen

und heuchlerischen Legalismus gewarnt sein soll, als den Mat

thäus die

Haltung

der Pharisäer charakterisiert. Es ist eine

Haltung, die den Willen Gottes verkennt, der aus dem Schrift

wort Hos

6,6, das Matthäus zweimal gebraucht, spricht: »Er

barmen will ich und nicht Opfer« Mt 9,13; 12,7; vgl. Mt 23).

Die »Lehre der Pharisäer und Sadduzäer« ist der Lehre Jesu

34

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entgegengesetzt, wie sie sich vor allem in der Bergpredigt Mt

5-7)

findet. Die Gerechtigkeit des Jüngers soll nach Matthäus

die Gerechtigkeit der Pharisäer

und

Schriftgelehrten über-

treffen

Mt

5,20 ). Teil dieser größeren Gerechtigkeit aber ist

es, nicht besorgt zu sein darum, was man essen und trinken

soll (Mt 6,25). Das ist vielmehr das Trachten

des

Heiden (Mt

6,p).

Der

Jünger Jesu

hat

zuerst nach dem Reich Gottes zu

suchen und nach seiner Gerechtigkeit (Mt

6,33).

Dabei ist er

der Sorge um das Brot deshalb enthoben, weil Jesus bei ihm

ist. Die Sorge der Jünger darüber,

daß

sie kein Brot mitge-

nommen haben,

wird

zu einem Beweis ihres schwachen Glau-

bens

oA.ty6maToL

Mt 16,8 diff

Mk

8,17). Da

sie

sich doch in

Gemeinschaft mit Jesus befinden, ist ihre Sorge

um

das Brot

überflüssig geworden; denn durch die beiden Speisungen Mt

16,9

f.

hätten

sie

erkennen müssen,

daß

der, der bei ihnen ist,

auch im Stande ist, Brot im

überfluß

zu gewähren.

So sind in der matthäisehen Perspektive die beiden Speisungen

nicht mehr die von den Jüngern unverstandenen Rätsel, son-

dern sollen ihnen Mahnung sein, von ihrem Kleinglauben zu

lassen, weil dieser Kleinglaube die Macht Jesu verkennt, der

mit ihnen ist. Das Wort Jesu vom Sauerteig ist nicht mehr das

verstockende Rätselwort, sondern wird von den Jüngern als

eine Warnung Jesu verstanden, sich

von

der Lehre der Phari-

säer nicht anstecken zu lassen. Matthäus tilgt das Motiv vom

Unverständnis der Jünger; er spricht statt dessen von ihrem

kleinen Glauben, der ihr Verständnis jedoch nicht ausschließt.

Darauf weist sicher auch hin, daß Matthäus das die Ver-

stockung der Jünger beschreibende Jesajazitat ausläßt. Nach

Matthäus gilt dieses nicht den Jüngern, sondern nur dem Volk

(Mt 13,13 ff.).

Noch klarer

tritt

diese Tendenz des Matthäus in der Geschichte

vom

eewandel

zu Tage. Dort tilgt er das Motiv des Jünger-

unverständnisses

und

der Herzensverhärtung der Jünger von

Mk 6,52 völlig. Die Epiphanie des auf den Wassern wandeln-

den Jesus löst nicht unverständigen Schrecken der Jünger aus,

sondern offene Anbetung, die sich in dem Bekenntnis aus-

drückt: »Wahrhaft, Gottes Sohn bist du « (Mt 14,33) Dennoch

135

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findet sich auch hier neben dem Bekenntnis und der Anbetung

die Erwähnung des kleinen Glaubens. Die Einfügung der Epi

sode um Petrus, der auf das Geheiß Jesu hin das Boot verläßt,

soll das sichtbar werden lassen (Mt 14,28-3 1). In dem Augen

blick, wo Petrus sich zu fürchten beginnt,

droht er

in den Was

sern zu versinken, und

es

bleibt ihm nur das Gebet an Jesus:

»Herr, rette mich « Mt 14>30 . Die Jünger sind bei Matthäus

nicht wie

beiMarkusdie

Jesus gegenüber völlig Unverständi

gen, sondern ihr Verhältnis

zu

ihm ist geprägt durch das er-

kennende und verstehende Bekenntnis das

si h

in Widerstreit

befindet

mit

ihrem Kleinglauben

der

nur

auf

die eigene

Not

schaut und nicht auf den, der bei ihnen ist.

Das trifft bei Matthäus auch sonst zu.

Er

unterdrückt das mar-

kinische Motiv des Jüngerunverständnisses. Was

ihn dazu

führt,

mag

aus

Mt

14,33 ersichtlich werden.

Dort

spricht er

nicht von den Jüngern, sondern formuliert: »die im Schiff«.

Dahinter verbirgt

sich

für Matthäus das Bild

der

Kirche.

In

ihr

wird

J esus angebetet als der Sohn Gottes.

Er

ist immer bei

ihr

(Mt 28,zo), aber in ihr ist auch die Gefahr des Kleinglau

bens immer wieder drohend Mt 6,30; 8,z6; 14,31; 16,8; 17,

20.). Es ist ein zu schwacher Glaube, »der in Sturm (8,26; 14,

31) und Sorge (6,3o; 16,8) erlahmt und damit sich als Schein

glaube erweist (17,20), der dem Ansturm dämonischer Ge

walten nicht gewachsen ist«

44

• Matthäus versucht

damit

dem

Jüngerbild seiner Markusvorlage gerecht

zu

werden und

es

ge

lingt ihm, seiner Gemeinde im Bild der Jünger Mut zu machen.

Denn Kleinglaube, mangelnde Zuversicht

und

mangelnde

Realisation dessen, daß der geglaubte Herr bei ihr sei, gehört

ebenso

zu

den Erfahrungen der nachösterlichen Gemeinde wie

ihr christologisches Bekenntnis. Im Bild der christologisch recht

bekennenden aber kleingläubigen Jünger

kann

sich

die Ge

meinde des Matthäus wiedererkennen. So kann ihr die Mah-

nung des Herrn, vom Kleinglauben zu lassen und an seine

Gegenwärtigkeit zu glauben, gelten.

G. Bornkamm Die Sturmstillung im Matthäus-Evangelium, in: G. Born-

kamm

G.

Barth H ] Held

Oberlieferung

und

Auslegung im Matthäus

evangelium, Neukirchen

6

1970, 52 = WMANT r)

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Matthäus kann

so seine Gemeinde ansprechen.

Aber

er kann

dadurch auch innerhalb des Aufriß seines Evangeliums be

greiflich machen, wieso es dazu kommen konnte, daß die

Jün

ger den Herrn in seiner Passion verließen

Mt

26,56). Einmal

sind die Jünger das Bild der matthäisehen Kirche,

und

ihre

Worte

haben den Klang urchristlicher Gebets- und Bekenntnis

sprache

Mt

J4,28.3o.J3). Zum anderen aber macht ihr Klein

glaube

und

ihre Furcht innerhalb des Aufrisses des Matthäus

evangeliums verständlich, warum sie ihren Herrn schließlich

doch verlassen.

Hat

die

von

Matthäus veränderte Sicht der Jünger auch in sein

Verständnis der peisungsgeschichten eingewirkt? Läßt

sich

das in deren Redaktion durch Matthäus noch erkennen?

Mar

kus

hatte

die erste Speisung

an

den Zusammenhang angeschlos

sen, indem er das

Motiv

der geheimen Jüngerbelehrung be

nutzte. Die Jünger kehren von ihrer Aussendung zurück und

Jesus nimmt sie von der Menge weg an einen einsamen

Ort,

und

dort

werden sie

zu

Zeugen der Speisung (Mk 6,30-31).

Matthäus

hat diesen Zug getilgt. Von einer Rückkehr der

Jün

ger berichtet er hier nicht, sondern motiviert den Rückzug Jesu

an den einsamen Ort der ersten Speisung dadurch, daß er

Jesus von der Hinrichtung des Johannes des Täufers hören

läßt- Jünger des Johannes berichten es ihm

Mt

14,12)- und

vor

der von Herodes auch für ihn ausgehenden Bedrohung an

einen einsamen Ort entweichen läßt

Mt

J4,13). Dieses Motiv

begegnet bei Matthäus häufiger: Jesus

erfährt von

einer Ge

fahr, die ihm droht und entzieht sich ihr durch den Rückzug.

Schon

in

der Kindheitsgeschichte flieht auf Geheiß des Engels

Josef mit dem Kind

und

seiner

Mutter

nach Kgypten und

bleibt dort bis zum Tode des Herodes des Großen (Mt 2,13

bis

5

). ,

Auf die Nachricht von der Gefangennahme des Johannes des

Täufers zieht

sich

Jesus nach Galiläa zurück

Mt

4,12).

Mt

12,

14-21 erfährt Jesus,

daß

die Pharisäer beratschlagten, wie sie

ihn vernichten könnten (vgl. Mk 3,6 )

und

zieht fort. Die

Warnung der Jünger

an

Jesus, die Pharisäer hätten an seiner

Rede über Rein und Unrein Anstoß genommen (Mt 15,12) ist

137

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matthäisehe Einfügung in die Markusakoluthie von

Mk

7,I

bis 2-,

45

• Nachdem der Markusstoff in Mt I5 ,20 zu Ende ge-

bracht ist, berichtet

Mt 5 2I von einem Rückzug Jesu in die

Gegend von Tyrus und Sidon.

Das häufige Vorkommen erlaubt uns von einem Motiv zu

sprechen.

Im

einzelnen zeigen

sich

folgende feststehende Merk-

male:

I. An allen Stellen verwendet Matthäus

zur

Bezeichnung des

Rückzugs Jesu das gleiche

Wort:

va)(WQEW

2. An allen Stellen

wird

ausdrücklich betont, daß Jesus (in

Mt 2,I4 Josef) von der Gefahr, die ihm droht, hört.

3. An drei dieser Stellen findet

sich

der Rückzug durch ein

nachfolgendes alttestamentliches

Zitat

begründet

Mt

2, r 5;

4,r4f.;

r2,r7f.). In Mt

15,24 findet sich

statt

dessen im

Munde Jesu ein Hinweis

auf

seine Sendung.

4· In

Mt 12,15; 14,I3 f. folgt dem Rückzug Jesu jeweils ein

Sammelbericht über viele Heilungen, in

Mt

I 5 2I der Be-

richt über die Heilung der Tochter der Syrophönizierin.

Aus diesen Beobachtungen läßt

sich

folgern:

a) Der Rückzug Jesu aus drohender Gefahr ist bei

Mat-

thäus ein feststehendes Motiv.

b) Jesus erscheint durch dieses Motiv als einer, der um sei-

nen Weg weiß und ihn selber bestimmt. Er erliegt keiner

unbekannten Gefahr.

c Im freiwillig gewählten Rückzug Jesu sieht Matthäus

den Willen Gottes wirksam.

Gott

ermöglicht dadurch die

Verkündigung des Evangeliums (Mt 4,17). Gegen allen

Widerstand bewirkt Gott,

daß

sein Knecht den Völkern

das Recht verkündet Mt

4,1

8).

d) Diese durch Gottes Willen im Rückzug Jesu frei erge-

hende Evangeliumsverkündigung bringt den Menschen

Heilung und hilft ihnen in mannigfacher Not.

45

Zwar berichtet auch Markus von einer Reise Jesu ins Gebiet von Tyrus

(Mk 7,24), doch fehlt bei ihm der bei Matthäus als Begründung anzu-

sehende Zug,

daß

die

Jünger

Jesus vom Argernis der Pharisäer Nachricht

geben. Zudem

verwendet

Mk 7,24 das neutralere

Wort

nf]l.itcv.

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So

zeigt sich nach

Matthäus

im Rückzug Jesu, wie

Gott

dem

Evangelium gegen den Willen der Menschen den Weg bereitet.

Mt

10,23 kann Jesus dieses Verhalten zum Grundsatz auch

des das Evangelium verkündenden Jüngers machen:

>>Wenn

man euch nun in dieser

Stadt

verfolgt, dann flieht in eine

andere.« Als

>>Sitz

im Leben« für das Motiv vom Rückzug

Jesu wie für die entsprechende Mahnung

an

den Verkünder

des Evangeliums ist die konkrete Missionserfahrung

der

mat-

thäisehen Gemeinden anzunehmen. In

ihr

erfuhr man, daß das

Evangelium oft seinen Weg nur weiterziehen konnte,

wenn es

sich

vor

erhebendem Widerstand

und

vor

Verfolgung

in

die

>>nächste Stadt begab. Matthäus stellt das Motiv an die Stelle

des

von

Markus gebrauchten Motivs von der einsamen Jünger-

belehrung, so daß die folgende Speisangsgeschichte von ihm

her gelesen werden muß.

In der Konsequenz bringt das Motiv vom Rückzug J esu es

mit

sich,

daß

die Menge Jesus folgt Mt 14,13), ihm nicht zuvor-

läuft wie bei

Markus

Mk 6,32),

und

daß

sich das

Erbarmen

Jesu nicht in Lehre Mk 6,34)

und

Speisung zeigt wie bei Mar-

kus, sondern

in

einem Sammelbericht

von der

Heilung Vieler

Mt

14,14),

der

die heilende und helfende Wirkung des von

Jesus verkündeten Evangeliums sichtbar machen soll. Dadurch,

daß die Menge J esus folgt, und sein Erbarmen über sie sich in

Heilungen zeigt,

wird

aber auch ein anderes Motiv verdrängt,

das sich in der Markusfassung findet. Bei Markus wird das

Erbarmen

Jesu durch das nachfolgende

Hirtenmotiv

begrün-

det: »Weil sie wie Schafe

waren

ohne

Hirten

Mk

6

34). Des-

halb lehrte und speiste sie der sich ihrer erbarmende J esus, als

der, in dem Gottes eschatologisches

Hirtenhandeln

seine

Wirk-

samkeit zeigte.

Matthäus

hat das Motiv aus

der Markusvor-

lage

der

Speisangsgeschichte herausgenommen

und

in

einen

anderen Zusammenhang eingefügt.

Wir

begegnen ihm in Mt 9,

36. Dort steht es innerhalb eines Sammelberichtes,

der von

Jesu Evangeliumsverkündigung

in

allen Städten

und

Dörfern

berichtet, wobei er alle Krankheiten und Gebrechen heilt. Dar-

in

wird

sein Erbarmen über die Volksscharen sichtbar, die ge-

plagt

und verkommen sind, wie Schafe ohne Hirten. Matthäus

39

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verbindet das

Motiv

mit dem aus

der

Logienquelle stammen

den Spruch

von

der großen

Ernte und

den wenigen Arbeitern

und stellt

es

in dieser

Verbindung vor

die

Auswahl

der Zwölf,

die

mit

Heilungsmacht ausgestattet ausgesendet werden.

Zwar handelt

es sich der Stelle im Evangeliumsaufriß nach um

ihre Aussendung

zu

den verlorenen Schafen des Hauses Israel

Mt

10,5), doch

dürfen wir

vermuten, daß für Matthäus auch

hinter

dieser Aussendung schon das Werk der Kirche steht, zu

dem der Auferstandene seine

Jünger erneut

aussendet Mt 28,

16-zo).

Das Werk

der Jünger- nicht

mehr

wie bei Markus

Jesu

allein-

und

der Kirche ist die eschatologische Sammlung

der

Herde

Gottes.

Matthäus

hat

also das

Hirtenmotiv

zusam

men

mit

dem

Motiv

des »Erbarmens« der Speisungsgeschichte

nach Markus entnommen und

in

einen

anderen

Zusammen

hang

gestellt. Sollte

beiMarkusdas Motiv

in

Verbindung

mit

dem

Unverständnis der

Jünger

sichtbar machen,

daß

durch die

Verstockung aller Gott sein Hirtesein über sein Volk in einem

neuen eschatologischen

Handeln,

der

Auferweckung Jesu, zum

Ziele bringen mußte,

so

sind diese

Akzente

den Speisungs

geschichten nach

Matthäus

fremd.

Vielmehr

machen diese bei

ihm

die helfende und heilende Macht der Evangeliumsver

kündigung sichtbar

und

dienen

dazu, dem

Kleinglauben der

Jünger

ein sichtbares

und

wiederhohes und

darum

eindring

liches Zeichen

dafür zu

sein,

daß dann, wenn

Jesus in seiner

helfenden

und

heilenden Evangeliumsverkündigung

unter

ihnen ist, keine ängstliche Sorge

um

das

Brot,

kein furchtsamer

Kleinglaube am

Platz

ist.

Die

Speisungsgeschichten sollen

der

Gemeinde des Matthäus

eindringlich -

und

deshalb

behält er

die

Zweizahl

bei -

vor

Augen führen,

wer der

ist,

der

ihr verheißen hat, daß er alle

Tage bis zum

Ende

der

Welt

bei

ihr

sein

werde Mt

28,2o). Sie

sollen ihr, wie die Geschichte

von der

Sturmstillung

und

dem

sinkenden Petrus, den Grund zu Kleinglauben und Furcht

nehmen.

Die

Kirche soll das realisieren,

was

sie in ihrem Be

kenntnis

von

ihm sagt, und was er

ihr in der

Epiphanie des

Seewandels offenbart hat: »Ich

bin es

- fürchtet euch nicht«

und »Du

bist

wahrhaft

der

Sohn Gottes <<

Sie soll das nicht

nur

140

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erkennen und verstehen sondern soll es in ihrem konkreten

Lebensvollzug voll Vertrauen beherzigen. Sie soll glauben

daß

er in der Lage ist sein Volk zu heilen ihm Speise zu geben

und

es

aus dem Sturm zu erretten. So wie das Jüngerunver-

ständnis bei Markus

si h

als Schlüssel zum Verständnis

des

Komplexes der Speisungsgeschichten erwies

so

zeigte si h auch

die Veränderung gerade dieses Motivs in

Verstehen und Klein-

glauben

zugleich als Zugang zum Verständnis der matthäisehen

Speisungsgeschichten.

6

Brotvermehrung und Seewandel nach ]ohannes ]o 6,r-25

Die Tempelreinigung deutete

]ohannes,

indem er

ihr

ein Ge-

spräch folgen ließ. Das Gespräch erschloß dem Leser den Sinn

den die Handlung verbarg nämlich wie die Handlung nach

Meinung des Evangelisten zeichenhaften Charakter hatte und

von

si h

selbst weg auf das Geheimnis der Person Jesu verwies.

Bei der Heilung des Sohnes des Königlichen ließ si h erkennen

wie Johannes die ihm vorliegende Wundergeschichte durch

redaktionelle Einfügungen deutete. Diese hielten den Ablauf

der Geschichte auf und lenkten sie in die von Johannes ge-

wünschte Richtung. Johannes kannte diese Stoffe wohl aus

einer Quelle die den Synoptikern nahestehend dennoch auf

eigene

Art

die Stoffe erzählte. Die Handlungen Jesu in der

Vorlage werden bei Johannes zu »Zeichen« die geeignet sind

das Geheimnis der Person Jesu zu enthüllen. Das Zeichen der

Heilung läßt Jesus als das Leben und die Heilung für den

Menschen erkennen. Das Zeichen der Tempelreinigung zeigt

den gekreuzigten

und

auferstandenen Christus als den Zugang

des Menschen

zu

Gott. Darum

läßt

si h

für die johanneische

Fassung von Speisung und Seewandel fragen ob er auch hier

das äußere Geschehen als Zeichen versteht das auf die Person

Jesu hinweist und sein Geheimnis offenbart. Man wird darauf

achten müssen ob er auch hier wie bei der Heilung des Sohnes

des Königlichen durch Einfügungen redaktionell deutet oder

aber wie bei der Tempelreinigung ein Gespräch folgen

läßt

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das den in der Geschichte verborgenen Sinn enthüllt. Wieder-

um ist der Stoff mit dem der Synoptiker

verwandt

Die glei-

chen Ereignisse werden erzählt,

und

es fällt auf,

daß

wie bei

Markus der Speisungsgeschichte der Seewandel folgt. Geht die

Einheit von Speisung und Seewandel

auf

Markus zurück,

so

ist anzunehmen, daß die Vorlage des Johannes die Synoptiker

mindestens aus mündlichem Vortrag kannte. Daß wohl kaum

direkte literarische Abhängigkeit von Markus vorliegt, zeigen

die vielen Unterschiede. Vgl. Synoptische Übersicht

S.

90 f.;

104

f.).

Die

großen Wunder am

See

Vorlage des Johannes)

Wie sah die

Vorlage

es

fohannes

aus?

Man

sieht sofort, daß

die Redaktion hier nicht

so

auffallend gearbeitet hat wie in

der Geschichte von der Heilung des Sohnes des Königlichen.

Das mag daran liegen, daß die Deutung der Geschichte hier

wieder der Geschichte folgt wie bei der Tempelreinigung. An

Brotvermehrung und Seewandel schließt

sich

nämlich die

Brotrede Jesu an. Auch hier muß also

zur

Interpretation wie

schon bei Markus und Matthäus der Zusammenhang beachtet

werden.

Nach der heutigen Abfolge des Johannesevangeliums zieht

Jesus nach der Heilung des Sohnes des Königlichen

in

Kanal

Kapharnaum wiederum nach Jerusalem hinauf Jo 5,1), wo er

bis Jo 5,47 bleibt. Unvermittelt schließt sich

in

Jo

6 1

die Be-

merkung an, daß Jesus

sich

danach an das jenseitige Ufer des

galiläischen Meeres begibt.

Nun

ist es schlecht möglich, von

Jerusalem aus das »jenseitige Ufer« des Sees zu bestimmen,

denn »jenseitiges Ufer« ist nicht eine feststehende Ortsbezeich-

nung, womit etwa das heidnische

Ufer

des

Sees

bezeichnet

werden könnte, sondern eine geographische Angabe, die je-

weils von dem

Ort

aus gemeint ist, an dem

man sich

am

See

befindet.

Der

Anschluß beider Kapitel ist darum nicht nur

abrupt, sondern auch schlecht verständlich. ultmann macht

darauf aufmerksam, daß sich

Kapitel6

recht gut an

Kapitel4

anschließen ließe, wo man

sich

ja

auf

der einen Seite des

Sees

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in Kana, bzw. Kapharnaum befindet

46

• Ob daraus gefolgert

werden kann, daß in der ursprünglichen Reihenfolge des Jo-

hannesevangeliums Kapitel

6

auf Kapitel 4 sofort folgte

und

dann erst sich Kapitel 5 anschloß,

wird

nicht mehr auszu-

machen sein. Doch ist

daran zu

erinnern,

daß

in der Johannes

vorliegenden Quelle die Heilung des Sohnes des Königlichen

nach Kapharnaum lokalisiert werden muß nicht wie

jetzt

Kanal), und die Rückkehr von Speisung und Seewandel Jesus

wieder nach Kapharnaum bringt Jo

6,I7.59).

Man könnte

also annehmen,

daß

in der Quelle die beiden Wunder aufein-

anderfolgten, woran gesehen werden kann, daß die Quelle

zwar

synoptisches Material kannte, dieses jedoch mit einem

eigenen Rahmen umgab. Für Johannes dagegen ist

es

durchaus

möglich, Jesus in einem Vers von Jerusalem an das jenseitige

Ufer

des

Sees

zu versetzen, man vergleiche

nur

den ähnlichen

Vorgang in Jo 2 I 2 I 3 und Jo 4 54·

Für

die Brotvermehrungsgeschichte allein ist es nicht nötig,

eigens eine Seefahrt zum anderen

Ufer

zu erwähnen, wohl

aber für die der Brotvermehrung folgendeSeewandelperikope.

Das ist ein Zeichen dafür,

daß

schon die Quelle des Johannes

Seewandel

und

Brotvermehrung aneinanderschloß, so wie wir

es aus der Markustradition kennen. Die Ortsangabe

wird dar-

um

schon Teil der Vorlage gewesen sein, wenn man

sich

auch

fragen darf, ob nicht etwa der erklärende Genetiv

i l ~

TLßq >ta

o ~

Hinzufügung ist. Die J esus folgende Menge ist für die

Speisung notwendig vgl.

Mk

8,I), deshalb

wird

dieser Zug

schon der Vorlage anzurechnen sein, auch wenn Mk 6,33 die

Menge Jesus zuvorkommt. Dagegen

wirkt

die Motivierung

für das Folgen der Menge »weil

sie

die Zeichen sahen, die er

an den Kranken wirkte« eher wie eine redaktionelle Einfü-

gung Jo 6,2).

Dafür

sprechen zwei Gründe:

I . In

der Quelle ist, wenn man annimmt, die Speisungsge-

schichte sei

dort

der Heilung des Sohnes des Königlichen

gefolgt, nur von einem Kranken die Rede.

2.

Man

muß den Satz wohl ähnlich verstehen wie die redak-

tionelle Einfügung von

Jo

4,48. Vielleicht soll er

Kritik

am

46

R. Bultmann

Johannesevangelium, 154f.

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bloßen Wunderglauben der Menge üben. Auch scheint das

Wort

OYJ[L LOV (Zeichen) nicht der Quelle anzugehören, son

dern aus der Sicht des Redaktors gewählt zu sein. Wie Jo

6,26.30 zeigt, kritisiert die folgende Rede einen bloß Zei

chen verlangenden Wunderglauben.

In beiden Markusfassungen fehlt der Zug von

Jo

6,3, daß

Jesus sich

mit

den Jüngern auf den Berg begibt.

Er

ist für den

Ablauf der Speisungsgeschichte auch nicht notwendig. Deshalb

läßt sich fragen, ob er eine Eintragung von Johannes ist. Das

läßt sich

jedoch erst beantworten, wenn

man

dahinter eine

typisch johanneische Aussageabsicht erkennt. Khnlich verhält

es

sich

mit der in

Jo

6,4 folgenden Zeitangabe: »Es war aber

nahe das Passah, das Fest der Juden.« Ihr Sinn läßt sich vor

erst noch nicht bestimmen, wenigstens insofern nicht, ob damit

mehr als eine bloße Kalenderangabe gemacht sein soll; doch

zeigen Stellen wie Jo 2, 3.23; 4>45; s r; 7,2; I3 I (alles Ver

weise

auf

ein Fest), daß

es

sich um eine typisch johanneische

Einfügung handelt,

worauf

auch das distanzierende

-r v

'Iov

~ t w v hinweist.

Mit

Jo

6,5 beginnt die eigentliche Geschichte: Noch einmal

wird

die Menge erwähnt. Jesus erhebt die Augen

und

sieht

sie

auf sich zukommen (vgl. Mk 6,34). Von der in Vers 3 voraus

gesetzten Situation aus - J

esus

mit den Jüngern

auf

dem

Berg-

müßte

jetzt

davon die Rede sein, daß Jesus den Berg verläßt;

denn in

Jo

6,r5 wird gesagt, daß Jesus wiederum vom Volk

weg auf den Berg geht. Demnach ist die Speisung nicht auf

dem Berg, sondern unten zu lokalisi.eren. Doch ist vom Ver

lassen des Berges nicht die Rede; ein weiterer Hinweis darauf,

daß Vers 3 redaktionell ist. Einigermaßen überraschend, weil

unvorbereitet,

wirkt

die Frage Jesu an Philippus: »Woher sol

len

wir

Brote kaufen, damit jene essen«

Im

Unterschied

zu

Markus wird vom Hunger der Menge nicht gesprochen. Auch

daß

Jesus sich der Menge erbarmt,

wird

nicht gesagt. Das ein

zige

Motiv

für die Handlungsweise Jesu

wird Jo

6,6 nachge

liefert: »Das sagte er, um ihn zu versuchen; er selbst wußte,

was er tun wollte«. Daß das Wunderhandeln Jesu nicht durch

den Hunger der Menge und auch nicht durch sein Erbarmen

144

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über sie motiviert wird, entspricht dem

Charakter der

johan

neischen Vorlage, der

es

wie wir in

Jo

4,46-5 4 bemerkten,

darauf

ankommt, gerade das Wunder als solches in

den

Mittel

punkt zu stellen. Wenn die Motivierung fehlt, erscheint der

Wundertäter

in einem noch mirakulöseren Licht, als

wenn

das

Wunder

Ausfluß seiner Güte oder Stillung eines

spürbaren

Mangels ist. Wie

verhält

es sich aber mit der Motivierung der

Frage Jesu in Jo 6,6?

Dort

tauchen johanneische Eigentümlich

keiten auf, die

es

nahelegen, den Vers als redaktionell anzu

sehen47. Dadurch aber,

daß

Jesus um sein

Wunderwirken

vor-

her

weiß, wird das Wunder noch größer. Wenn man daher

für

diesen Vers johanneische Redaktion annimmt,

muß man

schließen: Hier wird der Charakter der Vorlage, die das

Wun-

der als solches betont, unterstrichen. Die Jünger werden im

Unterschied zu Markus

mit Namen

genannt: Philippus

und

Andreas, was für die gegenüber Markus größere Volkstüm

lichkeit der Johannesvorlage spricht.

Das Wunder

wird gegen

über Markus vergrößert. Reichen nach

Mk

6,37 zweihundert

Denare

aus, um

Brot

für die Menge in genügendem Maße zu

kaufen, so genügt das

Jo

6,7 eben nicht. Auch

daß

die Menge

Brot

erhielt, soviel sie

nur

wollte Jo

6 u

ist gegenüber

Mar-

kus eine Steigerung. Das

paßt

gut

zu

dem Charakter der

Jo-

hannesvorlage, der

es

vor allem auf ein möglichst großes Wun

der ankommt.

Das wird

auch dadurch betont,

daß

die Jünger

die übrig gebliebenen Brocken sammeln sollen,

»damit

nichts

verkommt« (Jo

6,12)

48

Das

gehört zum Feststellungsverfah-

ren; das Wunder soll in dem, was es übrig ließ, ansichtig ge

macht werden. Jo 6,14 scheint als stilgemäßer Chorschluß ei

ner Wundergeschichte zum Brotwunder zu gehören.

Es

läßt

sich allerdings fragen, ob, nachdem das Wunder durch die Ein-

  7

Bultmann (Johannesevangelium, I 57) macht

auf

Parallelen zu toiil:o öE

E EYEV

7,39;

11 p;

12,33; (21,19)

und zu

afnos;

yaQ

2,25; 4,44

auf

merksam. Auch daß Jesus alles vorher weiß, kennt das Johannesevange

lium:

Jo

18,4. Zudem liebt Johannes erklärende Einfügungen: Jo 2,9 b.21;

4 2;

vgl. R. T Fortna The Gospel of Signs, Cambridge 1970,

58

= SNTSMS I I . Allerdings kommt J t L Q U ~ L V nur hier

im

Johannes

evangelium vor.

48

V gl. auch das doppelte ltEQLOOEuro in Vers 12 und 13.

145

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sammlung der Reste festgestellt wurde, ein solcher noch not

wendig ist, zumal er bei Markus fehlt. Doch ist denkbar,

daß

die Vorlage des Johannes, die im

UnterschiedzuMarkus

die

direkte Rede liebt (vgl.

Jo

6,5-10), am Ende der Geschichte

die Menge

in

das Bekenntnis ausbrechen läßt: »Dieser ist

wahrhaftig der Prophet « Jo 6,15 zeigt,

daß

Johannes als Re

daktor das Bekenntnis der Menge in einem negativen Sinne

beurteilt. »J

esus

wußte,

daß

sie kommen und ihn ergreifen

wollten, um ihn zum König

zu

machen.« So

muß

man

von

daher zumindest die Begründung für das Bekenntnis: »Als die

Leute das Zeichen sahen, das Jesus

gewirkt

hatte

« für eine

Einfügung des Redaktors erachten, in der wiederum der dop

peldeutige Sinn des johanneischen »Zeichens« anklingt (vgl.

Jo

6,2). Auch Mk 6,46 berichtet,

daß

Jesus nach der Entlassung

der Jünger

und

des Volkes sich auf einen Berg begibt.

Das

mag

ein Hinweis darauf sein, daß der Berg von Jo 6,15 schon in

seiner Vorlage stand. Allerdings hätte

dann

gegenüber

Mar-

kus die Entlassung der Jünger

und

des Volkes gefehlt,

so

daß

die

Abfahrt

der Jünger in Jo 6,16

f

etwas unvermittelt

kommt, was eine Parallele zu der unvermittelten Hinführung

auf die Brotvermehrung in Jo 6,5 sein dürfte. Die Vorlage des

Johannes motiviert nicht; bei ihr steht das Wunder selbst

im

Blickpunkt. Durch ihre Begründung aber unterscheidet sich die

Bergszene am Schluß der johanneischen Fassung wieder von

Markus. Markus 6,46 zieht Jesus sich auf den Berg zurück,

um

dort

zu beten. Bei Jo 6,15 soll der Rückzug Jesu auf den Berg

die Absicht des Volkes verhindern, ihn zum König

zu

machen

und entzieht Jesus der Menge. Er wird für sie unerreichbar.

Dabei bleibt offen, wie denn

überhaupt

Jesus

sich

durch seinen

Rückzug auf den Berg dem Volk entziehen kann, was

darauf

verweist,

daß

der Rückzug Jesu

auf

den Berg von

Jo

6,15, zu

mindest was seine Motivation angeht,

Werk

des Redaktors

und

bei der

Interpretation

der Geschichte sehr wohl zu beden

ken ist. Erst

Jo

6,16

erwähnt

die abendliche Stunde; das

Wun-

der der Speisung vollzog sich am Tage (anders Mk 6,3 5; vgl.

aber Mk 8 ). Die Jünger gehen zum See hinunter;

und

ohne

daß

Jesus sie wie bei Markus wegschickt, beginnen sie ans jen-

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seitige Ufer zu fahren (Kapharnaum ). Die Seewandelperi

kope folgte also wie bei Markus, und vom Einschiffen der Jün-

ger muß schon die Vorlage des J ohannes gesprochen haben.

Auch muß bereits

dort

ähnlich

Mk

6,47 davon die Rede ge

wesen sein, daß die Jünger auf dem Meer, Jesus aber an

Land

gewesen sei um die Exposition für den folgenden Seewandel

zu schaffen.

Diese Funktion erfüllt heute Jo

6 qb:

»Bereits war die Dun-

kelheit eingetreten, und noch immer war Jesus nicht zu ihnen

gekommen.«

Es

ist möglich, daß diese Formulierung redak

tionelle Veränderung einer anderen Formulierung der Vor

lage ist. Denn man muß bedenken, welchen Stellenwert die

»Dunkelheit« (axo·da) im Johannesevangelium besitzt (vgl.

Jo 1,5; 8,12; 12,35.46; 20,1). Wollte dadurch der

Redaktor

vielleicht den Gedanken eintragen, daß die Jünger allein, ohne

Jesus, in der »Dunkelheit« sind, mit Jesus zusammen aber

nicht im Dunkeln wandeln müssen (vgl. Jo 8,12; 12,46 )? Man

wird

die Frage nicht mit letzter Sicherheit beantworten kön

nen,

darf

aber vermuten, daß die Vorlage hier johanneisch ge

färbt wurde.

Ansonsten lassen

sich

an der Seewandelgeschichte keine redak

tionellen Eintragungen bemerken,

so

daß sie so auch schon in

der Vorlage stand. Von der Markusfassung hätte

sich

die Vor

lage dadurch unterschieden, daß die bei Markus festzustellen

den Züge der Sturmstillungsgeschichte bei Johannes fehlen,

wenn nicht die Bemerkung von Jo 6,18 »der See ging hoch

bei gewaltigem Sturmwind« die letzte Spur dieses Motivs in

der Johannesvorlage darstellt. An die Stelle der Sturmstillung

ist ein anderes Motiv getreten, das der wunderbaren Landung

Jo 6,21, was ganz dem Charakter der Quelle des Johannes

entspricht. Auch in

Jo

6,22-25 ist die Johannesvorlage noch zu

entdecken. Bei Markus entspricht Mk 6,54: Beim Aussteigen

erkennen die Leute Jesus. Doch dient der Vers bei Markus da

zu, einen Sammelbericht über verschiedene Heilungswunder

anzuschließen und ist durch die markinische Akzentuierung,

daß

Jesus nicht verborgen bleiben konnte, zu erklären. Die jo

hanneische Vorlage verändert das Motiv und baut

es um zu

147

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einer kleinen Szene, die

wie

die Frage des Speisemeisters bei

der Hochzeit von

Kana

Jo

2,9

f.)

und

die Frage des »König-

lichen« an die entgegenkommenden Knechte nach der Stunde

der Heilung seines Sohnes Jo 4,52 f.) die Funktion hat, in

einem Feststellungsverfahren den Effekt des Wunders zu kon-

statieren. In der heutigen Fassung ergibt sich allerdings eine

Schwierigkeit. Wo ist das >>jenseitige Ufer«, das den Standort

der Leute beschreibt, zu denken? Man darf sich nicht von Mk

6,5 3 f verleiten lassen, darin das dem

Ort

der Speisung ge-

genüberliegende

Ufer

zu vermuten

49

• Vielmehr erzählt die

Geschichte vom

Standpunkt

Jesu aus, der sich jetzt in

Kaphar-

rraum befindet Jo 6,21). Man darf auch nicht vergessen, daß

Johannes ungleich Markus nichts von einer Entlassung

des

Vol-

kes nach der Speisung berichtete. Die Leute befinden

sich

am

nächsten Morgen noch am Ufer, wo die Speisung stattgefun-

den hatte und sehen: Weder Jesus noch die Jünger sind da. Die

Jünger hatten sie mit dem einen Boot, das

da

war, abfahren

sehen, Jesus aber nicht. Sie machen sich

auf

nach Kapharrraum

und finden dort Jesus mit seinen Jüngern

und

ihre erstaunte

Frage »Rabbi,

wann

bist du hierher gekommen?« offenbart,

daß Jesus durch Seewandel und wunderbare Landung, auf wun-

derbare Weise also, nach Kapharrraum gekommen war. So er-

zählt es die Vorlage des Johannes und unterstreicht ganz ihrem

Charakter

entsprechend das Wunderbare am Seewandel Jesu.

Ein späterer Glossator wohl nicht Johannes selber

hat

sich

dann gefragt, wie kommen die Leute von dem Ufer der Brot-

vermehrung nach Kapharnaum,

wo

sie doch selber sagen, daß

nur ein Boot, das der Jünger, dagewesen

war?

Sind sie zu Fuß

gegangen? Dann wäre

es

für das Feststellungsverfahren reich-

lich spät geworden. So läßt er Vers 3 als Deus ex machina

Schiffe aus Tiberias vorbeikommen, die er die Leute

in

Vers

24

besteigen läßt, damit sie nach Kapharrraum gelangen können,

wo sie J esus finden.

Jetzt

bricht die Vorlage des Johannes ab. Ob nach der Frage

der Leute von Vers 2 5 noch ein weiterer Schluß folgte, der

49

R. Bultmann Johannesevangelium,

x o

148

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etwa

davon

berichtete wie die Leute den Seewandel Jesu als

Wunder erkennen

und

über das Wunder in Staunen geraten

läßt

sich nicht entscheiden.

Jo

6 26 mit dem typisch johannei

schen Zeichenbegriff ist redaktionell

hat

möglicherweise den

alten Schluß verdrängt

und

schließt

an

die Vorlage aus der

Wunderquelle die johanneische Brotrede an.

Auch wenn in

Jo 6 1-26

die redaktionelle Umgestaltung we

niger leicht

und

sicher abtragbar

war

wie bei der Heilung des

Sohnes des Königlichen zeichneten sich dennoch die Konturen

der Vorlage ab. Sie erzählte ähnlich wie Markus

von

einer

wunderbaren Speisung

und

nachfolgendem SeewandeL Aller

dings konnten auch schwerwiegende Unterschiede gegenüber

arkus

festgestellt werden. Weil von der

Not

der Menge nicht

geredet wird ist das Wunder eigentlich unnötig

und

gewinnt

Demonstrationscharakter. Auch wie der Wundertäter seine

Jünger

auf

die Probe stellt obwohl er selber weiß was er

tun

wird unterstreicht diesen Akzent.

Darum

muß das

Wunder

auch nicht motiviert werden. Es entspringt nicht dem

Erbar

men Gottes in Jesus das in der Speisung der menschlichen

Not

hilfreich begegnet sondern einer das Menschenmaß sprengen

den

Wunderkraft

Auch im Seewandel kommt der Wunder

täter

den Jüngern nicht

zu

Hilfe und ein weiterer Wunder

zug nämlich die wunderbare Landung ist hinzugewachsen.

Auch

da

ist das Wunder losgelöst von einer sinnvollen Moti

vierung. Es geschieht den Menschen nicht in erster Linie damit

ihnen geholfen werde sondern damit

sie

ins Staunen geraten.

Dadurch stellt sich die von Johannes benutzte Vorlage in eine

Reihe mit der Vorlage die er bei der Heilung des Sohnes des

>>Königlichen«

benutzt hat. Beiden fehlt die theologische

Kraft

der Synoptiker. Es

wird

volkstümlich

und

naiv von dem gro

ßen

Wundertäter berichtet dem das Staunen der Menschen

gilt. Johannes hat

nur

wenig

an

der Geschichte geändert. Er

hat sie

behutsam redigiert. Dennoch

trägt erz. B

mit

der

kur

zen Bemerkung

von Jo 6 17

b: »Bereits

war

die Dunkelheit

eingetreten

und

noch immer

war

Jesus nicht

zu

ihnen gekom

men« theologische Akzente in die Vorlage ein die deren

Di

mensionen weit hinter sich lassen. Das johanneische Verständ-

149

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nis seiner Vorlage wird vor allem dann deutlich,

wenn man

auf die durch seine Redaktion in die Vorlage eingetragene

Struktur

achtet.

Das mißverstandene »Zeichen« Johannes)

In der Heilung des Sohnes des Königlichen machte die

johan-

neische

Redaktion sich

in den Einfügungen in die Vorlage be

merkbar, die den Sinn der Vorlage stark

veränderten und

die

redaktionelle Theologie eintrugen.

Das

geschah

dort mit

sol

cher Energie,

daß

Jo 4,48 den erzählerischen Ablauf

der

Ge

schichte aufhielt. Von Anfang an wurde ein anderer

Wunder-

begriff eingetragen,

und

der erzählerische

Faden mußte

neu

geknüpft werden.

Mit

gleicher Sicherheit ließ sich die Redak-

tion in

der

Brotvermehrungs-

und

Seewandelgeschichte nicht

erkennen.

Vor

allen Dingen

fand

sich hier kein Vers,

der so

total den Sinn neu angab, wie

Jo

4,48 es für die Heilungs

geschichte

tat

Die Redaktion konnte hier immer nur

vermutet

werden;

mit

Händen greifen ließ sie

sich

nicht. Der

Redaktor

hat

offenbar eine andere Methode gewählt, den Stoff seiner

Aussageabsicht dienstbar zu machen. Das

darf man

schon der

Tatsache entnehmen,

daß

er der Speisung

und

dem Seewandel

eine Rede folgen läßt, die das Thema der Speisung wieder auf

nimmt. Doch hat er auch in die Geschichte selbst eingegriffen,

nur mit weniger auffallenden Mitteln als in Jo 4,46-5 2

Hier

hilft

es

weiter, wenn man

auf

die

Struktur der rzählung

in

der johanneischen Bearbeitung achtet. Es lassen sich nämlich

innerhalb der Geschichte zwei einander entsprechende Bewe

gungen feststellen, die jeweils

am

Ende der Geschichte

zu

ihrem

Ausgangspunkt zurückkehren. Die beiden Bewegungen ent

sprechen jeweils verschiedenen Akteuren.

In

der einen ist

es

Jesus, in der anderen das Volk.

Von

Jesus berichtet Jo 6,3,

daß

er am

Anfang

der Geschichte

mit

den Jüngern zusammen auf

dem Berg ist,

und

dann unten die Speisung erfolgt, wie aus

Jo

6,15 erschlossen werden muß.

Am

Ende ist Jesus wieder auf

dem Berg, er allein

J

o

6 1 5 .

150

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Vom Volke wird am Anfang gesagt, daß

es

Jesus deshalb

folgt, weil es die Zeichen gesehen hatte, die Jesus an den Kran-

ken wirkte Jo 6,2). s läßt

sich

speisen, und am Ende wird

wiederum von ihm gesagt, daß es das Zeichen sah, das Jesus

gewirkt hatte und dadurch zu dem Urteil kommt: Jesus ist der

Prophet. So taucht bei beiden Bewegungen der Anfang im

Ende wieder auf. Jesus auf dem Berg am Anfang, das Volk

sieht Zeichen am Anfang. Jesus auf dem Berg am Ende, das

Volk sieht das Zeichen am Ende. Beide Bewegungen entspre-

chen sich insofern, als sie am Ende in ihren Ausgangspunkt zu-

rückkehren.

Bewegungen, die zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehren, be-

wegen nichts wirklich. Sie bewirken keinen Fortschritt, son-

dern ziehen sich in sich selbst zurück, zumal dann, wenn sie

nicht zueinander kommen, damit aus den zweien eine Bewe-

gung wird. Die Chance dazu hätte bestanden; denn es gibt

einen Schnittpunkt der Bewegungen: Da wo Jesus vom Berg

zum Volk kommt, und das Volk

sich

von Jesus speisen läßt.

Aber es ist nur ein Schnittpunkt; die Linien gelangen nicht mit-

einander zur Deckung, sie entfernen sich wieder voneinander.

Es ist interessant zu sehen, wie die Bewegung Jesu der Bewe-

gung des Volkes nachfolgt.

Daß

das Volk das Zeichen sieht

und Jesus für den Propheten hält, bewirkt, daß Jesus sich auf

den Berg zurückzieht, denn er weiß, daß sie kommen wollen,

um ihn wegzuführen und ihn zum König zu machen. Wäre er

nicht zurückgegangen, so wäre die Bewegung der Geschichte,

innerhalb derer das Volk die Hauptrolle spielt, weitergegan-

gen. So verhindert sein Rückzug, daß die Bewegung, die von

ihm in der Geschichte ausgeht, von der Bewegung des Volkes

aufgesogen wird. Die Bewegung der Geschichte wäre auch

dann weitergegangen, wenn das Volk auf die Jesusbewegung

eingegangen wäre, dann nämlich, wenn es in der Speisung

nicht ein Zeichen gesehen hätte, wie

es

Zeichen zu sehen

wünschte, sondern den, auf den das Zeichen hinwies. Auch

dann wäre aus beiden Bewegungen eine geworden. So aber

kehren beide zurück. Jesus bleibt auf dem Berg. Für das zei-

chensehende Volk ist er unerreichbar.

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Diese Beobachtungen lassen sich aufgrund

der Struktur

der

Geschichte machen.

Die Struktur

aber

kommt

durch die Stellen

der Geschichte zustande, hinter denen die Analyse redaktio

nelle Arbeit vermuten ließ.

Daß

Jesus zu Beginn der Geschich

te den Berg besteigt Jo 6,3), war ja für den Ablauf einer Spei

sungsgeschichte nicht notwendig. Auch daß

ihn

am Ende der

Berg dem Volk wieder entzieht, dürfte

auf

die

Redaktion

zu

rückgehen. Bei Markus

betritt

er ihn, um zu beten.

Daß

das

Volk Jesus am Anfang der Geschichte folgte, konnte die Vor

lage schon berichten. Die Redaktion jedoch trägt die Motivie

rung mittels des johanneischen »Zeichen«-begriffs ein

Jo

6,2).

Das Zeichen taucht auch redaktionell am Schluß der Geschichte

auf Jo 6,14). In Jo 6,15 zeigt das Urteil des Volkes über Jesus,

daß das »Zeichensehen« des Volkes von Jo 6,14 das für Johan-

nes typische Mißverstehen ist.

Diese Einzelbeobachtungen wurden bei der Analyse noch nicht

recht verständlich. Sie fügen sich aber durch die Beachtung der

Struktur

der Geschichte

zu

einem sinnvollen Ganzen.

Der

Re

daktor will zeigen: Damit es zur Speisung kommt,

muß

Jesus

vom

Berg herabsteigen.

Das

Volk aber, das zu ihm gekommen

war,

weil

es

Zeichen gesehen hatte,

kann ihn

nicht erfassen

und

das Zeichen

der

Speisung nicht verstehen, weil

es

wiederum

nur Zeichen sieht. So aber kann Jesus von ihm nicht »erfaßt«

werden, sondern ist wieder für das Volk unerreichbar

auf

dem

Berge, er ganz allein

50

• In

dieselbe Richtung weist eine andere

Beobachtung: Das Volk will Jesus zum König machen, so in

terpretiert Jo 6,15 das Bekenntnis des Volkes

von

Jo 6,14. Aus

Jo 18,37 ist das Bekenntnis Jesu

vor

Pilatus bekannt:

Er

ist

ein König. Aber sein Königtum gelangt mit den Königskate

gorien des Pilatus nicht zur Deckung. Sein Reich ist nicht

von

50

»Es wird also zu verstehen gegeben, daß der Herr, da er

mit

seinen

Jüngern

auf

dem Berg weilte

und

die Scharen zu ihm kommen sah, vom

Berge herabgestiegen war und in den Niederungen die Scharen gespeist

hatte. Denn wie wäre es möglich, daß er wieder dorthin sich begab, wenn

er nicht

vorher

vom Berg herabgestiegen wäre? Es ist also von Bedeutung,

daß der Herr

von der Höhe

herabstieg zur Speisung der Scharen. Er

speiste

sie

und stieg wieder hinauf.«

Aur. Augustinus

Johannesevangelium,

Serm. 5

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dieser Welt. Das Oben läßt sich mit dem Unten, wenn es in

dessen Kategorien eingefangen werden soll, nicht zur Deckung

bringen. Dazu kommt

es

erst, wenn das Unten sich von den

Kategorien des nach unten gekommenen Oben interpretieren

und verwandeln läßt.

Die Struktur der Geschichte, wie sie durch die johanneische

Redaktion der Vorlage zustande gekommen ist, spiegelt das

Denkschema des ]ohannes.

Die Speisungsgeschichte ist Beispiel

dafür, wie Johannes einer Geschichte seiner Vorlage den von

ihm angestrebten Aussagesinn unterlegt, nicht indem

er

direkte

Sinnkorrekturen einträgt, wie z.

B

in Jo 4,48, sondern indem

er durch seine redaktionellen Eintragungen der Geschichte eine

Struktur verleiht, die seine Aussageabsicht zur Anschauung

bringt. Johannes versteht es mit ausgestalteten Bildern zu re

den. »Während die Synoptiker das Wirken Jesu durch eine

Fülle kleiner Traditionsstücke darstellen, die sie mehr oder

weniger zu einem Zusammenhang zu verbinden bestrebt sind,

gibt Johannes seine Darstellung durch große ausgeführte Bil

der.

Und

wenn er auch zwischen ihnen einen chronologischen

Zusammenhang herstellt,

so

sind die einzelnen Abschnitte im

Grunde nicht als historische Einzelszenen gemeint, sondern als

repräsentative Bilder des Offenbarungsgeschehens«

5

Wenn die Struktur der Geschichte bewußt eingesetztes Aus

sagemittel ist, dann ist aber auch für die Zeitangabe von Jo 6,4,

daß Ostern, das Fest der Juden, nahe war, .zu vermuten, daß

der Redaktor sie bewußt in die Vorlage eingetragen hat, um

die Geschichte in einen größeren Zusammenhang zu verweisen.

Darum darf die Angabe von Vers 4 nicht in Vergessenheit ge-

raten, sondern muß in der Fortsetzung der Auslegung noch

bedacht werden. Schließlich macht die Beobachtung

~ r

Struk

tur

noch auf etwas weiteres aufmerksam. Die Bewegung der

Geschichte bricht nämlich nicht gänzlich ab. Jesus entzieht

sich

zwar

dem Volk auf dem Berg, doch war er zuvor mit den

Jüngern

dort

Jo 6,3). Jetzt ist

r

wie der Text eigens her

vorhebt - allein. Die Jünger sind zum

See

hinuntergegangen

51

R Bultmann Johannesevangelium, I

55

153

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  Jo 6,15 f.). Für die Jesus-Linie

der

Geschichte bleibt also noch

etwas zu erwarten. Er

kommt

wieder

zu

den Jüngern

und

diesen begegnet er nicht nur

im

Zeichen des Seewandels, son

dern

auch

in

seinem sich

ihnen offenbarenden

Wort.

Hier

ge

langt

beides zur Deckung; die Jünger nehmen ihn in ihr Boot

auf5

2

• Sie kommen zu

ihm,

indem er zu ihnen kommt (vgl. Jo

1,11 f.)

Es ist zu fragen, ob bei der Auslegung

der

Brotrede, die nach

dem Willen des Johannes das »Zeichen« der Speisung im Worte

auslegen soll, nicht ebenfalls auf die eigentümlich »kreisende«

Logik geachtet

werden muß,

die

die

johanneische

Redaktion

als »Logik« in die Geschichte eingetragen hat. Die Auslegung

der

Brotrede

muß

s

erweisen.

7· Die johanneische Brotrede-Erschließungdes Zeichens im

Offenbarungswort ]o

6 26-7 I)

Daß die Brotrede nicht zufällig hinter Speisungsgeschichte und

Seewandel folgt,

wird vor allem

durch Vers 26 erwiesen:

»Amen,

amenich

sage euch, ihr sucht mich nicht,

weil

ihr Zei

chen gesehen

habt,

sondern

weil

ihr von den

Broten

gegessen

habt und satt

geworden

seid « Die Brotrede ist nicht durch

Stichwortverknüpfung

mit

dem

Brotwunder

verbunden,

son

dern beide sind aufeinander

hin-

und

zusammenkomponiert.

Die Brotrede ist so voll sprachlicher und theologischer Eigen

tümlichkeiten, die

für J ohannes typisch sind, daß der V ersuch

wie bei

der

Speisungsgeschichte zwischen

Vorlage

und

Redak

tion zu unterscheiden,

mehr Fragen

aufwirft als dadurch be

antwortet

werden können. A.hnliches gilt

für

den V ersuch, den

Sinn

der

Rede

mittels Textumstellungen

zu

ermitteln.

Darum

ist

s

wohl eher angebracht, die

ganze

Rede

in ihrer

heutigen

Gestalt

als eine Sinneinheit zu verstehen. Bei ihrer Auslegung

muß allerdings mit

der

eigentümlichen Denkweise des Johan-

52

Man beachte den Subjektswechsel gegenüber der Markusfassung, dort ist

s

Jesus, der ins Boot steigt (Mk

6,p),

hier sind

s

die Jünger, die ihn mit

Freuden (vgl. Jo 20,20 ) ins Boot aufnehmen.

154

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nes gerechnet werden, die nicht logisch deduzierend erfolgt,

sondern assoziativ

und

kreisend den Gegenstand

der

Betrach

tung aussagt. Zugleich muß die Auslegung auf den Sinnzusam

menhang zwischen Brotrede

und

Speisungsgeschichte achten.

»Ich bin das Btot des Lebens«

Vers 26 bringt die

Antwort

Jesu

auf

die Frage der Leute von

Vers

25:

»Wann bist du hierher gekommen?« Vers

26

über

nimmt

für

Speisung

und

Seewandel die Funktion, die

Jo

4,48

innerhalb der Geschichte von der Heilung des Sohnes des Kö

niglichen hatte

5

• Die Frage der Leute von Vers 25

und

ihre

Suche nach Jesus (Jo 6,24)

wird

durch die

Antwort

Jesu zu

rückgewiesen. Ihr Fragen und Suchen ist falsch motiviert. Sie

suchen Jesus, weil sie von den Broten gegessen haben

und

satt

geworden sind,

und

er daher geeignet scheint, ihnen die Sorge

um

das

Brot

abzunehmen. Als messianischer König soll er sie

der Alltäglichkeit und Beschränktheit ihres Lebens entreißen

und

sie in ein eschatologisches Schlaraffenland versetzen. Inso

fern ist ihre Suche nach Jesus »religiöse« Suche, sie verstehen

ihn

als Erfüllung

von

Verheißungen, die sie direkt-eschatolo

gisch auslegen.

Er

ist in ihren Augen der von

Gott

gesandte

Messias-König, in dessen Reich es keinen Hunger mehr geben

wird weil er als Moses redivivus das Mannawunder ständig

bereithalten kann. Das aber ist ein falsches Verständnis, so

daß

sie, obwohl sie Zeichen gesehen haben (Jo 6,2.14), die Zei

chen nicht gesehen, d. h. nicht das in ihnen sich verbergende

Geheimnis eingesehen haben.

Wie Jesus in der Brotvermehrungsgeschichte diesem Verlangen

gegenüber unerreichbar

auf

dem Berg war,

so

ist

er

jetzt

auf

der sprachlichen Ebene für ihr fragendes Suchen nicht auffind

bar, wenigstens

für

den nicht, der

nur

satt geworden ist. Von

den Broten zu essen

und

satt zu werden,

darauf

kommt

es

nicht an, sondern darauf, die Zeichen auf ihr Geheimnis hin

53

Verse

6 is

distinct from

what

precedes, introducing a wholly new

dimension into the context.« R. T Fortna The Gospel of Signs, 9

1

55

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einzusehen. Es heißt sich um Speise zu bemühen, die nicht ver

geht, sondern beständig ist

und

den, der sich

um

sie bemüht,

in Richtung d ~ ) auf ewiges Leben setzt Jo 6,27). Brote essen

und

satt

werden dagegen heißt, sich um vergängliche Speise

bemühen. Vers 26 stellt das falsche Motiv

der

Suche der Leute

heraus. Vers 27 ist der Imperativ: Bemüht euch um Speise,

die bleibt zum ewigen Leben «

Der

Imperativ will aus einem

Noch-nicht-sein

in

ein neues Sein überführen. Er zeigt einer

seits das, was noch nicht ist, rechnet aber mit der Möglichkeit,

daß

etwas werden kann.

Die

Angeredeten sollen sich um un

vergängliche Speise bemühen.

Das

Bemühen

um

unvergäng

liche Speise kann sein Ziel erreichen, weil dem Bemühen ein

Geben entspricht: Die unvergängliche Speise wird den sich

darum

Bemühenden der Menschensohn geben, denn er ist vom

Vater

beglaubigt. Dabei soll durch das Futur

er wird

geben«

nicht angedeutet werden, der Menschensohn werde die Speise

zu

einem späteren

Zeitpunkt

einmal geben, sondern es rückt

den ins Gesichtsfeld,

der

die Speise noch nicht

hat,

sich aber

darum

bemüht, sie

zu

erlangen.

Wer

das Zeichen« der Spei

sung schon eingesehen hat, dem hat er sie schon gegeben.

Für

Johannes ist der Menschensohn nicht die gleiche apokalyp-

tische Gestalt wie für die Synoptiker

54

Er

ist bei Johannes

der präexistente Menschensohn,

der vor

seiner

Inkarnation

bei

Gott

war.

Und

niemand ist

in

den

Himmel

hinaufgestiegen

außer dem, der aus dem Himmel herabgestiegen ist, der Men

schensohn« (Jo J,IJ). Aber der

Menschensohn muß

erhöht

werden,

damit

jeder,

der

glaubt,

in

ihm ewiges Leben habe«

Jo

3,14 f.). Die Erhöhung des Menschensohnes vollzieht sich

im Kreuz Jo 8,28) und sie ist seine

von

Gott verfügte Ver

herrlichung

Jo

12,23 f.). »Der Menschensohn ist ständiges

himmlisches Wesen,

der

präexistente

und

fleischgewordene

Logos«

55

54

Zur johanneischen Menschensohnvorstellung vgl. S

Schulz

Untersu

chungen zur Menschensohn-Christologie im Johannesevangelium, zugleich

ein Beitrag zur Methodengeschichte der Auslegung des vierten Evange

liums, Göttingen 1957.

S

Schulz Die Stunde der Botschaft. Einführung in

die Theologie der vier Evangelisten, Harnburg

1967, 334-336

55

S. Schulz ebd., 336

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Die Antwort

der Leute in Vers

8

nimmt den

Imperativ

Jesu

von Vers 7 »Müht euch «

E Q y a ~ E o { } E )

auf

und

fragt, was zu

tun sei, um die Werke Gottes zu wirken. Sie fragen also nach

den Mitteln, mit denen das Sich-um-unvergängliche-Speise

bemühen geschehen soll. Sie wollen diese von Jesus verheißene

wunderbare Speise haben und fragen nach dem Weg zu ihr.

Was muß man tun, um ihrer teilhaftig zu werden?

Aus Vers

30 läßt

sich schon für Vers

28

vermuten,

daß

diese

Frage immer noch nicht auf die Ebene zielt, in der Jesus spricht.

Die Menge versteht Jesu Ankündigung einer unvergänglichen

Speise immer noch von ihren Kategorien her

und

sieht in

ihr

allenfalls eine

überbietung

ihrer Erwartungen, die aber im

mer noch in der Richtung ihres Denkens liegt. So fragen sie

nach dem Weg, der zur Erlangung der wunderbaren Speise

führt. Die Antwort Jesu in Vers

29

geht auf ihre Frage ein,

er sagt, welches der Weg ist. Wir befinden uns in einer ähn

lichen Situation wie zu Beginn der Speisungsgeschichte, wo die

Menge J esus folgte, weil sie die Zeichen sah, die

er

an

den

Kranken wirkte (Jo 6,2), und Jesus der Menge entgegen

kommt, indem er ein neues Zeichen wirkt. Seine

Antwort

auf

ihre Frage, was man tun müsse, um die unvergängliche Speise

zu erlangen, weist sie auf den Glauben Zeichen richtig ein

sehen (Vers 26), sich um unvergängliche Speise bemühen (Vers

27 , heißt an den glauben, den der Vater gesandt hat, an den

Menschensohn, an Jesus, der vor ihnen steht. Die Menge ver

steht richtig, daß er von einem Glauben spricht, der sich

auf

ihn, der vor ihnen steht, richten soll (Vers 30). Aber

sie

reali

siert nicht alles, was Jesus sagt.

Für

sie ist er nur der

vor

ihnen

stehende Jesus.

Dafür

daß er vom Vater gesandt ist (Vers

29 ),

daß

er der vom Vater versiegelte Menschensohn ist (Vers

2

7),

fordern sie ein Beglaubigungszeichen. Bevor sie zum

EQya-

~ w { } m

zum Sich-bemühen um die unvergängliche Speise kom

men wollen, soll er etwas wirken ('d E Q y a ~ n ) . Für sie zerfällt

Sehen und Glauben in ein einander voraussetzendes Vorher

und

Nachher. Gerade damit zeigen sie, daß sie Jesus nicht

verstehen. Jesus verstehen

und

glauben, sind eins. Ebenso fal

len Sehen des Zeichens und an ihn als den vom Vater Ge-

1

57

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sandten glauben zusammen. Das »Zeichen« richtig sehen ist

schon dasselbe wie Glauben und Glauben ist dasselbe wie das

»Zeichen« richtig sehen. Wer die Zeichen

zur

Bedingung des

Glaubens machen will, wer Zeichen sehen will, um zu glau-

ben, glaubt nicht. Die Menge sieht das Zeichen nicht, das vor

ihnen steht, Jesus. Sie glauben nicht,

daß er vom Vater

ge-

sandt, daß er der Menschensohn ist, der die unvergängliche

Speise geben kann. Johannes stellt das auch den Synoptikern

geläufige

Motiv der Zeichenforderung in den Dienst seiner

Gedankenführung. Die Leute befinden sich hier gegenüber dem

Worte

Jesu in derselben Situation wie diejenigen, die das Zei-

chen der Tempelreinigung mißverstehen, indem sie Jesus nach

einem Zeichen für die Berechtigung seines Tuns fragen Jo 2,

8 . Wie die Leute sich das verlangte Beglaubigungszeichen

vorstellen, zeigt Vers

3

I Der Glaube der Väter

war

durch ein

Zeichen gesichert, sie aßen Manna

in

der Wüste; so steht es ge-

schrieben: »Brot vom Himmel hat er ihnen zu essen gegeben.«

Wenn Jesus vermöchte, ihnen Brot vom

Himmel

zu

geben,

dann würden sie glauben.

Das Wunder

der Speisung scheint wie vergessen. Weil sie das

Zeichen nicht einsahen, blieb ihnen verborgen,

daß

das Brot,

das sie dort

empfingen, in

Wahrheit

Brot vom Himmel

war,

weil der, der

es

ihnen gab,

vom Himmel

herabgestiegen

war.

Das aber ist

es

eben, was sie nicht sehen und deshalb nicht

glauben, und

so

fordern sie Brot, dem man ansieht,

daß es

vom Himmel kommt, damit sie an ihn glauben können, daß er

vom

Vater gesandt ist. Das Zeichen soll ihrem Sehen und Ver-

stehen entsprechen.

Das

Zeichen aber, das Jesus gibt, ist an-

ders.

Um

sein Zeichen einzusehen, muß man an ihn glauben,

als an den

vom

Himmel Herabgekommenen. Dann erkennt

man

auch seine Gabe als die unvergängliche.

Die

Antwort

Jesu in Vers

32

könnte als eine

Korrektur

dessen, was die

Leute

in

Vers

3I

gesagt hatten, verstanden werden: Was sagt

ihr da, daß Moses euch Brot vom

Himmel

gegeben habe? Nicht

Moses

war

es sondern Gott. Dafür würde die betonte Gegen-

überstellung von Moses und

Gott

je am Satzanfang sprechen.

Doch ist der Parallelismus der beiden Sätze nicht vollkommen.

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Der

Nachsatz ist reicher als der Vordersatz und das am Schluß

stehende

-n)v al..rp hv6v

(»das wahre [Brot]«) des Nachsatzes

weist auf den eigentlichen Vergleichspunkt hin. Nicht was Mo- .

ses

gab ist das wahre Himmelsbrot, sondern was der Vater

gibt.

Der

Vater aber gibt J

esus.

Vers 33 deutet schon an, was Vers 35 enthüllt. Weil im Grie

chischen das

Wort

Brot

(o a g T o ~

männlich ist, bezieht sich das

folgende Partizip o xu'tußutvwv (der Herabsteigende) zwar

auf das Brot, ergibt aber im Licht von Jo 6,35·38.42 gelesen

eine von Johannes wohl beabsichtigte Doppeldeutigkeit. Das

Brot Gottes ist das, welches vom Himmel herabsteigt oder:

Das Brot Gottes ist der, welcher vom Himmel herabsteigt.

Im

Deutschen läßt

sich

diese Doppeldeutigkeit nicht in einem Satz

wiedergeben. Die Leute verstehen jedenfalls in ihrer Bitte von

Vers

34

Jesus so, als bezöge sich das Partizip oM'taßulvwv auf

o g · r o ~ sie meinen, daß J

esus

von einem wunderbaren, der

Welt das Leben bringenden Brot spriCht, das vom Himmel

herabsteigt. Sie glauben, daß er darüber verfügt.

So

bitten

sie

ihn,

es

ihnen allezeit zu geben, damit sie von ihrer Sorge be

freit durch dieses wundersame Brot des Lebens teilhaftig wür

den

56

Die

Antwort

Jesu in Vers 3 5 erweist die Bitte der Leute als

Mißverständnis; Jesus sprach in Vers 33 nicht von irgend

einem Wunderbrot. Was verhüllt zur Sprache kam,

wird

offenbar:

Er

selbst ist das Brot des Lebens. Jesus antwortet in

der Form des für Johannes typischen Ich-bin-Wortes

  7

• Die

Ich-bin-Worte sind »das eigentliche Thema

des

vierten Evan

geliums«. »In diesen Selbstaussagen ist alle Offenbarung ver

sammelt, die Jesus bringt«

58

• Die Ich-bin-Aussage identifiziert

Jesus als das Subjekt

des

Satzes mit dem Prädikat, hier mit

dem Brot des Lebens. Dabei betont das

yro

die Ausschließlich-

56

Man vergleiche die Bitte der Samariterin um das Lebenswasser, das sie

der Mühe ledig werden ließe, zum Brunnen zu gehen, um zu schöpfen,

]04 15.

57

Zu den Ich-bin-Worten des Johannesevangeliums vg .: H. Zimmer-

mann Das absolute E :yoo

elf LL

als die neutestamentliche Offenbarungsformel,

in:

BZNF

4 (196o), 54-69.

z66-z76

58

S Schulz Die Stunde der Botschaft, 336

159

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keit dieser Identifizierung. Von niemand anders ist sie aussag

bar. Alles, was immer Brot des Lebens ist

und

sein will, an

deutet

und

sichtbar macht, ist Jesus selber. Nicht das Brot ist

Zeichen für Jesus, er ist vielmehr das Zeichen für Brot. Jo 6,3 5

begegnet die Ich-bin-Formel zum ersten Mal im Johannes

evangelium

59

• Es mag sein, daß das darauf zurückgeführt

werden kann, daß während des Seewandels Jo 6,2o) die

Offenbarungsformel in absoluter Weise vorkommt und jetzt

inhaltlich beschrieben werden soll

60

Als Brot des Lebens ist er

für den, der zu ihm kommt, die den Hunger auf immer stil

lende Speise.

Zu

ihm kommen heißt

an ihn

glauben. Wer zu

ihm kommt

und

glaubt, braucht nie mehr Durst zu haben Jo

6,3

5

. Letzteres erweitert das Bild vom Brot. Selbst leben

spendendes Brot ist nicht geeignet, all das auszudrücken, was

er für den Glaubenden ist.

Glauben und Unglauben

Vers 36 nimmt das Stichwort des Glaubens auf und offenbart,

daß die

von

Jesus das Wunderbrot erbittende Menge zu denen

gehört, die Jesus

zwar

gesehen haben, aber doch nicht glau

ben. Sie haben ihn gesucht, weil sie Brot gegessen haben und

satt geworden sind, nicht aber, weil sie die »Zeichen« einge

sehen hätten Jo 6,26). Sie haben bloß Zeichen gesehen Jo 6,2.

14). Es gibt also ein Sehen Jesu, das nicht Glauben ist. Sie sehen

nur

den, der

vor

ihnen steht, nicht, daß er der vom Himmel

Herabgekommene ist. Glauben aber ist nicht menschliche Mög

lichkeit, sondern göttliche Gabe. Zu Jesus kommen, d. h. glau

ben, kann nur der, der vom Vater Jesus gegeben worden ist

59

Vgl.

Jo

8,12: Licht der Welt.

I0 14 : Der

gute

Hirt. n 25:

Die Aufer

stehung und das Leben. 14,6: Der Weg, die Wahrheit und das Leben.

1

5,

I :

Der wahrhaftige Weinstock.

80

>>Was

das absolute

>Ich-bin<

angeht, dürfte also die Geschichte vom See

wandel einen wichtigen überlieferungsgeschichtlichen Anknüpfungspunkt,

wenn auch vielleicht nicht den einzigen, für die Übernahme und Weiter

bildung der Formel in der johanneischen Theologie bilden.« ]. Blank Die

johanneische Brotrede,

99 f.

r6o

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(Jo

6,37).

Die Jünger sind die vom Vater Jesus übergebenen

(vgl. Jo

17).

Wer so zu ihm kommt, wer so an ihn glaubt,

wird

von ihm nicht zurückgestoßen, vielmehr bewahrt (Jo 6,37 b).

Darin

besteht der Wille dessen, der J

esus

vom Himmel gesandt

hat:

Daß

er die an ihn Glaubenden, die ihm vom

Vater

über

geben sind, nicht verloren gehen läßt (Jo 6,38.39), sondern sie

bewahrt (Jo

17,12),

d. h. ihnen das ewige Leben gibt, sie »auf

erweckt am jüngsten Tag«, wie es in den Versen

39 40

mit

unjohanneisch klingenden Worten ausgedrückt wird. Gemeint

ist, was in den Versen

3 3 und 35 mit dem Begriff »der Welt

das Leben geben« gesagt wird. Wer Jesus sieht als den Sohn,

als vom Himmel Herabgekommenen, glaubt an ihn

und

eignet

sich

ihn als die zum Leben bleibende Speise an.

Vers

4

nimmt nach der in den Versen 36 40 erfolgten Re

flexion über den Glauben wieder Bezug auf die Aussage Jesu

in Vers

35

(38). Die Leute werden nun mit der für das Johan

nesevangelium typischen Bezeichnung »die Juden« benannt.

Insofern

sie

gegen Jesus »murren«, nehmen

sie

die Verhaltens

weise des Volkes Israel in der Wüstenwanderungszeit gegen

über Jahwe auf (Ex 15 17; Nu 14 17; Ps

106,25).

Das »Mur

ren« bezeichnet das

sich

Gott widersetzende V erhalten des

Menschen und charakterisiert ihn als in der Gottesferne be

findlich

61

• Sie erweisen

sich so

als Iovöaim im Sinne des J ohan

nesevangeliums, sie werden zu Repräsentanten des sich dem

Offenbarer im Unglauben verweigernden Kosmos. Sie sind

Typos

des

Unglaubens, der

sich

darauf richtet,

daß

der vor

ihnen stehende J esus beansprucht, das aus dem Himmel herab

gestiegene Brot zu sein. Diesen Anspruch Jesu will der Un

glaube nicht wahrhaben, weil er nur Jesus sieht, den Sohn

Josefs, dessen Vater und Mutter er kennt

62

Der

Unglaube

meint

zu

wissen, woher Jesus kommt.

Er hat

in gewisser Weise

recht, denn er weiß um die Herkunft Jesu. Aber sein Geheim-

61 Vgl.

K.

H

Rengsdorf

Art. y y y u ~ r ThWNT I, 727-737

62

Daß

die Kenntnis von Jesu Herkommen ein Grund des Anstoßes an

Jesus ist, wissen auch die Synoptiker (vgl. Mk 6,3; Lk 4,22). Bei Johannes

wird dieses »historische Motiv« verwandt,

um

das Grundsätzliche der

Schwierigkeit

zu

glauben, daß der Logos Gottes in einem konkreten Men

schen begegnet, herauszustellen.

6

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Fleisch für das Leben der Welt

Wie aber soll man von diesem Brote essen, das er selber ist?

Muß man nicht Brot brechen, um es essen zu können? Wieder-

um erreicht die Rede einen Punkt, wo das Bild nicht mehr

genügt, um die Sache, von der gesprochen wird, aufzunehmen.

Brot, selbst himmlisches, reicht nicht aus, die Wirklichkeit dar-

zustellen, darum wechselt das Bild in einem kühnen Um-

schwung vom Brot zum Fleisch.

Daß

das Bild vom Brot unter

dem Ansturm der Wirklichkeit nicht mehr genügte, zeigte sich

schon in Vers

35,

wo neben das Essen das Trinken

und

Dürsten

trat. Was

sich

dort andeutete, hat sich hier vollzogen: Das

Bild vom Brot wird gesprengt, und die Rede wechselt über in

das Bild von Fleisch und Blut, weil nur so die Wirklichkeit

zur Sprache gebracht werden kann. Was den Bildwechsel ver-

ursacht, kann man dem ÖJtEQ für) des Verses r c entnehmen.

Denn hinter dem

ÖJtEQ

steht der Gedanke an Jesu stellvertre-

tendes Sühneleiden am Kreuz. Jesus ist insofern das Brot, als

er das für die Welt und ihr Leben dahingegebene Fleisch ist.

Die Welt erhält Leben, wenn sie ihn als das für die Welt da-

hingegebene Fleisch ißt. So gewinnt sie Anteil an ihm und

glaubt an ihn. »Darum verschiebt sich die Aussage insofern,

als Jesus, der bisher von sich als dem Lebensbrot gesprochen

hat, nunmehr sein für das Leben der Welt hingegebene Fleisch,

seinen am Kreuze hängenden Leib als das Brot bezeichnet, das

er spenden wird«

63

Gefordert ist der Glaube an ihn nicht nur

als an den Sohn Mariens und Josefs, der zugleich der vom

Himmel herabgekommene Menschensohn ist, sondern der

Glaube an ihn als den Gekreuzigten. »Die Paradoxie der

Selbstaussage Jesu hat damit, daß der Sohn Josefs und Marias

das vom Himmel herabgekommene Brot ist, ihre letzte Schärfe

noch nicht erreicht. Sie wird erst damit erreicht, daß der vom

Himmel Herabgekommene deshalb das Lebensbrot ist, weil er

der Gekreuzigte ist«

64

• Der Unglaube vermochte schon nicht

63

H. Strathmann

Das Evangelium nach Johannes, Göttingen

1968, II

=

NTD 4

64

H. Strathmann Das Evangelium nach Johannes, II

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zu sehen, daß J

esus

von N azareth, der Sohn Marias und J osefs,

der vom Himmel Herabgekommene ist. Noch schwieriger zu

glauben aber ist, daß Jesus von Nazareth als der Gekreuzigte

zugleich der vom Himmel Herabgekommene ist. Das wird nur

dem möglich, der zugleich im Gekreuzigten den Erhöhten er

kennt. Erst seine Erhöhung macht den Glauben

an

ihn als den

vom Himmel Herabgekommenen möglich. Als der Gekreu

zigte und Erhöhte ist er Inhalt und Ermöglichungsgrund des

Glaubens. Wenn er am Kreuz erhöht sein wird,

wird

er alles

an

sich

ziehen Jo I2,J2f.). Er muß wie die Schlange in der

Wüste am Kreuz erhöht werden Jo 3,14), damit alle auf ihn

schauen können, um geheilt zu werden

und

das Leben zu ha

ben. Der gekreuzigte Erhöhte ist der Schlüssel der dem Glau-

ben die

ür

zum Geheimnis der Person ]esu öffnet.

So ist das

v rtEQ der Höhepunkt der Rede wie das »Ich gebe mein Leben

für die Schafe« Jo Io, I 5) der Höhepunkt der Auslegung des

anderen Ich-bin-Wortes ist, in dem Jesus

sich

als den guten

Hirten

offenbart Jo IO,I I)

65 •

Wieskandalhaft ein Glaube ist,

der glaubt, daß der gekreuzigte Jesus der herabgekommene

Menschensohn ist, zeigt die Empörung der»Juden« in Vers 52·

Sie können ihrer Art zu denken nicht entrinnen

und

gewahren

das sich in Jesu Wort verbergende und offenbarende Geheim

nis nicht. Der Unglaube versteht die Rede nicht. Er versteht

auf seine Weise:» Wie will der uns sein Fleisch zu essen geben?«

Der Unglaube hält sich an den vor ihm Stehenden. Der Di

mension seines Herabgekommenseins als Brot und seines Hin

gegebenseins als Fleisch wird er nicht gewahr Jo

6,p).

Aus

dem Murren des Unglaubens Jo 6,4I) ist offene Absage ge

worden f,f.t qov-to). Der Rede Jesu bleibt nichts als die noch

malige Bekräftigung dessen, was er schon gesagt hat. Die

Bekräftigung wird zum Urteil über den Unglauben. Das dop

pelte »Amen« zu Beginn des Verses 53 unterstreicht die End

gültigkeit des Gesagten. Die Endgültigkeit steigert das Bild

ins Unerträgliche. Zum Fleisch tritt das Blut; wer sein Fleisch

nicht ißt, sein Blut nicht trinkt, wer sich sein Dahingegeben-

65

im:eg

bei Johannes im Sinne der stellvertretenden Hingabe Jesu auch

noch: Jo rr,50-53;

15,13; 18,14.

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sein nicht dadurch zu Eigen macht, daß er an ihn glaubt, erhält

keinen Anteil an dem, was sein Dahingegebenwerden als

Fleisch und Blut für die Welt erwirbt: am Leben.

Was Vers 53 negativ sagt, bekräftigt Vers 54 unter einer no ch-

maligen Anspannung

des

Bildes

{ tQWY LV

kauen ). Wer an

ihn glaubt, an den vom Himmel herabgekommenen Menschen

sohn, der Jesus von N azareth ist, der Gekreuzigte, der sein

Fleisch und Blut dahingibt für das Leben der Welt, der er

langt das Leben. Jesus erschließt

sich als

wahre Speise und

wahrer Trank, als der, den der Glaubende sich zu Eigen ma

chen kann in seinem als Fleisch und Blut Dahingegebensein

(Jo 6,55). Wer ihn so ißt und trinkt, der bleibt in ihm und er

in ihm (Jo 6,56). Das heißt glauben:

In

ihm sein und er im

Glaubenden. An ihn glauben heißt, mit ihm in unauflöslicher

Einheit sein. Bultmann der im übrigen den Abschnitt Jo 6,51 b

bis

58

für einen »eucharistischen« Einschub eines späteren

kirchlichen Redaktors hält, muß dennoch zu Vers 56 bemer

ken: »Die Formel, mit der die Unio beschrieben

wird - >er

in

mir und ich in ihm< ist die Joh.-Formel, die sonst das Glaubens

verhältnis zum Offenbarer beschreibt«

88

• Sein Fleisch essen,

sein Blut trinken, heißt an ihn glauben. Dabei ist das Bild

deshalb gewählt, weil an ihn glauben nicht einfachhin an Je

sus

von Nazareth als den Offenbarer und Logos glauben heißt.

Vielmehr heißt an ihn glauben - und darin liegt der Akzent,

den das Bild einbringt - an den gekreuzigten Menschensohn

glauben. Im Kreuz erreicht die Anstößigkeit seines Mensch

seins ihren Höhepunkt; zugleich erschließt er sich darin für

den Glauben als der Dahingegebene und Erhöhte. Dieser

Glaube führt zur Einheit mit ihm. Die Einheit Jesu mit dem

Glaubenden ist wie die Einheit des Vaters mit dem Sohne.

Wie der Sohn aus dieser Einheit mit dem Vater lebt, so lebt

auch der Glaubende

aus

der Einheit mit Jesus (Jo 6,57). Mit

dem Gedanken vom Leben sChließt die Rede ab. Für den

Glaubenden ist er das lebenspendende Brot, das den Glau-

86

R

Bultmann Johannesevangelium, 176

Zur Einheitsformel vgl. Jo

15,4

f.;

17,21-23.

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benden nicht gleich den Vätern die das Manna aßen sterben

läßt sondern ihm ewiges Leben bringt.

Vers 59 »dies sagte er lehrend in der Synagoge in Kaphar

naum« wirkt nach dem theologischen Höhenflug der Rede er

nüchternd. Doch bindet nach der Absicht des Johannes gerade

diese Notiz die Christusrede an den Jesus von Nazareth. Der

Offenbarer ist Jesus

von

Nazareth eine Aussage die als

Thema der

Rede

von

Anfang bis Ende

in

ihr zu vernehmen

war. Gleichzeitig schließt die Notiz die Rede mit den Ereig

nissen von Speisung

und

Seewandel

zur

Einheit zusammen.

Brotwunder und Brotrede -

Jesus das in den Tod gegebene Passahlamm

Die Rede erwies sich in ihrer heutigen Gestalt als konsequent

einen Gedankengang durchführend wenn auch ihre Logik

nicht die unsere ist. Der Gedankenfortschritt

der

Rede erfolgte

nicht

von Satz

zu

Satz. Die Rede wiederholte sich

oder

ging

einem Gedanken nach und näherte sich dann wieder dem

Thema. Dennoch zeigte sie sich von einer ursprünglichen Ein

heit in der Konzeption. Sie war ohne die Annahme einer jo

hanneischen Überarbeitung einer Vorlage zu verstehen auch

wenn der Verfasser sich vorgeformter Redeweisen und Motive

bediente. Auch eine spätere kirchlich-sakramentale

Überar

beitung der Rede mußte zu ihrer Auslegung nicht zu Hilfe ge

nommen werden

7

• Wenn

man

von einer »eucharistischen«

Interpretation

des Abschnitts Jo 6 51

c-58

absieht erweist er

sich gerade als der

Höhepunkt

der Rede

68

• Es mag sein daß

87

R. Bultmann Johannesevangelium x6x-x63 möchte die Rede so rekon

struieren: 6 27·34·35·3o-33·47-P a.41-46.36-4o;

28

f

ist ein versprengtes

Fragment

und

Vers

51

b-58 von einer späteren »kirchlichen« Redaktion

hinzugefügt.

68

»Hier wäre daran

zu

erinnern daß eine allzu starke Skandierung zwi

schen Brotrede und Eucharistierede dem Text eine Unterscheidung auf

zwingt an die der Verfasser sicher nicht gedacht hat.

In

seinem Denken

gestaltet sich der Übergang sehr viel selbstverständlicher

und

fließender; er

sieht viel stärker die Einheit wo andere Zeiten mit anderer Fragestellung

einen Unterschied gewahren möchten.«

f

Blank Die johanneische Brot

rede 196

r66

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sich Johannes in diesem Abschnitt eucharistisch vorgeprägter

Redeweise bediente, doch liegt die eigentliche Aussageabsicht .

weder in einer Verheißung der Eucharistie noch in einer theo

logischen Interpretation derselben. Der Abschnitt ist nur die

letzte Steigerung

des

die ganze Rede durchziehenden Themas:

Der Gegenstand des christlichen Glaubens und zugleich sein

Ermöglichungsgrund ist Jesus von N azareth, der Sohn J osefs

und Mariens in seiner Identität mit dem vom Himmel herab

gekommenen Menschensohn. Auf die letzte Spitze getrieben

heißt die Aussage: Der am Kreuz hängende Jesus ist der, der

vom Himmel herabgekommen durch die Dahingabe seines

Fleisches und Blutes der Welt das Leben geben will.

Dem Johannesevangelisten liegt daran, die

Einheit

von

histo-

rischem d h gekreuzigtem ]esus

m t

dem präexistenten Logos

und erhöhten Christus einzuschärfen und vor ihrer Auflösung

zu bewahren. Es geht ihm um ähnliche christologische Pro

bleme, die auch im ersten Johannesbrief berührt werden:

»näherhin um die auch heute wieder aktuelle Frage: Sind der

Gekreuzigte) Jesus und der himmlische Christus Erlöser)

identisch?« »Das Programm, das im Evangelium Johannes)

durchgeführt wird, ist dies: Jesus Christus

wird

als fleisch

gewordener Logos und

zwar

als beides: als Logos sowohl wie

als Fleischgewordener, aber in ihrer Einheit bezeugt und zu

gleich, wie seine

Doxa

für die apostolischen Augenzeugen, zu

denen der Verfasser

sich

rechnet, in Jesus Christus schaubar

wurde«

69

Der Unglaube kann diese Einheit nicht erkennen.

Der Glaubende sieht im Irdischen die himmlische Doxa, er

sieht das Zeichen als Zeichen und im Gekreuzigten das für das

Leben der Welt hingegebene Fleisch und Blut.

Auf diese Aussage hin geht der Gedankengang der Rede.

An

ihrem Anfang steht die Aufforderung an die, die das Zeichen

der Speisung, sich um unvergängliche Speise zu bemühen Jo

6,27), nicht eingesehen hatten.

Der

Weg zu dieser Speise ist der

Glaube an den von Gott

~ s a n d t e n

Jo 6,29). Das Beglaubi

gungszeichen für den Gottgesandten ist das vom Himmel her-

  8

F Mußner

Die

johanneische Sehweise, 3

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abgekommene Brot (Jo 6,32 f.). Dieses Brot des Lebens ist

Jesus selber (Jo 6,35).

Der

Glaubende sieht,

daß

er das vom

Himmel herabgekommene Brot ist (Jo 6,36-40). Glauben aber

ist Gabe, seine Folge ist Leben (Jo 6,40). Der Unglaube sieht

nicht die Einheit von Jesus von Nazareth und dem vom

Him-

mel herabgekommenen Brot (Jo 6,41-43). Glaube, der das

sieht, ist von

Gott

in Jesus gegeben, so daß Jesus selbst der

Ermöglichungsgrund

des

Glaubens ist (Jo 6,44-46).

Der

Glaube

an ihn führt zum Leben (Jo 6,47). Denn er ist als das vom

Himmel herabgestiegene Brot, das Brot

des

Lebens (Jo 6,48 bis

5 r ). Dieses Leben kann man

sich

im Glauben aneignen, weil er

das Brot ist, das als dahingegebenes Fleisch und Blut gegessen

werden kann (Jo 6 p c). Ja man muß dieses Fleisch und Blut

essen und trinken, man muß an ihn als den Dahingegebenen

glauben, um das Leben zu haben (Jo 6,52-56).

Wenn man den letzten Abschnitt der johanneischen Brotrede

eucharistisch interpretiert, schneidet man den

Höhepunkt

der

Rede weg. Denn der Gekreuzigte ist die letzte Steigerung

des

Jesus,

des

Sohnes Josefs von Jo 6,42. Auch die

sich

steigernde

Reaktion

des

Unglaubens macht das sichtbar.

Jo 6,28 »Was müssen

wir

tun «

Jo

6,30 »Welches Zeichen tust du?«

Jo

6,34 »Gib uns immer dieses Brot.«

Jo

6 41 »Es

murrten nun die Juden.«

Jo

6 p

»Es

stritten nun untereinander die Juden.«

Die Interpretation, die den Gedanken der Todeshingabe Jesu

im Kreuz einbezieht,

wird

durch das, was der Brotrede folgt,

bestätigt. Auch Jünger nehmen Anstoß, und einige folgen Je

sus nicht mehr (Jo 6,60-71). Wir dürfen darin ein »histori

sches«

Motiv sehen.

Es

bewahrt die Erinnerung daran, daß

auch die Jünger Jesus verließen, als

sie

erkannten, daß seine

Sache ein schlimmes Ende nehmen werde. Johannes

hat

dieses

»historische Motiv« benutzt, um das Ärgernis der Christus

rede, daß der Gekreuzigte der vom Himmel Herabgekommene

ist, zu unterstreichen. Aber selbst im heutigen

Text

ist die Be

ziehung

des

Motivs zu Passion und Tod Jesu in der Erwäh

nung des Judas und seines Verrates zu erkennen (Jo 6,7of.).

r68

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Für

den Evangelisten ist der Verrat ein Beispiel für den Un

glauben, dem

es

nicht gelingt, im gekreuzigten Jesus

den vom

Himmel

Herabgekommenen zu erblicken.

Eine solche

Interpretation

der johanneischen Brotrede läßt

schließlich auch die redaktionelle Einfügung in die Vorlage

der Speisungsgeschichte von Jo

6,4 verständlich werden: »Pas

sah, das Fest der Juden, war nahe.« Bekanntlich läßt die jo

hanneische Chronologie der Passionsgeschichte den

Tod

Jesu

am

Rüsttag des Passahsabbats stattfinden

7

• An

diesem Rüst

tag

fand im Tempel die rituelle Schlachtung

der

Osterlämmer

statt.

Johannes sieht in der Kreuzigung Jesu die Schlachtung

des eigentlichen

mit Gott

versöhnenden Passahlammes. Schon

am Beginn seines Evangeliums weist Johannes der Täufer auf

Jesus als

auf

das Lamm Gottes hin, das die Sünden

der

Welt

hinwegnimmt (Jo r,29). Die Erwähnung von

Fleisch

und

Blut

im Abschluß der Brotrede aber spricht in Opferterminologie

vom

Tode Jesu am Kreuz, durch den der

Welt

Leben geschenkt

wird. »Der Sinn der Aussage ist also,

daß

Jesus das Leben

spenden

wird

als das Lamm Gottes, das die Sünden

der

Welt

wegträgt (Jo r,29). Im Sinn

von

Vers

35-47

unbildlich ausge

drückt

wird

also in 5 r b die Forderung des Glaubens an den

von

Gott

Gesandten

zur

Forderung des Glaubens an den als

Opfer Gekreuzigten (vgl. 3,14-r6 )«

71

Damit erhält die Zeit

angabe von

Jo

6,4 innerhalb der Speisungsgeschichte einen

Sinn, der über den einer rein chronologischen Angabe hinaus

geht

72

• Das Thema des Kreuzestodes, das den

Höhepunkt

des

Abschnitts bildet, klingt schon zu seinem Beginn an. Speisung

und Brotrede sind aufeinander bezogen.

Das Johannesevangelium kennt keine eigentliche Entwicklung

des Weges Jesu. Alles ist im Grunde von Anfang an schon

entschieden.

Im

Einzelnen ist das Ganze jeweils schon

vorhan

den. In der Brotrede spricht aus dem Munde des irdischen Jesus

schon die Erkenntnis seines Dahingegebenseins. Auch die

7

Vgl. Jo

18,28.39;

19 I4.3L42.

71

H. Strathmann Das Evangelium nach Johannes,

119

72

Jo 11,55; 12,1; 13,1 sind aucl nimt rein clJronologische Angaben, son

dern werden mit Jesu Tod in Verbindung gebracht.

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Struktur von Speisung und Seewandel zeigt, daß im Fragment

schon das Ganze enthalten ist. Das kann

man

sehen, wenn man

der Bewegung der Geschichte folgt. Jesus,

mit

den Jüngern zu-

sammen auf dem Berg, steigt herab, um das Volk zu speisen;

das Mißverständnis des Volkes

führt

ihn

auf

den Berg, allein.

Die Jünger bleiben allein auf dem

See

bis dann Jesus zu ihnen

kommt, sich ihnen offenbart und sie ihn voll Freude in ihr

Boot nehmen. Diese

Struktur

ist auch die

Struktur

des ganzen

Schicksals Jesu nach Johannes. Jesus steigt herab, er wird nicht

verstanden, die Seinen nehmen ihn nicht auf Jo

r,u .

So be-

steigt er den Berg des Kreuzes, er allein.

Die

Jünger sind allein

gelassen, aber nach der kleinen Weile sehen sie ihn wieder.

»Da freuten sich die Jünger, als sie den Herrn sahen« Jo 20,

20 .

Sie sehen ihn als den gekreuzigten Erhöhten. Das aber

heißt für Johannes Glauben.

Damit

soll nicht gesagt sein,

daß

in Speisungsgeschichte

und

Seewandel das Schicksal Jesu, wie

Johannes es sieht, sich allegorisch verbirgt. Doch ist zu be-

denken, daß die Struktur eines Denkens sich bis in das kleinste

Werk, das es gestaltet, überträgt, wie die Sehweise eines Ma-

lers, mit der er die Wirklichkeit sieht, sich in jedem seiner Bil-

der findet, gleichgültig welches Sujet sie darstellen. Wenn Jesu

Schicksal von Johannes in großen Bildern entworfen wird, und

wenn eine eigentliche Geschichte Jesu nicht geboten wird, son-

dern alles von Anfang schon entschieden ist, sind wir berech-

tigt, die Struktur des Schicksals des johanneischen Jesus Chri-

stus im großen Bild von der Speisung und vom Seewandel zu

entdecken.

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V

J SUS DIE MITTE DER EV NGELIEN

Der

Vergleich von Perikopen in denen die Synoptiker den

gleichen Stoff wie Johannes überliefern brachte uns Einblicke

in die Art wie der jeweilige Redaktor eine Jesustradition aus

seiner Sicht überlieferte und auslegte. Auch wenn diese Peri

kopen nur eine schmale Basis für einen Vergleich zwischen den

Synoptikern und Johannes sind war

es

doch möglich ver

schiedene Profile voneinander abzuheben. Die Auswahl gerade

dieser drei Perikopen

war

zwar durch den Umstand bedingt

daß

es sich

bei ihnen um Johannes und den Synoptikern ge

meinsame Stoffe handelte. Es konnte daher nicht erwartet

werden daß

sie

genügten um einen umfassenden Oberblick

über die Theologien der Evangelisten zu gewinnen; aber den

noch hat

sich

gezeigt daß man durch

sie

die Verschiedenartig

keit der Evangelisten untereinander erkennen konnte. Der

Vergleich ließ zudem jeweils die Umrisse von Vorlagen erken

nen die

sich

in der Art wie

sie

die Jesustraditionen auslegten

wiederum von den Evangelisten unterschieden. Der redak

tionsgeschichtliche Frageansatz bemüht

sich

darum die jewei

lige theologische igenart der vangelien und des ihnen zu

grunde liegenden Quellenmaterials zu erkennen. Dabei wird

die Einheit der Evangelien mehr oder weniger vorausgesetzt

oder nicht in den Blick genommen. Läßt

sich

über die Einheit

der Evangelien aber noch mehr ausmachen als daß sie alle von

Jesus reden und gewisse Jesustraditionen gemeinsam haben?

Läßt

sich

so etwas wie eine innere Einheit erkennen die auch

dann bleibt wenn verschiedene Stoffe überliefert werden?

Oder aber ist die Einheit

nur

formal? Legen die Evangelien

Jesus jeweils völlig anders aus?

Wir

sind diesem Problem schon bei der Analyse der Perikope

von der

Tempelreinigung

begegnet. Obwohl von dem gleichen

Ereignis gesprochen wurde waren die Unterschiede in Sicht

und Darstellung zwischen Markus und Johannes unverkenn

bar. Gleichzeitig ergab

sich

ein Zugang zu dem den die Evan

gelisten als Evangelium verkünden. Die traditionsgeschicht-

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liehe Nachfrage ließ nämlich den Weg zu der Handlung Jesu

selber aufleuchten. Die Handlung der Tempelreinigung erwies

sich als im Kontext der eschatologischen Verkündigung J esu

durchaus möglich und zeigte daß Jesu eschatologische Verkün

digung Konsequenzen in sich barg die letzten Endes zu Leiden

und Kreuz führten. Hinter dieser Handlung wurde eine Auto

rität

sichtbar die unmittelbar und unabgeleitet den der ihr

begegnete in eine Entscheidung führte die gleichzeitig eine

Entscheidung für oder gegen die Person Jesu war. er Kon

text von J

esu

eschatologischer Verkündigung erwies sich als der

beste Zugang zum Verständnis einer

Handlung

des

histori

schen

Jesus deren prophetischer Zeichencharakter das Ende

des Alten und den Anbruch

des

Neuen verkündigte. Wenn

Gott selber seine Eschata heraufführt wenn er seine Herr-

schaft aufzurichten beginnt fallen Tempel und Gottesdienst

dahin weil sie nur vorläufig sind Schatten

des

Kommenden.

Wir

sahen wie durch die Aufnahme der Perikope in das

arkusevangelium eine Deutung beginnt die die Tiefendi

mensionen

des

Ereignisses erschließt indem sie Jesu Tempel

handlung als Heils- und Gerichtszeichen verkündet. Als Heils

zeichen durch das

sich

die universale Weitung

des

Heils in den

Eschata vollzieht als Gerichtszeichen gegenüber denen die

sich

auf die in Jesus

sich

ereignende Autorität Gottes nicht ein

lassen. Die nachösterliche Sicht erschließt die Bedeutung des

sen was sich in Jesu Tempelhandlung vollzogen hatte weil

das was die Tempelhandlung ankündigte nicht dahingefallen

war sondern durch Kreuz und Auferstehung seine bleibende

Relevanz erwies.

das mit Jesus hereingebrochene Escha

ton die universale Weitung des Heils wie auch das vollzogene

Gericht gewesen war ist von Ostern her sichtbar. aß Ostern

die Fortdauer

des

in der Tempelhandlung Jesu sichtbar wer

denden N euen ist wird durch die Aufnahme gerade dieser

Tradition eingeschärft.

o

versteht Markus die Tempelhand

lung Jesu als ein Zeichen des Gerichtes und des Heils.

Bei ]ohannes zentriert sich alles in der Person Jesu.

Er

ver

steht die Tempelreinigung als ein »christologisches« Zeichen

das geeignet ist einerseits die bis zum Letzten gehende Selbst-

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hingabe Jesu Zeichenhaft darzustellen - worin Johannes auf

seine Weise den alten Passionsbezug der Perikope wahrt -

andererseits aber auch zu verkünden, daß er als der nach drei

Tagen wieder aufgerichtete Tempel in Zukunft der einzige

Ort

ist, an dem man Gott begegnen kann und ihn verehren darf.

Die Sache Jesu, die sich in der markinischen Darstellung noch

als Gericht und Heil geltend machte, ist bei Johannes mit der

Person J esu, des

sich

selbst dahingebenden Gekreuzigten, in

Identität

mit dem nach drei Tagen, d. h. durch Gott wieder

aufgerichteten Tempel, in eins gesehen.

In

verschiedener Weise

wird

dennoch die Bedeutsamkeit des

Ereignisses festgehalten. Der in der Tempelreinigung zu Tage

tretende Vollmachtsanspruch Jesu der ihn schließlich in Kreuz

und Tod führt,

wird

in der alles in Jesu Person konzentrie

renden Sicht des Johannes bewahrt. Der eschatologische An

spruch Jesu

wird

von Markus inhaltlich entfaltet. Das eschato

logische Heil

läßt sich

nicht auf Israel beschränken, sondern

gilt vielmehr universal. Dieser Aspekt wird von J ohannes nicht

aufgegeben. Er sieht ihn

zwar

nicht unter der Vorstellung von

nicht mehr geltenden völkischen und nationalen Grenzen, den

noch ist Jesus als der eschatologische Tempel Gottes selbst der

allen, d. h. jedem der glaubt, offenstehende Zugang des Men

schen zu Gott.

Das

Angebot der eschatologischen Gottesherrschaft wurde von

Jesus auch im Bild der

eschatologischen ischgemeinschaff

ge

macht. Eine der sichersten Tatsachen, die wir von ihm wissen,

ist, daß er mit den V erachteten, den Sündern und religiös De

klassierten, aber auch mit Pharisäern Mahlgemeinschaft unter

hielt. Der Anbruch der Gottesherrschaft war

Grund

zu einer

Freude, die ihm und seinen Jüngern das Fasten verbot Mk

2,19).

Der

Tischgemeinschaft, die Jesus unterhielt, eignete

Reich-Gottescharakter. Die evangelische Tradition

hat

diesen

Aspekt des Auftretens Jesu bewahrt. Es zeigt

sich

besonders

daran, daß sogar Beschimpfungen Jesu, die ihm gerade dieses

Verhalten vorwarfen, weiter überliefert wurden: Sein Ver

halten war so daß ihn seine Gegner einen Fresser und Wein

säufer nennen konnten Mt

u r9;

vgl. Mk

z,r6).

Schon die

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vormarkinische Tradition bewahrt in den Brotvermehrungs

geschichten den eschatologischen Akzent den Jesus der Tisch

gemeinschaft gab. Allerdings

tritt

seine Person deutlicher in

das Zentrum.

r

gibt der hungernden Menge Brot.

In

ihm

so

wissen die frühen vormarkinischen Gemeinden ist ihnen Got

tes eschatologisches Erbarmen nahe. Markus unterstreicht das

noch durch eine reflektiertere christologische Sicht der Ge

schichten. Jesus erweist

si h

als eschatologischer Hirte der ver

streuten Schafe Jahwes. r gibt als Anwesenheit des göttlichen

Erbarmens der Menge Weisung und Brot. Zugleich wird der

naive Blick auf das Bild in dem die Gemeinde das Erbarmen

Gottes in J esus anwesend sieht gebrochen. Die Erfahrung der

Ablehnung Jesu und seines Todes dringt in das Bild seiner irdi

schen Wirksamkeit ein. Die Speisongsgeschichten sind bei Mar

kus vom Jüngerunverständnis her zu lesen. Das in Jesus an

wesende Eschaton verschließt

si h zunächst dem Verständnis

so wie das Herrschaft-Gottes-Angebot Jesu auf Widerstand

stieß. Erst von Ostern her öffnet es si h dem Verstehen. Die

Konzentration auf die Person Jesu hin erreicht bei johannes

ihren Höhepunkt. So wie Jesus der eschatologische Zugang zu

Gott ist so ist er das eigentliche Brot. r ist nicht mehr nur

die Anwesenheit des Erbarmens Gottes sondern in seiner

Person das Brot durch das der Mensch eigentlich lebt.

r

ist

es

deshalb weil er zugleich die Selbstmitteilung Gottes

an

den

Menschen ist das Wort das

Gott

zum Menschen spricht. Als

der Erhöhte ist er zugleich der Irdische. Als am Kreuz Er

höhter ist er als der Herabgekommene erkennbar. Die Stel

lungnahme für oder gegen ihn entscheidet für den Menschen

alles sie ist entweder Glaube der die Identität von Herab-

gekommenem und Irdischem erkennt oder aber Unglaube der

nicht sieht daß er das Brot des Menschen ist.

Vom Glauben spricht auch die Perikope vom

auptmann von

Kapharnaum. Für Matthäus und Lukas wie auch für ihre

Vorlage heißt Glauben darauf vertrauen

daß

der

Herr

si h

wirksam erweist auch dann wenn seine körperliche An

wesenheit nicht gegeben ist. Es ist schon Vertrauen auf seine

Person nicht mehr nur gläubige Annahme seiner Reich-Gottes-

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Botschaft. Und dieser Glauben, daß si h seine krankenheilende

Wirksamkeit auch dann fortsetzt, wenn er nicht zugegen ist,

ist das eigentliche Wunder der Geschichte. Auch johannes for

dert den Glauben an sein Wort, das das Leben gibt. Nicht das

Wunder gebiert den Glauben, sondern der Glauben erkennt

das Wunder.

Bei allen Unterschieden nicht nur in den Einzelheiten, son

dern auch in der ganzen Sicht, zeigt

si h

die prinzipielle Ge-

meinsamkeit der Evangelien Für die Evangelien hat

si h

die

mit Jesu Botschaft und Auftreten hereinbrechende Gottes

herrschaft in Jesus realisiert. Ohne die prinzipielle Einsicht,

daß Jesus das endgültige Eschaton Gottes ist, hätten die Evan

gelien nicht als Evangelien geschrieben werden können. Das

unterscheidet sie von jeglicher biographischen Literatur. Bio

graphien werden geschrieben, weil man das Leben eines Men

schen für das eigene und das anderer für bedeutsam, erhellend

oder warnend hält. Die Evangelien aber halten

Wort

und

Werk des irdischen Jesus nicht

nur

für bedeutsam, erhellend

oder warnend, sondern als den Menschen total betreffend und

einfordernd. Am Anfang der Evangelienschreibung steht die

Erfahrung einer neuen und endgültigen Welt, die mit Jesus

beginnt.

Mit diesem Ansatz nehmen die Evangelien das auf, was

si h

mit Jesu Auftreten begeben hatte. Jesus verkündet das Her

einbrechen der neuen und endgültigen, eschatologischen Welt

Gottes. Die Herrschaft Gottes ist nahe herangekommen. Die

Aufteilung von Welt und Geschichte in einen jetzigen Un

heilsäon und einen von diesem ganz und gar geschiedenen Heils

äon wird überwunden. Das Heil Gottes, seine Herrschaft,

ragt in den jetzigen Aon hinein. Das Samenkorn des Reiches

Gottes ist in den Boden der Welt gelegt. Was die Zeit vor

Jesus in Sehnsucht zu sehen begehrte, ereignet

si h

jetzt vor

den Augen seiner Zeitgenossen Mt q 16f. - Lk 10,23 f.).

Darum

ist seine Zeit Zeit der Freude Mk 2,19). Die Königs

herrschaft Gottes ist nicht mehr eine ausschließlich für die Zu

kunft erwartete Größe, sondern wirkt machtvoll schon in der

Gegenwart.

175

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Was aber berechtigt die Evangelisten Jesu Botschaft von der in

die Gegenwart hereinreichenden Heilssphäre Gottes als in

Jesus selbst realisiert zu verkünden? Jesus selber versteht sich

nicht

nur

als einer, der das Kommen der Gottesherrschaft an

sagt, sondern er selbst bindet schon dieses Kommen an seine

Person. »Die Verkündigung der Gegenwart der Gottesherr

schaft gründet in dem Anspruch Jesu, daß in seinem Wirken

Gottes Herrsein aufgerichtet wird«

1

• Jesus spricht jedoch bei

aller Eindeutigkeit dieses Anspruchs sehr behutsam von der

Bindung des Kommens der Gottesherrschaft an seine Person.

Nur

indirekt spricht er von der Bedeutsamkeit seiner Person,

wenn er verkündet, daß »hier mehr als Salomo und Jonas«

anwesend ist (Mt I2,4I f Lk I I,3 I f.). Dennoch ist sein An

spruch unüberhörbar.

Er

rechtfertigt seinen Umgang mit Zöll

nern und Sündern, indem er auf die Denk- und Handlungs

weise Gottes hindeutet. Gottes Sünderliebe begibt sich im

Wirken J esu zu den Verlorenen, Geschlagenen und Gebeugten.

Die in Jesu Wirken hereinbrechende Gottesherrschaft ist Be

freiung für den Menschen von aller Fremdherrschaft und

Selbstentfremdung. »Wenn ich mit dem Finger Gottes die

Dämonen austreibe, dann ist die Herrschaft Gottes zu euch

gekommen« (Lk 11 20- Mt 12,28). Sein Wirken ist also ein

Zeichen, das die Anwesenheit der Gottesherrschaft verbürgt,

das

sie

anwesend macht. Die anwesende Gottesherrschaft in

Jesu Wirken zielt dahin, den Menschen von allem, was ihn

niederhält, zu befreien: »Geht und berichtet Johannes, was

ihr hört und seht: Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige

werden rein, Taube hören, Tote werden auferweckt und Ar

men

wird

das Heil verkündet « (Mt

11 4f.- Lk

7,22). Sie ist

das Angebot des Lebens in einer Welt des Todes: »Ist es er

laubt am Sabbat Gutes zu tun statt Böses, ein Leben zu retten

statt

zu töten?« (Mk

3 4

par). »]esus versteht sich als Gottes

eschatologisches Wort und als sein entscheidendes letztes Han

deln für den Menschen. Er verkündigt nicht über seine Person,

sondern verweist auf sein Tun als der gegenwärtig wirkenden

H. W Kuhn

Enderwartung und gegenwärtiges Heil. Untersuchungen zu

den Gemeindeliedern von Qurnran, Göttingen 1966, 204 (= StUNT 4)

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Heilsmacht Gottes. Aber dieses Tun ist eben sein

Handeln

in-

sofern er die Vollmacht dazu hat«

2

Zum Angebot der mit Jesu Wirken hereinbrechenden Gottes-

herrschaft gehört von Anfang an Annahme und Ablehnung.

In

zunehmender Klarheit erkennt Jesus, daß sein Angebot ab-

gelehnt

wird

und seine Person auf Widerspruch trifft.

r

über-

nimmt die Vergeblichkeit seines Lebens, ohne die Inhalte seiner

Verkündigung von der herannahenden Herrschaft Gottes auf-

zugeben. Auch die Vergeblichkeit und das vordergründige

Scheitern gehört zur Situation der gegenwärtigen Herrschaft

Gottes in diesem Kon. Das Saatgut geht auf vielfache Weise

verloren. Auch Jesu Weg in Kreuz und

Tod

ist paradoxes

Zeichen der gegenwärtigen Gottesherrschaft, Auch angesichts

des Todes hält er die die Gegenwärtigkeit der Gottesherrschaft

verbürgende Mahlgemeinschaft aufrecht. Unabhängig davon,

ob Jesus selber schon sein Geschick im Licht der jesajanischen

Gottesknechtsvorstellungen gedeutet hat, oder ob erst die

spätere Gemeinde mit Hilfe dieser Vorstellungen sich sein

Schicksal verständlich macht, gehört der Leidensweg Jesu eben-

so wie seine Machttaten und sein Wort zu den Zeichen, die das

Ankommen der Herrschaft Gottes begleiten. Mußte Jesus sel-

ber schon »in der Schule des Leidens Gehorsam lernen« Heb

5,7

f. ),

so

mußte auch die Gemeinschaft derer, die sein anfäng-

liches Angebot angenommen hatten, einen schmerzlichen Lern-

prozeß durchmachen. Mit Jesu Tod schien auch seine Botschaft

von der hereingebrochenen Herrschaft Gottes vergangen

zu

sein, gerade deshalb, weil er diese Botschaft mit der eigenen

Person so eng verbunden hatte. Widerfuhr der Gemeinde je-

doch die Erkenntnis, daß Gott Jesus nicht im Tode gelassen,

sondern auferweckt hatte, so mußte auch die Botschaft des irdi-

schen Jesus wieder aufleben und weiterhin von Bedeutung sein.

Wenn die Gemeinde darum die eschatologische at Gottes

durch

und an ]esus von Nazareth verkündete

so war

damit

immer auch die Verkündigung ]esu verbunden, daß die

Herr-

schaft Gottes mitsamt ihrer in Jesu irdischem Wirken ansichtig

2

J

Becker

Das Heil Gottes, Göttingen

1964,215

StUNT 3

177

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gewordenen Inhaltlichkeit inmitten dieses Aons herangebro

chen war. Die explizite Christologie der Gemeinde nach Ostern

hält damit den eschatologischen rundakzent der Reich-Got

tes-Botschaft Jesu durch. Das

Wort

Jesu von der hereinge

brochenen Herrschaft Gottes

wird

zum

Wort

über die eschato

logische Tat Gottes an Jesus. Dadurch

daß es

jetzt als Ver

kündigungswart der Gemeinde ergeht entschränkt sich die

Botschaft von den mit Jesu Auftreten in Israel gegebenen

Be-

grenzungen. Schon in der Reich-Gottes-Botschaft Jesu fehlten

völlig die völkisch-nationalen Vorstellungen. Angesichts der

hereinbrechenden Gottesherrschaft werden Sabbat Tempel

und kultisch-rituelle Vorschriften außer Bedeutung gesetzt. In

sofern ist schon bei Jesus selber der Weg über Israel hinaus ge-

öffnet. Aber sein konkretes Auftreten in Israel beschränkt ihn

auch darauf. n der christologischen Verkündigung der Ge

meinde fallen diese Grenzen. Aber diese Entschränkung macht

aus der Botschaft Jesu von Nazareth nicht eine .Form allge

meiner W elterklärung. Die Christologie bleibt gebunden an

den irdischen Jesus und hat seine Forderungen und sein Ange

bot weiter zu verkünden. Zugleich bringt sie zur Sprache daß

auch Jesu Leiden und Kreuz zu der von Jesus verkündeten

Wirklichkeit der Herrschaft Gottes in dieser Welt gehört. Da

mit wahrt

sie

die eschatologische Spannung der Botschaft Jesu

die das Herrsein Gottes

sich

in diesem .Aon schon auswirkend

verkündet aber die volle Errichtung des Reiches Gottes als

noch ausstehend erwartet. Das Spezifische der Verkündigung

der Evangelien liegt gerade darin daß sie das eingetroffene

Eschaton fest mit dem irdischen Jesus verbinden. Das bewahrt

die Gemeinde davor sich selber als die Gegenwart des Escha

ton zu verstehen

3

Sie ist

es

nur wenn und insofern

sie

die Bot

schaft Jesu nicht verstellt sondern ihr

Raum

gibt.

3

Vgl. H. W. Kuhn Enderwartung

und

gegenwärtiges Heil

2 4

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  NH NG

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ATD

AThANT

BBB

B ller

bec:k

BKAT

Blass

Debrunner

BZNF

HE

HNT

NTA

NTD

Quaest.

disp.

SBS

SNT

SNTSMS

StANT

StUNT

ABKüRZUNGSVERZEICHNIS

Das Alte Testament Deutsch Göttingen

Abhandlungen zur Theologie des Alten und Neuen Testa

ments Basel-Zürich

Bonner Biblische Beiträge Bonn

H

Strack

P

Billerbeck Kommentar zum Neuen Testament

aus Talmud und Midrasch München 1926

Biblischer Kommentar Altes Testament Neukirchen

F. Blass Grammatik des neutestamentlichen Griechisch bearb.

v. A. Debrunner Göttingen

9

1954

Biblische Zeitschrift Neue Folge Faderborn

Historia Ecclesiastica

Handbuch zum Neuen Testament Tübingen

Neutestamentliche Abhandlungen Münster

Das Neue Testament Deutsch Göttingen

Quaestiones disputatae Freiburg

Stuttgarter Bibelstudien Stuttgart

Die Schriften des Neuen Testaments neu übersetzt

und

für die

Gegenwart erklärt von W. Bousset und W Heitmüller Göt-

tingen

1917-19

Society for New Testament Studies Monograph Series Cam

bridge

Studien zum Alten und Neuen Testament München

Studien zur Umwelt des Neuen Testaments Göttingen

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PERSONENREGISTER

Abbot E. A.

69

Augustinus

52

Barth G. I36

Becker J. I77

Billerbeck

29 45 48 I

I9

Blank J. 44

II2

I6o I

Blinzler J. 23

Bornkamm G. I36

Bultmann R. 29 31 38 46 p

64 70 85 107 109 III 143

145

148 153

165 166

Dibelius

M.

10I

125

Eiliger K. 42

Eusebius

13 17

Faure A.

72

Fahrer G. 43 44

Fortna R. T.

72 145

155

Friedrich G.

126

Funk R.

W.

44

Grundmann

W.

128

Kähler M. r6

Kayser W. 57

Klemens von Alexandrien

13 14

21 22

Kraus H. J. 50

Kuhn

H. W. q6

q8

Leroy H. 38

Mußner F. 53 59 69 84 r67

Rengsdorf K H. 161

Roloff J.

125 I29 130 132

Schlier H.

87

88

Schmidt

K.

L.

r6

Schnackenburg R. 2 3 8 5

Schniewind J.

r

5 II1

II6 120

I26

Schweizer E. q 47 84 109 II3

129 13 r 132

Schulz S.

156 159

Strathmann H. I6J

r69

Trilling W. 59 77