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Schramke / Keilmann, BauR 2015, 1739 Thema: „Document Production“ in Bau-Schiedsverfahren Zeitschrift: BauR - Baurecht Autoren: Dr. H.-Jürgen Schramke/Dr. Annette Keilmann Rubrik: Aufsätze Referenz: BauR 2015, 1739 - 1747 (Heft 11) „Document Production“ in Bau-Schiedsverfahren von Dr. H.-Jürgen Schramke und Dr. Annette Keilmann, Frankfurt/Main In internationalen Schiedsverfahren werden Bauunternehmen häufig unvorbereitet mit der weitreichenden Pflicht zur Vorlage von Dokumenten konfrontiert. Gerade bei Streitigkeiten zu großvolumigen Projekten kann die sogenannte „Document Production“ zu einem der kosten- und zeitintensivsten Verfahrensabschnitte geraten. Zudem führt sie mitunter dazu, dass der Gegenseite unfreiwillig die von ihr benötigten Beweismittel zugänglich gemacht werden müssen. Der Beitrag erläutert, warum Parteien von der Document Production oft überrascht werden, stellt ihren üblichen Ablauf dar und zeigt auf, wie ein ausuferndes Verfahren vermieden werden kann. A. Einführung Großprojekte im Bau- und Anlagenbau werden immer häufiger mit Beteiligten aus verschiedenen Ländern verwirklicht. Für die Vertragsgestaltung bedeutet das meist, dass Auftragnehmer oder Auftraggeber bekanntes Terrain verlassen und sich auf Klauseln oder ganze Vertragswerke einlassen müssen, die sich außerhalb dessen bewegen, was hierzulande üblich ist. Damit verbunden ist nicht nur, dass Verträge materiell-rechtlich auf fremden Rechtsordnungen aufsetzen, sondern auch Streitigkeiten nicht vor staatlichen Gerichten sondern vor Schiedsgerichten auszutragen sind. Ganz nebenbei verständigen sich die Parteien hierbei ausdrücklich oder auch stillschweigend – und oft unbewusst – gleichzeitig auf die Durchführung einer sogenannten Document Production im Streitfall. Das kann gerade bei langwierigen Bauprojekten, an denen eine Vielzahl von Personen beteiligt sind, dazu führen, dass auf Antrag der Gegenseite tausende von internen Dokumenten vorzulegen sind und ein Vielfaches an Unterlagen zuvor zu sichten und auf Relevanz zu prüfen ist. Aufwand und Kosten hierfür können astronomisch sein. Häufig wird eine Partei auch nicht vermeiden können, Unterlagen vorzulegen, die sie lieber nicht in den Händen der Gegenseite sehen wollte. B. Woher kommt Document Production und wie findet das Konzept Eingang in ein Schiedsverfahren? I. Das Common Law als Ausgangspunkt Das Konzept der Document Production stammt aus dem Common Law. Fester Bestandteil des Prozessrechts in Großbritannien und den USA ist beispielsweise die „Disclosure“ 1 bzw. „Discovery“ 2 . Dort kann jede Partei während eines anhängigen Prozesses – meist vor der mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme – in großem Umfang die Vorlage von Unterlagen der Gegenseite verlangen, die im Zusammenhang mit dem Streitgegenstand stehen. Dahinter steht die Vorstellung, der Prozess diene dem Auffinden der „materiellen“ Wahrheit. 3 In den USA reicht die Pflicht zur Dokumentenvorlage noch deutlich weiter als in Großbritannien. 4 1 Siehe Part 31 der britischen Civil Procedure Rules. 2 Rules 26 bis 37 in Title V der Federal Rules of Civil Procedure (FRCP) beinhalten die Regeln zu Discovery auf Bundesebene. Die meisten Bundesstaaten haben ähnliche Regeln erlassen. Einen Überblick über die Regelungen bieten beispielsweise Prütting, AnwBl. 2008, 153, 154 ff. und Pfeiffer, GRUR Int 1999, 598 ff. 3 Zekoll/Bolt, NJW 2002, 3129, 3133. 1 © 2015 Wolters Kluwer Deutschland GmbH - JURION, 11.11.2015

Schramke / Keilmann, BauR 2015, 1739 · wesentlich von der Regelung des § 142 Abs. 1 ZPO . 17 So heißt es in Artikel 3 Abs. 1 18: „Jede Partei hat innerhalb der vom Schiedsgericht

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Schramke / Keilmann, BauR 2015, 1739

Thema: „Document Production“ in Bau-Schiedsverfahren

Zeitschrift: BauR - Baurecht Autoren: Dr. H.-Jürgen Schramke/Dr. AnnetteKeilmann

Rubrik: Aufsätze Referenz: BauR 2015, 1739 - 1747 (Heft 11)

„Document Production“ in Bau-Schiedsverfahren

von Dr. H.-Jürgen Schramke und Dr. Annette Keilmann, Frankfurt/MainIn internationalen Schiedsverfahren werden Bauunternehmen häufig unvorbereitet mit derweitreichenden Pflicht zur Vorlage von Dokumenten konfrontiert. Gerade bei Streitigkeiten zugroßvolumigen Projekten kann die sogenannte „Document Production“ zu einem der kosten- undzeitintensivsten Verfahrensabschnitte geraten. Zudem führt sie mitunter dazu, dass der Gegenseiteunfreiwillig die von ihr benötigten Beweismittel zugänglich gemacht werden müssen. Der Beitragerläutert, warum Parteien von der Document Production oft überrascht werden, stellt ihren üblichenAblauf dar und zeigt auf, wie ein ausuferndes Verfahren vermieden werden kann.

A. Einführung

Großprojekte im Bau- und Anlagenbau werden immer häufiger mit Beteiligten aus verschiedenen Ländernverwirklicht. Für die Vertragsgestaltung bedeutet das meist, dass Auftragnehmer oder Auftraggeberbekanntes Terrain verlassen und sich auf Klauseln oder ganze Vertragswerke einlassen müssen, die sichaußerhalb dessen bewegen, was hierzulande üblich ist. Damit verbunden ist nicht nur, dass Verträgemateriell-rechtlich auf fremden Rechtsordnungen aufsetzen, sondern auch Streitigkeiten nicht vor staatlichenGerichten sondern vor Schiedsgerichten auszutragen sind. Ganz nebenbei verständigen sich die Parteienhierbei ausdrücklich oder auch stillschweigend – und oft unbewusst – gleichzeitig auf die Durchführung einersogenannten Document Production im Streitfall. Das kann gerade bei langwierigen Bauprojekten, an deneneine Vielzahl von Personen beteiligt sind, dazu führen, dass auf Antrag der Gegenseite tausende von internenDokumenten vorzulegen sind und ein Vielfaches an Unterlagen zuvor zu sichten und auf Relevanz zu prüfenist. Aufwand und Kosten hierfür können astronomisch sein. Häufig wird eine Partei auch nicht vermeidenkönnen, Unterlagen vorzulegen, die sie lieber nicht in den Händen der Gegenseite sehen wollte.

B. Woher kommt Document Production und wie findet das Konzept Eingang in ein Schiedsverfahren?

I. Das Common Law als Ausgangspunkt

Das Konzept der Document Production stammt aus dem Common Law. Fester Bestandteil des Prozessrechtsin Großbritannien und den USA ist beispielsweise die „Disclosure“ 1 bzw. „Discovery“ 2 . Dort kann jede Parteiwährend eines anhängigen Prozesses – meist vor der mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme – ingroßem Umfang die Vorlage von Unterlagen der Gegenseite verlangen, die im Zusammenhang mit demStreitgegenstand stehen. Dahinter steht die Vorstellung, der Prozess diene dem Auffinden der „materiellen“Wahrheit. 3 In den USA reicht die Pflicht zur Dokumentenvorlage noch deutlich weiter als in Großbritannien. 4

1Siehe Part 31 der britischen Civil Procedure Rules.

2Rules 26 bis 37 in Title V der Federal Rules of Civil Procedure (FRCP) beinhalten die Regeln zu Discoveryauf Bundesebene. Die meisten Bundesstaaten haben ähnliche Regeln erlassen. Einen Überblick über dieRegelungen bieten beispielsweise Prütting, AnwBl. 2008, 153, 154 ff. und Pfeiffer, GRUR Int 1999, 598 ff.

3Zekoll/Bolt, NJW 2002, 3129, 3133.

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4In Großbritannien war der Umfang der Disclosure schon historisch gesehen weniger ausladend; zudem wurdedie Disclosure im Jahr 1999 durch die sogenannten Woolf Reforms gegenüber den früheren Regelungeneingeschränkt, insbesondere durch Einführen des Erfordernisses der Verhältnismäßigkeit (Rule 31.7 der CivilProcedure Rules).

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Mitunter wird von Fällen berichtet, in denen die eigentliche Motivation für eine Klageeinreichung nicht dieDurchsetzung der darin verfolgten Ansprüche, sondern die Einsicht in Unterlagen sei, die in anderer Sacheaus rechtlicher oder betrieblicher Sicht von Interesse sind. Wer schon einmal in einen größeren Prozess vorUS-amerikanischen oder britischen Gerichten involviert war, kennt die Bilder von Horden von Anwälten, die in– realen oder virtuellen – Datenräumen tausende von Dokumenten durchsehen. Sie hoffen dabei, Hilfreichesfür den eigenen Fall zu entdecken oder gar die berühmte „smoking gun“ zu finden – das bei der Gegenseite„vergrabene“ Schriftstück, das den entscheidenden Beweis für den eigenen Vortrag liefert.

Dieses Konzept ist den kontinentaleuropäischen Jurisdiktionen weitgehend fremd. Zwar sieht auch die ZPO in§ 142 Abs. 1 die Möglichkeit vor, dass ein Gericht die Vorlage von Dokumenten verlangen kann. Diepraktische Bedeutung und Reichweite dieser Vorschrift ist aber nicht im Ansatz vergleichbar mit denbeschriebenen Gepflogenheiten im Common Law. 5 Das liegt auch daran, dass nachkontinentaleuropäischem Rechtsverständnis keine Partei verpflichtet ist, der Gegenseite Dokumentezukommen zu lassen, die ihrem eigenen Fall schaden. 6 Konzeptuell dient der Prozess nach traditionellemVerständnis dem Auffinden der „prozessualen“ Wahrheit. 7 Das bedeutet, jede Partei hat die ihr günstigenTatsachen mit den Dokumenten zu beweisen, die sich in ihrem Besitz befinden; das Gericht entscheidet nachDarlegungs- und Beweislast. Dementsprechend darf nach Ansicht des Bundesgerichtshofs „das Gericht dieUrkundenvorlegung nicht zum bloßen Zwecke der Informationsgewinnung, sondern nur bei Vorliegen einesschlüssigen, auf konkrete Tatsachen bezogenen Vortrags der Partei anordnen.“ 8

II. Die Regelungen in den IBA-Beweisregeln und Schiedsordnungen

Nun liegt die Frage nahe, warum eine deutsche Partei Konzepte wie Disclosure und Discovery tangierensollten, solange sie nicht einen Prozess vor amerikanischen oder britischen Gerichten führt. Schließlichverhalten sich die gängigen Schiedsordnungen, wie etwa die der ICC 9 , der SCC 10 , der LCIA 11 oder – inDeutschland – der DIS 12 kaum oder nur sehr vage zur Document Production. 13 Der Grund, warum einedeutsche Partei in einem Schiedsverfahren – oft ungeahnt – von den im Common Law vorherrschendenVorstellungen über weitreichende Dokumentenvorlagepflichten betroffen sein kann, liegt darin, dass sichgewisse Einflüsse angelsächsischer Rechtssysteme international zunehmend durchsetzen. 14 Eines derwichtigsten Einfallstore sind die „IBA-Regeln zur Beweisaufnahme in der internationalenSchiedsgerichtsbarkeit“ (im Folgenden: „IBA-Beweisregeln“). 15 Diese Regeln sind das Arbeitsprodukt einesKomitees der International Bar Association, das sich aus Vertretern unterschiedlicher Länder und Rechts-

5Berger, Private Dispute Resolution in International Business, Vol. II, 2nd ed. 2009, Rdnr. 26-22; Leipold, in:Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2005, § 142 Rdnr. 9; Zekoll/Bolt, NJW 2002, 3129 ff.

6BGH, NJW 1990, 3151, 3151 [BGH 11.06.1990 - II ZR 159/89] : „Es bleibt vielmehr bei dem Grundsatz, daßkeine Partei gehalten ist, dem Gegner für seinen Prozeßsieg das Material zu verschaffen, über das er nichtschon von sich aus verfügt.“; vgl. auch Kaufmann-Kohler/Bärtsch, SchiedsVZ 2004, 13, 16.

7Prütting, AnwBl. 2008, 153, 156 f.; Gaier, NJW 2013, 2871, 2871.

8BGH, NJW 2007, 2989, 2992 [BGH 26.06.2007 - XI ZR 277/05] ; BGH, Beschluss v. 15.06.2010 – XI ZR318/09 –, BeckRS 2010, 17011; Musielak/Voit, ZPO, 12. Aufl. 2015, § 142 Rdnr. 1.

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9International Chamber of Commerce mit Sitz in Paris (ICC).

10Arbitration Institute of the Stockholm Chamber of Commerce (SCC).

11London Court of International Arbitration (LCIA).

12Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS).

13Vgl. auch Sachs, SchiedsVZ 2003, 193, 195; Art. 25 (1) ICC-Schiedsgerichtsordnung 2012 – Ermittlung desSachverhalts: „Das Schiedsgericht stellt den Sachverhalt (…) mit allen geeigneten Mitteln fest.“ und Art. 25 (5)ICC-Schiedsgerichtsordnung 2012: „In jedem Stadium des Schiedsverfahrens kann das Schiedsgericht jededer Parteien auffordern, zusätzliche Beweise beizubringen.“; Art. 26 (3) SCC Arbitration Rules 2007 –Evidence: „At the request of a party, the Arbitral Tribunal may order a party to produce any documents orother evidence which may be relevant to the outcome of the case.“; Art. 27.1 DIS-Schiedsgerichtsordnung1998 – Sachverhaltsermittlung: „Das Schiedsgericht (…) kann nach seinem Ermessen (…) die Vorlage vonUrkunden anordnen.“; Art. 22.1 lit. (v) LCIA Arbitration Rules 2014 – Additional Powers of the Arbitral Tribunal:„The Arbitral Tribunal shall have the power … to order any party to produce to the Arbitral Tribunal and toother parties documents or copies of documents in their possession, custody or power which the ArbitralTribunal decides to be relevant.“. Die entsprechende Vorschrift in Art. 22.1 lit. (e) LCIA Arbitration Rules 1998sah dagegen noch weitergehend vor, dass auch die Vorlage von „classes of documents“ angeordnet werdenkönne.

14Vgl. auch Lachmann, Handbuch der Schiedsgerichtsbarkeit, 3. Aufl. 2008, Rdnr. 1380 ff.

15Abrufbar unter http://www.ibanet.org/Publications/publications_IBA_guides_and_free_materials.aspx .

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systeme zusammensetzt. 16 Erklärtes Ziel der IBA-Beweisregeln ist es, unterschiedlichen Ansätzen aus denverschiedenen Rechtskulturen gerecht zu werden. So heißt es im Vorwort der deutschen Übersetzung: „DieIBA-Beweisregeln enthalten Verfahrensweisen, die in zahlreichen unterschiedlichen Rechtssystemenverwendet werden; sie können besonders dann nützlich sein, wenn die Parteien eines Schiedsverfahrensverschiedenen Rechtskulturen angehören.“ Sieht man sich einzelne Vorschriften an, wird schnell deutlich,dass es sich nicht um Verfahrensweisen handelt, „die in zahlreichen unterschiedlichen Rechtssystemenverwendet werden“. Das wäre ein Ding der Unmöglichkeit. Tatsächlich stellen die Regeln meistKompromissformeln dar, mit denen versucht wird, eine Balance zwischen den aufeinanderprallendenProzessrechtskulturen und Gepflogenheiten zu finden.

Dabei unterscheiden sich die IBA-Beweisregeln zur Document Production im Ausgangspunkt nicht einmalwesentlich von der Regelung des § 142 Abs. 1 ZPO . 17 So heißt es in Artikel 3 Abs. 1 18 : „Jede Partei hatinnerhalb der vom Schiedsgericht bestimmten Frist dem Schiedsgericht und den anderen Parteien sämtlicheDokumente einzureichen, auf die sie sich stützt und über die sie verfügt…“. In den weiteren Absätzen istgeregelt, dass und unter welchen Voraussetzungen darüber hinaus das Schiedsgericht befugt ist, auf Antrageiner Partei die Vorlage weiterer Dokumente oder Kategorien von Dokumenten anzuordnen.

Was auf den ersten Blick gar nicht so weit von dem entfernt scheint, was wir aus dem deutschenZivilprozessrecht kennen, erhält in der Praxis allerdings völlig andere Dimensionen, die einekontinentaleuropäische Partei überraschen und überwältigen können. Denn während § 142 Abs. 1 ZPO nur inseltenen Fällen zur Anwendung kommt, 19 ist eine umfangreiche Document Production in internationalenSchiedsverfahren eher die Regel. 20 Dies gilt insbesondere dann – aber nicht nur dann – wenn britische oder

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US-amerikanische Parteien oder Anwälte beteiligt sind. Die Erfahrung zeigt, dass die dortigenGepflogenheiten so tief in den Vorstellungen der Beteiligten von einem fairen Prozess verhaftet sind, dasseine Document Production aus deren Sicht gleichsam ein selbstverständlicher Bestandteil eines jedenVerfahrens ist. Mittlerweile haben die Vertreter des Common Law derart das internationale Schiedswesengeprägt, dass auch viele Schiedsrichter aus kontinentaleuropäischen Rechtssystemen offenbar der Meinungsind, zu jedem Schiedsverfahren mit internationalem Gepräge gehöre eine Document Production; dies sogardann, wenn die beteiligten Parteien in sogenannten Civil Law-Systemen beheimatet sind und sich auch dervereinbarte Schiedsort in Kontinentaleuropa befindet. 21

Aber wie erhalten nun die IBA-Beweisregeln Eingang in das Schiedsverfahren? Das kann auf verschiedeneWeise geschehen. Zum einen können die Parteien dies bereits in der Schiedsvereinbarung vorsehen, etwamit der entsprechenden von der IBA vorgeschlagenen Klausel:

„Es wird vereinbart, dass das Schiedsverfahren nach den IBA-Beweisregeln in der zumZeitpunkt [des Vertragsschlusses/der Einleitung des Schiedsverfahrens] gültigen Fassunggeführt werden soll.“ 22

16Ausführlich zu Definition, Entstehungsgeschichte und Zielsetzung der IBA Rules Risse/Haller, in: Eberl(Hrsg.), Beweis im Schiedsverfahren, 1. Aufl. 2015, S. 116 ff.

17Der Wortlaut von § 142 Abs. 1 ZPO ist nämlich recht weit gefasst. Daher wurde zum Teil auch befürchtet, dieEinfügung von § 142 ZPO könnte zu einer ausufernden Vorlagepflicht führen, vgl. zum Beispiel, Lüpke/Müller,NZI 2002, 588, 589; Dombek, BRAK-Mitt 2001, 122, 124; Steuer, WM 2000, 1889; siehe auch Konrad, NJW2004, 710 ff. zu möglichen Gefahren für den Schutz der vertraulichen Kommunikation zwischen Rechtsanwaltund Mandant.

18Sofern im Folgenden nicht anderweitig gekennzeichnet, beziehen sich Angaben zu Artikeln aufBestimmungen der IBA-Beweisregeln.

19Stackmann, NJW 2007, 3521, 3521; vgl. auch Prütting, AnwBl. 2008, 153, 158 f.

20Vgl. schon Sachs, SchiedsVZ 2003, 193, 197; Haller/Stumpe, in: Nedden/Herzberg, ICC-SchO, DIS-SchO,Praxiskommentar, 2014, Art. 25 ICC-SchO Rdnr. 35; etwas zurückhaltender Waincymer, Procedure andEvidence in International Arbitration, 2012, S. 825 und Burianski/Reindl, SchiedsVZ 2010, 187, 188 (eineeingeschränkte Document Production sei die Regel).

21Wirth, SchiedsVZ 2003, 9 ff.; vgl. auch Lachmann, Handbuch der Schiedsgerichtsbarkeit, Rdnr. 1385;Schütze, SchiedsVZ 2006, 1, 1 f.; Voser, SchiedsVZ 2005, 113, 117. Allerdings könnte man hier auchargumentieren, dass in solchen Fällen die Anordnung einer Document Production dem mutmaßlichen –gemeinsamen – Parteiwillen widerspreche. Diesen habe das Schiedsgericht zu beachten, bevor es – inErmangelung eines solchen Willens – die anwendbaren Beweisregeln nach seinem Ermessen bestimme (soSchütze, SchiedsVZ 2006, 1, 3 f.); kritisch zur unreflektierten Anwendung der IBA-Beweisregeln in Fällenohne Bezug zum common law auch Risse/Haller, in: Eberl (Hrsg.), Beweis im Schiedsverfahren, S. 126 f.

22IBA-Beweisregeln, Vorwort.

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Oder direkt auf Document Production bezogen:

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„Das Schiedsgericht kann [zusätzlich zu der dem Schiedsgericht insoweit durch die[Schiedsregeln] eingeräumten Befugnis] die Vorlage von Dokumenten [nach Maßgabe derIBA-Regeln zur Beweisaufnahme in der Internationalen Schiedsgerichtsbarkeit [in der imZeitpunkt dieser Vereinbarung/dem Beginn des Schiedsverfahrens gültigen Fassung]] [unterHeranziehung der IBA-Regeln zur Beweisaufnahme in der InternationalenSchiedsgerichtsbarkeit [in der im Zeitpunkt dieser Vereinbarung/dem Beginn desSchiedsverfahrens gültigen Fassung] als Richtlinie] anordnen.“ 23

Die Anwendung der IBA-Beweisregeln kann darüber hinaus auch noch bei Einleitung des Schiedsverfahrensoder zu einem späteren Zeitpunkt vereinbart werden. 24 Mitunter geschieht das bei der Vereinbarung der ininternationalen Schiedsverfahren üblichen sogenannten „Terms of Reference“, in denen dieStreitgegenstände definiert und abgegrenzt werden sowie Aspekte des Verfahrensablaufs geregelt werden(näher dazu in Abschnitt D. III.).

Aber selbst in Fällen, in denen keine ausdrückliche Vereinbarung über die Anwendung der IBA-Beweisregelngetroffen wird, kann sich eine Partei zu ihrer großen Überraschung in der Situation sehen, dass dieGegenseite und das Schiedsgericht einhellig und wie selbstverständlich davon ausgehen, dass dieBeweisaufnahme nach den IBA-Beweisregeln geführt wird. 25 Denn die Parteien und das Schiedsgericht sindweitgehend frei in der Gestaltung des Verfahrens. 26 Darüber hinaus hat das Schiedsgericht einen eigenenweitreichenden Ermessensspielraum. 27 Nichts liegt da näher, als Regeln heranzuziehen, die internationalakzeptiert sind. 28

C. Document Production in der Praxis – Verfahren und Aufwand

Ausgangspunkt des Document Production-Verfahrens nach den IBA-Beweisregeln ist deren Artikel 3,Abs. 1-3. Danach hat zunächst jede Partei innerhalb der vom Schiedsgericht bestimmten Frist demSchiedsgericht und den anderen Parteien sämtliche Dokumente vorzulegen, auf die sie sich stützt und überdie sie verfügt (Abs. 1). Darüber hinaus kann jede Partei an das Schiedsgericht und an die andere(n)Partei(en) einen Antrag auf Vorlage von Dokumenten stellen (Abs. 2), der bestimmte Erklärungen enthaltenmuss, auf die unten (in Abschnitt D. IV) näher eingegangen wird.

Was sich zunächst harmlos liest, ist der Ausgangspunkt eines Prozederes, das gerade bei großvolumigenProjekten enorme Ressourcen binden und zu einer ungeahnt teuren Veranstaltung geraten kann. Währenddie Herausgabe eines einzelnen, genau definierten Dokuments zwar schmerzhaft sein, aber immerhin miteinem überschaubaren Aufwand bewerkstelligt werden kann, bereitet die Suche nach und Vorlage von eineroder mehreren Kategorien von Dokumenten mitunter erhebliche Probleme. Artikel 3, Abs. 2 spricht zwar von„eng umschriebenen“ Kategorien. 29 Die Praxis zeigt aber, dass häufig weder die Parteien noch dieSchiedsgerichte den Begriff „eng“ wirklich eng aus-

23IBA-Richtlinien zur Gestaltung internationaler Schiedsklauseln, 2010 (http://www.ibanet.org/Publications/publications_IBA_guides_and_free_materials.aspx# ).

24Vereinbaren die Parteien die Geltung der IBA-Beweisregeln, so ist darauf zu achten, dass diese strengeingehalten werden. Anderenfalls droht womöglich die Aufhebbarkeit des Schiedsspruchs (in Deutschlandgemäß § 1059 Abs. 2d) ZPO ), weil das Schiedsgericht einer zulässigen Parteivereinbarung nichtentsprochen habe. Daher ordnen erfahrene Schiedsrichter die Geltung der IBA-Beweisregeln lieber einseitigals Orientierungsstandard an. Dadurch bleibt das Schiedsgericht frei, einzelfallbezogen auf bestimmteSituationen zu reagieren (siehe Risse/Haller, in: Eberl (Hrsg.), Beweis im Schiedsverfahren, S. 124 f.).

25Vgl. auch Wirth, SchiedsVZ 2003, 9, 13; Kneisel/Lecking, SchiedsVZ 2013, 150, 151; Risse/Haller, in: Eberl(Hrsg.), Beweis im Schiedsverfahren, S. 123 f.

26Lew/Mistelis/Kröll, Comparative International Commercial Arbitration, 2003, Rdnr. 22-15 bis 22-20;Kaufmann-Kohler/Bärtsch, SchiedsVZ 2004, 13, 14. Vgl. z.B. Art. 19 ICC-Schiedsgerichtsordnung 2012 –

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Verfahrensbestimmungen: „Auf das Verfahren vor dem Schiedsgericht ist die Schiedsgerichtsordnunganzuwenden und soweit diese keine Regeln enthält, sind diejenigen Regeln anzuwenden, die von denParteien, oder falls diese es unterlassen, vom Schiedsgericht festgelegt werden …“; Art. 19 (1) SCCArbitration Rules 2007 – Conduct of the Arbitration: „Subject to these Rules and any agreement between theparties, the Arbitral Tribunal may conduct the arbitration in such manner as it considers appropriate.“.

27Böckstiegel, in: Böckstiegel/Berger/Bredow, The Taking of Evidence in International Commercial Arbitration,2010, S. 45, 47; Born, International Commercial Arbitration: Cases and Materials, 2nd ed. 2015, S. 777 ff.;Kaufmann-Kohler/Bärtsch, SchiedsVZ 2004, 13, 15.

28Risse/Haller, in: Eberl (Hrsg.), Beweis im Schiedsverfahren, S. 116 und 125 f.; Schlosser, in: Eberl (Hrsg.),Beweis im Schiedsverfahren, S. 63; Sachs, SchiedsVZ 2003, 193, 196.

29Die deutsche Übersetzung der IBA-Beweisregeln ist hier etwas ungenau. Nach dem maßgeblichenenglischen Originaltext muss nicht die Umschreibung der Kategorien eng sein, sondern die Kategorie selbst(„a narrow and specific requested category of Documents“).

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legen. So kann eine einzelne Anfrage für eine Kategorie von Dokumenten tatsächlich hunderte vonDokumenten umfassen. Oft gibt es zahlreiche solcher einzelner Anfragen, sodass die Anzahl dervorzulegenden Dokumente schnell in die Tausende gehen kann.

Mit solchen Anfragen, sogenannten „Document Requests“, konfrontiert, kann sich die betroffene Partei nunüberlegen, ob sie sich fügt und die erbetenen Dokumente freiwillig vorlegt, oder Einwände erhebt. 30

Entschließt sie sich dazu, Einwände zu erheben, folgen üblicherweise weitere Schriftsatzrunden hierzu. Da esoft um eine Vielzahl von „Requests“ und entsprechenden Einwänden geht, werden diese üblicherweise ineinem sogenannten „Redfern Schedule“ festgehalten. 31 Vereinfacht gesagt ist dies eine Tabelle, die mehrereSpalten für folgende Punkte vorsieht: 1. Sämtliche „Requests“ mit Begründung, 2. die hiergegenvorgebrachten Einwendungen, 3. die Replik hierauf, 4. die Duplik hierauf, 5. die Entscheidung desSchiedsgerichts zur jeweiligen Request.

Bis dieser Punkt erreicht ist, gehen häufig bereits viele Wochen oder Monate ins Land. Der eigentlicheAufwand der Document Production beginnt aber erst jetzt. Denn die Partei muss nun die Dokumente, zuderen Vorlage sie vom Schiedsgericht verpflichtet wurde, suchen. Bei großvolumigen Verfahren mitumfangreichen Document Requests muss spätestens jetzt 32 eine gewaltige Maschinerie in Gang gesetztwerden, die folgende Schritte umfassen kann:

Identifizierung der Mitarbeiter, bei denen sich – in Papierform oder in elektronischer Form –entsprechende Dokumente finden könnten.

Klärung der datenschutzrechtlichen Lage 33 und ggf. Einholung der Zustimmung der Mitarbeiter zurDurchsuchung ihrer E-Mail-Accounts oder sonstiger Datenbanken und Unterlagen.

Instruktionen an die Mitarbeiter zur Unterstützung bei der Suche nach den angefordertenDokumenten.

Bei sehr umfangreichen Projekten Einsatz einer teuren Software oder externer Dienstleister, die eineDurchsuchung elektronischer Datenbanken und einzelner Accounts ermöglichen bzw.bewerkstelligen. 34

Durchsicht von oft tausenden von Dokumenten, die nach erster Suche (z.B. mit Hilfe von Suchwörternoder durch Hinweise der Mitarbeiter) als potentiell relevant für die jeweilige Document Requestidentifiziert wurden. Da diese erste Durchsicht und Filterung aufgrund des Datenvolumens häufignicht ausschließlich von den Anwälten erledigt werden kann, die mit dem Fall am besten vertraut sind,kommen hierbei gelegentlich sogenannte externe „Vertragsjuristen“ („Contract Lawyers“) zumEinsatz, die zu geringeren Stundensätzen eine Vorfilterung vornehmen. Diese müssen intensivvorbereitet und genauestens instruiert werden.

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Aussortieren nicht relevanter Dokumente. Gerade bei den in Bauprojekten üblichen technischkomplexen Sachverhalten kann dies sehr aufwendig sein und zu schwierigen Rückfragen beiProjektbeteiligten führen.

Aussortieren von Dokumenten oder Schwärzung von Teilen von Dokumenten, diedatenschutzrechtlich oder anderweitig geschützten Inhalt haben (zum Beispiel wegen bestimmterPrivilegien 35 ).

Vorbereitung eines Indexes aller vorzulegender Dokumente und solcher, die aus rechtlichen Gründen(wegen anerkannter beweisrechtlicher Privilegien) nicht oder nicht vollständig vorgelegt werdenmüssen.

Übermittlung der so identifizierten Dokumente an die Gegenseite. Bei großen Datenmengengeschieht dies meist auf einem elektronischen Datenträger.

30Die möglichen einzelnen Einwände werden unten in Abschnitt D. IV näher dargelegt.

31Der Name geht zurück auf Alan Redfern, der die Tabelle konzipiert hat. Die Verwendung eines solchenSchedules wird in Anhang IV zur ICC-Schiedsgerichtsordnung 2012, lit. d (v) empfohlen. Ein Beispiel füreinen „Redfern Schedule“ findet sich bei Haller/Stumpe, in: Nedden/Herzberg, ICC-SchO, DIS-SchO, Art. 25ICC-SchO Rdnr. 118.

32Die IBA-Guidelines on Party Representation in International Arbitration (2013) (abrufbar unterhttp://www.ibanet.org/Publications/publications_IBA_guides_and_free_materials.aspx ) sehen in Guideline 12weitergehend sogar vor, dass – wenn eine Document Production wahrscheinlich scheint – schon beiVerfahrensbeginn Maßnahmen getroffen werden sollen, um eine etwaige Löschung von Dokumenten imRahmen des üblichen Geschäftsablaufs zu verhindern; sehr kritisch dazu etwa Schneider, ASA Bulletin 2013,497.

33Zum Spannungsverhältnis zwischen E-Discovery in internationalen Schiedsverfahren und deutschemDatenschutzrecht siehe Burianski/Reindl, SchiedsVZ 2010, 187 ff.

34Ausführlich zur sogenannten E-Discovery z.B. Hilgard, SchiedsVZ 2008, 122 ff. und Meier, SchiedsVZ 2008,179 ff.

35Einen Überblick über einzelne anerkannte beweisrechtliche Privilegien bieten Haller/Stumpe, in:Nedden/Herzberg, ICC-SchO, DIS-SchO, Art. 25 ICC-SchO Rdnr. 49 ff.

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Nicht selten schließen sich dann weitere Schriftsatzrunden und eine Entscheidung des Schiedsgerichtsdarüber an, ob tatsächlich eine belastbare Rechtfertigung für die Nichtvorlage bzw. teilweise Schwärzungbestimmter Dokumente besteht. Legt eine Partei trotz Anordnung des Schiedsgerichts ein Dokument nichtvor, kann das Schiedsgericht daraus folgern, d.h. unterstellen, dass das Dokument von Nachteil für dieInteressen der Partei ist. 36

Die vorstehende kursorische Zusammenstellung der einzelnen Schritte lässt rasch erkennen, dass diesesVerfahren extrem zeit- und kostenintensiv ist. 37 In vielen Fällen gehört die Document Production daher auchzu den teuersten Phasen eines Schiedsverfahrens. Damit aber nicht genug: Denn die empfangende Parteiwird sich die vorgelegten Dokumente natürlich gründlich durchsehen müssen, um zu entscheiden, auf welchedieser Unterlagen sie sich in dem weiteren Verlauf des Verfahrens als Beweismittel stützen will. DieseAuswertung der Unterlagen kann, je nach Umfang, wiederum zahlreiche Anwälte und – bei sehr technischenSachverhalten – auch Unternehmensmitarbeiter für einen langen Zeitraum beschäftigen.

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D. Möglichkeiten der Einflussnahme auf den Umfang der Document Production

Wer keine – oder nur eine sehr beschränkte – Document Production durchführen möchte, kann und mussVorsorge treffen. Möglichkeiten der Einflussnahme der Parteien auf den Umfang der Document Productionbieten sich in verschiedenen Phasen:

I. Schiedsklausel

Den Parteien eines Vertrages ist es unbenommen, bereits in der Schiedsvereinbarung Bestimmungen zumUmfang einer Document Production zu treffen oder diese sogar komplett auszuschließen. Jedenfalls solangedie Schiedsrichter ihr Amt noch nicht angenommen haben, können die Parteien sich über die Art derBeweisaufnahme verständigen. 38 Nicht immer wird es indes mit einem bloßen Ausschluss der Anwendungder IBA-Regeln zur Document Production getan sein. Daneben ist auch ein Blick in die anwendbareSchiedsordnung und auch auf das Prozessrecht am Schiedsort zu werfen, das zur Anwendung kommenkann, wenn die Schiedsordnung bestimmte Komplexe nicht regelt. Bei einem Schiedsort in Deutschlandkönnte ein Schiedsgericht geneigt sein, § 142 Abs. 1 ZPO anzuwenden. Stammen die Schiedsrichter auseinem Common-Law-Staat, könnten sie leicht versucht sein, diese Bestimmung nicht so restriktiv auszulegen,wie es ein deutsches Gericht tun würde. Bei großzügiger Auslegung kann dann auch diese Vorschrift Tür undTor für eine umfangreiche Document Production öffnen. 39

Aus taktischer Sicht ist Folgendes zu bedenken: Üblicherweise werden die Parteien bereits beiVertragsschluss erahnen können, welche Arten von Rechtsstreitigkeiten entstehen können und wer aus einerDocument Production im Streitfall größeren Nutzen ziehen könnte. Andererseits ist nicht auszuschließen,dass wider Erwarten letztendlich doch die Partei, die bei Vertragsschluss auf einen Ausschluss oder dieBegrenzung der Document Production hingewirkt hat, von einer Document Production profitiert hätte. Wiedem auch sei, in vielen Fällen sollte jedenfalls das objektive Argument der Prozessökonomie geeignet sein,eine einvernehmliche Regelung zu erreichen. Kommen die beteiligten Parteien aus Civil-Law-Jurisdiktionen,dürfte die Einigung leichter fallen als wenn eine der Parteien aus einem Common-Law-Staat stammt.

II. Auswahl der Schiedsrichter

Schiedsrichter aus dem Common Law werden sich grundsätzlich schwerer tun mit der Abweisungumfangreicher Anträge auf Document Production, da sie aus ihrer Rechtskultur umfangreiche „Discoveries“oder „Disclosures“ gewöhnt sind. In der Abweisung eines entsprechenden Antrags könnten sie eher einenEingriff in prozessuale Parteirechte sehen. Will eine Partei eine ausufernde Document Production vermeiden,wird sie daher im Grundsatz eher zu einem Schiedsrichter z.B. aus Kontinentaleuropa oder einem Land mitvergleichbarer Rechtskultur tendieren. Wie so oft gilt aber auch hier: Ausnahmen bestätigen die Regel. Wiebereits oben dargelegt, ist die internationale Schiedsszene mittlerweile stark von den Einflüssen des CommonLaw geprägt, sodass auch kontinentaleuropäische

36Schlosser, in: Eberl (Hrsg.), Beweis im Schiedsverfahren, S. 69.

37So auch Risse/Haller, in: Eberl (Hrsg.), Beweis im Schiedsverfahren, S. 120 f.

38Schütze, SchiedsVZ 2006, 1, 3.

39Vgl. oben in Abschnitt B, insbesondere die Nachweise in Fußn. 17.

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Schiedsrichter mitunter zurückhaltend bei der Abweisung von Anträgen auf die Vorlage von Dokumenten sind.40

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III. „Terms of Reference“ und „Case Management Conference“

Üblich und in der ICC-Schiedsgerichtsordnung ausdrücklich vorgesehen sind mittlerweile die Vereinbarungder „Terms of Reference“ 41 und die Durchführung einer „Case Management Conference“ 42 mit demSchiedsgericht, in der unter anderem auch der Zeitplan des Schiedsverfahrens festgelegt wird. 43 Auch hierbietet sich für beide Parteien die Möglichkeit, auf den Umfang einer möglichen Document Productioneinzuwirken. Die ICC-Schiedsgerichtsordnung bestimmt nun ausdrücklich, dass das Schiedsgericht mit denParteien bestimmte Verfahrensmanagement-Techniken erörtern kann. 44 Beispiele für solche Techniken sindin Anhang IV zur ICC-Schiedsgerichtsordnung genannt. Dazu gehören (i) der Verzicht auf Anträge aufVorlage von Dokumenten, sofern aus Zeit- und Kostengründen angemessen oder (ii) die Begrenzung vonVorlegungsanträgen auf Dokumente oder Kategorien von Dokumenten, die für den Ausgang des Fallesrelevant und wesentlich sind. 45 Wenn beide Parteien an der Formulierung der „Terms of Reference“mitwirken und diese unterzeichnen, 46 können die Parteien darin neue verfahrensrechtliche Vereinbarungenuntereinander treffen. Sie können zum Beispiel einen Verzicht auf die Durchführung bestimmterBeweisermittlungen – wie etwa Document Production – vereinbaren. 47

Auch unabhängig von den ICC-Schiedsregeln sollte ein Schiedsgericht in jedem Fall ein offenes Ohr für denVorschlag eines Ausschlusses oder einer Begrenzung einer etwaigen Document Production haben; dies erstrecht dann, wenn beide Parteien aus einer Rechtskultur stammen, in der weitreichendeDokumenten-Vorlagen unüblich sind. Angesprochen werden sollte der Punkt spätestens, wenn der Zeitplandes Schiedsverfahrens erörtert wird. Denn der Umfang der Document Production kann gravierendeAuswirkungen auf diesen haben. Je nach Umfang müssen hierfür alleine mehrere Monate vorgesehenwerden.

IV. Erhebung von Einwänden gegen einzelne Document Requests

Die letzte Möglichkeit, sich gegen ausufernde Anträge auf die Vorlage von Dokumenten zu wehren, ist dieErhebung von Einwänden gegen einzelne Anträge. 48 Ansätze bieten hier sowohl Art. 2, Abs. 3 derIBA-Beweisregeln, der bestimmt, welche Angaben ein Antrag enthalten muss, als auch Art. 9 derIBA-Beweisregeln, der die Zulässigkeit von Beweisen regelt.

Nach Art. 3, Abs. 3 der IBA-Beweisregeln muss ein Antrag auf Vorlage von Dokumenten enthalten:

Eine möglichst exakte Beschreibung des herausverlangten Dokuments oder der eng umschriebenenKategorie von Dokumenten (Art. 3, Abs. 3 (a)).

Eine Erklärung, in welcher Weise die herausverlangten Dokumente relevant für den Fall undwesentlich für die Entscheidung sind (Art. 3, Abs. 3 (b)).

Eine Erklärung, dass der Antragsteller selbst keinen Zugriff auf besagte Dokumente hat und woraussich die Annahme ergibt, dass die Gegenseite über diese Dokumente verfügt (Art. 3, Abs. 3 (c)).

Die Praxis zeigt, dass bei der Antragstellung häufig nicht ausreichende Sorgfalt auf die Begründung gelegtwird, was der Gegenseite Steilvorlagen für Einwände gibt. Dies trifft in besonderem Maße auf die „engumschriebenen Kategorien“ von Dokumenten und deren Relevanz zu. Eine Kate-

40Vgl. Wirth, SchiedsVZ 2003, 9, v.a. 10 f.

41Art. 23 ICC-Schiedsgerichtsordnung 2012.

42Art. 24 ICC-Schiedsgerichtsordnung 2012.

43Nach Art. 24 (2) ICC-Schiedsgerichtsordnung 2012 erstellt das Schiedsgericht den Verfahrenskalenderwährend oder nach der „Case Management Conference“. In der Praxis wird der Zeitplan desSchiedsverfahrens in der Regel zwar mit den Parteien erörtert, dann aber vom Schiedsgericht erlassen. Damiterlangt er nicht den Status einer Parteivereinbarung, von der später ohne Zustimmung beider Parteien nicht

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mehr abgewichen werden könnte, etwa wenn es um Fristverlängerungen geht.

44Art. 24 (1) ICC-Schiedsgerichtsordnung 2012. Siehe zu den Neuregelungen etwa Pörnbacher/Baur, BB 2011,2627, 2629 f.

45Anhang IV zur ICC-Schiedsgerichtsordnung 2012, lit. d (ii) und (iii).

46Bei Nichtunterzeichnung durch eine Partei werden die „Terms of Reference“ dem Gerichtshof der ICC zurGenehmigung vorgelegt (Art. 23 (3) der ICC-Schiedsgerichtsordnung 2012). In diesem Fall sind dieVerfahrensfragen in der unilateralen verfahrenseinleitenden Verfügung Nr. 1 des Schiedsgerichts („ProceduralOrder No. 1“) zu regeln (Herzberg, in: Nedden/Herzberg, ICC-SchO, DIS-SchO, Art. 23 ICC-SchO Rdnr. 22).

47Herzberg, in: Nedden/Herzberg, ICC-SchO, DIS-SchO, Art. 23 ICC-SchO Rdnr. 22.

48Ausführlich zu den Verteidigungsstrategien gegen die Anordnung der Document Production nach denIBA-Beweisregeln auch Kneisel/Lecking, SchiedsVZ 2013, 150 ff.

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gorie von Dokumenten eng zu umschreiben, ist nicht einfach. Ohne größere Schwierigkeiten mag es nochgelingen bei bestimmten Arten externer Korrespondenz, z.B. „alle Verträge und Nachträge mit demSubunternehmer X aus dem Zeitraum Y bis Z“. Schwieriger wird die enge Umschreibung indes, wenn es umdie Vorlage interner Korrespondenz, Mitschriften aus Besprechungen oder persönliche Notizen einerMehrzahl von in Betracht kommenden Mitarbeitern geht. Ähnliches gilt für die Darlegung der Relevanz undWesentlichkeit, d.h. der Erheblichkeit, der herausverlangten Dokumente. Zu beachten ist aber auch hier, dassSchiedsgerichte eher zurückhaltend mit der Zurückweisung von Anträgen mangels ausreichend dargelegterRelevanz sind. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Schiedsgerichte mit Schiedsrichtern aus demangelsächsisch geprägten Rechtsraum besetzt sind. Hier scheint die Devise zu herrschen, im Zweifel liebereinem Antrag auf Dokumentenvorlage – auch ohne kritische Prüfung der Relevanz – stattzugeben, als sichdem Vorwurf auszusetzen, vorschnell das Recht des Antragstellers auf Einsichtnahme der Dokumenteabzuschneiden, die am Ende vielleicht doch erheblich sein könnten. Denn hier droht der Vorwurf einer Partei,das Schiedsgericht habe ihr nicht die Möglichkeit gegeben, ihren Fall angemessen zu präsentieren und eshabe damit das rechtliche Gehör nicht ausreichend gewährt. 49 Wird ein solcher Vorwurf als berechtigtangesehen, könnte der Schiedsspruch sogar aufgehoben werden.

Eng einher mit den vorgenannten Bestimmungen gehen einige Vorschriften in Art. 9 der IBA-Beweisregeln,welche die Entscheidung des Schiedsgerichts über die Zulässigkeit von Beweismitteln betreffen. Nach Art. 9,Abs. 2 kann das Schiedsgericht unter bestimmten Umständen Beweismittel ausschließen. Zwar geht es beiden Anträgen um die Vorlage von Dokumenten zunächst noch nicht um die Einführung von Beweismitteln,denn ob sich eine Partei tatsächlich auf ein von der Gegenseite herausverlangtes Dokument als Beweisstützen will, wird sie naturgemäß erst nach Sichtung des vorgelegten Materials entscheiden. Dennoch wirddas Schiedsgericht bei der Entscheidung über einen Antrag auf Dokumentenvorlage bereits berücksichtigen,ob die Dokumente später als Beweis zugelassen werden müssten.

Zu den zu berücksichtigenden Punkten gehören nach Art. 9, Abs. 2 (a) – als Pendant zu dem vorgenanntenArt. 3, Abs. 3 (b) – insbesondere die Relevanz und Erheblichkeit. Daneben hat das Schiedsgericht auchAspekte der Prozessökonomie und Verhältnismäßigkeit (Art. 9, Abs. 2 (g)), insbesondere auch den Aufwandzur Beschaffung der Dokumente (Art. 9, Abs. 2 (c)) zu berücksichtigen. Dies erlangt unter anderem in denFällen Bedeutung, in denen sich eine Partei gegen einen Antrag der Gegenseite wendet, in dem dieherausverlangten Kategorien von Dokumenten nicht hinreichend eng und spezifisch beschrieben sind. Denngerade diese Fälle sind es, welche die Suche nach entsprechenden Dokumenten meist enorm aufwendig undteuer geraten lassen und dadurch den Prozess auch in die Länge ziehen. Im Zusammenhang damit ist auch

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die ebenfalls in Art. 9, Abs. 2 (g) genannte Berücksichtigung der Gesichtspunkte des fairen Verfahrens undder Gleichbehandlung der Parteien zu nennen. Vor allem in Fällen, in denen ein Antrag die herausverlangtenDokumente nicht eng genug umschreibt und zudem Relevanz und Erheblichkeit nicht hinreichend begründet,liegt der Verdacht nahe, dass eine Partei ins Blaue hinein und ohne konkrete Vorstellungen undAnhaltspunkte nach Dokumenten fragt, von denen sie sich rechtlich, technisch oder wirtschaftlichinteressante, eventuell verwertbare Erkenntnisse erhofft (sogenannte „Fishing Expedition“, die grundsätzlichunzulässig ist). 50

Außerdem hat das Schiedsgericht nach Art. 9, Abs. 2 (b)) bei der Entscheidung eventuelle rechtlicheHindernisse wie etwa die Vertraulichkeit von Korrespondenz zwischen Rechtsanwalt und Mandanten inBetracht zu ziehen (in den Common Law Systemen als „Privilege“ bezeichnet) (s. auch Art. 9, Abs. 3 (a)). 51

Die Entscheidung über einen Streit der Parteien darüber, welche Dokumente hier geschützt sein könnten,kann sich gerade im internationalen Kontext als sehr schwierig erweisen. Unter anderem ist hier zu klären,welche Rechts-

49Waincymer, Procedure and Evidence in International Arbitration, 2012, S. 836 f.

50Risse/Haller, in: Eberl (Hrsg.), Beweis im Schiedsverfahren, S. 120; Haller/Stumpe, in: Nedden/Herzberg,ICC-SchO, DIS-SchO, Art. 25 ICC-SchO Rdnr. 41.

51Einen Überblick über die Möglichkeiten, die Vorlage bestimmter Dokumente zu verweigern, bietenKneisel/Lecking, SchiedsVZ 2013, 150, 153 ff.

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ordnung Anwendung findet. 52 Außerdem wird unterschiedlich beurteilt, inwiefern sich auch Syndikusanwälteauf das Anwaltsgeheimnis berufen können. 53

Schließlich hat das Schiedsgericht die eventuelle Vertraulichkeit bestimmter Dokumente aus anderenrechtlichen oder wirtschaftlichen Gründen zu berücksichtigen (Art. 9, Abs. 2 (e), (f)). Hierunter fallen zumBeispiel schützenswerte Betriebsgeheimnisse wirtschaftlicher oder technischer Art, datenrechtlich geschützteVorgänge oder sensible sicherheitsrelevante Aspekte, etwa bei staatlichen Aufträgen. Solche Erwägungenveranlassen Schiedsgerichte mitunter dazu, einem Antrag auf Dokumentenvorlage nur eingeschränktstattzugeben, etwa in der Weise, dass Dokumente nur auszugsweise, teilweise geschwärzt oder (zunächst)einem zur Verschwiegenheit verpflichteten unabhängigen Dritten vorzulegen sind (vgl. Art. 9, Abs. 4).

Es bedarf keiner großen Fantasie, um sich vorzustellen, dass bereits die Auseinandersetzung über die Pflichtzur Vorlage bestimmter Dokumente oder Kategorien von Dokumenten zahlreiche Schriftsatzrunden undgegebenenfalls auch aufwendige Verhandlungen vor dem Schiedsgericht erfordern kann. Alleine das kann dieursprünglichen Vorstellungen über Zeit und Kosten des Schiedsverfahrens zur Makulatur werden lassen. Dieeigentliche Document Production, d.h. die aufwendige Suche nach Dokumenten und deren Prüfung, hat dannnoch gar nicht begonnen.

Beabsichtigt eine Partei, sich gegen umfangreiche Anträge auf Dokumentenvorlage zu wehren, wird sie gutdaran tun, eine gewisse Zurückhaltung bei eigenen Document Requests zu üben, diese sorgfältigauszuwählen und vor allem sorgfältig zu begründen. Ein Schiedsgericht wird sich schwer damit tun, Einwändegegen Document Requests der Gegenseite ernst zu nehmen, wenn ähnliche Einwände auch gegen dieeigenen Anträge vorgebracht werden könnten.

E. Fazit

Document Productions gehören mittlerweile zur Regel in internationalen Schiedsverfahren. Sie können einender kosten- und zeitintensivsten Abschnitte des Prozesses darstellen. Wer darauf nicht vorbereitet ist, wirdvon dem damit verbundenen Aufwand überrascht und mag sich unvermutet einer Verpflichtung ausgesetzt

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sehen, der Gegenseite Material zur Untermauerung von deren Vortrag zu liefern. Will sich eine Partei ausprozessökonomischen oder anderen Gründen nicht auf eine umfangreiche Document Production einlassen,ist sie gut beraten, frühzeitig entgegenzuwirken. Möglichkeiten hierfür bieten sich in verschiedenen Stadien.Kommt es tatsächlich in einem Verfahren zur Document Production, können Einwände gegen einzelneAnträge auf Dokumentenvorlage insbesondere nach den IBA-Beweisregeln vorgebracht werden. Alleinedieser Prozess kann hohe Kosten verursachen und die Dauer des Schiedsverfahrens erheblichbeeinträchtigen.

52Siehe hierzu ausführlich Kuitkowski, Journal of International Arbitration 2015, 65 ff.; Haller/Stumpe, in:Nedden/Herzberg, ICC-SchO, DIS-SchO, Art. 25 ICC-SchO Rdnr. 58 ff.

53Einführend dazu Haller/Stumpe, in: Nedden/Herzberg, ICC-SchO, DIS-SchO, Art. 25 ICC-SchO Rdnr. 53 f.

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