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35 Schriftenreihe Migration und Arbeitswelt ILLEGALE BESCHÄFTIGUNG Workshop des DGB Bildungswerk am 30. November 2005 in Berlin DOKUMENTATION

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35Schriftenreihe Migration und Arbeitswelt

ILLEGALE BESCHÄFTIGUNGWorkshop des DGB Bildungswerk am 30. November 2005 in Berlin

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3ILLEGALE BESCHÄFTIGUNG

EINLEITUNG ILLEGALE BESCHÄFTIGTE – EIN THEMA FÜR DIE GEWERKSCHAFTEN? 4

Jens Nieth, DGB Bildungswerk,Bereich Migration & Qualifizierung

DIE BANDBREITE ILLEGALER BESCHÄFTIGUNG – EINE BESTANDSAUFNAHME 6

Norbert Basner, Hauptzollamt Berlin,Sachgebiet Finanzkontrolle Schwarzarbeit

NACHFRAGEN UND DISKUSSION 8

MIGRATION UND ILLEGALEBESCHÄFTIGUNG – URSACHEN,VERANTWORTLICHKEITEN UND GESELLSCHAFTLICHE BEDEUTUNG 10

Impulsreferat 1: Gesellschaftliche Bedeutung von Migration und illegaler BeschäftigungHolger Kolb, Institut für Migrationsforschungund interkulturelle Studien – IMIS 10

Impulsreferat 2: Ursachen undVerantwortlichkeiten von Migration und illegaler BeschäftigungNorbert Cyrus, Universität Oldenburg 12

NACHFRAGEN UND DISKUSSION 16

PODIUMSDISKUSSION:ILLEGALE BESCHÄFTIGUNG – THEMA UND HERAUSFORDERUNG FÜR GEWERKSCHAFTEN 18

Frank Schmidt-Hullmann,IG BAU HauptvorstandSonja Marko, ver.di Hauptverwaltung

ARBEITSGRUPPEN:DIE WÜRDE DES MENSCHEN MUSSSTÄRKER IN DEN MITTELPUNKTGERÜCKT WERDEN – NICHT SEIN STATUS 20

Volker Roßocha, DGB Bundesvorstand,Referat Migrationspolitik

IMPRESSUM 23

INHALT

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Die Idee für den Workshop „IllegaleBeschäftigung“ entstand im Laufe desJahres im Arbeitskreis Migration desDGB Bundesvorstands. In dem Arbeits-

kreis treffen sich die Kolleginnen und Kollegenaus den Gewerkschaften, die mit Migrations-fragen befasst sind und tauschen ihre aktuellenDiskussionsstände aus. Die erste Idee war, unsintern im Arbeitskreis Migration damit zu be-fassen. Dann aber haben wir uns bewusst ent-schieden, auch Diskussionsteilnehmer und -teil-nehmerinnen von außerhalb einzuladen, um eineöffentliche Debatte herzustellen.

Unser Thema auf diesem Workshop ist illegaleBeschäftigung. Bei Nachfragen im Vorfeld desWorkshops war immer wieder einmal von „Ille-galen“ die Rede. Wir haben uns in den Gewerk-schaften angewöhnt, Menschen ohne Papiere,das heißt ohne legalem Aufenthaltsstatus, nichtals „Illegale“ zu bezeichnen. Ein Mensch kannnicht illegal sein. Es ging hier um illegale Be-schäftigung. Was darunter genau zu verstehenist, wurde kontrovers diskutiert.

Mit dem Workshop haben wir auch etwas Neu-land betreten. In der Vergangenheit bestand derFokus gewerkschaftlicher Migrationsarbeit in derRegel darin, reguläre Migrantinnen und Migran-ten zu integrieren und darüber hinaus Ausländer-feindlichkeit und Rassismus offensiv zu bekämp-fen. Die Beschäftigung der Gewerkschaften mitillegaler Beschäftigung ist zumindest in der öffent-lichen Wahrnehmung sehr stark geprägt durchdie Durchsetzung von Kontrollen. Weniger Beach-tung fand die Tatsache, dass Gewerkschaftenauch Menschen mit irregulärem Beschäftigungs-status im konkreten Fall unterstützen. Dass esbeides gibt und warum es beides gibt, ist einroter Faden des Workshops.

01Jens Nieth, DGB Bildungswerk

EINLEITUNGILLEGALE BESCHÄFTIGTE – EIN THEMA FÜR DIEGEWERKSCHAFTEN?

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dung der Landesfinanzverwaltung verfolgt. Wich-tig ist bei der Zusammenarbeit eine enge Ab-stimmung, um eventuelle Reibungsverluste zuminimieren. Außerdem prüft der Zoll noch Ver-stöße gegen die Gewerbe- und Handwerksord-nung, die dann jedoch an die jeweilig nach Lan-desrecht zuständigen Behörden weitergeleitetwerden.

Kommen wir zu der Frage der Aufgaben-wahrnehmung der Zollverwaltung. Wieist normalerweise das Vorgehen? DieZollverwaltung in ihrem Arbeitsbereich

Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) hat weiter-reichende Prüfrechte als beispielsweise die Zoll-fahndung oder die Polizei. Diese brauchen, imGegensatz zur FKS einen Anfangsverdacht, umtätig werden zu können. Und solch ein Anfangs-verdacht liegt nur vor, wenn zureichende tatsäch-liche Anhaltspunkte auf eine Straftat hindeuten.Die FKS dagegen kann – dank des Schwarzar-beitbekämpfungsgesetzes – jederzeit auch ohneAnmeldung Grundstücke und Geschäftsräumevon Arbeitgebern, Auftraggebern, Selbstständi-gen und Dritten während der Arbeitszeit einerPrüfung unterziehen. Die Zollverwaltung hat dasRecht Geschäftsunterlagen zu prüfen, Auskünfteeinzuholen und die Personalien zu prüfen. DasSchwarzarbeitbekämpfungsgesetz gibt der Zoll-verwaltung jedoch noch weiterreichende Rechte.So dürfen beispielsweise auch Beförderungsmittelangehalten und überprüft werden.

Welche Gruppen gibt es bei illegaler Beschäfti-gung und Schwarzarbeit? Zunächst gibt es Men-schen, die mithilfe eines dreimonatigen Touris-tenvisums in die Europäische Union einreisenund dort drei Monate illegal arbeiten. Prominen-testes Beispiel hierfür sind osteuropäische Pflege-kräfte, die rund um die Uhr einen meist alten,pflegebedürftigen Menschen betreuen und nachAblauf des Visums ausgewechselt werden. DieseFälle sind selbst von der Zollverwaltung nur er-schwert aufzudecken, da sie kein verdachtslosesPrüfrecht in Privatwohnungen besitzt.

Daneben gibt es die große Gruppe der so ge-nannten Scheinselbstständigen. Das sind zumeistEU-Bürger aus den neuen Beitrittsstaaten. Überdie Scheinselbstständigkeit wird die in Deutsch-land geltende voraussichtlich siebenjährige Über-gangsfrist bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit fürdie neuen Mitgliedstaaten umgangen. Mithilfevon Briefkastenfirmen, an denen man rein garnichts vorfindet, werden mögliche Anhaltspunkterecht erfolgreich verschleiert. In einem solchenFall herauszufinden, ob es sich um echte oderscheinbare Selbstständigkeit handelt, ist schwie-rig, weil die Arbeitskräfte irgendwo in Deutsch-land im Einsatz sind. Eine bereits gezogene Kon-sequenz in der Bekämpfung dieser Erscheinungs-form ist die intensivierte Zusammenarbeit mit denfür Gewerbemeldungen zuständigen Ämtern.

In diesem Rahmen stellt sich noch das Problemder bilateralen Werkverträge aus den 1970erJahren. Damals wurde ausgehandelt unter wel-chen Bedingungen ausländische Arbeitskräfteim Rahmen von Werkverträgen in Deutschlandarbeiten dürfen. Das bezog sich im Wesentlichenauf den Baubereich, die Fleischindustrie und Par-kettleger. Natürlich müssten diese Arbeitnehmerund Arbeitnehmerinnen den Lohn vergleichbarerdeutscher Arbeitnehmender erhalten, was in derRealität nicht durchgehend geschieht. Die Diffe-renz landet in der Tasche von Dritten.

Des Weiteren gibt es noch die Gruppe der Asyl-bewerber im Verfahren, die versuchen über ille-gale Beschäftigung, meist über familiäre oderlandsmannschaftliche Verbindungen, Arbeit zubekommen. Auf Grund der engen Verknüpfungender handelnden Personen gibt es in diesem Be-reich häufiger Probleme in der Beweisführungmittels Zeugenaussagen.

Abschließend eine Rangfolge der bei der Schwarz-arbeit aufgegriffenen Personengruppen, am Bei-spiel Berlin.

Rein zahlenmäßig an erster Stelle stehen Men-schen, die Leistungsmissbrauch begehen; grobgesagt handelt es sich hier um die Nichtanzeigeder Arbeitsaufnahme durch Arbeitnehmende ins-besondere in Fällen, in denen eine erfolgreicheAnzeige leistungsrechtliche Folgen gehabt hätte.Zum Teil geschieht diese Praxis mit Wissen undWollen der jeweiligen Arbeitgeber.

Dann gibt es die Gruppe der Arbeitneh-menden, die zur Sozialversicherungangemeldet sind und wesentlich mehrarbeiten, ohne dass vom Arbeitgeber

Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuer inder richtigen Höhe entrichtet werden.

Auf Platz drei folgen die Ausländer und Auslände-rinnen, die mit legalem Aufenthalt in Deutsch-land sind, aber ohne Arbeitsgenehmigung an-getroffen werden.

Und erst auf dem vierten Platz findet man dieillegal beschäftigten Ausländer und Ausländerin-nen aus Nicht-EU-Staaten, deren Zahl seit demBeitritt der neuen Mitgliedstaaten stark zurück-gegangen ist.

Im Monat Oktober 2005 hat die FinanzkontrolleSchwarzarbeit Berlin 1.250 Personenbefragungendurchgeführt und dabei lediglich elf illegal be-schäftigte Personen festgestellt – zum BeispielBulgaren und Ukrainer auf einer Baustelle undzwei Zimmermädchen.

Unabhängig von der Verfolgung der vorgenann-ten Zuwiderhandlungen ist das wesentliche Zielder Finanzkontrolle Schwarzarbeit gegen die ille-

gal handelnden Unternehmer vorzugehen, die ingroßem Stil ihren sozialversicherungsrechtlichenund steuerrechtlichen Pflichten nicht nachkom-men.

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Wenn es um eine Bestandsaufnah-me illegaler Beschäftigung geht,stellt sich erst einmal die Frage:Was ist illegale Beschäftigung

und welche Formen gibt es? Und: Wo liegt derUnterschied zwischen illegaler Beschäftigung undSchwarzarbeit?

Zu den Erscheinungsformen illegaler Beschäfti-gung gehört die illegale Arbeitnehmerüberlas-sung. Sie liegt vor, sobald die gewerbsmäßigeArbeitnehmerüberlassung ohne Verleiherlaubnisder Bundesagentur für Arbeit geschieht. Dabeiist der Entleiher als Arbeitgeber anzusehen undhaftet neben dem Verleiher für die Sozialversiche-rungsabgaben und die Lohnsteuer.

Dann gibt es die illegale Ausländerbeschäftigung.Diese liegt vor, sobald Ausländerinnen und Aus-länder beschäftigt werden, die nicht im Besitzeiner Arbeitserlaubnis der EU und/oder eines Auf-enthaltstitels sind. Dabei gilt der Grundsatz, dasseine Beschäftigung nur ausgeübt werden darf,wenn der Aufenthaltstitel das erlaubt. Die Zu-stimmung zur Ausübung einer Beschäftigungkann nur die Bundesagentur für Arbeit erteilen.Eine Zustimmung zur Ausübung einer Beschäfti-gung ist nicht erforderlich, wenn dies durch eineRechtsverordnung oder durch zwischenstaatlicheVereinbarung bestimmt ist. Die entsprechendenBerufsgruppen findet man in der „Beschäftigungs-verordnung Ausland“ zum Aufenthaltsgesetz.EU-Bürger und Staatsangehörige aus dem Euro-päischen Wirtschaftsraum benötigen keinen Auf-enthaltstitel.

Es kann jedoch auch Probleme geben, wennLeute mit Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis hiersind. Ein plakatives Beispiel dafür ist der Fall eineschinesischen Spezialitätenkochs, der in Zusam-menarbeit mit dem Berliner Landeskriminalamt,Dezernat Arbeitsmarktdelikte, aufgedeckt wurde.Dieser Mann aus Shanghai wurde angeworben,erhielt ohne Probleme einen Arbeitsvertrag undsollte in Deutschland als Koch arbeiten. Dochwurde, sobald er angekommen war, sein Arbeits-vertrag zerrissen und durch einen neuen ersetzt.

Er erhielt zwei Stunden in der Woche Ausgang,die restliche Zeit musste er unter fast sklavischenBedingungen arbeiten – sein Stundenlohn beliefsich lediglich auf 1,29 Euro pro Stunde. DieserFall hätte durch eine normale Kontrolle erst durchumständliche Ermittlungen aufgedeckt werdenkönnen – sowohl die Aufenthalts-, als auch dieArbeitserlaubnis waren ja vorhanden. Zum Glückoffenbarte sich der Mann einer Prüfkraft, so dassder Fall ohne langwierige Ermittlungen geklärtwerden konnte.

Die nächste Erscheinungsform der illegalen Be-schäftigung: Verstöße gegen das Arbeitnehmer-entsendegesetz. Dieses Gesetz setzt Mindeststan-dards und legt Bedingungen für nach Deutsch-land entsandte Arbeitnehmer und Arbeitnehme-rinnen fest – jedoch nicht in allen Branchen. Aufdie größten Probleme mit dem Arbeitnehmer-entsendegesetz stößt man hierzulande im Bau-gewerbe. Hier kommt es häufig zu Verstößengegen die Beitragspflicht gegenüber den Sozial-kassen, gegen die Regelungen zur Urlaubsver-gütung und natürlich gegen die Bestimmungenzum Mindestlohn. Ein großes Problem ist hierbeioftmals das Verhalten der entsandten Arbeitneh-menden. Die kennen die Mindestlöhne genauund wurden darauf geimpft, zu sagen, sie wür-den den Mindestlohn erhalten.

Schließlich gibt es noch die Verstöße gegen dieMeldepflicht ausländischer Baufirmen bei derZollverwaltung. Diese Meldung des Bauvorhabensist eine wichtige Erkenntnisgrundlage der Prüf-tätigkeit im Baubereich. Die möglichen Sanktio-nen – wer gegen die Meldepflicht verstößt, wirdmit einem Bußgeld belegt – schrecken schwarzeSchafe unter den Unternehmern nicht generell ab.

Der letzte Punkt im Rahmen der illegalen Beschäf-tigung ist die Schwarzarbeit im engeren Sinne.Lange Zeit war die Schwarzarbeit ein großes Mys-terium: Was genau ist das eigentlich? Die Defi-nition der Schwarzarbeit ist eine der Errungen-schaften des Schwarzarbeitbekämpfungsgesetzes.Eine Erscheinungsform der Schwarzarbeit ist dasVorenthalten der Sozialversicherungsbeiträge –das heißt, wenn das Arbeitsverhältnis unrichtig,nicht vollständig, nicht rechtzeitig oder über-haupt nicht bei den Einzugsstellen angemeldetwurde.

Dann gibt es noch den Leistungsmissbrauch, bzw.-betrug: z.B. die Nicht-Angabe der Arbeitsauf-nahme durch Leistung beziehende Arbeitnehmerund Arbeitnehmerinnen.

Eine weitere Erscheinungsform der Schwarzar-beit ist die Nicht-Erfüllung steuerlicher Pflichten,die sich aus Dienst- oder Werkleistungen erge-ben. Die Zollverwaltung ist zur Mitwirkung anPrüfungen der Landesfinanzbehörden berechtigt.Die Steuerverkürzung wird von der Steuerfahn-

Norbert Basner, Sachgebietsleiter Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Hauptzollamts Berlin

DIE BANDBREITE ILLEGA-LER BESCHÄFTIGUNG –EINE BESTANDSAUFNAHME

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unproblematisch ist, wird niemand beim Zollleugnen. Aber wenn die Zollverwaltung sich umein gesellschaftliches Problem kümmern soll,muss man damit leben, dass die Parameter ver-wendet werden, die da sind. Vielleicht ließensich bessere finden, die Zollverwaltung hat sienoch nicht entdeckt.

Darauf, wie viel von den nicht abge-führten Sozialversicherungsbeiträgenund Steuern tatsächlich dann in dieKassen fließen, hat die Zollverwal-

tung nur indirekt Einfluss. Das Gleiche gilt beider Verfolgung von Straftätern. Es werde natür-lich große Mühe darauf verwendet, Ermittlungs-verfahren professionell durchzuführen, damitspäter Verurteilungen möglich sind. Wie viel vonden verhängten Geldbußen dann auch tatsäch-lich vollstreckt werden können, hängt aber vonanderen Faktoren ab. Im ersten Halbjahr 2005lag die Summe übrigens bundesweit bei zehnMillionen Euro.

Die Frage, ob das Geld, das in Maßnahmen zurBekämpfung von Schwarzarbeit gesteckt werde,gut angelegt sei, lässt sich aus Sicht von NorbertBasner so eigentlich nicht stellen. Dies sei beianderen Bereichen der Eingriffsverwaltung ähn-lich. Man könne auch nicht fragen, ob die Feuer-wehr wirklich etwas bringe, weil es ja nur seltenbrennt. Oder wenn man bei der Polizei gegenei-nander aufrechnen würde, wie groß der Aufwandist und wie viel sie in die öffentlichen Kassenbringt, würde das auch niemand für angemessenhalten. Die Zollverwaltung bearbeitet ein gesell-schaftliches Feld, das zuvor in weiten Teilen brach-lag. Und das sei durchaus im Interesse der All-gemeinheit.

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Nachfragen und Diskussion Die Nachfragen bezogen sich vor allem auf recht-liche Regelungen und die Prüfungspraxis. Aufeine Frage hin ergänzte Norbert Basner den Kata-log für Schwarzarbeit. So liegt eine Verletzungder steuerlichen Pflichten auch dann vor, wenneine Dienst- oder Werkleistung nicht vollständigabgerechnet wird. Wenn das Dach eines Einfami-lienhauses gedeckt wird, muss auch ein ganzesDach auf der Rechnung auftauchen und nichtetwa ein halbes. Deshalb gibt es eine Rechnungs-aufbewahrungspflicht für Privatleute. Rechnun-gen müssen zwei Jahre aufbewahrt werden.

Eine andere Frage bezog sich auf die Mindestlöh-ne. Die Beschäftigten kennen sie oft sehr genauund antworten bei einer Prüfung entsprechend.Nun gebe es immer wieder Fälle, in denen nichtacht, sondern 12 oder 14 Stunden gearbeitetwird. Wie – so die Frage – sind die Erfahrungenin der Praxis damit?

Bei den Stunden zu manipulieren zählt aus derErfahrung von Norbert Basner zu den gängigstenMethoden. Es wird wesentlich mehr gearbeitet,als in den Unterlagen ausgewiesen wird. Beieiner Prüfung werden oft offizielle Aufzeichnungenüber vier oder fünf Stunden gefunden, obwohlklar ist, dass die Leute von Sonnenaufgang bisSonnenuntergang arbeiten. Das nachzuweisenist allerdings schwierig. Ein Prüfer kann nicht dieganze Zeit auf der Baustelle stehen und nach-schauen, ob alles richtig festgehalten wird. Esgibt zwar so genannte schwarze Aufzeichnun-gen, die sind aber schwer zu finden.

Eine weitere Frage bezog sich auf die Ergebnisseder Prüfungen. Wenn bei 1.350 Befragungen elfillegale Ausländer und Ausländerinnen aufgegrif-fen wurden und gleichzeitig bei jeder zehntenBefragung Auffälligkeiten festgestellt wurden,bleibt die Frage, was denn das für Fälle waren?

Dabei handelt es sich, so Basner, um Verstößeaus den Bereichen, die er in seinem Referat ge-nannt hat, etwa Leistungsmissbrauch einesdeutschen Arbeitnehmenden oder Stundenma-nipulation des deutschen Arbeitnehmenden,der eigentlich einen Minijob hat, aber in Wirk-lichkeit 40 Stunden arbeitet. Und so weiter.

Ein Diskussionsteilnehmer bezog sich auf dasvon Norbert Basner vorgetragene Ranking vonVerstößen, die Personen im Rahmen von Schwarz-arbeit begangen haben und aufgegriffen wurden.Wie könne es zu einer solchen Aussage kommen,wenn der Zoll keine Erhebungen über das auf-gegriffene Klientel macht.

Ergänzend wollte er wissen, ob Basnerdie Berechnungen des HochschullehrersFriedrich Schneider von der Uni Linz be-stätigen könne, wonach ein Drittel der

im Bereich der Schattenwirtschaft tätigen Perso-

nen Ausländer und Ausländerinnen ohne Aufent-haltstitel seien. Wenn die aufgegriffen würden,müssten sie doch auch ihre Rechte wahrnehmenkönnen. Sie hätten zwar eine Straftat begangen,aber dadurch nicht ihre Rechte verloren. Kannder Zoll sie bei der Durchsetzung ihrer Rechteunterstützen?

Zum Ranking erklärte Norbert Basner, dass dasauf Erfahrungswerten beruhe. Wer tagtäglich mitPrüfungen vor Ort zu tun hat, merkt natürlich,wo sich bei den bearbeiteten Vorgängen Schwer-punkte bilden. Ein solches Ranking dürfte vondaher korrekt sein, wissenschaftlich belegen lässtes sich aber nicht, weil die Daten statistisch nichterfasst werden. Gleichzeitig sind solche Erfah-rungswerte schon auch Grundlage für eine Prüf-strategie. Man weiß wonach man suchen mussund welche Verstöße sich in letzter Zeit gehäufthaben und so weiter. All das werde aber – wiegesagt – statistisch nicht erfasst.

Die von Professor Schneider berechneten Datenkönne er nicht bestätigen, so Basner. Er möchtedessen Fachkompetenz natürlich nicht in Zweifelziehen, wisse aber nicht, wie er an die Zahlenkomme.

Was die Hilfeleistung für diejenigen angeht, diebei einem Verstoß aufgegriffen werden, gibt eszunächst einmal die strategische Ausrichtung derFinanzkontrolle Schwarzarbeit auf das Ziel, denEinstieg in die legale Beschäftigung zu fördern.Das ist aber nicht so einfach durchzuführen. Wennjemand um Hilfe bittet, versucht auch der Zolldies zu leisten und in einem Strafprozess sinddie Rechte sowieso festgeschrieben und die wer-den peinlichst eingehalten. So können auch Aus-länder und Ausländerinnen ihre Rechte sehr wohlwahrnehmen. Eine Betreuung in dem Sinne, dassder Zoll ihnen aus ihrer Situation heraushilft, sieetwa vor ihren Schleusern beschützt wird zumin-dest im Augenblick nicht geleistet.

Ein letzter Diskussionspunkt war die Frage da-nach, wie erfolgreich eigentlich die Maßnahmenzur Bekämpfung illegaler Beschäftigung sind.Wie – so eine Frage – lasse sich ein Erfolg be-legen? Es werden Fälle an die Polizei, die Staats-anwaltschaft oder andere Behörden abgegeben.Letztlich sei nicht klar, ob es wirklich erfolgreichist, viel Geld in das System zur Bekämpfung ille-galer Schwarzarbeit zu stecken. Nötig sei eineGesamtevaluation. Es reiche nicht, auf die Ge-samtzahl der verhängten Bußgelder hinzuweisen.Vielmehr müsse geprüft werden, wie viel von denBußgeldern wirklich vollstreckt und eingezogenwurden.

Es gibt bestimmte Parameter, um die Erfolge derFinanzkontrolle Schwarzarbeit zu messen. Dasist vor allem die Höhe der aufgedeckten Scha-denssummen – so Norbert Basner. Dass das nicht

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und begrenzt. Besonders gut klar machen könnenwir uns das in Zusammenhang mit dem Teilbe-reich Ökonomie. Stellen wir uns mal eine unre-gulierte Ökonomie vor, sozusagen das neoklassi-sche Urmodell. In dieser Ökonomie gäbe es keineEingriffe von außen, alle Preise und Löhne würdensich allein am Markt bilden. Anreize zur Migra-tion könnten so nicht entstehen, so würde Mig-ration zum Stillstand kommen.

Wir haben aber keine neoklassische Ökonomie,sondern Wohlfahrtsstaaten und diese interve-nieren aus guten und manchmal weniger gutenGründen in die Ökonomie. So entstehen auchAnreize für Migration. Diese Möglichkeit ist aller-dings eingeschränkt, da wir es mit Nationalstaa-ten zu tun haben, die Migration auf Grund ihresSouveränitätsanspruches regulieren müssen. Abergerade diese Einschränkung bedingt illegale Mig-ration, denn im Bereich der Arbeitsmigrationzum Beispiel kann man davon ausgehen, dassbei einem Mangel an legalen Arbeitsmöglich-keiten, illegale Möglichkeiten entstehen. Dasfunktioniert wie die kommunizierenden Röhren.

Sieht man sich das System der Ökono-mie genauer an, dann ist relativ sicheranzunehmen, dass es in diesem Bereicheinen ableitbaren Zusammenhang gibt

zwischen der Entstehung eines irregulären Wirt-schaftssektors – ein Sektor, in dem legale Güterund Dienstleistungen illegal bereitgestellt werden– und illegaler Migration. Das legen zumindestdie Zahlen entsprechender Untersuchungen nahe.Illegale Migration und die Entstehung einer in-formellen Ökonomie stehen in einem wechsel-seitigen Steigerungsverhältnis.

Illegale Migration ist also ein klassisches Symp-tom von irregulären Arbeitsmärkten. Auf Grundder Tatsache, dass Staaten keine freie Mobilitätermöglichen dürfen, schaffen sie die Bedingun-gen für illegale Migration gewissermaßen aufder Rückseite ihrer staatlichen Intervention. DieNachfrage nach dieser Zuwanderungsmöglich-keit übersteigt schlicht und einfach das Angebot.Diese Nachfrage sucht sich deshalb alternativeRealisierungsmöglichkeiten und die werden inder Illegalität bereitgestellt.

Gleichzeitig ist festzustellen, dass die Entstehungdieser irregulären Ökonomien relativ eindeutigvom Ausmaß staatlicher Interventionen in dieÖkonomie abhängt. Das wird deutlich, wenn mandas auf die Steuernabgabenlast bezieht, aberauch, wenn man es auf die Arbeitsmarktregulie-rungen bezieht. Wir sehen also: Mit der Inter-vention des Staates in den Funktionsbereich derÖkonomie entstehen multiple Motive für Migra-tion, die allerdings nicht realisiert werden können,da die Alternative der Offenen-Grenze-Strategieunmöglich ist. Der alternative Mechanismus isteben illegale Migration.

Wenn man über Strategien im Umgang mit ille-galer Migration nachdenkt, könnte man sagen,dass der Ruf nach härteren Strafen des Staatesan dieser Stelle fast aberwitzig wäre. Denn dannwürde der Staat das bestrafen, was er selber ver-ursacht. Was hier geschieht ist oftmals eine aufSymbolpolitik beruhende Symptombekämpfung.Effizienter wäre, in gewissen Bereichen eine vor-handene Überregulierung zu beenden und damitder illegalen Migration die Grundlage zu entzie-hen. Wenn Märkte in diesem Bereich dereguliertwürden, könnte die Entstehung von Schatten-ökonomien zurückgedrängt werden, was dannillegale Migration senkt.

Das darf nicht falsch verstanden werden. Das Phä-nomen der illegalen Migration lässt sich natür-lich nicht monokausal als Reaktion auf Staats-intervention deuten. Dieser Zusammenhang ausder Ökonomie ist aber einer der bedeutendsten,denn der Zugang zu irregulären Arbeitsmärktenist eine grundlegende Bedingung für ein Lebenin der aufenthaltsrechtlichen Illegalität.

Zusammenfassend bleibt festzuhalten: Wenn mannach den Ursachen und Verantwortlichkeiten vonillegaler Migration fragt, muss man davon aus-gehen, dass diese Migrationsform selbst produ-ziert wird. Migration ist in der modernen Gesell-schaft etwas, was gleichzeitig erzeugt wird undvon Staaten wieder eingeschränkt wird. Das ist,als ob man im Auto gleichzeitig Gas gibt undauf die Bremse tritt.

Man kann illegale Migration in diesem Zusam-menhang zumindest strukturell nicht mehr alsAbweichung von einem irgendwie gearteten Zu-stand verstehen, der durch bestimmte Maßnah-men wiederhergestellt werden könne. IllegaleMigration entsteht natürlich aus der Mitte derGesellschaft. Ich sehe in der Diskussion darumeine ganze Portion Heuchelei. Natürlich gibt eskeine direkten Befürworter illegaler Migration.Aber es gibt Profiteure illegaler Migration in allenGruppen der Gesellschaft. Das geht bei den Unter-nehmen los und reicht bis in die privaten Haus-halte, die Sachen schwarz erledigen zu lassen.Es ist eine Art Alltagsopportunismus, wenn ver-schiedene gesellschaftliche Gruppen von dieserMigration profitieren und auf der anderen Seitediese Migrationsform immer noch als Abweichungvom Normalzustand ansehen.

Man wird sich darauf einstellen müssen, dasseine Politik der vollständigen Eindämmung ille-galer Migration erfolglos ist und immer erfolglossein muss, solange die geschilderten Ausgangs-bedingungen gültig sind und das wird auf abseh-bare Zeit der Fall sein. Es ist illusorisch anzuneh-men, wir haben irgendwann einen Weltstaat unddie Binnendifferenzierung des politischen Systemswird aufgehoben. Damit will ich nicht sagen,dass Staaten nichts tun können. Allerdings soll-

ten sie diesbezüglich einen pragmatischen Modusentwickeln, der sich von der Illusion verabschie-det, man könnte diese Problematik endgültigund abschließend lösen. Damit werden falscheErwartungen erweckt und das führt dazu, dassdiese Erwartungen enttäuscht werden. Man drehtsich sozusagen im Kreis und ist wieder am Aus-gangspunkt des Problems angekommen.

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Impulsreferat 1:Gesellschaftliche Bedeutung vonMigration und illegaler Beschäftigung

Holger Kolb, Institut für Migrationsforschungund interkulturelle Studien – IMIS

Wenn es um Ursachen und Verant-wortlichkeiten von illegaler Mig-ration geht, ist es aus meinerSicht relativ unproduktiv zu ver-

suchen, einen verantwortlichen Akteur heraus-zufinden. Das würde in einem Schwarze-Peter-Spiel enden. Stattdessen möchte ich zunächstauf einer etwas theoretischeren Ebene Zusam-menhänge beleuchten und das danach im zwei-ten Teil anhand eines Beispiels erläutern.

Meine Grundthese lautet: Illegale Migration istgesellschaftlich erzeugt. Genauer: In einer mo-dernen Gesellschaft kommt es ständig zur gleich-zeitigen Erzeugung und Wiedereinschränkungvon Migrationsmotiven. Tagtäglich entstehenzahlreiche Motive, Anreize und Möglichkeiteninternational mobil zu sein. Migration und Mo-bilität ist in vielen gesellschaftlichen Bereichenvollkommen normal und zu erwarten, ob mandas nun in Bezug auf die Ökonomie sieht, denSport, die Wissenschaft oder andere gesellschaft-liche Bereiche. Migration ist etwas vollkommenNormales. Allerdings wird Migration zu etwasUnnormalem, wenn der Staat ins Spiel kommt.Auf der anderen Seite müssen die Staaten dieseMigrationsanreize, die von den gesellschaftlichenSystemen ausgehen, oft wieder zurücknehmen.

Viele gesellschaftliche Bereiche sind längst inter-nationalisiert. Bei der Ökonomie ist das offen-sichtlich – Stichwort Globalisierung –, aber auchfür andere Teilbereiche liegt das auf der Hand, fürdie Wissenschaft zum Beispiel. In diesen Berei-chen haben wir Migration permanent ermöglicht,gefördert und auch begrüßt. Auf der anderenSeite aber gibt es Einschränkungsbedingungen.Diese Einschränkungsbedingungen hängen mitder Einteilung der Bevölkerung in Nationalstaatenzusammen. Diese Besonderheit des politischenSystems, dass es keinen Weltstaat gibt, sonderndass die Weltbevölkerung in Nationalstaateneingeteilt ist, sorgt dafür, dass alle Anreize, dievon den gesellschaftlichen Systemen ausgehen,

wieder einkassiert werden. Es kommt in einertheoretischen Perspektive strukturell zu einemgleichzeitigen Vor und Zurück. Das erklärt auch,warum illegale Migration als Abweichung vomNormalzustand und als Herausforderung fürverschiedene gesellschaftliche Akteure wahrge-nommen wird. Illegale Migration wird zu einemProblem, da sie die geschilderte Einteilung derWeltbevölkerung in Nationalstaaten infragestellt.

Die meisten Länder sind Einwanderungsländer,die Migration erlauben und viel Einwanderungerfahren. Deutschland zum Beispiel hat sehr vielEinwanderung bezüglich des Arbeitsmarktes er-fahren. Daneben gibt es Einwanderung über na-tionale und ethnische Zugehörigkeit, es gibt dieFamilienzusammenführung und es gibt humani-täre Gründe. Es ist also nicht so, dass Migrationgenerell als Abweichung und als etwas Proble-matisches angesehen wird. Diese Formen vonMigration, die nicht illegalen Formen, geschehenunter Kontrolle und vor dem Monitor des Staates.Sie stellen die Souveränität von Nationalstaatennicht infrage, da sie unter der Aufsicht des Staa-tes ablaufen.

Bei illegaler Migration sieht das ganz anders aus.Hier handelt es sich um eine Migrationsform, dieauf Grund ihrer Natur staatliche Beobachtungvermeiden muss. Damit ist diese Migrationsformbesonders geeignet, die Einteilung der Weltbe-völkerung in Nationalstaaten und damit staat-liche Souveränität infrage zu stellen.

Schon auf der Basis solch einfacher Ausgangs-überlegungen wird deutlich, dass illegale Mig-ration etwas Unvermeidliches ist. Staaten kön-nen aber auf der anderen Seite natürlich nichtdarauf verzichten, Migration zu kontrollieren undzu beschränken. Die Position „Offene Grenzenfür alle“ halte ich für ziemlich naiv. Aber es istauch so, dass Staaten durch ihre Kontrollanstren-gungen, die Bedingungen für illegale Migrationungewollt, aber sozusagen automatisch direktmitproduzieren. Es gibt also bei dieser Fragestel-lung keine einfache Lösung, da eine umfassendeKontrolle, die illegale Migration vollkommen ver-hindert genauso illusorisch wäre, wie die Ab-schaffung jeglicher Migrationskontrolle. Erstereswürde an die Planungseuphorie aus den 1970erJahren erinnern und staatliche Institutionen voll-kommen überfordern. Die Alternative der offenenGrenzen für alle ist keine wirkliche Alternative,jedenfalls solange nicht, wie die strukturellenElemente des Staates – Territorium, Volk undSouveränität – unverzichtbar sind. Mir zumindestist kein funktionales Äquivalent zum National-staat bekannt.

Ich möchte an einem Beispiel illustrieren, dasseine moderne Gesellschaft mit ihren verschiede-nen Teilsystemen Migration gleichzeitig fördert

03MIGRATION UND ILLE-GALE BESCHÄFTIGUNG –URSACHEN, VERANTWORT-LICHKEITEN UND GESELL-SCHAFTLICHE BEDEUTUNG

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bei der Beschäftigung verletzt werden. Durch einesolch weite Auslegung des Tatbestandes illegalerBeschäftigung, wie sie zum Beispiel die IG BAUvornimmt, wird ein weit höheres Ausmaß illegalerAusländerbeschäftigung suggeriert. Schätzungender illegalen Ausländerbeschäftigung liegen zwi-schen acht bis 13 Prozent. Genaue Erkenntnisseüber den Anteil der illegalen Ausländerbeschäfti-gung gibt es aber nicht. Mit Sicherheit lässt sichnur sagen, dass illegale Ausländerbeschäftigungnur einen kleinen Ausschnitt der Schattenwirt-schaft und der illegalen Beschäftigung darstellt.

Dennoch gibt es eine eindeutige Ablehnung ille-galer Beschäftigung durch den Gesetzgeber undöffentliche Akteure, damit meine ich alle, die inirgendeiner Form am politischen Prozess beteiligtsind. Betont wird vor allem die Sozialschädlich-keit. In der Darstellung erfolgt oft eine Zuspit-zung auf illegale Ausländerbeschäftigung, diesehr schnell in einen Zusammenhang mit orga-nisierter Kriminalität gebracht wird.

Durch die jüngst erfolgte Reform des Schwarz-arbeitbekämpfungsgesetzes wird dieser Eindruckweiter verstärkt. Bislang war es zum Beispiel so,dass im Ermittlungsverfahren gegen einen Arbeits-losen, der Lohnersatzleistungen bezieht, neben-bei arbeitet und dabei aufgegriffen wird, vonFahrlässigkeit ausgegangen wurde. Die Kontroll-behörden mussten eine illegale Beschäftigungüber einen längeren Zeitraum nachweisen, umeine vorsätzliche Betrugsabsicht (und damit eineStraftat) anzeigen zu können. Mit dem neuenSchwarzarbeitbekämpfungsgesetz wird ein sol-cher Vorsatz grundsätzlich unterstellt. Das heißt,wenn ein Leistungsbezieher aufgegriffen wird,unterstellen die Behörden automatisch einenVorsatz und leiten eine Strafermittlung ein. Durchdiese Neudefinition können die Ermittlungsbe-hörden vermelden, dass sie viel mehr Straftatenaufgedeckt haben.

Es gibt bei der Frage illegaler Beschäfti-gung nach wie vor die Forderung nachAusweitung und Intensivierung von Kon-trollen. Auf der anderen Seite besteht

eine hohe praktische Akzeptanz von Seiten derGesellschaft und auch der Wirtschaft. Es gibt eineNachfrage und es besteht ein geringes Unrechts-bewusstsein. Und es wird durchaus auch Ver-ständnis für illegal beschäftigte Ausländer undAusländerinnen geäußert, auch von Mitarbeiternvon Kontrollbehörden. Während einer Untersu-chung von Kontrollen sagte mir ein Kontrolleurdes Arbeitsamtes mit Blick auf festgenommeneausländische Wanderarbeiter aus Osteuropa:„Die sind in einer schwierigen Situation, an derenStelle würde ich das doch auch so machen.“ Dergesellschaftliche Diskurs ist ambivalent: Es gibteine klare Diskrepanz zwischen alltäglicher Praxisund offizieller gesetzlicher Bewertung. Aber esgibt keinen gesellschaftlich relevanten Akteur,

der diese bestehenden Diskrepanzen in der öf-fentlichen Debatte tatsächlich benennt.

Stattdessen wird die Erklärung der Ursachen undder Auswirkungen illegaler Beschäftigung durchöffentliche Akteure verkürzt. Es wird schlichtargumentiert, dass illegale Beschäftigung aufindividuelle kriminelle Energie zurückzuführensei. Wenn man sich nun aber vergegenwärtigt,dass auch auf Baustellen des Bundes und derLänder illegal Beschäftigte aufgegriffen werden,dann müssten nach dieser Auffassung auch staat-liche Behörden als Auftraggeber – wenn man sowill – mit krimineller Energie handeln. Man mussalso sehr genau hinsehen, wie sich die Zusam-menhänge gestalten, anstatt alles einfach undschnell auf Kriminalität zu reduzieren. Die struk-turellen Rahmenbedingungen werden nicht mehrgesehen: Dass nämlich die gesellschaftlich ak-zeptierte Logik des Subsystems der Wirtschaftfordert, dass man möglichst billig produzierenmuss, um sich auf dem Markt durchzusetzen.

Insgesamt gibt es einen Trend zur Verhärtung deroffiziellen Perspektive und öffentliche Akteurewerden zum Gefangenen der eigenen Argumenta-tion. Im Zusammenhang mit dem neuen Schwarz-arbeitbekämpfungsgesetz wurde argumentiert,man wolle das Unrechtsbewusstsein in der Be-völkerung stärken. Dabei hat das Bundesverfas-sungsgericht die Auffassung vertreten, dass Straf-gesetze nur die ultima ratio des Staates seinsollen. Hier aber wird es zu einem Erziehungs-instrument umgewidmet, was bedenklich ist.Insgesamt wird damit aus meiner Sicht vor allemRohrstockpädagogik betrieben. Der Staat wirdnicht als Akteur gesehen, der durch sein Handelndie Rahmenbedingungen und auch die Tatbe-stände an sich schafft und beeinflusst. Aus einersolchen Perspektive würde auch der Staat zumAdressat für Vorschläge von Verhaltensänderun-gen werden. Stattdessen dominieren in den Dis-kussionen über die Maßnahmen zur Bekämp-fung illegaler Beschäftigung Positionen, die dieRolle des Staates sehr einseitig sehen. Der Staatwird – auch von Gewerkschaften – reduziert aufeine Instanz, die illegale Beschäftigung zu be-kämpfen hat.

Ich möchte damit auch auf die gewerkschaftlicheUmgangsweise mit illegaler Beschäftigung ein-gehen – durchaus kritisch, aber in solidarischerAbsicht. Die grundlegenden gewerkschaftlichenSichtweisen entsprechen denen der öffentlichenAkteure. Thematisiert werden Wettbewerbsver-zerrung, Sozialschädlichkeit, Unterlaufen vonStandards. Das sind tatsächlich auch Argumenteund Sachverhalte, die bedenkenswert sind undmit denen man sich sehr sorgfältig auseinandersetzen muss. Ich halte gerade das Unterlaufenvon Standards für eine sehr bedenkliche Situa-tion, bei der man sehen muss, wie sie vermiedenund verhindert werden kann.

Impulsreferat 2:Ursachen und Verantwortlichkeiten vonMigration und illegaler Beschäftigung

Norbert Cyrus, Universität Oldenburg

In meinen Ausführungen werde ich schwerpunkt-mäßig auf den gesellschaftlichen und gewerk-schaftlichen Umgang mit illegaler Ausländerbe-schäftigung eingehen. Wenn ich dabei den Begriff„Ausländer“ verwende, so in der Bedeutung alsjuristische Kategorie. Gemeint sind damit Men-schen aus einem Nicht-EU-Land, die in Deutsch-land leben oder nach Deutschland kommen. DerBegriff „illegale Ausländer“ bezeichnet Personen,die keine erforderliche Arbeits- oder Aufenthalts-erlaubnis besitzen.

Illegale Ausländerbeschäftigung findet in Deutsch-land überwiegend in der so genannten Schat-tenwirtschaft statt. Wirtschaftswissenschaftlererklären Schattenwirtschaft vor allem mit Staats-und Marktversagen. Gemeint sind damit einehohe Abgabenlast und ineffiziente gesetzlicheRahmenbedingungen. Zugespitzt formuliert be-sagt dieser Erklärungsansatz, dass die Ursachenfür die Schattenwirtschaft im unangemessenenHandeln des Staates selber zu suchen sind. Diein diesem Zusammenhang immer wieder ange-führten Daten beruhen aber letztlich immer aufSchätzungen, die von teilweise sehr ungesicher-ten Annahmen ausgehen. Ich halte es für höchstproblematisch davon auszugehen, dass eine hö-here Steuerlast quasi automatisch zu mehr ille-galer Beschäftigung und Schwarzarbeit führt.Zweifelsfrei nachweisen lässt sich dieser Erklä-rungsansatz nicht. Die gegenwärtig gern herange-zogenen ökonometrischen Berechnungen gehenaber von ungesicherten theoretischen Annahmenaus. Vor diesem Hintergrund sind vielmehr em-pirische Untersuchungen über die tatsächlichenHintergründe und Logiken schattenwirtschaft-licher Aktivitäten gefragt.

In den Sozialwissenschaften wurden bereits einigeempirische Untersuchungen ansatzweise durch-geführt. In diesem Zusammenhang ist vor allemSiegfried Lamnek von der Katholischen Univer-sität in Eichstätt zu nennen, der seit Jahren zumThema Schattenwirtschaft forscht. Er hat fest-gestellt, dass es in Deutschland eine sehr hoheAkzeptanz sowohl der Schattenwirtschaft alsauch der illegalen Beschäftigung gibt. Bei Berück-sichtigung dieses Befundes lässt sich folgendeArgumentation vorbringen: Es gibt Schattenwirt-schaft, weil Gesetze nicht so wirken, wie sie wir-ken sollen. Offensichtlich ist die Erwartung nichtzutreffend, dass der Gesetzgeber Gesetze erlässtund diese auch eingehalten werden. Ob und inwelcher Art Gesetze tatsächlich eingehalten wer-den hängt davon ab, wie die Adressaten – alsodie Bürgerinnen und Bürger – die Regelungenaufnehmen und akzeptieren. Die Bürger bewe-gen sich aber nicht nur im Subsystem des Rechts,sondern auch im Subsystem der Wirtschaft undim Subsystem der Lebenswelt. Dort herrschenjeweils andere Anforderungen und andere Wert-vorstellungen. Diese konkurrierenden Anforderun-gen führen dazu, dass die in der Schattenwirt-

schaft Aktiven eine gesellschaftlich breit akzep-tierte Rechtfertigung vorbringen können: „Ichhalte mich doch nur an die Vorstellungen, diefür das Subsystem Wirtschaft maßgebend sind.Und dass mein wirtschaftlich orientiertes Han-deln mit den Regeln des Subsystems des Rechtsnicht in Einklang geht, kann man mir doch nichtvorwerfen.“ Aus der Perspektive der individuel-len Akteure gehen illegale Beschäftigung undschattenwirtschaftliche Aktivitäten mit den Re-geln ökonomischer Nützlichkeitserwägung kon-form, während aus rechtlicher Perspektive ille-gale Beschäftigung als abweichendes Verhaltenbewertet wird. Der Gesetzgeber verkennt somit,dass er nur ein gesellschaftlicher Akteur untervielen anderen ist und bei der Formulierung vonGesetzen auch auf die Durchsetzbarkeit sowiedie Übereinstimmung mit den Regeln in anderenSubsystemen achten sollte.

In offiziellen Stellungnahmen wird Schatten-wirtschaft immer sehr eindeutig und scharfverurteilt. Die gesamtökonomischen Effektevon Schattenwirtschaft sind allerdings nicht

eindeutig. Tatsächlich muss man zugeben, dassdurch Schattenwirtschaft und auch durch illegaleBeschäftigungen Dienstleistungen und Waren zumarktgängigen Preisen zur Verfügung gestelltwerden, die sonst vielleicht gar nicht nachge-fragt würden. Dann muss man sehen, dass esauch einen Rückfluss schattenwirtschaftlicherUmsätze in die formelle Wirtschaft gibt. Ökono-men nennen da Zahlen von bis zu 70 Prozent.Die schattenwirtschaftlichen Umsätze tragendamit nicht zuletzt auch zum Mehrwertsteuer-aufkommen bei. Und da illegal beschäftigte Aus-länder und Ausländerinnen keine Ansprüche andie Sozialversicherungssysteme haben, stelltsich die Frage nach der Sozialschädlichkeit ehermittelbar als unmittelbar. Mittelbar, weil illegalbeschäftigte Ausländer und Ausländerinnen u.U.eine reguläre Beschäftigung von Inländern ver-hindern. Andererseits könnte man aber auch ar-gumentieren, dass illegal beschäftigte Ausländerund Ausländerinnen vor allem mit illegal beschäf-tigten Inländern konkurrieren und insofern deut-lich weniger reguläre Arbeitsplätze vernichtetwerden als gemeinhin unterstellt wird.

Zusammengefasst: Es gibt keine gesicherten Er-kenntnisse über die wirtschaftlichen Effekte vonSchattenwirtschaft und illegaler Ausländerbe-schäftigung. Es gibt auch keine gesicherten Er-kenntnisse über den Umfang und den Anteil ille-galer Ausländerbeschäftigung. Eine gesicherteErfassung der illegalen Beschäftigung wird auchdadurch unmöglich gemacht, dass bei der Defini-tion illegaler Ausländerbeschäftigung erheblichebegriffliche Unschärfen bestehen: So gelten zumBeispiel auch Werkvertragarbeitnehmende alsillegal beschäftigt, wenn die vorgeschriebenenLöhne unterboten und die im Arbeitnehmerent-sendegesetz vorgeschriebenen Mindeststandards

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Beschäftigung illegaler Migranten und Migran-tinnen, sondern um die Chancen von Legalisie-rungskampagnen. Dieser Zugang hängt ein Stückweit damit zusammen, dass der ver.di Vorsitzen-de Frank Bsirske erklärt hat, er könnte sich vor-stellen, dass Legalisierung eine Möglichkeit wäre.Das Thema illegale Migration wird also solida-risch behandelt, aber nicht auf den Arbeitsmarktbezogen. Bei der IG BAU wurde ich unter demStichwort illegale Beschäftigung und Bekämp-fung von Schwarzarbeit fündig. Das eingestellteMaterial fordert vor allem dazu auf, Kontrollbe-hörden zu unterstützen. In einem eingestelltenArtikel aus der Mitgliederzeitung Baustein wur-de Schattenwirtschaft sogar als Krebsgeschwürbezeichnet. Mit diesem Bild wird unterschwelligvermittelt, dass man das Übel mit entschiedenenOperationen behandeln und wieder loswerdenkönne. Da illegale Beschäftigung immer von kon-kreten Menschen ausgeübt wird, ist diese Me-tapher sehr problematisch.

Deutsche Gewerkschaften vertretenkeine systematischen und proakti-ven Strategien der Ansprache undEinbindung illegal beschäftigter Wan-

derarbeiter. In den Veröffentlichungen und Stel-lungnahmen dominiert ein ausgrenzendes Bild.Durch die Darstellung der illegalen Beschäftigungwerden illegal beschäftigte Wanderarbeiter alsMittäter oder Opfer dargestellt, nicht aber alsAkteure, die bereit sind, um die Durchsetzungvon Rechten zu kämpfen und dabei Unterstüt-zung benötigen.

Stattdessen besteht eine gewerkschaftliche Orien-tierung auf Ausgrenzung und Kriminalitätsbe-kämpfung. Es gibt eine aktive Unterstützungund Beteiligung an dem Kontrollsystem ohneRücksicht auf die Folgen für die Durchsetzungvon Arbeitnehmerrechten. Mindestmaße an Ar-beitnehmerrechten illegal beschäftigter Wander-arbeiter, oder Auszahlung des Lohns für faktischgeleistete Arbeit wird überhaupt nicht themati-siert. Bei der Orientierung auf Kriminalitätsbe-kämpfung wird auf die Einhaltung und Durch-setzung von Strafgesetzen geschaut, nicht aberauf die tatsächliche Einhaltung von Arbeitneh-merrechten.

Man könnte diese zugegebenermaßen sehr pla-kative Darstellung als bloße moralische odergewerkschaftsethische Kritik verstehen, dass dieSolidarität mit Kollegen verletzt wird. Mir gehtes aber um eine andere Schlussfolgerung. Es gibtoffensichtlich eine Fixierung auf den Staat stattauf eigene Kraft der Solidarität. Die Erwartun-gen, dass der Staat es richtet, weckt aber uner-füllbare Erwartungen und die vorprogrammierteEnttäuschung fördert autoritäre Tendenzen beimStaat wie bei Bürgerinnen und Bürgern. Durcheine kontrollstaatliche Fixierung wird zudem dasErkennen von Alternativen verhindert. Im Kern

geht es heute um die Beantwortung von zweiGrundfragen. Wie könnte eine gewerkschaftlichesolidarische Praxis im Bereich der Ausbeutung ille-gal beschäftigter Wanderarbeitnehmer aussehen,die sich an tatsächlicher Durchsetzung von Rech-ten orientiert und nicht mit der Durchsetzungvon Gesetzen zum Nachteil der schwächstenArbeitsmarktteilnehmer zufrieden gibt? Und wassteht eigentlich dem entgegen, dass Gewerk-schaften eine solidarische Praxis entwickeln unddurchführen und wie kann man die Hindernisseüberwinden?

Wenn wir uns das Verhältnis der Gewerkschaftenzu Wanderarbeitern anschauen, auch zu illegalbeschäftigten Wanderarbeitern, dann gibt es imPrinzip drei Möglichkeiten. Man kann sie als Kol-legen ansehen, die Rechte haben, man kann sieals Opfer von Ausbeutung ansehen, man kannsie aber auch als Gegner sehen, die „uns“ dieArbeitsplätze wegnehmen. Ich habe mir zur Vor-bereitung für dieses Referat angeschaut, wieGewerkschaftsvertreter oder die Gewerkschafts-presse argumentieren und festgestellt, dass diedrei erwähnten Sichtweisen nebeneinander be-stehen. In gewerkschaftlichen Veröffentlichungenlässt sich ein solidarisches Repertoire, ein aus-grenzendes Repertoire und ein kriminalisieren-des Repertoire an Redeweisen und an Argumen-tationen finden.

Was das solidarische Repertoireangeht, gibt es ein klares Ein-treten für die Wahrung der Men-schenrechte von Migrantinnen

und Migranten. Auch das Eintreten für die All-gemeinverbindlichkeit von Entgelt für alle ist einAkt der Solidarität mit Wanderarbeitern. Die For-derung nach Mindestlohn kann man hier nennen.Es lassen sich auch ganz konkrete Solidaritäts-bekundungen finden. So hat ein Vertreter derIG BAU auf einer europäischen Tagung 2003 inBrüssel ganz deutlich die Solidarität der IG BAUauch mit illegal beschäftigten Bauarbeitern er-klärt. Es gibt eine Broschüre des DGB Bildungs-werk über die Arbeitnehmerrechte von Men-schen ohne Aufenthaltstitel. Ein Ausdruck dessolidarischen Repertoires ist auch das ProjektZAPO, in dem ich selber jahrelang gearbeitethabe. Das Projekt hatte u.a. auch illegal beschäf-tigte Wanderarbeitnehmer und -nehmerinnenbei der Durchsetzung ihrer Arbeitnehmerrechteunterstützt. Ohne die Unterstützung des Bundes-vorstands der IG BAU hätte dieses Projekt nichtrealisiert werden können.

Es gibt bei den Gewerkschaften aber auch einenausgrenzenden Diskurs: Illegale Wanderarbeit-nehmende gelten dabei als Mitverursacher vonArbeitslosigkeit, Lohn- und Sozialdumping. Undbesonders betroffen von der Verdrängung seienInländer ohne deutschen Pass. In dieser Lesartwerden die tatsächlich bestehenden Problemevon den relevanten gewerkschaftlichen Publika-tionen als ausschließlich von außen hereinge-tragen dargestellt. In dieser Argumentation wirdillegale Beschäftigung sehr schnell mit dem Prob-lem der Werkvertragsbeschäftigung verknüpftund ein Zusammenhang mit irgendeiner auslän-dischen Mafiaorganisation hergestellt. Aus dieserArgumentation wird dann folgerichtig die For-derung nach Schließung des Arbeitsmarktzu-ganges erhoben. Die grundlegende Logik, diehinter der Forderung nach Beschränkung desZugangs zum Arbeitsmarkt steht, ist sehr ein-fach: Die Probleme werden von außen herein-

getragen, deshalb müssen wir zur Schadensbe-grenzung die Grenzen schließen. Die Forderungnach möglichst langen und weiten Übergangs-regelungen beim Arbeitsmarktzugang der neuenEU-Mitglieder sind ein Beispiel dafür. Ob die Ein-schränkung der individuellen Arbeitnehmerfrei-zügigkeit aber überhaupt sinnvoll sind – das wirdnicht mehr untersucht. Vorhin hatte ich dasEintreten für die Allgemeinverbindlichkeit beimEntgelt dem solidarischen Diskurs zugeordnet.Man kann die Mindestlohnforderung aber auchdem ausgrenzenden Repertoire zuordnen. Dennmit der Einführung der Allgemeinverbindlichkeitvon Tarifen und Mindestlöhnen ist auch die Hoff-nung verbunden, dass keine ausländischen Wan-derarbeitnehmer mehr eingestellt werden, weiles sich nicht lohnt. Insofern ist es ein doppel-deutiges Instrument, das ich gleichwohl für rich-tig halte. Ich finde es nämlich falsch, zu sagen,jeder solle das Recht haben, sich in Deutschlandausbeuten zu lassen. Von daher bin ich auch einklarer Verfechter des Mindestlohns und der All-gemeinverbindlichkeit von Tarifen. Die Forderungnach Mindestlohn wird aber dann zu einem Instru-ment der Ausgrenzung, wenn die Unterschreitungvon Mindestlohnbestimmungen nur zum Anlassgenommen wird, die Beendigung der Beschäfti-gung und Ausweisung von Wanderarbeitern zubetreiben anstatt Maßnahmen zu ergreifen, umdie Einhaltung der Mindestlohnbestimmungenund die Auszahlung des Lohnes für geleisteteArbeit tatsächlich sicherzustellen. So aber wirddie Abschiebung und Bestrafung ausländischerWanderarbeiter nicht nur hingenommen, sondernteilweise auch als richtig angesehen und aktivunterstützt.

In der gewerkschaftlichen Öffentlichkeit wirddie Ausweitung und Intensivierung von Kont-rollen gefordert. Ein Blick in gewerkschaft-liche Veröffentlichungen zeigt, dass illegale

Beschäftigung sehr schnell mit (organisierter)Kriminalität verbunden wird. Illegal beschäftigteAusländer und Ausländerinnen werden in die-sem Zusammenhang ganz klar als Gegner dar-gestellt. Die vorherrschende gewerkschaftlichePosition verlangt, die Kontrollen zu perfektionie-ren. Gerade im Zusammenhang mit dem Schwarz-arbeitbekämpfungsgesetz und mit dem Umbauder Kontrollbehörden ist von Gewerkschaftsseitesehr viel Initiative und auch Energie darauf ver-wendet worden, gesetzliche Verschärfungen zuerreichen. Die strafbaren Fallkonstellationen konn-ten nicht weit genug gefasst und das Strafmaßnicht hoch genug sein.

Wie sieht nun die gewerkschaftliche Praxis aus?Ich habe mir zur Vorbereitung die Websites vonIG BAU und ver.di genauer angeschaut. Hier spieltillegale Ausländerbeschäftigung zunächst ersteinmal keine Rolle. Auf der website von ver.diwird illegale Migration im Bereich Gesundheits-politik behandelt. Dabei geht es nicht um die

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Daneben seien pragmatische Lösungen für denAlltag nötig. In Deutschland gäbe es zum Bei-spiel Probleme, wenn Menschen ohne Aufent-haltsstatus dringende medizinische Behandlungbenötigen. Wie gehen Krankenhäuser damit um?Oder: Wie geht man pragmatisch damit um, wennMenschen ohne Aufenthaltsrecht ihre Kinder indie Schule schicken? Müssen Schulleiter diesbe-züglich Meldung erstatten? Es gibt Städte, diebeschlossen haben, das nicht zu tun.

Ein weiterer Diskussionspunkt bezog sich aufdie von Norbert Cyrus formulierte Einschätzunggewerkschaftlichen Handelns in Bezug auf ille-gale Migration. Die dabei aufgestellte Behaup-tung, auch aus den Gewerkschaften kämen For-derungen nach Schließung des Arbeitsmarktzu-gangs wollte ein Diskussionsteilnehmer in dieserForm nicht stehen lassen. Er erinnerte an die Aus-arbeitung des Zuwanderungsgesetzes und denehemaligen Paragrafen 20 Aufenthaltsgesetz, dereine Öffnung des Arbeitsmarktzuganges vorsahund sowohl von den Gewerkschaften als auchden Arbeitgebern unterstützt wurde. Dieser Para-graf sei aber durch die Ablehnung im Bundesratgekippt worden.

Hier dürfe – so Norbert Cyrus in einerEntgegnung – nichts durcheinandergebracht werden. Ihm gehe es umillegale Beschäftigung und nicht um

Fragen des Arbeitsmarktzuganges. Auch wennder Zugang zum Arbeitsmarkt geöffnet würde,gäbe es illegale Beschäftigung. Die nämlich er-gebe sich aus der Struktur des Arbeitsmarktesund nicht aus Zuwanderungsmöglichkeiten. EinBeispiel dafür, dass das nicht automatisch funk-tioniere, seien Werkvertragsbeschäftigung undSaisonarbeit. Hier handele es sich um legaleBeschäftigungsmöglichkeiten, die dennoch in derPraxis zu Beschäftigungsformen führten, die ge-gen Gesetze und Standards verstießen.

Daran anknüpfend folgte die Frage des staatli-chen und gesellschaftlichen Handelns in Bezugauf illegale Ausländerbeschäftigung. Eigentlich– so eine Meinung im Publikum – gebe es schoneine stillschweigende Akzeptanz illegaler Beschäf-tigung. Auch dabei würden Werte geschaffen,die es sonst wahrscheinlich gar nicht gäbe.

Ein anderer Teilnehmer wandte sich gegen dieGegenüberstellung, wonach auf der einen Seiteder Gesetzgeber illegale Beschäftigung eindeu-tig und scharf ablehne und es auf der anderenSeite eine hohe Akzeptanz innerhalb der Gesell-schaft und der Wirtschaft gebe. Beide Seiten lä-gen nicht so weit auseinander, wie behauptet. Erkönne nicht sehen, dass illegale Beschäftigungallgemein oder illegale Beschäftigung von Mig-ranten und Migrantinnen in hohem Maße akzep-tiert würde. Gleichzeitig sei auch das Schwarz-arbeitsbekämpfungsgesetz und die Aufstockung

des Personals beim Zoll von 5.200 auf 7.000keine massive Aufrüstung des Staates.

Auch ein anderer Teilnehmer griff das Themastaatliches Handeln auf und warnte vor über-zogener Rhetorik. Der Begriff Schwarzarbeitbe-kämpfungsstaat und dessen Gleichsetzung mitdem von Robert Jungk analysierten Atomstaattreffe nicht die Realität. Es gebe schon einenUnterschied zwischen Schwarzarbeit und derNutzung der Atomkraft.

Die Parallele zum Begriff des Atomstaats siehtNorbert Cyrus durchaus gegeben. Robert Jungkhatte argumentiert, dass Atomtechnologie höchstsensibel ist, die dementsprechend einen sehrstarken Staat braucht, der Schutz und Sicherheitgarantiert. Das schließe auch immer mehr Über-wachung mit ein. Ähnlich sei bei der Schwarz-arbeitbekämpfung festzustellen, dass Strukturenautoritärer würden.

Untermauert werde das von einer Rhe-torik, die Schwarzarbeit zu einemzentralen gesellschaftlichen Problemerkläre, das letztendlich die Grund-

festen des Staates erschütterte. Dies würde dannverknüpft mit Forderungen nach immer höherenStrafen und immer intensiverer Kontrollen. Allenur möglichen Lücken sollten geschlossen wer-den. Cyrus hält es für bedenklich, wenn heutealle Gerichte, auch Familiengerichte oder Sozial-gerichte verpflichtet sind, Informationen überillegale Ausländerbeschäftigung an die Zollbe-hörden zu melden, wenn sie diese im Laufe einerVerhandlung erhalten.

Und es sei durchaus nicht so, dass sich das allesnur auf der Ebene des Redens abspiele. Wer beiSchwarzarbeit erwischt würde, habe mit schwe-ren Strafen zu rechnen. Und dennoch äußertenMenschen in Umfragen, dass sie kein Problemdamit hätten, wenn Schwarzarbeit von Leutenausgeübt würde, die Arbeitslosengeld beziehen.Im Gegenteil: Auch sie selbst würden Schwarz-arbeit in Anspruch nehmen. Es gebe also eineDiskrepanz zwischen staatlichem Handeln unddem Denken in der Gesellschaft.

Norbert Cyrus wollte seine Argumentation abernicht verstanden wissen als Verzicht auf eineKontrolle von Schwarzarbeit. Diese sollte aller-dings nicht beim Staat liegen. Als Beispiel füreine Alternative nannte er Schweden. Da funk-tioniere es als soziale Kontrolle. Diese sei durch-aus auch autoritär, aber es seien die Sozialpart-ner, die die Kontrolle ausübten. Sie hätten einewechselseitige Vereinbarung gegen Schwarzar-beit und setzen sie gemeinsam durch. Im Ergeb-nis sei illegale Ausländerbeschäftigung in Schwe-den ziemlich gering. Aus der Perspektive vonFlüchtlingsunterstützungsgruppen könne mandas bedauern, weil den Betroffenen die Mög-

lichkeit genommen würde, in der Schattenwirt-schaft aktiv zu sein. Andererseits – so Cyrus –widersprächen die Ausbeutungsformen geradein diesem Bereich grundlegenden Menschen-rechten und müssten verhindert werden.

Eine letzte Frage griff noch einmal die Bemer-kung von Norbert Cyrus auf, auch im Fall einerstärkeren Öffnung des Arbeitsmarktes gäbe esillegale Ausländerbeschäftigung. Holger Kolbwurde gefragt, ob er einen Zusammenhang zwi-schen diesen beiden Fakten sehe. Daten – soHolger Kolb – gebe es dazu nicht. Das müssteman empirisch erforschen. Er glaube allerdings,wenn es Möglichkeiten gäbe, dass der Bedarf aninternationaler De-facto-Mobilität legal zu deckensei, würde das natürlich zulasten der illegalenBereitstellung dieser De-facto-Mobilität gehen.

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Nachfragen und Diskussion In der Diskussion der beiden Impulsreferate warein erster Schwerpunkt die von Holger Kolb ver-tretene These eines Zusammenhangs zwischender Höhe der Staatsquote bzw. der Steuernab-gabenquote und illegaler Migration.

Es gebe, so ein Diskussionsteilnehmer, einmarkantes Gegenbeispiel für die These,dass mit steigenden staatlichen Inter-ventionen auch die Anreize für illegale

Migration anwachsen – generell gesprochen dieTendenz zur Schwarzarbeit – und das sind dieUSA. Dort sind die staatlichen Interventionenwesentlich geringer, auch die Staatsausgaben,und die Steuerquote liegt nur bei 20 bis 25 Pro-zent. Dennoch ist die illegale Migration in denUSA wesentlich höher als in Deutschland oderin Europa. Geschätzt wird, dass sich ungefährzehn bis zwölf Millionen illegale Migranten undMigrantinnen in den USA aufhalten, was etwasieben Prozent der Erwerbspersonen ausmacht.In Deutschland sind es gerade einmal ein bis zweiProzent.

Der Einwand sei – so Holger Kolb – in der Tatrichtig. Im Fall USA seien andere Variablen mitim Spiel. Er habe ja auch keinen monokausalenZusammenhang hergestellt. Allerdings glaube er,dass der Zusammenhang staatliche Interventionund illegale Migration für Europa gelte.

Auch hier gab es Widerspruch. Norbert Cyrus ver-wies auf Schweden. Dort gebe es eine sehr hoheSozialabgabenlast und auch hohe schattenwirt-schaftliche Anteile. Allerdings sei bekannt, dassin Schweden kaum illegale Migranten und Mig-rantinnen beschäftigt sind. Zumindest der Zu-sammenhang zwischen illegaler Migration undSchattenwirtschaft sei also so nicht gegeben.

Eine Teilnehmerin erklärte die Situation in Schwe-den damit, dass Ausländer und Ausländerinnen,die ins Land kommen, unmittelbar arbeiten dür-fen und nicht wie etwa in Deutschland nur eineDuldung erhielten. Dadurch werden sie nicht indie illegale Beschäftigung gedrängt. Mit Staats-quoten und Schattenwirtschaft habe das nichtszu tun.

Im weiteren Verlauf der Diskussion bekräftigteHolger Kolb seine These, dass Deregulierung dazubeitrage, informelle Ökonomie zurückzudrängen.In den letzten Jahren sei in Deutschland der An-teil der Schattenwirtschaft am Bruttoinlandspro-dukt gesunken, und zwar von etwa 16 Prozentauf 14,5 Prozent. Dieses Absinken habe aus seinerSicht mit den Deregulierungen am Arbeitsmarktzu tun, die die damalige rot-grüne Bundesregie-rung durchgesetzt hatte.

Ein nächster Diskussionsschwerpunkt drehte sichum Fragen des Umgangs mit „Illegalen“ in Be-zug auf Legalisierung oder Öffnung der Grenzen.

Norbert Cyrus griff die These Holger Kolbs auf,dass eine Politik der offenen Grenzen illusorischsei. Sein Beispiel: Polen in Deutschland bildetenin den 1990er Jahren die mit Abstand größteGruppe der hier illegal Beschäftigten. Seit 2004hat sich zumindest ihr aufenthaltsrechtlicher Sta-tus geändert, weil sie Unionsbürger gewordensind. Spätestens 2011 werden sie überhauptkeinen aufenthaltsrechtlichen Mobilitätsbeschrän-kungen mehr unterliegen. Das zeige aus Sicht vonNorbert Cyrus, dass man illegale Migration be-seitigen könne, indem man die Gesetze, die Mig-ration für illegal erklären, aufgebe. Die Schluss-folgerung daraus wäre, nicht danach zu fragen,warum es illegale Migration gebe, sondern da-nach, welche Bedingungen dazu führten, dasswir nicht darauf verzichten können, Migrationfür illegal zu erklären.

Ein Ausweg und auch eine konkrete Hilfe für dieBetroffenen – so eine Stimme in der Diskussion– wäre es, denjenigen „Illegalen“, die im Landsind, die Chance auf einen legalen Aufenthalts-titel zu eröffnen. In anderen Ländern habe essolche Möglichkeiten gegeben. Allerdings – so einEinwand – war die Legalisierung zum Beispielin Spanien immer an einen Arbeitsplatz gekop-pelt. Das schüre den Verdacht, dass es wenigerdarum ginge, den Menschen bessere Lebensbe-dingungen zu verschaffen, als vielmehr an derenSteuergelder zu kommen.

Natürlich – so Holger Kolb – sei eine Legalisie-rung für die Menschen eine Verbesserung ihrerSituation. Allerdings stelle sich die Frage, ob esklug sei, immer nur an den Symptomen anzu-setzen und nicht die Ursachen anzugehen. EineAlternative zur Symptombekämpfung wäre dieSchaffung von Möglichkeiten zur legalen Ein-wanderung. So würde man nicht die Folgen be-kämpfen, sondern an den Ursachen ansetzen.

Das von Norbert Cyrus geschilderte Beispiel vonPolen in Deutschland und deren Legalisierungdurch die Änderung der entsprechenden Gesetzeim Rahmen der EU-Erweiterung sieht Holger Kolbals Einzelfall. Zwar könne dies im Rahmen bila-teraler Verhandlungen geregelt werden, es stelleaber nicht die Migrationskontrolle des Staatesin Abrede. Zu glauben, über einen solchen Ver-zicht auf Migrationskontrolle zu einer Lösungkommen zu können, wäre aus seiner Sicht naiv.

Die Alternative ist aus Sicht von Holger Kolb aufder Basis bestimmter Kriterien legale Möglich-keiten der Zuwanderung auszuweiten. Es steheaußer Frage: Ein Kontinent wie Europa, in demsich alle Länder ähnlichen demografischen Ver-werfungen ausgesetzt sehen, müsse darübernachdenken, wie mit Einwanderung umgegangenund wie sie gefördert wird.

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solchen Fragen laste die Arbeit weit gehend beiehrenamtlich engagierten Mitgliedern, weil zu-sätzliche Aufgaben den Apparat stark belasteten.Trotzdem habe die Unterstützung in die Mitglied-schaft von ver.di hinein eine Wirkung gehabt.Aus Sicht von Sonja Marko sei es eine Schande,dass diese Konvention in Deutschland nicht an-genommen wurde. Hier sei die Große Koalitiongefordert.

Wenn es darum gehe – so ein Diskussionsteil-nehmer –, dass die illegalen Praktiken der Arbeit-geber unterbunden werden sollten, müsste esdoch möglich sein, die Menschen, die auf derBaustelle aufgegriffen werden, zu schützen. Ver-bunden wurde dies mit der These, dass das Auf-greifen von papierlosen Ausländern durchausrassistische Reaktionen auslösen könnte.

Die Stoßrichtung beim Thema illegale Beschäfti-gung sei eindeutig, so Frank Schmidt-Hullmann.Es gehe um die Praktiken der Arbeitgeber. Auchdie IG BAU habe keinen Gefallen an den Bildern,die zeigten wie Menschen in Handschellen vonder Baustelle geführt würden, und zwar nichtaus dem Container, wo der Arbeitgeber sitze.Die IG BAU könne aber nicht verhindern, dassauch andere Zwecke mit Kontrollen verbundenwürden. Die IG BAU sei nicht der Gesetzgeber.Die Alternative wäre ein komplettes Ende derKontrollen. Das aber wäre fast schon eine Auf-forderung, sich illegaler Methoden zu bedienen.

Die Frage der Kontrollen thematisierteSonja Marko noch einmal aus eineranderen Perspektive. In den brutalenBereichen von Zwangsprostitution

und Frauenhandel zeigten alle Erfahrungen, dassein Verzicht auf Kontrollen fahrlässig sei. Die ent-scheidende Frage sei in diesem Zusammenhang,ob nach Kontrollen, bei der „Illegale“ aufgegrif-fen würden, denn immer gleich eine Zwangsaus-weisung folgen müsse. Im Bereich Zwangsprosti-tution gebe es ja die Möglichkeit der Kronzeu-genregelung, wonach eine betroffene Frau biszum Prozessende nicht abgeschoben wird, abereben nur bis zu dem Zeitpunkt. Und sie dürfeauch keiner Arbeit nachgehen. Das Problem seinicht die Kontrolle, sondern was danach mit denMenschen geschehe.

Sonja Marko griff auch die Frage nach Rechts-radikalismus und fremdenfeindlicher Einstellun-gen in Gewerkschaften auf. Dass es das gebe,sei aus ihrer Sicht nicht verwunderlich, da dieGewerkschaften auch ein Spiegel der Gesellschaftseien, in der es fremdenfeindliche und auch ras-sistische Einstellungen gebe. Es gebe aber keineInstitution, die sich mit diesem Problem so offen-siv auseinander setze wie die Gewerkschaften.Das schlage sich in der Bildungsarbeit niederund in den Diskussionen, die stattfinden. DieseAuseinandersetzung sei eine ständige Aufgabe,

immer mit dem Ziel einen Bewusstseinswandelherbeizuführen.

Entsprechend habe die IG BAU ihre Kampagnegegen illegale Beschäftigung begleitet. Die Mit-glieder wurde zwei, drei Jahre lang darüber auf-geklärt, was illegale Beschäftigung sei, eben nichtBeschäftigung von Personen, die sich illegal auf-halten. Wenn das Thema Sozialdumping debat-tiert würde, habe die IG BAU – so Frank Schmidt-Hullmann – auch in die eigene Mitgliedschafthinein immer wieder klar gemacht, dass möglicherassistische Interpretationen falsch seien. Es gehenicht darum, dass Ausländer oder AusländerinnenSozialdumping verursachten. Es seien Unterneh-men, deutsche wie ausländische, die die entspre-chenden Praktiken einsetzten. Im Grunde würdedie klassische Frage thematisiert: Gegenüberstünden sich Arbeitgeber und Arbeitnehmende,und zwar Arbeitnehmende aller Nationalitätengegen Arbeitgeber aller Nationalitäten.

Was fremdenfeindliche Einstellungen angehe,habe die IG BAU zwar auch schlechte Werte,aber ähnlich wie andere Gewerkschaften. DieWissenschaftler, die das erforscht hätten, hattenhöhere Prozentwerte erwartet. Das sei – soSchmidt-Hullmann – natürlich kein Grund, sichzurückzulehnen. Zu den Themen Fremdenfeind-lichkeit und Rassismus gebe es Schulungen fürMultiplikatoren, für Ausbilder, Betriebsräte undBerufsschullehrer – alles im Rahmen des Pro-gramms gegen illegale Beschäftigung.

Ein letzter Diskussionspunkt bezog sich auf dasVerhältnis der Gewerkschaften, hier der IG BAU,als Interessenvertretung zu Papierlosen. EineDiskussionsteilnehmerin fragte, ob die IG BAUeinen Papierlosen vertreten würde, dem der Lohnvorenthalten würde. Ein anderes Argument in die-sem Zusammenhang: Eine Gewerkschaft müssedafür eintreten, dass die Arbeit unter den gel-tenden Standards und Bedingungen laufe. Siewäre von daher überfordert, wenn man von ihrerwarten würde, die Beschäftigung von Menschenohne Papieren zu dulden. Es sei aber keine Über-forderung zu erwarten, dass Gewerkschaftenauch für aufgegriffene Papierlose durchsetzten,dass die Ansprüche, die sich aus dem Arbeitsver-hältnis ergeben hätten, auch durch den Arbeit-geber abgegolten würden.

Zunächst einmal – so Frank Schmidt-Hullmannin einer Antwort – fragten die Gewerkschafts-sekretäre die Menschen, die sie in die Gewerk-schaft aufnehmen wollten, normalerweise nichtnach dem Aufenthaltsstatus. Und wenn jemandin die Gewerkschaft eingetreten ist und erklärt,dass er keinen Mindestlohn erhält, kümmere sichdie IG BAU darum. Der Mindestlohn habe mitdem Aufenthaltsstatus nichts zu tun.

Was aufgegriffene Papierlose angehe: Wenn derBetroffene Mitglied der IG BAU war oder kurzvorher noch wurde, würde er vertreten. SolcheFälle habe es immer wieder gegeben.

Häufiger habe aber der EuropäischeVerband der Wanderarbeiter damit zutun, der Beschäftigte von Entsende-firmen organisiere. Deren Aufenthalt

endet in dem Moment, wo Arbeitgeber bei einerKontrolle wegen illegaler Praktiken erwischt wür-den und damit die Grundlage für die Entsende-beschäftigung entfalle. Ausstehende Löhne wür-den dann geltend gemacht. Das sei vor Kurzemzum Beispiel bei der Stuttgarter Messe der Fallgewesen. Da seien türkische Entsendearbeit-nehmer nicht bezahlt worden. Der Verband derWanderarbeiter sorge nun dafür, dass entwederder Generalunternehmer oder der Auftraggeberzahle. Das Geld würde dann den Betroffenenüberwiesen. Der Europäische Verband der Wan-derarbeiter habe derzeit Klagen im Wert von ins-gesamt einer dreiviertel Million Euro vor Gerichtlaufen.An der Diskussionsrunde zum Thema

„Illegale Beschäftigung – Thema undHerausforderung für Gewerkschaf-ten“ beteiligten sich auf dem Podi-

um Frank Schmidt-Hullmann, Leiter der Abtei-lung Internationales und Europäische Baupolitikbeim Bundesvorstand der IG BAU und SonjaMarko, die bei der Vereinigten Dienstleistungs-gewerkschaft ver.di für den Bereich Migrations-politik zuständig ist.

Gerade aus dem Baubereich wird immer wiedervon illegaler Beschäftigung berichtet. Darüber,was illegale Beschäftigung eigentlich ist, bestehenallerdings durchaus Differenzen. Frank Schmidt-Hullmann legte Wert darauf hier genau hinzu-sehen. Illegale Beschäftigung auf dem Bau habevor allem mit den Praktiken der Arbeitgeberseitezu tun. Jede Beschäftigung, bei der nicht derjeweils gültige Tarif- oder Mindestlohn gezahltwürde und/oder die sich aus den Tarifverträgenund Gesetzen ergebenden Arbeitgeberpflichtennicht erfüllen würden, seien aus Sicht der IG BAUillegal. Die tarifliche Bezahlung beziehe sich aufjede geleistete Stunde. Eine der illegalen Prak-tiken zum Beispiel sei es, den Mindestlohn füracht Stunden zu bezahlen, die Betroffenen aberzwölf Stunden arbeiten zu lassen. Bei illegalerBeschäftigung sei es völlig egal, wer die Arbeitausführe. Das könnten sozialversicherungspflich-tig beschäftigte Arbeitnehmende sein, die unter-tariflich bezahlt werden oder Schwarzarbeiter,für die keine Sozialversicherungsbeiträge abge-führt werden. Ob die Arbeitnehmer und Arbeit-nehmerinnen sich legal oder illegal in Deutsch-land aufhielten, sei eine andere Frage.

Vor diesem Hintergrund sei die Hotline, bei derHinweise auf Lohndumping und illegale Beschäf-tigung angenommen wurden, zu sehen, die vonder IG BAU eine Zeit lang geschaltet war. Dies

habe nichts mit Anschwärzen zu tun, so Schmidt-Hullmann, vielmehr ging es darum, kriminelleMachenschaften zu unterbinden. Illegale Beschäf-tigung sei kein Kavaliersdelikt.

Im Organisationsbereich der Dienstleistungsge-werkschaft ver.di sei das Thema illegale Beschäf-tigung anders gelagert als bei der IG BAU, soSonja Marko. Ein großes Problem sei es im Be-reich des Transportwesens, wo in hohem Maßmit Scheinselbstständigkeit gearbeitet würde.

Ein weiteres Feld seien die privaten Haushalts-hilfen, wo es sich oft um Frauen handele, diekeinen Aufenthaltstitel hätten. Diese seien oftnicht marktförmig beschäftigt. Sie erledigten Ar-beit, die sonst nicht nach außen vergeben würde.

Bei den Nachfragen ging es zunächst wenigerum eine Definition von illegaler Beschäftigung,sondern darum, dass „Illegale“ – Menschenohne Papiere – in Deutschland leben und aucharbeiten. Wie – so eine mehrfach gestellte Frage– können sie geschützt werden? Als Beispielerwähnt wurde Südkorea, wo es eine Gewerk-schaft für Migrantinnen und Migranten gäbe.Ein anderer möglicher Weg: die Ratifizierungder UNO-Wanderarbeitskonvention, die gewisseSchutzrechte beinhalte.

Der Idee einer Gewerkschaft für Migrantinnenund Migranten konnte Frank Schmidt-Hullmannnichts abgewinnen. Es sei eine Frage der Gleich-berechtigung, dass Arbeitnehmerinnen und Ar-beitnehmer, die im gleichen wirtschaftlichen Sek-tor arbeiteten in einer Gewerkschaft organisiertseien. Dieses Industriegewerkschaftsprinzip stär-ke die Gewerkschaft im entsprechenden Sektor,weil keine Kraft auf Konkurrenzkämpfe verwen-det werden müsse.

Etwas anderes sei es, wenn sich eine Art Selbst-organisation in der Gewerkschaft bilde. So gäbees in der IG BAU wie auch bei ver.di so genannteFachgruppen, in denen Mitglieder, die aus einergleichen Beschäftigungssituation kommen, sichaustauschen und ihre Interessen vertreten könn-ten. Wenn sich Migrantinnen und Migranten ge-werkschaftlich organisierten, hätten sie natürlichdie Möglichkeiten, die üblichen gewerkschaft-lichen Treffmöglichkeiten in Anspruch zu nehmenund bekämen entsprechend ihrer MitgliedschaftPersonal zur Verfügung gestellt.Aus Sicht Schmidt-Hullmanns sei das lediglich eine Frage der Orga-nisation.

Zur Wanderarbeitskonvention der UNO äußertesich Sonja Marko. Die Gewerkschaften in Deutsch-land forderten seit langem die Ratifizierung. Spe-ziell ver.di habe die entsprechende Unterschriften-kampagne des Komitees für Grundrechte undDemokratie unterstützt und nach Maßgabe derKräfte versucht, Öffentlichkeit zu schaffen. Bei

04Frank Schmidt-Hullmann, IG BAU Hauptvorstand Sonja Marko, ver.di Hauptverwaltung

PODIUMSDISKUSSION:ILLEGALE BESCHÄFTIGUNG –THEMA UND HERAUS-FORDERUNG FÜR GEWERKSCHAFTEN

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recht gezogen wird, das Migrantinnen und Mig-ranten, insbesondere Drittstaatler diskriminiert.

Legalisierungskampagnen wie sie beispielsweisein Spanien und Belgien – mit unterschiedlichemErfolg – durchgeführt wurden, sollte man sehrgründlich auf Übertragbarkeit in deutsche Ver-hältnisse prüfen. Man kann nicht einfach eineLegalisierungskampagne von einem Land insnächste Land übertragen, sondern muss länder-spezifische Gegebenheiten mit einberechnen.Aber prüfen sollten wir das.

2. Ambivalenz gewerkschaftlichenHandelns

Gewerkschaften müssen verstärkt auf den stei-genden Informations- und Beratungsbedarf ein-gehen. Vor allen Dingen müssen Informationenund Aufklärungsarbeit stärker an die eigenenMitglieder gerichtet werden, um Vorurteile undVorbehalte gegenüber Migrantinnen und Mig-ranten im Allgemeinen und papierlosen Menschenim Speziellen abzubauen. Eine ambivalente Hal-tung gegenüber diesen Menschen muss abge-baut werden, um Schwierigkeiten bei der kon-kreten Umsetzung von Unterstützungsmaßnah-men zu vermeiden.

3. Kampf gegen Menschenhandelsdelikteund ausbeuterische Arbeitgeber

Die Gewerkschaften entwickelten schon 1997Vorschläge für einen verbesserten Opferschutzbei Menschenhandelsdelikten. Menschen, diezur Aufdeckung solcher Praktiken beitragen –erst recht wenn sie selber Opfer sind – müssenvor solchen ausbeuterischen Arbeitgebern ge-schützt werden. Doch müssen sie ebenso vor denGefahren, die möglicherweise in ihrem Herkunfts-land drohen, geschützt werden. Deshalb brau-chen diese Menschen einen möglichst sicherenAufenthaltstatus in Deutschland.

Außerdem muss die Möglichkeit der Gewinnab-schöpfung bei solchen Verbrechen ausgeweitetund die Auftraggeberhaftung verstärkt werden.Letzteres konnte in einigen Bereichen des Bau-gewerbes schon durchgesetzt werden.

Wenn beispielsweise ungarischeFirmen bei Siemens im Ruhrge-biet bei der Maschinenwartungtätig sind und die ungarischen

Beschäftigten um ihren Lohn geprellt werden,darf man nicht nur gegenüber dem Subunterneh-mer aus Ungarn vorgehen dürfen; man müssteauch gegenüber Siemens den Lohn oder die So-zialleistungen einklagen können. Hier sind recht-liche Veränderungen nötig, um die Profitgier derUnternehmen und der Auftraggeber einzugren-zen.

4. Zugang zu grundlegendem sozialenSchutz:

Wichtig ist ebenfalls die Frage nach der sozialenStellung von Menschen, die sich nicht legal inDeutschland aufhalten, insbesondere im BereichGesundheit und Bildung. Die Möglichkeit eineUnfallversicherung abzuschließen, Zugang zueinem grundlegenden Gesundheitsschutz undZugang für Kinder und Jugendliche zu Bildungsind nötig. Daneben brauchen wir eine grund-legende Veränderung der Verpflichtung von Be-amten und Beschäftigten von Beratungs- oderUnterstützungsstellen Meldung zu erstatten, wennsie mit Menschen ohne Papiere zu tun haben.

5. Durchsetzung des Rechts auf Lohn undEinkommen

Ohne einen gesetzlichen branchenbezogenenMindestlohn wird man es in Zukunft nicht schaf-fen, die illegal hier lebenden und arbeitendenMenschen zu unterstützen.

Die Durchsetzung des Rechts auf Lohn und Ein-kommen ist aber nicht nur eine juristische Frage.Die Grundbedingungen für irgendeine Anerken-nung von Rechten ist zunächst einmal die An-erkennung des Menschen als Mensch und nichtals papierloser Krimineller: Einen Anspruch aufLohn und Einkommen ist schwer durchzusetzen,wenn die betroffene Person bei der Kontrolledirekt verhaftet wird und keine Möglichkeit ge-geben wird, irgendwo nach Unterstützung zufragen. Die Würde des Menschen muss stärkerin den Mittelpunkt gerückt werden – nicht seinStatus. Deshalb sollte man die Kontrollpraktikenunter die Lupe nehmen, um zu sehen, ob mandie Richtigen damit trifft.

6. Lösung der Problemlage erfolgt nichtnur über eine Regelung zur Einwanderungvon Arbeitskräften

Mit Regelungen zur Einwanderung von Arbeits-kräften werden wir das Problem illegaler Einwan-derung und Beschäftigung nicht insgesamt in denGriff bekommen. Aber wir könnten es mildern.Deshalb ist das Vorhaben des Bundesinnenminis-teriums kontraproduktiv, Paragraf 20 Zuwande-rungsgesetz lediglich mit der Zuwanderungs-möglichkeit für Forscher und wissenschaftlichesPersonal zu füllen. Um illegale Beschäftigung zubekämpfen, müssen auch Einwanderungsregelnfür andere Arbeitskräfte geschaffen werden. Des-halb ist es auch sehr bedauerlich, dass die Euro-päische Union von ihrem Vorhaben, gemeinsameEinwanderungsregelungen zu schaffen, abgerücktist und nur noch auf der Koordinierungsebenegemeinsame Regelungen erarbeitet.

Abschließend bleibt festzustellen, dass die Schaf-fung gleicher Rechte für die Gewerkschaften von

besonderer Bedeutung ist. Diese Rechte gilt esdurchzusetzen für Menschen, die legal beschäf-tigt sind, aber auch für Menschen, die einer ille-galen Beschäftigung nachgehen müssen. Um diePolitik, die Parteien und den Gesetzgeber von derNotwendigkeit zu überzeugen, Rechte zu ver-ändern, brauchen wir einen langen Atem. Aberes geht nicht nur um Gesetze. Wir müssen eineÜberzeugungsarbeit dafür leisten, dass Men-schen, die sich illegal in Deutschland aufhaltenund arbeiten, Menschen sind mit Rechten unddass ihre Rechte eingehalten werden müssen.

Ich möchte einige Schlussfolgerungen benen-nen, die wir als Gewerkschaften aus demWorkshop „Illegale Beschäftigung“ aberauch aus der Diskussion insgesamt ziehen.

Wir haben den Workshop gemeinsam mit demBildungswerk durchgeführt, weil wir erstens zurVersachlichung der Debatte um illegalen Aufent-halt und illegale Beschäftigung beitragen wollen.Zweitens deshalb, weil wir die notwendigenDifferenzierungen in der Diskussion nicht außerAcht lassen wollen und drittens schließlich, weilwir aus dieser Diskussion Ansatzpunkte findenwollen für die Weiterentwicklung unserer gemein-samen politischen Positionen. Wenn man überdas Thema illegale Beschäftigung diskutiert – diesist eine grundlegende Erkenntnis – muss der the-matische Bogen sehr weit geschlagen werden.

Wissenschaftliche Studien besagen, dass ca. zehnbis fünfzehn Prozent der deutschen Wirtschafts-leistung durch die Schattenwirtschaft erbrachtwird. Rund ein Drittel der Beschäftigungsverhält-nisse im Baugewerbe befinden sich mittlerweilein der Schattenwirtschaft – ein Neuntel der Ar-beitsplätze geht an Papierlose.

Gewerkschaften stehen in dieser Situation in derVerantwortung und gleichzeitig vor einer großenHerausforderung. Zunächst sind sie Mitglieder-organisationen und als solche für die Durchset-zung der Interessen ihrer Mitglieder verantwort-lich. Das gilt für alle Mitglieder, unabhängig vonihrer Staatsangehörigkeit, also auch für die 12 bis13 Prozent der Mitglieder mit Migrationshinter-grund.

Zweitens sind sie Organisationen mit legalisti-schem Ansatz: Gewerkschaften können die Inte-

ressen ihrer Mitglieder nur durchsetzen, wenninnerhalb der verschiedenen Branchen gleicheBedingungen gelten, etwa in Bezug auf Einkom-men, Arbeitszeit oder auch Gesundheitsschutz.Nur so kann verhindert werden, dass Arbeitneh-merinnen und Arbeitnehmer gegeneinander inKonkurrenz geraten und ausgespielt werden.Deshalb müssen Gewerkschaften über Tarifver-träge und Initiativen in Richtung Gesetzgebungentsprechende Standards definieren. Allerdingsbesteht die Gefahr, dass dieser legalistische An-satz ein wenig rückwärtsgewandt ist und aktu-elle Veränderungen in der Gesellschaft und derWirtschaft nicht berücksichtigt.

Daneben haben Gewerkschaften aber auch einenmenschenrechtlichen Anspruch und müssen die-sen entsprechend berücksichtigen, etwa gegen-über illegal Beschäftigten. Zumindest auf denersten Blick kollidiert das mit den Aufgaben, glei-che Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt herzu-stellen. Dennoch ist dieser menschenrechtlicheAnspruch fundamental.

Deshalb gibt es sechs Themenfelder, die im Zu-sammenhang mit der illegalen Beschäftigungvon Migrantinnen und Migranten ausschlagge-bend sind:

1. Der Aufenthaltsstatus

Der Aufenthaltsstatus von Menschen, die schonlänger in der Bundesrepublik Deutschland leben,muss nachhaltig gesichert werden – unabhän-gig von irgendeinem vorherigen Status. Dabeiwirft sich wie von selbst die Frage auf, ob dasmomentane staatliche Handeln Illegalität undillegale Beschäftigung nicht eher forciert. Mankann das recht gut am Arbeitsmarktzugang fürin Deutschland lebende Migrantinnen und Mig-ranten verdeutlichen. Solange Menschen dieschon länger als zehn oder fünfzehn Jahre inDeutschland leben, für die Erteilung eines Arbeits-marktzuganges selbst nach dem neuen Zuwan-derungsgesetz immer noch gezwungen sind, zurAusländerbehörde zu gehen und teilweise irrwit-zige Bearbeitungszeiten abwarten müssen, trägtder Staat mit Verantwortung dafür, dass illegaleBeschäftigung existiert und sich ausbreitet.

Geduldete Flüchtlinge, die auf Grund gesetzli-cher Regelungen in der Bundesrepublik leben,müssen endlich einen Zugang zum Arbeitsmarkterhalten.

Bei der Debatte um das Zuwanderungs-gesetz hatten die Gewerkschaften des-halb eine sehr eindeutige Forderung:Personen, die länger als ein Jahr in

Deutschland leben, müssen einen gleichrangigenZugang zum Arbeitsmarkt erhalten. Gefruchtethat das bekanntlich nicht. Wir wollten, dass end-lich ein Schlussstrich unter das alte Ausländer-

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05Volker Roßocha, DGB Bundesvorstand,Referat Migrationspolitik

ARBEITSGRUPPEN:DIE WÜRDE DES MENSCHENMUSS STÄRKER IN DENMITTELPUNKT GERÜCKTWERDEN – NICHT SEIN STATUS

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HERAUSGEBERDGB Bildungswerk e.V.Vorsitzender: Dietmar HexelGeschäftsführer: Dr. Dieter Eich

VERANTWORTLICHFür den Inhalt: Leo Monz

REDAKTIONBernd Mansel, Medienbüro Arbeitswelt

KOORDINATIONMichaela Dälken

GESTALTUNGGitte Becker

DTP/REINZEICHNUNGGerd Spliethoff

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Wir möchten unseren Teilnehmerinnen und Teil-nehmern sowie unseren Referentinnen undReferenten für ihre aktive Mitarbeit an unseremWorkshop herzlich danken.

Düsseldorf, Dezember 2005

IMPRESSUM

GEFÖRDERT DURCH

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