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Schubert Streichquintett SO 20. JUN 2021 | 18.00 Uhr | KULTURPALAST

Schubert Streichquintett

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Schubert Streichquintett SO 20. JUN 2021 | 18.00 Uhr | KULTURPALAST

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KONZERT-EINFÜHRUNG DIGITAL Zu ausgewählten Konzerten können Sie unsere Einführungen in Ruhe sowohl vor dem Konzert als auch noch lange danach hören unter dresdnerphilharmonie.de/konzerteinfuehrung-digital

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KONZERT-EINFÜHRUNG DIGITAL Zu ausgewählten Konzerten können Sie unsere Einführungen in Ruhe sowohl vor dem Konzert als auch noch lange danach hören unter dresdnerphilharmonie.de/konzerteinfuehrung-digital

PROGRAMM

Franz Schubert (1797 – 1828)Fünf Deutsche mit sieben Trios und Coda für Streichquartett D 90 (1813)

Streichquintett C-Dur op. post. 163, D 956 (1828) Allegro ma non troppo Adagio Scherzo. Presto – Trio. Andante sostenuto Allegretto

Wolfgang Hentrich | ViolineAnnegret Teichmann | ViolineBeate Müller | ViolaSofia von Freydorf | VioloncelloMatthias Bräutigam | Violoncello

Jens Schubbe I Moderation

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Das von Otto Erich Deutsch angelegte chronologische Verzeichnis der Werke Franz Schuberts verrät es: Die hier zu- sammengerückten Werke mit den Verzeichnisnummern 90 und 956 ver-binden gleichsam Anfang und Ende von Schuberts kompositorischem Schaffen. Die Fünf Deutschen Tänze D 90 wurden 1813 vom Sechzehnjährigen komponiert, das Streichquintett C-Dur D 956 entstand rund zwei Monate vor Schuberts Tod. Die Fünf Deutschen sind der Sphäre der unterhaltenden Musik zuzurechnen, das Streichquintett gilt heute als eines der Gipfelwerke der Kammermusik überhaupt. Freilich: So unvereinbar wie heute waren Kunstanspruch und Unterhaltung zu Schuberts Zeit nicht. Musik unterschied sich zwar nach der ihr zugedachten Funktion, aber die Musiksprache war noch eine verhältnismäßig einheitliche. So konnten Tanzsätze eben auch Platz in einer Sinfonie oder einem Kammer-musikwerk finden, ohne dass dies einen ästhetischen Bruch bedeutet hätte. Mit

JENS SCHUBBE

Tänze mit TrübungenSchuberts Fünf Deutsche D 90

Blick auf die Fünf Deutschen D 90 fällt zudem auf, dass sie eben weit mehr sind als bloß gefällige Tanz- und Unter-haltungsmusik, sondern dass gerade in dieser der Konvention verhafteten Form Schuberts unverwechselbares Idiom durchbricht. Bevor diesen Spuren nach-gegangen sei, soll kurz beleuchtet wer-den, was es mit den Deutschen Tänzen auf sich hatte, die nicht nur von Schu-bert, sondern auch von Mozart, Haydn, Beethoven und etlichen heute unbekann-teren Kleinmeistern in den Jahrzehnten vor und nach 1800 komponiert wurden. Eine Vorform des Deutschen Tanzes war die Allemande (was ja auf Französisch nichts anderes als »Deutsche« bedeutet), die wir heute noch als einen in barocken Suiten anzutreffenden Tanzsatz kennen. Allemanden bestanden ursprünglich aus einem ruhigen Vortanz im zweizeitigen und einem schnellen Nachtanz im drei-zeitigen Metrum. Als der Tanz in den ge-hobenen gesellschaftlichen Schichten aus der Mode kam und beispielsweise durch das Menuett verdrängt wurde, machte er

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Johann Michael Neder: Fünfkreuzertanz. Gemälde aus dem Jahr 1829. Johann Michael Neder war ein Volksmaler des Wiener Biedermeier, der in naiv-realistischer Manier Porträts und Genreszenen aus dem Leben der Wiener Vorstädte schuf. Abseits gekünstelter Romantik gilt der zu Lebzeiten umstrittene Maler heute gerade wegen seiner Authentizität als wichtiger Schilderer des Wiener Kleinbürgertums, der neben seinen künstlerischen Qualitäten auch ein dokumentarisches Interesse seiner Zeit beanspruchen darf. (Wikipedia)

einen »sozialen Abstieg« durch, blieb in der Volksmusik in Gebrauch und wandelte sich dabei. Der ursprüngliche Nachtanz im Dreiermetrum verselbständigte sich und etablierte sich im süddeutschen und österreichischen Raum als »Deutscher«.

Die enge körperliche Nähe der tanzenden Paare rief alsbald Sittenwächter auf den Plan. In Bayern und im Land Salzburg war der Tanz in den 1760er und 1770er Jahren gar verboten, weil man fürchtete, dass es zu »unzüchtigen Betastungen«

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kommen könne. Der zunehmenden Popularität des Deutschen Tanzes war mit solchen Restriktionen aber nicht Ein-halt zu gebieten. Mit dem wachsenden Selbstbewusstsein und dem ökonomi-schen Aufstieg des Bürgertums erlebte er einen Aufstieg zum Modetanz, und ein aufgeklärter Monarch wie Joseph II. gab für seine Bälle in Wien Deutsche bei den führenden Komponisten seiner Zeit in Auftrag. Von verwandten Tänzen wie dem Ländler und dem Walzer ist der Deutsche nicht klar abzugrenzen. Letztlich ging er im Laufe des 19. Jahrhunderts im Walzer auf. In Schuberts Reihung der Tänze kündigt sich schon die spätere typische Walzerfolge an. Seine Fünf Deutschen entsprechen dem üblichen Schema dieser Tänze exakt, die jeweils achttaktige Perio-den aneinanderreihen. Die oft kraftvoll zu-packenden Hauptteile alternieren in den meisten der Tänze mit ein oder zwei dy-namisch zurückgenommenen Trios; nur der vierte Tanz verzichtet auf eine solchen kontrastierenden Einschub. Gerade in den Trios lassen für Schubert typische Eigen-arten aufhorchen: Schon das erste Trio rückt die Tonart unvermittelt in den Moll-bereich und solche Eintrübungen finden sich immer wieder, beispielsweise auch im dritten Tanz, wenn zunächst Klänge einer Drehleier zart imitiert werden, denen eine recht massiv einbrechende Moll-Passage antwortet. So werden den eigentlich lebensfrohen Tänzen untergründig melancholische Fermente beigemischt.

FRANZ SCHUBERT * 31. Januar 1797 in der Gemeinde

Himmelpfortgrund, heute ein Stadtteil von Wien im Bezirk Alsergrund

† 19. November 1828 in Wieden, heute ein Stadtteil von Wien

Fünf Deutsche mit sieben Trios und Coda für Streichquartett D 90

ENTSTEHUNG 19. November 1813

URAUFFÜHRUNGunbekannt

ZULETZT IN EINEM KONZERT DER DRESDNER PHILHARMONIE 2. August 1958 im Rahmen einer Ballett-Serenade im Schlosspark Pillnitz in einer Fassung für Streichorchester unter Leitung von Kurt Masur

DAUER ca. 14 Minuten

Die dringen in der Coda an die Oberfläche mit ihrem eigentümlich ins Schattenhafte zurückgenommenen Schluss, als sei schon der junge Schubert jener Erfahrung inne-geworden, die er später in viel zitierten Worten artikulierte: »Kennen Sie eine fröhliche Musik? Ich nicht.«

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Das hier widergegebene Ölgemälde mit dem Bildnis eines jungen Mannes, das sich im Kunsthistorischen Museum Wien befindet, ist weder signiert noch datiert und wird auf der Website des Museums wie folgt kommentiert: »Jüngste Untersuchungen der stilistischen Merkmale und auf Schuberts Gesichtsform gestützte Maßanalysen ergaben mit an Sicher- heit grenzender Wahrscheinlichkeit, dass es sich um ein Bildnis des jungen Franz Schubert handelt. Das Portrait zeigt einen jungen Mann in nachdenklicher Pose, wobei die Haupt-achse des Körpers schräg angelegt ist. Arm- und Kopfhaltung sind als Visualisierung des Denkprozesses anzusehen. Das in Ansätzen erkennbare Tafelklavier deutet auf ihn als Musiker hin, Notenpapier und Bleistift erweisen ihn als Komponisten. Leider ist die angedeutete Signatur auf dem Vorsatzbrett des Instruments ebenso wie die Noten auf dem Pult nicht lesbar. Als modisches Attribut sind die Schmuckstücke an der rechten Hüfte des jungen Künstlers anzusehen, eine wohl an der Uhrkette angebrachte Berlocke oder ein Petschaft.«

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Vom 2. Oktober 1828 datiert ein Brief Franz Schuberts an den Verleger Probst in Leipzig. Er erkundigt sich nach dem Erscheinungsdatum seines Klaviertrios B-Dur op. 100 und kommt dann auf neue Werke zu sprechen: »Ich habe unter andern 3 Sonaten für‘s Pianoforte allein componirt, welche ich Hummel decidieren möchte. Auch habe ich mehrere Lieder von Heine aus Hamburg gesetzt, welche hier außerordentlich gefielen, und endlich ein Quintett für 2 Violinen, 1 Viola u. 2 Violoncello verfertigt. Die Sonaten habe

ich an mehreren Orten mit viel Beyfall gespielt, das Quintett aber wird dieser Tage erst probirt. Wenn Ihnen etwas von diesen Compositionen conveniert, so las-sen sie es wissen.« Das erwähnte Quintett »convenierte« Probst nicht. Schuberts Bemerkung, dass es »dieser Tage erst probirt« werde, könnte darauf hinweisen, dass es im privaten Rahmen durchgespielt wurde. Wenige Wochen später erkrankte Schubert an Typhus und starb am 19. No-vember 1828. Nach seinem Tod vergingen 22 Jahre, bis das Quintett vom Hellmes-

Befreite ZeitSchuberts Streichquintett

Schuberts Gesichtsmaske. Peter Gülke vermutet, dass es sich nicht um eine Toten-maske, sondern um eine zu Portraitzwecken verfertigte Lebendmaske handelt und spricht von einer im schönen Sinne männlich zusam-mengefassten, nahezu Beethovenschen Physiognomie, die den letzten Schwammerl-Assoziationen den Garaus mache.

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berger-Quartett und dem Cellisten Josef Stransky im Wiener Musikverein urauf-geführt wurde. Erst 1853 erschien es im Druck. Dieser Erstdruck ist die früheste heute verfügbare Quelle des Werkes. Das Autograph ist verschollen. Obwohl Schuberts Streichquintett zu seinen letzten vollendeten Kompositio-nen gehört, kann man wohl nicht davon ausgehen, dass dieses abgründige Werk in der Vorahnung des baldigen Endes kom-poniert wurde. Zwar war sich Schubert seit der schweren gesundheitlichen Krise der Jahre 1822 bis 1824 der Gefährdetheit seiner physischen Existenz bewusst, aber sein Tod wurde letztlich durch eine akute Infektionskrankheit verursacht, der er in verhältnismäßig kurzer Zeit zum Opfer fiel. Dieser frühe Tod erscheint umso tragischer, als das Quintett ähnlich wie das Sinfonische Fragment D 936a, das der gleichen Zeit entstammt, Schubert auf einem Weg zeigt, der weit in die Zukunft weist. Dieses Zukunftsträchtige hat vor allem etwas mit der Art und Weise zu tun, wie Schubert die musikalische Zeit organisiert, ja wie er das Verrinnen der Zeit gleichsam aufzuheben trachtet. Hat man etwa bei Beethovens Musik oft den Eindruck, dass es ihm um das Ent-rollen eines zielgerichteten Prozesses geht, um eine auf das Ende eines Satzes oder Werkes gerichtete Entwicklung, so gehen Schuberts Intentionen in eine

andere Richtung: Nicht das Nacheinander der musikalischen Ereignisse steht im Vordergrund, sondern die Ausfaltung von Zuständen, das Etablieren von Klang-räumen, die durchschritten werden. Zeit scheint bei ihm nicht linear zu vergehen, sondern sich in Kreisen und Schleifen zu bewegen. Das aber hat Folgen für die mu-sikalische Architektur, zumal wenn sie ein so dezidiert auf Entwicklung ausgerichte-tes Gebilde wie die Sonatenhauptsatzform betrifft.Erfahrbar wird das schon am Beginn des ersten Satzes. Die eröffnenden gedehnten Akkordfolgen lassen uns über die Art, wie die Zeit vergeht, im Unklaren. Erst im Nachgang wird der Puls spürbar. Was hingegen sofort ohrenfällig wird, sind die harmonischen Eintrübungen, die das rei-ne C-Dur infrage stellen. Wie sind diese ersten Takte zu verstehen? War das schon ein Thema oder handelte es sich um eine Einleitung? Für die zweite Variante spricht, dass sich aus den eröffnenden Takten heraus eine Steigerungspassage löst, die zu einem in Dreiklangsbrechun-gen niederstürzenden Gebilde führt, das zunächst den Gestus einer prägnanten thematischen Setzung anvisiert. Eine gerundete Themengestalt wird aber nicht etabliert, sondern das Gebilde ist nur Durchgangsstation zu einer erneuten Steigerung, die schließlich mit größter Kraftentfaltung zur Dominanttonart führt,

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»Befreite Zeit«: der Beginn des Adagios in der Partitur

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jener Tonart also, in der gewöhnlich der Seitensatz erscheint. Zwei Takte genügen sodann, um das Geschehen stattdessen ins gleichsam exterritoriale Es-Dur zu ver-lagern. Getragen und geschützt von pul-sierenden Begleitfiguren hebt ein Gesang der beiden Celli an, der kein Ende mehr kennen will. Wenn die Celli sich ausge-sungen haben, übernehmen die Violinen die Melodie und geleiten anschließend in eine freie Fortspinnung: In dieser krei-senden, schweifenden Bewegung scheint das Vergehen der Zeit aufgehoben, ist sie dem Zwang der Linearität enthoben. Von »befreiter Zeit« sprach treffend der Komponist Dieter Schnebel. Wenn dieser Gesang allmählich verebbt, ist das, als wache man aus einem beseligenden Traum auf und müsse zurück in eine un-geliebte Realität, in der noch Fragmente des Gesangs nachhallen, während die Musik im Gleichschritt an das Nachein-ander der Zählzeiten »festgenagelt« wird. Aus dieser finalen Konstellation der Ex-position wird die gesamte Durchführung hervorgetrieben. Wie hier Taktgruppen blockartig gegeneinander geblendet werden, nimmt jene Art des Musizierens vorweg, die Jahrzehnte später in den Sinfonien Anton Bruckners etabliert wird. Wie bei diesem findet auch bei Schubert Entwicklung in einem linearen, zielge-richteten Prozess nicht mehr statt. Statt-dessen entfaltet sich die Musik wellenför-mig in tendenziell in sich geschlossenen

Komplexen. Der tradierten Marksteine des Sonatensatzes gliedern zwar noch die musikalische Architektur, aber die ursprünglich mit dieser Konstellation verbundene Dynamik ist aufgehoben. In jenem der Zeit enthobenen Raum, in den uns der Seitensatz des ersten Satzes führte, siedelt erst recht das folgende Adagio. Wohl nie zuvor in der Geschichte der abendländischen Musik begegnete eine solche Klanglandschaft wie in den Hauptteilen dieses Satzes. Das langsame Tempo im Verbund mit dem 12/8-Takt, bei dem jede Zählzeit nochmals dreifach unterteilt ist, suggerieren eine zeitlupen-haft verlangsamte Bewegung. Sie wird strukturiert durch die Außenstimmen: durch knappe Motive der ersten Violine und Pizzicati des zweiten Cellos. Sie bil-den den fragilen Halt für den von zweiter Violine, Bratsche und erstem Cello entfalteten Gesang. Dessen melo- dische Struktur ist hörend nicht mehr erfassbar. Die gedehnten Notenwerte lassen die Phrasen nicht als Ganzes nachvollziehen. Der akkordische Satz moduliert zudem häufig in unerwartete Richtungen und vermittelt dadurch den Eindruck, dass die tonale Gravitation, wel-che die Bewegung einem bestimmten Ziel zuwenden könnte, schwindet. Wirkt diese Musik überirdisch schön und entrückt, so führt uns die zentrale Partie zurück in die Welt menschlicher Passion. Eine völlig unvermittelte harmonische Rückung um

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Satz: Durch eine Rückung wird aus dem vorzeichenlosen C-Dur das weit ent-fernte Des-Dur, dominieren tiefe Lagen und dunkle Farben, wird das Tempo zum gemessenen Schreiten verlangsamt. Tänzerische Prägungen haben in diesem Scherzo keinen Platz, sie erhalten dafür im Finale Raum und zwar – vor allem im Hauptthema – mit Anklängen an ungari-sche Musik. Das zweite Thema hingegen spricht einen unverkennbar wienerischen Dialekt. Ungebrochene Positivität ver-strömt dieses Finale dennoch nicht. Schon der c-Moll-Beginn des Satzes, der erst nach mehreren mühsamen Anläufen nach C-Dur aufgehellt wird, irritiert. Sodann sind es die für Schubert so typischen Dur-Moll-Wechsel, die uns schon in den Fünf Deutschen begegneten, die für Trübungen sorgen oder auch jene Passa-gen, in denen die tänzerische Bewegung von flächigen Klängen suspendiert wird. Und selbst die Stretta verweigert das ungebrochen gute Ende, sondert mündet auf dem unisono gespielten c, dem ein Sekundvorhalt vorangeht, musikalische Chiffre des Schmerzes. Wenn davon die Rede war, dass Schuberts Quintett weit in die Zukunft weise, so trifft das gleich in mehrfacher Hinsicht zu. Am auffälligsten sind sicher die Anti-zipationen der Musik Anton Bruckners – in der blockartigen formalen Anlage ebenso wie in der Entfaltung der Themen in großen, oft wellenartig strukturierten Komplexen und in der Negation prozess-

einen Halbton aufwärts macht aus der »Himmelstonart« E-Dur das düstere f-Moll und gibt einer leidenschaftlich ausbrechen-den Schmerzensmusik Raum. Wenn die Energien dieses Ausbruchs versiegen, wird die Musik an die Schwelle des Verstummens geführt, versucht sie gleichsam tastend zurückzufinden in jenes Paradies, aus dem sie zuvor vertrieben ward. In der Tat kehrt der Gesang des Beginns wieder – in den Mittelstimmen sogar unverändert –, jetzt freilich umrankt von huschenden, flüch-tigen Begleitfiguren: »Aber Wiederholung ist in guten Kompositionen niemals die Wiederkehr des Gleichen: Hier hat die Zeit wirklich – und wirklich musikalisch – nur eine Dimension; der Durchgang durch das Chaos, wie man vielleicht sagen kann, und die Art von ›Schwerelosigkeit‹ in diesem Satz, sie sind irreversibel. Und nun, auf der neuen Stufe eines entrückten ›Canto transfigurato‹ sind die Töne zwar dieselben, aber der Sinn ist neu: dieser ›Gesang‹ ist nur die erinnerte Vision seiner selbst; gleichsam erst im Innewerden seines Gewesenseins findet er zu seiner eigenen höchsten Gestalt.« (Arnold Feil)Kaum ein größerer Gegensatz ist denkbar als der zwischen dem Adagio und dem folgenden Scherzo. Voll ungebändigter Energie und Vitalität hebt dieser Satz an – eine Musik, wie sie diesseitiger nicht sein kann. Das Trio aber antwortet der Euphorie dieses Dithyrambos mit einer Grabesmusik. Harmonisch vollzieht sich ein ähnlicher Vorgang wie im langsamen

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hafter Verläufe zugunsten von statischen, in sich kreisenden Klangereignissen. Vergleichbare Versuche, lineare Zeitver-läufe aufzuheben, gibt es sodann – unter anderen ästhetischen und historischen Voraussetzungen – bei Claude Debussy. Zur Konsequenz gebracht wurden Zeit-vorstellungen, wie sie bei Schubert erstmals aufscheinen, in der Musik des amerikanischen Komponisten Morton Feldman, einer Musik, die fast durch-weg im Leisen verharrt, deren Klänge Zeitlosigkeit und eine tiefe Melancholie imaginieren wie sie eine sanfte Meeres-brandung evozieren mag, der man nachts einsam lauscht. Feldman, der einer New Yorker jüdischen Familie entstammte, wurde vom Musikphilosophen Heinz-Klaus Metzger gefragt, ob etwas Wahres an dem Eindruck sei, dass seine Musik ein »Trauerepilog für die ermordete Jiddishkeit in Europa und die sterbende Yddishkeit in Amerika, besonders in New York« sei und hat darauf eine bemerkens-werte Antwort gegeben, die uns zu Schu-bert zurückführt: »Es ist nicht wahr. Aber gleichzeitig glaube ich: ein Aspekt meiner Haltung als Komponist ist das Trauern, sagen wir z. B. um den Tod der Kunst. […] In gewisser Weise trauere ich über etwas, das damit zu tun hat, dass – sagen wir – Schubert mich verlassen hat.«

FRANZ SCHUBERT

Streichquintett C-Dur D 956 ENTSTEHUNG wahrscheinlich im September 1828

URAUFFÜHRUNGDas Quintett wurde Ende September oder Anfang Oktober 1828 laut einer Notiz Schuberts in einem Brief an seinen Verleger Probst geprobt. Die erste öffentliche Aufführung fand am 17. November 1850 im Wiener Musikverein durch das Quartett Josef Hellmesbergers und Josef Stransky (Violoncello) statt.

ZULETZT IN EINEM KONZERT DER DRESDNER PHILHARMONIE7. Juni 2009 mit Wolfgang Hentrich (Violine), Constanze Sandmann (Violine), Heiko Mürbe (Viola), Victor Meister (Violoncello), Daniel Thiele (Violoncello)

DAUER ca. 50 Minuten

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Wolfgang Hentrich ist seit 1996 Erster Konzertmeister der Dresd-ner Philharmonie. Er studierte an der Dresdner Musikhochschule Violine bei Gudrun Schröter und in der Meisterklasse von Gustav Schmahl. Eine zusätzliche Aus-bildung erhielt er in den Fächern Streichquartett bei Rudolf Ulbrich und Dirigieren bei Volker Rohde. Von 1987 bis 1996 war er Erster Konzertmeister der Robert-Schu-mann-Philharmonie Chemnitz. Ab 2009 spielte Wolfgang Hentrich als Konzertmeister regelmäßig mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester

WOLFGANG HENTRICH

Berlin unter Leitung von Marek Janowski. Er leitet das Philharmo-nische Kammerorchester Dresden und widmet sich intensiv der Kam-mermusik. 2012 bis 2018 gestaltete er mit dem Philharmonischen Kammerorchester Dresden die von ihm konzipierte Konzertreihe »Dresdner Abende« im Deutschen Hygiene-Museum Dresden, die in das Konzertangebot der Dresdner Philharmonie eingebettet war. Seit 2013 ist Wolfgang Hentrich Leiter der Deutschen Streicherphilhar-monie und produzierte mit diesem jüngsten deutschen Spitzenor-chester zwei CDs. Das vielfältige Repertoire des Künstlers reicht von der Barockmusik über die zyklische Aufführung von Violinsonaten u. a. von Mozart, Beethoven, Schumann, Brahms und Grieg bis zu gemein- samen Auftritten mit dem Rockmu-siker Dirk Zöllner. Als Solist spielte er mehrfach mit der Dresdner Philharmonie und führte u. a. Violinkonzerte von Prokofjew, Hindemith, Hartmann (Concerto funèbre), Bernstein (Serenade),

VIOLINE

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VIOLINE

Bruch (Schottische Fantasie), Peteris Vasks und Thorsten Rasch. An CD-Produktionen sind u. a. zu nennen: Violinkonzerte von Kurt Schwaen und Ruth Zechlin, Or-chesterwerke von Johann Strauß, Vivaldis »Vier Jahreszeiten«, »Arabesque« mit der Harfenistin Nora Koch, Werke von Paganini für Violine und Gitarre mit Markus Gottschall sowie Mozarts Sonaten für Klavier und Violine mit Camillo Radicke sowie »Romantischer Streicherklang« mit dem Phil-harmonischen Kammerorchester Dresden. Nach dem Vorbild des legendären Wiener Konzertmeis-ters Willi Boskovsky dirigierte er seit 1999 zahlreiche Neujahrskon-zerte der Dresdner Philharmonie und der Robert-Schumann-Phil-harmonie Chemnitz. Wolfgang Hentrich ist Honorarprofessor für Violine an der Dresdner Musik-hochschule und widmet sich mit besonderer Liebe speziellen Pro-grammen für Kinder. Im Jahr 2002 gründete er mit musikbegeisterten Laien das Fördervereins-Orchester der Dresdner Philharmonie, das seitdem das Musikleben der Stadt bereichert.

ANNEGRET TEICHMANN

Annegret Teichmann besuchte die Spezialschule für Musik Dresden (Eberhard Friedrich), studierte an der Dresdner Musikhochschule (Rudolf Ulbricht), nahm Unterricht bei Kai Vogler, sammelte Berufs-erfahrungen 1995 bis 1997 bei der Sächsischen Staatskapelle Dresden und beim MDR-Sinfonieorchester Leipzig, ist in verschiedenen Kammerensembles tätig und ist Mitglied des Philharmonischen Kammerorchesters.

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Beate Müller, geboren in Erfurt, begann achtjährig mit dem Geigen-spiel. Sie besuchte die Spezial- schule für Musik in Weimar und wechselte ein Jahr vor dem Studium zur Viola. Sie studierte zunächst bei Thomas Wünsch in Weimar und später bei Dietmar Hallmann in Leipzig. 1993 erhielt sie den Stipendiatenpreis von RWE Essen. Orchestererfahrungen sammelte sie als Substitutin des Gewandhausorchesters Leipzig. Noch während ihres Studiums er-spielte sie sich ihre Orchesterstelle in der Dresdner Philharmonie. Ihr Diplom schloss sie mit Auszeich-nung ab. Neben ihrer Tätigkeit als Orchestermusikerin musiziert sie seit Jahren in einer festen Quar-tett-Formation, spielt regelmäßig im Philharmonischen Kammer-orchester Dresden und in anderen kammermusikalischen Konstella-tionen. Ihr Instrument entstammt der Meisterwerkstatt von Bernd Hiller, Markneuenkirchen/Regens-burg.

BEATE MÜLLER

VIOLA

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Sofia von Freydorf wurde 1995 in Stockholm geboren und erhielt ihre erste musikalische Ausbil-dung bei Alexander Oratovski in Bonn. Später wurde Barbara Varsanyi ihre Lehrerin. Von 2013 bis 2017 studierte sie an der Hoch-schule für Musik Carl Maria von Weber Dresden bei Ramón Jaffé und nahm an Meisterkursen bei Peter Bruns, Troels Svane, Joseph Schwab, Gustav Rivinius, Natalia Gutman, Wolfgang Boett-cher und Georg Faust teil. 2014 wurde sie Stipendiatin der Ad Infi- nitum Foundation Lübeck und seit 2016 der Talentschmiede Dresden e. V. sowie der Yehudi Menuhin Foundation. Sie gewann elf erste Preise beim Wettbewerb »Jugend musiziert« und 2012 den Ersten Preis beim internationalen Karel Kunc Musikwettbewerb. Praktische Orchestererfahrungen konnte sie von 2010 bis 2013 in der Deutschen Streicherphilharmonie (Leitung: Michael Sanderling), seit 2015 als Mitglied im European Union Youth Orchestra unter Bernard Haitink und ab 2016 im

SOFIA VON FREYDORF

VIOLONCELLO

Gustav Mahler Jugendorchester sammeln. 2013 debütierte Sofia von Freydorf mit Edward Elgars Cellokonzert zusammen mit dem Thüringer Loh-Orchester unter der Leitung von Markus L. Frank. Sie erhielt Einladungen zum Kammer-musikfestival Middelburg sowie zum Kammermusikfest Hopfgar-ten und arbeitet selbst kammer-musikalisch u. a. mit Jean-Guihen Queyras (Beethovenfest Bonn), Jerome Lowenthal und Andrej Bielow (Sommerakademie Lüne-burger Heide) zusammen. Darüber hinaus widmet sie sich zeitgenös-sischer Musik, u. a. in Konzerten mit Helmut Lachenmann, Sofia Gubaidulina und Wolfgang Rihm. Gegenwärtig ist sie Mitglied der Giuseppe-Sinopoli-Akademie der Staatskapelle Dresden.

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Matthias Bräutigam entstammt einer Kantorenfamilie aus Gotha und studierte von 1975 bis 1980 an der Musikhochschule Franz Liszt Weimar bei Brunhard Böhme. 1979 erhielt er ein Diplom beim Internationalen Instrumental-wettbewerb Markneukirchen, im darauffolgenden Jahr war er Preisträger beim Internationalen Bach-Wettbewerb in Leipzig. Seit 1980 ist Matthias Bräutigam Koor-dinierter Solo-Cellist der Dresdner Philharmonie.

MATTHIAS BRÄUTIGAM

VIOLONCELLO

1986 war er Mitglied im Welt-orchester in Rio de Janeiro und spielte unter Leitung von Lorin Maazel. Von 2000 bis 2003 hatte er einen Lehrauftrag an der Musik-hochschule in Weimar. Seit 2003 lehrt er an der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber in Dresden, 2016 wurde ihm hierfür eine Honorarprofessur verliehen.Matthias Bräutigam ist Mitglied verschiedener Kammermusiken-sembles (Dresdner Barocksolisten, Dresdner Streichquintett), konzer-tierte im europäischen Ausland und hat Rundfunk- und CD-Auf-nahmen eingespielt.

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UNSERE NÄCHSTEN VERANSTALTUNGEN

Das aktuelle Konzertprogramm finden Sie online unter dresdnerphilharmonie.de

SO 27. JUN 2021 | 18.00 UhrKONZERTSAALBRUCKNERBruckner: »Nullte« Sinfonie d-MollMarkus Poschner | DirigentEmmanuel Tjeknavorian | ViolineDresdner Philharmonie

SA 3. JUL 2021 | 19.30 UhrKONZERTSAALBRAHMS KLAVIERKONZERTRoussel: »Le Festin de l'araignée« – Orchestersuite Brahms: Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 B-Dur Lionel Bringuier | DirigentKirill Gerstein | KlavierDresdner Philharmonie

SO 4. JUL 2021 | 18.00 Uhr KONZERTSAAL MAHLER 9 – FÜR KLAVIER SOLOMahler: Sinfonie Nr. 9 D-Dur Fassung für Klavier solo von Albert BreierStefan Wirth | Klavier

DI 6. JUL 2021 | 19.30 UhrKONZERTSAAL»… SCHÖNE WELT?«Busoni: »Berceuse élégiaque« (Bearb. für Kammerensemble von Erwin Stein)Shin: »The Hunters Funeral« für KammerensembleMahler: Sinfonie Nr. 1 D-Dur (Bearb. für Kammerorchester von Klaus Simon)Bruno Borralhinho | DirigentEnsemble Mediterrain

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Klassik für Kinder

dresdnerphilharmonie.de/diskografie/cd-2021-kinder

DER KARNEVAL DER TIERE PETER UND DER WOLF

Malte Arkona und sein kleiner Gefährte Mezzo begeben sich auf musikalische Abenteuerfahrt. Was wäre dafür besser geeignet als >Peter und der Wolf< und >Der Karneval der Tiere<? Gemeinsam mit der Dresdner Philharmonie und KultBlechDresden, ihrem Blechbläserensemble, haben die beiden auf CD vereint, was Kinderherzen höher schlagen lässt: spannende Geschichten, fesselnde Musik und nebenbei ganz viel Wissenswertes über die Welt der Instrumente.

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HERAUSGEBER

Intendanz der Dresdner PhilharmonieSchloßstraße 2 01067 DresdenT +49 351 4866-282

dresdnerphilharmonie.de

CHEFDIRIGENT UND KÜNSTLERISCHER LEITER

Marek Janowski

INTENDANTIN

Frauke Roth (V.i.S.d.P.)

TEXT

Jens Schubbe

Der Text ist ein Originalbeitrag für dieses Heft; Abdruck nur mit aus-drücklicher Genehmigung des Autors.

Jens Schubbe, geboren 1962 in der Mecklenburgischen Schweiz, arbeitet als Dramaturg für die Dresdner Phil-harmonie. Darüber hinaus ist er als Autor bzw. beratend für diverse Insti-tutionen tätig, u. a. Wiener Musikver-ein, Konzerthaus Berlin, Schwetzinger Festspiele, Wittener Tage für neue Kammermusik. Zuvor Tätigkeiten für das Collegium Novum Zürich (Künst-lerischer Leiter/Geschäftsführer), das Konzerthaus Berlin (Dramaturg), die Berliner Kammeroper (Drama-turg) und das Theater Vorpommern (Chorsänger und Dramaturg).

REDAKTION

Jens Schubbe

BILDNACHWEISE

tanz.at: S. 5Wikimedia Commons: S. 7goethezeitportal.de: S. 8imslp.info: S. 10Markenfotografie: S. 14-18

MUSIKBIBLIOTHEK

Die Musikabteilung der Zentralbibliothek (2. OG) hält zu den aktuellen Programmen der Philharmonie für Sie in einem speziellen Regal Partituren, Bücher und CDs bereit.

IMPRESSUM

JUNG UND KEINEN PLAN VON KLASSIK?

PODCAST HÖREN!»PHIL TO EXPLORE«

Katharina und Uma schauen hinter die Kulissen. Und zeigen euch, wie spannend und cool klassische Musik ist. Versprochen!

Überall wo‘s Podcasts gibt und auf dresdnerphilharmonie.de

© B

jörn

Kad

enba

ch

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JUNG UND KEINEN PLAN VON KLASSIK?

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Die Dresdner Philharmonie als Kultureinrichtung der Landes- hauptstadt Dresden (Kulturraum) wird mitfinanziert durch Steuermittel auf der Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushaltes.

Bleiben Sie informiert:

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TICKETSERVICE

Schloßstraße 2 01067 Dresden T +49 351 4866-866 MO – FR 10 – 19 UhrSA 9 – 14 Uhr

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Änderungen vorbehalten.