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5 SCHÜLERAKTIVIERENDER UNTERRICHT Kooperatives Lernen ist keine Sammlung von Methoden „Wie oft kann ich denn Kooperatives Ler- nen im Unterricht umsetzen?“ Hinter die- ser oft gestellten Frage verbirgt sich die Auffassung, dass es sich beim Kooperati- ven Lernen um eine einzelne Methode oder auch um eine Sammlung von Metho- den handele. Nur folgerichtig ist dann die Vorstellung, das Kooperative Lernen sei nur in bestimmten Unterrichtssituationen oder bei bestimmten Inhalten möglich oder angezeigt. Dies ist ein Missverständ- nis. Kooperatives Lernen ist ein Gesamtkonzept von erfolgreichem Unterricht, denn die Dramaturgie des Kooperativen Lernens er- streckt sich auf jede Phase des Unter- richts. Es ist nicht nur an dieser oder jener Stelle im Unterricht sinnvoll, sondern bietet als universelles Konzept der Schüler- aktivierung ein flexibles Modell für erfolg- reichen Unterricht in allen Fächern. 2 In diesem Modell kommen die Stärken der einzelnen Unterrichtsformen zum Tragen. Einzelarbeit, Kooperation, Ergebnisprä- sentation, aber eben auch der Lehrervor- trag, das direkte Unterrichten oder offene Lernformen lassen sich integrieren. Gleich- zeitig werden im Kooperativen Lernen die verschiedenen Bereiche des Lernens (ko- gnitiv, personal, sozial und methodisch) berücksichtigt. Die Dramaturgie des Kooperativen Lernens Der Dreischritt „Denken – Austauschen – Vorstellen“ ist der Kern eines schülerakti- vierenden Unterrichts (vgl. Abb. 1). In der Regel wird er in einer Stunde mehrfach zur Anwendung kommen. Und jedes Mal geht es darum, dass sich jeder Einzelne in der Schulklasse der neuen Aufgabe zuwendet, sie kognitiv erfasst und bearbeitet. Aus der Lehr-Lernforschung wissen wir, dass guter Unterricht aus dem Wechsel- spiel von vielen unterschiedlichen Unter- richtsformen besteht (vgl. Brophy 2010: 78). Die Kombination dieser Formen mit dem Wechsel von individuellem und Ko- operativem Lernen und der Steuerung durch den Unterrichtenden nennen wir die Dramaturgie des Unterrichts. Sie wird von den Unterrichtenden wie von Regisseuren bestimmt – und mit ihr auch der Einsatz der Methoden des individuellen und Koope- rativen Lernens in den Unterrichtsphasen. Dabei tritt die Lehrkraft in manchen Pha- sen stärker in den Vordergrund, etwa wenn sie das Lernziel oder die Aufgaben mitteilt. In anderen Phasen moderiert sie und hält sich beobachtend im Hintergrund, zum Bei- spiel wenn die SchülerInnen in einem Wechsel aus Einzel- und Gruppenarbeit ihre Wissensvoraussetzungen aktivieren oder die Aufgabenstellung bearbeiten. Wenn die Ergebnisse vorgestellt und gesichert werden, findet meist ein Unterrichtsge- spräch statt, in dem SchülerInnen und Leh- rerIn über die Sache ins Gespräch kommen. Es ist eine eigene Kunst, nicht nur Unter- richtsphasen mit kooperativen Methoden anzuleiten, sondern diese auch in die Ge- samtstruktur des Lernprozesses so einzubin- den, dass sie ihr ganzes Potential entfalten können. Erst ein variabler, den Lernbedingungen an- gepasster Unterricht ist wirklich erfolgreich. Deshalb lassen sich in der hier vorgestellten Dramaturgie von Unterricht unterschiedli- che Lehr-Lernformen, zum Beispiel die direk- te Instruktion und das Kooperative Lernen miteinander verbinden. Genauso können of- fene Unterrichtsformen – zum Beispiel Sta- tionenlernen oder Freiarbeit 3 – nach dem Prinzip des Kooperativen Lernens organisiert werden. Hierzu arbeiten die SchülerInnen zunächst allein, um sich dann vor dem Hin- tergrund ihrer individuellen Auseinanderset- zung mit dem Partner oder in der Gruppe auszutauschen. Ludger Brüning/Tobias Saum Schüleraktivierendes Lehren und Kooperatives Lernen – ein Gesamtkonzept für guten Unterricht Das Konzept des Kooperativen Lernens ist nicht einfach eine neue Form von Gruppenunterricht. Es gibt vielmehr eine praktikable Antwort auf die Frage, wie die für das schulische Lernen so notwendige mentale Aktivierung möglichst aller SchülerInnen in allen Phasen im alltäglichen Unterricht erreicht werden kann. Im folgenden Beitrag 1 wird das Konzept im Überblick vorgestellt. 1 Dieser Beitrag ist die gekürzte und überarbeitete Fassung eines Beitrags aus: Christine Preuß / Eva Heinemann / Philipp Westermann (Hrsg.) (2010): Kooperatives Lernen in Hochschule, Studienseminar und Schule. Beiträge zur Summer School 2009. 2 Nicht nur die einschlägigen wissenschaftlichen Veröffentli- chungen, sondern vor allem die inzwischen kaum noch überschaubare Vielzahl an Praxisbeiträgen in den deutschen Fachzeitschriften machen deutlich, dass das Kooperative Lernen in jedem Fach erfolgreich umgesetzt werden kann. 3 Zur Diskussion offener Lernformen vgl. Wellenreuther (2009) und Brügelmann (2005: 42ff.). aus: GEW NRW (Hg.), Frischer Wind in den Köpfen. (Sonderdruck) Bochum 2011.

Schüleraktivierendes Lehren und Kooperatives Lernen – ein ...vielfalt-lernen.zum.de/images/6/62/Basisartikel_KL_2011.pdf · einem Schaubild oder einer Statistik ent-nehmen. In

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SCHÜLERAKTIVIERENDER UNTERRICHT

Kooperatives Lernen istkeine Sammlung von Methoden

„Wie oft kann ich denn Kooperatives Ler-nen im Unterricht umsetzen?“ Hinter die-ser oft gestellten Frage verbirgt sich dieAuffassung, dass es sich beim Kooperati-ven Lernen um eine einzelne Methodeoder auch um eine Sammlung von Metho-den handele. Nur folgerichtig ist dann dieVorstellung, das Kooperative Lernen seinur in bestimmten Unterrichtssituationenoder bei bestimmten Inhalten möglichoder angezeigt. Dies ist ein Missverständ-nis.

Kooperatives Lernen ist ein Gesamtkonzeptvon erfolgreichem Unterricht, denn dieDramaturgie des Kooperativen Lernens er-streckt sich auf jede Phase des Unter-richts. Es ist nicht nur an dieser oder jenerStelle im Unterricht sinnvoll, sondern bietetals universelles Konzept der Schüler-aktivierung ein flexibles Modell für erfolg-reichen Unterricht in allen Fächern.2 Indiesem Modell kommen die Stärken dereinzelnen Unterrichtsformen zum Tragen.Einzelarbeit, Kooperation, Ergebnisprä-sentation, aber eben auch der Lehrervor-trag, das direkte Unterrichten oder offeneLernformen lassen sich integrieren. Gleich-zeitig werden im Kooperativen Lernen dieverschiedenen Bereiche des Lernens (ko-gnitiv, personal, sozial und methodisch)berücksichtigt.

Die Dramaturgie desKooperativen Lernens

Der Dreischritt „Denken – Austauschen –Vorstellen“ ist der Kern eines schülerakti-vierenden Unterrichts (vgl. Abb. 1). In derRegel wird er in einer Stunde mehrfach zurAnwendung kommen. Und jedes Mal gehtes darum, dass sich jeder Einzelne in derSchulklasse der neuen Aufgabe zuwendet,sie kognitiv erfasst und bearbeitet.

Aus der Lehr-Lernforschung wissen wir,dass guter Unterricht aus dem Wechsel-spiel von vielen unterschiedlichen Unter-richtsformen besteht (vgl. Brophy 2010:78). Die Kombination dieser Formen mitdem Wechsel von individuellem und Ko-operativem Lernen und der Steuerungdurch den Unterrichtenden nennen wir dieDramaturgie des Unterrichts. Sie wird vonden Unterrichtenden wie von Regisseurenbestimmt – und mit ihr auch der Einsatzder Methoden des individuellen und Koope-rativen Lernens in den Unterrichtsphasen.

Dabei tritt die Lehrkraft in manchen Pha-sen stärker in den Vordergrund, etwa wennsie das Lernziel oder die Aufgaben mitteilt.In anderen Phasen moderiert sie und hältsich beobachtend im Hintergrund, zum Bei-spiel wenn die SchülerInnen in einemWechsel aus Einzel- und Gruppenarbeit ihreWissensvoraussetzungen aktivieren oderdie Aufgabenstellung bearbeiten. Wenndie Ergebnisse vorgestellt und gesichert

werden, findet meist ein Unterrichtsge-spräch statt, in dem SchülerInnen und Leh-rerIn über die Sache ins Gespräch kommen.Es ist eine eigene Kunst, nicht nur Unter-richtsphasen mit kooperativen Methodenanzuleiten, sondern diese auch in die Ge-samtstruktur des Lernprozesses so einzubin-den, dass sie ihr ganzes Potential entfaltenkönnen.

Erst ein variabler, den Lernbedingungen an-gepasster Unterricht ist wirklich erfolgreich.Deshalb lassen sich in der hier vorgestelltenDramaturgie von Unterricht unterschiedli-che Lehr-Lernformen, zum Beispiel die direk-te Instruktion und das Kooperative Lernenmiteinander verbinden. Genauso können of-fene Unterrichtsformen – zum Beispiel Sta-tionenlernen oder Freiarbeit3 – nach demPrinzip des Kooperativen Lernens organisiertwerden. Hierzu arbeiten die SchülerInnenzunächst allein, um sich dann vor dem Hin-tergrund ihrer individuellen Auseinanderset-zung mit dem Partner oder in der Gruppeauszutauschen.

Ludger Brüning/Tobias Saum

Schüleraktivierendes Lehren und Kooperatives Lernen –ein Gesamtkonzept für guten Unterricht

Das Konzept des Kooperativen Lernens ist nicht einfach eine neue Form von

Gruppenunterricht. Es gibt vielmehr eine praktikable Antwort auf die Frage,

wie die für das schulische Lernen so notwendige mentale Aktivierung möglichst

aller SchülerInnen in allen Phasen im alltäglichen Unterricht erreicht werden kann.

Im folgenden Beitrag1 wird das Konzept im Überblick vorgestellt.

1 Dieser Beitrag ist die gekürzte und überarbeitete Fassungeines Beitrags aus: Christine Preuß / Eva Heinemann /Philipp Westermann (Hrsg.) (2010): Kooperatives Lernen inHochschule, Studienseminar und Schule. Beiträge zurSummer School 2009.

2 Nicht nur die einschlägigen wissenschaftlichen Veröffentli-chungen, sondern vor allem die inzwischen kaum nochüberschaubare Vielzahl an Praxisbeiträgen in den deutschenFachzeitschriften machen deutlich, dass das KooperativeLernen in jedem Fach erfolgreich umgesetzt werden kann.

3 Zur Diskussion offener Lernformen vgl. Wellenreuther (2009)und Brügelmann (2005: 42ff.).

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SCHÜLERAKTIVIERENDER UNTERRICHT

Die Elemente eines erfolgreichen Lernpro-zesses sind wie Mosaiksteine: Wie derKünstler immer wieder neue Bilder mitden Mosaiksteinen schaffen kann, so ord-net auch der Unterrichtende die Elementedes Unterrichts immer wieder anders. DasZiel des Kooperativen Lernens besteht ne-ben der Förderung sozialer und personalerKompetenzen darin, dass im Unterrichtdurch den Wechsel von individuellem undKooperativem Lernen ein hohes Maß ankognitiver Schüleraktivierung und somitgroße Lernfortschritte erreicht werden.Richtschnur der Dramaturgie sind die Fra-gen: Sind alle SchülerInnen gleichzeitigmental aktiviert? Erlaubt der Unterrichtjedem Einzelnen die individuelle Aneig-nung des Unterrichtsgegenstandes?

Allein denken – über dieBedeutung der Einzelarbeit

Lernen ist eine höchst individuelle Ange-legenheit. Denn der Lernprozess findetletztlich im individuellen Gedächtnis derLernenden statt. Daher müssen die Lernen-den immer die Möglichkeit haben, ihre ei-genen mentalen Wissensnetze aufzurufenund versuchen, die neuen Informationendamit in Verbindung zu bringen. Oder siemüssen Gelegenheit bekommen, zunächsteine eigene Lösung für eine gestellte Auf-gabe zu entwickeln. Daher sollte kein Un-terricht auf diese Phase der Einzelarbeitverzichten.

Konstruktivistisch betrachtet, entwickelndie SchülerInnen in dieser Phase ihre ei-genen mentalen Netze weiter oder suchenin ihren vorhandenen Wissensstrukturennach Lösungen. Dazu müssen sie sich viel-leicht an das prozedurale Wissen der vor-hergehenden Instruktion erinnern und esauf einen neuen Zusammenhang anwen-den. Oder sie erarbeiten in dieser Phasedeklaratives Wissen, das sie einem Text,einem Schaubild oder einer Statistik ent-nehmen. In jedem Fall sollten alle Schüle-rInnen dies zunächst allein tun, denn nurso ist gewährleistet, dass sie sich der Pro-blemstellung zuwenden – selbst dann,wenn es augenscheinlich großer Anstren-gungen bedarf.

Methodisch hilfreich ist es – soweit esmöglich ist – die SchülerInnen anzuhal-ten, ihre Gedanken in dieser Phase schrift-lich zu skizzieren. Das hat mehrere Grün-de: Zum einen zwingt es zu einer gewissengedanklichen Strenge und verhindert dasAbschweifen der SchülerInnen. Zum ande-ren dient es der Rechenschaftslegung, dader Unterrichtende sich bereits in diesePhase dem Einzelnen zuwenden kann. Erkann ihn bitten, seine Gedanken mit Hilfeder Notizen zu erläutern. Es wird aberauch sichtbar, wenn einzelne SchülerIn-nen nicht mitarbeiten oder Verstehens-schwierigkeiten haben. Die individuelleVerantwortung wird so für alle SchülerIn-nen bereits in der Einzelarbeit unmittelbardeutlich und eine breite kognitive Aktivie-rung wird gefördert.

Ergebnisse austauschen – die Kooperationsphase

Damit alle SchülerInnen mit ihren Ergeb-nissen weiterarbeiten und sich nicht wieim fragend-entwickelnden Unterrichtzurückziehen können, folgt beim Koopera-tiven Lernen nach dem individuellen Ar-beiten eine Zeit der Kooperation. DennLernen ist immer auch ein sozialer Prozess.Der Erwerb von Wissen erfolgt vor allemdurch die Interaktion mit anderen (vgl.Mandel 2010: 21). Die Kooperation ist in

den meisten Fällen der eigentlich frucht-bare Moment im Lernprozess. Dafür gibtes verschiedene Gründe:n In der Phase der Kooperation werden

die individuellen Wissensnetze und dieje eigenen geistigen Konstruktionen andie Oberfläche gebracht. Die SchülerIn-nen haben die Möglichkeit, ihre in derEinzelarbeit gewonnenen Ergebnissemitzuteilen und dazu von den Mitschü-lerInnen eine Rückmeldung zu erhal-ten. Und mehr noch: Meist gehen sieim Gespräch in der Gruppe über dashinaus, was sie in der Einzelarbeit erar-beitet haben. Ähnlich der von Heinrichvon Kleist beschriebenen „allmähli-che[n] Verfertigung der Gedankenbeim Reden“ (Kleist 1986: 453–458)werden die Gedanken, die die Schüle-rInnen in der Kooperation formulierenmüssen, durch das Suchen nach dersprachlichen Form weiterentwickelt.

n Die SchülerInnen werden erneut mentalaktiviert, denn sie müssen die eigenenErgebnisse durchdenken, um ihre Ge-danken klar und verständlich auszu-drücken und angemessene Formulie-rungen zu finden. Durch diese Verbali-sierung verarbeiten sie die individuellenErgebnisse neu, manches wird dabeiklarer. Für den Einzelnen ist die Koope-ration schon allein wegen dieser Not-wendigkeit, sein Denken angemessenmitzuteilen, eine erneute Lerngelegen-heit.

Abb. 1: Grundprinzip des Kooperativen Lernens

Grundprinzipdes Kooperativen Lernens

IndividuelleErarbeitung

(Konstruktion)

Austausch in der Gruppe(1. Ko-Konstruktion einergemeinsamen Lösung)

Vorstellen im Plenum(2. Ko-Konstruktion durch

die Zuhörer)

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SCHÜLERAKTIVIERENDER UNTERRICHT

n Beim Kooperativen Lernen werden dievorgestellten Ergebnisse zum Gesprächs-gegenstand in der Kleingruppe. Habendie SchülerInnen an der gleichen Auf-gabe gearbeitet, dann vergleichen sieihr Verständnis mit dem der anderenund stellen deshalb Rückfragen, ergän-zen oder berichtigen ihre Gruppenmit-glieder. Oft müssen die SchülerInnensich dann erneut mit der Problemstel-lung beschäftigen, um Unklarheitenoder Widersprüche zwischen ihren Er-gebnissen zu beseitigen. Alle Gruppen-mitglieder werden so in einen aktivenLernprozess eingebunden. Gerade dieim Gespräch der SchülerInnen entste-henden Widersprüche fordern sie zurDiskussion heraus und ihre Auflösungtreibt den Lernprozess voran. Die Schü-lerInnen bringen ihre individuellenWissenskonstruktionen ein und bildendann ein gemeinsames Modell, eine sogenannte Ko-Konstruktion (vgl. Abb. 1).

n In der Kooperation treiben aber nichtnur Widersprüche das Lernen voran.Vielfach lernen die SchülerInnen aucham Modell, das die MitschülerInnenbieten. Jeder, der einen Vorschlag oderein Ergebnis einbringt, fungiert alsmögliches Modell. Da dies mit hoherWahrscheinlichkeit nahe der „Zone dernächsten Entwicklung“ der Lernendenliegt, können die anderen SchülerInnenes leicht in ihr Wissensmodell integrieren.

n Die Kooperationsphase hat aber auchBedeutung vor dem Hintergrund einerstärkeren Individualisierung der Lern-prozesse. Da Wissen nicht gleichförmigvon allen SchülerInnen angeeignet,sondern individuell oft ganz verschie-den konstruiert wird, muss der Unter-richtende „Unterrichtssituationen schaf-fen, die den Austausch zwischen denSchülern erzwingen“ (von Salden 2009:18). Denn in diesem Moment kommtjeder mit seinen Gedanken zu Wort,kann seine ganz individuelle Vorstel-lung verbalisieren und so immer auchindividuell lernen.

Ein Unterricht, der nach der Einzelarbeitunmittelbar zum Unterrichtsgespräch über-geht, lässt diese Lerngelegenheiten für dieSchülerInnen ungenutzt. Er wechselt in ei-ne Situation, an der schon aus praktischenGründen nur ein Teil der SchülerInnen, ak-

tiv teilhaben kann. Selbst ein sehr profes-sionell angeleitetes Unterrichtsgesprächkann die Aktivierung aller SchülerInnen inder Kleingruppe nicht annähernd errei-chen. Dies ist nur ein Grund für die empi-risch vielfach erwiesene Überlegenheitdes Kooperativen Lernens gegenüber fron-talen Unterrichtssituationen (vgl. Brü-ning/Saum 2009: 150ff.).

Dass das Kooperative Lernen darüber hin-aus in sozialer und personaler Hinsicht invielfacher Weise lernförderlich ist, sei andieser Stelle nicht im Einzelnen nachge-zeichnet (vgl. Roseth/Johnson/Johnson2008). Aber diese Wirkungen des Koope-rativen Lernens, die vor allem das Mitein-ander und die Persönlichkeit betreffen, er-weisen sich für die Unterrichtenden imSchullalltag nicht selten als ebenso be-deutsam wie die hohe Lernwirksamkeit.

Vorstellung und Verarbeitung

Nach der Kooperationsphase stellen dieSchülerInnen ihre Ergebnisse in der Klassevor. Lernpsychologisch passiert in dieserPhase Ähnliches wie in der Kleingruppe,denn die SchülerInnen vergleichen ihr zu-vor erworbenes Wissen mit dem präsen-tierten Wissen. Dabei stoßen sie auf Übe-reinstimmungen und sicher auch auf Un-terschiede. Beides gilt es in dieser Phasezu thematisieren. In diesem Prozess derVerarbeitung und Diskussion im An-schluss an die Präsentationen bilden dieSchülerInnen wieder gemeinsame Wis-sensmodelle. Daher sprechen wir hier vonder zweiten Ko-Konstruktion (vgl. Abb.1).4

Aber wie ist damit umzugehen, wenn dieErgebnisse der SchülerInnen sich in derPräsentation widersprechen? Gewöhnlichwird dann im fragend-entwickelnden Un-terrichtsgespräch geklärt, welche Lösungdie richtige, bessere oder angemessenereist. Das Vorgehen erscheint angesichtsvoller Lehrpläne und der daraus entste-henden Zeitknappheit häufig geboten.Aber es ist nur bedingt lernwirksam. Viellernwirksamer ist es, wenn die SchülerIn-nen den Widerspruch wieder in Einzelar-beit und anschließender Kooperation be-arbeiten und selbst versuchen aufzulösen.Diese Lernschleife wird in der Dokumen-

tation der TIMSS-Studie „open-ended-pro-blem-solving“ genannt (Klieme/Baumert2001: 47). Solche Lernschleifen müssennicht langwierig sein. Häufig geht es umeinzelne Details in der Präsentationspha-se, die aber gerade den Kern des Unter-richts ausmachen: „Liegt hier Futur 1 oderPassiv vor?“; „Haben wir es hier mit einemKlima- oder mit einem Wetterproblem zutun?“; „Ist hier ‚can’ oder ‚be able’ die rich-tige Formulierung?“ „Jeder denkt nocheinmal eine Minute darüber nach. Tauschteuch dann euch in eurer Gruppe darüberaus…“

In der anschließenden Präsentation ha-ben die Gruppen erneut Gelegenheit, ihreErgebnisse vorzustellen. In dieser Lern-schleife erkennen die SchülerInnen häufigselbst, wo die Fehler oder Mängel der er-sten Ergebnisse lagen. Und in diesem Pro-zess geschieht oft der entscheidende Lern-fortschritt. Die SchülerInnen werden nichtnur in hohem Maße kognitiv aktiviert, son-dern auch dahin geführt, selbstständigermit Problemen umzugehen.

Ergebnisfokussierung alsweitere Lerngelegenheit

Nachdem die SchülerInnen – möglichstselbstständig – die Lösungen erarbeitethaben, ist es sinnvoll, dass die Lehrpersondas Ergebnis am Ende der Stunde zusam-menfasst (vgl. Klieme/Baumert 2001: 50;Wellenreuther 2004: 397f.). Sie kann alsExperte den roten Faden im Lernprozessbesonders deutlich machen. Dabei wie-derholt sie nicht einzelne Beiträge derSchülerInnen, sondern stellt das Ergebnisin den Zusammenhang des Unterrichts-prozesses und des Themas. Diese Bünde-lung und Zusammenfassung hat eine fo-kussierende Funktion. Für die SchülerIn-nen werden die eigenen Konstruktionennoch einmal im Gesamtzusammenhangdargestellt. Bereits aus dem Arbeitsge-dächtnis verschwundene Wissensbestand-teile werden so erneut ins Bewusstsein derLernenden gerufen. Dabei stellt sich nichtselten für die SchülerInnen der Gesamtzu-sammenhang erst her.

4 Die begriffliche Präzisierung verdanken wir Baurmann (2007: 7).

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Verständnischeck

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SCHÜLERAKTIVIERENDER UNTERRICHT

Spätestens an dieser Stelle wird deutlich,was es bedeutet, wenn wir von einer intel-ligenten Dramaturgie schüleraktivieren-den Unterrichts sprechen. Es geht nichtdarum, die Überlegenheit einzelner For-men des Unterrichtens zu behaupten.Vielmehr muss das Bemühen im Mittel-punkt stehen, die wirksamen Lehr-Lernfor-men in eine die SchülerInnen mental akti-vierende Dramaturgie zu integrieren.

Gegen das Vergessen:

üben und wiederholen

Wenn der Unterricht mit Hilfe schülerakti-vierender und kooperativer Strategien pro-fessionell durchgeführt wird, dann werdendie SchülerInnen mehr begreifen und be-halten als beim Frontalunterricht. Aberauch beim Kooperativen Lernen mussdafür Sorge getragen werden, dass diezentralen, neu gelernten Inhalte ins Lang-zeitgedächtnis der SchülerInnen gelan-gen. Daher muss der Lernrozess nach derSicherung der Ergebnisse noch weiterge-führt werden. Vertiefende Hausaufgabenund einzelne Übungsphasen reichen dazuhäufig nicht aus. Vielmehr muss das Ge-lernte mehrmals und in immer länger wer-denden Abständen und neuen Zusam-menhängen aktiviert werden, damit esnachhaltig verankert wird.

Dramaturgisch bietet sich auch für dieseÜbungs-, Vertiefungs- und Anwendungs-aufgaben der Dreischritt „Denken – Aus-tauschen – Vorstellen“ an. Denn wenn dieSchülerInnen sich nach der Einzelarbeit inihrer Gruppe austauschen, haben sie dieMöglichkeit, sich gegenseitig noch einmalzu erklären, was sie nicht verstanden ha-ben. Sie erinnern sich gegenseitig an zen-trale Inhalte und Vorgehensweisen oderkorrigieren Fehlerhaftes. Im Plenum erfolgtdie Kontrolle der einzelnen Übungsaufga-ben und damit des Übungsprozesses.

In der Tradition des Kooperativen Lernensgibt es zudem ausgewiesene Methoden,die besonders gut zum Üben geeignetsind, zum Beispiel das Gruppenturnieroder die Gruppenrallye. Wenn sich dieSchülerInnen beispielsweise im Gruppen-turnier wechselseitig abfragen und denAbb. 2: Dramaturgie

}

janein

Transparenz schaffenVorwissen aktivierenProblemorientierung

Arbeitsauftrag mitteilen

Einzelarbeit

Kooperation in Gruppen

In der Klasse vorstellen

Fehler oder Widersprüche ?

Lehrer/Schülerkorrigiert, ergänzt ...

Zusammenfassende Fokussierung (Lehrer)

Sicherung

üben, anwenden, problematisieren, reflektieren

Lernerfolgskontrolle

Rückgabean

Schüler

inkooperativen

Verfahren

inkooperativen

Verfahren

}}

ja

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SCHÜLERAKTIVIERENDER UNTERRICHT

Lernstand festigen, um im abschließendenWettbewerb für die eigene Gruppe Fragenzu beantworten, dann memorieren sie ih-re Kenntnisse. Aber auch die strukturierteKontroverse kann der Übung und Vertie-fung dienen. Denn wenn die SchülerInnenzu einer aus dem Unterricht entstandenenProblemfrage Stellung beziehen, findensie nicht nur zu einem eigenen Urteil, son-dern durchdenken auch die bisherigenUnterrichtsergebnisse neu. Und wer mitseinem Partner eine als Hausaufgabe er-stellte Visualisierung vergleicht, muss sicherneut an die Unterrichtsinhalte erinnern,sie ins Bewusstsein rufen und so die Wis-sensbestände verfestigen.

Üben und Vertiefen braucht motivierendeFormen und Gegenstände, intelligenteMethoden und Aufgabenformate. Vor al-lem aber braucht es Zeit, die angesichtsvon zentralen Abschlussprüfungen undder damit verbundenen Stofffülle wenigvorhanden zu sein scheint. Der Unterrich-tende muss also nicht nur nach der dra-maturgischen Einbindung der Wiederho-lungen suchen, er muss sich auch ständigdie Frage stellen, was eigentlich zu wie-derholen ist. Eine Konzentration auf diezentralen Kompetenzbereiche eines Fa-ches erscheint da geboten.

Aktivierung derWissensvoraussetzungen

und der Erfahrungen

Blicken wir noch einmal an den Beginn ei-nes Lehr-Lernarrangements. NachhaltigesLernen setzt voraus, den Unterricht so zugestalten, dass die SchülerInnen Gelegen-heit erhalten, die neuen Inhalte mit denvorhandenen kognitiven Strukturen zu ver-binden. Wenn das mentale Netz, das dieSchülerInnen zu dem Lernbereich schonentwickelt haben, nicht aktiviert wird, dannhaben sie keine Möglichkeit, das neu zuLernende geistig zu verarbeiten, zu inte-grieren und zu behalten. Daher ist es be-sonders wichtig, zu Beginn eines Lernpro-zesses die mehr oder weniger komplexenWissensbestände der SchülerInnen zu akti-vieren. Diese werden beim Lernen dannweiter differenziert, ergänzt oder verändert.

Die notwendige Aktivierung des Vorwis-sens kann auch mit Hilfe des Dreischrittesin wenigen Minuten geschehen. Ein einfa-cher Arbeitsauftrag lautet zum Beispiel:„Jeder denkt für sich darüber nach, was eraus der Reihe zur Multiplikation und Divi-sion von Brüchen behalten hat. Jederschreibt seine Erinnerungen bitte mög-lichst genau auf. Tauscht euch bitte nachfünf Minuten mit dem Partner aus...“ So –und natürlich weitaus differenzierter –kann das Vorwissen der SchülerInnen wie-der in ihr Bewusstsein gehoben werden.

Das Anforderungsniveauim Kooperativen Lernen

Unterricht erschöpft sich nicht darin, Wis-sensbestände zu vermitteln. Im Gegenteil:Viele KollegInnen äußern, dass sie im Un-terricht auch in die Tiefe gehen möchtenoder dass ihre SchülerInnen anspruchsvol-le Aufgaben bearbeiten sollen. Aber wasist damit konkret gemeint? Eine Antwortdarauf bieten die in allen Schulformenund -stufen eingeführten Anforderungs-bereiche5, in denen drei Ebenen des Den-kens unterschieden werden.n Der Anforderungsbereich I umfasst die

Erarbeitung und die Reproduktion vonWissen.

n Anspruchsvoller wird der Unterricht imAnforderungsbereich II, denn jetzt sinddie SchülerInnen aufgefordert, vorhan-denes Wissen zu reorganisieren und In-halte zu analysieren.

n Als der anspruchsvollste Bereich gilt derAnforderungsbereich III. Unterricht indiesem Bereich regt die SchülerInnenzur Reflexion, Problemlösung und krite-riengeleiteten Beurteilung an.

Mit dieser groben, in der Unterrichtspraxisalledings recht gut realisierbaren Tren-nung der Anforderungsbereiche könnendie kognitiven Bereiche des Unterrichtsbestimmt werden: Sind die SchülerInnenim Unterricht aufgefordert, Dinge aus-wendig zu lernen? Oder sollen sie Schluss-folgerungen ziehen oder Sachverhalte be-urteilen?

Die Berücksichtigung dieser Anforde-rungsbereiche gelingt im Kooperativen

Lernen hervorragend. Dabei ist aber be-deutsam zu bedenken, dass auch im Ko-operativen Lernen der eigentliche Anfor-derungsbereich im Unterricht durch dieAufgabenstellungen bestimmt wird.

Das Anforderungsniveau im fragend-entwickelnden UnterrichtLehrerInnen, die ihren Unterricht hin zumKooperativen Lernen verändern, fragenanfänglich häufig, wie sie die Anforde-rungsbereiche II und III im kooperativenUnterricht realisieren könnten. Diese Fra-ge weist auf eine für viele Lehrkräftezunächst irritierende Veränderung im Un-terricht hin. Diese Irritation rührt aus demVergleich mit dem fragend-entwickelndenUnterricht her. In der Regel wird im herge-brachten Unterricht eine Aufgabe von denSchülerInnen bearbeitet und anschließendfindet ein Unterrichtsgespräch statt, dasauf dem zuvor erarbeiteten Wissen ba-siert. Die SchülerInnen stellen dabeizunächst ihre Ergebnisse vor und werdengegebenenfalls durch die MitschülerInnenergänzt oder von der Lehrkraft korrigiert.Hier bewegt sich der Unterricht auf denStufen, auf denen die Arbeitsaufträge deranfänglichen Aufgabe angesiedelt waren.Nicht selten geht es dabei um die Aneig-nung von Wissen, so dass sich das Unter-richtsgespräch zunächst auch im Anforde-rungsbereich I bewegt. Im Klassenge-spräch lenkt der Unterrichtende danndurch eine geschickte Fragetechnik denBlick der SchülerInnen auf Probleme oderFragen aus den Anforderungsbereichen IIoder III. Der Unterricht gewinnt jetzt alsoan Tiefgang und am Ende eines solchenGesprächs hat der Unterrichtende denEindruck, mit den SchülerInnen sehr ni-veauvollen Unterricht zu realisieren (vgl.Abb. 3). Aber hier ist zu fragen: n Haben die SchülerInnen dieses Niveau

wirklich kognitiv erreicht oder hat esam Ende der Unterrichtende durch sei-ne Beiträge vorgegeben und vielleichtin Form eines Tafelbildes, das von vie-len nicht wirklich verstanden wurde,gesichert?

5 www.kmk.org/bildung-schule/qualitaetssicherung-in-schulen/bildungsstandards/ueberblick.html

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SCHÜLERAKTIVIERENDER UNTERRICHT

n Haben sich alle SchülerInnen aktiv mitden Fragen der Anforderungsniveaus IIund III auseinander gesetzt oder wurdedas Gespräch nur mit einigen Schüle-rInnen geführt?

n Können die SchülerInnen auch selbst-ständig die hohen Anforderungsberei-che realisieren? Benötigen sie sowohldas Wissen der ganzen Klasse als auchdie Steuerung durch die Lehrkraft? Wiesollen sie dann dieselbe Leistung in al-len drei Anforderungsbereichen selbst-ständig erbringen?

Welchen Beitrag zur Selbstständigkeit imDenken über Schule hinaus leistet ein sol-cher Unterricht dauerhaft?

Das Anforderungsniveau im kooperativen UnterrichtDas Kooperative Lernen versucht, den inden Fragen aufgehobenen Schwierigkei-ten zu begegnen. Dazu ist allerdings aufdie Dramaturgie zu achten. Grundsätzlichkann jedes Anforderungsniveau im Ko-operativen Lernen realisiert werden. Da-bei muss der Lehrkraft bereits zu Beginndes Unterrichts klar sein, welche kogniti-ven Anforderungen die SchülerInnen be-wältigen sollen. Diese Anforderungenmüssen in die Aufgabenstellungen ein-fließen.

Mit Hilfe des Dreischritts „Denken – Aus-tauschen – Vorstellen“ können die Aufga-benstellungen von den SchülerInnen bear-beitet werden (vgl. Abb. 3). Sie bekommenzunächst eine Aufgabe auf dem Repro-duktionsniveau. Das Ergebnis der Aufga-be wird in der Gruppe oder mit einemPartner verglichen und besprochen. Demschließt sich eine Präsentation der Ergeb-nisse (ggf. mit kurzem Klassengesprächund Sicherung) an. Erst jetzt bearbeitendie SchülerInnen die zweite Aufgabe aufdem nächsthöheren Anforderungsniveau.Dazu wird wieder der Dreischritt durch-laufen und auch die Aufgabe im Anforde-rungsniveau III wird erneut im Dreischrittbewältigt. In diesem im Grunde recht ein-fachen, gleichwohl klar strukturierten Vor-gehen nähern sich die Lernenden schritt-weise dem angestrebten Anspruchsni-veau. Im Unterschied zum fragend-ent-wickelnden Unterricht sorgt dieses Vorge-hen für eine hohe mentale Aktivierung al-Abb. 3: Anforderungsbereiche in der Unterrichtsdramaturgie

Aufgabe 1 (AF 1)erteilen

Einzelarbeit

Aufgabe 1 (AF 1)erteilen

Einzelarbeit

Präsentationund Gespräch

Kooperation

Präsentationund Gespräch

Aufgabe 2 (AF 2)erteilen

Einzelarbeit

Kooperation

Präsentationund Gespräch

Aufgabe 3 (AF 3)erteilen

(...)

Herkömmlicher Unterricht Kooperatives Lernen

fragend-entwickelndesUnterrichtsgespräch,

in dem dieSchülerInnen

durch dieFragetechnik

auf AF 2 oder AF 3gelenkt werden

Zusammenfassungund Sicherung

Zusammenfassungund Sicherung

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SCHÜLERAKTIVIERENDER UNTERRICHT

Ihnen muss bewusst sein, dass das Den-ken auf den höheren Ebenen oft erst nacheinigen Versuchen zu Ergebnissen kommt,mit denen man zufrieden ist. Zu der Me-takognition gehört auch, dass die Schüle-rInnen in der Lage sind, bewusst allgemeineoder fachspezifische Strategien anzuwen-den, mit denen man zum Beispiel analy-siert oder urteilt. Daher sollte sollte jedeLehrperson immer wieder den selbstregu-lierten Einsatz von Strategien mit denSchülerInnen einüben und reflektieren.

Umdenken ist notwendig

Es ist ein Trugschluss zu glauben, erfolg-reicher oder guter Unterricht läge nur vor,wenn in jeder Stunde alle Anforderungs-bereiche durchschritten werden. Dies lässtsich nämlich vielfach nur im gelenktenUnterrichtsgespräch – mit seinen gravie-renden Nachteilen – realisieren. Nach un-serer Auffassung muss im Mittelpunktvielmehr von Anfang an das Bemühen ste-hen, alle SchülerInnen zur selbstständigenBewältigung solcher Aufgaben zu führen.Die schüleraktivierende Dramaturgie desKooperativen Lernens bietet dazu einfa-che wie komplexe Unterrichtsstrategien.

Der lerntheoretischeHintergrund

Das hier vorgestellte Konzept beruht imKern auf zwei Grundannahmen:

1. Lernen ist die aktive mentale Durch-dringung des Unterrichtsgegenstandes:Es besteht heute Einigkeit darin, dass Un-terricht nur dann erfolgreich sein kann,wenn er die SchülerInnen zu einer eigen-ständigen, aktiven Auseinandersetzungmit den Lerngegenständen führt.7 Erfolg-reiches Lernen im Unterricht ermöglichtein Wechselspiel aus Anleitung, Darbie-tung und Erklärung einerseits und ande-rerseits aus Moderation von Unterrichts-situationen, in denen SchülerInnen Wissenselbstständig erarbeiten, analysieren, re-flektieren und darüber kommunizieren.Der Unterricht muss daher methodisch sogestaltet sein, dass die Lernenden zur ak-tiven Durchdringung aufgefordert und an-

ler SchülerInnen. Gleichzeitig ist das Errei-chen der Lernziele nicht abhängig von derFragetechnik des Unterrichtenden, son-dern führt alle SchülerInnen dahin, selbst dieAnforderungsbereiche zu durchschreiten.

Ausgewiesene Methoden des Kooperativen Lernens

Neben der Möglichkeit, durch die Fragenin Verbindung mit einer intelligenten Dra-maturgie das Niveau des Unterrichts bzw.des Denkens der SchülerInnen zu leiten,gibt es im Kooperativen Lernen einzelneMethoden, die eine gewisse Affinität zuden einzelnen Anforderungsbereichenaufweisen (vgl. Abb. 4). Durch ihren Ein-satz ist das Anforderungsniveau des Un-terrichts vorgezeichnet und der Unterrich-tende erhält weitere Instrumente, um dieAnforderungsbereiche in seinem Unterrichtgezielt zu realisieren. In einer umfassendenReihenplanung können so ganz gezielt dieunterschiedlichen Anforderungsbereicheunter Berücksichtigung der kooperativenMethoden eingeplant werden.6

Zusammenfassend kann gesagt werden,dass mit dem Kooperativen Lernen sehrgut und erfolgreich in allen drei Anforde-rungsbereichen unterrichtet werden kann.Im Gegensatz zum fragend-entwickelndenUnterricht bietet das Kooperative Lernendarüber hinaus einzelne Methoden, die ei-ne große Nähe zu bestimmten Anforde-rungsniveaus aufweisen. Dadurch wird dieBerücksichtigung dieser Lernniveaus be-sonders erleichtert. Nach unserer Auffas-sung muss sich jeder Unterrichtende beiseiner eigenen Unterrichtsentwicklung be-wusst sein, dass es nicht darum geht, imUnterrichtsgespräch möglichst das Anfor-derungsniveau III zu erreichen. Vielmehrmuss im Mittelpunkt das Bemühen ste-hen, alle SchülerInnen zur selbstständigenBewältigung solcher Aufgaben zu führen.

Metakognition anregen und Selbständigkeit fördernNach unserer Erfahrung ist es sehr wich-tig, dass die SchülerInnen selbst ein Be-wusstsein dieser unterschiedlichen Anfor-derungsbereiche haben. Denn oft gebensie auf den Ebenen II und III schnell auf,weil sie erwarten, genauso schnell zu Er-gebnissen zu kommen wie auf der Ebene I.

gehalten werden und dafür ausreichendZeit und Anleitung bekommen.

In der Praxis bedeutet dies, dass Unter-richt aus einem Wechsel von kurzen Pha-sen der Instruktion und längeren Phasender individuellen und kooperativen Kon-struktion bestehen muss. Denn die Inte-gration des Neuen in die kognitiven Struk-turen der Lernenden findet vor allem dannstatt, wenn sie sich aktiv mit den Gegen-ständen auseinandersetzen.

2. Es gilt, alle SchülerInnen gleichzeitigmental zu aktivieren: Die zweite zentraleGrundlage des Kooperativen Lernens istdie Vorstellung, dass der Unterricht me-thodisch so arrangiert werden muss, dassmöglichst alle SchülerInnen gleichzeitigund dauerhaft in die Durchdringung desUnterrichtsgegenstandes eingebundenwerden.

Um diese Forderung deutlich zu machen,blicken wir noch einmal auf herkömmli-chen Unterricht, der vor allem durch Lehrer-vorträge oder fragend-entwickelnde Unter-richtsgespräche dominiert wird.8 Am An-fang eines solchen Unterrichtsgesprächssteht in der Regel eine Problem- oder Auf-gabenstellung, die – gegebenenfalls mitvorheriger Einzelarbeit – von der Klasse un-ter Steuerung der Lehrkraft Schritt fürSchritt bearbeitet wird. Dabei ist die Unter-richtsform darauf angelegt, dass die Schü-lerInnen einzelne Wortmeldungen beitra-gen, die dann vom Unterrichtenden zu ei-nem Ganzen zusammengefügt werden. AmEnde einer solchen Stunde wird die Ant-wort auf die Eingangsfrage entsprechendgesichert und in der Regel notieren dieSchülerInnen das Ergebnis.

Aber was passiert bei den SchülerInnen,die nicht ins Unterrichtsgespräch invol-viert sind? Die Struktur des Unterrichts er-möglicht es ihnen, sich zurückzuziehen

6 Vgl. dazu Brüning (2010). Dort ist aufgezeigt, wie im Unterricht die praktische Umsetzung mit Hilfe der Methodendes Kooperativen Lernens gelingen kann.

7 Vgl. dazu die Beiträge in Jürgens/Standop (2010). In demSammelband wird aus ganz unterschiedlicher Perspektiveder Frage nach Merkmalen von „gutem Unterricht“ nachge-gangen. Kaum ein Beitrag, der nicht auf die aktive Aneig-nung der Unterrichtsgegenstände durch die Lernenden ver-weist.

8 Auch wenn gegenwärtig eine vorsichtige Weiterentwicklungdes Unterrichts in den Schulen zu beobachten ist, dominierennoch immer fragend-entwickelnde Unterrichtsgespräche oderLehrervorträge in vielen Klassenzimmern (vgl. Götz 2005).

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und mental passiv im Unterricht zu sitzen.Eine breite Aktivierung der Gesamtklasseist eher die Ausnahme und methodischauch nicht zu realsieren.

Diese Form des Unterrichts weist abernoch eine weitere Schwäche auf. Denndurch die lenkende Funktion des Unter-richtenden vollziehen die SchülerInnenbestenfalls die Problemlösung nach, dieder Unterrichtende aufgrund der Einzel-beiträge entwickelt. Eine aktive Aneig-nung des gesamten Zusammenhangskann strukturbedingt im fragend-ent-wickelnden Gespräch oder auch im Lehrer-vortrag kaum von allen SchülerInnen ge-leistet werden.9 Dabei wäre ganz wichtig,dass jeder Einzelne immer wieder ange-halten wird, eigene Lösungen zu ent-wickeln und gerade beim Aufbau von pro-zeduralem Wissen zu versuchen, jedenSchritt selbst zu gehen. Vor diesem Hin-tergrund bekommen die einzelnen Pha-sen eines Unterrichts, der die SchülerIn-nen mental aktiviert, ihren Sinn.

Das eigene Handlungs- undProfessionswissen erweitern

Wer auf der Suche ist nach einem Unter-richt, in dem alle SchülerInnen gleichzei-tig kognitiv aktiviert werden, der findet imKonzept des schüleraktivierenden Lehrensund Kooperativen Lernens eine wissen-schaftlich bewährte wie praktisch erprob-te Dramaturgie von Unterricht. Wir möch-ten Sie ermutigen, mit der vorgestelltenUnterrichtsdramaturgie zu experimentie-ren. Seien Sie zuversichtlich – die meistender hier aufgeführten Phasen leiten Sieohnehin jeden Tag vielfach an. Sie müssenmitunter lediglich ihre Abfolge verändernund ergänzen. Sicher passen Sie unsereVorschläge den Bedingungen und Erfor-dernissen Ihrer Lerngruppe an. Aber ver-zichten Sie nicht mehr auf den Dreischritt!Achten Sie bei der Arbeit mit Schul-büchern und Unterrichtshandreichungen

immer wieder darauf, konsequent denDreischritt zu berücksichtigen. WendenSie sich nach einigen Wochen auch denausgewiesenen Methoden des Kooperati-ven Lernens zu. Sie werden schon bald er-fahren, dass Sie das Kooperative Lernenim Unterricht spürbar entlastet und dasUnterrichten in der Regel nicht nur erfolg-reicher, sondern auch für SchülerInnenwie LehrerIn entspannter wird.

Literatur

Baurmann, Jürgen (2007): KooperativesLernen im Deutschunterricht. In: PraxisDeutsch, H. 205 (7/2007). S. 6–11.

Brophy, Jere (2010): Was wissen wir darü-ber, wie guter Unterricht gelingt? In: Ei-kenbusch, Gerhard/Heymann, Hans Wer-ner (Hg.): Was wissen wir über guten Un-terricht. S. 77–104.

Brüning, Ludger (2010): Kompetenzorien-tiert unterrichten durch kooperatives Ler-nen. In Praxis Geographie, H. 12/2010. S.12–21.

Brüning, Ludger/Saum, Tobias (2006):Erfolgreich unterrichten durch Kooperati-ves Lernen (Bd. 1: Strategien zurSchüleraktivierung).

dies. (2009): Erfolgreich unterrichtendurch Kooperatives Lernen (Bd. 2: NeueStrategien zur Schüleraktivierung, Indivi-dualisierung, Leistungsbeurteilung, Schul-entwicklung).

dies. (2008): Erfolgreich unterrichtendurch Visualisieren. Grafisches Strukturie-ren mit Strategien des Kooperativen Ler-nens.

Brügelmann, Hans (2005): Schule verste-hen und gestalten. Perspektiven der For-schung auf Probleme von Erziehung undUnterricht.

Dann, Hanns-Dietrich/Diegritz, Theodor/Rosenbusch, Heinz S. (Hg.) (1999): Grup-penunterricht im Schulalltag. Realität undChancen.

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SCHÜLERAKTIVIERENDER UNTERRICHT

Götz, T., Lohrmann, K., Ganser, B., Haag,L. (2005). Einsatz von Unterrichtsmetho-den – Konstanz oder Wandel? In: Empiri-sche Pädagogik, H. 19(4). S. 342–360.

Jürgens, Eiko/Standop, Jutta (Hg.)(2010): Was ist „guter Unterricht”? Nam-hafte Expertinnen und Experten gebenAntwort.

Kleist, Heinrich von (1986): Über die all-mähliche Verfertigung der Gedankenbeim Reden. In: Heinrich von Kleist: Sämt-liche Erzählungen. Gedichte. Anekdoten.Schriften.

Klieme, Eckhard/Baumert, Jürgen u.a.(2001): TIMMS – Impulse für Schule undUnterricht. Forschungsbefunde, Reformi-nitiativen, Praxisberichte und Video-Doku-mentation.

Mandel, Heinz (2010): Lernumgebungenproblemorientiert gestalten – Zur Ent-wicklung einer neuen Lernkultur. In: Jür-gens, Eiko/Standop, Jutta (Hg.).

Roseth, Cary J./Johnson, David W./John-son Roger T. (2008): Promoting Early Ado-lescents’ Achievement and Peer Relations-hips: The Effects of Cooperative, Competi-tive and Individualistic Goal Structures. In:Psychological Bulletin, Vol. 134, Nr. 2. S.223–246.

Saldern, Matthias von (2009): Länger ge-meinsam lernen – was sonst?! In: nds, H.5/2009. S. 18f.

Traub, Silke (2006): Gespräche führen –leicht gemacht. Gesprächserziehung inder Schule.

Wellenreuther, Martin (2004): Lehren undLernen – aber wie? Empirisch-experimen-telle Forschungen zum Lehren und Lernenim Unterricht (Grundlagen der Schul-pädagogik, Bd. 50).

ders (2009). Individualisieren – aber wie?Individuelles Lernen im Spannungsfeldzwischen offenem und lehrergeleitetemUnterricht. In: Schulverwaltung NRW, H.3/2009.9 Die grundsätzlichen Schwächen des unterrichtlichen Lehr-

gesprächs stellt Traub (2006: 80f.) zusammenfassend vor.

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SCHÜLERAKTIVIERENDER UNTERRICHT

Gruppenturnier x

Gruppenrallye x

Partnerpuzzle x

Gruppenpuzzle x

Strukturierte Kontroverse x

Strukturierte Debatte x

Kleingruppenprojekte x x x

Lerntempoduett x x x

Gruppenanalyse x x x

Concept Attainment x

Concept Formation x

Wechselseitiges Lesen x

und Zusammenfassen

Reziprokes Lesen x

affine Anforderungsbereiche

Erarbeitung undReproduktionvon Wissen

Transfer von Wissenbei der Lösung neuer

Problembereiche/Reflexionvor dem Hintergrund von

Kriterien

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Abb. 4: Anforderungsbereiche und affine Methoden des Kooperativen Lernens

Reorganisation undAnwendung von Wissen, Analyse

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