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§ 4: Das Erlöschen eines SchuldverhältnissesMit dem „Erlöschen des Schuldverhältnisses“ kann verschiedenes gemeint sein:• Das Schuldverhältnis i.e.S. kann „erlöschen“,

d.h. eine konkrete Pflicht/ein konkreter Anspruch kann zu existieren aufhören. An seine Stelle kann aber möglicherweise ein anderer (Sekundär-)Anspruch treten.

• Das Schuldverhältnis i.w.S. kann „erlöschen“, d.h. die Sonderverbindung zwischen den Parteien kann vollständig aufgehoben werden, so dass keine Ansprüche mehr unter ihnen bestehen.

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I. Die Erfüllung (§ 362 BGB) und ihre Surrogate1. Die Erfüllung als Regelfall§ 362 BGB. Erlöschen durch Leistung(1) Das Schuldverhältnis erlischt, wenn die geschuldete Leistung an den Gläubiger bewirkt wird. […]• Die Erfüllung stellt das reguläre Ende eines

Schuldverhältnisses dar. Der Gläubiger erhält, was ihm geschuldet wird.

• Das Leistungsinteresse wird in natura befriedigt.Beispiele:Der Käufer bezahlt den Kaufpreis. Der Verkäufer übergibt und übereignet den Kaufgegenstand.

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a. Der Begriff der Erfüllung• Erfüllung: Bewirken der geschuldeten Leistung

an den Gläubiger (§ 362 I BGB) oder einen Dritten im Fall des § 362 II BGB.

• Mit „Leistung“ ist in § 362 I BGB nicht bloß die Leistungshandlung gemeint, sondern, wenn geschuldet, auch der Leistungserfolg.

• Die Leistung muss vom Schuldner oder einem Dritten (§§ 267f. BGB) bewirkt werden.

Beispiel:Das Auto des A springt im Winter nicht an. A ruft deshalb den ADAC um Hilfe an. Noch bevor die gelben Engel eintreffen, zündet der Wagen des A doch noch. Hat der Himmel die Pflicht der Engel erfüllt?

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b. Rechtsnatur der ErfüllungStreit, ob für Erfüllung nur tatsächliche Leistungs-vornahme oder auch ein subjektives Element, d.h. ein (rechtswirksamer) Wille der Parteien, erforderlich.• Vertragstheorie: Parteien müssen sich rechtsgeschäftlich einigen, dass die Leistung die Erfüllung bewirken soll.

• Theorie der finalen Leistungsbewirkung: Keine Einigung erforderlich, aber (rechtsgeschäftliche?) Tilgungsbestimmung des Leistenden.

• Theorie der realen Leistungsbewirkung (h.M.): Tatsächliche Herbeiführung des Leistungserfolgs genügt.

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Beispiel:Der 10jährige A hat sein Taschengeld gespart. Nun will er sich endlich die lang ersehnten Turnschuhe der Marke Hadidas kaufen. Er geht deshalb in den Laden des L und probiert die Turnschuhe an. Sie gefallen ihm noch viel besser als gedacht. Schnell werden A und L sich einig. A bezahlt den Preis von 70 Euro mit dem gesparten Taschengeld und erhält dafür im Gegenzug die Turnschuhe ausgehändigt. Mit den Schuhen wird A aber nicht glücklich, weil sie ihm bereits auf dem Nachhauseweg von einer Jugendbande abgenommen werden. Als A alles weinend seiner Mutter M erzählt, ist diese empört. Sie verlangt von L ein neues Paar Schuhe. Er hätte dem A die Schuhe nicht einfach so aushändigen dürfen. Hat M recht?

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c. Der Empfänger der Leistung• Grundsätzlich ist der Gläubiger der richtige

Empfänger. Ihm fehlt die Empfangszuständigkeit, wenn– er insolvent ist (§ 80 I InsO);– die Forderung gepfändet ist (§ 829 ZPO);– ein Fall der Testamentsvollstreckung (§ 2211 I

BGB) vorliegt;– er geschäftsunfähig oder beschränkt

geschäftsfähig ist.• Ein Dritter kann zur Entgegennahme der Leistung

ermächtigt werden (§§ 362 II, 185 BGB).• Der Überbringer einer Quittung gilt als ermächtigt

(§ 370 BGB).

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Beispiel:Der Kaufmann K beliefert den F regelmäßig mit wert-vollen Tropenhölzern. Die Zahlungen lässt K in regel-mäßigen Abständen durch den Angestellten A entge-gennehmen, der dem F dafür dann eine zuvor von K unterschriebene Quittung gibt. Der ebenfalls bei K an-gestellte P ist in finanziellen Schwierigkeiten. Als wie-der ein Zahltag des F ansteht, fährt er deshalb vor A zu F, nachdem er ein Quittungsformular des K ent-wendet, selbstständig ausgefüllt und mit der gefälsch-ten Unterschrift des K versehen hat. F wundert sich zwar, dass diesmal der P und nicht der A gekommen ist, zahlt aber trotzdem. Als A wenig später eintrifft und das Geld verlangt, verweist ihn F auf die Quittung.

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• Quittung: schriftliches Empfangsbekenntnis (Legaldefinition in § 368 BGB).

• Eine Quittung ist eine Wissenserklärung ohne rechtsgeschäftlichen Charakter.

• Die Vorschriften über Willenserklärungen sind daher auf Quittungen grds. nicht anwendbar.

• Mit Erfüllung hat der Schuldner einen Anspruch auf Erteilung einer Quittung, Gläubiger muss sie aber nur auf Verlangen erteilen (§ 368 S. 1 BGB, sog. verhaltener Anspruch).

• Die Kosten der Quittung muss grundsätzlich der Schuldner tragen und ggf. vorschießen (§ 369 BGB).

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d.Wirkung der Erfüllung• Das Schuldverhältnis i.e.S. erlischt und mit ihm auch

alle akzessorischen Sicherungsrechte, z.B. Bürgschaft (§§ 765ff. BGB), Hypothek (§§ 1113ff. BGB) und Pfandrecht (§§ 1204ff. BGB).

• Wenn der Gläubiger eine Leistung als Erfüllung angenommen hat, tritt eine Beweislastumkehr ein (§ 363 BGB):– Der Schuldner braucht nicht mehr zu beweisen, dass

die Leistung pflichtgemäß war, sondern dem Gläubiger obliegt der Nachweis, dass die Leistung nicht pflichtgemäß war

– Die materielle Rechtslage bleibt aber grds. unberührt, dh. der Gläubiger behält Rechte wegen Mängeln usw.

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e. TilgungsreihenfolgeWenn ein Schuldner gegenüber einem Gläubiger zu mehreren gleichartigen Leistungen verpflichtet ist, muss geklärt werden, auf welche Verpflichtung eine Leistung angerechnet werden soll.Beispiel:A steht mit B in einer ständigen Geschäftsbeziehung und wird von B laufend mit Waren beliefert. Nur mit dem Zahlen nimmt A es nicht so genau. Mittlerweile sind zehn Rechnungen seit 2010 offen, von denen eine in den nächsten zwei Wochen verjährt. Da A endlich etwas Geld aufgetrieben hat, zahlt er dem B 1000 €. Dabei sagt er, dass das Geld auf die letzte Rechnung angerechnet werden soll. B meint, das sei Unsinn, die älteste Rechnung müsse zuerst bezahlt werden und sei getilgt worden.

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§ 366 BGB Anrechnung der Leistung auf mehrere Forderungen.(1) Ist der Schuldner dem Gläubiger aus mehreren Schuldverhältnissen zu gleichartigen Leistungen verpflichtet und reicht das von ihm Geleistete nicht zur Tilgung sämtlicher Schulden aus, so wird diejenige Schuld getilgt, welche er bei der Leistung bestimmt.(2) Trifft der Schuldner keine Bestimmung, so wird zunächst die fällige Schuld, unter mehreren fälligen Schulden diejenige, welche dem Gläubiger die geringere Sicherheit bietet, unter mehreren gleich sicheren die dem Schuldner lästigere, unter mehreren gleich lästigen die ältere Schuld und bei gleichem Alter jede Schuld verhältnismäßig getilgt.

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• Primär kommt es auf die Tilgungsbestimmung des Schuldners an (§ 366 I BGB).

• Der Gläubiger darf die Tilgungsbestimmung nicht ablehnen (arg. ex § 367 II BGB)

• Die Tilgungsbestimmung ist nach h.M. eine empfangsbedürftige Willenserklärung, nach der Gegenauffassung nur eine rechtsgeschäfts-ähnliche Handlung. Im Ergebnis kein Unterschied, da §§ 119ff. BGB entweder direkt (h.M.) oder entsprechend (Gegenauffassung) anwendbar.

• Die Tilgungsbestimmung muss bei der Leistung (auch konkludent) erklärt werden.

• Die Parteien können eine nachträgliche Änderung der Tilgungsbestimmung vereinbaren.

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• Wenn keine Tilgungsbestimmung vorliegt, greift § 366 II BGB ein.

• § 366 II BGB orientiert sich am mutmaßlichen Parteiwillen, daher unanwendbar, wenn im Einzelfall mit den berechtigten Interessen der Parteien unvereinbar.

• Schuldner will zunächst fällige Schulden erfüllen.• Bei mehreren fälligen Schulden kommt es auf das

Interesse des Gläubigers an Tilgung der unsichersten Schuld an.

• Unsicherheit ist wirtschaftlich zu verstehen: bestehende dingliche/persönliche Sicherheiten, drohende Verjährung, Mithaftung Dritter, Vorliegen eines vollstreckbaren Titels

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• Bei gleich sicheren Schulden entscheidet die Lästigkeit für den Schuldner.

• Kriterien der Lästigkeit: u.a. höhere Zinslast, drohende Vertragsstrafe, Rechtshängigkeit, drohendes Kündigungsrecht bei Nichterfüllung

• Bei gleicher Lästigkeit entscheidet das Alter der Schuld. Dabei kommt es auf das Entstehen der Schuld, nicht auf den Zeitpunkt der Fälligkeit an.

• Bei gleichem Alter wird die Leistung verhältnismäßig angerechnet.

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Beispiel:A hat am 5.1. eine CD zu 20 € und ein Buch zu 30 €, sowie am 10.2. eine Uhr zu 100 € bei K gekauft. Da A gerade nicht so liquide war, konnte er seine Schulden aber alle erst einmal nicht bezahlen. Die Uhr hat sich K deshalb bis zur Zahlung noch zurückbehalten. Als A Anfang März wieder etwas flüssiger war, hat er 100 € an K überwiesen. A will jetzt seine Uhr abholen. K meint, dass sie noch nicht vollständig bezahlt ist. Hat K recht?

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f. Anrechnung bei bestehenden Nebenforderungen• § 367 BGB greift als Spezialvorschrift zu § 366 BGB

ein, wenn neben der Hauptforderung noch Nebenforderungen bestehen.

• Nebenforderungen:– Zinsen– Kosten: Alle Aufwendungen, die zur Durchsetzung

der Hauptforderung gemacht worden sind (z.B. Prozess- und Vollstreckungskosten)

• Zunächst ist nach § 366 BGB die zu tilgende Haupt-forderung zu bestimmen, dann legt § 367 BGB fest, in welcher Reihenfolge die Hauptforderung und ihre Nebenforderungen getilgt werden.

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• Reihenfolge nach § 367 I BGB: – Zunächst die Kosten, – dann die Zinsen,– erst am Ende die Hauptforderung.

• Parteien können abweichende Reihenfolge vereinbaren.

• Wenn der Schuldner einseitig eine andere Reihenfolge bei der Leistung bestimmt, kann der Gläubiger die Leistung zurückweisen (§ 367 II BGB)

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2. Leistung erfüllungshalber und an Erfüllungs stattWenn der Schuldner eine andere als die geschuldete Leistung erbringt, die der Gläubiger entgegennimmt, bestehen zwei Möglichkeiten:• Die Schuld erlischt, weil die Leistung an Erfüllungs

statt wirkt.• Die Schuld bleibt bestehen, weil der Gläubiger die

Leistung nur nutzt, um daraus den Leistungserfolg zu ziehen, sodass die Leistung des Schuldners nur erfüllungshalber wirkt.

Eine andere als die geschuldete Leistung wirkt nur dann an Erfüllungs statt, wenn die Parteien sich hierüber einigen und der Gläubiger sie als solche annimmt (§ 364 I BGB).

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Beispiel:A hat sich bei dem E vor einiger Zeit 15.000 € für den Kauf einer neuen Wohnung geliehen. Da immer wieder unvorhergesehene Ausgaben anfallen, schafft er es nicht, den Kredit wie vereinbart zurückzuzahlen. Aller-dings hat A einen Oldtimer, auf den E schon lange ein Auge geworfen hat. E bietet dem A deshalb an, den Kredit Kredit sein zu lassen, wenn A ihm stattdessen den Wagen übereignet. A, der weiß, dass das Auto nur 7.000 € auf dem Markt bringen würde, stimmt sofort zu und tut wie geheißen. Als E vor seinen Freunden mit dem Neuerwerb prahlen will, stellt sich der wahre Wert des Autos schnell heraus. Nun will E von A statt des Wagens doch lieber das Geld zurückhaben. Zurecht?

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• Ob eine Leistung erfüllungshalber oder an Erfüllungs statt vorliegt, ist durch Auslegung (§§ 133, 157 BGB) der Parteivereinbarung unter Berücksichtigung der Interessenlage zu ermitteln.

• Entscheidend ist, wer das Risiko der Verwertung tragen soll:– Bei einer Leistung an Erfüllungs statt kann der

Gläubiger nicht mehr auf den Schuldner zurück-kommen, wenn er später feststellt, dass sein Erfüllungsinteresse doch nicht befriedigt ist.

– Bei einer Leistung erfüllungshalber kann der Gläubiger die ursprüngliche Forderung geltend machen, wenn er sich aus der Leistung nicht vollständig befriedigen kann.

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• Im Zweifel ist von einer Leistung erfüllungshalber auszugehen, wenn der Schuldner eine neue Verbindlichkeit gegenüber dem Gläubiger übernimmt (§ 364 II BGB).

Beispiele: Zahlung mittels Kreditkarte, Scheck oder Wechsel.• Bei Leistung eines Gegenstands an Erfüllungs statt

greift das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht bei Mängeln entsprechend ein (§ 365 BGB).

• Umstritten, ob § 365 BGB nur bei ursprünglich entgeltlichen oder auch bei unentgeltlichen Verträgen gilt (vertiefend erst im SchuldR BT).

• § 365 BGB gilt nicht bei Leistung erfüllungshalber.

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Literaturhinweise:• Looschelders/Erm, Die Erfüllung - dogmatische

Grundlagen und aktuelle Probleme, JA 2014, 161-167

• Lorenz, Grundwissen – Zivilrecht: Erfüllung (§ 362 BGB), JuS 2009, 109-111

• Muscheler/Bloch, Erfüllung und Erfüllungssurrogat, JuS 2000, 729-740

• Schreiber, Erfüllung durch Leistung an Minderjährige, Jura 1993, 666-667

• Taupitz, Vertragserfüllung durch Leistung an den „Vertreter“ des Gläubigers, JuS 1992, 449-456

• Thole, Erfüllung und Erfüllungssurrogate im Zwangsvollstreckungsrecht, Jura 2010, 605-611