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Verbundprojekt SKRIBT Schutz kritischer Brücken und Tunnel im Zuge von Straßen Schlussbericht: Schutz kritischer Brücken und Tunnel Öffentliche Fassung Gefördert durch: Bundeministerium für Bildung und Forschung (BMBF), Berlin Projektträger: VDI Technologiezentrum GmbH, Düsseldorf

Schutz kritischer Brücken und Tunnel - Schlussbericht_EXTERN_V2

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Verbundprojekt SKRIBT

Schutz kritischer Brücken und Tunnel im Zuge von Straßen

Schlussbericht: Schutz kritischer Brücken und Tunnel

Öffentliche Fassung

Gefördert durch:

Bundeministerium für Bildung und Forschung (BMBF), Berlin

Projektträger:

VDI Technologiezentrum GmbH, Düsseldorf

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1 Schutz kritischer Brücken und Tunnel

Bearbeitet von:

Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK)

Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt)

Fraunhofer-Institut für Kurzzeitdynamik, Ernst-Mach-Institut (EMI),

HOCHTIEF PPP Solutions GmbH

Institut für Leichtbau, Entwerfen und Konstruieren (ILEK) der Universität Stuttgart

Lehrstuhl für Psychologie I der Julius-Maximilians-Universität Würzburg

Lehrstuhl für Tunnelbau, Leitungsbau und Baubetrieb der Ruhr-Universität Bochum (TLB)

PTV Planung Transport Verkehr AG

Schüßler-Plan Ingenieurgesellschaft mbH Düsseldorf

Siemens AG

Dieser Bericht enthält in der Originalfassung sensible Inhalte, die aus der vorliegenden öffentli-chen Fassung entfernt wurden.

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Schutz kritischer Brücken und Tunnel 2

Inhalt

1 Einleitung .............................................. 4

1.1 Allgemeines ............................................ 4

1.2 Zielsetzung ............................................. 4

1.3 Vorgehensweise ..................................... 4

2 Sicherheitstechnische Untersuchung von Bauwerken ........... 5

2.1 Allgemeines ............................................ 5

2.2 Vorgehensweise ..................................... 5

2.3 Bedrohungsanalyse................................ 6

2.3.1 Allgemeines ............................................ 6

2.3.2 Terrorismus und kriminelle Handlungen ............................................ 6

2.3.3 Extreme Naturereignisse ........................ 6

2.3.4 Menschliches / Technisches Versagen ................................................ 6

2.4 Objektanalyse ......................................... 7

2.4.1 Allgemeines ............................................ 7

2.4.2 Relevante Ereignisse ............................. 8

2.4.3 Analyse der Resttragfähigkeit ................ 8

2.4.4 Analyse der Nutzerbelange .................. 10

2.4.5 Analyse der verkehrlichen Gegebenheiten ..................................... 11

2.5 Verfahren zur Identifizierung kritischer Bauwerke ............................................. 11

2.5.1 Vorfilterung des Bauwerksbestandes ... 11

2.5.2 Anwendung des Verfahrens ................. 11

2.6 Zusätzliche Schutzmaßnahmen ........... 12

3 Identifizierung kritischer Bauwerke . 13

3.1 Allgemeines .......................................... 13

3.2 Initialereignisse ..................................... 13

3.2.1 Brand .................................................... 13

3.2.2 Explosion .............................................. 14

3.2.3 Kontamination ...................................... 14

3.2.4 Wasser / Temperatur / Wind ................ 14

3.3 Szenarienentwicklung .......................... 15

3.4 Ermittlung der Eingangsgrößen ........... 15

3.4.1 Eingangsgrößen für das Bauwerk ........ 15

3.4.2 Eingangsgrößen für Nutzer .................. 16

3.4.3 Eingangsgrößen für Verkehr ................ 16

3.4.4 Eingangsgrößen für sonstige Faktoren ............................................... 16

3.5 Synthese der Eingangsgrößen ............. 17

3.5.1 Bewertungshintergrund Bauwerk ......... 18

3.5.2 Bewertungshintergrund Nutzer ............ 18

3.5.3 Bewertungshintergrund Verkehr .......... 19

3.5.4 Synthese der Einzel-Beurteilungsgrößen .............................. 20

3.6 Bewertung der Kritikalität ..................... 20

4 Schutzmaßnahmen für Brücken und ihre Nutzer ....................................22

4.1 Allgemeines ..........................................22

4.2 Empfehlungen für Bauwerkseigentümer ............................23

4.2.1 Empfehlungen zur Maßnahmenanwendung .......................23

4.2.2 Empfehlungen zur Vorgehensweise bei der Maßnahmenanwendung ...........27

4.2.3 Empfehlungen zur schnellen Wiederinbetriebnahme ..........................30

4.3 Empfehlungen zur Maßnahmenanwendung für Betreiber und Einsatzdienste ................................31

4.3.1 Empfehlungen für Betreiber ..................31

4.3.2 Empfehlungen für Einsatzdienste .........32

4.3.3 Empfehlungen für Nutzer ......................33

5 Schutzmaßnahmen für Tunnel und ihre Nutzer ...........................................34

5.1 Allgemeines ..........................................34

5.2 Empfehlungen für Bauwerkseigentümer ............................36

5.2.1 Empfehlungen zur Maßnahmenanwendung .......................36

5.2.2 Empfehlungen zur Vorgehensweise bei der Maßnahmenanwendung ...........41

5.2.3 Empfehlungen zur schnellen Wiederinbetriebnahme ..........................44

5.3 Empfehlungen zur Maßnahmenanwendung für Betreiber, Einsatzdienste und Nutzer ....................45

5.3.1 Empfehlungen für Betreiber ..................46

5.3.2 Empfehlungen für Betriebs- und Einsatzdienste - Leitfaden Ereignismanagement ............................52

5.3.3 Empfehlungen für Nutzer ......................54

5.3.4 Szenarienabläufe aus Sicht von Operatoren, Einsatzdiensten und Nutzern..................................................56

6 Maßnahmenkosten .............................60

6.1 Lebenszykluskosten ..............................60

6.2 Wirksamkeits-Kosten-Analyse ..............60

6.2.1 Allgemeines ..........................................60

6.2.2 Berücksichtigte Wirkungen ...................61

6.2.3 Programmtechnische Umsetzung .........64

6.2.4 Beispielanwendung ...............................64

6.2.5 Fazit ......................................................69

7 Zusammenfassung .............................70

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3 Schutz kritischer Brücken und Tunnel

8 Fazit und Ausblick ............................. 71

9 Abbildungsverzeichnis ...................... 72

10 Tabellenverzeichnis ........................... 73

11 Literaturverzeichnis ........................... 74

Anhang 1: Schutzmaßnahmen für Brücken

Anhang 2: Schutzmaßnahmen für Tunnel

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Schutz kritischer Brücken und Tunnel 4

1 Einleitung

1.1 Allgemeines

Brücken- und Tunnelbauwerke sind wichtige Ele-mente des bundesdeutschen Fernstraßennetzes. Durch ihre Verbindungsfunktion schaffen sie die Voraussetzung für individuelle Mobilität und die Versorgung von Privathaushalten und Wirtschaft. Zudem stellen sie einen bedeutenden volkswirt-schaftlichen Vermögenswert dar.

Die Beschädigung oder gar der vollständige Ver-lust bestimmter Bauwerke, wie beispielsweise von Brücken über die wichtigen Rheinquerungen oder von Tunnelbauwerken unter Flüssen, durch einen terroristischen Anschlag, einen Großunfall oder ei-ne Naturkatastrophe ziehen daher durch hohe Wiederherstellungskosten und lange Ausfallzeiten einen beträchtlichen volkswirtschaftlichen Schaden nach sich. Schon der Ausfall eines Bauwerks kann aufgrund der in der Regel geographisch bedingten Flaschenhalsfunktion von Brücken und Tunneln zu einer massiven Beeinträchtigung der Netzkapazität führen. Zudem wird eine große Anzahl von Bau-werksnutzern während des Ereignisses einer gro-ßen Gefahr ausgesetzt (z.B. befinden sich in einer Röhre des Elbtunnels bei Stau ca. 500 Fahrzeu-ge).

Dem nachhaltigen Schutz des Bauwerksbestandes von derzeit rund 240 Tunneln und 39.000 Brücken kommt daher im Hinblick auf die Effizienz unserer Infrastruktur und damit den Wohlstand unserer Gesellschaft eine hohe Bedeutung zu.

1.2 Zielsetzung

Ziel des Verbundprojektes SKRIBT ist es, für Brü-cken- und Tunnelbauwerke im Zuge von Straßen die möglichen Gefährdungen im Hinblick auf die aktuelle und künftige Bedrohungslagen festzustel-len, wirksame Schutzmaßnahmen zu erarbeiten und damit die Verletzbarkeit lebenswichtiger Infra-strukturen und ihrer Nutzer deutlich zu verringern.

Das Projekt konzentriert sich hierbei auf Verkehrs-infrastrukturen im Zuge von Straßen. Die Ergeb-nisse können aber in begrenztem Umfang auch auf empfindliche Infrastrukturen anderer Verkehrs-träger (Schiene, ÖPNV) übertragen werden.

1.3 Vorgehensweise

Zunächst wurden die maßgebenden Bedrohungs-szenarien für Brücken und Tunnel anhand einer umfassenden Bedrohungsanalyse erarbeitet. Ver-folgt wurde ein „All Hazard“ - Ansatz, das heißt, al-le denkbaren natürlichen und vom Menschen aus-gehenden Bedrohungen wurden berücksichtigt.

Hierauf aufbauend wurden die für Brücken- und Tunnelbauwerke im Zuge von Straßen maßgeben-den Szenarien entwickelt.

Auf Grundlage dieser Bedrohungsszenarien wurde ein Verfahren zur Identifikation kritischer Bauwerke in Bezug auf deren zivile Sicherheit entwickelt. Es wurden maßgebende Kriterien erarbeitet, anhand derer ein Bauwerk als kritisch eingestuft werden kann. Hierzu wurden die Art und Größe möglicher Einwirkungen aus den relevanten Szenarien sowie ihre schädigende Wirkung auf Bauwerk, Nutzer und Verkehr ermittelt.

Zum Schutz von als kritisch eingestuften Bauwer-ken wurden Maßnahmenkataloge, bestehend aus 18 Schutzmaßnahmen für Brücken und 27 Schutzmaßnahmen für Tunnel, erarbeitet. Es wur-den sowohl präventive als auch ausmaßmindernde Maßnahmen entwickelt und alle Aspekte des Bau-werks, nämlich Bautechnik, Betriebs- und Sicher-heitstechnik sowie Organisation der Betriebs- und Einsatzdienste betrachtet. Durch die interdiszipli-näre Zusammenarbeit von Ingenieuren und Psy-chologen wurde auch das menschliche Verhalten für die Ableitung von Schutzmaßnahmen berück-sichtigt.

Weiter wurden die Investitions- und Unterhaltskos-ten sowie die Lebensdauer der Maßnahmen abge-schätzt. Dies erfolgte zum einen, um privaten In-vestoren (PPP-Modellen) eine Orientierung zu bie-ten, welche Zusatzkosten bei zusätzlich gesicher-ten Bauweisen anzusetzen sind, zum anderen können so Wirkungen und Kosten unterschiedli-cher Maßnahmen für dieselbe Bedrohung gegen-übergestellt und Rückschlüsse auf ihre Effizienz gezogen werden. Dieser Intention entsprechend wurde ein anwenderfreundliches Bewertungstool entwickelt, das den Straßenbauverwaltungen der Länder sowie privaten Betreibern zur Verfügung gestellt werden soll. Auch die volkswirtschaftlichen Auswirkungen, die durch den Verlust oder tempo-rären Ausfall kritischer Infrastrukturen entstehen können, wurden hier einbezogen.

Die Ergebnisse der Wirksamkeitsuntersuchungen sind Grundlage für die im Weiteren ausgesproche-nen Maßnahmenempfehlungen. Neben innovati-ven Sicherheitslösungen für Eigentümer, Betreiber, Nutzer und Einsatzdienste stehen auch Lösungen zur Minimierung der gesellschaftlichen Auswirkun-gen im Schadensfall im Vordergrund.

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5 Schutz kritischer Brücken und Tunnel

2 Sicherheitstechnische Unter-suchung von Bauwerken

2.1 Allgemeines

Das folgende Kapitel beschreibt den im Rahmen von SKRIBT entwickelten ganzheitlichen methodi-schen Ansatz zur sicherheitstechnischen Untersu-chung eines oder mehrerer Verkehrsinfrastruktur-bauwerke.

Beabsichtigt z. B. ein Bauwerkseigentümer, seinen Bauwerksbestand, bestehend aus Brücken und Tunneln, einer sicherheitstechnischen Untersu-chung zu unterziehen, so wird empfohlen, dieses nach der im Folgenden näher beschriebenen Me-thodik durchzuführen.

Das Ergebnis ist eine Beurteilung der Bauwerke für bestimmte Bedrohungen sowie eine Empfehlung zum Einsatz geeigneter Schutzmaßnahmen zur Reduzierung der Verletzbarkeit lebenswichtiger Straßeninfrastrukturen sowie ihrer Nutzer.

2.2 Vorgehensweise

Eine sicherheitstechnische Untersuchung struktu-riert sich gemäß Abbildung 1 in drei Schritte:

Abbildung 1: Methodik von SKRIBT

Zu Beginn ist eine Bedrohungsanalyse durchzu-führen, bei der alle relevanten Bedrohungen be-stimmt und beschrieben werden. Im Rahmen der anschließenden Objektanalyse werden die aus den Bedrohungen resultierenden Einwirkungen den Widerständen der Bauwerke gegenüber ge-stellt. Hierbei werden bauwerks-, nutzer- und ver-kehrsbezogene Parameter betrachtet. In einem letzten Schritt erfolgt die Auswahl von geeigneten Schutzmaßnahmen, die zuvor hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und ihres Wirksamkeits-Kosten-Verhältnisses unter den objektspezifischen Rand-bedingungen zu untersuchen sind.

Die Dokumentation der verschiedenen Themen-komplexe erfolgte in insgesamt 14 Einzelberichten zuzüglich dieses Schlussberichts. Die Zuweisung der Teilberichte zu den einzelnen Schritten der Me-thodik ist Abbildung 2 zu entnehmen und dient als Hinweis, in welchen Berichten vertiefte Informatio-nen vorgehalten werden. Auf einzelne Verweise wird wegen der Vielzahl der Einzelberichte im Fol-genden verzichtet.

Abbildung 2: Zuweisung der Teilberichte

Maßnahmen

Bedrohungsanalyse

Objektanalyse

Methodik zur sicherheitstechnischen

Untersuchung von Bauwerken

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Schutz kritischer Brücken und Tunnel 6

2.3 Bedrohungsanalyse

2.3.1 Allgemeines

Zu Beginn einer sicherheitstechnischen Untersu-chung von Brücken und Tunneln sind alle relevan-ten Bedrohungen zu berücksichtigen. Dazu wer-den entsprechend dem Vorgehen in der Bedro-hungsanalyse, einem ganzheitlichen Ansatz fol-gend, die möglichen Gefahren ausführlich be-schrieben und die daraus resultierenden mögli-chen Gefährdungen für Brücken- und Tunnelbau-werke, ihre Nutzer sowie die Betriebs- und Ein-satzdienste identifiziert.

Betrachtet werden Bedrohungen durch terroristi-sche oder kriminelle Aktivitäten, Gefahren durch extreme Naturereignisse wie Sturm, Hochwasser oder Massenbewegungen sowie durch menschli-ches oder technisches Versagen ausgelöste Großunfälle.

In Abhängigkeit der Prioritätensetzung ist die Be-schränkung auf bestimmte Bedrohungen möglich. Im Rahmen des Projekts wurde jedoch der zuvor beschriebene ganzheitliche Ansatz verfolgt und wird auch zur Anwendung empfohlen.

2.3.2 Terrorismus und kriminelle Handlungen

Bezeichnend für die Vorgehensweise des politisch oder ideologisch motivierten Terrorismus sind spektakuläre und opferreiche Anschläge zur Erre-gung der öffentlichen Aufmerksamkeit. Ziel ist die Erzeugung von Angst und gesellschaftlicher Ver-unsicherung. Die Mittel bei terroristischen An-schlägen reichen vom Einsatz konventioneller Sprengstoffe bis hin zum Einsatz chemischer oder biologischer Agenzien. Theoretisch denkbar ist auch der Einsatz so genannter „dirty bombs“ (kon-ventioneller Sprengkörper mit radioaktiv strahlen-dem Material). Ein weites Betätigungsfeld für kri-minelle Aktivitäten stellt insbesondere die virtuelle Welt dar, d.h. die Möglichkeit des Eingriffs in In-formations- und Kommunikationssysteme durch Vi-renangriffe sowie spezielle Schadprogramme („Cyber-Terror“).

Inwieweit bislang Brücken und Tunnel als mögliche Anschlagsziele für Terroristen in Frage kommen können, wurde durch die Auswertung der Daten-bank Terror Event Database (TED) [1], in welcher terroristische Anschläge weltweit dokumentiert sind, näher untersucht. Es zeigte sich, dass sich weltweit nur wenige terroristische Ereignisse an Brücken und Tunneln ereignet haben, so dass eine statistische Aussage zur Risikoabschätzung nicht möglich ist.

2.3.3 Extreme Naturereignisse

Laut Angaben der Versicherungswirtschaft resultie-ren Elementarschäden in Deutschland zum größ-ten Teil aus meteorologischen Extremereignissen. Hierzu zählen Ereignisse wie Starkregen mit der Folge von Überschwemmungen, Sturmfluten, Schnee, Eis, Dürre sowie Sturm. Klimaforscher sagen voraus, dass im Zuge der fortschreitenden globalen Klimaerwärmung die Häufigkeiten an auf-tretenden Wetterextremen zukünftig zunehmen werden. Nach bisherigen Erkenntnissen wird sich der Klimawandel in Deutschland durch Meeres-spiegelanstieg, Gletscherschmelze und andere Phänomene wie Hitzewellen, Stürme, Starknieder-schläge und Hochwasser an den Flüssen äußern [2]. Daher gewinnen Maßnahmen zur Anpassung an die erhöhte Auftretenswahrscheinlichkeit von Extremereignissen aus den Folgen des Klimawan-dels daher zunehmend an Bedeutung. Im Rahmen des Projekts wurden Extreme folgender Naturer-eignisse betrachtet:

� Sturm

� Hochwasser

� Schneefall, Frost

� Hitze

� Flächenbrände

� Lawinen, Hangrutschung

� Erdbeben

� Epidemie / Pandemie

Die Auswirkungen dieser Naturereignisse wurden jeweils getrennt untersucht. Für die Bemessung von Brücken wurden zusätzlich Kombinationen verschiedener gleichzeitig auftretender Ereignisse betrachtet.

2.3.4 Menschliches / Technisches Versagen

Die relevanten unfallauslösenden Ereignisse durch menschliches und / oder technisches Versagen im Zusammenhang mit Ingenieurbauwerken im deut-schen Straßennetz sind:

� Fahrzeugkollisionen entweder mit anderen Fahrzeugen oder mit dem Bauwerk ohne Frei-setzung von Gefahrstoffen

� Brände aufgrund von Kollisionen von Fahrzeu-gen oder technischen Defekten an Fahrzeugen bzw. ortsfesten Anlagen ohne Freisetzung von Gefahrstoffen

� Unfälle von gefahrguttransportierendem Schwerlastverkehr unter Freisetzung von fes-ten, flüssigen bzw. gasförmigen Gefahrstoffen oder Brände.

Die Kollisionshäufigkeit wird in Tunneln maßgeb-lich durch den Tunneltyp (Richtungs- bzw. Gegen-

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7 Schutz kritischer Brücken und Tunnel

verkehrstunnel) und die Tunnellänge sowie durch die Verkehrsstärke und das Vorhandensein von Zu- und Abfahrten beeinflusst. Zwischen Unfällen auf freier Strecke und Unfällen auf Brücken wird in der Unfallaufnahme zurzeit noch nicht in einer standardisierten Vorgehensweise unterschieden. Eine statistische Auswertung gestaltet sich dem-nach schwierig und Erkenntnisse über Unfallhäu-figkeiten auf Brücken sind dementsprechend ge-ring.

Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass sich parallel (kollisionsauslösende) bzw. unmittelbar nach der Kollision (kollisionsresultierende) auftre-tende Brandereignisse oder Explosionen drastisch verstärkend auf die Effekte einer Kollision auswir-ken können (siehe z. B. Unfall auf der Wiehltalbrücke [D] am 26.08.2004). Die Erfahrung mit Häufigkeiten von Bränden in Straßentunneln hat gezeigt, dass es sich insgesamt um recht sel-tene Ereignisse handelt, die in erster Linie als Fol-ge eines technischen Defekts (z. B. Motorbrand) auftreten.

Neben den möglichen Auswirkungen eines Fahr-zeugunfalls mit Gefahrgut auf Bauwerk und Nutzer durch Kollision und Brand sind ggfls. zusätzlich die Auswirkungen einer Kontamination durch freiwer-dende feste, flüssige oder gasförmige Stoffe so-wohl mit kurzzeitigen Effekten in Bezug auf Ret-tungsmaßnahmen als auch mit langzeitigen Effek-ten in Bezug auf die weitere Nutzbarkeit des Bau-werks zu beachten.

2.4 Objektanalyse

2.4.1 Allgemeines

Nach Analyse der Bedrohungen sind die resultie-renden Einwirkungen den Widerständen der Bau-werke gegenüberzustellen. Dabei sind alle objekt-spezifischen Eigenschaften zu berücksichtigen. Tunnelbauwerke weisen in ihrer Gestaltung eine Vielfalt auf, die bei Brücken noch sehr viel stärker ausgeprägt ist. Deshalb kann die Beurteilung von Brücken und Tunneln nur abhängig von verschie-denen Merkmalen, wie z. B. dem statischen Sys-tem oder den verwendeten Werkstoffen erfolgen. Ebenso kann ein Bauwerk auf bestimmte Einwir-kungen empfindlich, auf andere dagegen weniger empfindlich reagieren. Also muss auch zwischen den verschiedenen Bedrohungsarten unterschie-den und die relevanten für ein bestimmtes Bau-werk ermittelt werden.

Um eine belastbare Aussage über die Vulnerabili-tät von Bauwerken treffen zu können, sind in den meisten Fällen aufwendige numerische Berech-nungen notwendig. Allerdings sind diese aufgrund der zahlreichen Kombinationen von Brückentypen und Bedrohungsszenarien nur begrenzt möglich. Die Auswahl der zu untersuchenden Szenarien

und Bauwerkstypen wurde im Rahmen des Pro-jekts so getroffen, dass zum einen der entstehen-de Rechenaufwand noch vertretbar ist, zum ande-ren aber die relevanten Einwirkungs- und Bedro-hungsszenarien erfasst und der Großteil der Bau-werke des deutschen Straßennetzes abgebildet wird. Soll ein bestehender Bauwerksbestand un-tersucht werden, wird es jedoch erforderlich, jedes Einzelbauwerk genau zu betrachten. Die verschie-denen bautechnischen Einflüsse sollten exakt er-fasst werden, um eine verlässliche Individualbe-trachtung zu ermöglichen. Hierbei werden folgende Schritte systematisch durchlaufen:

� Analyse der verschiedenen Bedrohungsszena-rien hinsichtlich ihrer Relevanz für die spezifi-schen Bauwerkstypen

� Analyse der Bauwerkstypen hinsichtlich der kri-tischen Bauteile mit Versagensrelevanz für das Gesamtbauwerk

� Ermittlung der szenariospezifischen Schädi-gung auf Bauteilebene und Extrapolation dieser Bauteilschädigung im Hinblick auf das Gesamt-bauwerk.

Weiter sind bei der Objektanalyse die Auswirkun-gen der Bedrohungen auf die Brücken- und Tun-nelnutzer zu betrachten. Dies erfordert Verfahren und Methoden, die es erlauben, unter dem Einfluss verschiedener Bedrohungsszenarien Sicherheits-niveaus für Brücken und Tunneln unter Berück-sichtigung der Belange von Bauwerksnutzern so-wie der Betriebs- und Einsatzdienste zu ermitteln. Im Rahmen des Projekts wurden solche Verfahren und Methoden entwickelt, die in transparenter Weise sowohl Systemantworten als auch mensch-liches Verhalten abbilden können und als Basis für eine spätere Identifizierung kritischer Tunnel- und Brückenbauwerke dienen.

Ein weiterer Aspekt der Objektanalyse sind die Auswirkungen eines möglichen Bauwerksausfalls auf das umliegende Verkehrsnetz. Hier stellen die Mehrreisezeiten, die aus einem reduzierten Stra-ßennutzungsangebot sowie den verfügbaren Al-ternativrouten mit ihren Kapazitäten und der aktuell gegebenen Nachfrage resultieren, die adäquate Größe dar, um die Kritikalität in verkehrlicher Hin-sicht zu beschreiben. Im Projekt SKRIBT wurde dazu eine detaillierte Herleitung des Berechnungs-verfahrens durchgeführt. Es wurden Ergebnisse für eine Gesamtheit von ca. 150 Bauwerken ermittelt. Durch die Vielzahl der Berechnungen können für entsprechende Häufigkeitsverteilungen das Kritika-litätsmaß gesetzt und damit kritische Bauwerke in verkehrlicher Hinsicht bestimmt werden.

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Schutz kritischer Brücken und Tunnel 8

2.4.2 Relevante Ereignisse

Die im Rahmen der Bedrohungsanalyse identifi-zierten Initialereignisse gem. Kapitel 2.3 wurden hinsichtlich ihrer Relevanz untersucht und ausge-wählt. In SKRIBT sind für Brücken und Tunnel die in Tabelle 1 aufgeführten Initialereignisse als rele-vant identifiziert worden.

Ereignis-kategorie

Initialereignis

Brand Kontinuierlicher Lachenbrand

Spontaner Lachenbrand

Freistrahlbrand

Explosion Boiling Liquid Expanding Va-pour Explosion (BLEVE)

Detonation Lkw-Ladung

Detonation Pkw-Ladung

Detonation Koffer-Ladung

Kontamination Kontinuierliche Kontamination

Spontane Kontamination

Wasser / Temperatur / Wind

Überflutung

Windeinfluss

Mechanische Ereignisse

Lkw-Anprall

Tabelle 1: Relevante Initialereignisse für Brücken und Tunnel

Generell haben für Tunnel Brandereignisse eine höhere Relevanz als für Brücken, da durch den umschlossenen Raum die Temperaturen höher sind als bei Brücken und der Rauch nicht direkt entweichen kann, weshalb er sich im Brandumfeld ausbreitet.

Die Initialereignisse bilden die Grundlage für mög-liche Bedrohungsszenarien für Tunnel und Brü-cken, die direkt betroffenen Bauwerksnutzer und das verkehrliche Umfeld. Die Betrachtung dieser Gruppen dient der ganzheitlichen Beurteilung ei-nes Verkehrsbauwerks.

2.4.3 Analyse der Resttragfähigkeit

2.4.3.1 Allgemeines

Zur Bestimmung der Resttragfähigkeit ist zunächst das lokale Schadensausmaß an den von der Ein-wirkung unmittelbar betroffenen Bauteile zu be-stimmen. Für die Untersuchung der relevanten Bauteile wurden in einem ersten Schritt für die spä-tere Beurteilung der Schadensauswirkung die er-forderlichen Schadensklassen entsprechend Ta-belle 2 definiert. In Anlehnung an existierende De-finitionen erfolgt eine Unterteilung in fünf Stufen vom praktisch ungeschädigten bis zum völlig zer-störten Bauwerk. Speziell für Explosionsszenarien besteht noch eine weitere Schadensklassifizie-rung. Basierend auf den Schädigungsparametern bei Detonationen im Nahbereich werden 5 Klassen vorgeschlagen, die verbal die jeweilige Struktur-schädigungen auf Bauteilebene beschreiben. Nachdem die lokalen Schäden bestimmt sind, ist zu ermitteln, welche Auswirkungen diese Schäden auf das Gesamttragverhalten eines Bauwerks ha-ben. Dieses bedarf einer individuellen Betrachtung und wurde im Projekt SKRIBT sowohl für Brücken als auch für Tunnel durchgeführt.

2.4.3.2 Brücken

Für eine risikoanalytische Betrachtung von Brü-cken sind in einem ersten Schritt die Schwachstel-len zu identifizieren, um auf dieser Basis eine Ein-stufung der Bauteile und Bauwerke in die Scha-densstufen entsprechend Tabelle 2 vornehmen zu können. Die Ergebnisse des Einstufungsverfah-rens wurden bei den Brücken mittels Zuverlässig-keitsanalyse an ausgewählten Beispielen verifi-ziert. Unter Anwendung der Monte Carlo Methode wurden aufwändige Simulationen durchgeführt um für verschiedene Bedrohungsszenarien die opera-tive Versagenswahrscheinlichkeit des Bauwerks zu ermitteln.

Für eine fundierte Bauwerksbeurteilung ist eine in-dividuelle Untersuchung jedes Bauwerks erforder-lich. Beabsichtigt man, einen größeren Bauwerks-bestand zu beurteilen, empfiehlt sich auf Grund der Vielzahl an unterschiedlichen Bauwerkstypen, Querschnitten und Materialien eine Kategorisie-rung entsprechend Tabelle 3 vorzunehmen, um den Berechnungsaufwand ggfls. reduzieren zu können.

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9 Schutz kritischer Brücken und Tunnel

Tabelle 2: Schadensstufen

Tabelle 3: Kategorisierung von Brückenbauwerken in SKRIBT

Definition Bescheibung Bescheibung Bescheibung SchadensfolgeWahrscheinlich-

keitBauteil nahezu unbeschädigt Bauwerk unbeschädigt

kein Einfluß auf Standsicherheit kein Einfluss auf Standsicherheitkein Einfluß auf Verkehrssicherheit kein Einfluß auf Verkehrssicherheit

kein Einfluß auf Dauerhaftigkeit; kein Einfluß auf DauerhaftigkeitSchadensbeseitigung im Rahmen regulärer Bauwerksunterhaltung

Bauteil leicht beschädigt Bauwerk nahezu unbeschädigtStandsicherheit des Bauteils im Rahmen zulässiger Toleranzen

beeinträchtigtkein Einfluß auf Standsicherheit

geringer Einfluß auf Verkehrssicherheit lokale Baustelle ohne nennenswerte

Verkehrsbehinderunggeringer Einfluß auf Verkehrssicherheit

Dauerhaftigkeit Bauteil beeinträchtigt, Folgeschaden anderer Bauteile nicht zu

erwarten

langfristig nur geringer Einfluß auf Dauerhaftigkeit

Schadensausbreitung nicht zu erwartenSchadensbeseitigung im Rahmen regulärer Bauwerksunterhaltung

Bauteil beschädigt Bauwerk leicht beschädigtStandsicherheit des Bauteils noch im

Rahmen zulässiger Toleranzen beeinträchtigt, im Einzelfall darüber

geringer Einfluß auf Standsicherheit

geringfügige Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit

Baustelle mit geringer Verkehrsbehinderung

geringfügige Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit/ Verkehrssicherheit

noch gegeben

Dauerhaftigkeit Bauteil beeinträchtigt Folgeschaden anderer Bauteile nicht

auszuschließen

langfristig Beeinträchtigung der Dauerhaftigkeit

Schadensausbreitung nicht auszuschließen

Schadensbeseitigung mittelfristig erforderlich

Bauteil stark beschädigt Bauwerk beschädigt

Standsicherheit des Bauteils oberhalb zulässiger Toleranzen beeinträchtigt

Beeinträchtigung der Standsicherheit

Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit, Baustelle mit Verkehrsbehinderung

Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit

Dauerhaftigkeit Bauteil beeinträchtigt, Folgeschaden anderer Bauteile zu

erwarten

mittelfristig Beeinträchtigung der Dauerhaftigkeit

Schadensausbreitung ist zu erwartenkurzfristige Schadensbeseitigung

erforderlichUmgehende Nutzungseinschränkung

Bauteil zerstört Bauwerk stark beschädigt / zerstörtStandsicherheit des Bauteils nicht mehr

gegebenStandsicherheit nicht mehr gegeben

Verkehrssicherheit nicht mehr gegeben, Baustelle mit starker Verkehrsbehinderung

Verkehrssicherheit nicht mehr gegeben, Warnhinweise sofort erforderlich

Dauerhaftigkeit Bauteil nicht mehr gegeben

Folgeschaden an anderen Bauteilen tritt ein

Dauerhaftigkeit nicht mehr gegeben, Schadensausbreitung tritt ein

sofortige Schadensbeseitigung erforderlich

Umgehende Nutzungseinschränkung, Erneuerung/ Instandsetzung einleiten

Durchbruch Schwer

Bauwerksebene

(DIN EN 1991-1-7)

> 0,1

0,01

0,001

0,0001

Mittlerer Schaden

EMI (explosionsbezogen) RI-EBW-Prüf

Schwerer Schaden

Sehr niedrig

Niedrig

Mittel

Hoch

Schadensstufen

SKRIBT

Bauteilebene

Geringer Schaden Feine Rissbildung

Leichter Schaden

1

2

4

5

3

0,00001

Kraterbildung Vorderseite

Abplatzung bis Bewehrung Rückseite

Sprengkrater Vorderseite

Teilzertrümmerung bis gewisse Bauteiltiefe, starke Abplatzung

Rückseite

Kein Durchbruch

örtich durchgehende Bauteilzertrümmerung, Beton wird durch

Bewehrung gehalten

Durchgehendes Sprengloch mit verbogener/ gerissener Bewehrung

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Schutz kritischer Brücken und Tunnel 10

In SKRIBT wurden aus bautechnischer Sicht Brand, Explosion, extreme Naturereignisse und Anprall als maßgeblich erkannt und untersucht.

Bei Explosionsereignissen sind Ladungsmenge und Ladungsabstand zum Bauteil für das Scha-densausmaß entscheidend. Für die Untersuchung von Brandeinwirkung bei Stahlbetonbrücken ste-hen derzeit keine verifizierten Berechnungsmodelle zur Verfügung, so dass hier noch Forschungsbe-darf besteht.

2.4.3.3 Tunnel

Bei der Analyse der Resttragfähigkeit von Tunneln ist methodisch in gleicher Weise vorzugehen wie bei Brücken. Da die die maßgebenden Schwach-stellen in Abhängigkeit von Beanspruchung und Bauweise differieren, ist eine Schwachstellenana-lyse für jedes Initialereignis und jeden Tunnel ge-sondert durchzuführen. So ist beispielsweise bei Brandereignissen für Tunnel in offener Bauweise dem Anschlussbereich von Tunneldecke an die -wand besondere Aufmerksamkeit zu schenken, während bei Detonationsereignissen in Tunneln grundsätzlich die Unstetigkeitsstellen in der Trag-struktur wie z. B. Raum- oder Tübbingfugen zu un-tersuchen sind.

Für Tunnel wurden aus bautechnischer Sicht im Wesentlichen die Initialereignisse Brand und Ex-plosion als maßgeblich erkannt und untersucht.

Auch hier sind bei Explosionseinwirkung grund-sätzlich die Ladungsmenge und der Abstand der Ladung zum Bauteil von entscheidendem Einfluss auf das Schadensausmaß. Zur Bemessung des Bauwerks gegen Explosionslasten wurde die Me-thode der Traglastermittlung mit statischen Ersatz-lasten genutzt. Sie liefert für die Zustandsbewer-tung eines komplexen gebetteten Tunnelquer-schnitts im Vergleich mit genaueren strukturdyna-mischen Berechnungen qualitativ akzeptable Er-gebnisse bei deutlich verringertem Aufwand, was die Untersuchung von Bauwerken vereinfacht und beschleunigt.

Bei Brandereignissen ist darauf zu achten, dass die Temperatur der tragenden Bewehrung den Wert von 300°C nicht überschreitet, da bei einer Erwärmung über diesen Wert hinaus die Beweh-rung hohe Dehnungen erfährt , wodurch die Kon-struktion nach dem Erkalten unvertretbar hohe plastische Verformungen auf-weist.

2.4.4 Analyse der Nutzerbelange

Im Zuge der Analyse der Nutzerbelange wird die Zahl der Getöteten als Indikator für das Schadens-ausmaß betrachtet. Hierzu wurden im Projekt SKRIBT spezielle Modelle und Verfahren entwi-ckelt und angewandt. Dabei erfolgt die Bestim-mung des jeweiligen Sicherheitsniveaus mittels der

Methode der quantitativen Risikoanalyse, in der sowohl mögliche Schadensausmaße als auch de-ren Eintrittswahrscheinlichkeiten Berücksichtigung finden. Mit Hilfe von Ereignisabläufen werden aus-gehend von einem auslösenden Ereignis über Verzweigungen mögliche Systemantworten bis zum Erreichen der Endzustände abgebildet und deren Eintrittswahrscheinlichkeiten ermittelt. Die zugehörigen Verzweigungswahrscheinlichkeiten im Ereignisablauf werden dann mittels Fehlerbaum-analysen oder Expertenschätzungen quantifiziert. Zur Ermittlung der mit den Eintrittswahrscheinlich-keiten der Endzustände korrespondierenden Schadensausmaße werden sowohl szenarioab-hängige Einwirkgrößen wie Druck, Temperatur und Konzentrationen als auch deren Wirkung auf den Menschen mittels Modellrechnungen ermittelt.

Wichtig für die Ermittlung des Schadensausmaßes ist die Berücksichtigung des menschlichen Verhal-tens bei der Flucht vor einem Ereignis wie z. B. Brand in einem Tunnel. Dazu wurde im Projekt SKRIBT eine wahrnehmungs- und verhaltensba-sierende Flucht- und Evakuierungssimulation ent-wickelt, wie sie exemplarisch in Abbildung 3 dar-gestellt ist.

Die Untersuchungen zeigen, dass die gewählten Randbedingungen einen großen Einfluss auf die zu erwartenden Schadensausmaße haben kön-nen. Prinzipiell kann jedoch festgehalten werden, dass die Ereignisse mit Brand- und Explosionswir-kung in Tunneln einen signifikant höheren Scha-denserwartungswert aufweisen als im Freien auf einer Brücke. Lediglich Szenarien mit Chlorfreiset-zung können vergleichbare Wirkungen in Tunneln und im Freien aufweisen. Einflüsse durch Sturm weisen im Vergleich zu den Freisetzungen mit Benzin, Propan, Chlor und TNT deutlich geringere Schadensausmaße auf.

Abbildung 3: Visualisierung der Fluchtsimulation am Beispiel eines Szenarios mit Chlorfrei-setzung

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11 Schutz kritischer Brücken und Tunnel

2.4.5 Analyse der verkehrlichen Gegebenheiten

Die verkehrlichen Auswirkungen beim Eintritt eines Extremereignisses sind ein wesentlicher Baustein zur Beurteilung der Kritikalität von Bauwerken. Da-zu wurde im Projekt SKRIBT ein Verfahren entwi-ckelt, das sich für eine größere Grundgesamtheit an Bauwerken eines regionalen Bereiches durch-rechnen lässt und zu Verteilungen der Mehrreise-zeiten führt.

Die Untersuchungen wurden mittels eines Ver-kehrsmodells am Beispiel von Nordrhein-Westfalen durchgeführt. Als Maß der Kritikalität von Bauwer-ken werden die Mehrreisezeiten angesetzt, die durch die Voll- oder Teilsperrung von Netzelemen-ten verursacht werden. Bei der Untersuchung soll-ten bestimmte Rahmenbedingungen Anwendung finden:

� Es werden nur absolute Veränderungen der Reisezeiten betrachtet. Dies ermöglicht die Vergleichbarkeit der Maßnahmen untereinander und die Übertragbarkeit in andere Regionen.

� Bei der Ermittlung der Mehrreisezeiten wird ge-nerell ein Korrekturfaktor mit einbezogen. Die Ausprägung der tageszeitlichen Belastungs-schwankungen auf den einzelnen Bauwerken ist sehr unterschiedlich, dies wird durch den Korrekturfaktor berücksichtigt.

� Eine Differenzierung der Bauwerke nach Lage innerorts/außerorts ist sinnvoll, da sich die Höhe der Mehrreisezeiten deutlich unterschei-det. Die Netzdichte innerhalb von Ortschaften ist generell höher als außerhalb, weshalb bei Ausfall eines Bauwerks vermehrt kleinräumige Alternativrouten gesucht und gefunden werden. Bei betroffenen Netzelementen in Außerortsla-ge sind oft größere Umwegfahrten in Kauf zu nehmen, die entsprechende Mehrreisezeiten mit sich bringen.

Die Untersuchungen an 150 Bauwerken zeigen, dass sich diese hinsichtlich der Mehrreisezeiten und der daraus abgeleiteten Kritikalität deutlich voneinander unterscheiden.

2.5 Verfahren zur Identifizierung kriti-scher Bauwerke

2.5.1 Vorfilterung des Bauwerksbestandes

Um feststellen zu können, welche Bauwerke eine besondere Kritikalität aufweisen, wurde in SKRIBT ein Verfahren entwickelt, das erstmalig eine ganz-heitliche Untersuchung nach verschiedenen Scha-denskriterien ermöglicht, genaueres hierzu siehe Kap.3. Vor der detaillierten Einzelbewertung der Bauwerke sollte, insbesondere bei einem größeren Bauwerksbestand, zunächst eine Vorfilterung des Bauwerksbestandes erfolgen. In der Bundesrepub-

lik Deutschland gibt es z. B. ca. 39.000 Brücken-bauwerke im Zuge von Bundesfernstraßen. Um den Aufwand für das Filtern dieser großen Bau-werksanzahl auf ein sinnvolles Maß zu begrenzen, wird empfohlen, die neuralgischen Stellen im Stra-ßennetz zu klären.

Die verkehrsbezogene Objektanalyse im Rahmen von SKRIBT hat gezeigt, dass die volkswirtschaftli-chen Folgekosten einer zerstörten Brücke infolge Energie-, Umwelt- und Verlustzeitkosten um ein vielfaches höher sind als die der eigentlichen Schadensbehebung am Objekt. Vor diesem Hin-tergrund sollte der Schwerpunkt auf hoch bis sehr hoch beanspruchte Netzabschnitte gelegt werden.

Ein weiteres Kriterium ist die Erreichbarkeit wichti-ger Infrastrukturen. So kann z. B. eine Brücke als einziger Zubringer zu einer Insel oder zu einem Flughafen hoher Bedeutung ein exponiertes Objekt darstellen. Auch die Symbolkraft eines Bauwerks ist zu berücksichtigen.

Die genannten vorrangigen Suchkriterien werden ergänzt um die Identifizierung möglicher Redun-danzen wie beispielsweise bei einer Brücke mit zwei getrennten Überbauten. Im Schadensfall können hier sehr schnell Verkehrsumleitungen über den noch intakten Überbau eingerichtet wer-den. Dies führt zu geringeren Behinderungen im Netz, so dass diese Bauwerke eher nachrangig be-trachtet werden sollten. Das gleiche trifft bei Bau-werken zu, für die leistungsfähige Umleitungsmög-lichkeiten bei einer Vollsperrung zur Verfügung stehen.

Da alle Bauwerksdaten, z. B. der Brücken im Zuge von Bundesfernstraßen, im gleichnamigen Teilsys-tem der Straßeninformationsbank elektronisch zur Verfügung stehen und mit Netz- sowie Verkehrsda-ten vernetzt werden können, liegt es nahe, diese existierenden Datenbanken elektronisch auszuwer-ten. Diese Suche kann im Rahmen des Projektes jedoch nicht automatisiert zur Verfügung gestellt werden und bleibt weiteren Forschungsvorhaben vorbehalten. Das Ziel muss sein, in Zukunft elekt-ronische Suchroutinen für die Bauwerksdaten zur Verfügung zu haben, um die Bauwerke zu filtern.

2.5.2 Anwendung des Verfahrens

Nach der oben beschriebenen Vorfilterung des Bauwerksbestandes sind die kritischen Bauwerke mit Hilfe des Verfahrens zur Identifizierung kriti-scher Bauwerke zu ermitteln. In den zuvor be-schriebenen Kapiteln wurden die Bedrohungen und die daraus resultierenden Einwirkungen dar-gestellt. Diese wiederum erzeugen Schäden, die es zu beschreiben und zu bewerten gilt. Bau-werksschäden werden durch Schadensklassen und Wiederherstellungskosten beschrieben, für Nutzer wird der Schaden durch einen gewichteten

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Schutz kritischer Brücken und Tunnel

Risikoerwartungswert angegeben. Für den Verkehrwird ein volkswirtschaftlicher Schaden durch Mehrreisezeiten angegeben. Alle diese Grßen haben Einfluss auf die Beurteilung der Kritiklität von Bauwerken. Es bedarf nun einer Synthse, in der die drei Größen zusammengeführtbewertet werden. Abbildung 4 zeigt die Struktur dieses Verfahrens.

Abbildung 4: Struktur des Identifizierungsverfahrens

Im Rahmen der Synthese werden die differiereden Größen in ein Bewertungsschema überführt, dessen skalare Größen für alle Eingangswerte adaptierbar sind. Aus den Schadensgrößen weden somit Bewertungsgrößen, die einen direkten Vergleich erlauben.

Danach ist es möglich, für ein Bauwerk getrennt zu jedem Initialereignis einen Kritikalitätswert der einzelnen Bewertungsgruppen Bauwerk, Nutzer und Verkehr vorzunehmen. Diese Einzelbeurtelungen können im Rahmen des Verfahrens über Zwischenschritte zu einer so genannten gemitteten Gesamtkritikalität zusammengeführt werden. Die gemittelte Gesamtkritikalität spiegelt somit enen Mittelwert der Einzelbeurteilungen aller btrachteten Initialereignisse wieder.

Eine absolute Bewertung der gemittelten Gesamkritikalität ist derzeit noch nicht möglich, da im Rahmen der Projektbearbeitung die Festlegung von Grenzwerten nicht möglich wares politischer oder gar gesellschaftspolitischer Astimmungen und Vorgaben. MöglichRelativbewertung der Bauwerke untereinan

2.6 Zusätzliche Schutzmaßnahmen

Das zuvor beschriebene Identifizierungsverfahren weist die Kritikalität der Bauwerke aus. Es stellt sich nun die Frage, wie diese Kritikalitätforderlich, verringert werden kanngrundsätzlich durch den Einsatz vSchutzmaßnahmen erfolgen. Zunächst klärt werden, gegen welches SchadensZusatzmaßnahmen ergriffen und/oder Grundschutz umgesetzt werden soll. Letzterer ist ein Schutz gegen mehrere Ereignisse

Schutz kritischer Brücken und Tunnel

Risikoerwartungswert angegeben. Für den Verkehr Schaden ermittelt und

durch Mehrreisezeiten angegeben. Alle diese Grö-fluss auf die Beurteilung der Kritika-

tät von Bauwerken. Es bedarf nun einer Synthe-zusammengeführt und

zeigt die zugehörige

Struktur des Identifizierungsverfahrens

Im Rahmen der Synthese werden die differieren-Bewertungsschema überführt,

en skalare Größen für alle Eingangswerte adaptierbar sind. Aus den Schadensgrößen wer-den somit Bewertungsgrößen, die einen direkten

Danach ist es möglich, für ein Bauwerk getrennt zu jedem Initialereignis einen Kritikalitätswert der inzelnen Bewertungsgruppen Bauwerk, Nutzer

und Verkehr vorzunehmen. Diese Einzelbeurtei-lungen können im Rahmen des Verfahrens über Zwischenschritte zu einer so genannten gemittel-ten Gesamtkritikalität zusammengeführt werden.

ät spiegelt somit ei-nen Mittelwert der Einzelbeurteilungen aller be-

Eine absolute Bewertung der gemittelten Gesamt-noch nicht möglich, da im

Rahmen der Projektbearbeitung die Festlegung war. Hierzu bedarf

es politischer oder gar gesellschaftspolitischer Ab-Möglich ist aber eine

Relativbewertung der Bauwerke untereinander.

maßnahmen

Das zuvor beschriebene Identifizierungsverfahren Bauwerke aus. Es stellt

Kritikalität, falls er-forderlich, verringert werden kann. Dies kann

lich durch den Einsatz von geeigneten hmen erfolgen. Zunächst sollte ge-

klärt werden, gegen welches Schadensereignis fen und/oder ob ein

Grundschutz umgesetzt werden soll. Letzterer ist Ereignisse, deren In-

tensität aber nicht mit der ungünstigsten rücksichtigt wird. Für die Beantwortung der Fragewer oder was und ggfls. wie stark men geschützt werden soll, bedarf es ge von Politik oder gar Gesellden muss, welche finanziellen Mittelhung der zivilen Sicherheit von Verkehrsbauweken aufbringen will und kannnen Bauwerken stehen bei der Beantwortung diser Frage neben den volkswirtschaftlichen Aspeten vor allem auch betriebswirtschaftliche Gsichtspunkte (Absicherung dtrachtung der Lebenszykluskosten, langfristige Gewinnmaximierung, etc.) im Vordergrund.

Wenn feststeht, wogegen das Bauwerk geschützt werden soll, ist zu klären, ob bauprojekt oder ein bereits bestehendes Bauwerk handelt. Bei neuen Bauwerken ist das Angebot möglicher Schutzmaßnahmen gröNachrüstung, da bestimmte Maßnahmen lich nicht mehr oder nur mit unvertretbar großem Aufwand umgesetzt werden können. Die möglchen Schutzmaßnahmen können

� bautechnischer,

� betriebstechnischer oder

� organisatorischer Art sein.

Die Maßnahmen sollen dabei zum einen das Bawerk und zum anderen die Nutzer vor extremen Ereignissen schützen. Darüberin welcher Weise die Maßnahmen wirkann durch die Reduzierung der Eintrittswahscheinlichkeit des Ereignisses geschehen oder durch die Minderung des Schadensausmaßes. Für die Entscheidung, welches geeignete Maßnahmen sind, sind unter Berücksichtigung der objektspezifschen Gegebenheiten deren Wirksamkeit auch Wirtschaftlichkeit nachzuweisen. Ferner bdarf es einer gesellschaftlichen Akzeptanz, die ene ethische und rechtliche Absicherung bedingt.

Im Rahmen des Projekts SKMaßnahmenanalyse insgesamt 139 mögliche Schutzmaßnahmen identifiziertdavon ausgewählt und in der Wirksamkeitsanalyse von Maßnahmen vertieft betrachtetBetrachtungen umfassten die UntersuchungenMaßnahmenwirksamkeit sowie lichen Nutzens. Letzteres erfolgtner Wirksamkeits-Kosten-Analyse4 und 5 wird abschließend eine lung zum Einsatz der 45 Schutzmaßnahmengeben. Diese Empfehlungen erlaubenÜberblick, dennoch ist die Auswahl zelfall und objektbezogen zu treffen.

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tensität aber nicht mit der ungünstigsten Größe be-die Beantwortung der Frage,

wie stark durch Maßnah-bedarf es einer Aussa-

Politik oder gar Gesellschaft, die entschei-welche finanziellen Mittel sie zur Erhö-

der zivilen Sicherheit von Verkehrsbauwer-kann. Bei privat betriebe-

nen Bauwerken stehen bei der Beantwortung die-ser Frage neben den volkswirtschaftlichen Aspek-ten vor allem auch betriebswirtschaftliche Ge-sichtspunkte (Absicherung der Einnahmen, Be-trachtung der Lebenszykluskosten, langfristige Gewinnmaximierung, etc.) im Vordergrund.

wogegen das Bauwerk geschützt ob es sich um ein Neu-

ein bereits bestehendes Bauwerk Bei neuen Bauwerken ist das Angebot

möglicher Schutzmaßnahmen größer als bei der Nachrüstung, da bestimmte Maßnahmen nachträg-

nicht mehr oder nur mit unvertretbar großem Aufwand umgesetzt werden können. Die mögli-chen Schutzmaßnahmen können

Die Maßnahmen sollen dabei zum einen das Bau-werk und zum anderen die Nutzer vor extremen Ereignissen schützen. Darüber hinaus ist wichtig, in welcher Weise die Maßnahmen wirken. Dies

Reduzierung der Eintrittswahr-des Ereignisses geschehen oder

durch die Minderung des Schadensausmaßes. Für welches geeignete Maßnahmen

sind, sind unter Berücksichtigung der objektspezifi-schen Gegebenheiten deren Wirksamkeit und auch Wirtschaftlichkeit nachzuweisen. Ferner be-darf es einer gesellschaftlichen Akzeptanz, die ei-ne ethische und rechtliche Absicherung bedingt.

Im Rahmen des Projekts SKRIBT wurden in der insgesamt 139 mögliche

ziert. Später wurden 45 in der Wirksamkeitsanalyse

betrachtet. Diese weiteren en umfassten die Untersuchungen der

sowie des volkswirtschaft-Letzteres erfolgte im Rahmen ei-

Analyse. In den Kapiteln schließend eine jeweilige Empfeh-

lung zum Einsatz der 45 Schutzmaßnahmen ge-erlauben einen guten

die Auswahl immer im Ein-objektbezogen zu treffen.

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13 Schutz kritischer Brücken und Tunnel

3 Identifizierung kritischer Bau-werke

3.1 Allgemeines

Das in Kapitel 2.5 bereits angesprochene Verfah-ren zur Identifizierung kritischer Bauwerke dient der Bestimmung der Kritikalität eines Bauwerks in Bezug auf dessen zivile Sicherheit, d.h. es soll un-ter Berücksichtigung der Eintrittswahrscheinlichkeit Bauwerke identifizieren, bei denen infolge von Ext-remereignissen hohe Schadensausmaße möglich sind. Es richtet sich an Personen, die eine sicher-heitstechnische Überprüfung von Bauwerken vor-nehmem wollen, wie z. B. die Bauwerkseigentü-mer.

Das Identifizierungsverfahren kann sowohl im Vor-feld eines Bauwerksneubaus als auch auf beste-hende Bauwerke angewendet werden. Es erlaubt die individuelle Betrachtung eines einzelnen Ver-kehrsbauwerks in seinem jeweiligen Umfeld unter Berücksichtigung der objekt- und netzspezifischen Randbedingungen.

Eine absolute Bewertung der gemittelten Gesamt-kritikalität ist derzeit nicht möglich, da im Rahmen der Projektbearbeitung keine Grenzwerte festge-legt wurden. Hierzu bedarf es eines gesellschafts-politischen Konsens. Möglich ist allerdings eine Relativbewertung der Bauwerke untereinander.

Die Notwendigkeit, kritische Bauwerke zu identifi-zieren, besteht in vielen Zuständigkeitsbereichen. Bauwerkseigentümer, Bauwerksbetreiber, Bau-werksplaner, Einsatzdienste u.v.m. sollen Informa-tionen über den Status der zivilen Sicherheit des jeweiligen Bauwerks nutzen können. Die unter-schiedlichen Blickwinkel dieser Institutionen ver-bunden mit unterschiedlichen Schwerpunkten in der Bestimmung der Kritikalität finden sich im Iden-tifizierungsverfahren wieder.

Im Folgenden werden das Identifizierungsverfah-ren und seine Anwendung bei Tunneln zusammen-fassend erläutert. Zu den theoretischen Grundla-gen und der Anwendung bei Brücken wird auf den entsprechenden Bericht „Objektanalyse - Identifi-zierung kritischer Bauwerke“ [3] verwiesen.

3.2 Initialereignisse

Zur Beurteilung der Kritikalität ist Wissen über die Wirkungen möglicher Ereignisse auf die Zielgrößen Bauwerk, Nutzer und Verkehr in der zivilen Sicher-heit von Bauwerken im Zuge von Straßen eine grundlegende Voraussetzung. Daher wurden zu-nächst verschiedene Initialereignisse definiert, die auf den Erkenntnissen der Bedrohungsanalyse (s. Kap. 2.3 beruhen. Im Rahmen dieser Bedrohungs-

analyse wurden die Ereigniskategorien Brand, Ex-plosion, Kontamination sowie Naturereignisse als relevant identifiziert. Mechanische Einwirkungen besitzen unter Beachtung des Risikoansatzes (Ein-trittswahrscheinlichkeit • Ausmaß) eine vergleichs-weise geringere Relevanz und werden dement-sprechend im Rahmen dieses Verfahrens nicht weiter betrachtet.

Die folgenden Initialereignisse bilden die Aus-gangspunkte für die Entwicklung der maßgeben-den Szenarien und damit für die Ermittlung der Eingangswerte in das Identifizierungsverfahren.

3.2.1 Brand

Generell besteht bei Bränden ein großes Ausbrei-tungspotential und damit eine große Gefahr, dass es zu einem Brandüberschlag auf weitere Fahr-zeuge und Anlagenteile des Verkehrsbauwerks kommen kann. Im Tunnel würde ein Brandüber-schlag den Verlauf der folgenden Ereignisse sowie den anzunehmenden Temperatur-Zeit-Verlauf und damit die Auswirkungen auf das Tunnelbauwerk verändern. Deshalb ist für Tunnelbauwerke eine Unterscheidung in Initialbrände „ohne Brandüber-schlag“ und „mit Brandüberschlag“ vorzunehmen.

Die Initialereignisse in der Ereigniskategorie Brand sind:

� Kontinuierlicher Lachenbrand (ohne / mit Brandüberschlag)

Ein Lachenbrand kann durch menschliches / tech-nisches Versagen oder durch Terrorismus bzw. andere kriminelle Handlungen ausgelöst werden. Aus einem Tankwagen tritt kontinuierlich Benzin aus und entzündet sich sofort. Auf bzw. in einem Bauwerk verteilt sich die sich bildende Benzinlache in Abhängigkeit der örtlichen Gegebenheiten (z. B. Gefälle) und brennt unter Rauch- und Hitzebildung ab. Der Leitstoff Benzin steht hierbei stellvertretend für alle in Deutschland transportierten brennbaren Flüssigkeiten.

� Spontaner Lachenbrand (ohne / mit Brandüberschlag)

Im Vergleich zum kontinuierlichen Lachenbrand tritt der Leitstoff Benzin beim spontanen Lachen-brand mit einer wesentlich höheren Freisetzungs-rate aus dem Tankwagen aus. Die auslösenden Ereignisse sind denen des Initialereignisses „Kon-tinuierlicher Lachenbrand“ ähnlich, erzeugen aber einen wesentlich größeren Schaden am Tankfahr-zeug und somit eine rund 15-mal größere Freiset-zungsrate. Das Benzin brennt direkt unter großer Hitze- und Rauchentwicklung ab.

� Freistrahlbrand (ohne / mit Brandüberschlag)

Der Freistrahlbrand wird im Gegensatz zu den La-chenbränden nicht durch einen flüssigen, sondern

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Schutz kritischer Brücken und Tunnel 14

durch einen gasförmigen Brennstoff verursacht. Der Leitstoff Propan steht dabei stellvertretend für alle in Deutschland auf der Straße transportierten hochentzündlichen Gase. Das druckverflüssigt in Tanks/Flaschen transportierte Gas wird infolge vorsätzlicher krimineller Handlungen (z. B. infolge eines terroristischen Anschlags) oder aufgrund von menschlichem / technischem Versagen (z. B. Un-fall) freigesetzt, sofort entzündet und brennt unter großer lokaler Hitzeentwicklung in Form einer Stichflamme ab.

3.2.2 Explosion

Die Initialereignisse in der Ereigniskategorie Ex-plosion sind:

� Boiling Liquid Expanding Vapour Explosion (BLEVE)

Der BLEVE ist aufgrund seiner Charakteristik und seiner Wirkungsweise als Initialereignis im Grenz-bereich zwischen den Ereigniskategorien Brand und Explosion einzuordnen.

In seinem Verlauf kommt es zunächst aufgrund von menschlichem / technischem Versagen oder durch Terrorismus bzw. andere kriminelle Hand-lungen zur Beschädigung eines Tankwagens, der den hochentzündlichen Leitstoff Propan transpor-tiert. Durch das so entstandene Leck tritt spontan gasförmiges Propan aus, entzündet sich und brennt zunächst ruhig ab. In dieser Phase ähnelt der BLEVE den zuvor beschriebenen Bränden. Durch die Erhitzung des Tanks beginnt allerdings in der Folge das im Tank enthaltene Propan zu verdampfen und erhöht kontinuierlich den Tankin-nendruck. Der Druck steigt an bis die von der Hitze geschwächten Tankwände spontan bersten. Es tritt daraufhin eine große Menge Gas aus, die sich entzündet und eine gewaltige Explosion verur-sacht. Der so entstehende Feuerball enthält bren-nende Bestandteile in gasförmiger sowie in flüssi-ger Form.

� Detonation Lkw-Ladung

� Detonation Pkw-Ladung

� Detonation Koffer-Ladung

Die Detonations-Initialereignisse sind Ausgangs-punkt für die Entwicklung klassischer Explosions-szenarien, deren Wirkungsweise in erster Linie durch eine stark exotherme Reaktion des Explo-sivstoffes und den resultierenden Druck der Deto-nation geprägt ist. Der Leitstoff in diesen Initialer-eignissen ist Trinitrotoluol (TNT), der durch eine vorsätzlich begangene, kriminelle Handlung, z. B. im Rahmen eines terroristischen Akts, aktiviert wird. Dazu wird im Fall des Initialereignisses „De-tonation Lkw-Ladung“ eine große Menge, im Fall des Initialereignisses „Detonation Pkw-Ladung“ ei-ne mittlere Menge TNT durch ein geeignetes

Transportfahrzeug an den Ereignisort gebracht, platziert und gezündet. Im Fall des Initialereignis-ses „Detonation Koffer-Ladung“ wird davon ausge-gangen, dass eine kleine Menge TNT durch ein Fahrzeug oder auf anderem Wege an bzw. in das Verkehrsbauwerk gebracht wird. Die kleinere Men-ge TNT ermöglicht im Vergleich zu den größeren Mengen einen geringeren Abstand zum anvisierten Schadensort. Durch diese Unterscheidung in den Detonations-Initialereignissen können die Einflüsse der entscheidenden Einflussparameter „Abstand zum Schadensort“ und „Ladungsmenge“ auf die Wirkung einer Explosion entsprechend berücksich-tigt werden.

Der Leitstoff TNT steht hier stellvertretend für alle möglichen Explosivstoffe.

3.2.3 Kontamination

Die Initialereignisse in der Ereigniskategorie Kon-tamination sind:

� Kontinuierliche Kontamination

� Spontane Kontamination

Die Kontamination der Zielgrößen Bauwerk, Nutzer und Verkehr kann durch die Einwirkung von che-mischen, biologischen, radiologischen oder nukle-aren (CBRN-) Gefahrstoffen geschehen. Der aus-gewählte Leitstoff in diesen Initialereignissen ist Chlor. Chlor steht dabei stellvertretend für alle in Deutschland auf Straßen transportierten Schwer-gase mit Schadwirkung auf Bauwerke und Nutzer. Er wird infolge einer terroristischen bzw. anderen kriminellen Handlung oder durch menschliches / technisches Versagen (hier: schwerer Unfall) in großer Menge freigesetzt und breitet sich in Ab-hängigkeit von den Umgebungsrandbedingungen aus. Der entscheidende Unterschied zwischen den oben genannten beiden maßgebenden Kontamina-tions-Initialereignissen liegt in der Freisetzungsra-te: Im Initialereignis „Spontane Kontamination“ wird im Vergleich zur kontinuierlichen Kontamination ei-ne rund neunmal größere Menge Chlorgas in der gleichen Zeitspanne freigesetzt.

3.2.4 Wasser / Temperatur / Wind

Die Initialereignisse in der Ereigniskategorie Was-ser / Temperatur / Wind sind:

� (Spontane) Überflutung

Bei Unterwassertunneln mit Wannenausrundung besteht die Gefahr einer spontanen Überflutung in-folge einer kriminellen Tat (z. B. terroristischer An-schlag) oder eines schweren Unfalls aufgrund menschlichen / technischen Versagens.

Eine ausreichend starke Detonation kann zu einem örtlichen Versagen der Tunnelkonstruktion führen, sodass Wasser in den Tunnel einströmen kann. Ausgehend von dieser Öffnung in der Decke in

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15 Schutz kritischer Brücken und Tunnel

Tunnelmitte verteilt sich das eintretende Wasser zu beiden Portalen hin gleichmäßig, bis der Tunnel in Abhängigkeit von den vorherrschenden Randbe-dingungen (z. B. Gefälle, Leistungsfähigkeit des Entwässerungssystems, etc.) vollständig mit Was-ser gefüllt ist.

Da im Rahmen von SKRIBT keine Ereigniskombi-nationen betrachtet wurden, wird bei der Berech-nung des Schadensausmaßes das höhere Scha-densausmaß der beiden Ereignisse maßgebend.

Tunnel mit konstanter Längsneigung sind nicht ge-fährdet, da sie nicht direkt unterhalb von Gewäs-sern verlaufen und im Falle eines Hochwassers ih-re Längsneigung ein Aufstauen von Wasser inner-halb des Tunnels verhindert.

� Wind

Ein weiteres Initialereignis aus der Ereigniskatego-rie Wasser / Temperatur / Wind ist der Windein-fluss, der im Rahmen eines natürlichen Ereignis-ses auf einer Brücke auftreten kann. Die Situation entwickelt sich so schnell, dass sich zum Zeitpunkt der Windeinwirkung Verkehr auf der Brücke befin-det, da die Brücke nicht mehr rechtzeitig im Vorfeld gesperrt werden konnte.

Im Rahmen der Untersuchung seltener Starkwind-ereignisse auf Brücken wird die Windgeschwindig-keit so hoch gewählt, dass für PKW-Insassen kei-ne Gefahr durch Umkippen des eigenen Fahr-zeugs besteht. Es ist jedoch schwieriger, die Kon-trolle über ein fahrendes Fahrzeug zu behalten und die Unfallgefahr steigt. LKW können umgewor-fen oder verschoben werden und stellen damit ei-ne weitere potentielle Gefahr dar.

3.3 Szenarienentwicklung

Aus den zuvor beschriebenen Initialereignissen werden die maßgebenden Szenarien für das be-trachtete Bauwerk anhand relevanter Einflusspa-rameter entwickelt. Bauliche, betriebliche und or-ganisatorische Größen, die den Verlauf der einzel-nen Ereignisse entscheidend beeinflussen können, werden dabei berücksichtigt und führen zu Ver-zweigungen im möglichen Verlauf der Ereignisse. So entsteht aus den Initialereignissen jeweils eine Vielzahl möglicher Szenarien.

Die Szenarienentwicklung wird in Abhängigkeit vom betrachteten Bauwerkstyp und den entspre-chend vorliegenden individuellen Randbedingun-gen für das Bauwerk selbst und den Nutzer durch-geführt.

Relevante Einflussparameter für die Entwicklung der Szenarien sind im Folgenden aufgeführt:

Für das Bauwerk:

� Bauweise � Länge und Neigung � Ausstattung

Für den Nutzer:

� Zeitpunkt des Szenarieneintritts � Verkehrszustand � Faktoren für ein erhöhtes Ausmaß, z. B. viele

Busse � Erfolgreiche Detektion und Alarmierung der

Nutzer � Aktivierte Sperranlage � Aktiviertes Lüftungssystem � Weitere vorhandene und aktivierte Siche-

rungsmaßnahmen � Zeitpunkt der Fremdrettung

Die Umsetzung der Szenarienentwicklung erfolgt in strukturierter Form, z. B. unter Anwendung eines Ereignisablaufbaums. Für die sich ergebenden Szenarien werden die Wirkungen in Form von Ausmaßen und ggfls. Eintrittswahrscheinlichkeiten bestimmt und auf das Initialereignis bezogen zu-sammengefasst.

3.4 Ermittlung der Eingangsgrößen

3.4.1 Eingangsgrößen für das Bauwerk

Die Eingangsgrößen für das Bauwerk sind die initi-alereignisbezogenen Wirkungen bzw. Ausmaße der Szenarien in Form von Schadensklassen und Wiederherstellungskosten.

Für Tunnelbauwerke werden zur Ermittlung der Schadensklasse zunächst die Bauteile ermittelt, die in Bezug auf das Versagen des Gesamtsys-tems eine Relevanz besitzen. Bei der Ermittlung der relevanten Bauteile wird differenziert zwischen den statisch-konstruktiv relevanten Bauteilen und Bauteilen, die der Tunnelausstattung zuzuordnen sind. Letztere entfallen für eine Analyse zur Be-stimmung der Schadensklasse, die den Schädi-gungsgrad vom praktisch nicht geschädigten bis zum völlig zerstörten Gesamtbauwerk in mehreren Klassen wiedergibt. Der Schädigungsgrad wird an-hand der konstruktiven Schädigung und damit ver-bunden anhand des Einflusses auf die Gebrauchs-tauglichkeit, die Standsicherheit und die Verkehrs-sicherheit ermittelt.

Mit Hilfe geeigneter numerischer Methoden, ggfls. unter Ansatz von statischen Ersatzlasten, werden die szenariospezifischen Schädigungen auf Bau-teilebene ermittelt und im Hinblick auf die Auswir-kungen auf das Gesamtbauwerk extrapoliert. Die Ergebnisse werden anhand einer 5-klassigen Schadensausmaßeinteilung beurteilt. Die Scha-densklasse 1 bedeutet dabei einen geringen

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Schaden, während die Schadensklasse 5 eine vollkommene Schädigung des Bauwerks ausweist.

Die Wiederherstellungskosten bilden das zweite Element in der Beurteilung der Wirkung der Szena-rien auf Tunnelbauwerke. Sie werden auf Basis der jeweiligen Neubaukosten für das Bezugsjahr 2010 ermittelt, die mittels eines geeigneten Grund-, ei-nes Zerstörungs- und eines Abbruch- bzw. Er-schwernisfaktors den Zusatzaufwand der Sanie-rungsarbeiten gegenüber den Neubaukosten für eine angesetzte Zerstörungslänge abbilden.

3.4.2 Eingangsgrößen für Nutzer

Die Wirkungen der Initialereignisse auf die direkt betroffenen Nutzer von Brücken und Tunneln ge-hen als Eingangsgrößen in das Identifizierungsver-fahren ein und werden in Form von gewichteten Risikoerwartungswerten für die Anzahl potentiell getöteter Personen pro Ereignis abgebildet.

Für die Schadensausmaßermittlung wird das Fluchtverhalten unter den jeweiligen geometri-schen Randbedingungen abgebildet. Das komple-xe Zusammenspiel aus individuellen Eigenschaften der beteiligten Nutzer und den Einwirkungen der Schadgrößen, die sich in Art, Ausprägung und Zeitpunkt des Auftretens aus den Ereignisverläu-fen ergeben, lässt sich durch räumlich und zeitlich hochauflösende numerische Verfahren in Form von computergestützten Simulationen abbilden. Die Einwirkungen der Schadgrößen werden dabei durch die wesentlichen Einwirkungsgrößen wie z. B. Druck und Temperatur abgebildet. Es gilt zu-dem, die Wirkungen vorhandener technischer Ein-richtungen zu berücksichtigen.

Die finale Schadensausmaßermittlung erfolgt durch eine Verknüpfung des räumlichen wie zeitli-chen Wirkungsverlaufs der Schadgrößen mit dem (dadurch beeinflussten) Fluchtverhalten der direkt betroffenen Nutzer: Die Flucht der Nutzer wird durch die Wahrnehmung und das Verhalten be-stimmt. Die Beschreibung des Nutzerverhaltens basiert folglich auf einem Wahrnehmungs- und ei-nem psychologischen Verhaltensmodell. Diese ge-ben wieder, inwiefern Nutzer eine geordnete Flucht vornehmen oder sich angesichts der vorhandenen Gefahr impulsiv verhalten werden.

Szenarien mit einem zu erwartenden großen Schadensausmaß werden allgemein stärker be-achtet und damit stärker gewichtet werden, als es aufgrund des tatsächlichen Schadenerwartungs-werts angezeigt wird, d.h. ein Ereignis, das 100 Opfer verursacht, wird meist als schlimmer emp-funden als 100 Ereignisse mit je einem Opfer. Die-se Extremereignisse - wie auch die Aussicht auf Extremereignisse - führen deshalb im Vergleich zu weiteren Ereignissen zu stärkeren oder rascheren Reaktionen, wie z. B. Anpassungen von Gesetzen

und Vorschriften. In dieser Betrachtungsweise nimmt die Bedeutung von Risiken mit dem Scha-densausmaß überproportional zu. Das wird be-rücksichtigt, indem das Schadenausmaß mit einer Aversionsfunktion gewichtet wird [4]. Hierdurch er-hält man den gewichteten Risikoerwartungswert, der im Weiteren benutzt wird.

3.4.3 Eingangsgrößen für Verkehr

Die Eingangsgrößen für den Verkehr sind Mehrrei-sezeiten in [Kfz-h], die aus dem sich einstellenden Zerstörungsgrad bzw. aus der sich ergebenden Restkapazität sowie der Ausfallzeit des Bauwerks resultieren.

Die Ausfallzeit des Bauwerks bildet einen ent-scheidenden Einflussfaktor in der Beurteilung der volkswirtschaftlichen Folgekosten: Eine aufgrund des vorliegenden Schadens notwendige Teil- oder Vollsperrung des Bauwerks bedeutet einen erheb-lichen Eingriff in den Verkehrsablauf mit der Folge von Verkehrsbehinderungen bis zur Wiederinbe-triebnahme.

Ebenso wie die Ausfallzeit bilden Angaben zur Restkapazität des Bauwerks nach dem Ereignis eine entscheidende Eingangsgröße für die weite-ren Verkehrsbetrachtungen und für die Bestim-mung der Mehrreisezeiten. Sie resultiert im realen Ereignisfall aus den Betrachtungen zum Zerstö-rungsgrad im Rahmen der Schadensanalyse. Für die Analyse des Verkehrsablaufs im Rahmen des Identifizierungsverfahrens bedeutet sie eine Anga-be zur noch durch den geschädigten Tunnel leitba-ren Verkehrsmenge, angegeben als prozentualer Anteil des Leistungsvermögens vor der Beeinträch-tigung durch das jeweilige Ereignis.

Die Ermittlung der Mehrreisezeiten geschieht durch einen Vergleich des Basisfalls ohne Beein-trächtigung des Verkehrsablaufs mit dem Ereignis-fall unter Beeinträchtigung des Verkehrsablaufs für das betrachtete Teilnetz. Für die Ereignisfälle gilt es, verschiedene Beeinträchtigungsszenarien in Form von Restkapazitäten zu formulieren. Diese ergeben sich aus den Ergebnissen der Bauwerks-betrachtungen bzw. können diesen später zuge-ordnet werden.

3.4.4 Eingangsgrößen für sonstige Faktoren

Die Bewertung der sonstigen Faktoren kann gera-de im Rahmen einer bauwerksübergreifenden Ver-gleichsbetrachtung eine entscheidende Rolle spie-len. Eine erhöhte Bereitschaft, Bauwerke mit hoher gesellschaftlicher Symbolkraft zu schützen, ist für Einzelfälle zu vermuten. Um dem Anwender des Identifizierungsverfahrens eine Möglichkeit zu ge-ben, für Einzelfälle den Einfluss sonstiger Faktoren durch eine Bewertungsgröße berücksichtigen zu können, werden keine initialereignis- bzw. zielgrö-

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ßenbezogenen Eingangsgrößen ermitteltübergreifend der Kritikalitätswert durch eine Bwertungsgröße (BGSF) beeinflusst.

GGKAV = GGK • BGSF

mit: GGKAV: Gemittelte GesamtSonstiger Faktoren)

GGK: Gemittelte Gesamt

BGSF: Bewertungsgröße für Sonstige Faktoren

Abbildung 5 zeigt die sich dadurch ergebende Vorgehensweise in der Zusammenfassung der gewichteten Kritikalitätsbewertungsgrößen zu einem Wert für die Gemittelte GesamtGGK. Für die Bewertungsgröße zur Berücksichtgung des Einflusses aus Sonstigen Faktoren weden Werte zwischen minimal 1,0 und maximal 1,5 als sinnvoll erachtet.

3.5 Synthese der Eingangsgrößen

Um die verschiedenartigen Eingangsgrößen zu enem Gesamtwert zusammenfassen zu können, werden sie mittels einer Übertragungsfunktion in

Abbildung 5: Ermittlung der Gemittelten Gesamt

Schutz kritischer Brücken und Tunnel

genen Eingangsgrößen ermittelt, sondern übergreifend der Kritikalitätswert durch eine Be-

) beeinflusst.

Gemittelte Gesamt-Kritikalität (inklusive Sonstiger Faktoren)

Gemittelte Gesamt-Kritikalität

Bewertungsgröße für Sonstige Faktoren

die sich dadurch ergebende Vorgehensweise in der Zusammenfassung der gewichteten Kritikalitätsbewertungsgrößen zu einem Wert für die Gemittelte Gesamt-Kritikalität GGK. Für die Bewertungsgröße zur Berücksichti-gung des Einflusses aus Sonstigen Faktoren wer-den Werte zwischen minimal 1,0 und maximal 1,5

Synthese der Eingangsgrößen

Um die verschiedenartigen Eingangsgrößen zu ei-nem Gesamtwert zusammenfassen zu können, werden sie mittels einer Übertragungsfunktion in

dimensionslose Größen eines tungssystems überführt.

Für die Größen „Schadensklasse“, „Wiederherstelungskosten“, „Gewichteter Risikoerwartungswert“ und „Mehrreisezeiten“ wirdAnzahl an möglichen Ergebnissen aus den angsetzten Initialereignissen unter Variation der möglchen, entscheidenden Einflussparametelt, um mit dieser Stichprobe die Verteilung der Grundgesamtheit abbilden zu können. Eine geornete Aufstellung der Ergebnisse erlaubt eine Eiteilung der Klassen nach der prozentualen Vertelung der Verkehrsbauwerke. läuterte Klasseneinteilung wurde im Rahmen von SKRIBT für die Anwendung des Verfahrens pramatisch gewählt, es handelt sich hierbei nicht um eine verbindliche Vorgabe.

Die Besonderheiten für die einzelnen Einganggrößen in der Umsetzung der zuvor dargestellten prinzipiellen Vorgehensweise werden im Folgeden aufgeführt.

Ermittlung der Gemittelten Gesamt-Kritikalität (GGK) im Rahmen des Identifizierungsverfahrens

Schutz kritischer Brücken und Tunnel

dimensionslose Größen eines je 5-stufigen Bewer-

ensklasse“, „Wiederherstel-lungskosten“, „Gewichteter Risikoerwartungswert“

wird eine ausreichend große Anzahl an möglichen Ergebnissen aus den ange-setzten Initialereignissen unter Variation der mögli-chen, entscheidenden Einflussparametern ermit-telt, um mit dieser Stichprobe die Verteilung der Grundgesamtheit abbilden zu können. Eine geord-nete Aufstellung der Ergebnisse erlaubt eine Ein-teilung der Klassen nach der prozentualen Vertei-lung der Verkehrsbauwerke. Die im Weiteren er-

Klasseneinteilung wurde im Rahmen von SKRIBT für die Anwendung des Verfahrens prag-matisch gewählt, es handelt sich hierbei nicht um eine verbindliche Vorgabe.

Die Besonderheiten für die einzelnen Eingangs-größen in der Umsetzung der zuvor dargestellten

nzipiellen Vorgehensweise werden im Folgen-

Kritikalität (GGK) im Rahmen des Identifizierungsverfahrens

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Schutz kritischer Brücken und Tunnel 18

3.5.1 Bewertungshintergrund Bauwerk

Die Auswahl von 5 Beurteilungsklassen orientiert sich an der Einteilung der Schadensklassen zur Bewertung der Auswirkungen von Extremereignis-sen. Die anzusetzende Übertragungsfunktion lässt folglich eine direkte Übertragung der Schadens-klassen in die Beurteilungsklassen zu.

Für die Eingangsgröße „Wiederherstellungskosten“ wurden die Wiederherstellungskosten für 241 Tun-nelbauwerke und 7.827 Brückenbauwerke anhand der im Rahmen von SKRIBT aufgestellten Kosten-tabellen für Tunnel und Brücken [5][6] berechnet. Sie bilden die Basis für die Bewertungshintergrün-de zu den Wiederherstellungskosten für Tunnel bzw. Brücken.

Grundlage für die Eingangsdaten in die Berech-nungen bilden Daten zu den im deutschen Fern-straßennetz vorhandenen Bestandsbauwerken, die aus verschiedenen Datenbanken über den Bau-werksbestand (u.a. SIB-Bauwerke [7]) entnommen und aufbereitet werden konnten.

Die für die Bestandsbauwerke im deutschen Fern-straßennetz ermittelten Wiederherstellungskosten ergeben Werte, die der Größe nach aufgestellt in Abbildung 6 wiedergegeben werden. Die Eintei-lung der Beurteilungsklassen erfolgt für 25%, 50%, 75% und 95% der Summe der betrachteten Bau-werke.

3.5.2 Bewertungshintergrund Nutzer

Die Basis für einen Bewertungshintergrund für die

Eingangsgröße „Gewichteter Risikoerwartungs-wert“ bilden Ergebnisse von im Rahmen des Ver-bundprojekts SKRIBT durchgeführten Simulatio-nen, in denen die mögliche Anzahl Getöteter bei verschiedenen Ereignissen und in verschiedenen Tunneltypen ermittelt wurde.

Enthalten sind in dem vorliegenden Bewertungs-hintergrund die Ergebnisse aus ca. 200 Simulati-onsberechnungen für Tunnel mit konstanter Längsneigung und Wannenausbildung im Längs-verlauf für alle denkbaren Szenarien, die von den Initialereignissen ausgehen können.

Die Ergebnisse der Simulationsberechnungen er-geben für jedes Initialereignis (und jede geometri-sche Ausprägung der Tunnelgestaltung) einen Ri-sikoerwartungswert. Die so ermittelten Risikoer-wartungswerte werden in Klassen zusammenge-fasst und in einer Häufigkeitsverteilung abgebildet.

Weitere Anhaltspunkte für eine Einteilung der Risi-koerwartungswerte-Verteilung in Beurteilungsklas-sen liefern Werteaufstellungen, in denen die Simu-lationsergebnisse der Größe nach sortiert aufge-führt werden.

Abbildung 7 zeigt die Größenaufstellungen für die vorliegenden Risikoerwartungswerte für Tunnel. Wie bei den Eingangsgrößen „Wiederherstellungs-kosten“ und „Mehrreisezeiten“ wird die Grenze zur Beurteilungsklasse 5 ("kritischer Bereich") bei 95% der nach Größe sortierten, betrachteten Extremer-eignisse angenommen.

Abbildung 6: Größenaufstellung der Wiederherstellungskosten für Tunnel

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19 Schutz kritischer Brücken und Tunnel

3.5.3 Bewertungshintergrund Verkehr

Der Bewertungshintergrund für die Eingangsgrö-ßen „Mehrreisezeiten“ der Zielgröße „Verkehr“ wurde anhand von Umlegungsberechnungen unter Ansatz eines Verkehrsmodells ermittelt. Basis für diese Berechnungen bildet das Straßennetz in Nordrhein-Westfalen mit den darin verorteten Ver-kehrsbauwerken. Die Betrachtungen der Auswir-kungen einer Vollsperrung (Restkapazität 0%) so-wie einer Teilsperrung (Restkapazität 50%) erfolg-ten für 150 nach Relevanz ausgewählte Verkehrs-bauwerke. Aus der Bauwerksdatenbank SIB-

Bauwerke [6] wurden Daten zu 6.100 Bauwerken herausgefiltert. Diese Bauwerke wurden in das NRW-Netz implementiert und die Mehrreisezeiten berechnet.

Die der Größe nach aufgestellten Mehrreisezeiten bei Vollsperrung sind in Abbildung 8 wiedergege-ben. Die Einteilung der Beurteilungsklassen erfolgt analog zur Vorgehensweise bei den anderen Ziel-größen für 25%, 50%, 75% und 95% der Summe der betrachteten Bauwerke.

Abbildung 7: Größenaufstellung der gewichteten Risikoerwartungswerte

Abbildung 8: Größenaufstellung für Mehrreisezeiten bei Vollsperrung

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Schutz kritischer Brücken und Tunnel 20

3.5.4 Synthese der Einzel-Beurteilungsgrößen

Die einzelnen Beurteilungsgrößen können nun zielgrößenübergreifend bzw. initialereignisüber-greifend zusammengefasst werden und liefern so Aussagen über die Kritikalität des betrachteten Verkehrsbauwerks im Hinblick auf die einzelnen Zielgrößen bzw. Initialereignisse.

(A) Vorgehensweise für eine zielgrößenübergrei-fende Zusammenfassung:

BGIE i = (αBS • EBGBS + αBW • EBGBW) + αN • EBGN +

αV • EBGV

wobei: (αBS + αBW) + αN + αV = 1,0

mit BGIE i : Kritikalitätsbewertungsgröße für ein Initialereignis i

EBGBS : Einzel-Beurteilungsgröße Bauwerk/Schadensklasse

αBS : Gewichtungsfaktor Bauwerk/Schadensklasse

EBGBW : Einzel-Beurteilungsgröße Bauwerk/Wiederherstellungskosten

αBW : Gewichtungsfaktor Bauwerk/Wiederherstellungskosten

EBGN : Einzel-Beurteilungsgröße Nutzer

αN : Gewichtungsfaktor Nutzer

EBGV : Einzel-Beurteilungsgröße Verkehr

αV : Gewichtungsfaktor Verkehr

Zu beachten ist bei der Zusammenfassung der Einzel-Beurteilungsgrößen zu Bewertungsgrößen, dass eine Bewertung der Zielgröße Bauwerk über die beiden Komponenten „Schadensklasse“ und „Wiederherstellungskosten“ und damit über eine Kombination der zugehörigen Einzel-Beurteilungsgrößen erfolgt. Erst zusammen be-trachtet ist eine bewertende Aussage zur Wirkung eines Initialereignisses auf das Bauwerk an sich möglich.

(B) Vorgehensweise für eine initialereignisüber-

greifende Zusammenfassung:

���� � � � · ��� � �

��

wobei: ∑ ��� � 1,0

mit BGZG i: Kritikalitätsbewertungsgröße für eine Zielgröße i

EBG IE j : Einzel-Beurteilungsgröße Initialereignis j

βj : Gewichtungsfaktor Initialereignis j

n : Gesamtanzahl der betrachteten Initial-ereignisse

Der Anwender des Identifizierungsverfahrens steht bei der Auswahl der Gewichtungsfaktoren in einer besonderen Verantwortung, auf die an dieser Stel-le hingewiesen werden muss: Vertreter der Bau-werkseigentümer, der Bauwerksbetreiber, der Bauwerksplaner, der Einsatzdienste oder anderer Institutionen aus dem Bereich der zivilen Sicherheit betrachten die Thematik aus verschiedenen Blick-winkeln und bewerten die Relevanz der einzelnen Initialereignisse und Zielgrößen unterschiedlich. Die einzelnen Schwerpunkte können im Rahmen der Synthese durch den Anwender gesetzt wer-den. Dabei sollte das Maß der Betonung so ausfal-len, dass sich die anwendergruppenbezogenen Schwerpunkte für die Initialereignisse sowie für die Zielgrößen in den entstehenden Bewertungsgrö-ßen wieder finden, die relevanten Einflüsse aus den weiteren Initialereignissen bzw. den anderen Zielgrößen aber nicht vernachlässigt werden.

In der Synthese der Einzel-Beurteilungsgrößen werden Werte zu Bewertungsgrößen zusammen-gefasst. In diesem Prozess wiegen sich gute und schlechte Beurteilungen gegeneinander auf und führen zu einer Gesamtbewertung. Kritische Beur-teilungsgrößen werden im Rahmen der Gesamtbe-trachtung (korrekterweise) relativiert. Eine höhere Gewichtung einzelner Größen kann diesen Effekt in der Zusammenfassung weitergehend verstär-ken. Um erste Hinweise auf mögliche Verbesse-rungsstellen des betrachteten Verkehrsbauwerks in Bezug auf dessen zivile Sicherheit, die durch Einzel-Beurteilungsgrößen mit kritischen Werten ≥ 4,5 gegeben werden, im Rahmen des Identifizie-rungsverfahrens in die Bewertung mit einbeziehen zu können, ist eine separate Ausweisung der kriti-schen Einzel-Beurteilungsgrößen unter Angabe der zugehörigen Zielgröße und des zugehörigen Initialereignisses notwendig.

3.6 Bewertung der Kritikalität

Für die Bewertung der Kritikalität des betrachteten Verkehrsbauwerkes werden die einzelnen Bewer-tungsgrößen zu den Initialereignissen bzw. den Zielgrößen weitergehend zusammengefasst zu ei-nem Gemittelten Gesamt-Kritikalitätswert GGK. In dieser Vorgehensweise können ebenfalls Schwer-punkte in der Betrachtung gesetzt werden. Für die Auswahl der Gewichtungsfaktoren gelten die Aus-führungen im Kapitel 0 entsprechend.

(A) Vorgehensweise für eine zielgrößenübergrei-

fende Zusammenfassung:

GGK = αB * BGB + αN * BGN + αV * BGV

wobei: αB + αN + αV = 1,0

mit GGK: Gemittelte Gesamt-Kritikalität

BGB : Kritikalitätsbewertungsgröße Bauwerk

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21 Schutz kritischer Brücken und Tunnel

αB : Gewichtungsfaktor Bauwerk

BGN : Kritikalitätsbewertungsgröße Nutzer

αN : Gewichtungsfaktor Nutzer

BGV : Kritikalitätsbewertungsgröße Verkehr

αV : Gewichtungsfaktor Verkehr

(B) Vorgehensweise für eine initialereignisüber-

greifende Zusammenfassung:

GGK � � β� · BG�� ��

���

wobei: ∑ ����� � 1,0

mit GGK: Gemittelte Gesamt-Kritikalität

BGIE i : Kritikalitätsbewertungsgröße Initialereignis i

βi : Gewichtungsfaktor Initialereignis i

n : Gesamtanzahl der betrachteten Initialer-eignisse

Die so bestimmte Gemittelte Gesamt-Kritikalität GGK kann zur Berücksichtigung Sonstiger Fakto-ren gemäß den Ausführungen in Kapitel 3.4.4 durch eine zugehörige Bewertungsgröße BGSF in die endgültige Bewertungsgröße GGKAV („Aversi-on“) für die Kritikalität des betrachteten Verkehrs-bauwerkes überführt werden:

GGKAV = GGK * BGSF

mit: GGKAV: Gemittelte Gesamt-Kritikalität (inklusive Sonstiger Faktoren)

GGK: Gemittelte Gesamt-Kritikalität

BGSF: Bewertungsgröße für Sonstige Faktoren

Zudem sind die kritischen Einzel- Beurteilungsgrö-ßen (Wert ≥ 4,5) mit der Angabe der zugehörigen Zielgröße und des zugehörigen Initialereignisses entsprechend auszuweisen.

Weist die Gemittelte Gesamt-Kritikalität einen Wert ≥ 4,5 auf, so werden im Sinne der Zivilen Sicher-heit genauere objektspezifische Untersuchungen empfohlen.

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Schutz kritischer Brücken und Tunnel 22

4 Schutzmaßnahmen für Brü-cken und ihre Nutzer

4.1 Allgemeines

Im Folgenden werden Empfehlungen für 18 nach derzeitigem Erkenntnisstand realisierungsfähige und realisierungswürdige Maßnahmen zum Schutz von Brücken und ihren Nutzern ausgesprochen.

Sie sind Ergebnis der „Wirksamkeitsanalyse von Maßnahmen“, [8][9][10] in der sie auf ihre Wirkung bei den in der „Bedrohungsanalyse“ [11] erarbeite-ten Initialereignissen Brand, Explosion, Kontamina-tion, Überflutung, Wind und Anprall untersucht wurden. Hierbei sind einige Maßnahmen auf eine

bestimmte Ereigniskategorie zugeschnitten, ande-re decken verschiedene ab. Berücksichtigt wurden zudem die gesellschaftlichen Akzeptanz sowie be-triebs- und volkswirtschaftliche Aspekte.

Es handelt sich um bautechnische, betriebliche und organisatorische Maßnahmen, für deren Um-setzung Bauwerkseigentümer, Bauwerksbetreiber oder die Einsatzdienste verantwortlich sind.

Die Maßnahmen wirken zum überwiegenden Teil ausmaßmindernd im Ereignisfall, einige verhindern den Eintritt eines Ereignisses oder minimieren sei-ne Wahrscheinlichkeit. Letztere werden im Folgen-den kurz als „präventiv“ bezeichnet. Diese Maß-nahmen dienen gleichermaßen dem Bauwerks- wie dem Nutzerschutz.

Tabelle 4: Schutzmaßnahmen für Brücken

Nr. Maßnahme

BB

01

- K

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liche

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BB

02

- S

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B 01 Zugangsverhinderung X

B 02 Parkverhinderung unter Brücken X X X X X X

B 03 Verschließen der Bestandsunterlagen 1 1 1 1 X X X 1

B 04 Hochleistungsbeton als Konstruktionsbeton 2 2 X

B 05 Verstärkung/ Aufbetonschicht / Vorsatzschale aus mikrobewehrtem Hochleistungsbeton

X X X X X X X X

B 06 Verbesserter Entwurf: Statisch unbestimmtes System X X X X X X X X X X

B 07 Pfeilerscheibe statt Stütze X X X X X

B 08 Freibordvergrößerung X

B 09 Bemessung auf höhere Anpralllasten X

B 10 Anprallschutz X X

B 11 Lagerschutz X

B 12 Globale Redundanz X X X X X X X X

B 13 Windschutzwände X

B 14 Windgeschwindigkeitswarnanlage X

B 15 Pegelmessung X

B 16 Sperreinrichtungen X X X X (X) (X) (X) X X X X

B 17 Spezieller Brückennotruf X X X X (X) (X) (X) X X X X

B 18 Notfallübungen auf Brücken X X X X (X) (X) (X) X X X X

1 bei terrorstischem Hintergrund

2 aus wirtschaftlichen Gründen nicht sinnvoll

Eig

en

tüm

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ibe

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23 Schutz kritischer Brücken und Tunnel

Die ausmaßmindernden Maßnahmen werden un-terteilt in Maßnahmen zum Bauwerksschutz und Maßnahmen zum Nutzerschutz. Hierbei zielen bautechnische Maßnahmen in der Regel primär auf den Bauwerksschutz ab, dienen aber durch ei-ne erhöhte Robustheit des Bauwerks oft auch dem Nutzerschutz. Betriebliche und organisatorische Maßnahmen hingegen dienen hauptsächlich der Verbesserung des Nutzerschutzes und nur nach-geordnet dem Bauwerksschutz, indem sie bei-spielsweise Löscharbeiten begünstigen und daher eine geringere Schädigung des Bauwerks bewir-ken.

Eine Übersicht über alle untersuchten Schutzmaß-nahmen und ihre initialereignisbezogene Wirkung bietet Tabelle 4. Präventive Maßnahmen sind vio-lett, Maßnahmen zum Bauwerksschutz rot und Maßnahmen zum Nutzerschutz blau dargestellt. Ein (X) bedeutet hier, dass die Maßnahme die Nutzer nicht vor dem Ereignis selbst schützt, aber die Rettung überlebender Personen nach dem Er-eignis begünstigt.

Maßnahmen, die sich auch für eine Nachrüstung eignen, sind grau hinterlegt. Zudem sei an dieser Stelle nochmals darauf hingewiesen, dass bei De-tonationen vorausgesetzt wird, dass es sich um bewusst herbeigeführte Ereignisse mit kriminel-lem/terroristischem Hintergrund handelt, s. Kap. 3.2.2.

Zur einfachen und übersichtlichen Handhabung wurde für jede Maßnahme ein Maßnahmenblatt erstellt, in dem die Untersuchungsergebnisse in einheitlicher Struktur zusammengefasst sind. Die-se Maßnahmenblätter sind dem vorliegenden Be-richt als Anhang beigefügt. Die ausführlichen Untersuchungsergebnisse sind den Berichten zur „Wirksamkeitsanalyse von Maßnahmen“ zu ent-nehmen.

4.2 Empfehlungen für Bauwerkseigentü-mer

4.2.1 Empfehlungen zur Maßnahmenanwendung

Nachfolgend werden Empfehlungen für dreizehn bautechnische Maßnahmen ausgesprochen, die beim Entwurf, bei der Bemessung und/oder bei der Konstruktion von Brücken umgesetzt werden kön-nen.

Der Entwurf weist die größten Möglichkeiten auf, ein Tragwerk robuster zu gestalten. Im Allgemei-nen ist es sinnvoll, den Entwurf so zu gestalten, dass bestimmte Bedrohungsszenarien gar nicht erst auftreten können. Diese Möglichkeit ergibt sich beispielsweise für Anprall an einen Brückenpfeiler. Eine über eine Autobahn stützenfrei geführte Brü-cke erfährt keine Gefährdung durch dieses Szena-

rio. Wegen der größeren Stützweite, der eventuel-len Veränderung der statischen Unbestimmtheit oder sogar der Änderung des Brückentyps können sich jedoch neue mögliche Schwachstellen im Be-zug auf andere Bedrohungsszenarien ergeben.

Aus dem Entwurf folgt unter Ansatz bestimmter festgelegter Einwirkungen die entsprechende Be-messung. Aus der Bemessung folgen wiederum die benötigten Abmessungen, um die auftretenden Einwirkungen aufnehmen zu können. Es ergibt sich also die Möglichkeit, für eintretende Bedro-hungsszenarien zu bemessen. Dies bedeutet im Allgemeinen, dass das Bauwerk auf erhöhte Las-ten bzw. erhöhte innere Kräfte aufgrund von mög-lichen Umlagerungen bemessen wird, was übli-cherweise zu größeren Abmessungen, robusteren Materialien bzw. größeren Bewehrungsmengen führt.

Zur Konstruktion zählen Maßnahmen, die ergän-zend zu Entwurf und Bemessung die Robustheit eines Bauwerks erhöhen oder die Schädigung re-duzieren.

Im Rahmen eines Neubaus sind generell alle un-tersuchten Maßnahmen möglich. Nachrüstungen und Verstärkungen sind aufgrund der Konstruktion der verschiedenen Bauwerke und örtlicher Rand-bedingungen häufig nur bedingt möglich. Maß-nahmen, die sich für eine Nachrüstung eignen, sind Tabelle 4 (grau hinterlegt) zu entnehmen, zu-dem wird hierauf am Ende der jeweiligen Empfeh-lung gesondert eingegangen.

4.2.1.1 B 01 – Zugangsverhinderung

Die Maßnahme wirkt gegen die Detonation einer Koffer-Ladung. Durch den Einsatz einbruchhem-mender Bauteile wird der Zugang zum Brückenin-nenraum, also zum Hohlkasten oder Hohlpfeiler, verhindert. Somit kann dort keine Sprengladung platziert werden und keine Innenraumdetonation eintreten.

Beim Entwurf neuer Brücken sollten Zugänge der Widerstandsklasse WK 4 (einbruchhemmende Bauteile für hohe Sicherheit) nach DIN V ENV 1627 [12] vorgesehen werden. Über WK 4 sind in der Norm noch zwei höhere Widerstandsklassen definiert, die für Hochsicherheitsbereiche vorgese-hen sind. Diese können im Einzelfall für exponierte oder besonders symbolträchtige Bauwerke vorge-sehen werden, bei denen ein Tätertyp erwartet wird, der unter Zuhilfenahme leistungsfähiger Elektrowerkzeuge agiert. Hier kann evtl. auch zu-sätzliche akustische oder optische Überwachung mit Aufschaltung zu einer Überwachungszentrale eingerichtet werden.

Bei der Bemessung ist zu berücksichtigen, dass das Schutzniveau der an den Zugang grenzenden Bauteile nicht unter dem von Tür und Schloss liegt.

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Schutz kritischer Brücken und Tunnel 24

Bei der Nachrüstung bestehender Bauwerke ist zu prüfen, ob die Zugänge mit Einstiegstüren ent-sprechend der Widerstandsklasse WK 4 nachge-rüstet werden können, wovon i.d.R. ausgegangen wird. Besonderer Wert ist auf die konstruktive Aus-bildung der Anschlussbereiche der Tür zum Bau-werk zu legen. Es ist zu gewährleisten, dass sie die gleiche Widerstandsfähigkeit haben oder er-langen, wie die Tür selbst. Ggfls. sind in diesem Bereich entsprechend der örtlichen Gegebenheiten zusätzliche Verstärkungsmaßnahmen erforderlich.

4.2.1.2 B 02 – Verschließen der Bestandsun-terlagen

Die Maßnahme wirkt gegen Ereignisse mit terroris-tischem / kriminellem Hintergrund. Für die Umset-zung wird empfohlen, die Bauwerksunterlagen dauerhaft unter Verschluss zu halten. Es sollte stets sichergestellt werden, dass die Herausgabe der Unterlagen nur an vertrauenswürdige Perso-nen oder Institutionen erfolgt, die diese für dienstli-che Zwecke benötigen.

Sollten die Bestandsunterlagen in die Hände po-tentieller Attentäter gelangen, können diese bei entsprechendem Sachverstand die Schwachstel-len der Bauwerke leicht identifizieren, bei Attenta-ten gezielt vorgehen und so den Schaden am Bauwerk sowie bei den Nutzern maximieren. Dies betrifft insbesondere Sprengstoffanschläge, weil mit geringer Ladungsmenge, z. B. einer Koffer-bombe, ein maximales Schadensausmaß erreicht werden kann. Durch Verschließen der Bestandsun-terlagen werden Informationen zurückgehalten, so dass ein Attentat schwieriger planbar ist und Atten-täter mangels Erfolgsaussichten möglicherweise ganz von einem Anschlag absehen.

Aus diesem Grund wurde auch die Bauwerksda-tenbank SIB-Bauwerke [7] als Verschlusssache – nur für den Dienstgebrauch eingestuft.

4.2.1.3 B 03 – Parkverhinderung unter Brü-cken

Die Maßnahme ist für Brand- und Explosionsereig-nisse geeignet. Die Möglichkeit zum Abstellen von Fahrzeugen wird eingeschränkt bzw. baulich ver-hindert und dadurch die Gefährdung eines Bau-werkes reduziert, im günstigsten Fall ganz ausge-schlossen. Sie wirkt nicht bei einer Kofferladung, da diese auch durch einen Fußgänger angebracht werden kann.

Es wird empfohlen, unter der Brücke ein Haltever-bot einzuplanen. Dieses muss im Betrieb konse-quent überwacht werden. Alternativ sind bauliche Maßnahmen in Form von Zäunen oder Pollern ein-setzbar, die bei höheren Investitionskosten we-sentlich geringere Betriebskosten und gleichzeitig kein Ausfallrisiko aufweisen.

Die Maßnahme eignet sich auch zur Nachrüstung bei Bestandsbauwerken.

4.2.1.4 B 04 - Hochleistungsbetone als Konstruktionsbeton

Die Maßnahme ist für Anprallszenarien geeignet und kann sich auch bei Einwirkungen aus Überflu-tung und Wind positiv auswirken. Für diese Initial-ereignisse erscheint sie jedoch aus wirtschaftlichen Gründen nicht sinnvoll.

Beim Entwurf können anprallgefährdete Bereiche von Stahlbeton-Unterbauten mit Hochleistungsbe-tonen anstelle von Normalbetonen konstruiert wer-den. Der anprallgefährdete Bereich kann analog zu DIN-FB-102, Anhang 108 [13] festgelegt werden. Eigenschaften und Zusammensetzung des Hoch-leistungsbetons sind abhängig von den Anforde-rungen des Bauherrn so zu spezifizieren, dass Duktilität und Zähigkeit des Verbundwerkstoffes maximiert werden.

Bei der Bemessung sind die Konstruktionsele-mente aus Hochleistungsbeton so zu dimensionie-ren, dass die Schäden an Bauteil und Bauwerk durch Anprallereignisse reparabel sind und die Tragfähigkeit des Bauwerks während und nach dem Ereignis gewährleistet bleibt. Es ist insbeson-dere darauf zu achten, dass die dynamischen Zu-satzkräfte, die die statischen Kräfte bis zu dreifach übersteigen können, berücksichtigt werden.

In DIN 1045-1 [14] sind die Betone der Festigkeits-klassen C12/15 bis C100/115 normativ geregelt, Betone oberhalb C50/60 gelten als hochfeste Be-tone. Für Betonfestigkeitsklassen größer als C100/115 fehlen normative Grundlagen. Hier müs-sen die jeweils gültigen Spannungs-Dehnungs-Linien zu Grunde gelegt werden, woraus unter an-derem spezielle Interaktionsdiagramme resultieren.

Eine detaillierte nichtlineare Bemessung der Struk-tur unter Anpralllasten ist aufwändig. Daher wird vereinfachend vorgeschlagen, die Elemente „nor-mal“ zu bemessen und den Normalbeton in den gefährdeten Bereichen durch Hochleistungsbeton zu ersetzen. Dies führt zu einer Vergrößerung des Widerstands gegen Anprallszenarien im Vergleich zum unverstärkten System.

Bei der Konstruktion bieten runde Strukturen sicherheitstechnische Vorteile gegenüber recht-eckigen Querschnitten.

4.2.1.5 B 05 - Verstärkung / Aufbetonschicht / Vorsatzschale aus mikrobewehrtem Hochleistungsbeton

Diese Maßnahme ist sowohl gegen Explosions- und Anprallszenarien als auch gegen Brandereig-nisse. Beim Entwurf können die zugänglichen und anprallgefährdeten Bereiche von Stahlbeton-Unterbauten mit einer Vorsatzschale oder Aufbe-

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25 Schutz kritischer Brücken und Tunnel

tonschicht aus mikrobewehrtem Hochleistungsbe-ton (z. B. DUCON) versehen werden. Als zugängli-che Bereiche werden die Bereiche definiert, die ohne Hilfsmittel (Leiter, Hubsteiger, etc.) von einer Person erreichbar sind. Der anprallgefährdete Be-reich kann analog zu DIN-FB-102, Anhang 108 [13] festgelegt werden.

Die Ausbildung der Aufbetonschicht bzw. Vorsatz-schale erfolgt in Abhängigkeit von Art und Größe des vom Bauherrn geforderten Detonations- und Anprallschutzes.

Bei der Bemessung ist eine Vorsatzschale oder Aufbetonschicht so zu dimensionieren, dass die darunter liegende tragende Struktur durch die Szenarien Explosion bzw. Anprall nicht oder nur geringfügig geschädigt wird.

Da nur ungenügend normative Regelungen zur Bemessung der erforderlichen Material- und Be-triebseigenschaften von Vorsatzschalen gegen-über Explosionen und Anpralllasten existieren, werden entsprechende Detailuntersuchungen vor-geschlagen, die zur Vorbereitung einer Normge-bung führen. Erste Anhaltswerte für die Vorsatz-schale wurden aus Versuchen des Fraunhofer-Instituts für Kurzzeitdynamik gewonnen. Demnach ist die Vorsatzschale mit einer Mindestdicke von 20 cm auszuführen und Hochleistungsbetone mit ho-hen Druckfestigkeiten (z. B. 100 MPa) zu verwen-den.

Bei der Konstruktion bieten runde Strukturen sicherheitstechnische Vorteile gegenüber recht-eckigen Querschnitten. Vorsatzschalen sollten bis 2 m über die möglichen Schädigungszonen hinaus vorgesehen werden.

Die Nachrüstung bei Bestandsbauwerken ist möglich, sofern die geforderten Mindestabstände bzw. lichten Weiten durch die Verstärkung nicht unterschritten werden.

4.2.1.6 B 06 – Verbesserter Entwurf: Statisch unbestimmtes System

Die Maßnahme ist für Brandereignisse, Explosi-onsszenarien, Überflutung, Wind sowie Anprall ge-eignet.

Beim Entwurf sollten Tragwerke mit hoher stati-scher Unbestimmtheit bevorzugt werden, da hier bei einem Querschnittsausfall eine Umlagerung der Lasten erfolgen kann. So können z. B. Durch-laufträger oder Rahmentragwerke anstelle von Ein-feldträgern zum Einsatz kommen. Andere hoch-gradig statisch unbestimmte Konstruktionen sind stählerne Schrägseilbrücken oder Bogenbrücken mit abgehängter Fahrbahn.

Bei langen Bauwerken ist alternativ eine Segmen-tierung zur Begrenzung von Schadensbereichen möglich.

Im Rahmen der Bemessung sollte zum Schutz gegen Explosionsszenarien eine Ausfallbemes-sung in Analogie zu DIN EN 1991-1-7 [15] zur Si-cherstellung der Robustheit des Tragwerks erfol-gen.

Statisch unbestimmte Systeme bieten bei einer lo-kalen Querschnittsschwächung oder bei Ausfall von Tragwerksteilen die Möglichkeit einer Lastum-lagerung, auf die das restliche Tragwerk ausgelegt werden muss. Die einzelnen Ausfallszenarien für Haupt-Tragelemente müssen bauwerksspezifisch im Rahmen der Bauwerksplanung festgelegt wer-den, typische Beispiele sind die Untersuchung des Ausfalles einer Einzelstütze aus einer Stützenreihe oder die Berücksichtigung von Fehlflächen in der Fahrbahn.

4.2.1.7 B 07 – Pfeilerscheibe statt Stütze

Die Maßnahme ist für Explosionsszenarien sowie mechanische Einwirkungen geeignet. Sie verhin-dert den Stützenausfall mit möglichem Bauwerks-kollaps infolge einer Explosion, da Wandscheiben eine robustere Konstruktion darstellen als Einzel-stützen

Beim Entwurf sollten bis zu einer Entfernung von 8 m zwischen einem möglichen Explosionsort bzw. dem Fahrbahnrand keine Einzelstützen gewählt werden. Stattdessen sind Wandscheiben zu ver-wenden. Ab einem Abstand von 8 m zum mögli-chen Explosionsort sind Einzelstützen für die un-tersuchten Szenarien nicht mehr wesentlich ge-fährdet und können umgesetzt werden.

Die im kritischen Abstandsbereich von bis zu 8 m zum Explosionsort angeordneten Pfeilerscheiben (als Ersatz von Einzelstützen) erfahren durch Ex-plosionsszenarien eine Zerstörung. Bei der Be-messung ist der zerstörte Bereich durch eine run-de Fehlfläche ab Oberkante Fahrbahn bzw. mögli-cher Standfläche zu berücksichtigen.

4.2.1.8 B 08 – Freibordvergrößerung

Die Maßnahme ist für Überflutungsereignisse ge-eignet.

Als Folge des Klimawandels prognostizieren Kli-maforscher für Deutschland u. a. erhöhte Nieder-schlagsmengen [2]. Diese Erhöhung des Nieder-schlages im Einzugsgebiet eines Flusses kann in Abhängigkeit vom Flussquerschnitt zu einem deut-lichen Anstieg des Wasserpegels führen. Durch die Vergrößerung des Freibords wird die Eintrittswahr-scheinlichkeit einer spontanen Überflutung und die einer möglichen Verklausung (Zusetzen des Frei-bordes durch Treibgut) verringert.

Die Erhöhung des Freibords auf 1 m (bezogen auf das 100-jährige Hochwasserereignis) sollte unter Beachtung der örtlichen Gegebenheiten und mög-licher Änderungen des Niederschlags im Ein-

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Schutz kritischer Brücken und Tunnel 26

zugsgebiet berücksichtigt werden.

4.2.1.9 B 09 – Bemessung auf höhere Anprall-lasten

Die Maßnahme ist für mechanische Einwirkungen aus Fahrzeuganprall geeignet.

Die gültigen Normen und Regelwerke enthalten Bemessungsansätze zur Berücksichtigung von Fahrzeuganprall. Diese sind jedoch zu überprüfen, da sich im Verkehrsfluss bedeutende Änderungen einstellen können. Eine Bemessung mit neuen, aus aktuellen Verkehrsdaten ermittelten, höheren Anpralllasten führt zu einer größeren Tragwerkssi-cherheit für Anprallszenarien.

Für die Bemessung wird empfohlen, die horizon-tale Ersatzlast in Fahrtrichtung von den gegenwär-tigen 1000 kN auf 1500 kN zu erhöhen. Die hori-zontale Ersatzlast quer zur Fahrtrichtung sollte um denselben Faktor auf 750 kN angehoben werden. Passive Schutzeinrichtungen und Rückhaltesyste-me sollten (bei Einhaltung der Mindestabstände) über Reduktionsfaktoren berücksichtigt werden.

4.2.1.10 B 10 – Anprallschutz

Die Maßnahme wirkt gegen mechanische Einwir-kungen aus Fahrzeuganprall.

Beim Entwurf von Brückenpfeilern sollte die Ge-staltung von Anprallschutzmaßnahmen wie Beton-sockel und Fahrzeugrückhaltesysteme an die Empfehlung der Maßnahme „BB 06 Höhere An-pralllasten“ angepasst werden. Die hieraus resul-tierenden höheren Lasten sollten analog auch für den Anprallschutz berücksichtigt werden. Dazu sind ggfls. größere Baubreiten der Anprallschutz-maßnahmen gegenüber den aktuellen Ausführun-gen erforderlich.

Die aktuell eingesetzten Anprallschutzmaßnahmen (Betonsockel oder Fahrzeugrückhaltesysteme) sind für einen bestimmten Verkehr hinsichtlich sei-ner Dichte und Zusammensetzung ausgelegt. So-fern aber der Empfehlung zur Maßnahme B 09 – Bemessung auf höhere Anpralllasten gefolgt wird, sind bei der Bemessung die Einwirkungen aus Anprall um das 1,5-fache zu erhöhen. Bei dieser Erhöhung sollten auch die Anprallschutzmaßnah-men entsprechend angepasst werden. Das bein-haltet eine Anpassung der Bemessung des An-prallsockels für höhere Einwirkungen sowie eine Anpassung der DIN EN 1317 „Rückhaltesysteme an Straßen“ für die Anprallprüfung von Fahrzeug-rückhaltesystemen.

Der Anprallschutz kann auch als Nachrüstung re-alisiert werden. Sowohl Betonsockel als auch Fahrzeugrückhaltesysteme können nachträglich zum Schutz von Pfeilern angebracht werden, wenn ausreichend Platz für einen Sockel oder ein Rück-haltesystem zur Verfügung steht.

Beide Varianten von Schutzmaßnahmen verhin-dern zusätzlich eine Nahdetonation, da beispiels-weise Fahrzeuge auf Abstand gehalten werden.

4.2.1.11 B 11 – Lagerschutz

Der Lagerschutz ist eine realisierbare Nachrüs-tungsmaßnahme, mit der ein unmittelbares Platzie-ren von Explosionsstoffen (Kofferbombe) im La-gerbereich verhindert wird. Mit dem nachträglichen Verschluss des Lagerspaltes wird der Abstand zwischen Explosionsquelle und Lager vergrößert und somit die Schädigungswirkung signifikant ge-mindert. Der Lagerspaltverschluss dient gleichzei-tig auch der Vogelabwehr.

Für den Entwurf wird empfohlen, sofern ein La-gerspaltverschluss mit platten- oder gitterförmigen Elementen nicht bereits zum Schutz vor Ver-schmutzung vorgesehen ist, diesen zum Schutz vor Detonationen vorzusehen.

Im Rahmen der Konstruktion kann der Ver-schluss des Lagerspaltes zur Verhinderung des Ablegens von Explosionsstoffen und des Nistens von Vögeln z. B. entsprechend der Richtzeichnung VES 1 [16] oder durch Maschendrahtblenden mit Winkelprofilrahmen realisiert werden. Im Hinblick auf die Lagerinspektion im Zuge von Brückenprü-fungen ist der Lagerschutz demontierbar auszubil-den.

Mit speziellen gelochten Elementen anstelle der Maschendrahtblenden lassen sich Explosionsein-wirkungen noch weiter reduzieren. Derartige Kon-struktionen sind im Einzelfall hinsichtlich der Aus-gestaltung zu planen und zu dimensionieren.

Ein Lagerschutz ist auch bei der Nachrüstung be-stehender Bauwerke realisierbar.

4.2.1.12 B 12 – Globale Redundanz

Die Maßnahme ist geeignet für Brand- und Explo-sionsereignisse und kann auch einen Schutz für Anprall bieten. Sie dient zur Aufrechterhaltung des Verkehrs über den ungeschädigten Brückenquer-schnitt nach einem eingetretenen Ereignis, insbe-sondere bei Ereignissen auf der Brücke. Bei Brandereignissen unter der Brücke können beide Überbauten betroffen sein. In diesem Fall ist die Maßnahme nicht wirksam.

Für den Entwurf wird empfohlen, eine Längstei-lung der Brücke (Über- und ggfls. Unterbau) vor-zusehen, soweit es ohne nennenswerte Mehrkos-ten möglich ist. Bei vielen Bauwerken wird die Maßnahme herstellungsbedingt beim Entwurf be-rücksichtigt, so dass keine Mehrkosten entstehen.

Bei der Konstruktion ist die Umsetzung der globa-len Redundanz mit Längsfugen in Brückenkon-struktionen eine gebräuchliche Bauart. Hierzu lie-gen Richtzeichnungen der Bundesanstalt für Stra-

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27 Schutz kritischer Brücken und Tunnel

ßenwesen vor, z. B. [14], Kap. 3, 4, 9, 10. Die kon-sequente Trennung der Brückenhälften ist auch bei den Unterbauten bzw. der Gründung umzuset-zen.

4.2.1.13 B 13 – Windschutzwände

Die Maßnahme ist für das Szenario Windeinfluss geeignet und dient dem Nutzerschutz. Bei starkem Wind bzw. Sturm ist die Sicherheit der Nutzer auf einer Brücke gefährdet. Fahrzeuge, vor allem LKWs mit geringem Gewicht, können bei starken Seitenwinden von der Fahrbahn abkommen. Da-rüber hinaus können Windschutzwände in Abhän-gigkeit der Konstruktion eine zusätzliche Rückhal-tewirkung für abkommende Fahrzeuge bieten.

Bei Brücken in exponierter Lage mit der Gefahr von starken Seitenwinden wird die Anordnung von Windschutzwänden zum Schutz der Bauwerksnut-zer empfohlen. Diese dienen bei entsprechender Ausbildung auch dem Lärmschutz.

Die konstruktive Ausbildung der Windschutzwände sollte anhand der für Lärmschutzwände geltenden Vorschriften der RIZ-ING [16] erfolgen. Es muss darauf geachtet werden, dass die Weiterleitung der Kräfte über die Kappen in den Überbau gewähr-leistet ist. Dies sollte anhand der ebenfalls in der RIZ-ING festgelegten Ausbildung der Kappen er-folgen.

Die Nachrüstung einer Brücke mit einer Wind-schutzwand ist grundsätzlich möglich. Es muss al-lerdings geprüft werden, ob das Bauwerk die zu-sätzlichen Windlasten, insbesondere in Querrich-tung, aufnehmen kann. Gegebenenfalls muss eine Verstärkung erfolgen.

4.2.2 Empfehlungen zur Vorgehensweise bei der Maßnahmenanwendung

4.2.2.1 Bei Neubauten

Im Rahmen eines Neubaus sind für einen Bau-werkseigentümer, der Schutzmaßnahmen an Brü-ckenbauwerken vorsehen möchte, generell alle er-arbeiteten Maßnahmen möglich. Besonders die Bereiche Entwurf und Bemessung bieten die große Möglichkeit, zusätzliche Sicherheiten bezüglich ei-nes Bedrohungsszenarios mit vergleichsweise ge-ringem Aufwand und Eingriff in das Bauwerk ein-zuarbeiten.

Die Anhebung des Sicherheitsniveaus führt den-noch zu einer Kostensteigerung. Damit ergibt sich eine neue Fragestellung für die frühe Phase eines Planungsprozesses: Welche Bedeutsamkeit hat das neue Bauwerk in der Zukunft und welches Schutzniveau für welches Szenario (oder welche Szenarien) soll oder muss eingehalten bzw. einge-plant werden.

Im Ergebnis muss der Bauwerkseigentümer mit

Unterstützung seiner Fachberater diese Entschei-dung treffen. Von ihm ist am Ende für das konkrete Projekt zu definieren, wogegen und in welcher Höhe Schutzmaßnahmen ergriffen werden sollen. SKRIBT kann bei dieser Entscheidung keine direk-te Antwort beisteuern, aber Möglichkeiten aufzei-gen. Der Ablauf zur Entscheidungsfindung wird in den Kapiteln 1 und 3 beschrieben. Die Grundlage für die Entscheidung der Bauwerkseigentümer wird dazu von der Politik und nicht zuletzt von der Ge-sellschaft zu treffen sein, die festlegen muss, wie viel ihr die zivile Sicherheit von Verkehrsinfrastruk-turbauwerken wert ist und was sie bereit ist, dafür auszugeben. Private Betreiber treffen ihre diesbe-züglichen Entscheidungen in der Regel vor dem Hintergrund ihrer Betrachtungen zur langfristigen Absicherung ihrer Einnahmen und der Lebenszyk-luskosten des Bauwerks, siehe auch Kapitel 6.

Vom Bauwerkseigentümer ist daher stets für ein konkretes Projekt anhand der spezifischen Gege-benheiten das gewünschte Schutzziel zu bestim-men. Weiter ist die Umsetzung der resultierenden Schutzmaßnahmen vom Bauwerkseigentümer festzulegen und gegenüber dem Planer im Einzel-nen abzufordern. Damit wird dem Umstand Rech-nung getragen, dass die Maßnahmen, die mit mehr oder weniger hohen Zusatzaufwendungen verbun-den sind, zielgerichtet und anforderungsgemäß umgesetzt werden und dem Gebot der Wirtschaft-lichkeit entsprechen.

4.2.2.2 Bei Nachrüstung

Für die öffentliche Hand als Bauwerkseigentümer stellt sich das Thema Nachrüstung bzw. Verstär-kung von Brückenbauwerken neben dem Identifi-zieren der für das jeweils betrachtete Einzelbau-werk angemessenen Maßnahme bzw. Maßnah-menkombination infolge des großen Bauwerksbe-standes als Mengenproblem und in der Folge da-von als Finanzierungsproblem dar. Wo setzt man in dieser Situation die knappen Finanzmittel ein und welches Sicherheitsniveau ist jeweils mindes-tens zu gewährleisten? Für private Betreiber ste-hen bei den Überlegungen zur nachträglichen Nachrüstung bzw. Verstärkung ihrer Bauwerke vor allem die Fragen der betriebswirtschaftlichen Not-wendigkeit sowie des wirtschaftlichen Nutzens im Vergleich zum finanziellen Aufwand im Vorder-grund.

Die Nachrüstung bzw. Verstärkung von Bauwerken im Hinblick auf mögliche Bedrohungsszenarien er-fordert daher eine hierarchisch strukturierte Vorge-hensweise, mit mehreren Prüfstufen, bevor für das konkrete Bauwerk bauliche oder sonstige bau-werksschützende Maßnahmen ergriffen werden können.

Wurde ein Bauwerk anhand des Identifizierungs-verfahrens als gefährdet herausgefiltert, muss die

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Frage geklärt werden: Gegen welches Szenario sind nachträgliche Schutzmaßnahmen zu ergrei-fen, gibt es überhaupt solche dafür und sind sie bezogen auf das individuelle Bauwerk wirksam und angemessen? Dann können die am Objekt mögli-chen und wirtschaftlichen Maßnahmen ausgewählt werden. Wie aus Tabelle 4 ersichtlich, sind bau-technische Maßnahmen in relativ überschaubarem Rahmen möglich.

Es folgen Planung und Ausschreibung der Nach-rüstung / Verstärkung durch spezialisierte Fach-planer. Nach der Vergabe der baulichen oder sonstigen Leistungen durch den Bauwerkseigen-tümer bildet die Realisierung den letzten Punkt der Vorgehenskette.

4.2.2.3 Bei Instandsetzung

Ist ein Brückenbauwerk durch ein Initialereignis, sei es Brand, Explosion, Kontamination, Naturge-walten oder mechanische Einwirkungen, beschä-digt worden, geht dies in der Regel mit einer Ver-kehrsbeeinträchtigung, im schlimmsten Fall mit ei-ner Vollsperrung, einher. Vor dem Hintergrund der Verfügbarkeit der Verkehrsinfrastruktur in volks-wirtschaftlicher Hinsicht und der Minimierung des Ausfalls von Mauteinnahmen bei privat betriebe-nen Brücken ist eine möglichst schnelle Instand-setzung des zerstörten Bauwerkes herbeizuführen. Je nach verkehrlicher Bedeutung ist das Anforde-rungsniveau an die Wiederherstellungszeit sehr hoch. Dies bedeutet, dass konventionelle Vorge-hensweisen - wie bei einem Neubau - aufgegeben werden müssen, um Zeit zu sparen.

Die Bauwerksinstandsetzung gliedert sich in 4 Phasen. Diese sind

� Vorlaufende Arbeiten

� Planung

� Ausschreibung und Vergabe

� Baudurchführung.

Bei allen Phasen ist im Regelfall in kürzester Zeit das jeweilige Ergebnis zu realisieren, worunter Sorgfalt und Qualität der Arbeit nicht leiden dürfen.

� Vorlaufende Arbeiten

Als vorlaufende Arbeiten sind unmittelbar nach dem Ereignis Sofortmaßnahmen, wie z. B. das Sperren des Bauwerks und die Einrichtung von Verkehrsumleitungen, zu ergreifen. Weiter können Sicherungsmaßnahmen am Bauwerk selbst oder an angrenzenden Gebäuden und Anlagen not-wendig werden.

Nachdem die notwendigen Sicherungsmaßnah-men durchgeführt wurden, folgen Schadensbesich-tigungen und Schadensbegutachtungen. Bei schweren Schäden ist davon auszugehen, dass die Staatsanwaltschaft tätig wird und Ermittlungen

aufnimmt. Hierzu werden vielfach Experten einge-bunden, die die Ursachen des Ereignisses klären sollen. Häufig werden auch Versicherungs-Sachverständige tätig, die das Ausmaß des Scha-dens und die Ursache aus Sicht der Assekuranz klären.

Wenn bis dahin noch nicht geschehen, sind nach der Bauwerksfreigabe durch die Staatsanwalt-schaft erste Aufräumarbeiten mit anschließenden weitergehenden gutachterlichen Untersuchungen zur Tragwerksschädigung auszuführen. Es wird geklärt, was von der Tragkonstruktion verbleiben kann und was abgebrochen werden muss.

Am Ende der vorlaufenden Arbeiten sollten die Schadensursache und ihr Ausmaß klar und ent-sprechend dokumentiert sein. Vorgaben für die Reparaturmaßnahmen und somit die Randbedin-gungen für die Wiederherstellungsplanung liegen nun vor.

� Planung

Bei größeren Schäden ist im Regelfall zur Instand-setzung des Bauwerkes eine Planung zu erstellen. Bei kleineren Schäden wird diese Leistung wahr-scheinlich nicht notwendig, so dass hier eine schnellere Vorgehensweise möglich ist. Für die Planung sind erfahrene und kompetente Pla-nungspartner für den Bauwerkseigentümer uner-lässlich. Sofern nicht bereits parallel zur Schadens-feststellung die Planerauswahl erfolgt ist, muss diese mit den vorliegenden Schadensausmaßer-kenntnissen schnellstmöglich vollzogen werden.

Für öffentliche Auftraggeber gelten einzuhaltende Vergaberegularien. Nach der Verdingungsordnung für freiberufliche Leistungen (VOF) [17] können Planerleistungen bis zu einem Schwellenwert von ca. 200.000 €, dies entspricht einer Wiederher-stellkostengröße von etwa 3,2 Mio. €, sofort frei-händig an einen geeigneten Planer vergeben wer-den. Planerleistungen ab diesem Schwellenwert sind öffentlich auszuschreiben.

Ein normal ablaufendes VOF-Verfahren dauert bei günstigem Ablauf mindestens 10 Wochen, daher muss ein schnellerer Weg beschritten werden. Für derartige Probleme ist nach VOF § 3 (4) d zu ver-fahren und das Verhandlungsverfahren ohne Teil-nahmewettbewerb durchzuführen. Der Auftragge-ber wird hierbei Gespräche mit geeigneten Planern führen, die mindestens 5 Tage bis zur Angebots-abgabe in Anspruch nehmen. Die Auswertung mit anschließender Einspruchsfrist dauert 15 Tage, so dass nach etwa 3 Wochen der Planungspartner feststehen kann.

Bei privaten Betreibern werden die Planungsarbei-ten in der Regel im Rahmen einer beschränkten Ausschreibung oder einer freien Vergabe an die dem Betreiber zugehörigen Bauunternehmen über-

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29 Schutz kritischer Brücken und Tunnel

tragen.

Sehr früh muss geklärt werden, ob beim vorliegen-den Alter des Bauwerkes eine Reparatur sinnvoll ist oder ein Neubau unter Würdigung künftiger Entwicklungen (z. B. höhere Verkehrslasten oder stärkere Robustheit gegenüber Naturkatastrophen oder Terroranschlägen) eine geeignetere Alternati-ve darstellt. Ebenso sind die vorliegenden Prüfbe-funde zum Bauwerkszustand vor dem Schadens-ereignis einzubeziehen. Nach Klärung des Vorge-hens kann mit der eigentlichen Planung zur Sanie-rung oder zum Neubau begonnen werden.

Wird die Entscheidung für eine Wiederherstellung gefällt, ist entsprechend dem Schadensausmaß ein Sanierungskonzept zu entwickeln und aus-schreibungsreif durchzuplanen. Ergänzende stati-sche Entwurfsberechnungen sind parallel durchzu-führen. Für die Planung der Sanierungsmaßnahme ist im Normalfall kein zeitaufwändiges Zustim-mungsverfahren (z. B. BMVBS-Entwurfszustim-mung) durchzuführen, statt dessen sollten im Hin-blick auf die Zeitschiene schnellstmöglich Zustim-mungen und Entscheidungen zu den Planungsin-halten erfolgen. Selbstredend ist die Forderung an den Planer, einen maximalen Ressourceneinsatz zu gewährleisten, um die Ausschreibung kurzfristig fertig zu stellen.

Bei der Entscheidung für einen Neubau anstelle einer Wiederherstellung muss das Ziel verfolgt werden, die Planung im Zeitrahmen einer Wieder-herstellung zu erbringen. Dies ist ein hoher An-spruch, der aber mit partnerschaftlicher Zusam-menarbeit zwischen Planer und Bauherr umgesetzt werden kann.

� Ausschreibung und Vergabe

Das Vorgehen für Ausschreibung und Vergabe von Wiederherstellungsarbeiten richtet sich nach der VOB/A [18], für öffentliche Auftraggeber nach dem Abschnitt 2 VOB/A. Wie bei der Planung bereits dargestellt, sind die Wiederherstellungsmaßnah-men nach einem Schadensereignis als sehr vor-dringlich einzustufen, so dass das reguläre offene Verfahren bzw. die öffentliche Ausschreibung nicht zur Anwendung gelangen kann.

Mit der gleichen Dringlichkeit wie bei der Planung kann der öffentliche Auftraggeber bis 10.000,00 € Wiederherstellkosten freihändig (VOB/A § 3 (5)) und bis 150.000,00 € beschränkt ohne vorgeschal-teten Teilnahmewettbewerb vergeben (nicht offe-nes Verfahren nach VOB/A § 3 a (3)). Darüber hinaus kann nur ein Verhandlungsverfahren, das an die Stelle der freihändigen Vergabe tritt (VOB/A § 3 a (1) 4.), weiterverfolgt werden. Im Hinblick auf die Dringlichkeit kann aber auf den öffentlichen Teilnahmewettbewerb verzichtet werden (VOB/A § 3 a (6) Nr. 4).

Der Zeitbedarf für Ausschreibung und Vergabe, d.h. für Angebotskalkulation, Submission, Ange-botswertung und Vergabe der Leistung, wird bei umfänglichen Wiederherstellungsleistungen eine größere Zeitspanne erfordern. Aus der VOB/A § 10 a (2) Nr. 4b ergeben sich die Mindestzeiten für die Abgabe der Angebote beim nicht offenen Verfah-ren.

Es folgen Verhandlungen mit den Bietern und die Auswahl des künftigen Baupartners. Anschließend ist der Auftrag zu formulieren, die nicht gewählten Bieter erhalten eine Benachrichtigung, an die sich eine 14-tägige Einspruchsfrist anschließt. Dann ist der obsiegende Bieter nach maximal 3 Monaten beauftragt.

Bei privaten Betreibern werden die Sanierungsar-beiten analog den Planungsarbeiten in der Regel ebenfalls im Rahmen einer beschränkten Aus-schreibung oder einer freien Vergabe an die dem Betreiber zugehörigen Bauunternehmen übertra-gen.

� Baudurchführung

Sofort nach der Vergabe muss mit der Baudurch-führung, der Wiederherstellung oder dem Neubau, begonnen werden. Wie bei den vorhergehenden Ablaufschritten ist auch beim Bau die Zeit im Hin-blick auf die Wiederverfügbarkeit der entscheiden-de Faktor. Aus diesem Grund sind Mehrschichtbe-trieb sowie Arbeiten am Wochenende trotz erhöh-ter Kosten notwendige Maßnahmen. Die Mehrkos-ten relativieren sich sehr schnell über die volks-wirtschaftlichen oder privatwirtschaftlichen Verlus-te, die ein Vielfaches der Mehraufwendungen dar-stellen.

Bei der Baudurchführung muss ein bis auf die letz-te Aktivität optimierter Bauablauf umgesetzt wer-den. Die erforderliche Logistikleistung muss von den Baufirmen abgefordert und gesondert vergütet werden. Hierdurch werden aber die Abläufe so ge-strafft, dass Bauzeit gespart und damit die Ge-samtkosten minimiert werden.

� Angemessene Lösungen

Die angemessene Lösung für die Instandsetzung einer Brücke nach einer Beschädigung hat sich im Wesentlichen nach der Art und dem Ausmaß des Schadens, der Bauart und dem Alter der Brücke sowie den relevanten Standortfaktoren (z. B. regi-onale Lage, verkehrliche Anforderungen, zukünfti-ge Entwicklungen, etc.) zu richten.

Aufgrund der vielfältigen Ausprägungsmöglichkei-ten von Schäden, Bauwerkseigenschaften und Standortfaktoren kann es keinen allgemein gülti-gen Lösungsansatz für eine angemessene Bau-werksinstandsetzung geben. Vielmehr muss für je-den Fall eine individuelle Lösung unter Berücksich-tigung einer möglichst schnellen Realisierung der

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Sanierung sowie der Angemessenheit der resultie-renden Kosten erarbeitet werden. Hierzu ist eine vertrauensvolle sowie zeit- und kostenorientierte Zusammenarbeit zwischen Bauwerkseigentümer und einem kompetenten Brückenplaner unabding-bar.

Zusätzlich zur Wiederherstellung ihrer verkehrli-chen Funktion sollte die Brücke im Zuge ihrer In-standsetzung natürlich mit entsprechenden Schutzmaßnahmen ausgerüstet werden, die den durch das gegebene Ereignis eingetretenen Scha-den oder weitere, aufgrund des Schadenseintritts neu bewertete Schadensrisiken in Zukunft verhin-dern oder zumindest auf ein akzeptables Maß mit ausreichender Sicherheit reduzieren. Prinzipiell gelten hierfür alle für den Fall der Nachrüstung / Verstärkung beschriebenen Lösungen sinngemäß.

Grundsätzlich hat die Erfahrung mit der Instand-setzung von lokal geschädigten Brücken gezeigt, dass die Bestimmung, welche Bauwerksteile noch ausreichend funktionstüchtig sind und welche Be-reiche saniert werden müssen, in der Regel sehr komplex ist. Zudem sind die Detailplanung und Ausführung des Anschlusses der wiederherzustel-lenden Bauteile an den unbeschädigten Bau-werksbestand schwierig und aufwändig. Vor die-sem Hintergrund ist unter Berücksichtigung des Schadensausmaßes, des Bauwerksalters und der zukünftigen Beanspruchung für jeden Einzelfall genau abzuwägen, ob eine Instandsetzung mittels Reparatur oder ein kompletter Neubau der Brücke die zeitlich und wirtschaftlich bessere Lösung dar-stellt.

4.2.3 Empfehlungen zur schnellen Wiederinbetriebnahme

Die Abläufe von den ersten Rettungs- und Siche-rungsmaßnahmen nach dem Eintritt eines Ereig-nisses bis zur Wiederinbetriebnahme nach erfolg-ter Bauwerkssanierung sind, wie die Instandset-zungslösungen selbst, je nach Schadensausmaß, Bauwerksart und –alter sowie lokalen Standortfak-toren völlig unterschiedlich. Die Erarbeitung eines allgemein gültigen Leitfadens für die Wiederinbe-triebnahme einer Brücke ist daher praktisch un-möglich. Lediglich das Ziel, jede Wiederinbetrieb-nahme so schnell wie möglich unter Einhaltung ei-nes angemessenen Kostenrahmens zu realisieren, ist für jedes individuell zu erarbeitende Konzept als übergeordnet und allgemein gültig zu betrachten.

Um dieses Ziel zu erreichen, ist es sinnvoll, im Rahmen der Sicherheitsdokumentation für jedes Brückenbauwerk bereits im Vorfeld der Eröffnung grundsätzliche Konzeptstrategien zu entwickeln, die alle für die Brücke relevanten, vom Schadens-ereignis und Schadensausmaß unabhängigen Ein-flussgrößen (z. B. lokale Standortfaktoren, betrei-berspezifische Rahmenbedingungen) bereits be-

rücksichtigen. Auf Basis dieser allgemeinen Stra-tegien müssen dann im Schadensfall detaillierte Ablaufkonzepte unter Berücksichtigung aller ereig-nis- und schadensrelevanten Parameter erarbeitet und umgesetzt werden.

Eine Lösungsmöglichkeit für diesen Ansatz ist es, die Betriebs- und Sicherheitsdokumentation, in der Vorgehensweisen für vorhersehbare Schadens-szenarien (z. B. Betriebsstörungen durch Unfall, oder begrenzter Brand) definiert werden, um Vor-gaben für das Management einer Krise zu erwei-tern. Als Krise können hierbei z. B. alle Vorgänge definiert werden, die die Sicherheit und Gesund-heit von Bauwerksnutzer und Betriebspersonal, des Bauwerks und / oder der Umwelt auf unvor-hergesehene Weise und in hohem Maße gefähr-den. Die Reaktion auf solche Vorgänge liegt jen-seits der unmittelbaren Kontrolle des Betreibers.

Die Definition folgender grundsätzlicher Konzepte im Vorfeld des ereignisbezogenen Krisenmanage-ments kann die Vorgänge und Lösungen zur In-standsetzung und Wiederinbetriebnahme eines beschädigten Bauwerks deutlich beschleunigen:

� Definition der Zusammensetzung eines inter-disziplinären Krisenmanagement-Teams aus betreiberinternen und externen Spezialisten sowie eines entsprechenden Koordinators und Ablage der entsprechenden Kontaktdaten aller Teammitglieder in einer zentralen und für alle Mitarbeiter zugänglichen Datenbank

� Vorbereitung eines Einsatzzentrums für das Krisenmanagement-Team

� Definition von 24 Std./Tag Bereitschafts-, Ent-scheidungs-, Planungs- und Handlungsverant-wortlichkeiten. Die Erfahrung aus konkreten Einzelfällen zeigt, dass es sinnvoll sein kann, erfahrenen Vor-Ort-Mitarbeitern für den Zeit-raum der Krisenbewältigung weit reichende Möglichkeiten zur Eigeninitiative mit entspre-chenden, auch finanziellen Handlungsermäch-tigungen zu übertragen.

� Einrichtung von krisensicheren, redundanten Kommunikationsnetzen, die auch in Worst-Case-Szenarien (z. B. kompletter Stromausfall und kein Handy-Betrieb möglich) funktionieren

� Festlegung kontinuierlicher Informationsweiter-gabe innerhalb des Krisenmanagement-Teams und aller Beteiligten (z. B. im Rahmen von re-gelmäßigen Koordinationstreffen oder durch re-gelmäßige Übermittlung eines Fortschrittbe-richts der verschiedenen Einsatzgruppen an al-le Mitarbeiter)

� Festlegung schneller Kooperationswege zwi-schen allen notwendigen Beteiligten (z. B. Be-treiber, Versicherungsvertreter, Genehmi-gungsbehörden, Planer, Bau- und Betriebs-dienstleister)

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31 Schutz kritischer Brücken und Tunnel

� Klare und entsprechend verbreitete Dokumen-tation des Versicherungsschutzes für alle denk-baren Schadensszenarien (Versicherungsbe-dingungen, entsprechende Deckungssummen, welche Einbehalte)

� Erstellung von Finanzierungsplänen für die schnelle Instandsetzung großer Schäden und den ggfls. notwendigen kompletten Abriss und Neuaufbau.

Zudem sollten ebenfalls frühzeitig folgende grund-legende Konzepte zur Minimierung der Verkehrs-beeinträchtigung im Krisenfall erarbeitet werden:

� Einrichtung von krisensicheren, redundanten Verkehrskontrollsystemen

� Verkehrsführungskonzepte für den Fall einer Teilsperrung der Brücke

� Umleitungskonzept zur Aufrechterhaltung der regionalen Verkehrsverbindungen für den Fall einer notwendigen Vollsperrung der Brücke

� Bauwerksnahe Bevorratung von Absperr- und Umleitungsmaterial und entsprechender Ver-kehrszeichen

� Konzept für die schnelle Errichtung einer Be-helfsbrücke, sofern die regionalen Bedingungen eine solche Konstruktion zulassen

Die Praxiserfahrung zeigt, dass die Ausgabe klarer und zielgerichteter Rahmenvorgaben zur Bewälti-gung derartiger Krisen durch die verantwortliche Leitung des Betreibers eminent wichtig ist. Hierbei sind neben den Entscheidungs- und Handlungs-verantwortlichkeiten auch die Priorisierung bzgl. Minimierung der Verkehrsbeeinträchtigung gegen-über einer möglichst schnellen Bauwerksinstand-setzung festzulegen. Z. B. kann die Aufrechterhal-tung einer Teilpassierbarkeit der Brücke priorisiert werden, auch wenn daraus eine deutlich längere Instandsetzungszeit resultiert.

Alle im Rahmen einer Instandsetzung und Wieder-inbetriebnahme gemachten Erfahrungen sind zur besseren Bewältigung künftiger Krisen und Be-schleunigung der Wiederinbetriebnahme zu analy-sieren und zu dokumentieren, die Sicherheitsdo-kumentation für den Krisenfall ist entsprechend fortzuschreiben.

4.3 Empfehlungen zur Maßnahmenan-wendung für Betreiber und Einsatz-dienste

Im folgenden Kapitel werden drei betriebliche, eine bautechnische und eine organisatorische Maß-nahme für Brücken erläutert, die dem Nutzerschutz dienen. Da für ihre Umsetzung nicht die Nutzer selbst, sondern entweder der Eigentümer / Betrei-ber der Brücke oder die Einsatzdienste verantwort-lich sind, werden die Empfehlungen für die einzel-

nen Maßnahmen an diese Zielgruppen gerichtet formuliert.

Eine Unterscheidung zwischen Neubau, Nachrüs-tung und Instandsetzung wie bei den Maßnahmen zum Bauwerksschutz erfolgt hier nicht, da Unter-schiede, wenn überhaupt, nur bei den Investitions-kosten bestehen. Eine detaillierte Beschreibung der Maßnahmen ist den angehängten Maßnah-menblättern zu entnehmen.

4.3.1 Empfehlungen für Betreiber

4.3.1.1 B 14 – Windgeschwindigkeitswarnan-lage

Hohe Windgeschwindigkeiten können die Ver-kehrslage gefährden und damit direkt Unfälle ver-ursachen, die in schweren Fällen auch das Bau-werk schädigen können. Bislang werden in erster Linie Windsäcke verwendet, um Fahrzeuglenker visuell auf die Windstärke und -richtung hinzuwei-sen. Windgeschwindigkeitswarnanlagen messen hingegen die herrschenden Windgeschwindigkei-ten und die Richtung sehr genau und können die Nutzer zeitnah warnen und auf besonders vorsich-tige Fahrweise hinweisen. Mittels einer nachge-schalteten Verkehrsbeeinflussungsanlage (VBA) kann eine Reduzierung der zulässigen Höchstge-schwindigkeit ausgelöst werden, um so Unfällen vorzubeugen. Im Extremfall ist mittels solcher An-lagen eine automatische Sperrung des Bauwerks für den Verkehr möglich.

Eine Windgeschwindigkeitswarnanlage besteht aus einem Anemometer (welches auch die Wind-richtung ermittelt), einer zentralen Steuer- und Auswerteinheit sowie einem oder mehreren Wech-selverkehrszeichen, gegebenenfalls mit der Mög-lichkeit, auch kurze Texte zur Information der Be-nutzer auszugeben.

Die Kosten für die oben beschriebene Anlage sind sehr moderat. Abhängig von der verwendeten Sensorik (Windrad oder Ultraschallmessanlage) fallen geringe oder sehr geringe Unterhalts- und Wartungskosten an. Wenn eine solche Anlage als Zusatz zu einer eventuell auszuführenden oder bestehenden Glatteiswarnanlage installiert wird, verringern sich die Investitionskosten weiter.

Es wird empfohlen, besonders exponierte Bauwer-ke (sehr lange bzw. hohe Brücken und Brücken, die in sturmgefährdeten Gebieten liegen) mit Windgeschwindigkeitswarnanlagen auszurüsten, um Unfällen vorzubeugen. Dies gilt besonders, da Extremwetterlagen in den letzen Jahren immer häufiger geworden sind und Klimaforscher eine weitere Zunahme im Zuge der fortschreitenden globalen Klimaerwärmung voraussagen [2].

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4.3.1.2 B 15 – Pegelmessungen

Pegelmessungen wirken ausmaßmindernd bei Überflutungsszenarien. Sie ermöglichen ein früh-zeitiges Erkennen von bedrohlich hohen Wasser-ständen im Brückenbereich. Dadurch können Maßnahmen wie z. B. eine Alarmierung oder die Sperrung des Bauwerks früher eingeleitet werden.

Die gängigsten Verfahren zur Pegelmessung sind Pegellatte, Pegeluhr und die registrierende Mes-sung. Heutzutage findet hauptsächlich die regist-rierende Messung Verwendung. Hierbei wird der Pegel mit Schwimmern, Drucksonden, Druckluft-waagen, Radar- und Ultraschallgeräten gemessen. Die ermittelten Werte können digital ausgewertet und weiterverarbeitet werden.

Aufgrund der Verbesserung der Nutzer- und der Bauwerkssicherheit bei Hochwasser wird die Durchführung von Pegelmessungen für hochwas-sergefährdete Brückenbauwerke empfohlen.

4.3.1.3 B 16 – Sperreinrichtungen

Die Maßnahme ist für alle Bedrohungsszenarien geeignet. Sie ermöglicht die Sperrung des Bau-werks im Ereignisfall. Je nach Zeitpunkt der Detek-tion eines Bedrohungsereignisses kann dadurch die Anzahl gefährdeter Nutzer signifikant reduziert werden.

Die Sperreinrichtung besteht aus elektrisch ange-triebenen Schranken, die ferngesteuert geschlos-sen werden, und Lichtsignalanlagen sowie Wech-selverkehrszeichen, die im Sperrfall die zulässige Höchstgeschwindigkeit schrittweise verringern. Die Auswahl der einzelnen Elemente der Sperreinrich-tung für Brücken ist in Anlehnung an die Grund-ausstattung für Sperreinrichtungen für Tunnel nach RABT 2006 vorzunehmen.

Aufgrund der Verbesserung der Nutzersicherheit im Ereignisfall können Sperreinrichtungen für Brü-ckenbauwerke in Analogie zu Tunnelbauwerken ab einer Länge von 400 m und einer Verkehrsstärke ≥ 15.000 Kfz/d/Fahrstreifen empfohlen werden.

4.3.2 Empfehlungen für Einsatzdienste

4.3.2.1 Allgemeines

Eine Brücke wird von Nutzern und Einsatzdiensten nicht immer direkt als solche wahrgenommen. Ent-sprechend ist die Angst der Nutzer, es könnte ih-nen auf einer Brücke etwas passieren, wenig aus-geprägt. Auch bei den Einsatzdiensten gibt es kei-ne besondere Vorbereitung auf Ereignisse, die sich auf Brücken ereignen können. Bei Schadens-ereignissen auf Brücken entspricht der Einsatzab-lauf dem auf freier Strecke. Auch für größere Brü-ckenbauwerke gibt es keine Alarmpläne oder spe-zielle Notfallkonzepte.

Allerdings weisen Einsätze auf Brücken einige Be-

sonderheiten auf, die einsatztaktisch zu berück-sichtigen sind.

Bei Explosionen können beispielsweise die An-griffswege durch einen Zusammenbruch von Brü-ckenteilen erschwert oder unterbrochen werden. Die Rettung / Bergung von Personen, die sich dann auf einem verbleibenden Teil der Brücke be-finden, kann dadurch den Einsatz der Höhenret-tung erforderlich machen.

Beim Umgang mit Kontaminations-Ereignissen bzw. CBRN-Unfällen ist für die Feuerwehren zum Eigenschutz die Feuerwehrdienstvorschrift 500 (FwDV 500) [19] einzuhalten. Hiernach muss bei einem Kontaminationsereignis „zur Menschenret-tung […] unter Umständen eine erhöhte Eigenge-fährdung der Einsatzkräfte in Kauf genommen werden. Nach Entscheidung des Einsatzleiters können Einsatzkräfte zunächst ohne vollständige Sonderausrüstung vorgehen. Sie sind jedoch min-destens mit Isoliergeräten als Atemschutz auszu-rüsten.“ Darüber hinaus muss „ein wesentliches Ziel der Einsatzmaßnahmen nach der Menschen-rettung […] sein, Freisetzung und Ausbreitung mit geeigneten Mitteln zu verhindern.“

Bei allen Ereignissen gilt, dass es seitlich keine Bereiche gibt, in denen sich die Einsatzkräfte ent-falten können, es besteht zudem Absturzgefahr, was zusätzliche Sicherungsmaßnahmen erfordert.

Um den Ablauf in der Rettungskette auf Brücken-bauwerken zu optimieren, werden die im Folgen-den beschriebenen Maßnahmen vorgeschlagen.

4.3.2.2 B 17 - Notruf auf Brücken

Viele Notrufe erfolgen heute über das Mobiltelefon. Ein Problem hierbei ist, dass die Verkehrsteilneh-mer aufgrund fehlender Ortskenntnis häufig nicht in der Lage sind, den Leitstellen der Polizei oder der Feuerwehr den Unfallort präzise anzugeben. Dies führt dazu, dass die Einsatzkräfte den Unfall-ort erst suchen müssen, wodurch wertvolle Zeit für Rettungsmaßnahmen verloren geht.

Um im Ereignisfall eine schnellere Alarmierung der Rettungskräfte durchführen zu können und eine bessere Verortung des Ereignisorts zu ermögli-chen, sind auf längeren Brückenbauwerken Not-rufsäulen oder Schildertafeln mit Standortangaben vorzusehen.

Notrufsäulen werden auf Brücken derzeit in Ab-ständen wie auf freier Strecke (Abstand 2 km) an-geordnet. Dies kann im Ereignisfall unter Umstän-den zu sehr langen Alarmierungszeiten durch den Verkehrsteilnehmer führen.

Das Aufstellen von Notrufsäulen im dichteren Ab-stand trägt dazu bei, dass im Ereignisfall eine schnellere Alarmierung der Rettungskräfte durch den Verkehrsteilnehmer erfolgen kann. Beim Mel-

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33 Schutz kritischer Brücken und Tunnel

den des Ereignisses über die Notrufsäule ist vor al-lem eine genaue Lokalisierung des Ereignisorts gegeben. Daher sind insbesondere auf langen Brückenbauwerken Notrufsäulen im Abstand von 300 m bis 500 m vorzusehen.

Um die Bestimmung der genauen Position des Er-eignisorts beim Absetzen eines Notrufs per Mobil-telefon zu erleichtern, sollten Schildertafeln aufge-stellt werden, die folgende Standortangaben ent-halten:

„Ihr Standort: A1 Richtung Bremen, Name der Brü-cke, 16,5 km“.

Solche Schildertafeln mit Angabe der Fahrtrichtung und der Kilometrierung finden sich bereits im Zuge von Baustellenstreckenabschnitten. Die Kenn-zeichnung der Standorte mit Schildertafeln, die in einem Abstand von max. 100 m aufgestellt sein sollten, würde bei telefonischer Meldung ganz we-sentlich zur Verkürzung der Alarmierungszeiten beitragen.

Die Aufstellung von Tafeln mit Standortangaben stellt eine einfache und kostengünstige Maßnahme dar, die bei längeren Brückenbauwerken zum Tra-gen kommen sollte. Grundsätzlich ist zu empfeh-len, am Brückenbeginn (z. B. unterhalb der Tafel mit dem Brückennamen) und am Brückenende die Standortangaben anzubringen.

4.3.2.3 B 18 - Notfallübungen auf Brücken

Bisher werden Notfallübungen der Einsatzkräfte an Verkehrsbauwerken nur in Tunneln durchgeführt. Brücken stellen für die Einsatzkräfte kein besonde-res Objekt dar, die Einsatzleiter vor Ort haben ein unmittelbares Lagebild und können die notwendi-gen Rettungsmaßnahmen einleiten. Spezielle Alarm- und Gefahrenabwehrpläne nur für Brü-ckenbauwerke – wie z. B. für Tunnel – gibt es nicht.

Im Ereignisfall sind aber sowohl die Selbstrettung als auch die Fremdrettung auf Brücken erschwert, da diese u.a. keine Ausweichmöglichkeiten zu den Seiten bieten. Es besteht zudem Absturzgefahr, was zusätzliche Sicherungsmaßnahmen erfordert. Je nach Lage des Bauwerks (Tal-, Fluss-, Stra-ßenbrücke) muss es daher unterschiedliche Ein-satzoptionen und Rettungsmittel (Luftrettung, Ret-tung von Booten aus etc.) geben, die praxisnah geprobt werden sollten.

Eine Notfallübung auf großen Brücken bietet den Einsatzkräften die Möglichkeit, das Bauwerk, seine Schwachstellen aus der Sicht der Einsatzkräfte, sowie mögliche Angriffswege kennen zu lernen und damit den Einsatz im Ereignisfall zu erleich-tern.

Mit Blick auf die im Projekt SKRIBT betrachteten Schadensszenarien, wie z. B. Großbrand, Explosi-

on oder Kontamination, deren unmittelbaren Fol-gen für die Nutzer und das Bauwerk gravierend sein können, sollten zumindest für exponierte Brü-ckenbauwerke Übungskonzepte erstellt und die Bauwerke in regelmäßige Übungen einbezogen werden.

4.3.3 Empfehlungen für Nutzer

Ein Ereignis auf eine Brücke erfordert kaum ande-re Reaktionen der Nutzer als ein Ereignis auf offe-ner Straße. Beispielsweise ist die Gefahr, die von einem Brand auf einer Brücke für die Nutzer aus-geht, deutlich geringer als bei einem Tunnelbrand. Die Faktoren Dunkelheit, Enge und Monotonie, welche ein Risiko für Tunnelnutzer darstellen, kommen außerdem auf Brücken nicht zum Tragen.

Dagegen müssen brückenspezifische Risikofakto-ren, wie etwa Seitenwind und das Fehlen von Ausweichmöglichkeiten, besonders beachtet wer-den. Im Rahmen von SKRIBT wurden allerdings bisher keine Maßnahmen entwickelt, die speziell das Nutzverhalten auf Brücken optimieren. Den-noch sollten in weiteren Untersuchungen speziell nutzerbezogene Aspekte berücksichtigt werden.

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Schutz kritischer Brücken und Tunnel 34

5 Schutzmaßnahmen für Tunnel und ihre Nutzer

5.1 Allgemeines

Im Folgenden werden Empfehlungen für 27 nach derzeitigem Erkenntnisstand realisierungsfähige und realisierungswürdige Maßnahmen zum Schutz von Tunneln und ihren Nutzern ausgesprochen.

Sie sind Ergebnis der „Wirksamkeitsanalyse von Maßnahmen“ [8][9][10], in der sie auf ihre Wirkung bei den in der „Bedrohungsanalyse“ [11] erarbeite-ten Initialereignissen Brand, Explosion, Kontamina-tion, Überflutung und Anprall, untersucht wurden. Hierbei sind einige Maßnahmen auf eine bestimm-te Ereigniskategorie zugeschnitten, andere decken verschiedene ab. Berücksichtigt wurden zudem die gesellschaftlichen Akzeptanz sowie betriebs- und volkswirtschaftliche Aspekte.

Es handelt sich um bautechnische, betriebliche und organisatorische Maßnahmen, für deren Um-setzung Bauwerkseigentümer, Bauwerksbetreiber Einsatzdienste und Bauwerksnutzer verantwortlich sind.

Die Maßnahmen wirken zum überwiegenden Teil ausmaßmindernd im Ereignisfall, einige verhindern den Eintritt eines Ereignisses oder minimieren sei-ne Wahrscheinlichkeit. Letztere werden im Folgen-den kurz als „präventiv“ bezeichnet. Diese Maß-nahmen dienen gleichermaßen dem Bauwerks- wie dem Nutzerschutz.

Die ausmaßmindernden Maßnahmen werden un-terteilt in Maßnahmen zum Bauwerksschutz und Maßnahmen zum Nutzerschutz. Hierbei zielen

bautechnische Maßnahmen in der Regel primär auf den Bauwerksschutz ab, dienen aber durch ei-ne erhöhte Robustheit des Bauwerks oft auch dem Nutzerschutz. Betriebliche und organisatorische Maßnahmen hingegen dienen hauptsächlich der Verbesserung des Nutzerschutzes und nur nach-geordnet dem Bauwerksschutz, indem sie bei-spielsweise Löscharbeiten begünstigen und daher eine geringere Schädigung des Bauwerks bewir-ken.

Eine Übersicht über alle untersuchten Schutzmaß-nahmen und ihre initialereignisbezogene Wirkung bietet Tabelle 5. Präventive Maßnahmen sind vio-lett, Maßnahmen zum Bauwerksschutz rot und Maßnahmen zum Nutzerschutz blau dargestellt. Ein (X) bedeutet hier, dass die Maßnahme die Nutzer nicht vor dem Ereignis selbst schützt, aber die Rettung überlebender Personen nach dem Er-eignis begünstigt.

Maßnahmen, die sich auch für eine Nachrüstung eignen, sind grau hinterlegt. Zudem sei an dieser Stelle nochmals darauf hingewiesen, dass bei De-tonationen vorausgesetzt wird, dass es sich um bewusst herbeigeführte Ereignisse mit kriminel-lem/terroristischem Hintergrund handelt, s. Kap. 3.2.2.

Zur einfachen und übersichtlichen Handhabung wurde für jede Maßnahme ein Maßnahmenblatt erstellt, in dem die Untersuchungsergebnisse in einheitlicher Struktur zusammengefasst sind. Die-se Maßnahmenblätter sind dem vorliegenden Be-richt als Anhang beigefügt. Die ausführlichen Untersuchungsergebnisse sind den Berichten zur „Wirksamkeitsanalyse von Maßnahmen“ [8][9][10] zu entnehmen.

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35 Schutz kritischer Brücken und Tunnel

Tabelle 5: Schutzmaßnahmen für Tunnel

Nr. Maßnahme

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T 01 Hochleistungsbeton als Konstruktionsbeton 1

T 02 Vorsatzschale aus mikrobewehrtem Hochleistungsbeton

X X X X X X 1

T 03 Brandschutzbeton X X X X

T 04 Brandschutzbekleidungen X X X X

T 05 Dimensionierung für Explosionslasten X X

T 06 Dämpferbeton X X X

T 07 Designvorgabe Tunnelbrand: Verlängerte Vollbrandphase

X X X X

T 08 Zweischalige Bauweise X X X X X X

T 09 Globale Redundanz X X X X X X X X X X

T 10 Verkürzte Notausgangsabstände X X X X (X) (X) (X) X X X

T 11 Detektion überhitzter Fahrzeuge X X X X

T 12 Gefahrgutbeschränkung / -kategorisierung X X X X X X

T 13 Gefahrguterkennung Video X X X X X X

T 14 Gefahrguterkennung RFID X X X X X X

T 15 ITCC Integration X X X X (X) (X) (X) X X X

T 16 Gasdetektion X X

T 17 Schnellere Ereignisdetektion X X X X X X X

T 18 Dynamische Fluchtwegkennzeichnung 2 2 2 2 2 2

T 19 Rauchabsaugung X X X X X X

T 20 Softstop Barriere X X X X (X) (X) (X) X X X

T 21 Tunnelkommunikation X X X X (X) (X) (X) X X X

T 22 Automatische Brandbekämpfungsanlage X X

T 23 TLZ-Operatoren Training X X X X (X) (X) (X) X X X

T 24 Alarm- und Gefahrenabwehrpläne X X X X (X) (X) (X) X X X

T 25 Übungen der Betriebs- und Einsatzdienste X X X X (X) (X) (X) X X X

T 26 Vorinformation Tunnelnutzer X X X X (X) (X) (X) X X X

T 27 Situationstraining Tunnelnutzer X X X X (X) (X) (X) X X X

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Schutz kritischer Brücken und Tunnel 36

5.2 Empfehlungen für Bauwerkseigentü-mer

5.2.1 Empfehlungen zur Maßnahmenanwendung

5.2.1.1 Allgemeines

Nachfolgend werden Empfehlungen für neun bau-technische Maßnahmen zum Bauwerksschutz und eine Maßnahme zum Nutzerschutz ausgespro-chen, die beim Entwurf, bei der Bemessung und/oder bei der Konstruktion von Tunneln umge-setzt werden können.

Bei einem Tunnelneubau lassen sich Schutzmaß-nahmen bereits beim Entwurf umsetzen und das Tragwerk robuster gestalten.

Aus dem Entwurf folgt unter Ansatz bestimmter festgelegter Einwirkungen die entsprechende Be-messung. Aus der Bemessung erfolgen wiederum die benötigten Abmessungen, um die auftretenden Einwirkungen aufnehmen zu können. Es ergibt sich also die Möglichkeit, für eintretende Bedro-hungsszenarien zu bemessen. Dies bedeutet im Allgemeinen, dass das Bauwerk auf erhöhte Las-ten bzw. erhöhte innere Kräfte aufgrund von mög-lichen Umlagerungen bemessen wird, was übli-cherweise zu größeren Abmessungen, robusteren Materialien bzw. größeren Bewehrungsmengen führt.

Zur Konstruktion zählen Maßnahmen, die ergän-zend zu Entwurf und Bemessung die Robustheit eines Bauwerks erhöhen oder die Schädigung re-duzieren.

Im Rahmen eines Neubaus sind generell alle un-tersuchten Maßnahmen möglich. Nachrüstungen und Verstärkungen sind aufgrund der Konstruktion der verschiedenen Bauwerke und örtlicher Rand-bedingungen häufig nur bedingt möglich. Maß-nahmen, die sich für eine Nachrüstung eignen, sind Tabelle 5 zu entnehmen, zudem wird hierauf am Ende der jeweiligen Empfehlung gesondert eingegangen.

5.2.1.2 T 01 – Hochleistungsbeton als Konstruktionsbeton

Diese Maßnahme wirkt bei Anprallszenarien und im begrenzten Umfang gegen lokale Schädigun-gen aus Explosionsszenarien (Krater- bis Durch-bruchbildung).

Die Verwirklichung dieser Schutzmaßnahme ist di-rekt im Entwurf zu berücksichtigen. Nach Definiti-on von Schutzzielen hinsichtlich der Anprallbean-spruchung sind die Bauteil- bzw. Schalenstärke sowie die Materialeigenschaft daraus abzuleiten. Im Regelfall sollte die Bauteilstärke, die durch die statische Vordimensionierung vorgegeben ist, nicht

vergrößert werden. Die Materialeigenschaften, ins-besondere Festigkeit und Zähigkeit, können durch die maßgebenden Parameter Zementgehalt, Mic-rosilica-Zugabe sowie Fasergehalt und Faserart gesteuert werden. Als Anhaltswerte können gelten: Betonfestigkeitsklasse C90, Stahlfasergehalt 80 kg/m3.

Bei der Bemessung können die verbesserten Ma-terialeigenschaften berücksichtigt werden. Die hö-here Druckfestigkeit und die höhere Biegezugfes-tigkeit führen bei der Regelfall-Bemessung zu Ein-sparungen im Bereich der Biegebewehrung, der Schubbewehrung und, bei hoch beanspruchten Druckgliedern, bei der Druckbewehrung.

Dem entgegen steht allerdings die Notwendigkeit, die verbesserten Materialeigenschaften und die daraus resultierenden Materialkennwerte ver-suchstechnisch zu ermitteln (Eignungsprüfung) und in der Ausführung zu garantieren (Güteüber-wachung). Gegebenenfalls und insbesondere bei Ausnutzung der Stahlfaserbetoneigenschaften ist auch eine Zulassung im Einzelfall erforderlich. Kosten und Nutzen der Maßnahme sind dement-sprechend von Projekt zu Projekt abzuwägen.

Bei der Konstruktion ist die Abstimmung der Be-tonrezeptur hinsichtlich der Verarbeitbarkeit zu be-rücksichtigen. Hochfeste und insbesondere ultra-hochfeste Betone neigen zu Klebrigkeit in der Frischbetonphase. Dieser Nachteil wird noch ver-stärkt durch die Faserzugabe. Bei hohen Stahlfa-seranteilen und in Verbindung mit PP-Faser-Zugabe ist das Erzielen einer guten Pump- und Verarbeitbarkeit ein nicht zu unterschätzendes Problem. Zurzeit liegen diesbezüglich nur Erfah-rungen für die Tübbingherstellung vor. Im Rahmen des Forschungsprojektes „TUNCONSTRUCT“ [20] wurden ultrahochfeste Tübbings mit einer Festig-keit von 135 MPa, einem Stahlfasergehalt von 90 kg/m³ und einem PP-Fasergehalt von 6 kg/m³ er-folgreich hergestellt. Der Einsatz solcher Betone für Ortbetonschalen oder –stützen ist bisher noch nicht untersucht worden.

Die Bewehrungsführung ist an die Belange des Stahlfaserbetons anzupassen.

5.2.1.3 T 02 – Mikrobewehrter Hochleistungs-beton als Vorsatzschale

Diese Maßnahme ist sowohl gegen Explosions- und Anprallszenarien als auch gegen Brand-ereignisse geeignet. Die Wirkungsweise hinsicht-lich Brandbeanspruchung, die ohnehin vorhanden ist, da die Vorsatzschale als Hitzeschutzschild für die tragende Schale wirkt, kann durch Hinzufügen bzw. Umsetzen der Kriterien für einen Brand-schutzbeton weiter verbessert werden.

Die Verwirklichung dieser Schutzmaßnahme ist di-rekt im Entwurf zu berücksichtigen, da der für die

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37 Schutz kritischer Brücken und Tunnel

zusätzliche Schale erforderliche Raum geschaffen werden muss. Im Regelfall bedeutet dies einen entsprechend vergrößerten Ausbruchsquerschnitt. Die Gesamtschalenstärke setzt sich dabei aus Au-ßenschale (falls vorhanden), Innenschale und Vor-satzschale zusammen.

Im Regelfall werden Außen- und Innenschale ent-sprechend der statischen Vordimensionierung ausgeführt und eine Schale aus mikrobewehrtem Hochleistungsbeton davor gesetzt. Für diese gel-ten folgende Anhaltswerte: Betonfestigkeitsklasse C90, Stahlgehalt 200 kg/m3. Das Bau- und Her-stellverfahren – vorgesetzte Platten, verlorene Schalung, oder örtlich hergestellte Schale – sowie die Befestigung an bzw. der Verbund mit der Tun-nelschale sind während der Entwurfsplanung in Abhängigkeit voneinander festzulegen.

Die Wirkungsweise der Maßnahme besteht in der Reduzierung der Bauteilschädigung durch die di-rekte Spreng- oder Anprallwirkung. Dies ist insbe-sondere für dünne Tunnelschalen von Bedeutung. Aber auch bei dickeren Tunnelschalen besteht bei ungünstigen geologischen Verhältnissen (fließfähi-ger Boden, Grundwasser), insbesondere bei Ab-senktunneln, die Gefahr eines Boden-/Wassereinbruchs. Dem kann durch eine Vorsatz-schale aus mikrobewehrtem Hochleistungsbeton begegnet werden. Dementsprechend kann diese Maßnahme für alle Tunneltypen empfohlen wer-den.

Zu beachten ist jedoch, dass die Maßnahme hin-sichtlich der Auswirkungen auf die der Detonation folgenden Druckwelle keine signifikanten Verbes-serungen bringt. Um den aus der Druckwelle resul-tierenden Innendruck aufzunehmen bzw. Schäden daraus zu reduzieren, ist eine Kombination mit wei-teren Maßnahmen erforderlich. Dies ist insbeson-dere „T 05 - Dimensionierung für Explosionslas-ten“, also eine Bemessung der eigentlichen Tun-nelschale für Explosionsinnendruck mit entspre-chend erhöhtem Stahlanteil.

Für Tübbingtunnel ist zur Aufnahme des Innen-drucks zusätzlich die Maßnahme „T 08 - Zweischa-lige Bauweise“ erforderlich, da das Vielfugensys-tem Tübbingschale nicht in der Lage ist, Ringzug-kräfte aufzunehmen.

Außerdem ist die Verbindung der Vorsatzschale mit der tragenden Tunnelschale sowohl für den Explosionslastfall, aber auch für den Regelfall des laufenden Betriebs (Sog-/Druckwirkung) rechne-risch nachzuweisen. Wird diese Verbindung als schub- und zugfester Verbund hergestellt (bei An-ordnung der Vorsatzschale als verlorene Schalung mit Verbundbewehrung ähnlich einer Filigranplat-te), ist eine Bemessung der Tunnelschale als Verbundschale möglich. Dies kann zu einer Redu-zierung der Schalenstärke und zu Bewehrungsein-

sparungen führen.

Die Herstellung der mikrobewehrten Hochleis-tungsbetonteile ist Stand der Technik. Es gibt ent-sprechend markteingeführte Produkte, die bereits eingesetzt werden (z. B. DUCON).

Bei der Konstruktion existieren für die Befesti-gung der Vorsatzschale an der tragenden Tunnel-schale bzw. zur Erzielung einer Verbundwirkung mehrere Möglichkeiten. Die gängigsten sind eine nachträgliche Befestigung mittels Dübeln, der Ein-satz als verlorene Schalung mit entsprechender Anschlussbewehrung in den Vorsatzschalelemen-ten, oder eine nachträglich aufbetonierte Vorsatz-schale mit Anschlusselementen in der Tunnelscha-le.

Falls der Lichtraum des vorhandenen Tunnels aus-reichend Reserven gegenüber dem erforderlichen Lichtraumprofil bietet, kann eine Vorsatzschale im Rahmen einer Nachrüstung angeordnet werden. Bei erforderlichen Schalenstärken von mindestens 20 cm ist dies allerdings wohl nur in Ausnahmefäl-len gegeben. Die Vorgehensweise entspricht dann der bei einem Neubau mit nachträglich installierter Vorsatzschale (einzeln aufgedübelte Platten).

5.2.1.4 T 03 – Brandschutzbeton

Diese Maßnahme wirkt bei Brandereignissen und BLEVE. Die Wirkungsweise eines PP-faserverstärkten Betons hinsichtlich Reduzierung von Abplatzungen und daraus resultierenden wei-teren Schäden ist hinlänglich bekannt und Stand der Technik. Nach Festlegung des Schutzzieles, maßgeblich geprägt durch die Wahl der anzuset-zenden Brandkurve, ist die Betonzusammenset-zung in Abhängigkeit von der angestrebten Festig-keitsklasse zu bestimmen. Dabei sind neben dem PP- Fasergehalt (2-4 kg/m3) die Zuschlagsart und die Sieblinie die maßgebenden Parameter. Die Wirkungsweise der ausgewählten Betonzusam-mensetzung ist anschließend unter Berücksichti-gung der Bauteileigenschaften (insbesondere Bau-teildicke und Betondeckung) – durch Brandversu-che zu belegen.

Abgesehen von der geänderten Betonzusammen-setzung bleibt der Entwurf unbeeinflusst. Die Maßnahme ist für alle Tunneltypen uneinge-schränkt zu empfehlen. Im Vergleich mit der nach-folgend beschriebenen zweiten Brandschutzmaß-nahme (T 04 - Brandschutzbekleidungen) ergeben sich für beide Maßnahmen spezifische Vor- und Nachteile, die im Einzelfall abgewogen werden müssen und zur Wahl der einen oder anderen Maßnahme führen.

Vorteile von Brandschutzbeton gegenüber einer Brandschutzbekleidung sind:

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Schutz kritischer Brücken und Tunnel 38

� längere Lebensdauer (Lebensdauer entspricht der Lebensdauer der Tunnelschale während Brandschutzbekleidungen nach 25 bis 30 Jah-ren erneuert werden müssen),

� einfachere Inspektion der Tunnelschale, da die-se nicht verkleidet ist,

� der Brandschutz ist bereits im Bauzustand ge-währleistet,

� kürzere Bauzeit, da Montage Brandschutzplat-ten bzw. Aufbringung Brandschutzputz entfällt,

� geringerer Ausbruchsquerschnitt, da der Raum für die Bekleidung (einschl. Unterkonstruktion bis zu 10 cm) entfällt.

Wird ein Brandschutzbeton verwendet, so ist im Regelfall eine „heiße Bemessung“ durchzuführen. D.h., der Temperaturgradient zwischen Oberflä-chentemperatur der Tunnelschale innen (Brandsei-te) und außen (Erdseite) ist gemeinsam mit einer mittleren Erwärmung der Schale auf das Gesamt-system Tunnel/Boden anzusetzen. Dies führt, in Abhängigkeit von den Bettungsverhältnissen, zu Zwangsbeanspruchungen in der Schale, die sich mit den Beanspruchungen infolge Erd- und gege-benenfalls Wasserdruck überlagern und mit ent-sprechenden Sicherheiten nachgewiesen werden müssen.

Bei der Konstruktion sind keine wesentlichen Be-sonderheiten gegenüber einer herkömmlichen Tunnelschale zu beachten. Lediglich die Betonde-ckung muss so gewählt werden, dass die Beweh-rung ausreichend vor unzulässiger Erwärmung ge-schützt ist.

5.2.1.5 T 04 – Brandschutzbekleidungen

Brandschutzbekleidungen sind die zweite wirksa-me Maßnahme gegen Brandereignisse und BLE-VE. Dabei ist in Brandschutzplatten und Brand-schutzputze zu unterscheiden. Beide sind Stand der Technik und wirken ausmaßreduzierend bzgl. der Schädigung des Bauwerkes.

Durch die Anordnung von Brandschutzbekleidun-gen wird die Schadensstufe nach Tabelle 2: Scha-densstufen, s. Kap. 2.4.3, bei allen Tunneltypen auf 1 reduziert. Abplatzungen der Betonschale, unzulässige Erwärmung der Bewehrung und Über-beanspruchungen infolge von Zwangsschnittgrö-ßen werden durch die als Hitzeschutzschild wir-kende Bekleidung vollständig verhindert. Demnach liefert diese Maßnahme die beste Schutzwirkung bei Brandbeanspruchungen. Nach Festlegung des Schutzzieles, maßgeblich durch die Wahl der an-zusetzenden Brandkurve, ist die Schichtdicke der Bekleidung anhand der Herstellerangaben zu be-stimmen. Brandversuche sind im Regelfall nicht er-forderlich, da die einzelnen Systeme typgeprüft sind.

Der Vergleich zum Brandschutzbeton zeigt, dass beide Maßnahmen ihre spezifischen Vor- und Nachteile haben. Vorteile von Brandschutzbeklei-dung gegenüber Brandschutzbeton sind:

� optimale Wirksamkeit,

� schnellere und einfachere Instandsetzung nach einem Schadensfall,

� besser anpassbar an bzw. auch schützend für Einbauteile und Tunnelausrüstung.

Bei einem Neubau ist die Umsetzung dieser Maß-nahme direkt im Entwurf zu berücksichtigen. Schalenstärke und Dimensionierung der tragenden Tunnelschale bleiben zwar unverändert, aber der für den Aufbau der Bekleidung erforderliche Raum muss geschaffen werden. Im Regelfall bedeutet dies einen geringfügig vergrößerten Ausbruchs-querschnitt, bei Putzen um ca. 3-5 cm, bei Platten-bekleidungen um bis zu 10 cm einschließlich Un-terkonstruktion.

Die Maßnahme ist für alle Tunneltypen uneinge-schränkt zu empfehlen. Im Vergleich mit der zuvor beschriebenen Maßnahme T 03 - Brandschutzbe-ton ist im Einzelfall zu klären, welche die geeigne-tere ist.

Bei Brandschutzbekleidungen ist die vorab be-schriebene „heiße Bemessung“ in der Regel nicht erforderlich, da sich die tragende Tunnelschale nicht so stark erwärmt, dass Überbeanspruchun-gen aus Zwangsschnittgrößen entstehen.

Es ist jedoch eine Dimensionierung für die Festhal-tekonstruktion der Brandschutzbekleidung erfor-derlich. Diese ist sowohl für den Betriebsfall (Sog/Druck) als auch für den Sonderfall Brand durchzuführen.

Die Konstruktion von Brandschutzbekleidungen ist durch die Herstellervorgaben geregelt. Insbe-sondere die Befestigung an der eigentlichen Tun-nelschale ist sorgfältig zu planen. Dies gilt sowohl für Putze, die eine spezielle Untergrundvorberei-tung und ggfls. Verankerungselemente benötigen, als auch für Plattenbekleidungen. Für letztere sind entsprechende Unterkonstruktionen Bestandteil der Komplett-Lösungen, die von den Herstellern angeboten werden.

Falls der Lichtraum des vorhandenen Tunnels aus-reichend Reserven gegenüber dem erforderlichen Lichtraumprofil bietet, kann eine Brandschutzbe-kleidung auch im Rahmen einer Nachrüstung an-geordnet werden. In diesem Fall ist die Vorge-hensweise die gleiche wie bei einem Neubau, da auch bei diesem die Bekleidung in einem separa-ten Arbeitsgang auf die fertige Tunnelschale auf-gebracht wird.

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39 Schutz kritischer Brücken und Tunnel

5.2.1.6 T 05– Dimensionierung für Explosi-onslasten

In einem Tunnel ergeben sich infolge einer Explo-sion zwei Schadensmechanismen. Sofort nach der Detonation folgt die so genannte Schockphase mit sehr kurzer Dauer, die die Konstruktion lokal schä-digt. Daran schließt sich die so genannte Gas-druckphase an, die den Querschnitt über einen längeren Zeitraum mit teils sehr hohen Innendrü-cken beansprucht, so dass Tunnel mit hoher Au-ßenbelastung weniger anfällig sind als Bauwerke mit geringer Überdeckung (Belastung).

Eine Dimensionierung gegen Koffer-Ladungen ist nicht erforderlich ist, da sie keine kritischen Gas-drücke verursachen. Eine Bemessung gegen Lkw-Ladungen hingegen wird als nicht realistisch ange-sehen, Insofern ist die Maßnahme nur für die Initi-alereignisse BLEVE und Detonation Pkw-Ladung mit vertretbarem Aufwand geeignet.

Die Standsicherheit wird bei offen hergestellten Tunneln durch die Ausbildung einer symmetri-schen Bewehrung in Feld- und Stützenbereichen sowie einer Ausbildung von Rahmenecken für ne-gative und positive Eckmomente verbessert. Eine signifikante Vergrößerung der Konstruktionsdicke wird insbesondere für freitragende Decken wegen des erheblichen zusätzlichen Gewichtes nicht empfohlen. Für Zwischenwände bei mehrzelligen Tunneln ist eine Konstruktionsdickenerhöhung, verbunden mit einer Erhöhung der Bewehrung, sinnvoll und grundsätzlich möglich. Für geschlos-sen hergestellte Tunnel liegen noch keine Ergeb-nisse für die Dimensionierung vor, da hierbei die äußeren Bettungsverhältnisse eine erwartet große Rolle spielen. Diese Einflüsse wurden in SKRIBT nicht untersucht.

Bei der Bemessung sind objektspezifisch die loka-len Schädigungen und die globalen dynamischen Innendruckbelastungen zu klären. Anschließend kann der dynamische Lastfaktor zur Berechnung statischer Ersatzlasten anhand einer Eigenfre-quenzanalyse der Tunnelsubstrukturen (Sohle, Wand, Decke) bestimmt werden. Mit den gewon-nenen statischen Ersatzlasten kann die abschlie-ßende Bemessung für die Innen- und Außenbelas-tungen erfolgen.

Alternativ kann die Bemessung anhand von struk-turdynamischen Verfahren durchgeführt werden. Mit diesen Verfahren steigt der Berechnungsauf-wand, gleichzeitig aber auch die Rechengenauig-keit und damit die Wirtschaftlichkeit der Ergebnis-se. Ebenso kann auch bei mehrzelligen Anlagen der einzellige Restquerschnitt des Tunnels für alle auf ihn wirkenden äußeren Lasten bemessen wer-den.

Für die Konstruktion ist folgendes zu beachten:

Bei Dimensionierung eines (offen hergestellten) Tunnelbauwerkes für Explosionsbelastungen ist eine symmetrische Bewehrungsanordnung auf der Bauteilinnen- und -außenseite eine wirkungsvolle konstruktive Maßnahme. Optimal ist eine innen und außen gleich hohe Bewehrung.

Die symmetrische Bewehrung ist aber nicht nur in den Feldbereichen vorzusehen. Auch die Rah-menecken sind duktil für negative und positive Be-anspruchungen auszubilden. Je nach Beanspru-chung ergibt sich hierbei die Schwierigkeit, dass die Bewehrung platzmäßig untergebracht werden muss. Dazu sind u. U. Querschnittsverstärkungen erforderlich.

5.2.1.7 T 06 – Dämpferbeton

Eine Vorsatzschale aus Dämpferbeton dient dem Bauwerksschutz bei Explosionsereignissen. Die Energie absorbierende Wirkung des Dämpferbe-tons bewirkt eine deutliche Reduzierung der durch die direkte Sprengwirkung verursachten Beschädi-gung der Tunnelschale. Bei entsprechender Di-mensionierung kann ein Durchbruch verhindert und die Kraterbildung minimiert werden, so dass der Restquerschnitt in der Lage ist, den örtlichen Beanspruchungen aus Erd- und Wasserdruck standzuhalten.

Für die Gasdruckphase mit dem resultierenden In-nendruck im Tunnel ergibt sich keine signifikante Verbesserung. Hierzu sind Kombinationen mit an-deren Maßnahmen (insbesondere „T 05 - Dimen-sionierung für Explosionslasten“) erforderlich.

Hinsichtlich des erforderlichen Platzbedarfes gilt das Gleiche wie bei der Maßnahme „T 02 – Vor-satzschale aus mikrobewehrtem Hochleistungs-Beton. Der Ausbruchsquerschnitt muss ggfls. er-weitert werden, um die zusätzliche Dämpfer-betonschale aufzunehmen.

Wegen seiner hohen Kosten ist der Dämpferbeton nur an für das Gesamtbauwerk essentiell kritischen Stellen einzusetzen.

Vor Entwurf und Umsetzung der Maßnahme bedarf es allerdings noch eines Konformitätsnachweises zu den ZTV-ING sowie eines brandtechnischen Tauglichkeitsnachweises. Der im Rahmen von SKRIBT untersuchte Dämpferbeton mit zerkleiner-ten Maisspindeln und Flachsfasern als Füllstoff zeigte im Brandversuch brandschutztechnische Mängel, weshalb weitere Entwicklungsarbeiten bzgl. der Betonzusammensetzung erforderlich sind. Diese werden derzeit in einem dementspre-chenden Forschungsvorhaben [21] vorgenommen.

Bei der Bemessung ist die Dicke der Vorsatzscha-le aus Dämpferbeton in Abhängigkeit von der Stär-ke der Bemessungsexplosion, der Absorbtionsfä-higkeit von Detonationsenergie, der Stärke des

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Schutz kritischer Brücken und Tunnel 40

Konstruktionsbetons sowie der Interaktion zwi-schen Schutzschicht, Tunnelschale und Bettung zu ermitteln. Die Absorbtionsfähigkeit des Dämpferbe-tons ist gegeben durch seine plastische Verform-barkeit und damit abhängig von seinem Porenvo-lumen (z. B. 45 %).

Bei der Konstruktion werden die Fertigteile aus Dämpferbeton an die Tunnelschale je nach Mate-rialhärte des Dämpferbetonelements entweder mechanisch verankert oder geklebt. Die Fugen der Tunnelschale werden dabei mit überdeckt und da-durch geschützt. Zur Vermeidung von Schäden bei Kontakt- und Nahbereichsladungen wird zur Last-verteilung das zusätzliche Aufkleben eines Stahl-blechs erforderlich, damit bei der Nahbereichswir-kung der Detonation die Dämpferschicht nicht ver-drängt wird.

Falls der Lichtraum des vorhandenen Tunnels aus-reichend Reserven gegenüber dem erforderlichen Lichtraumprofil bietet, kann eine Vorsatzschale auch im Rahmen einer Nachrüstung angeordnet werden. Bei den erforderlichen Schalenstärken ist dies allerdings wohl, wie bei der Vorsatzschale aus mikrobewehrtem Hochleistungsbeton, nur in Aus-nahmefällen gegeben. Die Vorgehensweise ent-spricht der bei einem Neubau mit nachträglich in-stallierter Vorsatzschale (einzeln verankerte bzw. geklebte Platten).

5.2.1.8 T 07 – Designvorgabe Tunnelbrand: Verlängerte Vollbrandphase

Die Maßnahme wirkt bei Brandszenarien sowie BLEVE und beinhaltet eine Verlängerung der Voll-brandphase der ZTV-ING-Kurve um 30 min., so dass die Gesamtbranddauer 170 min. anstatt 140 min. beträgt. So wird ein höheres Niveau für den Schutz des Tunnelbauwerkes erreicht.

In den Regelwerken für Straßenverkehrsbauwerke, z. B. in den ZTV-ING [22], sollte die verlängerte Brandkurve als Designvorgabe für Tunnelbauwer-ke implementiert werden und für Tunnel, bei denen ein lokales Versagen des Tunnels infolge Brand-beanspruchung zu einem Verlust des gesamten Tunnels und/oder zu einem Verlust der Standsi-cherheit von angrenzenden sensiblen Bauwerken führt (z. B. Tunnel mit geringer Überdeckung, unter Gewässern oder Absenktunnel) gelten.

Für weitere relevante Tunnelbauwerke sollen ob-jektspezifische Regelungen unter Berücksichtigung der vorliegenden Randbedingungen getroffen wer-den.

Der Designvorgabe kann durch konstruktive Maß-nahmen beim Entwurf von Tunneln oder durch materialtechnische Veränderungen begegnet wer-den. Darüber hinaus kann das höhere Schutzni-veau auch durch zusätzliche Brandschutzbeklei-dung erreicht werden.

Bei der Bemessung von Tunneln, die mit der De-signvorgabe einer Verlängerung der Vollbrandpha-se der ZTV-ING-Kurve um 30 min. entworfen wer-den, müssen diese erhöhten Brandeinwirkungen berücksichtigt werden. Dazu sollten zunächst der Schädigungsvorgang und der Schädigungsgrad bei einer Brandbeanspruchung in Abhängigkeit vom Tunneltyp und den äußeren Gegebenheiten wie Geologie, Belastung und Betoneigenschaften ermittelt werden. Anschließend sollte eine Auswahl der Brandschutzmaßnahmen erfolgen.

5.2.1.9 T 08 – Zweischalige Bauweise

Als weitere Schutzmaßnahme bei Brand- und klei-neren Explosionsereignissen kann eine zusätzliche Innenschale zur Erhöhung des Bauteilwiderstan-des vorgesehen werden. In einem solchen Fall ist diese zusätzliche Innenschale als statisch nicht zwingend relevant bzw. notwendig anzusehen und demgemäß ohne äußere Lasten zu dimensionie-ren. Sie bietet zusätzlichen Schutz gerade im Be-reich von Gewässerunterquerungen, wo bereits geringfügige Schädigungen der Schale zu erhebli-chen Schäden, vor allem durch Wassereinbruch in das Bauwerk, führen können.

Zweischalige Bauweisen empfehlen sich vor allem bei Bauwerken hoher Kritikalität, welche bereits bei geringen Schädigungen durch eintretendes Was-ser gefährdet sind. Im Falle druckhaften Gebirges und hoher Ausnutzung des Querschnitts kann die zweite Schale u. U. zusätzliche statische Redun-danzen nach Prüfung im Einzelfall liefern.

Da es sich bei der zweiten Schale im Sinne der hier definierten Maßnahme um eine bauliche Auf-wertung eines ansonsten funktionalen Bauwerks handelt, entstehen für die Bemessung keine spe-ziellen Vorgaben aus der Maßnahme selbst. Eine zweite Schale kann vielmehr den speziellen bau-werksspezifischen Anforderungen (beispielsweise Schutz vor Großbrandereignissen) angepasst wer-den. Vor Beginn der Bemessung ist daher in Ab-hängigkeit von relevanten Szenarien ein exaktes Anforderungsprofil für den benötigten Bauteilwi-derstand zu definieren und die Bemessung dahin-gehend anzupassen.

Bei der Konstruktion sind im Vergleich zu übli-chen Schalenkonstruktionen keine zusätzlichen Eigenheiten zu berücksichtigen. Ausnahmen bil-den oben erwähnte besondere Anforderungen an die zweite Schale.

5.2.1.10 T 09 – Globale Redundanz

Die Maßnahme ist geeignet für Brand-, Explosions- und Kontaminationsereignisse sowie Überflutung und dient der Teilverfügbarkeit / Restverfügbarkeit nach dem Ereignis.

Für den Entwurf wird empfohlen, bei Gegenver-

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41 Schutz kritischer Brücken und Tunnel

kehrstunneln in bergmännischer Bauweise den üb-licherweise in Seitenlage angeordneten separaten Rettungsstollen in einen Fahrquerschnitt umzu-wandeln. Auf diese Art wird eine Richtungs-Verkehrs-Anlage mit getrennten Fahrröhren ge-schaffen. Im Hinblick auf die Kosten wird ein Son-derquerschnitt, bestehend aus einem Fahrstreifen mit Seitenstreifen mit einer Breite von 6 m, zwi-schen den Borden vorgeschlagen. Mit dieser Querschnittsgestaltung kann im Schadensfall der gesamte Verkehr über die Nachbarröhre im Ge-genverkehr abgewickelt werden.

Bei offen hergestellten Gegenverkehrstunneln greift die Maßnahme nicht, da die teuren Ret-tungsstollen meistens nicht ausgeführt und statt-dessen Treppenhäuser zur Oberfläche realisiert werden.

Bei einer Richtungsverkehrs-Tunnelanlage in offe-ner Bauweise mit gemeinsamer Mittelwand oder auch bei einer bergmännisch hergestellten Anlage mit gemeinsamem Mittelpfeiler sollte im Hinblick auf Explosionsbeanspruchungen die Mittelwand verdickt und explosionssicher ausgebildet werden. Dazu ist eine besondere Bemessung für die Ex-plosionsbeanspruchung wie in Maßnahme „T 05 – Dimensionierung für Explosionslasten“ beschrie-ben durchzuführen. Ebenso sind die dort beschrie-benen Konstruktionsmaßnahmen umzusetzen.

Eine Alternative stellt die Sicherstellung der Ver-fügbarkeit / Standsicherheit der dem Szenario ab-gewandten Tunnelzelle dar. Bei diesem Ansatz muss der verbleibende Restquerschnitt des Tun-nels nach dem Ereignis noch alle dann wirkenden äußeren Lasten abtragen können, es werden u. U. Zusatzmaßnahmen für die Horizontallasten erfor-derlich. Empfohlen werden die bei Spundwänden übliche Erdsporne.

Die globale Redundanz eines Bauwerkes kann im Rahmen einer Nachrüstung im Regelfall nicht hergestellt werden. Mit dem Bau wird die Konstruk-tion, z. B. mit getrennten Richtungsfahrbahnen, abschließend festgelegt. Bei einem einröhrigen bergmännisch hergestellten Gegenverkehrstunnel mit seitlichen Rettungsstollen aber kann (theore-tisch bei hohem Anforderungsgrad) eine zweite Fahrröhre, mit einer Spur plus Standstreifen, ent-weder an die Stelle des Rettungsstollens oder auf der anderen Hauptröhrenseite nachträglich gebaut werden. Das Prinzip entspricht dann dem Vorge-hen bei großen Tunnelprojekten, wo häufig aus Kosten- und Kapazitätsgründen zunächst nur eine von zwei im Endausbau geplanten Röhren reali-siert wird.

5.2.1.11 T 10 - Verkürzte Notausgangsabstän-de

Eine Verkürzung der Notausgangsabstände dient dem Nutzerschutz und wirkt ausmaßmindernd bei den Initialereignissen Brand, BLEVE, Kontaminati-on und Überflutung. Sie führt zu einer schnelleren Erreichbarkeit von Notausgängen, wirkt hierdurch direkt auf den Nutzer und verbessert so die Mög-lichkeit zur Selbstrettung. Somit ist diese Maß-nahme auch für Szenarien der Verkehrssicherheit relevant. Dies setzt allerdings voraus, dass die Nutzer richtig reagieren und ihr Fahrzeug verlas-sen.

Ihre Wirksamkeit wurde durch computergestützte Simulationen nachgewiesen. Die errechneten Schadenserwartungswerte ließen sich durch eine Verkürzung der Abstände von 300 m auf 60 m ins-besondere bei Brandereignissen drastisch reduzie-ren. Bei den simulierten Benzinbränden sank der Schadenserwartungswert auf weniger als ein Zehntel des Wertes für den Fall ohne Maßnahme.

Die Kosten für eine Verkürzung der Abstände vari-ieren je nach Tunneltyp stark. Bei zweiröhrigen Absenktunneln bzw. offener Bauweise können zu-sätzliche Notausgänge relativ kostengünstig reali-siert werden, wohingegen der Einbau bei berg-männischer Bauweise hohe Kosten verursacht. Wird ein Tunnel neu gebaut, kann dieser finanziel-le Unterschied Kriterium für die Planung als Ab-senk- oder Schildtunnel sein. Bei einer möglichen Nachrüstung ist die Beeinträchtigung des fließen-den Verkehrs während der Baumaßnahmen zu be-rücksichtigen.

Bei der Planung eines Neubaus oder im Zuge von Ertüchtigungs-/Instandsetzungsmaßnahmen sollte für den Einzelfall geprüft werden, ob unter Berück-sichtigung der objektspezifischen bau- und be-triebstechnischen Gegebenheiten eine Reduzie-rung der Notausgangsabstände zur Erhöhung der Sicherheit beitragen kann. In diesem Fall wird ein Abstand von 50 bis 100 m als zweckmäßig erach-tet.

5.2.2 Empfehlungen zur Vorgehensweise bei der Maßnahmenanwendung

5.2.2.1 Bei Neubauten

Im Rahmen eines Neubaus sind für einen Bau-werkseigentümer, der Schutzmaßnahmen an Tun-neln vorsehen möchte, generell alle erarbeiteten Maßnahmen möglich. Besonders die Bereiche Entwurf und Bemessung bieten die große Möglich-keit, zusätzliche Sicherheiten bezüglich eines Be-drohungsszenarios mit vergleichsweise geringem Aufwand und Eingriff in das Bauwerk einzuarbei-ten.

Die Anhebung des Sicherheitsniveaus führt den-

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noch zu einer Kostensteigerung. Damit ergibt sich eine neue Fragestellung für die frühe Phase eines Planungsprozesses: Welche Bedeutsamkeit hat das neue Bauwerk in der Zukunft und welches Schutzniveau für welches Szenario (oder welche Szenarien) soll oder muss eingehalten bzw. einge-plant werden.

Im Ergebnis muss der Bauwerkseigentümer mit Unterstützung seiner Fachberater diese Entschei-dung treffen. Von ihm ist am Ende für das konkrete Projekt zu definieren, wogegen und in welcher Höhe Schutzmaßnahmen ergriffen werden sollen. SKRIBT kann bei dieser Entscheidung keine direk-te Antwort beisteuern, aber Möglichkeiten aufzei-gen. Der Ablauf zur Entscheidungsfindung wird in den Kapiteln 1 und 3 beschrieben. Die Grundlage für die Entscheidung der Bauwerkseigentümer wird dazu von der Politik und nicht zuletzt von der Ge-sellschaft zu treffen sein, die festlegen muss, wie viel ihr die zivile Sicherheit von Verkehrsinfrastruk-turbauwerken wert ist und was sie bereit ist, dafür auszugeben. Private Betreiber treffen ihre diesbe-züglichen Entscheidungen in der Regel vor dem Hintergrund ihrer Betrachtungen zur langfristigen Absicherung ihrer Einnahmen und der Lebenszyk-luskosten des Bauwerks, siehe auch Kapitel 6.

Vom Bauwerkseigentümer ist daher stets für ein konkretes Projekt anhand der spezifischen Gege-benheiten das gewünschte Schutzziel zu bestim-men. Weiter ist die Umsetzung der resultierenden Schutzmaßnahmen vom Bauwerkseigentümer festzulegen und gegenüber dem Planer im Einzel-nen abzufordern. Damit wird dem Umstand Rech-nung getragen, dass die Maßnahmen, die mit mehr oder weniger hohen Zusatzaufwendungen verbun-den sind, zielgerichtet und anforderungsgemäß umgesetzt werden und dem Gebot der Wirtschaft-lichkeit entsprechen.

5.2.2.2 Bei Nachrüstung

Für die öffentliche Hand als Bauwerkseigentümer stellt sich das Thema Nachrüstung bzw. Verstär-kung von Tunnelbauwerken neben dem Identifizie-ren der für das jeweils betrachtete Einzelbauwerk angemessenen Maßnahme bzw. Maßnahmen-kombination infolge des großen Bauwerksbestan-des als Mengenproblem und in der Folge davon als Finanzierungsproblem dar. Wo setzt man in dieser Situation die knappen Finanzmittel ein und welches Sicherheitsniveau ist jeweils mindestens zu gewährleisten? Für private Betreiber stehen bei den Überlegungen zur nachträglichen Nachrüstung bzw. Verstärkung ihrer Bauwerke vor allem die Fragen der betriebswirtschaftlichen Notwendigkeit sowie des wirtschaftlichen Nutzens im Vergleich zum finanziellen Aufwand im Vordergrund.

Die Nachrüstung bzw. Verstärkung von Bauwerken im Hinblick auf mögliche Bedrohungsszenarien er-

fordert daher eine hierarchisch strukturierte Vorge-hensweise, mit mehreren Prüfstufen, bevor für das konkrete Bauwerk bauliche oder sonstige bau-werksschützende Maßnahmen ergriffen werden können.

Wurde ein Bauwerk anhand des Identifizierungs-verfahrens als gefährdet herausgefiltert, muss die Frage geklärt werden: Gegen welches Szenario sind nachträgliche Schutzmaßnahmen zu ergrei-fen, gibt es überhaupt solche dafür und sind sie bezogen auf das individuelle Bauwerk wirksam und angemessen? Dann können die am Objekt mögli-chen und wirtschaftlichen Maßnahmen ausgewählt werden. Wie aus Tabelle 4 ersichtlich, sind bau-technische Maßnahmen in relativ überschaubarem Rahmen möglich. Es folgen Planung und Aus-schreibung der Nachrüstung / Verstärkung durch spezialisierte Fachplaner. Nach der Vergabe der baulichen oder sonstigen Leistungen durch den Bauwerkseigentümer bildet die Realisierung den letzten Punkt der Vorgehenskette.

5.2.2.3 Bei Instandsetzung

Ist ein Tunnelbauwerk durch ein Initialereignis, sei es Brand, Explosion, Kontamination, Naturgewal-ten oder mechanische Einwirkungen, beschädigt worden, geht dies in der Regel mit einer Verkehrs-beeinträchtigung, im schlimmsten Fall mit einer Vollsperrung, einher. Vor dem Hintergrund der Ver-fügbarkeit der Verkehrsinfrastruktur in volkswirt-schaftlicher Hinsicht und der Minimierung des Aus-falls von Mauteinnahmen bei privat betriebenen Tunneln ist eine möglichst schnelle Instandsetzung des zerstörten Bauwerkes herbeizuführen. Je nach verkehrlicher Bedeutung ist das Anforderungsni-veau an die Wiederherstellungszeit sehr hoch. Dies bedeutet, dass konventionelle Vorgehenswei-sen - wie bei einem Neubau - aufgegeben werden müssen, um Zeit zu sparen.

Die Bauwerksinstandsetzung gliedert sich in 4 Phasen. Diese sind

� Vorlaufende Arbeiten

� Planung

� Ausschreibung und Vergabe

� Baudurchführung.

Bei allen Phasen ist im Regelfall in kürzester Zeit das jeweilige Ergebnis zu realisieren, worunter Sorgfalt und Qualität der Arbeit nicht leiden dürfen.

� Vorlaufende Arbeiten

Als vorlaufende Arbeiten sind unmittelbar nach dem Ereignis Sofortmaßnahmen, wie z. B. das Sperren des Bauwerks und die Einrichtung von Verkehrsumleitungen, zu ergreifen. Weiter können Sicherungsmaßnahmen am Bauwerk selbst oder an angrenzenden Gebäuden und Anlagen not-wendig werden.

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Nachdem die notwendigen Sicherungsmaßnah-men durchgeführt wurden, folgen Schadensbesich-tigungen und Schadensbegutachtungen. Bei schweren Schäden ist davon auszugehen, dass die Staatsanwaltschaft tätig wird und Ermittlungen aufnimmt. Hierzu werden vielfach Experten einge-bunden, die die Ursachen des Ereignisses klären sollen. Häufig werden auch Versicherungs-Sachverständige tätig, die das Ausmaß des Scha-dens und die Ursache aus Sicht der Assekuranz klären.

Wenn bis dahin noch nicht geschehen, sind nach der Bauwerksfreigabe durch die Staatsanwalt-schaft erste Aufräumarbeiten mit anschließenden weitergehenden gutachterlichen Untersuchungen zur Tragwerksschädigung auszuführen. Es wird geklärt, was von der Tragkonstruktion verbleiben kann und was abgebrochen werden muss.

Am Ende der vorlaufenden Arbeiten sollten die Schadensursache und ihr Ausmaß klar und ent-sprechend dokumentiert sein. Vorgaben für die Reparaturmaßnahmen und somit die Randbedin-gungen für die Wiederherstellungsplanung liegen nun vor.

� Planung

Bei größeren Schäden ist im Regelfall zur Instand-setzung des Bauwerkes eine Planung zu erstellen. Bei kleineren Schäden wird diese Leistung wahr-scheinlich nicht notwendig, so dass hier eine schnellere Vorgehensweise möglich ist. Für die Planung sind erfahrene und kompetente Pla-nungspartner für den Bauwerkseigentümer uner-lässlich. Sofern nicht bereits parallel zur Schadens-feststellung die Planerauswahl erfolgt ist, muss diese mit den vorliegenden Schadensausmaßer-kenntnissen schnellstmöglich vollzogen werden.

Für öffentliche Auftraggeber gelten einzuhaltende Vergaberegularien. Nach der Verdingungsordnung für freiberufliche Leistungen (VOF) [17] können Planerleistungen bis zu einem Schwellenwert von ca. 200.000 €, dies entspricht einer Wiederher-stellkostengröße von etwa 3,2 Mio. €, sofort frei-händig an einen geeigneten Planer vergeben wer-den. Planerleistungen ab diesem Schwellenwert sind öffentlich auszuschreiben.

Ein normal ablaufendes VOF-Verfahren dauert bei günstigem Ablauf mindestens 10 Wochen, daher muss ein schnellerer Weg beschritten werden. Für derartige Probleme ist nach VOF § 3 (4) d zu ver-fahren und das Verhandlungsverfahren ohne Teil-nahmewettbewerb durchzuführen. Der Auftragge-ber wird hierbei Gespräche mit geeigneten Planern führen, die mindestens 5 Tage bis zur Angebots-abgabe in Anspruch nehmen. Die Auswertung mit anschließender Einspruchsfrist dauert 15 Tage, so dass nach etwa 3 Wochen der Planungspartner feststehen kann.

Bei privaten Betreibern werden die Planungsarbei-ten in der Regel im Rahmen einer beschränkten Ausschreibung oder einer freien Vergabe an die dem Betreiber zugehörigen Bauunternehmen über-tragen.

Sehr früh muss geklärt werden, ob beim vorliegen-den Alter des Bauwerkes eine Reparatur sinnvoll ist oder ein Neubau unter Würdigung künftiger Entwicklungen (z. B. höhere Verkehrslasten oder stärkere Robustheit gegenüber Naturkatastrophen oder Terroranschlägen) eine geeignetere Alternati-ve darstellt. Ebenso sind die vorliegenden Prüfbe-funde zum Bauwerkszustand vor dem Schadens-ereignis einzubeziehen. Nach Klärung des Vorge-hens kann mit der eigentlichen Planung zur Sanie-rung oder zum Neubau begonnen werden.

Wird die Entscheidung für eine Wiederherstellung gefällt, ist entsprechend dem Schadensausmaß ein Sanierungskonzept zu entwickeln und aus-schreibungsreif durchzuplanen. Ergänzende stati-sche Entwurfsberechnungen sind parallel durchzu-führen. Für die Planung der Sanierungsmaßnahme ist im Normalfall kein zeitaufwändiges Zustim-mungsverfahren (z. B. BMVBS-Entwurfszustim-mung) durchzuführen, statt dessen sollte im Hin-blick auf die Zeitschiene schnellstmöglich Zustim-mungen und Entscheidungen zu den Planungsin-halten erfolgen. Selbstredend ist die Forderung an den Planer, einen maximalen Ressourceneinsatz zu gewährleisten, um die Ausschreibung kurzfristig fertig zu stellen.

Bei der Entscheidung für einen Neubau anstelle einer Wiederherstellung muss das Ziel verfolgt werden, die Planung im Zeitrahmen einer Wieder-herstellung zu erbringen. Dies ist ein hoher An-spruch, der aber mit partnerschaftlicher Zusam-menarbeit zwischen Planer und Bauherr umgesetzt werden kann.

� Ausschreibung und Vergabe

Das Vorgehen für Ausschreibung und Vergabe von Wiederherstellungsarbeiten richtet sich nach der VOB/A, [18] für öffentliche Auftraggeber nach dem Abschnitt 2 VOB/A. Wie bei der Planung bereits dargestellt, sind die Wiederherstellungsmaßnah-men nach einem Schadensereignis als sehr vor-dringlich einzustufen, so dass das reguläre offene Verfahren bzw. die öffentliche Ausschreibung nicht zur Anwendung gelangen kann.

Mit der gleichen Dringlichkeit wie bei der Planung kann der öffentliche Auftraggeber bis 10.000,00 € Wiederherstellkosten freihändig (VOB/A § 3 (5)) und bis 150.000,00 € beschränkt ohne vorgeschal-teten Teilnahmewettbewerb vergeben (nicht offe-nes Verfahren nach VOB/A § 3 a (3)). Darüber hinaus kann nur ein Verhandlungsverfahren, das an die Stelle der freihändigen Vergabe tritt (VOB/A § 3 a (1) 4.), weiterverfolgt werden. Im Hinblick auf

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die Dringlichkeit kann aber auf den öffentlichen Teilnahmewettbewerb verzichtet werden (VOB/A § 3 a (6) Nr. 4).

Der Zeitbedarf für Ausschreibung und Vergabe, d.h. für Angebotskalkulation, Submission, Ange-botswertung und Vergabe der Leistung, wird bei umfänglichen Wiederherstellungsleistungen eine größere Zeitspanne erfordern. Aus der VOB/A § 10 a (2) Nr. 4b ergeben sich die Mindestzeiten für die Abgabe der Angebote beim nicht offenen Verfah-ren.

Es folgen Verhandlungen mit den Bietern und die Auswahl des künftigen Baupartners. Anschließend ist der Auftrag zu formulieren, die nicht gewählten Bieter erhalten eine Benachrichtigung, an die sich eine 14-tägige Einspruchsfrist anschließt. Dann ist der obsiegende Bieter nach maximal 3 Monaten beauftragt.

Bei privaten Betreibern werden die Sanierungsar-beiten analog den Planungsarbeiten in der Regel ebenfalls im Rahmen einer beschränkten Aus-schreibung oder einer freien Vergabe an die dem Betreiber zugehörigen Bauunternehmen übertra-gen.

� Baudurchführung

Sofort nach der Vergabe muss mit der Baudurch-führung, der Wiederherstellung oder dem Neubau, begonnen werden. Wie bei den vorhergehenden Ablaufschritten ist auch beim Bau die Zeit im Hin-blick auf die Wiederverfügbarkeit der entscheiden-de Faktor. Aus diesem Grund sind Mehrschichtbe-trieb sowie Arbeiten am Wochenende trotz erhöh-ter Kosten notwendige Maßnahmen. Die Mehrkos-ten relativieren sich sehr schnell über die volks-wirtschaftlichen oder privatwirtschaftlichen Verlus-te, die ein Vielfaches der Mehraufwendungen dar-stellen.

Bei der Baudurchführung muss ein bis auf die letz-te Aktivität optimierter Bauablauf umgesetzt wer-den. Die erforderliche Logistikleistung muss von den Baufirmen abgefordert und gesondert vergütet werden. Hierdurch werden aber die Abläufe so ge-strafft, dass Bauzeit gespart und damit die Ge-samtkosten minimiert werden.

� Angemessene Lösungen

Die angemessene Lösung für die Instandsetzung eines Tunnels nach einer Beschädigung hat sich im Wesentlichen nach der Art und dem Ausmaß des Schadens, der Bauart und dem Alter des Tun-nels sowie den relevanten Standortfaktoren (z. B. regionale Lage, verkehrliche Anforderungen, zu-künftige Entwicklungen, etc.) zu richten.

Aufgrund der vielfältigen Ausprägungsmöglichkei-ten von Schäden, Bauwerkseigenschaften und Standortfaktoren kann es keinen allgemein gülti-

gen Lösungsansatz für eine angemessene Bau-werksinstandsetzung geben. Vielmehr muss für je-den Fall eine individuelle Lösung unter Berücksich-tigung einer möglichst schnellen Realisierung der Sanierung sowie der Angemessenheit der resultie-renden Kosten erarbeitet werden. Hierzu ist eine vertrauensvolle sowie zeit- und kostenorientierte Zusammenarbeit zwischen Bauwerkseigentümer und einem kompetenten Tunnelplaner unabding-bar.

Zusätzlich zur Wiederherstellung ihrer verkehrli-chen Funktion sollte der Tunnel im Zuge ihrer In-standsetzung natürlich mit entsprechenden Schutzmaßnahmen ausgerüstet werden, die den durch das gegebene Ereignis eingetretenen Scha-den oder weitere, aufgrund des Schadenseintritts neu bewertete Schadensrisiken in Zukunft verhin-dern oder zumindest auf ein akzeptables Maß mit ausreichender Sicherheit reduzieren. Prinzipiell gelten hierfür alle für den Fall der Nachrüstung / Verstärkung beschriebenen Lösungen sinngemäß.

Grundsätzlich hat die Erfahrung mit der Instand-setzung von lokal geschädigten Tunneln gezeigt, dass die Bestimmung, welche Bauwerksteile noch ausreichend funktionstüchtig sind und welche Be-reiche saniert werden müssen, in der Regel sehr komplex ist. Zudem sind die Detailplanung und Ausführung des Anschlusses der wiederherzustel-lenden Bauteile an den unbeschädigten Bau-werksbestand schwierig und aufwändig. Vor die-sem Hintergrund ist unter Berücksichtigung des Schadensausmaßes, des Bauwerksalters und der zukünftigen Beanspruchung für jeden Einzelfall genau abzuwägen, ob eine Instandsetzung mittels Reparatur oder ein kompletter Neubau des Tun-nels die zeitlich und wirtschaftlich bessere Lösung darstellt.

5.2.3 Empfehlungen zur schnellen Wiederinbetriebnahme

Die Abläufe von den ersten Rettungs- und Siche-rungsmaßnahmen nach dem Eintritt eines Ereig-nisses bis zur Wiederinbetriebnahme nach erfolg-ter Bauwerkssanierung sind, wie die Instandset-zungslösungen selbst, je nach Schadensausmaß, Bauwerksart und –alter sowie lokalen Standortfak-toren völlig unterschiedlich. Die Erarbeitung eines allgemein gültigen Leitfadens für die Wiederinbe-triebnahme eines Tunnels ist daher praktisch un-möglich. Lediglich das Ziel, jede Wiederinbetrieb-nahme so schnell wie möglich unter Einhaltung ei-nes angemessenen Kostenrahmens zu realisieren, ist für jedes individuell zu erarbeitende Konzept als übergeordnet und allgemein gültig zu betrachten.

Um dieses Ziel zu erreichen, ist es sinnvoll, im Rahmen der Sicherheitsdokumentation für jedes Tunnelbauwerk bereits im Vorfeld der Eröffnung grundsätzliche Konzeptstrategien zu entwickeln,

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die alle für den Tunnel relevanten, vom Schadens-ereignis und Schadensausmaß unabhängigen Ein-flussgrößen (z. B. lokale Standortfaktoren, betrei-berspezifische Rahmenbedingungen) bereits be-rücksichtigen. Auf Basis dieser allgemeinen Stra-tegien müssen dann im Schadensfall detaillierte Ablaufkonzepte unter Berücksichtigung aller ereig-nis- und schadensrelevanten Parameter erarbeitet und umgesetzt werden.

Eine Lösungsmöglichkeit für diesen Ansatz ist es, die Betriebs- und Sicherheitsdokumentation, in der Vorgehensweisen für vorhersehbare Schadens-szenarien (z. B. Betriebsstörungen durch Unfall, oder begrenzter Brand) definiert werden, um Vor-gaben für das Management einer Krise zu erwei-tern. Als Krise können hierbei z. B. alle Vorgänge definiert werden, die die Sicherheit und Gesund-heit von Bauwerksnutzer und Betriebspersonal, des Bauwerks und / oder der Umwelt auf unvor-hergesehene Weise und in hohem Maße gefähr-den. Die Reaktion auf solche Vorgänge liegt jen-seits der unmittelbaren Kontrolle des Betreibers.

Die Definition folgender grundsätzlicher Konzepte im Vorfeld des ereignisbezogenen Krisenmanage-ments kann die Vorgänge und Lösungen zur In-standsetzung und Wiederinbetriebnahme eines beschädigten Bauwerks deutlich beschleunigen:

� Definition der Zusammensetzung eines inter-disziplinären Krisenmanagement-Teams aus betreiberinternen und externen Spezialisten sowie eines entsprechenden Koordinators und Ablage der entsprechenden Kontaktdaten aller Teammitglieder in einer zentralen und für alle Mitarbeiter zugänglichen Datenbank

� Vorbereitung eines Einsatzzentrums für das Krisenmanagement-Team

� Definition von 24 Std./Tag Bereitschafts-, Ent-scheidungs-, Planungs- und Handlungsverant-wortlichkeiten. Die Erfahrung aus konkreten Einzelfällen zeigt, dass es sinnvoll sein kann, erfahrenen Vor-Ort-Mitarbeitern für den Zeit-raum der Krisenbewältigung weit reichende Möglichkeiten zur Eigeninitiative mit entspre-chenden, auch finanziellen Handlungsermäch-tigungen zu übertragen.

� Einrichtung von krisensicheren, redundanten Kommunikationsnetzen, die auch in Worst-Case-Szenarien (z. B. kompletter Stromausfall und kein Handy-Betrieb möglich) funktionieren

� Festlegung kontinuierlicher Informationsweiter-gabe innerhalb des Krisenmanagement-Teams und aller Beteiligten (z. B. im Rahmen von re-gelmäßigen Koordinationstreffen oder durch re-gelmäßige Übermittlung eines Fortschrittbe-richts der verschiedenen Einsatzgruppen an al-le Mitarbeiter)

� Festlegung schneller Kooperationswege zwi-schen allen notwendigen Beteiligten (z. B. Be-treiber, Versicherungsvertreter, Genehmi-gungsbehörden, Planer, Bau- und Betriebs-dienstleister)

� Klare und entsprechend verbreitete Dokumen-tation des Versicherungsschutzes für alle denk-baren Schadensszenarien (Versicherungsbe-dingungen, entsprechende Deckungssummen, welche Einbehalte)

� Erstellung von Finanzierungsplänen für die schnelle Instandsetzung großer Schäden und den ggfls. notwendigen kompletten Abriss und Neuaufbau.

Zudem sollten ebenfalls frühzeitig folgende grund-legende Konzepte zur Minimierung der Verkehrs-beeinträchtigung im Krisenfall erarbeitet werden:

� Einrichtung von krisensicheren, redundanten Verkehrskontrollsystemen

� Verkehrsführungskonzepte für den Fall einer Teilsperrung des Tunnels

� Umleitungskonzept zur Aufrechterhaltung der regionalen Verkehrsverbindungen für den Fall einer notwendigen Vollsperrung des Tunnels

� Bauwerksnahe Bevorratung von Absperr- und Umleitungsmaterial und entsprechender Ver-kehrszeichen

Die Praxiserfahrung zeigt, dass die Ausgabe klarer und zielgerichteter Rahmenvorgaben zur Bewälti-gung derartiger Krisen durch die verantwortliche Leitung des Betreibers eminent wichtig ist. Hierbei sind neben den Entscheidungs- und Handlungs-verantwortlichkeiten auch die Priorisierung bzgl. Minimierung der Verkehrsbeeinträchtigung gegen-über einer möglichst schnellen Bauwerksinstand-setzung festzulegen. Z. B. kann die Aufrechterhal-tung einer Teilpassierbarkeit des Tunnels priorisiert werden, auch wenn daraus eine deutlich längere Instandsetzungszeit resultiert.

Alle im Rahmen einer Instandsetzung und Wieder-inbetriebnahme gemachten Erfahrungen sind zur besseren Bewältigung künftiger Krisen und Be-schleunigung der Wiederinbetriebnahme zu analy-sieren und zu dokumentieren, die Sicherheitsdo-kumentation für den Krisenfall ist entsprechend fortzuschreiben.

5.3 Empfehlungen zur Maßnahmenan-wendung für Betreiber, Einsatzdiens-te und Nutzer

Im folgenden Kapitel werden zwölf betriebliche und fünf organisatorische Schutzmaßnahmen für Tun-nel sowie ihre Wirkungsweisen erläutert. Zwei der Maßnahmen wirken präventiv, die übrigen dienen primär dem Nutzerschutz, die meisten nachgeord-

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net auch dem Bauwerksschutz. Sie sind zur Prä-vention und/oder Ausmaßminderung bei verschie-denen Extremereignissen geeignet, die wegen ih-rer geringen Eintrittswahrscheinlichkeit im Design nicht berücksichtigt werden.

Da für ihre Umsetzung in den meisten Fällen nicht die Nutzer selbst, sondern entweder der Betreiber des Tunnels oder die Einsatzdienste verantwortlich sind, werden die Empfehlungen für die einzelnen Maßnahmen an diese Zielgruppen gerichtet formu-liert.

Eine Unterscheidung zwischen Neubau, Nachrüs-tung und Instandsetzung wie bei den Maßnahmen zum Bauwerksschutz erfolgt hier nicht, da Unter-schiede, wenn überhaupt, nur bei den Investitions-kosten bestehen. Eine detaillierte Beschreibung der Maßnahmen ist den angehängten Maßnah-menblättern zu entnehmen.

5.3.1 Empfehlungen für Betreiber

5.3.1.1 T 11 - Detektion überhitzter Fahrzeuge

Die Erkennung überhitzter Fahrzeuge wirkt präven-tiv und kann helfen, Unfälle, Brände, sowie durch Überhitzungsbrände ausgelöste Explosionen und Kontamination zu verhindern und auf diese Weise sowohl die Sicherheit der Nutzer zu erhöhen, als auch das Bauwerk vor gravierenden Beschädigun-gen zu schützen.

Im Fall einer Detektion überhitzter Fahrzeuge kön-nen diese an einer Einfahrt in den Tunnel gehin-dert und die Gefährdung auf diese Weise frühzeitig abgewendet werden. Maßnahmen zur Verhinde-rung einer unerlaubten Einfahrt können bei weit vorgelagerter Detektion ein direktes Herausholen des Fahrzeugs oder Sperreinrichtungen, z. B. Ver-kehrssignale oder Schranken, an der Tunnelein-fahrt umfassen.

Die Sensorik für die Maßnahme besteht aus Video- und Wärmebildkameras, die seitlich oberhalb der Fahrbahn installiert werden (z. B. an Schilderbrü-cken oder Masten), daher wird der fließende Ver-kehr – außer im Alarmfall - weder durch den Ein-bau noch durch die Maßnahme selbst beeinträch-tigt.

Die Maßnahme zielt in ihrer aktuellen Ausprägung zuvorderst auf die automatisierte Unterstützung bei der Detektion überprüfungswürdiger Fahrzeuge ab, deren Temperaturprofil und Wärmebild dem sachkundigen Operator in der Leitstelle zur weite-ren Begutachtung und Veranlassung im Alarmfall zur Verfügung gestellt werden. Nach derzeitigem Stand der Technik ist eine automatisierte Sperrung der Tunneleinfahrt im Falle eines erkannten über-hitzen Fahrzeugs nicht zu empfehlen, da es für die Festlegung von geeigneten Schwellwerten noch weiterer Forschung sowie Regulierung bedarf.

Die Kosten der Maßnahme für den Betreiber sind moderat und betreffen im Wesentlichen die Senso-rik (Kameras) und das Auswertesystem (Software und Server) sowie die entsprechende Schulung der Operatoren. Bei Umsetzung der Maßnahme sind datenschutzrechtliche Belange zu beachten.

Es wird empfohlen, dass insbesondere Betreiber von Tunneln nach Gefällestrecken oder von länge-ren Tunneln, bei denen ein Ausfall bzw. eine Wie-derherstellung sehr hohe Kosten bedeuten wür-den, und bei denen potenziell mit einer hohen An-zahl an Personenschäden gerechnet werden muss, den Einsatz dieser Maßnahme prüfen soll-ten. Des Weiteren wird empfohlen, die Maßnahme im Rahmen von umfassenderen Feldtests sowie Forschungs- und Entwicklungsprojekten weiter zu verfeinern und ggfls. eine entsprechende Regulie-rung anzustoßen.

5.3.1.2 T 12 - Gefahrgutbeschränkung/ kate-gorisierung

Die Kategorisierung und Beschränkung von Ge-fahrgut wirkt präventiv und kann Brand, Kontami-nation sowie durch Unfälle ausgelöste Explosionen verhindern. Sie ermöglicht, gezielt bestimmte Ge-fahrgüter von der Tunneldurchfahrt auszuschlie-ßen, wodurch Unfälle mit den ausgeschlossenen Gefahrgütern nicht mehr auftreten können. So werden sowohl die Nutzer als auch das Bauwerk geschützt.

Durch eine alleinige Beschränkung ohne zusätzli-che Maßnahmen wird ein Großteil der ausge-schlossenen Gefahrgüter ferngehalten. Soll die Si-cherheit optimiert werden, kann die Gefahrgutbe-schränkung mit einer Gefahrgutdetektion (s. „T 13 / T 14 – Gefahrgutdetektion“) und einer Sperrein-richtung für den Tunnel kombiniert werden. So kann auch die vorsätzliche, unerlaubte Einfahrt in den Tunnel verhindert werden.

Die Ermittlung der Kategorisierung erfolgt nach dem mehrstufigen „Verfahren zur Kategorisierung von Straßentunneln gemäß ADR 2007“ [23]. Hier werden die Gefahrgutrisiken sowohl für den Tunnel als auch für die mögliche Umfahrungsstrecke, für die die umgeleiteten Gefahrgüter ein zusätzliches Risiko darstellen, bewertet.

Bisher wird dieses Verfahren im Rahmen einer Ri-sikoanalyse angewendet, wenn ein Tunnel ab 400 m Länge eine besondere Charakteristik z.B. hin-sichtlich der Bauart, der Verkehrsart oder der Höhe des Lkw-Verkehrs aufweist. Es wird empfohlen, das Verfahren flächendeckend bei allen Tunneln anzuwenden.

Es handelt sich um eine Maßnahme mit geringen Kosten für den Betreiber, da die Anschaffungskos-ten sowohl bei Neubau als auch bei Nachrüstung niedrig sind und keine weiteren Unterhaltskosten

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entstehen. Dies ist vom Objekt unabhängig. Neben den reinen Investitionskosten sind bei der Umset-zung allerdings auch die wirtschaftlichen Kosten-folgen zu berücksichtigen. Diese ergeben sich z. B. für den Gefahrgutspediteur bei einer notwendigen Umfahrung des Tunnels aufgrund einer vorhande-nen Kategorisierung.

5.3.1.3 T 13/T14 Gefahrguterkennung

Die Gefahrguterkennung mittels Video bzw. RFID ermöglicht es dem Operator sowie den Einsatz-diensten, zielgerichtet auf die aktuell im Tunnel herrschende Gefahr zu reagieren und beispiels-weise bei Benzin kein Wasser sondern entspre-chende Schaumlöschmittel einzusetzen. Darüber hinaus kann die Einhaltung der Tunnelkategorie gemäß ADR [23] überwacht werden. Insofern wirkt diese Maßnahme ausmaßmindernd für Nutzer und Bauwerk.

Beim Transport gefährlicher Güter ist, auch wenn die vorgeschriebenen Sicherheitsvorkehrungen eingehalten werden, das Risiko eines Störfalles nicht generell auszuschließen. Das Risiko nimmt zu, je mehr LKW sich gleichzeitig in einem Tunnel befinden, da es im Störfall zu einer Kettenreaktion kommen kann. Des Weiteren ist im Brandfall nicht jedes Gefahrgut mit Wasser zu löschen. Daher ist es von Nutzen zu wissen, welche Gefahrgüter sich jeweils in einem Tunnel befinden. Dies kann durch eine Detektion von Gefahrgut-LKW zum Beispiel per Videodetektion über die Gefahrguttafel oder über einen RFID-Tag vor der Einfahrt in den Tun-nel geschehen. Hierdurch ist im Ereignisfall die Möglichkeit gegeben, gezielte Maßnahmen gegen die im Tunnel befindlichen Gefahrgüter zu ergrei-fen.

Die Kosten der Maßnahme für den Betreiber sind moderat und betreffen im Wesentlichen die Senso-rik (Kameras / RFID Empfänger) und das Auswer-tesystem (Software und Server) sowie die entspre-chende Schulung der Operatoren.

Es wird empfohlen, dass insbesondere Betreiber von längeren Tunneln, bei denen ein Ausfall bzw. eine Wiederherstellung sehr hohe Kosten hervorru-fen würde und bei denen potenziell mit einer ho-hen Anzahl an Personenschäden gerechnet wer-den muss, den Einsatz dieser Maßnahme prüfen sollten.

Die Ergebnisse des Feldtests im Projekt SKRIBT, insbesondere die erreichten Detektions-Leistungen, lassen in Kürze eine technologisch stabile Lösung für das automatische Lesen von Gefahrguttafeln per Videodetektion am Markt er-warten. Da es sich um eine rein Infrastruktur-basierte Lösung handelt, sind Änderungen an den Fahrzeugen nicht notwendig.

Allerdings kann das manuelle Zusammensetzen

der Gefahrguttafeln zu Lesefehlern führen. Zudem gibt es Gefahrguttransporter mit mehreren unter-schiedlich geladenen Gefahrgütern, die nur durch eine neutrale Tafel ohne Aufschrift gekennzeichnet sind. Es wird empfohlen, diese zu vermeiden. Die-se Problematik entzieht sich aber dem direkten Einfluss des Betreibers, da sie im ADR [24] gere-gelt wird.

Ein RFID gestütztes System ist deutlich genauer, hierfür sind jedoch noch operative Modelle zu er-arbeiten. Die Anordnung und Einbindung eines RFID Empfangssystems wäre ähnlich wie bei der Kamera. Für die RFID Sendesysteme (Tags) müssten innerhalb der nächsten 2-3 Jahre Stan-dards festgelegt und mindestens Europa-weit ge-setzliche Regelungen auf den Weg gebracht wer-den, welche in der Vorschrift resultieren, dass je-der Gefahrguttransporter mit einer entsprechenden elektronischen Gefahrguttafel ausgerüstet wird.

Bei beiden Varianten sind datenschutzrechtliche Belange zu beachten.

5.3.1.4 T 15 - ITCC Integration

Die Vielzahl der zu verarbeitenden Informationen, die in einem Tunnel laufend anfällt, ist für eine "manuelle" Verarbeitung durch den Bediener nicht geeignet. Eine entsprechende Integration in die bestehende Betriebsleittechnik ist daher unerläss-lich, da nur durch sie eine abgestimmte und koor-dinierte Reaktion des Systems auf Ereignisse si-chergestellt werden kann.

Im Projekt SKRIBT wurden zwei Arten von ITCC („International Tunnel Control Center“) Integration betrachtet:

� Integration der neuartigen Detektoren (Erken-nung überhitzter Fahrzeugteile (T 11), Gefahr-guterkennung (T 13 / T 14)

� Integration der Alarm- und Gefahrenabwehrplä-ne (AGAPs)

Die neuartigen Detektoren wurden in die Bedien-oberfläche integriert und stellen das aktuell im Tunnel befindliche Gefahrgut dar, bzw. alarmieren den Bediener bei Detektion eines überhitzten Fahrzeugs. Gegebenenfalls kann der Tunnel in solchen Fällen auch voll- oder halbautomatisch gesperrt werden, um das Einfahren des Fahrzeu-ges zu verhindern bzw. den Zufluss weiterer Fahr-zeuge zu unterbinden.

Die herkömmlichen, papiergebundenen Alarm- und Gefahrenabwehrpläne werden durch eine compu-tergestützte Abarbeitung ersetzt, wobei eine Do-kumentation auf Papier oder anderen Datenträgern unterstützt wird. Die computerbasierte Version bie-tet etliche Vorteile:

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� Die Alarm- und Gefahrenabwehrpläne werden nur an einem Ort verwaltet und können automa-tisch aktualisiert werden.

� Die Alarm- und Gefahrenabwehrpläne sind je-derzeit aktuell.

� Der Bediener hat die Möglichkeit, die Abarbei-tung und Quittierung mit Kommentaren und Er-läuterungen zu versehen.

� Zur späteren Auswertung von Ereignissen wird im System alles lückenlos dokumentiert und mit Zeitstempeln versehen.

Die volle Integration von neuartigen Detektoren und von Alarm- und Gefahrenabwehrplänen wird als ein probates Mittel zur Unterstützung der Ope-ratoren und Optimierung der Handlungsabläufe gesehen. Dies ist insbesondere in Anbetracht des Trends, mehr und mehr Tunnel von einer einzigen Zentrale aus zu steuern und zu überwachen, von herausragender Bedeutung, da verschiedene Tun-nel unterschiedliche AGAPs benötigen können und so die benötigte Dokumentation sehr umfangreich werden kann.

Die Investitionskosten sind insbesondere beim Er-satz von Anlagen oder deren Neuerrichtung ge-ring. Die laufenden Unterhaltskosten sind geringer als eine papiergestützte Verwaltung und Vorhal-tung von Alarm- und Gefahrenabwehrplänen. Da-her wird der Einsatz der ITCC Integration empfoh-len. Bei der genauen Ausgestaltung des Systems sind Anforderungen des Daten- und des Arbeit-nehmerschutzes zu berücksichtigen.

5.3.1.5 T 16 – Gasdetektion

Gasdetektionsanlagen gehören zur Standardaus-rüstung von chemischen Anlagen und sind dort seit vielen Jahren im produktiven und zuverlässi-gen Einsatz. Sie detektieren mit hoher Genauigkeit auch geringe Mengen an brennbaren, giftigen oder ätzenden Gasen. Bislang sind solche Anlagen un-üblich in Verkehrstunneln, wo sie wie in der chemi-schen Industrie brennbare, giftige oder ätzende Gase, gegebenenfalls auch zu geringe Sauerstoff-konzentrationen, detektieren können.

Aufgrund des ständig steigenden Verkehrsauf-kommens, das auch zu mehr Gefahrguttransporten von verflüssigten oder verdichteten Gasen führt (zum Teil auch wegen der Vorteile von Gasen ge-genüber Flüssigkeiten in der chemischen Indust-rie), steigt auch die Gefahr eines ungewollten Aus-tritts dieser Gase mit negativen Auswirkungen auf die Nutzer und die Einsatzdienste.

Eine Gasdetektion kann hier präventiv wirken, in-dem ein ausgetretenes Gas detektiert wird, bevor es sich entzündet oder explodiert. In diesem Fall hat die Maßnahme sowohl für Nutzer als auch für das Bauwerk eine schützende Wirkung. Zudem

wird durch eine derartige Anlage die Möglichkeit geschaffen, die Lüftungsszenarien bei Gasaustritt speziell für die jeweilige Situation zu regeln. Au-ßerdem können die Einsatzkräfte bereits vor Ein-treffen am Unfallort genauer über die Art des Er-eignisses informiert werden.

Eine Gasdetektionsanlage besteht aus den Detek-toren (ca. alle 100 m im Tunnel zu verbauen), der passenden Auswerteinheit bzw. einer Verbindung zum Leitrechner sowie der geeigneten Logik und den Gefahrenabwehrplänen. Die Investitionskos-ten sind gering, ebenso wie die laufenden Unter-halts- und Wartungskosten. Die Wartungskosten bestehen lediglich aus den 1-5 jährigen Wechsel-zyklen der elektrochemischen Messaufnehmer. Hinsichtlich der Genauigkeit der Detektoren wer-den keine besonderen Anforderungen gestellt, al-lerdings müssen sich auch relativ geringe Konzent-rationen rasch und zuverlässig detektieren lassen.

Es wird empfohlen, den Einsatz solcher Anlagen im Einzelfall und abgestimmt auf das für den Tun-nel zugelassene Gefahrgut zu planen. Künftige Entwicklungen, vor allem auf dem Gebiet der An-triebstechnik von Fahrzeugen (wie zum Beispiel erdgasbetriebene Fahrzeuge oder Fahrzeuge mit Wasserstoffantrieb) sind zu berücksichtigen.

5.3.1.6 T 17 - Schnellere Ereignisdetektion

Eine schnellere Ereignisdetektion wirkt ausmaß-mindernd bei Brand, BLEVE, Kontamination und Überflutung. Sie ermöglicht eine frühere Aufforde-rung der Nutzer zur Flucht in sichere Bereiche und verbessert so die Möglichkeit zur Selbstrettung. Daher ist diese Maßnahme auch für Szenarien der Verkehrssicherheit relevant. Darüber hinaus wird durch eine frühere Initialisierung des situationsge-rechten Betriebs der Brandlüftung erreicht, dass diese ihre schadensausmaßmindernde Wirkung für Tunnelnutzer und Bauwerk bei Brand-, BLEVE- und Kontaminationsereignissen früher entfalten kann. Des Weiteren bewirkt ein früheres Sperren der Tunnelzufahrten eine Reduktion der potenziell gefährdeten Tunnelnutzer.

Eine Verkürzung in der Ereignisdetektion kann durch die Installation zusätzlicher Detektionssys-teme erzielt werden. Eine schnellere Detektion von verkehrlichen Störfällen und Bränden ist beispiels-weise durch die Installation eines Videodetektions-systems realisierbar, wie im Rahmen des im Auf-trag des BMVBS durchgeführten Forschungspro-jektes „Brand- und Störfalldetektion in Straßentun-neln“ [24] gezeigt werden konnte. Danach lassen sich Brandereignisse und verkehrliche Störfälle in-nerhalb weniger Sekunden detektieren. In den RABT sind diese Detektionsmöglichkeiten nicht enthalten, da die Fehlalarmquote bisher überpro-portional hoch ist und noch keine geeigneten Algo-rithmen zur Plausibilisierung existieren.

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Für eine lückenlose Überwachung werden im Tun-nelinnenraum Videokameras im Abstand von 75 m – 100 m installiert. Zur Raucherkennung im Brand-fall werden die Kamerabilder auf ihre Bildkontraste ausgewertet und bei Unterschreitung bestimmter Kontrastwerte wird ein Alarm ausgelöst. Verkehrli-che Störfälle, wie beispielsweise haltende Fahr-zeuge, Falschfahrer etc., die ein Ereignis auslösen können, werden über Bewegungsanalysen im Vi-deobild online erfasst und generieren bei Ereignis-eintritt einen entsprechenden Alarm.

Aufgrund möglicher Sichtbehinderungen durch Lkw sind die Kameras möglichst hoch über der Fahrbahn zu installieren. Um Objekte über mög-lichst weite Bereiche zu erkennen, sollten die Ka-meras eine ausreichend hohe Auflösung (bspw. 752 x 582 Pixel) aufweisen und zur Vermeidung von Smearing-Effekten über eine möglichst große Dynamik verfügen. Bei der Bildauswertung ist da-rauf zu achten, dass diese nicht durch Reflektio-nen, nasse Fahrbahnen und Fahrzeugbeleuchtun-gen beeinflusst wird. Zudem sind bei der Verwen-dung von Videodetektion datenschutzrechtliche Belange zu beachten.

Zur Detektion von Kontamination durch Chlor und andere Gase sind spezielle Gasmessgeräte erfor-derlich, die in ausreichend kleinen Abständen zu positionieren sind. Die Detektion einer Überflutung kann durch Detektoren zur Messung von Wasser-filmdicken oder auch mittels Videodetektionssys-temen (s.o.) erfolgen.

Die Auswertung von Meldungen erfolgt personell in der Tunnelzentrale. Hierzu ist eine grafische Be-dienoberfläche zu verwenden.

Aufgrund der Verbesserung der Nutzer- und der Bauwerkssicherheit im Ereignisfall kann die Maß-nahme Schnellere Ereignisdetektion für Tunnel-bauwerke mit hoher Verkehrsdichte empfohlen werden.

5.3.1.7 T 18 - Dynamische Fluchtwegkenn-zeichnung

Eine dynamische Fluchtwegkennzeichnung wirkt ausmaßmindernd bei Brand, BLEVE und Kontami-nation. Sie verbessert die Orientierung im Ereignis-fall, indem sie nach Lokalisation der Gefahrquel-le(n) Tunnelnutzern standortabhängig die besten Fluchtmöglichkeiten aus gefährdeten Bereichen anzeigt. Sie wirkt hierdurch direkt auf den Nutzer und verbessert so die Möglichkeit zur Selbstret-tung. Somit ist diese Maßnahme auch für Szenari-en der Verkehrssicherheit relevant. Die positive Wirkung sinkt allerdings mit späterer Detektion und Alarmierung deutlich.

Sobald die Freisetzung eines Gefahrenstoffes in einem Abschnitt des Tunnels detektiert wird, zei-gen die Rettungszeichen ausschließlich Fluchtwe-

ge an, die nicht in den Tunnelabschnitt mit detek-tierter Gefahrstofffreisetzung hinein führen. Die dy-namische Schaltung der Fluchtwegkennzeichnung erfordert im Ereignisfall eine Ereignisdetektion so-wie die Bestimmung des Ereignisortes.

Als Anzeige dienen Lichtzeichen (inzwischen auch LED bestückt) in Form beleuchteter Pfeile oder Kreuze, die in der Tunnelwand oder in die Fahr-bahn verbaut sind. Unterstützung erfahren dyna-mische Warnsysteme durch die Umsetzung der im SKRIBT-Bericht „Menschliches Verhalten“ [26] empfohlenen Maßnahmen, wie der Farbgebung der Fluchtweganzeige (grün) und einer bewegten Signalisierung (z. B. Lauflicht in Richtung der Fluchttür).

Die dynamische Fluchtwegkennzeichnung stellt hohe Anforderungen an eine örtlich genaue Be-stimmung des Ereignisortes, da bei einer Falsch-anzeige flüchtende Tunnelnutzer in die Richtung des Ereignisortes geleitet werden und in einem solchen Fall wesentlich mehr Nutzer zu Schaden kommen können als mit einer statischen Flucht-wegkennzeichnung. Daher ist bei der Systement-wicklung insbesondere auf sinnvolle Redundanz- und Rückfall-Lösungen zu achten, damit beim Aus-fall der Steuerung die Sicherheit gewährleistet ist. Fehlanzeigen können unter Umständen zu Scha-densersatzansprüchen führen, wenn sie durch ei-ne Verletzung der Straßenverkehrssicherungs-pflicht verursacht wurden.

Die Ablösung der statischen Piktogramme zur Fluchtwegkennzeichnung durch bewegliche Rich-tungsanzeigen wurde erstmals im Rahmen der Sanierungsarbeiten des Düsseldorfer Flughafens nach dem Brand am 11.4.1996 gefordert. Im Zuge dieser Ausschreibung beschäftigten sich verschie-dene Firmen mit diesem Thema und entwarfen entsprechende Systeme, die später teilweise wei-terentwickelt und in verschiedenen Hochbauprojek-ten erfolgreich eingesetzt wurden. Im Jahr 2003 wurde eine dynamische Fluchtwegkennzeichnung erstmals in einem Tunnel, dem 1580 m langen Markusbergtunnel in Luxemburg, realisiert, wegen der o.g. möglichen Schadensersatzansprüchen al-lerdings nicht in Betrieb genommen.

Da die Wirkung der Maßnahme eine sehr frühe Er-kennung des Schadensereignisses voraussetzt, kann sie nur in Kombination mit einer schnellen und zuverlässigen Detektion empfohlen werden.

5.3.1.8 T 19 - Rauchabsaugung

Eine Rauchabsaugung dient dem Nutzerschutz sowie nachgeordnet auch dem Bauwerksschutz. Sie wirkt ausmaßmindernd bei Brand, BLEVE und Kontamination.

Wesentliche Bestandteile einer Rauchabsaugung sind einzeln ansteuerbare Rauchabzugsvorrich-

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tungen, über die Rauch und Schadgase sowie Wärme aus dem Tunnelinnenraum extrahiert wer-den. Die Abführung der mit Verbrennungsproduk-ten oder Schadgasen belasteten Tunnelluft erfolgt entweder über Ventilatoren direkt ins Freie oder über einen parallel zur Tunnelröhre verlaufenden Abluftkanal, an dessen Austrittsende Axialventila-toren angeordnet sind. Der Abluftkanal wird übli-cherweise durch den Einbau einer Zwischendecke im Tunnel realisiert. Im Abstand von 50 m bis 100 m sind in diese dann einzeln ansteuerbare Rauchklappen integriert.

Wichtige Voraussetzung einer Rauchabsaugungs-anlage sind eine vorhergehende Ereignisdetektion sowie die Bestimmung des Ereignisortes. Im Er-eignisfall erfolgt nach Ereignisdetektion und Orts-bestimmung die Aktivierung der Rauchabzugsvor-richtung im Ereignisbereich. Aufgrund der sich ein-stellenden Druckdifferenzen wird dann Luft aus dem Fahrraum gesogen. Im Fall einer direkten Ab-saugung ins Freie sind hierzu lediglich die betref-fenden Abluftventilatoren anzusteuern. Bei einer Absaugung über einen Rauchabsaugkanal sind das Öffnen der Rauchabzugsklappen im Ereignis-bereich sowie das Einschalten der Axialluftventila-toren erforderlich. Zur Unterstützung der Druckwir-kung können auch Strahlventilatoren in das Lüf-tungskonzept mit einbezogen werden.

Die Wirksamkeit einer Rauchabsaugung ist direkt abhängig von der Genauigkeit der Ereignisortsbes-timmungssysteme sowie von den Abständen ein-zeln ansteuerbarer Rauchabzugsvorrichtungen.

Voraussetzung bei der Bauwerksertüchtigung ist entweder eine geringe Überdeckung oder ein aus-reichend großer Querschnitt, der bei Anbringung eines Abluftkanals die Einhaltung des Lichtraum-profils im Fahrraum sicherstellt. Alternativ können Abluftkanäle auch seitlich angeordnet werden.

Eine Entrauchung über eine Rauchabsaugung ist dann besonders sinnvoll, wenn erhöhte Gefahr be-steht, dass die Nutzer im Tunnelraum dichtem Rauch ausgesetzt werden. Dies ist insbesondere bei im Gegenverkehr betriebenen sowie auch bei im Richtungsverkehr mit Staugefahr betriebenen Tunneln der Fall. Die Entscheidung darüber, unter welchen Randbedingungen eine Absaugung zu in-stallieren ist, hat gemäß den Vorgaben der RABT zu erfolgen.

5.3.1.9 T 20 - Softstop Barriere

Bei einer Softstop-Barriere wird die Aufforderung „STOP“ mit Hilfe eines Lasers auf einen Wasser-vorhang in Portalnähe projiziert. Ihre sofortige Akti-vierung nach Feststellung eines Ereignisses im Tunnel verhindert das weitere Zuströmen von Fahrzeugen. Durch diese Maßnahme wird die An-zahl der in das Ereignis involvierten Personen re-

duziert und die Brandlast im Tunnel nicht unnötig weiter erhöht. Die Maßnahme wirkt daher ausmaß-reduzierend.

Wie Untersuchungen gezeigt haben, reagieren Verkehrsteilnehmer mit Verzögerung auf eine Tun-nelsperrung, wenn diese Sperrung über eine Sig-nalanlage („rot“) induziert wird. Voraussetzung für die zusätzliche Aktivierung einer Schrankenanlage am Portal ist daher, dass die Leitstelle zunächst eine optische Kontrolle durchführt; dabei wird ge-prüft, ob der Verkehr tatsächlich zum Stillstand ge-kommen ist. Im Gegensatz zu dem zuvor be-schriebenen, möglicherweise zeitraubenden Pro-zedere kann die Softstop Barriere unverzüglich ausgelöst werden.

Im Gegensatz zur Schrankenanlage, die nach den Richtlinien für die Ausstattung und den Betrieb von Straßentunneln (RABT) gefordert ist, ist die Softstop Barriere im Tunnelmund zu installieren. Gemäß RABT befinden sich die Schrankenanlagen in Abhängigkeit von den örtlichen Gegebenheiten (Mittelstreifenüberfahrt, Topographie, Platzverhält-nisse) etwa 20 bis 200 Meter vor der Tunnelein-fahrt. Da die Softstop Barriere vornehmlich dazu dient, den Verkehrszufluss in den Tunnel unmittel-bar nach Detektion eines Ereignisses zu stoppen, sollten die Schranken zusätzlich aktiviert werden. Vor dem Schließen der Schranken ist zu prüfen, ob der Vorportalbereich zwischen Schrankenanlage und Tunnelmund eine Gasse aufweist, um den Einsatzdiensten die Zufahrt zu gewährleisten. Zu-dem ist zu kontrollieren, ob der Schwenkbereich der Schranken frei von Fahrzeugen ist. Die Softstop Barriere ist zu deaktivieren, nachdem die verkehrliche Situation am Portal geklärt und si-chergestellt ist, dass nur Befugte den Tunnel betre-ten können. Neben der effektiven Aufforderung an den Verkehrsteilnehmer, sein Fahrzeug zu stop-pen, ist ein weiterer Vorteil der Softstop Barriere, dass die sichere Durchfahrt Einsatzdienste jeder-zeit möglich ist. Zusätzlich zu der zuvor beschrie-benen Einbausituation am Tunnelportal ist eine Umsetzung der Softstop Barriere ebenfalls inner-halb der Tunnelstrecke in Erwägung zu ziehen. Dadurch können die Tunnelnutzer unmittelbar nach Detektion eines Ereignisses möglichst weit vor dem Ereignisort gewarnt und zum Stillstand gebracht werden.

Der Einsatz einer Softstop Barriere kann grund-sätzlich als eine sehr wirksame Maßnahme be-zeichnet und daher empfohlen werden. Dennoch sind vor der Umsetzung einer derartigen Tunnel-sperrung die folgenden Aspekte zu hinterfragen:

� Ist aufgrund der Lichtverhältnisse am Tunnel-portal zu jeder Zeit gewährleistet, dass die Auf-forderung zu stoppen lesbar und durch den Fahrzeugführer begreifbar ist?

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� Erlauben es die Platzverhältnisse, dass trotz sich stauenden Verkehrs am Tunnelportal der Zugang für Fremdrettungskräfte gewährleistet ist?

� Welche klimatischen Bedingungen stehen ggfls. im Widerspruch zur Realisierung einer Softstop-Barriere (Frost- / Glättegefahr etc.)?

Die Anlage ist nach der Installation in die Tunnel-betriebstechnik einzubinden.

5.3.1.10 T 21 – Tunnelkommunikation

Diese Maßnahme ermöglicht es dem Betreiber, die Nutzer unmittelbar über Ereignisse und Maßnah-men zu informieren, damit Fahrzeugführer bei Not-fällen in Tunneln adäquat reagieren können. Bei einer „Car2X“ Kommunikation können auch umge-kehrt Informationen (Fahrzeugzustand, Ladungsin-formationen) vom Nutzer an die Tunnelleitzentrale gesendet werden. Die Maßnahme wirkt somit ausmaßmindernd. Bei einem Unfall im Tunnel können direkte Anweisungen an verschiedene Tunnelabschnitte gesendet werden, damit sich der Stau möglichst schnell auflöst. Im Falle einer Tun-nelevakuierung können ebenfalls die notwendigen Anweisungen direkt an jedes Fahrzeug einzeln er-teilt werden. So lassen sich chaotische Zustände oder eine Massenpanik vermeiden.

Die im Tunnel notwendigen technischen Lösungen und Standardisierungen insbesondere der Kom-munikationsschnittstelle erfordern noch weitere Entwicklungsarbeit. Insbesondere sind Kommuni-kationsmöglichkeiten durch die Weiterentwicklung der heute weit verbreiteten Navigationsgeräte in den Fahrzeugen zu untersuchen. Eine konkrete Umsetzungsempfehlung kann daher erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen.

5.3.1.11 T 22 - Automatische Brandbekämp-fungsanlage (ABBA)

Bei der Maßnahme „Automatische Brandbekämp-fungsanlage“ handelt es sich um eine betriebliche Maßnahme, die dazu dienen soll, einen Brand im Tunnel möglichst frühzeitig einzudämmen, typische Effekte eines Tunnelbrandes, wie Hitzestrahlung oder Rauchgasbildung, zu reduzieren und den Brand selbst unter Umständen zu löschen. Ziel der Maßnahme ist es, auf diese Weise die Auswirkun-gen eines Extrembrandes zu verringern. Die Maß-nahme dient somit vornehmlich der Unterstützung der Einsatzdienste sowie als zusätzliche aktive Brandschutzmaßnahme für das Bauwerk. Eine Beeinflussung der Selbstrettung ist in Abhängigkeit vom Typ der Anlage ebenfalls möglich, jedoch der-zeit nicht ausreichend wissenschaftlich validiert.

Grundsätzlich ist bei ABBAs zwischen Sprinkler-, Wasserniederdruck-, Wasserhochdruck- und Schaumanlagen zu unterscheiden. Eine automati-

sche Brandbekämpfungsanlage wirkt bei Lachen-bränden nach Detektion des Ereignisses ausmaß-reduzierend durch die Freisetzung von Wasser, Wassernebel oder Schaum. Durch Düsen, die in einem bestimmten Raster in der Tunneldecke in-stalliert sind, wird das Löschmedium großflächig im Fahrraum verteilt. Inwieweit eine Ausmaßreduktion bei einer Kontamination eintritt, lässt sich pau-schal nicht bestimmen. Aufgrund der unterschiedli-chen Charakteristika, die Schadstoffe beim Kontakt mit Wasser bzw. Schaum entfalten, ist hier weite-rer Forschungsbedarf angezeigt. Bei Explosionen ist die Maßnahme nicht wirksam. Im Weiteren wird daher ausschließlich auf Benzinbrände eingegan-gen.

Wesentlicher Vorteil einer ABBA ist, dass die Zu-gänglichkeit zum Ereignisort für die Fremdret-tungskräfte erleichtert werden kann. Insbesondere aufgrund der Eindämmung der Hitzefreisetzung wird das Vorrücken bis zum Ereignisort für die Ein-satzdienste ermöglicht. Dies setzt allerdings eine genaue Lokalisierung des Ereignisses voraus, wo-durch auch weitere Zusatzmaßnahmen (z. B. Vi-deodetektion) notwendig werden können.

Neben der positiven Beeinflussung der Fremdret-tungsphase ist davon auszugehen, dass bei einer rechtzeitigen Aktivierung der Anlage größere Schäden am Bauwerk verhindert werden können, da die Brandentwicklung aktiv gehemmt wird und dadurch die bauwerkskritischen Temperaturberei-che nicht erreicht werden. Eine verringerte struktu-relle Schädigung des Tunnels hat zur Folge, dass Instandsetzungsarbeiten – und somit die gegebe-nenfalls erforderliche Sperrung eines Tunnels – verkürzt, unter Umständen und in Abhängigkeit vom Szenario sogar ganz vermieden werden kön-nen. Neben den direkten durch den Betreiber zu leistenden Wiederherstellungskosten wirkt sich ei-ne Bauwerkssperrung negativ auf die indirekten bzw. volkswirtschaftlichen Kosten (Mehrreisezei-ten, eventuell höhere Unfallwahrscheinlichkeit auf Umleitungsstrecken etc.) aus.

Ist ein bestehender Straßentunnel mit einer Brandbekämpfungsanlage auszurüsten, so sind die Anlagen- und Einbaukosten vergleichsweise sehr hoch. Zusätzlich fallen hierbei Verkehrsbeein-trächtigungen oder Sperrzeiten an. Im Gegensatz zur Neuplanung eines Tunnels mit einer Brandbe-kämpfungsanlage können bei der Realisierung in einem Bestandsbauwerk in der Regel keine bauli-chen oder betrieblichen Einsparungen erzielt wer-den.

Ein negativer Einfluss einer Aktivierung der Brand-bekämpfungsanlage im frühen Stadium der Selbst-rettungsphase auf die Sicherheit der Tunnelnutzer kann trotz zahlreicher Untersuchungen bislang nicht ausgeschlossen werden. Hierzu liegen der-

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zeit keine belastbaren Ergebnisse aus Untersu-chungen zur psychologischen Wirkung durch die z. B. veränderten Sichtverhältnisse oder die einset-zende Nässe auf die Tunnelnutzer vor. Ebenso sind Fragen der Sichtverhältnisse sowie einer möglichen Erstickungsgefahr (bei Schaum) bei verunfallten Personen bislang nicht geklärt. Eine etwaige Aktivierung der Anlage sollte daher erst nach Abschluss der Selbstrettungsphase erfolgen. Zudem muss ausgeschlossen werden können, dass sich noch Personen im unmittelbaren Bereich der Aktivierungszone der Anlage befinden. Auf der anderen Seite bewirkt allerdings eine schnelle Ak-tivierung der Anlage, dass ein Entstehungsbrand frühzeitig eingedämmt bzw. gelöscht werden kann und somit die Risiken durch Hitze und Rauch für die Tunnelnutzer und das Bauwerk gering bleiben. Hierdurch kommt den Operatoren in der Tunnel-leitzentrale die Verantwortung zu, dass sie erken-nen und unter Abwägung der damit einhergehen-den Risiken entscheiden müssen, zu welchem Zeitpunkt eine effektive Aktivierung am sinnvollsten ist.

Im Rahmen der Kostenbetrachtung wird davon ausgegangen, dass eine Brandbekämpfungsanla-ge über eine Lebensdauer eines Tunnelbauwerks von 100 Jahren betrachtet werden soll. Je nach Charakteristik eines Tunnels ist die Anzahl der er-forderlichen Löschwasserspeicherbecken zu ermit-teln. Ein Speicherbecken ist mit einmalig 100.000,- € inkl. der erforderlichen Pumpentechnik anzuset-zen. Für die Erstausstattung einer Tunnelröhre mit den erforderlichen Betriebskomponenten sind zwi-schen 3.000 € bis 4.000,- € pro Röhrenmeter zu veranschlagen. Im Zuge einer 100-Jährigen Nut-zungsdauer ist davon auszugehen, dass die ge-samte Betriebstechnik weitere vier Male auszutau-schen ist. Pauschal sind für Wartung, Instandhal-tung und Betrieb der Brandbekämpfungsanlage jährlich 5% der Investitionskosten anzunehmen.

5.3.2 Empfehlungen für Betriebs- und Einsatzdienste - Leitfaden Ereignismanagement

Die Vorbereitung der Betriebs- und Einsatzdienste auf Schadensereignisse in Straßentunneln und de-ren Bewältigung war ein wesentlicher Bestandteil der Untersuchungen im Rahmen von SKRIBT.

Bisher hat es hierzulande in Straßentunneln keine Brandkatastrophen gegeben. Die umfangreiche sicherheitstechnische Ausstattung der Tunnel bzw. die Branddetektionssyteme und die Tunnelüber-wachung tragen dazu bei, dass (Fahrzeug-) Brän-de, die zwar selten sind aber dennoch vorkommen, rechtzeitig registriert und umgehend die notwendi-gen Brandbekämpfungsmaßnahmen eingeleitet werden.

Großschadensereignisse in Straßentunneln, wie

etwa Brände, stellen eine besondere Herausforde-rung für die Einsatzdienste sowie das Tunnelbe-triebspersonal dar. Die Richtlinien für die Ausstat-tung und den Betrieb von Straßentunneln (RABT 2006) [27] beinhalten Vorgaben, welche vorberei-tenden Maßnahmen für die Organisation eines Notfalls zu treffen sind. So sind die Tunnelbetreiber verpflichtet, Alarm- und Gefahrenabwehrpläne auf-zustellen und Notfallübungen für die in Alarm- und Gefahrenabwehrplänen festgelegten Handlungs-abläufe für die unterschiedlichen Notfälle durchzu-führen. Ebenso muss sichergestellt sein, dass das Tunnelbetriebspersonal und die beteiligten Ein-satzdienste entsprechend geschult werden.

Ziel der Untersuchungen in SKRIBT war es, die Folgen von (Groß-) Schadensereignissen in Tun-neln für die Betriebs- und die Einsatzdienste in Be-zug auf vorhandene Bewältigungsstrategien, Ein-satzkonzepte und insbesondere mit Blick auf orga-nisatorische, zeitliche und ressourcenbezogene Komponenten darzustellen und Optimierungsbe-darf im Ablauf der Rettungskette abzuleiten.

Die Untersuchung basierte auf Interviews mit Ver-tretern der Feuerwehren/Rettungsdienste und der Tunnelleitzentralen sowie auf einem gemeinsamen Workshop mit den Gesprächspartnern, in dem ausgewählte Fragestellungen vertieft diskutiert wurden. Die Ergebnisse der Interviews und des Workshops sind in dem Bericht „Analyse Betriebs- und Einsatzdienste“ [28] dokumentiert.

Auf der Grundlage der Gespräche und der Diskus-sionen im Workshop wurden Maßnahmenempfeh-lungen für die Betriebs- und Einsatzdienste abge-leitet, die im Folgenden beschrieben werden.

Zudem werden diese Maßnahmen sowie weitere Ergebnisse der Gespräche in einem Leitfaden Er-eignismanagement in Form von Empfehlungen und Good Practises integriert. Dieser Leitfaden bietet darüber hinaus eine Übersicht von weiteren organisatorischen und betrieblichen Maßnahmen zur Unterstützung der Selbst- und Fremdrettung, die im Rahmen des Projekts untersucht und/oder entwickelt worden sind. Er enthält:

� Empfehlungen

� Informationen über technische Neuentwicklun-gen zur Ereignisdetektion und der Sicherheits-technik

� Beispiele aus der Praxis

� Hinweise auf weitere Informationsquellen.

Der Leitfaden richtet sich an die im Ereignisfall zu-ständigen Institutionen und Einsatzdienste, insbe-sondere an die Tunnelbetreiber, das Tunnelbe-triebspersonal sowie die Einsatzkräfte der Feuer-wehr, der Polizei und der Rettungsdienste. Der Leitfaden soll den beteiligten Akteuren in erster Li-

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nie Anregungen für die Praxis bieten.

Entsprechend der Entfaltung der Wirksamkeit der Maßnahmen, also vor, während oder nach dem Ereignis, orientiert sich der Aufbau des Leitfadens an den folgenden Phasen des Ereignismanage-ments:

� Vorbereitung

� Ereigniserkennung /-meldung

� Ereignisbewältigung

� Ereignisnachbereitung.

Der „Leitfaden Ereignismanagement“ wird als ei-genständige Publikation herausgegeben.

5.3.2.1 T 23 - TLZ-Operatoren Training

Durch Schulungs- bzw. Trainingsmaßnahmen sol-len die Operatoren auf Schadensereignisse in Tunneln vorbereitet werden. Die Maßnahme ist den organisatorischen Maßnahmen zuzuordnen und dient dazu, das Schadensausmaß im Ereignis-fall zu reduzieren.

Die Anforderungen und Erwartungen an Kenntnis-se und Fähigkeiten der Operatoren sind sehr hoch: Neben technischen Kenntnissen als einer wesent-lichen Voraussetzung für die Tätigkeit als Operator sind auch anderweitige Fähigkeiten wie Belastbar-keit, Entscheidungsvermögen sowie Kommunikati-onsfähigkeit gefragt.

Für die Tätigkeit als Operator gibt es derzeit kein festgelegtes Berufsbild und auch keine offizielle Ausbildung. Die Mitarbeiter der Tunnelleitzentralen (TLZ) kommen aus unterschiedlichen Bereichen, zum einen aus technischen Berufen (z. B. Elektro-technik, Nachrichtentechnik), zum anderen aber auch aus den Straßenmeistereien. Die Einarbei-tung der Mitarbeiter in die jeweiligen Aufgaben er-folgt in aller Regel durch Learning-by-doing mit Un-terstützung der Kollegen. Bei einigen TLZ gibt es umfassende interne Schulungskonzepte, andere TLZ sind im Begriff, Schulungsprogramme für die Operatoren zu entwickeln.

Aufgrund der unterschiedlichen Vorqualifikationen des Tunnelbetriebspersonals und den sich än-dernden (technischen) Anforderungen ist eine in-tensive Grundschulung sowie kontinuierliche Wei-terbildung und Training der Operatoren von großer Bedeutung.

Es sollten allgemeine Standards für die Qualifikati-on und die Weiterbildung der Operatoren definiert werden, auf denen die Schulungskonzepte der TLZ aufbauen können. Einzelne allgemeine Modu-le der Schulungen, wie z. B. Verhalten im Ereignis-fall oder Kommunikation mit den Tunnelnutzern, könnten von einer zentralen Stelle angeboten und jeweils abwechselnd in einer Tunnelleitzentrale durchgeführt werden, um den internen Aufwand für

Schulungen zu reduzieren oder auch das Schu-lungspersonal besser auszulasten. So bietet bei-spielsweise in Österreich die Forschungsgesell-schaft Straße, Schiene, Verkehr (FSV) Schulungen für das Betriebspersonal von Straßentunneln an.

Für die Umsetzung der Maßnahme ist die Grün-dung eines Arbeitskreises, der sich aus Fachleuten zusammensetzt, zu empfehlen. Aufbauend auf be-reits vorliegenden Erfahrungen mit Schulungen sollte der Arbeitskreis Ausbildungsinhalte definie-ren und modulare Schulungskonzepte erarbeiten.

5.3.2.2 T 24 - Alarm- und Gefahrenabwehrplä-ne

Gemäß den „Richtlinien für Ausstattung und den Betrieb von Straßentunneln“ (RABT) [27] sind die Betreiber von Tunnelanlagen verpflichtet, Alarm- und Gefahrenabwehrpläne (AGAP) zu erstellen. Die RABT enthalten keine Aussagen zum Inhalt der AGAP, dort heißt es lediglich, dass auch die Belange behinderter Personen zu berücksichtigen sowie die Meldewege mit Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten abzustimmen sind.

In den Alarm- und Gefahrenabwehrplänen sind die bei einem Ereignis zu treffenden technischen und organisatorischen Maßnahmen festgelegt. Sie ent-halten Alarm- und Einsatzdokumente, Erläuterun-gen und Pläne zum Bauwerk und den sicherheits-technischen Einrichtungen sowie externe Doku-mente wie den Feuerwehrplan.

Die Alarm- und Gefahrenabwehrpläne dienen der Vorbereitung auf Ereignisse und tragen folglich dazu bei, das Schadensausmaß im Ereignisfall zu reduzieren. Die Alarm- und Gefahrenabwehrpla-nung ist den organisatorischen Maßnahmen zuzu-ordnen und fällt in die Zuständigkeit des Betreibers unter Beteiligung der Feuerwehr, der Polizei und des Rettungsdienstes.

Bei der Erstellung und Fortschreibung von Alarm- und Gefahrenabwehrplänen sollten folgende As-pekte berücksichtigt werden:

� Szenarienkatalog und Krisenmanagement

In der Alarm- und Gefahrenabwehrplanung sollten die im Projekt SKRIBT betrachteten Großscha-densszenarien Berücksichtigung finden. Eine Me-thode zur Risikobewertung der Szenarien und der Identifikation kritischer Bauwerke wurde im Rah-men des Projekts entwickelt. Dieses Verfahren bie-tet eine wesentliche Grundlage für ein bauwerkbe-zogenes Risikomanagement.

Entsprechend einer Risikobewertung ist in den Alarm- und Gefahrenabwehrplänen ein Konzept für ein Krisenmanagement für einen denkbaren Groß-schadensfall zu integrieren. Folgende Module soll-te dieses Konzept u. a. beinhalten:

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� Je nach Ereignis werden unterschiedliche Ge-fahrenabwehrmaßnahmen erforderlich sowie verschiedene Behörden und weitere Dienste – öffentlich wie privat – einzubeziehen sein. Das Alarmierungs- und Meldeschema sollte auf das jeweilige Ereignis zugeschnitten sein.

� Ablaufplan zur Bildung eines Krisenstabs

� Szenariobezogene Einsatzpläne

� Festlegungen für besondere Einsatzmittel wie Schutzausrüstung oder spezielle Einsatzfahr-zeuge

� Konzept der Bereitstellungsräume für die Ein-satzkräfte

� Ablaufplan zur Evakuierung des Tunnels

� Information der Bevölkerung

� Umgang mit Opfern, Benachrichtigung von Fa-milienangehörigen

� Ausweisung alternativer (auch großräumiger) Fahrrouten bei kurz- und langfristiger Sperrung des Tunnels

� Vorschriften zum Umgang mit explosiven Stof-fen und auffälligen bzw. nichtidentifizierbaren Objekten

� Konzept für einen Massenanfall von Verletzten (MANV).

� Kurzfassung AGAP

Aufgrund des Umfangs des Alarm- und Gefahren-abwehrplans und der Vielzahl der dort enthaltenen Informationen ist es sinnvoll, diesen modular und adressatenbezogen aufzubauen. Im Einsatzfall fehlt den Einsatzkräften die Zeit, die erforderlichen Informationen aus dem AGAP „herauszufiltern“. Er-fahrungen haben gezeigt, dass der AGAP auch mal in den Schränken der Einsatzdienste „ver-schwindet“. Die jeweiligen Einsatzdienste (Feuer-wehr, Rettungsdienst, Polizei, Tunnelbetriebsper-sonal, Verkehrsleitzentrale etc.) sollten daher in ei-ner übersichtlichen Kurzfassung des AGAPs nur die Informationen erhalten, die für das Handeln im Ereignisfall von Bedeutung sind. Insbesondere sind dies die Meldewege, die Erreichbarkeitsver-zeichnisse, die jeweiligen Zuständigkeiten, die Handlungsanweisungen, die wesentlichen Objekt-daten sowie die Anfahrts- und Umleitungspläne.

� Mustervorlage AGAP

Inzwischen liegen viele Erfahrungen mit der Erstel-lung und Anwendung von Alarm- und Gefahren-abwehrplänen vor. Im Sinne von Good Practices ist zu empfehlen, eine Vorlage für einen AGAP zu erstellen, die den Tunnelbetreibern als Handrei-chung bei der Erstellung und Fortschreibung von AGAPs dienen soll. Diese Mustervorlage könnte entsprechende Empfehlungen für eine Kurzfas-sung eines AGAPs enthalten und darüber hinaus Aspekte des Krisenmanagements im Großscha-

densfall – beispielsweise in Form von Checklisten – beinhalten.

Entsprechende Empfehlungen könnten im Rah-men eines Arbeitskreises, der sich aus Fachleuten zusammensetzt, erarbeitet werden. Im Ergebnis würde ein Leitfaden für die Erstellung von Alarm- und Gefahrenabwehrplänen den Betreibern zur Verfügung stehen.

5.3.2.3 T 25 - Übungen der Betriebs- und Ein-satzdienste

Gemäß den „Richtlinien für Ausstattung und den Betrieb von Straßentunneln“ (RABT) sind für Tun-nel ab 400 m Länge zur Überprüfung der in den Alarm- und Gefahrenabwehrplänen festgelegten Handlungsabläufe regelmäßige Übungen durchzu-führen. Mindestens alle vier Jahre sollen möglichst realitätsnahe Großübungen stattfinden. In den Richtlinien finden sich keine näheren Angaben über die Art bzw. den Umfang der Großübungen. In der Regel werden bei den Tunnelübungen Un-fallszenarien mit und ohne Beteiligung von Ge-fahrgut sowie Brandereignisse geübt.

Die im Projekt SKRIBT erarbeiteten Bedrohungs-szenarien und Kriterien zur Identifikation kritischer Bauwerke sollen den Verantwortlichen vor Ort die Möglichkeit eröffnen, die Bauwerke hinsichtlich ih-res Gefährdungspotenzials einzustufen und daraus die operativen Maßnahmen abzuleiten. Ein Ergeb-nis dieser Gefährdungseinstufung sollte sein, be-stimmte Szenarien in regelmäßige Übungen der Einsatzkräfte und des Tunnelbetriebspersonals einzubeziehen. Diese szenariobasierten Übungen, die dem Maßnahmenbereich der Organisation zu-zuordnen sind, sollen dazu beitragen, das aus dem Ereignis resultierende Schadensausmaß für die Nutzer und das Bauwerk zu reduzieren.

Um den Verantwortlichen die Konzeption und die Planung von Übungen zu erleichtern, sollten die Tunnelbetreiber Rahmenkonzepte für Übungen einschließlich eines Szenarienkatalogs erarbeiten. Dort sollten die Übungsziele, die Wiederholungsin-tervalle sowie – je nach Szenario – Empfehlungen für eine geeignete Übungsart formuliert sein.

Bezüglich der Vorbereitung der Übungen sollten bewährte Beispiele aus der Praxis aufgegriffen werden. Beispielhaft ist das Organisationsmodell in Thüringen, wonach im Rotationsprinzip jedes Jahr abwechselnd die Feuerwehr, der Rettungsdienst und die Polizei für die Ausarbeitung eines Szena-rios sowie die Übungsvorbereitung verantwortlich sind. Auf diese Weise können die Erfahrungen und die speziellen Sichtweisen der jeweiligen Dienste in das Übungskonzept eingebracht werden.

5.3.3 Empfehlungen für Nutzer

Die Analyse und Optimierung des Nutzerverhal-

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55 Schutz kritischer Brücken und Tunnel

tens sind für die Sicherheit in Straßentunneln von hoher Bedeutung: Trotz der sehr guten Sicher-heitsausstattung in deutschen Tunneln kommt es durch menschliches Fehlverhalten immer wieder zu Unfällen und im Krisenfall werden die vorhan-denen Flucht- oder Rettungsmöglichkeiten (z. B. Feuerlöscher, Notausgänge) nicht wahrgenommen oder genutzt.

Tunnelbauwerke unterscheiden sich für den Nutzer deutlich vom übrigen Straßennetz. Dunkelheit und Enge beeinflussen das Erleben und Verhalten der Tunnelnutzer sowohl in der Durchfahrt als auch im Ereignisfall. Im Ereignisfall sind zudem die Risiko-einschätzung und die Entscheidungsfindung durch den emotionalen Zustand einer Person (z. B. Angst, Panik) und durch verringerte kognitive Res-sourcen beschränkt. Es kommt zu psychologi-schen Fehlschlüssen und -handlungen. Die Situa-tion wird verharmlost, es wird auf Bekanntes oder auf Gewohnheiten zurückgegriffen (lieber bekann-te Wege gehen als neue suchen), die Sicherheit im eigenen Auto wird überschätzt, und sozialer Ein-fluss kann das Verhalten ungünstig beeinflussen („Warum sollte ich flüchten, wenn der Fahrer im Auto vor mir sitzen bleibt?“). All diese Faktoren ha-ben vor allem in Tunneln verheerende Auswirkun-gen, da hier im Falle eines Unfalles besondere Ge-fahr von Hitze, Rauch und Explosionen besteht, und somit jede für die Selbstrettung genutzte Se-kunde lebensrettend sein kann.

Eine verbesserte Selbstrettung der Nutzer durch entsprechende Maßnahmen kann schon direkt nach dem auslösenden Ereignis deutlich vor dem Eintreffen der Fremdrettung sehr positive Wirkun-gen entfalten. Grundsätzlich ist die Wirksamkeit von Maßnahmen, die das Verhalten des Nutzers beeinflussen sollen, davon abhängig, wie nah der Nutzer sich am Ereignis befindet, ob er das Ereig-nis erkennt und wie viel Zeit zu reagieren verbleibt. Nutzerbezogene Maßnahmen können die Wahr-scheinlichkeit erhöhen, dass sich Personen im Er-eignisfall schneller für ein adäquates Verhalten entscheiden. Im Rahmen von SKRIBT wurden um-fangreiche Studien zu Maßnahmen, die das Nut-zerverhalten optimieren sollen, durchgeführt. Dabei wurden zum einen Maßnahmen der Informations-vermittlung und zum anderen Situationstrainings in Simulationsübungen untersucht.

5.3.3.1 T 26 - Vorinformation Tunnelnutzer

Die Maßnahme Vorinformation Tunnelnutzer ver-mittelt theoretisches Wissen über Sicherheitsein-richtungen und adäquates Verhalten im Ereignisfall und wirkt ausmaßmindernd bei Brand, Kontamina-tion und Überflutung. Sie führt zu einer verbesser-ten Selbstrettung der Nutzer und ist somit auch für Szenarien der Verkehrssicherheit relevant. Inhalte sind die Sicherheitseinrichtungen (Fluchtwegkenn-

zeichen, Notrufsäulen, Nothaltebuchten, Feuerlö-scher, etc.) und Verhaltensanweisungen (Fahrver-halten, ggfls. Erste Hilfe, Verlassen des Fahrzeugs und des Tunnels, ggfls. Brandbekämpfung). Es werden Informationen darüber vermittelt, welches Verhalten in welchen Situationen angemessen ist.

Die Wirksamkeit der Maßnahme wurde durch em-pirische Untersuchungen in virtueller Realität und einer Feldstudie nachgewiesen. Die Maßnahme ist unabhängig von Neubau und Bauwerksertüchti-gung und lässt sich kostengünstig umsetzen.

Informationen lassen sich auf vielfältige Weise verbreiten. Eine flächendeckende Information, die sich an Tunnelnutzer richtet, ist am effektivsten über Schulungen im Rahmen der Fahrschulausbil-dung oder von Nachschulungen durchzuführen. Auf diesem Wege lässt sich ein großer Teil der po-tentiellen Tunnelnutzer erreichen. 2008 wurden be-reits Fragen zum Thema Verhalten in Tunnelbau-werken in den Fragekatalog für die theoretische Fahrerlaubnisprüfung aufgenommen.

Zusätzlich wird empfohlen, alternative Verbrei-tungswege zu nutzen, um Nutzer zu erreichen, die bereits einen Führerschein besitzen. So werden Verhaltensregeln, die beim Durchfahren von Stra-ßentunneln zu beachten sind, derzeit schon über das Internet oder über Zeitungen publiziert. Der Fahrzeugführer kann sich vor Antritt der Reise in Ruhe mit der Thematik auseinandersetzen und mögliche Szenarien studieren. Die im Internet ab-rufbaren Flyer beschäftigen sich mit den tunnel-spezifischen Themen „Normalfall“, „Stau“, „Panne“, „Unfall“, „Feuer im eigenen Fahrzeug“ und „Feuer im fremden Fahrzeug“ (siehe z. B. www.bast.de). Als weiterer Weg, Informationen zu verbreiten, wird empfohlen, Flyer und Informationstafeln an Rast-stätten, Parkplätzen oder Mautstationen vor Tun-neln anzubringen. Beispielsweise entwickelt und vertreibt die Bundesanstalt für Straßenwesen hochwertiges Informationsmaterial. Denkbar ist auch eine Verbreitung durch den ADAC über Flyer oder Kampagnen in der ADAC Motorwelt. Zudem wird empfohlen, Informationen als Anwendungen für Smartphone oder Navigationssysteme zur Ver-fügung zu stellen.

5.3.3.2 T 27 - Situationstraining Tunnelnutzer

Neben der Vermittlung von theoretischem Wissen kann in einem Situationstraining adäquates Verhal-ten im Ereignisfall geübt werden. Die Maßnahme wirkt ausmaßmindernd bei Brand, Kontamination und Überflutung. Sie führt zu einer verbesserten Selbstrettung der Nutzer und ist somit auch für Szenarien der Verkehrssicherheit relevant.

Inhalte des Trainings sind der Umgang mit Sicher-heitseinrichtungen (Fluchtwegkennzeichen, Notruf-säulen, Nothaltebuchten, Feuerlöscher, etc.) und

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das Üben von Verhaltensreaktionen (Fahrverhal-ten, ggfls. Erste Hilfe, Verlassen des Fahrzeugs und des Tunnels, ggfls. Brandbekämpfung). Geüb-tes Verhalten wird besser erinnert und mit höherer Wahrscheinlichkeit in Handlungen umgesetzt als rein theoretisch erworbenes Wissen. Aus diesem Grund kann ein Verhaltenstraining das Nutzerver-halten noch stärker beeinflussen als eine rein theo-retische Wissensvermittlung.

Die Wirksamkeit der Maßnahmen zur Optimierung des Nutzerverhaltens wurde in Studien in virtueller Realität und einer Feldstudie in einem realen Tun-nel nachgewiesen. Die Maßnahme ist unabhängig von Neubau und Bauwerksertüchtigung und lässt sich relativ kostengünstig umsetzen. Die im Ver-gleich zur Maßnahme Vorinformation Tunnelnutzer (T 26) höheren Kosten gehen mit einer höheren Wirksamkeit einher.

Da Selbstrettung im Ereignisfall kaum in der Reali-tät geübt werden kann, ist eine Umsetzung in vir-tueller Realität (VR) sinnvoll. Es wird empfohlen, Situationstrainings mittels hoch immersiver Simula-tionen in virtueller Realität umzusetzen (d.h. mit Hilfe hochwertiger VR Technologien werden mög-lichst viele Sinneskanäle angesprochen), um mög-lichst realitätsnahe Situationstrainings zu realisie-ren. Wir empfehlen ein intensives Kompakttraining, welches innerhalb eines Tages abgeschlossen werden kann. Alternativ können Trainingsszenari-en in virtueller Realität in Form von PC-Desktop Anwendungen oder als Internetapplikation („Se-rious Games“) verbreitet werden.

5.3.4 Szenarienabläufe aus Sicht von Operatoren, Einsatzdiensten und Nutzern

Um die Wirkung der zuvor beschriebenen Maß-nahmen weiter zu verdeutlichen, werden im Fol-genden die Szenarien Brand, Explosion, Kontami-nation und Überflutung aus der Sicht der Beteilig-ten dargestellt. Hierbei wird die genaue Aufschlüs-selung in die Initialereignisse nicht vorgenommen, da diese Unterscheidung für Operatoren, Nutzer und Einsatzdienste nicht sinnvoll ist. Wie auf ein Ereignis reagiert wird hängt davon ab, ob es sich um den Operator, den Nutzer oder die Einsatz-dienste handelt, und nicht in erster Linie davon, wie groß das Ereignis ist.

Es werden die Maßnahmen dargestellt, die einen positiven Einfluss für Operatoren, die Feuerwehr oder den Nutzer auf den Ablauf eines Szenarios haben. Betrachtet werden hier nur Maßnahmen, die ausmaßmindernd sind, da davon ausgegangen wird, dass präventive Maßnahmen den Eintritt ei-nes Ereignisses verhindern.

In den folgenden Abbildungen bedeuten:

� E – Ereignis:

Zu diesem Zeitpunkt tritt das Ereignis, also Brand, Explosion, Kontamination oder Überflu-tung, ein.

� AD - Automatische Detektion:

Die automatische Detektion und die damit ver-bundene Alarmierung, sowie ggfls. die Aktivie-rung der Brandventilation, erfolgen in der Regel durch Videoüberwachung, Sichttrübungsmes-sung, Brandmeldekabel, o.ä.

� MD – Manuelle Detektion:

Die manuelle Detektion erfolgt durch einen Tunnelnutzer oder den Operator in der Tunnel-leitzentrale (TLZ), der ein Ereignis vor einer au-tomatischen Detektion wahrnimmt, entspre-chend reagiert und so die Alarmierung auslöst.

� D – Detektion:

Eine Kontamination ist anfänglich nur schwer festzustellen, daher wird hier nicht nach manu-eller und automatischer Detektion unterschie-den, sondern allgemein nur der Zeitpunkt einer Detektion angenommen.

� SR –Selbstrettungsphase:

Es ist davon auszugehen, dass die ersten Nut-zer bei einer Alarmierung oder dem Erkennen eines Ereignisses sofort beginnen, sich selbst zu retten und die übrigen Nutzer folgen. Als Selbstrettungsphase wird die Zeit von der Alarmierung bis zum Beginn der Fremdrettung bezeichnet.

� SRmin – minimales Ende der Selbstrettung:

SRmin bezeichnet den theoretischen Zeitpunkt, zu dem alle Nutzer einen Notausgang erreicht haben können. Er beschreibt das Verhältnis aus dem Abstand, den ein Nutzer im ungüns-tigsten Fall zum nächsten Notausgang hat, und der nach RiLSA (Richtlinien für Lichtsignalanla-gen) 1992 [29] zu 1,3m/s angenommenen Fluchtgeschwindigkeit.

� FR – Fremdrettung:

Die Fremdrettung beginnt mit dem Eintreffen der Einsatzdienste am Ereignisort.

5.3.4.1 Brand

Durch die speziellen Bedingungen in einem Tunnel kann der bei einem Brand entstehende Rauch nicht entweichen und breitet sich im Tunnel aus. Die dadurch eingeschränkte Sicht, die toxischen Gase und der beengte Raum im Tunnel machen einen Brand im Tunnel für alle Beteiligten zu einer besonderen Situation.

� Operatoren

Ein Tunnelbrand wird der Tunnelleitzentrale (TLZ) durch automatische Brandmeldeeinrichtungen ge-meldet oder von den Operatoren auf den Video-bildschirmen erkannt. In den meisten Bundeslän-

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dern sind zudem die Notruftelefone in den Tunneln direkt mit der TLZ verbunden, daher werden Brän-de, die von Tunnelnutzern über die Notruftelefone gemeldet werden, auch direkt in der TLZ entge-gengenommen. Von den Operatoren wird der Brand an die zuständige Feuerwehr- und Polizei-leitstelle weitergeleitet.

Aus der TLZ hat der Operator die Möglichkeit, mit-tels Lautsprecherdurchsagen und / oder Radio-durchsagen die Tunnelnutzer zu informieren und zur Selbstrettung, dem Verlassen der Fahrzeuge und Aufsuchen der Notausgänge aufzufordern. Zudem kann er die Brandlüftung des Tunnels akti-vieren, um die Fluchtwege der Nutzer und die An-griffswege der Feuerwehr zu entrauchen. Durch die Möglichkeit der Operatoren, den Tunnel mittels Videoüberwachung zu beobachten, können die Operatoren darüber hinaus die eintreffenden Ein-satzkräfte bei der Lagefeststellung unterstützen. Maßnahmen, die u.a. den Operator bei der Arbeit im Ereignisfall unterstützen oder die es ihm ermög-lichen, die Hilfeleistung frühzeitiger einzuleiten, sind in Abbildung 9 dargestellt.

Abbildung 9: Maßnahmen zur Unterstützung der Ope-ratoren im Brandfall

� Feuerwehr

Vor Eröffnung eines Tunnels und von da an in ei-nem regelmäßigen Turnus von 4 Jahren müssen in einem Tunnel gemäß RABT 2006 [27] Vollübun-gen von der Feuerwehr durchgeführt werden. Durch diese Vollübungen sind die Einsatzkräfte mit den Einsatzbesonderheiten und den Örtlichkeiten eines Tunnels vertraut. Trotzdem bleibt ein Einsatz in einem Tunnel aufgrund der hohen Temperatu-ren und des dichten Rauches eine besondere Si-tuation, Lagefeststellung und Menschenrettung werden erschwert.

Maßnahmen, die die Kenntnisse der Gegebenhei-ten und Abläufe in einem Bauwerk verbessern oder die Temperatur verringern, unterstützen die Feuerwehr im Brandfall (Abbildung 10).

Abbildung 10: Maßnahmen zur Unterstützung der Feu-erwehr im Brandfall

� Nutzer

Für den Nutzer des Tunnels ist das Ausmaß eines Brandes nur schwer zu erkennen. Erstes Anzei-chen für einen Brand ist der aufsteigende dichte Rauch, der für den Tunnelnutzer durch seine Toxi-zität auch die größte Gefahr darstellt. Die Röhre des Tunnels bedingt, dass sich der Rauch schnell ausbreitet und eine Orientierung im Tunnel und damit die Selbstrettung erschwert.

Viele Nutzer sind mit den vorhandenen Sicher-heitseinrichtungen in den Tunnelbauwerken nicht vertraut, wodurch die Selbstrettung deutlich verzö-gert wird und wertvolle Zeit verloren gehen kann. Daher zielen die Maßnahmen zum Schutz der Nut-zer im Brandfall in erster Linie darauf ab, den Nut-zern die Selbstrettung im Ereignisfall zu erleichtern oder ihr Wissen um die vorhandenen Sicherheits-einrichtungen und deren Gebrauch zu schulen, um die Reaktionszeiten zu verkürzen (Abbildung 11).

Abbildung 11: Maßnahmen zur Unterstützung der Nut-zer im Brandfall

5.3.4.2 Explosion

Eine Explosion hat im Tunnel größere Auswirkun-gen als auf freier Strecke, da die entstehenden Druckwellen sich nicht ungehindert ausbreiten können, sondern durch die Tunnelwände reflektiert werden. Es wird davon ausgegangen, dass sie nicht automatisch, sondern in jedem Fall durch ei-nen Nutzer oder Operator detektiert wird. Voraus-setzung für die Wirkung betriebstechnischer Maß-

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Schutz kritischer Brücken und Tunnel 58

nahmen ist, dass diese durch die Explosion nicht zerstört worden sind.

� Operatoren

Die Operatoren in der Tunnelleitzentrale haben wegen der hohen Geschwindigkeit einer Explosion keine Möglichkeit, in das Ereignis einzugreifen. Es ist ihnen allerdings möglich, die Selbst-/ bzw. Fremdrettung der Nutzer zu unterstützen. Dabei hilft den Operatoren u.a. ein guter Vorbereitungs-grad (Abbildung 12).

Abbildung 12: Maßnahmen zur Unterstützung der Ope-ratoren im Explosionsfall

� Feuerwehr

Für die eintreffenden Einsatzdienste ist eine Ber-gung überlebender Tunnelnutzer schwierig. Die Tunnelnutzer, die ein Explosionsereignis im Tunnel überstehen, weisen schwere Verletzungen auf und stehen gegebenenfalls unter Schock. Zudem ist es eine wesentliche Aufgabe der Feuerwehr, nach ei-ner Explosion Sicherungsarbeiten im Tunnel vor-zunehmen. Ein hoher Vorbereitungsgrad auf ein solches Ereignis ist für die Bewältigung des Ereig-nisses sinnvoll (Abbildung 13).

Abbildung 13: Maßnahmen zur Unterstützung der Feu-erwehr im Explosionsfall

� Nutzer

Für Tunnelnutzer ist die Selbstrettung nach Explo-sionsereignissen nur möglich, wenn die Explosion nicht in ihrer unmittelbaren Nähe stattgefunden hat. Dann sind für Nutzer alle Maßnahmen nütz-lich, die die Selbstrettung unterstützen (Abbildung 14).

Abbildung 14: Maßnahmen zur Unterstützung der Nut-zer im Explosionsfall

5.3.4.3 Kontamination

Kontaminationen im Tunnel sind nur schwer wahr-zunehmen. Hier wird davon ausgegangen, dass es durch einen Unfall oder einen absichtlich herbeige-führten Anschlag zu einem Austritt von Schadga-sen kommt.

� Operatoren

Für einen Operator ist es derzeit schwer festzustel-len, ob sich in einem Tunnel ausgetretene Schad-gase befinden. Er hat die Möglichkeit, über die Vi-deoüberwachung beispielsweise nach einem Un-fall ein Leck an einem Gefahrguttransport festzu-stellen, was aber sehr schwierig ist, wenn es sich nicht um eine sehr große Beschädigung handelt. Bei einem entsprechenden Ereignis kann er auf seine Erfahrung und regelmäßige Übung zurück-greifen. Zusätzlich würde es dem Operator helfen zu wissen, welche und wie viele Gefahrgüter sich überhaupt im Tunnel befinden und ob ein Gas aus-tritt (Abbildung 15).

Abbildung 15: Maßnahmen zur Unterstützung der Ope-ratoren im Kontaminationsfall

� Feuerwehr

Trifft die Feuerwehr an einem Unfallort in einem Tunnel ein, dann schickt sie zur Lagefeststellung einen Erkundungstrupp, ggfls. unter Atemschutz, bis zum Ereignisort vor. Wenn durch den Erkun-dungstrupp eine Kontamination festgestellt wird, wird auch die weitere Rettung / Bergung in ent-sprechender Schutzkleidung vorgenommen. Eine Information, ob und welche Schadstoffe oder Gase sich in dem Tunnel befinden, ist eine sinnvolle zu-

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sätzliche Information, um betroffenen Tunnelnut-zern besser helfen zu können und die eigenen Einsatzkräfte besser zu schützen (Abbildung 16).

Abbildung 16: Maßnahmen zur Unterstützung der Feu-erwehr im Kontaminationsfall

� Nutzer

Für den Nutzer ist die Situation schwierig einzu-schätzen. Daher ist er auf eine schnelle Lagefest-stellung der Operatoren in der Tunnelleitzentrale angewiesen, um möglichst frühzeitig die Informati-on der Fluchtnotwendigkeit zu bekommen. Wenn der Tunnelnutzer den Geruch eines Schadgases (überhaupt) wahrnimmt, bleibt für die Selbstrettung nur noch sehr wenig Zeit.

Aus diesem Grund helfen dem Nutzer im Kontami-nationsfall Maßnahmen, die eine Selbstrettung un-terstützen, oder ihn davon abhalten, in eine Gefah-rensituation zu gelangen (Abbildung 17).

Abbildung 17: Maßnahmen zur Unterstützung der Nut-zer im Kontaminationsfall

5.3.4.4 Überflutung

Im Fall des Szenarios Überflutung wird davon aus-gegangen, dass es im Tunnel schlagartig einem plötzlichen starken Wassereinbruch kommt. Die Si-tuation entwickelt sich so schnell, dass zum Zeit-punkt der Überflutung der Tunnel nicht gesperrt werden kann und sich daher noch Verkehr im Tun-nel befindet

Die Feuerwehr muss in dem Fall als erstes das Wasser aus dem Tunnel pumpen, um eine Ber-gung der Tunnelnutzer möglich zu machen, die sich nicht selber retten konnten. In diesem beson-deren Fall ist davon auszugehen, dass die Opera-toren in das Geschehen nicht oder nicht wesentlich

eingreifen können, da die Betriebstechnik auf eine solche Wassereinwirkung nicht ausgelegt ist.

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6 Maßnahmenkosten

6.1 Lebenszykluskosten

Bei Brücken- und Tunnelbauwerken handelt es sich nicht um Serienprodukte, sondern um Einzel-fertigungen, die an die Spezifikationen des Bau-herrn und an die umfeldbezogenen, beispielsweise geologischen oder infrastrukturellen Gegebenhei-ten angepasst sind. Sie bestehen neben den Hauptbaustoffen aus vielen Einzelmaterialien oder Produktkomponenten, wie beispielsweise Beleuch-tungs- und Belüftungssystemen, Türanlagen, Bau-teilbeschichtungen oder elektronischer Mess- und Regeltechnik. Jede dieser Komponenten unterliegt einem separaten Lebenszyklus, der möglicherwei-se deutlich von der sehr langen Nutzungsdauer des konstruktiven Rohbaus (Beton, Stahl, Mauer-werk) abweicht.

Neben turnusmäßigen Wartungs- und Instandset-zungsarbeiten werden daher in Zeitintervallen von der Größenordnung mehrerer Jahrzehnte Bau-werkssanierungen notwendig. Hierbei stellt sich heraus, ob Einzelkomponenten weiter betrieben werden können oder ob ganze Komponentengrup-pen durch neue Produkte ersetzt werden müssen. So beinhaltet der Lebenszyklus eines Einzelpro-duktes implizit auch immer die Gefahr, dass benö-tigte Bauteile nicht mehr am Markt verfügbar sind oder der garantierte Zeitraum zum Bezug von Er-satzteilen bereits abgelaufen ist. Infolge der com-putergestützten Betriebstechnik muss in Betracht gezogen werden, dass die Kompatibilität zwischen den im Bauwerk installierten Komponenten und Technologien neuester Generation nicht mehr ge-geben ist und zwangsläufig der Austausch ganzer Systeme notwendig wird.

Die zentrale Problematik besteht darin, einerseits die angemessene Kostenansätze für den Betrieb, die Instandhaltung und die Sanierung des Bau-werks vorzugeben und andererseits eine möglichst verlässliche Fortschreibung dieser Kosten zu be-werkstelligen.

Etwa für das Ausstattungselement „Beleuchtung“ fallen mehrmalig Kosten zur Erneuerung der Anla-ge, zur Beschaffung von Austauschleuchtmitteln sowie kontinuierlich für die Energie zum Betrieb der Beleuchtung an. Diese Kosten sind sinnvoll über den geplanten Bewirtschaftungszeitraum des Bauwerks zu verteilen. Bestenfalls kann dabei auf vorliegende Erfahrungswerte zurückgegriffen wer-den, wahrscheinlicher ist jedoch, dass beispiels-weise Nutzungsdauern technischer Einbauteile und Energiekosten abgeschätzt werden müssen. Letztendlich ist also die gesamte wirtschaftliche Entwicklung eines Bauwerks im Vorfeld zu be-schreiben, indem jeder Kostenverursacher für jede

Phase mit Kosten verknüpft wird. Die Summe aller Kosten, nämlich die Summe aus Investitions- und Unterhaltskosten über den Existenzzeitraum des Bauwerks, wird als die Lebenszykluskosten be-zeichnet.

Auch die Auswahl von Schutzmaßnahmen für Tunnel und Brücken ist daher vor dem Hintergrund eines ganzheitlichen Lebenszykluskostenansatzes, d.h. im Gesamtkontext der baulichen Bauwerks-konfiguration und –bewirtschaftung, zu betrachten. Die Vorteilhaftigkeit einer Maßnahme drückt sich schließlich durch das Verhältnis von Wirksamkeit zu Kosten aus.

In den Maßnahmenbeschreibungen, die sich im Anhang zu diesem Bericht befinden, sind die fol-genden Kenndaten enthalten:

� Theoretische Nutzungsdauer

� Investitionskosten

� Jährliche Unterhaltskosten

Um ein möglichst breit angelegtes Spektrum für die Umsetzbarkeit einer Maßnahme zu erzielen, wird unterschieden, ob es sich um den Neubau eines Tunnel- oder Brückenbauwerks handelt, oder ob die Maßnahme im Zuge einer späteren Bauwerks-ertüchtigung umgesetzt werden soll.

Bei der Abschätzung des ökonomischen Gesamt-aufwandes für ein spezifisches Vorhaben werden neben den direkten Kosten – also den Lebenszyk-luskosten – in der Regel noch weitere wirtschaftli-che Aspekte untersucht: Für ein Straßentunnelpro-jekt könnten dies beispielsweise volkswirtschaftli-che Kosten sein, die sich aus Fahrzeitverkürzun-gen oder aus der Optimierung von Warenströmen ergeben. Aber auch Auswirkungen auf das unmit-telbare Umfeld, wie Gefahren für Umwelt, Anwoh-ner und Bauwerksnutzer sind dabei zu berücksich-tigen. Es handelt sich hierbei um die sog. indirek-ten Kosten. Direkte und indirekte Kosten sind auch Bestandteil der Kosten-Wirksamkeits-Analyse, die in SKRIBT erarbeitet wurde und im folgenden Ka-pitel erläutert wird.

6.2 Wirksamkeits-Kosten-Analyse

6.2.1 Allgemeines

Im Rahmen der „Wirksamkeits-Kosten-Analyse von Maßnahmen“ [30] wurde ein Bewertungsverfahren entwickelt, das die Abschätzung der Kosten-Wirksamkeit von Maßnahmen unter Berücksichti-gung volkswirtschaftlicher Aspekte erlaubt. Dieses als Wirksamkeits-Kosten-Analyse bezeichnete Ver-fahren basiert auf der vergleichenden Betrachtung eines sich im Zuge eines bestimmten Szenarios an einem Bauwerk ereignenden Initialereignisses und dessen Auswirkungen. Dabei wird der Fall, dass keine Maßnahme umgesetzt wurde (Ohne-Fall) mit

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61 Schutz kritischer Brücken und Tunnel

dem Fall, dass die untersuchte Maßnahme imple-mentiert wurde (Mit-Fall), verglichen. Um eine um-fassende Wirkungsermittlung der Maßnahme zu garantieren, werden Auswirkungen auf das Bau-werk, den Nutzer und Verkehrsabläufe und daraus resultierende Folgewirkungen sowie weitere regio-nalwirtschaftliche Wirkungen für die Zeitdauer be-trachtet, in der sich Unterschiede zwischen Mit- und Ohne-Fall einstellen. Dabei werden aus-schließlich endliche Wirkungen betrachtet, die durch eine Schutzmaßnahme verhindert werden können. Sehr langfristige Wirkungen wie z. B. dau-erhafte Kontaminationen und Auswirkungen groß-räumiger Ereignisse wie einer überregionalen Na-turkatastrophe entziehen sich daher einer Untersu-chung mittels der Wirksamkeits-Kosten-Analyse.

Das Verfahren soll Bauwerkseigentümer (Straßen-bauverwaltungen) und andere Entscheidungsträ-ger (z. B. private Betreiber) hinsichtlich ihres Ent-schlusses zur Umsetzung einer als geeignet erach-teten Schutzmaßnahme an einem konkreten Brü-cken- oder Tunnelbauwerk unterstützen. Dazu wird ein zweidimensionaler Ergebnisvektor erzeugt, dessen erste Komponente aus dem Nutzen-Kosten-Quotienten der Maßnahme besteht. Der Nutzen-Kosten-Quotient gibt dabei an, ob und um welchen Faktor die mit der Maßnahme verbunde-nen Nutzen deren Kosten übersteigen. Als Kosten werden die Maßnahmenkosten, die sich aus deren jährlichen Investitions- und Unterhaltungskosten zusammensetzen, berücksichtigt, während sich die Nutzen aus den im Vergleich zum Ohne-Fall ein-gesparten jährlichen volkswirtschaftlichen Kosten ergeben. Diese Nutzen entstehen durch Reduzie-rungen der betrachteten negativen Wirkungen, die sich im Zusammenhang mit dem Szenario bzw. dem damit verbundenen Initialereignis einstellen können.

Um die in ihren originären Einheiten vorliegenden Wirkungen miteinander vergleichen und in einem gemeinsamen Ergebnisindikator zusammenführen zu können, werden sie im Rahmen der Wirksam-keits-Kosten-Analyse mittels aktueller Kostensätze, die standardisierten Bewertungsverfahren zu In-vestitionsentscheidungen im Verkehrswesen ent-nommen wurden, monetarisiert.

Auf die Monetarisierung der durch die Maßnahme geretteten Menschenleben wurde aus ethischen Gründen verzichtet. Diese elementare Kenngröße stellt die zweite Ergebniskomponente der Wirk-samkeits-Kosten-Analyse dar.

6.2.2 Berücksichtigte Wirkungen

Die berücksichtigten Wirkungen werden aus einem Zielsystem abgeleitet, das speziell für SKRIBT

aufgestellt wurde. Es enthält als Ziele die Forde-rungen, die an geeignete Schutzmaßnahmen ge-stellt werden, und deren Einhaltung den Sollzu-stand darstellt.

Zur Beschreibung der Zielerreichung durch die un-tersuchte Maßnahme dienen teilzielspezifische In-dikatoren, deren Ausprägungen bzw. Werte (Men-gengerüst) für den Mit- und Ohne-Fall für den vor-liegenden Untersuchungsgegenstand berechnet werden können. Über Differenzbildung der Indika-torenwerte und – soweit sie nicht bereits als mone-täre Werte vorliegen – ihrer anschließenden Mone-tarisierung mittels der verwendeten Kostensätze (Wertegerüst) werden die Nutzen- bzw. Kostenbei-träge des jeweiligen Ziels bzw. Teilziels ermittelt.

Im Rahmen der Wirksamkeits-Kosten-Analyse von SKRIBT werden 12 Ziele mit 25 Teilzielen und ebenso vielen Indikatoren berücksichtigt. Sie kön-nen den Wirkungsbereichen

� Schutz von menschlichem Leben

� Umwelt

� Regionalwirtschaft

� Wiederherstellung des Bauwerks und

� Kosten der Maßnahmen

zugeordnet werden.

Sie beziehen sich auf das Bauwerk (inklusive der Maßnahme), die Nutzer und den Verkehrsablauf oder beschreiben verkehrsbedingte und regional-wirtschaftliche Folgewirkungen. Während das bauwerks- und nutzerspezifische Mengengerüst als Ergebnis der bauwerks- und nutzerbezogenen Objekt- bzw. Maßnahmenanalyse vorliegt, sind die verkehrsbezogenen Indikatoren des motorisierten Individualverkehrs (MIV) und des Straßengüterver-kehrs (SGV) im Rahmen der Anwendung der Wirk-samkeits-Kosten-Analyse mit Hilfe von Verkehrs-modellen und einem Analysetool, dem so genann-ten Bewerter, entsprechend der Methodik des Bundesverkehrswegeplans 2003, separat seitens der verkehrsbezogenen Objektanalyse berechnet worden, wie Abbildung 18 zu entnehmen ist.

Insgesamt ist anzumerken, dass im Rahmen des entwickelten Bewertungsverfahrens nur Wirkungen und deren Indikatoren berücksichtigt werden konn-ten, die quantifizierbar sind. Eine Berücksichtigung der während des Ereignisses verletzten Personen war beispielsweise nicht möglich, da die derzeiti-gen Verfahren eine Quantifizierung dieser Wirkung nicht erlauben. Dieser Umstand resultiert aus der Komplexität der zu bewertenden Situationen und der damit einhergehenden Vielzahl unterschiedli-cher und häufig indirekter Wirkungen.

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Schutz kritischer Brücken und Tunnel 62

Abbildung 18: Ablaufdiagramm der Wirksamkeits-Kosten-Analyse

Die betrachteten Wirkungen und Indikatoren müs-sen daher derart ausgewählt werden, dass sie re-präsentativ für die Beschreibung bestimmter Zu-stände oder Wirkungsweisen sind. Vor diesem Hin-tergrund ist hervorzuheben, dass die entwickelte Wirksamkeits-Kosten-Analyse keinesfalls die Ab-wägung und den Beschluss der zuständigen Ent-scheidungsträger hinsichtlich der Umsetzung einer Maßnahme ersetzen, diesen aber unterstützend begleiten kann.

Zum Nachweis der Praktikabilität des Bewertungs-verfahrens und zur Veranschaulichung der Verfah-rensweise wurden jeweils ein außerörtliches und ein innerstädtisches Verkehrsmodell als Teilnetze dem von der PTV AG entwickelten Verkehrsmodell PTV Validate entnommen. Die beiden Teilnetze sind in Abbildung 19 und Abbildung 20 dargestellt.

Falls Verkehrswege des ÖPNV, des Bahnverkehrs

oder der Schifffahrt durch Initialereignisse am be-trachteten Bauwerk ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen werden können, erfolgt die Ermittlung des diesbezüglichen Mengengerüsts anhand detaillier-ter Analysen der jeweiligen Verkehrswege und den alternativ zur Verfügung stehenden Routen und Verkehrssystemen.

Des Weiteren ist es mittels der Wirksamkeits-Kosten-Analyse möglich, regionalwirtschaftliche Auswirkungen, die sich aus einer (teilweisen) Schädigung des betrachteten Bauwerks ergeben, bei der Bewertung von Maßnahmen zu berücksich-tigen. Da diese Wirkungen von einer Vielzahl regi-onaler Eigenschaften abhängen und bislang keine Modelle zur Ermittlung des entsprechenden Men-gengerüsts vorliegen, sind zu dessen Abschätzung Ortskenntnis und Wissen hinsichtlich der Bedeu-tung des betrachteten Bauwerks für die Regional-wirtschaft erforderlich.

WKA - AblaufdiagrammMaßnahmen (Konsortium)

Risikoanalyseinkl. Fußgänger-

simulation

RisikoanalyseIndikatoren

RegionalwirtschaftIndikatoren

AußerörtlichesVerkehrsmodell

Städtisches Verkehrsmodell

„Bewerter“Indikatoren

Wirksamkeits-Kosten -Tool:

Brücke + Tunnel

MaßnahmenDossier

Leitfaden

Kostensätze(BMVBS)

KostenstrukturBauwerke

(Konsortium)

WKA - AblaufdiagrammMaßnahmen (Konsortium)

Risikoanalyseinkl. Fußgänger-

simulation

RisikoanalyseIndikatoren

RegionalwirtschaftIndikatoren

AußerörtlichesVerkehrsmodell

Städtisches Verkehrsmodell

„Bewerter“Indikatoren

Wirksamkeits-Kosten -Tool:

Brücke + Tunnel

MaßnahmenDossier

Leitfaden

Kostensätze(BMVBS)

KostenstrukturBauwerke

(Konsortium)

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63 Schutz kritischer Brücken und Tunnel

Abbildung 19: Netzmodell MIV und SGV „Außerörtliches Verkehrsmodell“

Abbildung 20: Netzmodell MIV und SGV „Städtisches Verkehrsmodell“

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Schutz kritischer Brücken und Tunnel 64

6.2.3 Programmtechnische Umsetzung

Die entwickelte Methodik zur Wirksamkeits-Kosten-Analyse soll insbesondere Bauwerkseigen-tümer (Straßenbaulastträger) bei Investitionsent-scheidungen zu Schutzmaßnahmen unterstützen. Um dieses Ziel zu erreichen, ist das Analysever-fahren in einem Berechnungstool auf der Basis des Tabellenkalkulationsprogramms „Excel“ von Microsoft umgesetzt worden. Trotz seiner Komple-xität, die sich in den insgesamt bis 25 Tabellenblät-tern des Tools widerspiegelt, ist es gelungen, die Anzahl der vom Nutzer zu tätigenden Eingaben auf ein komfortables Maß zu reduzieren und die Be-rechnungsergebnisse übersichtlich darzustellen.

Das im nachfolgenden Kapitel erläuterte Beispiel verdeutlicht die notwendigen Arbeitsschritte bei Anwendung des Tools.

6.2.4 Beispielanwendung

Im Rahmen des Forschungsprojektes SKRIBT wurden insgesamt vier Beispielbauwerke mit je-weils einem zugehörigen Initialereignis und einer probaten Schutzmaßnahme für eine Wirksamkeits-Kosten-Analyse ausgewählt. Für jedes dieser Sze-narien wurden die Wirkungen jeweils für den Oh-ne- und Mit-Fall ermittelt.

6.2.4.1 Erläuterung des Beispielszenarios

Das fiktive Beispielbauwerk ist eine Stahlbetonbo-genbrücke mit Hohlkastenquerschnitt. Sie ist Teil einer Bundesautobahn im deutschen Mittelgebirge und weist eine Länge von 552 m auf. Dabei über-spannt sie einen nicht schiffbaren Wasserlauf so-wie eine Bahnstrecke, auf der ausschließlich Nah-verkehr abgewickelt wird. Die fiktive Brücke wurde im Jahr 2000 fertig gestellt und besitzt einen zwei-bahnigen, vierstreifigen Fahrbahnquerschnitt.

Als Schutzmaßnahme wird eine präventive Maß-nahme untersucht. Dabei wird vereinfachend an-genommen, dass dadurch das Eintreten des Initi-alereignisses verhindert wird. Diese Annahme ist – wie bei allen präventiven Maßnahmen – mit gewis-sen Unsicherheiten verbunden. Da zur Abschät-zung des Ausmaßes dieser Unsicherheit keine empirischen Daten vorliegen, wird vereinfachend an ihr festgehalten.

6.2.4.2 Ermittlung des Mengengerüsts und weiterer Eingabeparameter

Zunächst wurde das bauwerks- und nutzerbezo-gene Mengengerüst jeweils für den Ohne- und Mit-Fall ermittelt. Hinsichtlich des Bauwerksschadens im Ohne-Fall sind zwei mögliche Verläufe denkbar: Fall A beinhaltet die Schädigung lediglich eines Revisionsabschnitts des Bauwerks (Feld-Teilbereich, siehe Tabelle 6, während im Fall B zwei dieser Abschnitte betroffen sind.

Aus den berechneten Bauwerksschäden wurden weiterhin der Grad der verkehrlichen Beeinträchti-gung während der Wiederherstellung des Bau-werks und die Wiederherstellungsdauer wiederum für die beiden Ohne-Fälle (Fall A und B) und den Mit-Fall bestimmt. Diese Kenngrößen haben maß-gebenden Einfluss auf das verkehrliche Mengen-gerüst, da sie den Umfang notwendiger Umweg-fahrten und deren zeitliche Dauer bestimmen. Ta-belle 6, Tabelle 7 und Tabelle 8 geben einen Überblick über die berechneten Kennwerten.

Die Angaben zu Art und Dauer der Verkehrsbeein-trächtigungen wurden zur Ermittlung des verkehrli-chen Mengengerüsts genutzt. Dazu wurde das fik-tive Bauwerk in das Autobahnnetz des Verkehrs-modells der Abbildung 19 eingesetzt und seine Kapazität entsprechend den ermittelten Werten zur Art der Verkehrsbeeinträchtigung angepasst. Die mittels einer Umlegungsrechnung bestimmten ver-kehrlichen Kenngrößen wurden letztlich dem „Be-werter“ zugeführt, der die Berechnung des relevan-ten verkehrlichen Mengengerüsts für den MIV und SGV erlaubt.

Sowohl das verkehrliche (MIV und SGV) als auch das bauwerks- und nutzerbezogene Mengengerüst fanden im Anschluss Eingang in das Bewertungs-tool. Für beide Ohne-Fälle wurde weiterhin ange-nommen, dass der Schienenverkehr auf den unter dem Bauwerk verkehrenden Bahnlinien für einen Monat gesperrt ist und für diese Dauer ein Schie-nenersatzverkehr eingerichtet wird. Die entspre-chenden Wirkungen wurden mit Hilfe des Bewer-tungstools ermittelt und bei der Kosten-Wirksamkeits-Analyse berücksichtigt.

Weitere regionalwirtschaftliche Wirkungen wie bspw. eine Beeinflussung des Tourismus werden für das betrachtete Szenario ausgeschlossen

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65 Schutz kritischer Brücken und Tunnel

Merkmal Ausprägung

Initialereignis

Maßnahme keine

Nutzerschaden (ohne Aversion) Risikoerwartungswert = 0,61

Bauwerksschaden Schadensstufe 3 - 4

� Halbseitige Schädigung des Überbaus auf 12 m Länge mit drastischer Abminderung der Tragwirkung

� Fall A: Schaden liegt innerhalb nur eines Revisionsabschnitts

Wiederherstellungsdauer 12 Monate

Beeinträchtigung Verkehrsablauf Richtungssperrung mit 0 % bzw. 100 % der ursprünglichen Kapazität für die Fahrtrichtungen

Wiederherstellungskosten KW = KN x WF x F + V

� KN = Neubaukosten = 800 €/m2 (Tragwerk)

+ 400 €/m2 (Fahrbahn)

� WF = Wiederherstellungsfaktor = 2,3

� F = Zerstörungsfläche = 225 m2 (Tragwerk und Fahrbahn)

� V = Lokale Verkehrssicherungsmaßnahmen

− Einrichten = 104.000 €

− Unterhalten = 5.500 €/Mon. X 5 Monate

KW = 752.500 €

Beeinträchtigung Schienenverkehr Vollsperrung der Bahnlinie unterhalb des Bauwerks für einen Monat

Tabelle 6: Beschreibung des Szenarios am Bauwerk ohne Maßnahme, Fall A

Merkmal Ausprägung

Initialereignis

Maßnahme keine

Nutzerschaden (ohne Aversion) Risikoerwartungswert = 0,61

Bauwerksschaden Schadensstufe 3 - 4 � Halbseitige Schädigung des Überbaus auf 12 m Länge mit drastischer

Abminderung der Tragwirkung � Fall B: Schaden reicht in zwei Revisionsabschnitte

Wiederherstellungsdauer 13 Monate

Beeinträchtigung Verkehrsablauf Richtungssperrung mit 0 % bzw. 100 % der ursprünglichen Kapazität für die Fahrtrichtungen

Wiederherstellungskosten KW = KN x WF x F + V � KN = Neubaukosten = 800 €/m2 (Tragwerk) sowie

400 €/m2 (Fahrbahn) � WF = Wiederherstellungsfaktor = 2,3 � F = Zerstörungsfläche = 225 m2 (Tragwerk)

+ 450 m2 (Fahrbahn) � V = Lokale Verkehrssicherungsmaßnahmen

− Einrichten = 104.000 € − Unterhalten = 5.500 €/Mon. X 6 Monate

KW = 965.000 €

Beeinträchtigung Schienenverkehr Vollsperrung der Bahnlinie unterhalb des Bauwerks für einen Monat

Tabelle 7: Beschreibung des Szenarios am Bauwerk ohne Maßnahme, Fall B

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Schutz kritischer Brücken und Tunnel 66

Merkmal Ausprägung

Initialereignis

Maßnahme präventiv

Maßnahmenkosten 10.000 € (pauschal) zzgl. 2.000 € laufende Kosten

Nutzerschaden (ohne Aversion) Risikoerwartungswert = 0

Bauwerksschaden Schadensstufe 1

� Bauwerk unbeschädigt � Eintritt des Initialereignisses wird verhindert

Wiederherstellungsdauer 0 Monate

Beeinträchtigung Verkehrsablauf keine

Wiederherstellungskosten 0 Euro

Beeinträchtigung Schienenverkehr keine

Tabelle 8: Beschreibung des Szenarios am Bauwerk mit Maßnahme, Fall B

Tabelle 9 gibt auszugsweise einen Einblick in das Berechnungstool. Dargestellt ist ein Teil des Deck-blatts, in dem wesentliche Angaben zum Bauwerk und zum Szenario zu machen sind. Die Eingabe-felder sind dabei blau gekennzeichnet.

Die zentralen Ergebnisse werden innerhalb des Bewertungstools in einem separaten Tabellenblatt zusammengefasst und sind in Tabelle 10 und Ta-belle 11 dargestellt. In beiden Fällen wird durch die Umsetzung der Maßnahme ein Menschenleben

gerettet. Des Weiteren übersteigen die Nutzen der untersuchten Maßnahme deren Kosten deutlich.

Dieses Ergebnis resultiert einerseits aus den ver-gleichsweise niedrigen Kosten, die mit der Imple-mentierung der untersuchten Maßnahme verbun-den sind, andererseits trägt insbesondere die er-hebliche Reduzierung der Reisezeiten im Mit-Fall gegenüber beiden Ohne-Fällen zu den insgesamt hohen Gesamtnutzen bei.

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67 Schutz kritischer Brücken und Tunnel

Tabelle 9: Auszug aus dem Deckblatt des Berechnungstools zur Wirksamkeits-Kosten-Analyse

Bauwerk3 0

Grad der Schädigung Teilzerstörung keine Schäden

Betriebstechnische Ausstattung des Bauwerks

3 0

Grad der Schädigung: Teilzerstörung keine Schäden

Schadenslänge

Länge des beschädigten Bauwerkabschnitts [m] 15

Verkehr

2 0Art der Verkehrseinschränkungen: Richtungssperrung keine Sperrung

Prüfung der Kombination aus Schadenskategorie und Verkehrseinschränkung -- --

Dauer der Verkehrseinschränkungenin Monaten

12 0

Hinweise zur Dauer der Verkehrseinschränkung -- --

1 0

Art der Wiederherstellung: kapazitätsgleiche Wiederherstellung keine Wiederherstellung

Prüfung der Kombination aus Schadenskategorie und Wiederherstellungsart o. k. o. k.

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Schutz kritischer Brücken und Tunnel 68

Tabelle 10: Ergebnisse der Wirksamkeits-Kosten-Analyse für Bauwerk, Fall A

Nr.

1

Getötete - während des Ereignisses [Anzahl] -1

Getötete - im Wiederherstellungszeitraum [Anzahl] 0

Getötete - nach Wiederherstellung [Anzahl] 0

Unfälle mit Schwerverletzten - im Wiederherstellungszeitraum [1.000 EUR] -745

Unfälle mit Schwerverletzten - nach Wiederherstellung [1.000 EUR] 0

2

im Wiederherstellungszeitraum [1.000 EUR] 354

nach Wiederherstellung [1.000 EUR] 0

3

im Wiederherstellungszeitraum [1.000 EUR] -4,690

nach Wiederherstellung [1.000 EUR] 0

4

im Wiederherstellungszeitraum [1.000 EUR] -709

nach Wiederherstellung [1.000 EUR] 0

[Anzahl] 1

[1.000 EUR] 5,789

[1.000 EUR] 12

[1.000 EUR] 5,777

470.1

Umwelt

Regionalwirtschaftliche Indikatoren

Wiederherstellung des Bauwerks (unter Berücksichtigung der Restwerte)

Gesamtnutzen

Maßnahmenkosten

Nutzen-Kosten-Quotient

Anzahl "gerettete" Menschenleben

Wirkungsbereich

Kosteneinsparungen gesamt ("Nutzen")

Nutzen-Kosten-Differenz

Schutz von menschlichem Leben

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69 Schutz kritischer Brücken und Tunnel

Tabelle 11: Ergebnisse der Wirksamkeits-Kosten-Analyse für Bauwerk, Fall B

6.2.5 Fazit

Im Rahmen des Projektes ist es u. a. gelungen, ei-ne Methodik zu entwickeln, mit deren Hilfe die Im-plementierung definierter Schutzmaßnahmen an konkreten Bauwerken hinsichtlich ihrer Kosten-Wirksamkeit untersucht werden kann. Dabei wer-den ausgewählte, die Zustände und Wirkungswei-sen repräsentativ abbildende und quantifizierbare Indikatoren zur Ermittlung der Nutzen und Kosten der Maßnahmen berücksichtigt. Eine Bewertung, die sämtliche Wirkungen erfasst, ist – wie auch mit Bewertungsverfahren in anderen Bereichen – nicht möglich. Das Verfahren erlaubt jedoch, den Abwä-gungs- und Entscheidungsprozess zur Umsetzung von Maßnahmen zu objektivieren und gibt Ent-scheidungsträgern damit eine Hilfestellung. Zur Anwendung der Methodik wurde weiterhin ein Be-wertungstool erstellt, das die Durchführung konkre-ter Analysen erlaubt. Über Beispielanwendungen konnte die Funktionsweise der Tools dargestellt werden. Insgesamt steht damit ein Verfahren zur Verfügung, das trotz der hohen Komplexität hin-sichtlich der berücksichtigten Wirkungen von Maß-nahmen eine hohe Praktikabilität aufweist.

Nr.

1

Getötete - während des Ereignisses [Anzahl] -1

Getötete - im Wiederherstellungszeitraum [Anzahl] -1

Getötete - nach Wiederherstellung [Anzahl] 0

Unfälle mit Schwerverletzten - im Wiederherstellungszeitraum [1.000 EUR] -805

Unfälle mit Schwerverletzten - nach Wiederherstellung [1.000 EUR] 0

2

im Wiederherstellungszeitraum [1.000 EUR] 383

nach Wiederherstellung [1.000 EUR] 0

3

im Wiederherstellungszeitraum [1.000 EUR] -5,069

nach Wiederherstellung [1.000 EUR] 0

4

im Wiederherstellungszeitraum [1.000 EUR] -890

nach Wiederherstellung [1.000 EUR] 0

[Anzahl] 2

[1.000 EUR] 6,381

[1.000 EUR] 12

[1.000 EUR] 6,368

518.1

Umwelt

Regionalwirtschaftliche Indikatoren

Wiederherstellung des Bauwerks (unter Berücksichtigung der Restwerte)

Gesamtnutzen

Maßnahmenkosten

Nutzen-Kosten-Quotient

Anzahl "gerettete" Menschenleben

Wirkungsbereich

Kosteneinsparungen gesamt ("Nutzen")

Nutzen-Kosten-Differenz

Schutz von menschlichem Leben

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Schutz kritischer Brücken und Tunnel 70

7 Zusammenfassung

Ziel des Verbundprojektes SKRIBT war es, für Brücken- und Tunnelbauwerke im Zuge von Stra-ßen die möglichen Gefährdungen durch aktuelle und künftige Bedrohungslagen festzustellen, wirk-same Schutzmaßnahmen zu erarbeiten und so die Verletzbarkeit lebenswichtiger Infrastrukturen und ihrer Nutzer zu verringern.

Hierfür wurde zunächst eine umfassende Bedro-hungsanalyse erstellt. Es wurden zukunftsorientier-te Szenarien berücksichtigt, wobei sich der Fokus auf Ereignisse, die zu einer Beschädigung oder Zerstörung des Bauwerks, zu einer Gefährdung der Nutzer und/oder einer Beeinträchtigung des Verkehrs führen können, richtete. Sowohl Bedro-hungen durch terroristische oder kriminelle Aktivi-täten als auch Gefahren durch extreme Naturer-eignisse oder durch menschliches oder techni-sches Versagen ausgelöste Großunfälle wurden hierbei berücksichtigt. Als relevante Ereignisse wurden so Brand, Explosion, Kontamination sowie Überflutung (für Tunnel) oder Wind (für Brücken) identifiziert.

Die Bestimmung der aus diesen Extremereignis-sen resultierenden Schadensausmaße in Bezug auf das Bauwerk, die Nutzer und den Verkehr er-folgte in einer detaillierten Objektanalyse. Zur Er-mittlung des Bauwerksschadens erfolgten zu-nächst eine Schwachstellenanalyse der verschie-denen Bauwerkstypen und anschließend die Be-trachtung der Bauteilschädigung sowie des Ge-samttragverhaltens des Bauwerks. Um das nutzer-bezogene Schadensausmaß zu ermitteln wurde eine neuartige Flucht- und Evakuierungssimulation entwickelt, die sowohl Systemantworten als auch menschliches Verhalten abbilden kann. Auch für Betriebs- und Einsatzdienste wurden die Folgen von Großschadensereignissen in Tunneln und auf Brücken in Bezug auf vorhandene Bewältigungs-strategien, Einsatzkonzepte und insbesondere mit Blick auf organisatorische, zeitliche und ressour-cenbezogene Komponenten untersucht. Zudem wurden die verkehrlichen Aspekte des Teil- oder Komplettausfalls von Bauwerken untersucht. Es wurde ein Verfahren entwickelt, die entstehenden Mehrreisezeiten als Resultat aus einem reduzier-ten Angebot, verfügbaren Alternativrouten mit ih-ren Kapazitäten und der gegebenen Nachfrage zu berechnen.

Auf Basis dieser Daten wurde ein Verfahren zur Identifizierung kritischer Bauwerke im Zuge von Straßen entwickelt. Hierbei wurde ein risikobasier-ter Ansatz angewendet, d.h. es wurden sowohl die berechneten Schadensausmaße als auch Wahr-scheinlichkeiten berücksichtigt. Als Indikator für die

Schadensausmaße wurden für das Bauwerk der mögliche Schaden in Form einer Schadensklasse sowie die notwendigen Wiederherstellungskosten, für die direkt betroffenen Nutzer die mögliche An-zahl der Getöteten, und für den Verkehr die ent-stehenden Mehrreisezeiten bestimmt. Zudem wur-de eine Möglichkeit zur Berücksichtigung sonstiger Einflussfaktoren, wie z.B. der symbolischen Be-deutung, auf die Kritikalität geschaffen.

Abschließend wurden für die kritischen Bauwerks-typen bautechnische, betriebstechnische und or-ganisatorische Schutzmaßnahmen zur Prävention und/oder Ausmaßminderung im Schadensfall ent-wickelt und umfassend untersucht. Für die Beurtei-lung ihrer Wirksamkeit wurde mit der „Wirksam-keits-Kosten-Analyse“ eine neuartige Methode un-ter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Akzep-tanz sowie von betriebs- und volkswirtschaftlichen Aspekten entwickelt. In die Berechnung mit einbe-zogen wurden die Wirkungsbereiche „Schutz von menschlichem Leben“, „Umwelt“, „Regionalwirt-schaft“ und „Wiederherstellung des Bauwerks“. So können Wirkungen und Kosten unterschiedlicher Maßnahmen gegenübergestellt und Rückschlüsse auf deren Effizienz gezogen werden.

Im vorliegenden Bericht wurden die verschiedenen Maßnahmen zielgruppenspezifisch für Bauwerks-eigentümer, Betreiber, Einsatzdienste und Nutzer aufbereitet und Empfehlungen für ihre Anwendung formuliert. Zudem wurden die für eine schnelle Wiederinbetriebnahme beschädigter Bauwerke er-forderlichen Maßnahmen als Leitfaden für die Bauwerkseigentümer und Betreiber sowie beteilig-te Organisationen zusammengefasst.

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71 Schutz kritischer Brücken und Tunnel

8 Fazit und Ausblick

Bisher lag der Schwerpunkt der Sicherheitsfor-schung für Verkehrsinfrastrukturen auf Schäden, die aus natürlichen Ereignissen, wie z.B. Erdbeben oder Überflutung resultieren und auf Ereignissen, die sich aus dem Normalbetrieb ergeben, wie z.B. Unfälle oder Brände. In der Vergangenheit muss-ten Eigentümer von Verkehrsinfrastrukturen die Ri-siken im Zusammenhang mit solchen Ereignissen bewältigen, d.h. die Bereitstellung von Maßnah-men zur Ausmaßminderung oder alternativ eine Versicherung der Bauwerke gegen solche Gefah-ren. Aber seit einigen Jahren haben Infrastruktur, Eigentümer und Betreiber eine neue und weitge-hend unerwartete Herausforderung zu bewältigen: die Gewährleistung von ziviler Sicherheit für ihre Infrastrukturen gegen terroristische Angriffe.

Mit dem Projekt SKRIBT konnte im Rahmen der Sicherheitsforschung eine Basis geschaffen wer-den, die es ermöglicht, den Schutz von Infrastruk-turen und ihren Nutzern in Deutschland vor ver-schiedenen natürlichen und von Menschen ausge-henden Bedrohungen zu verbessern. Die erarbei-teten Ergebnisse erlauben es, für Brücken- und Tunnelbauwerke interdisziplinär die möglichen Ge-fährdungen im Hinblick auf die aktuelle und künfti-ge Bedrohungslage festzustellen, die wirksamsten Schutzmaßnahmen auszuwählen und damit die Verletzbarkeit lebenswichtiger Infrastrukturen und ihrer Nutzer deutlich zu verringern. Es steht ein Verfahren zur Identifizierung kritischer Bauwerke zur Verfügung, das es ermöglicht, ein oder mehre-re Bauwerke hinsichtlich Ihrer Gefährdung in bau-technischer, nutzerspezifischer und verkehrstech-nischer Hinsicht zu untersuchen und ihre Kritikalität zu bestimmen. Um die kritischen Bauwerke siche-rer und weniger verwundbar zu machen und die Nutzersicherheit zu erhöhen, liegen Empfehlungen zum Einsatz geeigneter Schutzmaßnahmen vor, getrennt für Eigentümer, Betreiber, Einsatzdienste und Nutzer.

Weitere Schritte werden seit Januar 2012 im Nach-folgeprojekt SKRIBTPlus unternommen. Es werden weitere bautechnische, betriebstechnische und or-ganisatorische Schutzmaßnahmen entwickelt so-wie Kombinationen von Maßnahmen und Ereignis-sen vertieft untersucht. Für eine leichte Umsetzung der erarbeiteten Ergebnisse werden zudem ver-schiedene praxisfreundliche Anwendungshilfen für Eigentümer, Betreiber, Einsatzdienste und Nutzer erstellt.

Weitere Informationen zu beiden Projekten sowie alle verfügbaren Berichte können auf der Projekt-homepage unter www.skribt.org abgerufen wer-den.

Page 73: Schutz kritischer Brücken und Tunnel - Schlussbericht_EXTERN_V2

Schutz kritischer Brücken und Tunnel 72

9 Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Methodik von SKRIBT .................. 5

Abbildung 2: Zuweisung der Teilberichte .......... 5

Abbildung 3: Visualisierung der Fluchtsimulation am Beispiel eines Szenarios mit Chlorfreisetzung ......................... 10

Abbildung 4: Struktur des Identifizierungsverfahrens .......... 12

Abbildung 5: Ermittlung der Gemittelten Gesamt-Kritikalität (GGK) im Rahmen des Identifizierungsverfahrens .......... 17

Abbildung 6: Größenaufstellung der Wiederherstellungskosten für Tunnel ........................................ 18

Abbildung 7: Größenaufstellung der gewichteten Risikoerwartungswerte ............... 19

Abbildung 8: Größenaufstellung für Mehrreisezeiten bei Vollsperrung ............................... 19

Abbildung 9: Maßnahmen zur Unterstützung der Operatoren im Brandfall ....... 57

Abbildung 10: Maßnahmen zur Unterstützung der Feuerwehr im Brandfall ........ 57

Abbildung 11: Maßnahmen zur Unterstützung der Nutzer im Brandfall .............. 57

Abbildung 12: Maßnahmen zur Unterstützung der Operatoren im Explosionsfall ............................. 58

Abbildung 13: Maßnahmen zur Unterstützung der Feuerwehr im Explosionsfall ............................. 58

Abbildung 14: Maßnahmen zur Unterstützung der Nutzer im Explosionsfall ...... 58

Abbildung 15: Maßnahmen zur Unterstützung der Operatoren im Kontaminationsfall ...................... 58

Abbildung 16: Maßnahmen zur Unterstützung der Feuerwehr im Kontaminationsfall ...................... 59

Abbildung 17: Maßnahmen zur Unterstützung der Nutzer im Kontaminationsfall ...................... 59

Abbildung 18: Ablaufdiagramm der Wirksamkeits-Kosten-Analyse ....62

Abbildung 19: Netzmodell MIV und SGV „Außerörtliches Verkehrsmodell“ ..........................63

Abbildung 20: Netzmodell MIV und SGV „Städtisches Verkehrsmodell“ .....63

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73 Schutz kritischer Brücken und Tunnel

10 Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Relevante Initialereignisse für Brücken und Tunnel ..................... 8

Tabelle 2: Schadensstufen ........................... 9

Tabelle 3: Kategorisierung von Brückenbauwerken in SKRIBT .... 9

Tabelle 4: Schutzmaßnahmen für Brücken 22

Tabelle 5: Schutzmaßnahmen für Tunnel .. 35

Tabelle 6: Beschreibung des Szenarios am Bauwerk ohne Maßnahme, Fall A .......................................... 65

Tabelle 7: Beschreibung des Szenarios am Bauwerk ohne Maßnahme, Fall B .......................................... 65

Tabelle 8: Beschreibung des Szenarios am Bauwerk mit Maßnahme, Fall B .......................................... 66

Tabelle 9: Auszug aus dem Deckblatt des Berechnungstools zur Wirksamkeits-Kosten-Analyse ... 67

Tabelle 10: Ergebnisse der Wirksamkeits-Kosten-Analyse für Bauwerk, Fall A .......................................... 68

Tabelle 11: Ergebnisse der Wirksamkeits-Kosten-Analyse für Bauwerk, Fall B .......................................... 69

Page 75: Schutz kritischer Brücken und Tunnel - Schlussbericht_EXTERN_V2

Schutz kritischer Brücken und Tunnel 74

11 Literaturverzeichnis

[1] Terror Event Database (TED), Fraunhofer Institut für Kurzzeitdynamik, Ernst-Mach-Institut, Efringen-Kirchen

[2] Stellungnahme der Deutschen Meteorologi-schen Gesellschaft zur Klimaproblematik vom 9.10.2007. In: Mitteilungen DMG, Heft 04, 2007. http://www.dmg-ev.de

[3] Projektbericht „Identifizierung kritischer Bauwerke“ zum Verbundprojekt „Schutz kri-tischer Brücken und Tunnel im Zuge von Straßen (SKRIBT)“ für das Bundesministeri-um für Bildung und Forschung (BMBF), 2012

[4] Bohnenblust, H.; Holthausen, N.: Risiko-aversion – Entwicklung systematischer In-strumente zur Risiko- bzw. Sicherheitsbeur-teilung; Studie im Auftrag des schweizeri-schen Bundesamtes für Bevölkerungs-schutz; Bern 2008

[5] Projektbericht „Bauwerksbezogene Objekt-analyse: Brücken“, zum Verbundprojekt „Schutz kritischer Brücken und Tunnel im Zuge von Straßen (SKRIBT)“ für das Bun-desministerium für Bildung und Forschung (BMBF), 2012

[6] Projektbericht „Bauwerksbezogene Objekt-analyse: Tunnel“, zum Verbundprojekt „Schutz kritischer Brücken und Tunnel im Zuge von Straßen (SKRIBT)“ für das Bun-desministerium für Bildung und Forschung (BMBF), 2012

[7] Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Abteilung Straßenbau, Straßenverkehr, Anweisung Straßeninforma-tionsbank Teilsystem Bauwerksdaten, ASB-ING, Ausgabe März 2004

[8] Projektbericht „Wirksamkeitsanalyse von Maßnahmen zum Bauwerksschutz: Brü-cken“ zum Verbundprojekt „Schutz kritischer Brücken und Tunnel im Zuge von Straßen (SKRIBT)“ für das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), 2012

[9] Projektbericht „Wirksamkeitsanalyse von Maßnahmen zum Bauwerksschutz: Tunnel“ zum Verbundprojekt „Schutz kritischer Brü-cken und Tunnel im Zuge von Straßen (SKRIBT)“ für das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), 2012

[10] Projektbericht „Wirksamkeitsanalyse von Maßnahmen zum Nutzerschutz“ zum Ver-bundprojekt „Schutz kritischer Brücken und Tunnel im Zuge von Straßen (SKRIBT)“ für das Bundesministerium für Bildung und For-schung (BMBF), 2012

[11] Projektbericht „Bedrohungsanalyse“ zum Verbundprojekt „Schutz kritischer Brücken und Tunnel im Zuge von Straßen (SKRIBT)“ für das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), 2012

[12] DIN V ENV 1627 Türen, Fenster, Vorhangfassaden, Gitter-elemente und Abschlüsse - Einbruchhem-mung - Anforderungen und Klassifizierung, Ausgabe 2011-09

[13] DIN-Fachbericht 102: Betonbrücken, Aus-gabe März 2009

[14] DIN 1045-1 Tragwerke aus Beton, Stahlbeton und Spannbeton - Teil 1: Bemessung und Kon-struktion, Ausgabe 2008-08

[15] DIN EN 1991-1-7 Eurocode 1: Einwirkungen auf Tragwerke - Teil 1-7: Allgemeine Einwirkungen - Außer-gewöhnliche Einwirkungen, Ausgabe 2010-12

[16] Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung, Abteilung Straßenbau Straßenverkehr, Referat Brücken- und Inge-nieurbau: Richtzeichnungen für Ingenieur-bauten – RIZ-ING, Stand August 2010

[17] (VOF) Vergabeordnung für freiberufliche Dienstleis-tungen, Ausgabe 2009-11-18

[18] VOB/A Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleis-tungen - Teil A: Allgemeine Bestimmungen für die Vergabe von Bauleistungen, Ausga-be 2012-09

[19] FwDV 500: Feuerwehr-Dienstvorschrift 500, Stand 2003

[20] „TUNCONSTRUCT“, Technology Innovation in Underground Construction, CRC Press, Taylor & Francis, 2009, ISBN: 978-0-415-55105-2

Page 76: Schutz kritischer Brücken und Tunnel - Schlussbericht_EXTERN_V2

75 Schutz kritischer Brücken und Tunnel

[21] Entwicklung eines Verfahrens zum Herstel-len von Polymerbeton aus nachwachsenden Rohstoffen, ZIM, AiF, KF 2213502HF0

[22] Bundesanstalt für Straßenwesen, Zusätzli-che Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für Ingenieurbauten – ZTV-ING, 2010

[23] Verfahren zur Kategorisierung von Straßen-tunneln gemäß ADR 2007, Bundesanstalt für Straßenwesen (2009)

[24] European agreement concerning the inter-national carriage of dangerous goods by road (ADR), UNECE, 2009

[25] M. Brake, M. Grünewald, G. Mayer, A. Haack, J. Schreyer, B. Steinauer (2005) Brand- und Störfalldetektion in Straßentun-neln – Vergleichende Untersuchungen, Bundesminister für Verkehr, Bau- und Woh-nungswesen (BMVBW), Bonn, Forschung Straßenbau und Straßenverkehrstechnik, Heft 925, ISBN 978-3-86509-357-8

[26] Projektbericht „Menschliches Verhalten“ zum Verbundprojekt „Schutz kritischer Brücken und Tunnel im Zuge von Straßen (SKRIBT)“ für das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), 2012

[27] RABT - Richtlinien für die Ausstattung und den Betrieb von Straßentunneln. For-schungsgesellschaft für das Straßen- und Verkehrswesen e.V. (FGSV 339), FGSV-Verlag, Ausgabe 2006

[28] Projektbericht „Analyse Betriebs- und Ein-satzdienste“ zum Verbundprojekt „Schutz kritischer Brücken und Tunnel im Zuge von Straßen (SKRIBT)“ für das Bundesministeri-um für Bildung und Forschung (BMBF), 2012

[29] Rilsa - Richtlinien für Lichtsignalanlagen, Forschungsgesellschaft für das Straßen- und Verkehrswesen e.V. (FGSV 339), FGSV-Verlag, Ausgabe 1992

[30] Projektbericht „Wirksamkeits-Kosten-Analyse von Maßnahmen“ zum Verbundpro-jekt „Schutz kritischer Brücken und Tunnel im Zuge von Straßen (SKRIBT)“ für das Bundesministerium für Bildung und For-schung (BMBF), 2012