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StV 6 . 2018 I Schutz vor kriminellen Tierschȱtzern oder Schutz Krimineller vor Tierschȱtzern? Der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD vom 07.02.2018 enthȩlt einen Abschnitt »Tierschutz, Tierwohllabel und Nutztierhaltung – Deutschland soll beim Tierschutz eine Spitzenposition einnehmen.« Dort (S. 87) heißt es: »Wir wollen Einbrȱche in Tierstȩlle als Straftatbestand effektiv ahnden.« Dieser Satz lȩsst aufhorchen. Sind solche Einbrȱche nicht bereits als Hausfriedensbruch strafbar? Besteht hier tatsȩchlich strafrechtlicher Nachhol- bedarf? Und was hat das mit Tierschutz zu tun? Hintergrund dieser Erklȩrung sind Entscheidungen der Strafgerichte in Sachsen-Anhalt. Das LG Magdeburg (StV 2018, 335 [in diesem Heft m. Anm. Keller/Zetsche]) – am 22.02.2018 bestȩtigt durch das OLG Naumburg (2 Rv 157/17) – hatte die amtsgerichtli- chen Freisprȱche fȱr drei Angeklagte gehalten, die in eine Anlage eingedrungen waren, in der ȱber 60.000 Schweine unter erheblichen VerstȰßen gegen Tierschutzrecht gehalten wurden. Dort hatten sie Filmaufnahmen gemacht, um die – nach den Feststellungen der Strafgerichte – desolaten Zustȩnde zu dokumentieren. Hierzu hatten sich die Aktivisten aus der Erfahrung heraus entschlossen, dass die zustȩndigen BehȰrden Anzeigen ohne zwin- gende Beweise schlicht ignorierten. Die Filmaufnahmen fȱhrten zu Kontrollen, und die AufsichtsbehȰrde konstatierte, dass das Kreisveterinȩramt die schwerwiegenden Rechts- verstȰße systematisch geduldet und gedeckt hatte. Der Fachdienst Veterinȩrȱberwachung bewertete die Zustȩnde explizit als Tierquȩlerei i.S.v. § 17 Nr. 2b TierSchG. Die Straf- gerichte sahen die »Einbrȱche« in Abwȩgung aller beteiligten Interessen wegen wesent- lichen șberwiegens des Interesses der Allgemeinheit am Tierschutz (Art. 20a GG) im kon- kreten Fall als gerechtfertigt an (§ 34 StGB). Daher sprachen sie den Angeklagten in diesem Extremfall das Recht zu, sich im Interesse der Allgemeinheit gegen die systematischen, massenhaften und staatlich tolerierten VerstȰße zu wehren, indem sie die Taten dokumen- tierten und dabei das Hausrecht in der Industrieanlage stȰrten. Diese Erwȩgungen sind plausibel und prima facie richtig, zumal der Strafbewehrung des Hausrechts grundsȩtzlich betont und ausdrȱcklich kein Freibrief fȱr Stalleinbrȱche ausge- stellt wird. Die Strafgerichte lassen nur einen sehr engen Korridor fȱr die Rechtfertigung; nur fȱr extreme Fȩlle, in denen BehȰrden und Staatsanwaltschaften vor der Erfȱllung ihrer Aufgaben kapitulieren und wegsehen. Warum also diese Ankȱndigung einer »effektiven Ahndung«? Sollen auch Menschen bestraft werden, die im Interesse des Tierschutzes als Verfassungsgut und in echter Gewissensnot handeln, um elementares Versagen des Staa- tes und systematische RechtsverstȰße der Agrarwirtschaft aufzudecken? Wenn das die Absicht ist, wird jedes Bekenntnis zum Tierschutz im Koalitionsvertrag zur Makulatur. Offen bleibt zudem die strafrechtliche Ausgestaltung der »effektiven Ahndung«. Soll in § 34 StGB geregelt werden, dass die Interessen des Tierschutzes die des Massentierhalters nicht wesentlich ȱberwiegen kȰnnen? Wird § 123 StGB dahingehend ergȩnzt, dass § 34 StGB auf Eindringen in Stȩlle nicht anwendbar ist? Oder soll der Vorrang hoheitlicher Ab- hilfe die Rechtfertigung durch Tierschutzinteressen auch dann ausschließen, wenn der Staat erfahrungsgemȩß untȩtig bleiben wird? Solche Ansȩtze missachten das Prinzip des ȱberwiegenden Interesses als Ausdruck der verfassungsrechtlichen Verhȩltnismȩßigkeit. Wenn der Koalition keine vȰllig andere LȰsung vorschwebt, so bleibt nur die Erkenntnis: Achtung vor der Verfassung sieht anders aus! Prof. Dr. Jens Bȱlte, Mannheim Editorial

Schutz vor kriminellen Tierschtzern oder Schutz ... · WKD/StV, 06/2018 #9301 03.05.2018, 09:52 Uhr – hzo/st

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WKD/StV, 06/2018 #9301 03.05.2018, 09:52 Uhr – hzo/st –S:/3D/wkd/Zeitschriften/StV/2018_06/wkd_stv_2018_06_Roemer.3d [S. 1/14] 3

StV 6 . 2018 I

Schutz vor kriminellen Tiersch�tzern oderSchutz Krimineller vor Tiersch�tzern?

Der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD vom 07.02.2018 enth�lt einen Abschnitt»Tierschutz, Tierwohllabel und Nutztierhaltung – Deutschland soll beim Tierschutz eineSpitzenposition einnehmen.« Dort (S. 87) heißt es: »Wir wollen Einbr�che in Tierst�lle alsStraftatbestand effektiv ahnden.« Dieser Satz l�sst aufhorchen. Sind solche Einbr�che nichtbereits als Hausfriedensbruch strafbar? Besteht hier tats�chlich strafrechtlicher Nachhol-bedarf? Und was hat das mit Tierschutz zu tun?

Hintergrund dieser Erkl�rung sind Entscheidungen der Strafgerichte in Sachsen-Anhalt.Das LG Magdeburg (StV 2018, 335 [in diesem Heft m. Anm. Keller/Zetsche]) – am22.02.2018 best�tigt durch das OLG Naumburg (2 Rv 157/17) – hatte die amtsgerichtli-chen Freispr�che f�r drei Angeklagte gehalten, die in eine Anlage eingedrungen waren, inder �ber 60.000 Schweine unter erheblichen Verst�ßen gegen Tierschutzrecht gehaltenwurden. Dort hatten sie Filmaufnahmen gemacht, um die – nach den Feststellungen derStrafgerichte – desolaten Zust�nde zu dokumentieren. Hierzu hatten sich die Aktivisten ausder Erfahrung heraus entschlossen, dass die zust�ndigen Beh�rden Anzeigen ohne zwin-gende Beweise schlicht ignorierten. Die Filmaufnahmen f�hrten zu Kontrollen, und dieAufsichtsbeh�rde konstatierte, dass das Kreisveterin�ramt die schwerwiegenden Rechts-verst�ße systematisch geduldet und gedeckt hatte. Der Fachdienst Veterin�r�berwachungbewertete die Zust�nde explizit als Tierqu�lerei i.S.v. § 17 Nr. 2b TierSchG. Die Straf-gerichte sahen die »Einbr�che« in Abw�gung aller beteiligten Interessen wegen wesent-lichen �berwiegens des Interesses der Allgemeinheit am Tierschutz (Art. 20a GG) im kon-kreten Fall als gerechtfertigt an (§ 34 StGB). Daher sprachen sie den Angeklagten in diesemExtremfall das Recht zu, sich im Interesse der Allgemeinheit gegen die systematischen,massenhaften und staatlich tolerierten Verst�ße zu wehren, indem sie die Taten dokumen-tierten und dabei das Hausrecht in der Industrieanlage st�rten.

Diese Erw�gungen sind plausibel und prima facie richtig, zumal der Strafbewehrung desHausrechts grunds�tzlich betont und ausdr�cklich kein Freibrief f�r Stalleinbr�che ausge-stellt wird. Die Strafgerichte lassen nur einen sehr engen Korridor f�r die Rechtfertigung;nur f�r extreme F�lle, in denen Beh�rden und Staatsanwaltschaften vor der Erf�llung ihrerAufgaben kapitulieren und wegsehen. Warum also diese Ank�ndigung einer »effektivenAhndung«? Sollen auch Menschen bestraft werden, die im Interesse des Tierschutzes alsVerfassungsgut und in echter Gewissensnot handeln, um elementares Versagen des Staa-tes und systematische Rechtsverst�ße der Agrarwirtschaft aufzudecken? Wenn das dieAbsicht ist, wird jedes Bekenntnis zum Tierschutz im Koalitionsvertrag zur Makulatur.

Offen bleibt zudem die strafrechtliche Ausgestaltung der »effektiven Ahndung«. Soll in§ 34 StGB geregelt werden, dass die Interessen des Tierschutzes die des Massentierhaltersnicht wesentlich �berwiegen k�nnen? Wird § 123 StGB dahingehend erg�nzt, dass § 34StGB auf Eindringen in St�lle nicht anwendbar ist? Oder soll der Vorrang hoheitlicher Ab-hilfe die Rechtfertigung durch Tierschutzinteressen auch dann ausschließen, wenn derStaat erfahrungsgem�ß unt�tig bleiben wird? Solche Ans�tze missachten das Prinzip des�berwiegenden Interesses als Ausdruck der verfassungsrechtlichen Verh�ltnism�ßigkeit.Wenn der Koalition keine v�llig andere L�sung vorschwebt, so bleibt nur die Erkenntnis:Achtung vor der Verfassung sieht anders aus!

Prof. Dr. Jens B�lte, Mannheim

Editorial