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WIRTSCHAFT MACHT POLITIK VERSION 1.1 13.09.2013

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WirtschaftmachtPolitik Version

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Die entfesselung. ein VorWort.Michael Spindelegger, Obmann der ÖVP, spricht im laufenden Nationalratswahlkampf viel von „Entfesse-lung“. Die Wirtschaft will er entfesseln. Und nicht nur das, er wähnt das ganze Land in Fesseln: „Wir müssen Österreich entfesseln“, sagt der ÖVP-Obmann.

Nach 27 Jahren ÖVP in der Regierung: Österreich „entfesseln“? Die ÖVP ist seit 1987 un-unterbrochen an der Regierung. Sie stellt damit seit 27 Jahren den Wirtschaftsminister und seit 13 Jahren außerdem den Finanzminister. Eine ganze Generation junger Österreicherinnen und Österreicher ist aufge-wachsen und schließlich selbst stimmberechtigt gewor-den, ohne je etwas anderes zu erlebt zu haben als eine ÖVP an der Macht. „Entfesselt“ wurde in den Jahren zwischen 2000 und 2006 vor allem die Korruption und dubiose schwarze Parteienfinanzierung.

Warum also jetzt Österreich „entfesseln“?Oder ahnt man in der ÖVP vielmehr, dass eine Entfes-selung vor allem im eigenen Haus nötig wäre? Denn in vielen aktuellen Bereichen blockiert, fesselt sich die ÖVP vor allem bedingt durch ihre innere Struktur oft selbst. Will etwa der christlich-soziale Flügel der ÖVP sozial gerechte Vermögenssteuern einführen, blockt

der Wirtschaftsflügel. Ist der Wirtschaftsflügel der ÖVP endlich bereit, die sinnlose Blockade der ÖVP gegen eine nachhaltige Bildungsreform aufzuheben, wehrt die Beamtengewerkschaft diese notwendige Befreiung mit Beharrung und Erfolg ab. Also scheint es doch so zu sein, dass die sogenannte Volkspartei eine Stillstands-Partei ist, die durch ihre Bünde-Struktur tatsächlich in ihrem Handeln gefesselt ist – zum Nachteil für Öster-reich. Wenn Spindelegger als Entfesselungskünstler in Erscheinung treten will, muss man ihm viel Glück wün-schen – bei der strukturellen Entfesselung der ÖVP!

Klientelpolitik und Lobbying. Was bleibt, ist Lobbying für Interessensgruppen. Gerade jetzt im Wahlkampf ist die ÖVP bemüht, sich ein modernes Äußeres zu geben. Doch wer genau hin-sieht, der sieht unweigerlich auch ihre Schattenseiten: die Saturiertheit und Arroganz jahrzehntelanger Macht; unscharfe Trennlinien zwischen Staat, Partei, Privat-interessen und Wirtschaft, die eine Kultur der Korrup-tion befördern; eine demokratiepolitisch bedenkliche Verflechtung mit wirtschaftlichen Interessensgruppen.. Hier genauer hinzusehen und die Schattenseiten aufzu-zeigen – das ist das Ziel dieses Schwarzbuchs.

Schwarzbuch ÖVP teilen:

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4 5ÖVP Organisationsstruktur ÖVP Organisationsstruktur

Die bünDe machtfaktoren

Umfasst offiziell sechs Teilorganisationen, besserbekannt als „Bünde“:

Daneben gibt es aber auch eine Reihe von inoffiziellen „Bünden“, die jeweils ein gewichtiges Wort in der ÖVP mitzureden haben:

Junge Volkspartei

Österreichischer Arbeitnehmerinnen- und

Arbeitnehmerbund

Gewerkschaft Öf fentlicher Dienst & Fraktion Christl icher

Gewerkschafter

Landeshauptleute(allen voran Erwin Pröll) Landesorganisationen

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6 7Wen vertritt die ÖVP? Wen vertritt die ÖVP?

In den Augen der Öffentlichkeit gilt die ÖVP allerdings nicht nur als Partei der Banken und Konzerne, sondern vor allem auch als Partei der Beamten und der (Groß-)Bauern. Auch die Politik der ÖVP wird von der kriti-schen Öffentlichkeit immer stärker als Klientelpolitik wahrgenommen, die primär die Interesse der ihr nahe-stehenden und der sie unterstützenden Gruppen ver-tritt - und kaum mehr die des gesamten Volkes.

Doch der Volkspartei ist nicht nur - in ihren politischen Inhalten und an der Wahlurne - das Volk abhanden ge-kommen, es stellt sich auch die Frage:

Ist die „Volks-Partei“ überhaupt noch eine Partei?

Nämlich eine Partei im herkömmlichen Sinn, die von Ideen, Wertvorstellungen und einer Weltanschauung geleitet ist. Oder hat sie sich nicht vielmehr auf ein Geflecht und Zweckbündnis aus verschiedenen Inter-essensgruppen und Lobbies, von Beamten, Bankern, Bauern, Lehrergewerkschaftern bis zu einzelnen Unter-nehmen und der Industrie insgesamt reduziert, die alle unter der Dachbezeichnung “ÖVP” miteinander kooperieren?

Dieser Meinung ist zumindest dieser Mann:

Welches Volk vertritt die „Volks-Partei“?

In ihrer Selbstwahrnehmung sieht sich die ÖVP immer noch als klassische Volkspartei, sprich: als eine Partei, die verschiedenste und breite Schichten des Volkes in sich vereint und deren Anliegen auch politisch vertritt. Das Volk selbst sieht dies allerdings längst anders. Laut einer aktuellen Erhebung des Motivforschungsin-situts Karmasin vom Juli 2013 wird die ÖVP von der Bevölkerung vor allem so wahrgenommen:

Foto: Fotolia

10

20

30

40

50

60

Welche Partei vertritt Ihrer Meinung nach dieInteressen der folgenden Personengruppenund Institutionen am meisten?

banken unD konzerne

9

sPÖ fPÖ bzÖDiegrünen

teamstronach

keineDaVon

keineangabe

3 1 2 0

7

25

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Wie würden Sie den ideologischen Gehalt und die praktische Politik der heutigen ÖVP beschreiben?

NK: Bei der ÖVP ist es so, dass sie das, wofür sie ei-gentlich gestanden ist und was ihr Kernelement war, nämlich ein gesellschaftli-cher Konservatismus, das der in unserer modernen Gesellschaft nicht mehr aufrecht erhaltbar ist. Da scheitert sie an der Ho-mo-Ehe, da scheitert sie an der Rolle der Frau, da scheitert sie permanent an dem, wie die meisten Menschen heute leben wollen.

Die ÖVP scheitert daran, den Konservatismus heute

noch in irgendeiner Weise zu verwirklichen und des-halb reduziert sie sich auf das, was dann noch über-bleibt, wenn man ideolo-gisch nichts mehr hat und das ist Interessenspolitik. Man könnte auch sagen: Lobbying. Und das sind im Großen und Ganzen drei Gruppen, für die die ÖVP Lobbying macht: Das sind die Beamten, das sind die Bauern und das sind die Vermögen-den. Und alle Drei, auch wenn ihnen vielleicht nicht immer gefällt, was der jeweils andere macht, halten sich aneinander fest, weil sie wissen, dass das Zweckbündnis nur hält, wenn sie sich ge-genseitig stützen, weil nur dann sind sie stärker

Interview Niki Kowall

Nikolaus Kowall, Mitbe-gründer der „Sektion Acht“, einer Art „sozialdemokra-tische NGO“. Bekannt wurde er 2011, als er am Parteitag der Wiener SPÖ eine Brandrede gegen die verheerenden Folgen des kleinen Glücksspiels in Arbeiterbezirken hielt (die Rede hatte dann tatsäch-lich ein Verbot des kleinen Glückspiels zur Folge).

Kowall gilt als kritische Stimme innerhalb der So-zialdemokratie. Die ÖVP hält er verantwortlich für Blockade und politischen Stillstand in Österreich. Im folgenden Interview ana-lysiert er das ideologische Konzept der ÖVP und ihre fortschrittsfeindliche Rolle in Staat und Gesellschaft.

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lobbying für banken, bauern unD Die VermÖgenDen

Interview mit Niki Kowall:

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schon die Verantwortung für die Republik im Kopf haben oder die wollen, dass in der Bildungspo-litik etwas weitergeht. Gibt es sicher viele. Das Interessante ist, dass die dann aber in der ÖVP auch keine Chance ha-ben, sich durchzusetzen, weil es dann wieder an-

dere Interessensgruppen gibt, die das zu verhindern wissen. Also die konst-ruktiven Kräfte sind die, die sich nie durchsetzen. Wenn die Beamtenge-werkschaft zum Beispiel

sagt: „Okay, wir könnten Vermögen stärker besteu-ern und Arbeit weniger stark besteuern“ – was so zusagen im Arbeitnehmer-flügel der ÖVP durchaus befürwortet wird, dann scheitern sie damit an den Vermögenden. Aber wenn die Vermögenden sagen, wir brauchen eine

Bildungsreform, dann scheitern sie damit an der Beamtenschaft. Das heißt, was da politisch immer herauskommt, oben bei der Führung ist etwas Destruktives, es kommt

als sie gesellschaftlich wirklich wären - in dieser Dreierallianz. Und deshalb glaube ich, dass die ÖVP, die post-ideologische ÖVP sozusagen, eigentlich nichts mehr anderes ist als ein beinhartes Interes-sensbündnis. Eine Lobby, wenn man so möchte.

Die Politik der ÖVP wäre dann praktisch bloß die Schnittmenge dieser drei Interessensgruppen?

NK: Ja, die Schnittmengen aus den drei Interessens-

gruppen, die nicht anderes sind als Lobbys für ihr Kli-entel. Und wenn man die Drei zusammenschneidet, dann bleibt darüber hinaus fast nichts mehr übrig - außer Blockade.

Auf Nachfrage: Zählen IV oder Raiffeisen zu den Vermögenden?

NK: Tendenziell würde ich die dazuzählen, obwohl es sicher sozusagen Indust-rielle gibt, die nicht nur so zu sagen ihre Privatinte-ressen, ihr Privatvermö-gen sehen, sondern die

Interview Niki Kowall 1110 Interview Niki Kowall

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eigentlich nie oder kaum ein guter, konstruktiver Entwurf von dort.

Besonders hartnäckig mauert die ÖVP bekannt-lich in der Frage der Ver-mögensbesteuerung ...NK: Es ist erstaunlich, mit welcher Vehemenz

von der ÖVP-Führung seit Jahren versucht wird, je-den kleinen Steuerbeitrag von Seiten der Vermögen-den zu verhindern. Das ging sogar soweit, dass die Frau Fekter die Vermö-genssteuerdebatte mit der

Hetze auf die Juden und den zwei Weltkriegen ver-glichen hat. Da fragt man sich schon, was muss im Kopf dieser Leute los sein, um zu glauben, dass eine 0,3-Prozent-Vermögens-steuer vergleichbar ist mit dem Holocaust.

Dieser sehr zielorien-tierten Interessens- und Klientelpolitik steht aller-dings eine hochideologi-sche Rhetorik gegenüber, der sich die ÖVP bedient. Nicht nur, aber gerade auch in Wahlkampfzei-

Interview Niki Kowall 1312 Interview Niki Kowall

ten. Stichworte: „Entfes-selung der Wirtschaft“, „Mehr privat, weniger Staat“ und so weiter...

NK: Diese Anti-Staats-Rhetorik der ÖVP ist grotesk. Weil die ÖVP ja überall ganz stark im Staat drinnen sitzt und mit dem Staat verwoben ist. Viel stärker als alle an-deren Parteien. Die ÖVP begibt sich da permanent in Widersprüche.

Das Interview im Volltext: schwarzbuchoevp.at/nikolaus-kowall

Das Interview mit Niki Kowall auf Youtube

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Das legendäre Fernsehduell Kreisky versus Taus im Wahlkampf 1975. Nach 25 Minuten versuchte Bruno Kreisky, Josef Taus mit einer aktuellen Aussage von Friedrich Hayek zu konfrontieren („einer der großen österreichischen Nationalökonomen der rechten Seite“). Dieser habe zur Abwehr der Inflation empfohlen, auch eine hohe Arbeitslosenrate in Kauf zu nehmen. Worauf sich Taus umgehend und heftig dagegen wehrte, auch nur in die Nähe von Hayek gerückt zu werden:

Zehn Jahre später hatte sich der Zeitgeist gewandelt und waren neoliberale Ideen, wie sie Hayek propagier-te, auch in der ÖVP salonfähig geworden. Dafür ver-antwortlich war vor allem auch Wolfgang Schüssel, der in dem 1985 von ihm mitverfassten Buch „Staat lass nach“ zwar nicht Hayek, aber Milton Friedman mehr-fach und zustimmend zitierte, der neben Hayek als einer der Väter des Neoliberalismus gilt. Ebenfalls Teil des Buches: Ein Kapitel und ein Privatisierungskonzept mit dem Titel „Mehr privat, weniger Staat“...

„Friedrich Hayek ist kein ÖVP-Mitglied! Steht uns auch nicht nahe!“

Wolfgang Schüssel

Die ÖVP Vor Dem neoliberalismus

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Auch sechs Jahre nach dem Rücktritt von Wolfgang Schüssel als ÖVP-Obmann prägt „er“ noch immer die Volkspartei. Psychologisch gesehen ist das auch nachvollziehbar: Es war Schüssel, der in den Jahren ab 2000 die ständige und teilweise dramatische Ab-wärtsbewegung seiner Partei nicht nur stoppen, son-dern sogar umkehren konnte. Nach dem desaströsen Wahlergebnis von 1999, bei der die ÖVP - mit Schüs-sel als Spitzenkandidat - nur 26,9 Prozent einfuhr und erstmals nur Dritter wurde, gelang ihm das Kunst- und Husarenstück, sich und die Volkspartei am Verhand-lungstisch am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu zie-hen: Als Dritter der Wahl ging er Anfang Februar 2000 nicht - wie vorher angekündigt - in Opposition, sondern unterirdisch zur Angelobung als Kanzler.

Der Wiedereroberung des Kanzleramts für die ÖVP nach 30 Jahren Durststrecke als Oppositionspartei oder als Juniorpartner in einer Koalition folgte 2002 auch die Rückkehr zu alter, zuletzt Mitte der 1980er Jahre erreichter Stimmenstärke: 42,3 Prozent. Die nachfolgende Regierungsjahre zunächst mit der FPÖ und nach deren Spaltung 2005 mit dem BZÖ waren über weite Strecken de facto eine ÖVP-Alleinregierung. Wolfgang Schüssel hatte der Volkspartei damit eine Machtfülle und ein Selbstbewusstsein zurückgegeben,

Wolfgang Schüssel Wolfgang Schüssel

die für sie jahrzehntelang selbstverständlich gewesen waren - bis Kreisky kam. Hier verbirgt sich auch das Kernproblem der Schüssel-Jahre, die so gerne eine „Ära“ geworden wären – sie waren im Kern ein revanchistisches und rückwärtsgewandtes Projekt, sprich: der Versuch, Kreisky und seine linke Politik der Siebziger Jahre unge-schehen zu machen. Schüssel suchte dies zu erreichen, indem er mit zwei Jahrzehnten Verspätung die konserva-tiven Achtziger Jahre in Österreich nachahmen und nach-holen wollte.

Als junger Politiker hatte Schüssel miterlebt, wie nach den von linkem Zeitgeist und sozialdemokratischer Poli-tik geprägten Siebziger Jahren das Pendel scharf nach rechts geschwungen war. Doch während eine Thatcher, ein Reagan und ein Helmut Kohl mit seiner „Wende“ ihren Ländern einen konservativen Stempel aufdrück-ten, da regierten in Österreich immer noch die Sozi-aldemokraten und genoß Kreisky unverändert hohes Ansehen. Immerhin war die ÖVP ab 1987 wieder an der Regierung, wenn auch in der Rolle als kleinerer Koalitionspartner.

Schüssel, ab 1989 als Wirtschaftsminister Teil der Regierung, erlebte mit, wie die ÖVP bei Wahlen weiter hinter der SPÖ blieb und immer stärker auch Stimmen an den neuen Mitkonkurrenten Jörg Haider verlor.

scharf nach rechts mit schüssel

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18 19Wolfgang Schüssel

Als Schüssel 1995 schließlich selbst das Ruder in der Volkspartei übernahm, da setzte er sich bewusst vom sachlichen und konzilianten Auftreten seiner Vorgänger Riegler und Busek ab (das von den Wähler und Wäh-lerinnen auch nicht honoriert worden war) und ging auf Konfrontationskurs: Kaum als ÖVP-Obmann im Amt, provozierte er auch bereits Neuwahlen - bei denen er mit seinem Kanzleranspruch allerdings kläglich schei-terte. Schüssel hatte geglaubt, mit dem Versprechen einer rigiden Sparpolitik punkten zu können, die er „Schüssel-Ditz-Kurs“ nannte“ - in Anlehnung an den „Raab-Kamitz-Kurs“ der ÖVP in den 1950er Jahren. Schüssel eigentliche Inspiration zu diesem Zeitpunkt war aber Newt Gingrich, der zur gleichen Zeit in den USA eine „konservative Revolution“ ausgerufen und einen extrem aggressiven Stil in die Politik eingeführt hatte (der Jahre später im „Impeachment“-Verfahren gegen Präsident Clinton gipfelte).

Schüssel holte sogar Gingrichs Berater und Wort-schmied Frank Luntz nach Österreich (der später dann auch George W. Bush beriet und für diesen unter anderem den Slogan „War on Terror“ kreierte). Schüssels Pech: Auch Jörg Haider nahm sich zu jener Zeit ein Vorbild an Gingrich und seinen radikalisierten Republikanern und erwies sich dabei als die effektive-re Kopiermaschine (den „Contract with America“ von

Wolfgang Schüssel

Gingrich und Luntz etwa kupferte Haider als „Vertrag mit Österreich“ ab).

Dennoch bekam Schüssel schließlich ab dem Jahr 2000 seine Chance zur „Wende“. Doch statt einer epochemachenden Umgestaltung Österreichs reichte es nur zu einer schnöden Umfärbung des Landes und seiner Institutionen. Schüssels großer Triumph über Jörg Haider entpuppte sich letztlich als Pyrrhussieg und seine ÖVP landete nach ihrem Höhenflug wieder bei knapp über 25% Zustimmung in der Wählergunst. Anstelle einer Erfolgsbilanz hat Schüssel nach sieben Jahren Kanzlerschaft primär einen Scherbenhaufen aus Skandalen hinterlassen.

Quelle: Flickr/ÖVP online

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CAUsA eUroFiGHTer Im Zuge des Eurofighter-Kaufs durch die Republik Österreich in den Jahren 2001-2002 kam es zu un-klaren Geldflüssen über die in London ansäßige Briefkastenfirma Vector Aerospace. Nachweislich sind dabei 84 Millionen Euro geflossen. Die Agentur des Ex-FPÖ-Geschäftsführers Gernot Rumpoldbekam etwa sieben Millionen für „Kommunikation“ und allein 96.000 Euro für eine Pressekonferenz. Es besteht der Verdacht, dass über diesen Kanal Schmier-gelder an die schwarzblaue Regierung getätigt wurden und eine verdeckte Parteienfinanzierung stattgefunden hat.

BeHÖrDenFUnK TeTronIm Zusammenhang mit der Neuausschreibung für ein digitales und abhörsicheres „Funksystem für Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben“ (BOS) kam es in den Jahren 2002-2004 zu Interventionen durch den auch in der Causa Eurofighter aktenkundi-gen ÖVP-nahen Lobbyisten Alfons Mensdorff-Pouilly bei dem für die Vergabe zuständigen Innenministerin Ernst Strasser. Das von Mensdorff-Pouilly vertretene

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Konsortium aus Telekom Austria, Motorola und Alcatelbekam schließlich den Zuschlag. Dabei soll es zu Be-stechung, Geldwäsche und verdeckte Parteienfinan-zierung durch Alcatel an die ÖVP gekommen sein. Die Staatsanwaltsschaft Wien ermittelt aktuell.“

BUWoG-AFFÄreIm Zuge der Veräußerung von 60.000 Bundeswohnun-gen der Bauen und Wohnen GmbH (BUWOG) durch den damaligen Finanzminister Karl-Heinz Grasser soll es 2004 zu Unregelmäßigkeiten bei der Auswahl der beratenden Investmentbank und illegalen Absprachen beim Verkaufsverfahren gekommen sein. Provisions-zahlungen in der Höhe von 9,6 Millionen Euro gingen dabei an den Grasser-Freund Walter Meischberger und den Lobbyisten Peter Hochegger.

iMMoBiLien-AFFÄreVom Bauunternehmen Porr bekamen Meischberger und Hochegger in den Jahren 2005 und 2006 für ihre Tätigkeit als Berater und „Immobilienvermittler“ 2,1 Millionen Euro. Sie vermittelten unter anderem den Umzug der Finanzlandesdirektion Oberösterreich

eine skanDalchronik in schWarz-blau-orange eine skanDalchronik in schWarz-blau-orange

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in den neuerbauten „Terminal Tower“ beim Linzer Bahnhof. Letztverantwortlicher Minister damals: ihr Freund Karl-Heinz Grasser. Ungereimtheiten gibt es auch im Zusammenhang mit dem Umzug des Wiener Handelsgerichts aus einem renovierten Haus in den von der Porr errichteten “Justiztower” im Jahre 2003. Ernst Plech, Aufsichtsrat der Bundesimmobiliengesell-schaft (BIG) und Freund von Grasser, bekam damals für eine Provision von 607.476 Euro. Auch in diesem Fall besteht Schmiergeldverdacht.

CAUsA BirnBACHer Beim Verkauf der Hypo Alpe Adria erhielt der Klagen-furter Steuerberater Dietrich Birnbacher 2007 für ein mündliches Gutachten von Landeshauptmann Haider und seinem Stellvertreter Josef Martinz (zugleich Kärnt-ner ÖVP-Chef) ein Honorar von 12 Mio. Euro. Die Hälfte sollte davon zur illegalen Parteien-finanzierung an ÖVP und FPÖ zurückfließen.

Martinz wurde im Oktober 2012 wegen Untreue zu fünfeinhalb Jahren unbedingter Haft verurteilt.

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TeLeKoM-AFFÄre Laut „Profil“ sollen zwischen 2000 und 2008 insgesamt 38 Millionen Euro von der Telekom Austria an Hoch-eggers Unternehmensgruppe geflossen sein (allein im Zuge der Telekom-Privatisierung 2004 fielen 6 Millionen Euro an Hocheggers Agentur ab). Die Gegenleistungen dafür sind unklar und Gegenstand von Ermittlungen. Im Jahr 2007 soll der damalige Vizekanzler Hubert Gorbach (BZÖ) eine die Telekom Austria begünstigen-de Verordnung erlassen und dafür im Gegenzug von Hocheggers Firma Valora das Gehalt seiner Sekretärin (in der Höhe von 264.000 Euro) bezahlt bekommen haben. Zahlreiche verdächtigen Zahlungen der Te-lekom via Hochegger an Politiker und Parteien bzw. parteinahe Agenturen und Organisationen, darunter die Fraktion Christlicher Gewerkschafter und die Junge ÖVP, sind aktuell Gegenstand staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen. Es besteht der Verdacht auf verdeckte Parteienfinanzierung.

CAsinos AUsTriA zAHLT An DAs BzÖ 2006 300.000 Euro bezahlten die Casinos Austria für die Studie „Responsible Gaming“, die von der BZÖ-

eine skanDalchronik in schWarz-blau-orange eine skanDalchronik in schWarz-blau-orange

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Agentur Orange gemacht wurde. Wegen Korruptions-verdachts wird ermittelt. Nachdem die ÖVP-BZÖ-Koa-lition 2006 plante, das Glückspielmonopol aufzuheben, wurde dies nach – offenbar erfolgreichem – Lobbying der Casinos wieder abgeblasen.

WeiTere sKAnDALe & MALVersATionen •DieIndustriellenvereinigungzahltedieoffizielle Homepage von Karl-Heinz Grasser

•GegendenehemaligenFinanzministerGrasser laufen mehrere Ermittlungsverfahren wegen Steuerhinterziehung

• Ex-Vizekanzler Hubert Gorbach verkaufte 2005 als Minister die ÖBB-Bodenseeschifffahrt an das Unter- nehmen des Vorarlbergers Walter Klaus, für das Gorbach dann 2007 nach seinem Ausstieg aus der Politik tätig war

• Haiders Staatsbürgerschaftsverleihung für russische Investoren wurde 2007 unter Kanzler Schüssel im Ministerrat abgesegnet

eine skanDalchronik in schWarz-blau-orange

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Alfons Eduard Alexander Anto-nius Maria Andreas Hubertus Christoph Mensdorff-Pouilly. Die Liste seiner Vornamen ist fast so lang wie die Liste der Tätig-keiten, die er ausübt (Forstwirt, Unternehmer, Geschäftsmann, Lobbyist für Rüstungs- und andere Konzerne) und die Liste der Skandale, in die er verwi-ckelt ist. Nicht nur im Zusammenhang mit österreichischen Skandalen taucht der Name Mensdorff-Pouilly immer wieder auf - auch international sieht sich der, aus altem internationalem Adelsge-schlecht stammende Herr Graf Schmiergeldvorwürfen ausge-setzt. 2010 wurde er in London sogar verhaftet. Der Vorwurf: Verwicklung „in aktive und passive Bestechungsvorgänge

Die Welt Des grafen ali: Waffen, schmiergelD, korruPtion?

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bei nationalen und internationalen Beschaffungsvorgän-gen für militärisches Gerät“ im Auftrag des britischen Rüstungskonzern BAE Systems. Mensdorff-Pouilly saß ein paar Tage im Gefängnis, wurde dann aber gegen eine Kaution von umgerechnet über eine halbe Million Euro freigelassen und die Ermittlungen gegen ihn nach Pönalzahlungen von BAE eingestellt.

Auch in Tschechien und Ungarn kam es 2007 zu einem skandalumwitterten Ankauf von Jagdflugzeugen und in diesem Zusammenhang zu Vorwürfen gegen Mensdorff-Pouilly. In Österreich interessiert Öffentlich-keit und ermittelnde Behörden vor allem Mensdorff-Pouillys Rolle im Zusammenhang mit dem Eurofighter-Ankauf, dem Behördenfunk Tetron sowie dem Verkauf von Grippeschutzmasken an das österreichische Ge-sundheitsministerium (das zum Zeitpunkt des Verkaufs von seiner Ehefrau Maria Rauch-Kallat geleitet wurde). Dass den stets freundlichen und kultiviert auftretenden „Graf Ali“ die Skandale derart umwittern, hat auch sei-nem Ansehen geschadet. Am deutlichsten abzulesen ist dies an der Haltung der ÖVP ihm gegenüber: 2007 hatte die ÖVP wegen der Vorwürfe gegen Mensdorff-Pouilly die Koalitionsverhandlungen mit der SPÖ beina-he platzen lassen und eine „Ehrenerklärung“ von SPÖ-Klubobmann Josef Cap für ihn verlangt. Fünf Jahre

Die Welt des Grafen AliDie Welt des Grafen Ali

später, im März 2012, legte ÖVP-Klubobmann Karlheinz Kopf Wert auf die Feststellung: „Die ÖVP hat mit dem Herrn Mensdorff-Pouilly null und nichts zu tun. Und ich verwahre mich an dieser Stelle jetzt einmal wirklich entschieden dagegen, dass uns dieser Mensch ständig zugerechnet wird.“ Diese - wenig glaubhafte - Distanzierung erinnert an die Reaktion der ÖVP, als ihr Spitzenpolitiker und Dele-gationsleiter Ernst Strasser im EU-Parlament von engli-schen Journalisten des Lobbyings für die eigene Brief-tasche überführt wurde.

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28 29Ernst Strasser

In Strassers frühem Werdegang spiegelt sich nochder Zeitgeist der 1970er Jahre: So forderte er 1976 als Studentenvertreter und Vorsitzender der Hochschüler-schaft an der Universität Salzburg die Abschaffung des Bundesheeres. Konsequenterweise leistete er 1980 auch keinen Wehr-, sondern einen Zivildienst.

Strassers eigentliche politische Tätigkeit begann dann 1992 – da wurde er Geschäftsführer der ÖVP Nieder-österreich. Der langjährige Landtagsabgeordnete und ÖVP-Aussteiger Alfred Dirnberger erinnert sich, dass Strasser damals von Erwin Pröll mit dem expliziten Auftrag geholt wurde, „Alois Mock, Robert Lichal und Siegfried Ludwig politisch zu entmachten“.

In einem Rückblick auf diese frühe Phase von Strassers Polit-Karriere schrieb „Die Presse“ im Jänner 2013: „Als Erwin Pröll Landeshauptmann in Niederösterreich wurde, suchte er nach einem Parteisekretär: Einem, der im Tagesgeschäft dem Parteichef den Rücken frei hält, und keine Hemmungen hat, mit harten Bandagen zu kämpfen. Ernst Strasser hat diesen Auftrag perfekt erfüllt. Das System Pröll, das dem Landeschef ungezü-gelte Machtbefugnisse verschaffte und die Opposition zur Marginalie verkommen ließ, war zu einem guten Teil auch ein System Strasser.“

Der Name Ernst Strasser steht neben dem von Mensdorff-Pouilly als Synonym für eine Kultur der Korruption, die sich unter Schwarz-Blau-Orange in Österreich ausgebreitet hat.

Das system strasser

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Als Wolfgang Schüssel im Jahr 2000 sein schwarzblau-es Abenteuer startete, da wurde Strasser Prölls Mann in der Regierung. In seiner Funktion als Innenminister erwarb er sich zunächst den Ruf des „Liberalen“ in der nationalkonservativen Regierung - primär deshalb, weil er gegen die Demonstrationen gegen Schwarz-Blau nicht mit Polizeigewalt vorgehen ließ.

Hinter der Maske des Liberalen ging Strasser allerdings mit voller Härte daran, den Polizeiapparat umzugestal-ten. Nicht nur die Autos und Uniformen der Polizisten und Polizistinnen bekamen eine neue Farbe (das Spi-natwachtergrün wich einem Marineblau), die Polizei ins-gesamt wurde von Strasser umgefärbt. Die Zusammen-legung von Polizei und Gendarmerie - für sich gesehen durchaus ein Reformwerk - bot Strasser die Gelegen-heit, alte Organisationsstrukturen und Führungsstäbe in großem Stil zu zerschlagen. SPÖ-nahe Spitzenpoli-zisten wurden konsequent von ihren Positionen entfernt und durch ÖVP-Parteigänger ersetzt.

Dieser rein parteipolitisch motivierte Radikalumbau im Innenministerium und bei der Polizei hatte eine drama-tische Verschlechterung der Sicherheitslage zur Folge. Da bei der Kriminalpolizei erfahrene Beamte gezielt hin-ausgedrängt und damit funktionierende Strukturen zer-stört wurden, stieg die Kriminalität unter Schwarz-Blau-Orange im Jahr 2005 auf den Rekordwert von 605.272

Ernst StrasserErnst Strasser

angezeigten Straftaten (ein Plus von 22 Prozent im Vergleich zu 1999, dem Jahr unmittelbar vor Strassers Amtsantritt). Gleichzeitig sank die Aufklärungsquote zwischen 1999 und 2005 von über 51 Prozent auf 36,9 Prozent.

Die Sicherheit der Bevölkerung war für Strasser aller-dings nachrangig. Wichtig war ihm primär, tausende Polizisten abzubauen und Polizeiposten zuzusperren. Ein Kahlschlag, von dem sich die Polizei bis heute nicht erholt hat.

Wie skrupellos Strasser bei der Umgestaltung und Umfärbung des Polizeiapparats vorgegangen ist, bele-gen E-Mails zwischen ihm und seinen engsten Mitar-beitern (die nach wie vor im Innenministerium tätig sind und seitdem teilweise sogar steile Karriere gemacht haben). Diese E-Mails gelangten später über die Zeit-schrift „Falter“ und den Blog von Peter Pilz auch an die Öffentlichkeit und hatten 2008 eine Anzeige wegen Amtsmissbrauchs zur Folge, die vom Staatsanwalt aber solange „übersehen“ wurde bis sie verjährt war...

In der Falle von „Sunday Times“Vor dem Hintergrund dieser ausgesprochen unguten Optik und in Anbetracht der schweren Anschuldigun-gen gegen Strasser war es umso überraschender, dass er 2009 dann als Spitzenkandidat der ÖVP für die EU-

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den. Gesichert ist, dass Strasser seine Parteimitglied-schaft ruhend gestellt hat. Offiziell ausgeschlossen dürfte ihn die ÖVP aber bis heute nicht haben.

Nicht nur deshalb sind die Distanzierungen der ÖVP von Strasser so wenig überzeugend. Strasser war über viele Jahre eine Schlüsselfigur in der ÖVP und hat entscheidend dazu beigetragen, ihren Einfluss- und Machtbereich auszudehnen. Dabei hat er ein System aufgebaut, das nicht mit seinem Abgang aus der Politik verschwunden ist. Strasser war ein schwarzes Schaf – in einer schwarzen Herde. Oder ein fauler Apfel, der nicht weit vom Stamm gefallen ist…

Ernst StrasserErnst Strasser

Wahl präsentiert wurde. Die ÖVP gab Strasser damals den Vorzug vor dem verdienten und auf europäischer Ebene hoch angesehenen Othmar Karas – ein verhee-render Fehler, den Josef und Erwin Pröll damals bei der Kandidatenkür begingen, denn Strassers Auftritt als EU-Parlamentarier und ÖVP-Delegationsleiter im Eu-ropaparlament endete 2011 in Schimpf und Schande, als er britischen Aufdeckungsjournalisten der “Sunday Times” in die Falle ging, denen er sich vor laufender Kamera als mietbarer Lobbyist feilgeboten hatte. Die zwei verdeckten Journalisten gaben sich als Lobbyisten von Investment-Unternehmen aus und versuchten, beim ÖVP-Delegationsleiter Ernst Strasser Gesetzesänderungen bei geplanten Richtlinien im Finanzsektor und Anlegerschutz zu erreichen. Mit „Erfolg“: Strasser leitete die Änderungswünsche andie in der ÖVP-Delegation zuständigen Othmar Karas und Hella Ranner weiter und bemühte sich in Folge persönlich, die Einbringung der Änderungen in den zuständigen Ausschüssen zu erwirken. Das Gespräch mit den Sunday Times im Wortlaut auf ORF.at: „Ich bin sehr diskret“

Aus dem Europaparlament ist Strasser in der Folge ausgeschieden, ob er auch aus der ÖVP ausgeschie-den ist, muss mit einem Fragezeichen versehen wer-

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34 35Strassers Erbe 3534 Strassers Erbe

… gerharD karner & Wolfgang sobotka Karner war Rauchs Vorgänger als Pressesprecher von Innenminister Strasser von 2000-2003, heute ist er Landesgeschäftsführer der ÖVP Niederösterreich. So-botka wurde von Strasser ins Parteisekretariat geholt und steht heute als Finanzlandesrat wegen Spekulati-onsgeschäften mit Wohnbaudarlehen in der Kritik. Mikl-Leitner, Rauch, Sobotka und Karner - alle sind sie durch die Schule Strassers gegangen und alle lassen sie auch heute noch in ihrem politischen Auftreten und Tun die Handschrift Strassers erkennen. Wenn die ÖVP wirklich und glaubwürdig mit Strasser brechen will, dann muss sie auch mit diesem Erbe von Strasser brechen, das in einer Reihe ihrer Spitzenrepräsen-tanten fortwirkt.

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Die Ära Strasser wirkt in Niederösterreich und im In-nenministerium bis heute nach. Er hat dort nicht nur politisch und organisatorisch Tatsachen geschaffen, sondern auch eine Reihe von Personen „entdeckt“ und in Spitzenpositionen gehievt, die auch im heutigen politischen Alltag eine wichtige Rolle spielen. Dazu gehören vor allem: … Johanna mikl-leitner

Die heutige Innenministerin wurde 1995 von Strasser als Marketingleiterin in die Parteizentrale der ÖVP Niederösterreich geholt. Der ÖVP-Dissident Alfred Dirnberger war damals dabei und erinnert sich, wie sie oft „hingabevoll vom ‚Ernsti‘ gesprochen oder nach ihm gerufen hat, die Frömmelnden in der ÖVP würden sagen, sie betete ihn inbrünstig an!“

… hannes rauch

Von Strasser in den Jahren 2003-2004 als Presse-sprecher ins Innenministerium geholt, heute ÖVP-Generalsekretär und Wahlkampfleiter.

strassers erbe

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36 37

Schüssel hat allerdings keinen erwischt, obwohl links und rechts von ihm in der Regierung Linke am laufen-den Band gemacht wurden. Was sagt das über seine Führungsqualitäten als Regierungschef aus? Und was sagt Schüssels Weigerung, sein diesbezügliches Ver-sagen auch einzugestehen und die Verantwortung dafür zu übernehmen, menschlich und charakterlich über ihn aus?

„Granada“ hat es übrigens bis heute nicht gespielt. Und wird es auch nicht spielen, solange das Justiziministeri-um in der Hand der ÖVP ist - der nichts ferner liegt als die parteiintern als goldene Zeit verklärten Jahre unter Schwarz-Blau-Orangen Regierungen auch juristisch und strafrechtlich gründlich zu durchleuchten...

Wolfgang Schüssel, Anfang September 2010 im „Profil“

„Ich habe allen in unserer

Regierung immer gesagt:

„Wenn ich einen erwische,

der hier Linke macht,

dann spielt‘s Granada.“

schWarzblauorange unter Politischem Denkmalschutz

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Die Wahlniederlage der ÖVP im Jahre 2006 war ein gewaltiger Schock für die Partei: Schüssel nach sieben Jahren als Kanzler abgewählt! Und das trotz eines mit beispiellosem Aufwand betriebenen und ganz auf seine Person zugeschnittenen Kanzlerwahlkampfs - und trotz einer im Wahlkampf durch den BAWAG-Skan-dal gehandicappten SPÖ. Die ÖVP wollte das Ergebnis weder am Wahlabend noch in den Tagen, Wochen, Monaten und Jahren danach wirklich wahrhaben: Es musste sich um einen „Wählerirrtum“ handeln!Die ÖVP weigerte sich folglich die neuen politischen Ver-hältnisse anzuerkennen und zum normalen politischen Alltag überzugehen. Statt dessen setzte sie auf eine Po-litik des ständigen Blockierens und der Zusammenarbeit ausschließlich zu ihren Bedingungen. Ihr neuer Obmann Wilhlem Molterer agierte dabei als reiner Statthalter Schüssels, dessen primäres Ziel es war, Schwarz-Blau-Orange unter eine Art politischen Denkmalschutz zu stellen. Nichts am „großartigen Reformwerk“ Wolfgang Schüssels durfte zurückgenommen oder sonstwie ver-ändert werden! Obwohl eine Mehrheit der Österreiche-rInnen zuvor bei der Nationalratswahl gegen die Fortset-zung von Schüssels Politik gestimmt hatte ...

Schwarzblauorange unter Denkmalschutz

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38 39Schwarz-Blau-Orange unter DenkmalschutzSchwarz-Blau-Orange unter Denkmalschutz

In vielen Bereichen wirkt dieser „Denkmalschutz für Schwarz-Blau-Orange“ bis heute nach. Das vielleicht be-kannteste Beispiel ist der Jugendgerichtshof, der unter Schwarz-Blau gegen den Rat von Expertenseite abge-schafft wurde und gegen dessen Wiedereinführung sich die ÖVP bis heute wehrt (dass es seit dem Auflassen des Jugendgerichtshofes zu einer Verschlechterung der Haftsituation bei Jugendlichen gekommen ist, mit zahl-reichen Übergriffen und Vergewaltigungen, ist der ÖVP jetzt knapp vor der Wahl auch politisch auf den Kopf gefallen).

Bis heute nachwirken tut auch Schüssels „Verhand-lungsgeschick“, also seine Fähigkeit, Wahlniederlagen bei den anschließenden Koalitionsverhandlungen in Siege umzuwandeln. Durch die ständige, von Schüssel vorexerzierte Drohung einer neuerlichen Koalition mit der FPÖ, kann die ÖVP eine Ressortaufteilung erpressen, die eigentlich nicht ihrer Rolle als Juniorpartner der Koalition entspricht.

Von Schüssels Statthalter Molterer zu Josef Pröll2008 „reichte“ es Schüssels Statthalter Willi Molterer nach der eineinhalb Jahren widerwilligst ertragenen Koalition mit der SPÖ, die Neuwahl mündete aber in einer neuerlichen Niederlage und auf Molterer folgte Josef Pröll.

Quelle: Flickr/ÖVP online

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Pröll verdankte den ÖVP-Vorsitz von 2008-2011 jedoch nicht seinen liberaleren politischen Ansätzen, sondern vor allem dem Umstand, dass er der Mann der wesent-lichen und bestimmenden Kräfte in der ÖVP war. Die da seit einiger Zeit sind: die niederösterreichische ÖVP unter (seinem Onkel) Erwin Pröll und Raiffeisen (es ist kein Zufall, dass Pröll 2011 von seinem Amt als Vize-kanzler und ÖVP-Chef direkt in den Raiffeisen-Konzern wechselte). Diesen Kräften ging es nach der schmerz-haften Wahlniederlage 2008 und auch nach dem über-raschenden, gesundheitsbedingten Ausscheiden von Pröll 2011 primär um eine schnelle Stabilisierung der verunsicherten Partei. Dabei war nicht jemand gefragt, der - wie es Schüssel tat - die Partei ganz nach eige-nen Vorstellungen lenkte und umgestaltete, sondern jemand, der sein Amt konservativ ausübte. Jemand, der aus dem eigenen Umfeld kam und der daher bere-chenbar und notfalls auch steuerbar war. Jemand wie Michael Spindelegger.

Schwarz-Blau-Orange unter Dennkmalschutz

michael sPinDeleggerDer ParteisolDat

Michael Spindelegger

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42 43Michael SpindeleggerMichael Spindelegger

Der Name Michael Spindelegger wurde einer breiteren Öffentlichkeit zum ersten Mal Ende der 1980er Jahre bekannt. Und das gleich in einem zwielichtigen Zu-sammenhang: Im Zuge einer Razzia war in der Villa ei-nes Waffenlobbyisten ein Aktenvermerk gefunden wor-den: „Spindelegger: 1: Parteienfinanzierung; zwei Millionen; 2: Auftragsvolumen: 35 Mio...“.

Spindelegger war zum damaligen Zeitpunkt Ministerse-kretär im Büro von Verteidigungsminister Robert Lichal, der auch als sein politischer Ziehvater gilt. Lichal, auch bekannt unter seinen Spitznamen „Django“ und „Re-volverhofrat“ und führender Vertreter der erzkonserva-tiven „Stahlhelm-Fraktion“ in der ÖVP, hatte 1987 den Kauf von Übungsmunition beim Schweizer Rüstungs-konzern Oerlikon zum Kaufpreis von umgerechnet 2,5 Millionen Euro veranlasst. Der Kauf war im Bun-desheer selbst heftig umstritten und die Umstände dubios: Der für Oerlikon tätige Waffenlobbyist war nämlich ein Duzfreund von Lichal und wie dieser Mitglied im ÖVP-nahen Cartellverband (CV). Die Staats-anwaltschaft Wien begann 1988 mit Vorerhebungen; 1989 wurden gegen Lichal und seinen Sekretär Spindelegger sogar Voruntersuchungen wegen des Verdachts der Untreue eingeleitet.

In diesem Zusammenhang kam es auch zu einer Haus-durchsuchung bei Spindelegger. Die Behörden durch-

suchten damals seine Wohnung in der Hinterbrühl - übrigens eben jene Sozialwohnung, die er 1988 auf Vermittlung seines Vaters (damals Bürgermeister von Hinterbrühl) bekommen hatte und die im Frühjahr 2013 in die Schlagzeilen geriet, weil sie den Forderungen der ÖVP nach einer Vergabe von Sozial- und Gemeinde-wohnungen nur an Geringverdienende die Glaubwür-digkeit nahm (Spindelegger behauptet, er hätte damals freiwillig einen Aufpreis zur Miete gezahlt, indem er einem Sozialfonds für Bedürftige Spenden-geld zukommen ließ - Belege dafür hat er der Öffent-lichkeit versprochen, aber bis heute nicht präsentiert).

Die Ermittlungen im sogenannten „Oerlikon-Skandal“ wurden Ende 1990 eingestellt - ein Umstand, den Spindelegger 2010 nach seiner Kür zum neuen Bun-desparteiobmann der ÖVP eigens betonte: „Das Ver-fahren, von dem hier die Rede ist, wurde vor über 20 Jahren eingestellt. Die Vorwürfe waren an den Haaren herbeigezogen und haben keiner juristischen Prüfung standgehalten.“

Der damals ermittelnde Staatsanwalt Wolfgang Mekis sieht das im Rückblick anders. Er hätte vor allem auch wegen des Verdachts der Parteienfinanzierung gerne weiterermittelt, doch der damalige, der ÖVP naheste-hende Justizminister Foregger hatte ihm den Fall ent-zogen, sogar ein Disziplinarverfahren gegen ihn einge-

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leitet und die Oberstaatsanwaltschaft mit den weiteren Erhebungen betraut (Mekis versuchte sich gegen die beispiellose Entziehung des Falles durch Justizminister und Oberstaatsanwaltschaft zu wehren, indem er mit-tels einer Pressekonferenz an die Öffentlichkeit ging).

Mekis Fazit heute gegenüber derStandard.at: „Der Fall war ein klassisches Beispiel dafür, wie sich die Politik in die Justiz einmischt.“

Immerhin hatte der Waffenlobbyist selbst explizit „Par-teienfinanzierung“ erwähnt; damit nicht genug, gab es auch ein Dankschreiben von Lichal an den Waffen-lobbyisten, in dem sich der Verteidigungsminister für den „Fliederbusch“ bedankte - „Flieder“ ist in der Wie-ner Gaunersprache bekanntlich ein anderes Wort für Geld...

Da die Ermittlungen damals aber offiziell eingestellt wurden, konnte Spindelegger seine politische Karriere fortsetzen. Unmittelbar nach der ausgestandenen “Oer-likon-Affäre” absolvierte er im Rahmen eines Trainee-Programms der Industriellenvereinigung eine Reihe von mehrmonatigen Praktika bei großen Unternehmen wie Siemens und Alcatel. Bei diesem kurzen Hineinschnup-pern Spindeleggers in die “Privatwirtschaft” sollte es jedoch bleiben; ab 1992 setzte er zielstrebig seine politische Laufbahn fort: Abgeordneter zum Bundesrat

Michael Spindelegger Michael Spindelegger

und Nationalrat, EU-Abgeordneter, ÖAAB-Vorsitzender, Nationalratspräsident, seit 2010 Außenminister und im selben Jahr auch seine Wahl zum ÖVP-Obmann als Nachfolger von Josef Pröll.

Spindeleggers Installierung als neuer ÖVP-Obmann erfolgte allerdings überfallsartig und vor allem auf Be-treiben von Erwin Pröll, dessen mächtige ÖVP-Lan-desorganisation Niederösterreich auch der politische

Der Parteisoldat

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“Stall” ist, aus dem Spindelegger kommt. Gerade die Rolle von Pröll, mächtigster Mann innerhalb der ÖVP, bei der Installierung Spindeleggers wirft die Frage auf, wie mächtig Spindelegger selbst innerhalb der ÖVP ist und wie eigenständig er agieren kann. Oder mit ande-ren Worten: Ist er wirklich der Kommandierende oder noch immer nichts mehr als ein treuer Parteisoldat und Befehlsempfänger?

Bemerkenswertes biographisches Detail: Als Spin-delegger 1977-78 seinen Präsenzdienst als Einjährig-Freiwilliger ableistete, da war der heutige Raiffeisen-Chef und damalige Berufssoldat Erwin Hameseder sein Ausbildner. Spindelegger erinnert sich: “Die Ausbildung durch Erwin Hameseder war hart, aber auch sehr auf-schlussreich. Davon haben wir alle profitiert.”

Die federführende Rolle Raiffeisens kürzlich bei der Pro-Wehrpflicht-Kampagne, aber auch bei anderen politischen Themen lässt freilich die Frage aufkommen: Folgt Spindelegger auch heute noch den Befehlen von Hameseder? Und wie verhält es sich nun genau mit dem Einfluss von Raiffeisen auf die ÖVP?

Michael Spindelegger

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48 49Das Bollwerk gegen moderne Bildung

neugebauer. bollWerk gegen moDerne bilDung für alleDer GÖD-Vorsitzende Fritz Neugebauer ist zwar Mit-glied im Bundesparteivorstand der ÖVP, jedoch hat er in der Partei nicht nur Freunde. So gärt es etwa im ÖVP-Wirtschaftsflügel. Dort befürchtet man, dass „Betonkopf Neugebauer“ der Partei schadet, wie viele Funktionäre beklagen. Im August 2013, also mitten im Wahlkampf platzte dem ehemaligen niederösterreichi-schen Wirtschaftsbund-Direktor Herbert Lehner der Kragen. „Ich überlege gerade, eine Facebook-Gruppe zu gründen unter dem Titel: Schließt endlich den Neugebauer aus der ÖVP aus!“, äußert sich dieser auf Facebook.

Neugebauer ist ein ausgezeichneter Gewerkschafter, der viel für seine Klientel erreicht hat, sagen die einen. Und in der Tat betreibt er beinharte, erfolgreiche Klien-telpolitik. Die Vergleiche und Bilder seiner Gegner rei-chen von Neugebauer als „personifizierter Bildungsblo-ckade“ bis zu „Betonierer“ und „Betonschädl“.

12 Jahre Verhandlungen zum Lehrerdienstrecht 33 Verhandlungsrunden ziehen sich nunmehr die Ver-handlungen zum „neuen Lehrerdienstrecht“ hin. Ohne nennenswerten Fortschritt, bei kontruktiven Lehrerin-nen und Lehrern, bei Eltern und politisch Interessierten

liegen die Nerven blank, vor allem wenn dann noch der Name Neugebauer fällt. Der war übrigens nicht selten genau zu den Verhandlungszeiten auf Urlaub.

Für Niki Glattauer, Lehrer und Autor ist Fritz Neuge-bauer das „Symbol des sturen Stillstands“, aber auch Lehrergewerkschaftschef Paul Kimberger mache alles, um sich als würdiger Nachfolger des in die Jahre ge-kommenen Neugebauers zu profilieren.

Tatsächlich blockiert vor allem die AHS-Lehrer-Gewerk-schaft jede Bildungsreform wie die gemeinsame Schule und ein modernes Lehrerdienstrecht. Und die AHS-Lehrergewerkschafter wissen dabei Fritz Neugebauer hinter sich – zum Leidwesen von Schülern, Eltern und auch vieler Lehrer.

118 Millionen für Nachhilfe pro JahrJährlich geben die Eltern 118 Millionen Euro pro Jahr für Nachhilfe aus. Einen Gutteil davon streifen frühpen-sionierte Lehrer ein oder aktive Lehrer, die neben der halbtägigen Anwesenheit in der Schule als Nebenein-kommen Geschäft mit der Nachhilfe machen.Die teure Nachhilfe können sich Eltern mit geringem Einkommen oft nicht leisten. Damit betoniert Neuge-bauer bzw. die ÖVP ein, was die meisten Menschen in Österreich ablehnen, dass nämlich gute Bildung ein Privileg für einige Wenige ist.

Das Bollwerk gegen moderne Bildung

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50 51ÖVP und der TierschutzÖVP und der Tierschutz

Die ÖVP unD Der tierschutz: Die interessen Der agrarinDustrieAm 29. September 2013 werden in Österreich wieder Wahlen zum Parlament stattfinden. Für tierfreundliche Menschen von Interesse ist dabei die Frage, wie sich die verschiedenen Parteien zu Tierschutz stellen. Und dabei fällt die ÖVP als besonders tierschutzfeindlich auf!

Historisch versteht sich die ÖVP als Sprachrohr der Agrarindustrie. Hohe Subventionen für große Tierfabri-ken statt für Klein- oder Biobetriebe sind die Folge, wie z.B. im Mittel € 1986 pro Kleinbetrieb und Jahr im Burgenland, a ber ganze € 122.452 pro Großbetrieb und Jahr im selben Bundesland. Von den jährlich € 2,5 Milliarden Subventionen für die Landwirtschaft

gehen 80% in die Förderung von Tierbetrieben, aber nur 1% in den Anbau von Obst und Gemüse. Laut “Schwarzbuch Landwirtschaft” erhalten alle Politiker-Innen aus der Landwirtschaft zusammen insgesamt € 100 Millionen pro Jahr an Subventionen.

Tierschutzsprecher der ÖVPSeit Beschluss zum Bundestierschutzgesetz 2005 hat sich auch die ÖVP einen Tierschutzsprecher zulegen müssen. Dieser ist aber selbst Tierproduzent und be-zieht sogar Subventionen (2008: € 20.000). Anläss-lich des Welttierschutztages 2011 forderte er, dass es keine Verbesserungen im Tierschutzgesetz mehr geben dürfe. In seinem Büro wurde ein Aktenordner mit der Bezeichnung „Tierschutz“ gefunden. Er war völlig leer, nicht ein einziges Blattbefand sich darin. Das ist die Tierschutzpolitik der ÖVP!

Der für Tierschutz zuständige steirische ÖVP-Landesrat Johann Seitinger erklärte, dass im Rahmen des Spar-pakets beim Tierschutz gespart werden müsse, das Land solle den Tierheimen, die obdachlosen Streu-nertieren helfen, nicht mehr so viel Geld geben, und überhaupt gäbe es einen Erklärungsbedarf gegenüber behinderten Menschen, wenn für verletzte Wildtiere Geld ausgegeben wird. Er als Jäger weiß offensichtlich, wie man mit Wildtieren umgeht: einfach zusammen-schießen und Schluss.

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52 53ÖVP und der TierschutzÖVP und der Tierschutz

Die ÖVP will die Käfighaltung von Mutterschweinen!Im Jahr 2011 brachte der VGT die große Mehrheit der Menschen in Österreich gegen die sogenannte Kas-tenstandhaltung von Mutterschweinen in körpergroßen Käfigen auf. Nur ÖVP-Landwirtschaftsminister Berla-kovich stellte sich gegen ein Verbot und konnte zuletzt das Ende dieser Tierquälerei bis 2033 (!) hinauszögern!

Gewalt als ÖVP-PolitikDer damalige ÖVP-Agrarsprecher für Kärnten und heutige Sprecher für Energie im ÖVP-Landtagsklub in Kärnten, Robert Lutschounig, hat am 6. März 2004 in Klagenfurt dem VGT-Obmann bei einer vom VGT ange-meldeten legalen Demonstration während einer Rede ins Gesicht geschlagen und sein kritisches Transparent zerrissen. Heute noch trägt der VGT-Obmann wegen diesem Angriff eine Narbe im Gesicht. Lutschounig hat später die Tat vor Gericht zugegeben und €700 Scha-densersatz und Schmerzensgeld gezahlt. Hat sich die ÖVP jemals von dieser Gewalttat distanziert oder dafür entschuldigt? Wurde der Täter aus der ÖVP ausge-schlossen oder wenigstens seiner politischen Ämter enthoben? Nein, offenbar steht die ÖVP heute noch dazu. Das ist die Art und Weise, wie die ÖVP mit Kritik und mit Tierschutz umgeht!

Gegen 91% der BevölkerungSollte das Tierschutzministerium an die ÖVP fallen, wird die schon lange von der Geflü- gelindustrie ge-forderte Erhöhung der Anzahl der Hühner in Tierfab-riken um 30% und der Puten um 50% kommen. 91% der Bevölkerung haben sich gegen diese dramatische Verschlechterung ausgesprochen – doch die ÖVP hört auf die Agrarlobby und nicht auf die Mehrheit der Men-schen im Land!

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54 555554 ÖVP und der TierschutzÖVP und der Tierschutz

Anwendung des Nötigungsparagraphen gegen fried-liche, legale Tierschutz-Kampagnen, um Modehäuser zum Ausstieg aus dem tierquälerischen Pelzhandel zu bewegen.

Die ÖVP will keine Steuererleichterungfür Tierschutzspenden!Der damalige ÖVP-Finanzminister Pröll schloss nur Spenden an Tierschutzvereine aus der Möglichkeit der steuerlichen Absetzbarkeit aus.

Die ÖVP opfert die Bienen für ihre Schweinefabriken!ÖVP-Landwirtschaftsminister Berlakovich stimmte in der EU gegen ein Verbot von Pestiziden, die für das Bienensterben verantwortlich sind. Auch in Österreich wollte er diesen Schritt verhindern. Der Grund: die gro-ßen Schweinefabriken mit ihren Maismonokulturen als Schweinefutter möchten die Felder vergiften, um den Ertrag zu steigern, statt auf wechselnde Feldfrüchte und biologischen Anbau zu setzen. Die Bienen bezah-len die Wünsche der Agrarindustrie mit dem Tod!

Die ÖVP will Tierversuche mit schwerem Tierleid!Eine neue EU-Richtlinie zwang Österreich zu einer Reform des veralteten Tierversuchsgesetzes. Die EU-Richtlinie ermöglicht den Mitgliedsstaaten Tierversuche zu verbieten, die schweres Leid verursachen, das lange anhält und nicht gemildert werden kann. ÖVP-Wissen-schaftsminister Töch- terle strich aber dieses Verbot aus dem neuen Gesetz und erlaubt damit Tierversuche dieser Art für alle Zukunft!

Die ÖVP will einen neuen Tierschutzprozess!Es waren InnenministerInnen der ÖVP, Platter und Fekter, die eine eigene SOKO gegen den Tierschutz gründeten und die Verfolgung der gesamten Tier-schutzszene in Österreich betrieben. Es ist eine ÖVP-Justizministerin, Beatrix Karl, die jetzt die Neuauflage des Tierschutzprozesses zulässt und die Berufung des Staatsanwalts bestätigte.

Die ÖVP will den Tierschutz kriminalisieren!Lange sperrte sich die ÖVP als einzige Partei gegen eine Reform des Mafiaparagraphen, weil sie ihn gegen den Tierschutz einsetzen will. Nun begrüßt die ÖVP die

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56 57Raif feisen – Die bestimmende Kraft im Land? Raif feisen – Die bestimmende Kraft im Land? 5756

Die einen (Raiffeisen) sehen sich als die bestimmende „Kraft am Land“. Die anderen (ÖVP) wären gerne die bestimmende Kraft im Land. Sowohl die Raiffeisengruppe als auch die ÖVP haben ihre Wurzeln in der christlichen Soziallehre und in der Vertretung der einfachen Landbevölkerung. Heute haben sich die damaligen Ideale in Luft aufgelöst, Bauern und einfache Leute wurden verdrängt von der Industrie und den Vermögenden. Was bleibt, ist der Drang nach Macht, Einfluss und Besitz.

Auch äußerlich werden sich Raiffeisen und die ÖVP immer ähnlicher. Das Corporate Design der ÖVP – schwarzes Logo auf gelbem Hintergrund – gleicht immer mehr dem von Raiffeisen. Und auch personell präsentieren sich der Konzern und die Partei immer öfter als kommunizierende Gefäße. Gründe genug, das extreme Naheverhältnis zwischen ÖVP und Raiffeisen näher zu beleuchten.

Anhand des Beispiels Josef Pröll lässt sich die Beziehung von Raiffeisen und ÖVP sehr gut sehen. Im Interview mit Clemens Staudinger, Autor von Schwarzbuch Raiffeisen erklärt dieser die Karrieresprünge Prölls (aber auch Josef Rieglers) zwischen Raika und Finanzministerium zum „Demokratieproblem“.

So hat Pröll direkt nach dem Ausstieg aus der Politik als Finanzminister einen hochdotierten Job bei Raiffeisen übernommen.

Die bestimmenDe kraft im lanD?

Quelle: Wikimedia/MVAHA

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58 595958 Raif feisen – Die bestimmende Kraft im Land? Raif feisen – Die bestimmende Kraft im Land?

Nationalratswahl 2013ÖVP-Chef Michael Spindelegger gab sich bemüht, auf der Bundesliste für die Nationalratswahl 2013 „alle Bevölkerungsgruppen abzubilden“. Auf den ersten 20 Plätzen findet sich aber sehr rasch die Stammklientel der VP wieder: Aus dem VP-nahen Raiffeisen-Konzern kommt Andreas Zakostelsky. Er geht auf dem sicheren Platz sechs ins Rennen. Nach Spindelegger ist Micha-ela Steinacker auf den zweiten Platz gereiht. Sie war in der Geschäftsleitung der Raiffeisen-Holding NÖ-Wien, schied im April 2013 jedoch aus. Im Juli allerdings wurde sie Generalbevollmächtigte für Immobilien bei Raiffeisen evolution und wurde von den Gesellschaftern (Raiffeisen Zentralbank, Strabag, Uniqa und Raiffeisen Holding) auch zur Vorsitzenden des Beirates von Raiff-eisen evolution berufen.

Besonders Steinacker ist umstritten: Der Rechnungshof kritisierte, dass ihr Gehalt als seinerzeitige ÖBB-Manage-rin „um 52 % höher als jenes des Kanzlers“ gewesen sei. Und kaum wurde sie offiziell als Kandidatin der ÖVP prä-sentiert, kursieren bereits die ersten Gegen-Kampagnen im Internet, mit Slogans wie „ÖVP – Partei der Banken“.

Jeder 6 ÖVP-Abgeordneter ein Raiffeisen-Agent

Wie aus ÖVP-Stimmen Raiffeisen-Mandate werden: Jeder 6. Abgeordnete der ÖVP gehört zum Raiffeisen-Imperium, das heißt 15,7 Prozent der 51 Abgeordneten stehem im Sold der Raika. Was das bedeutet? Um-gelegt auf das letzte Nationalratswahlergebnis bedeu-tet das, dass der Raiffeisen Konsern etwa 200.000 (=15,7%) der 1,27 Millionen ÖVP Stimmen vereinnahmt. Das wiederum entspricht den ÖVP Stimmen aus Wien, Graz, Salzburg und Linz. Somit könnte die Raiffeisen als eigene Partei ins Parlament einziehen.

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60 61Raif feisens Marktmacht 6160 Raif feisens Marktmacht

sen und auch hier, wie ich es zuerst gesagt habe, bei wenigsten Produkten wird Raiffeisen drauf stehen. Das sind dann irgendwelche Fantasienamen, wie Wiener Zucker für den Zucker, den die AGRANA produziert. Sie werden das Wort Raiffeisen im Supermarkt relativ selten finden.“Auszug aus dem Interview mit Clemens Staudinger, Ko- Autor von „Schwarzbuch Raiffeisen“

Die Marktmacht des Raiffeisen-Konzerns zeigt sich an folgenden Zahlen sehr deutlich und belegt die Domi-nanz der Giebelkreuzler am Lebensmittelmarkt:

Der Raiffeisenmensch„Man kann sich leicht den Raiffeisen-Menschen vorstel-len. Der Raiffeisen-Mensch ernährt sich von Raiffeisen – Produkten. Wenn der seinen Kühlschrank aufmacht, dann hat er dort Molkereiprodukte, Fleischprodukte, Käseprodukte. Ein Großteil davon wird von Raiffeisen sein. Weil es die entsprechenden Monopole gibt. Das Konto finden sie bei der Raiffeisenbank, versichert sind sie bei der UNIQUA, dort ist ihr Auto, ihre Zukunft, ihr Leben versichert. UNIQUA ist eine wesentliche Tochter von Raiffeisen. Auf Urlaub können sie mit Raiff-eisen – Reisen fahren, wenn sie nicht auf Urlaub sind und wohnen, wohnen sie in einer Raiffeisen- Immobilie, die sie mit einem Raiffeisen-Kredit finanziert haben. Alle diese Produkte haben gemeinsam, dass auf den wenigsten Raiffeisen drauf steht und bei dem Gang durch den Supermarkt kommen sie beim Kühlregal vorbei, da sehen sie sämtliche Molkereiprodukte, dann kommen sie bei Grundnahrungsmitteln vorbei: Zucker zum Beispiel. AGRANA hat ein Monopol auf Zucker, auf Rübenzucker in Österreich und kann dementsprechend sowohl dem Konsumenten als auch den Produzenten gegenüber agieren. Sie kommen bei Mehl vorbei, Raiff-eisen ist sehr, sehr engagiert im Mühlenbereich über die Tochterfirma Leibnik- Lundenburger. Sie kommen beim Fleischbereich vorbei, da haben sie auch Raiffei-

raiffeisens marktmacht

Quelle: Wie kommt die Milche ins Packerl? http://www.augustin.or.at/article1643.htm

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62 63Interview Clemens Staudinger 63

Böse Zungen behaupten, die ÖVP sei mittlerweile nichts anderes als eine Filiale von Raiffeisen oder sowas wie ihr politischer Arm. Würden Sie in Ihrer Analyse des Naheverhält-nisses zwischen ÖVP und Raiffeisen auch soweit gehen?

CS: Ich glaube nicht, dass man behaupten kann, Raiffeisen ist ein Tochter-betrieb der ÖVP Genauso wenig kann man sagen, die ÖVP sei im Eigentum der Raiffeisengruppe. Aber, was auf jeden Fall stimmt, es sind kommu-nizierende Gefäße. Man muss immer die Dreifaltig-keit sehen, da spielt zu-sammen der Bauernbund, als politische Organisation der ÖVP, die Landwirt-schaftskammern als Inte-ressensvertretungen und die Genossenschaftsbe-wegungen. Jetzt kann die Genossenschaftsbewe-gung über ihre politische Einflussnahme auf die Landwirtschaftskammern wirken und gleichzeitig auf den Bauernbund, wobei der Bauernbund wiederum

Clemens Staudinger ist gemeinsam mit Lutz Holzinger Verfasser des „Schwarzbuch Raiffeisen“ (Man-delbaum Verlag, 2013), das im Detail die wirtschaftliche Macht und die wirtschaftlichen Verflechtungen des Raiffeisen-Konzerns nachzeichnet. Hier fasst er die wichtigsten Ergeb-nisse und Schluss-folgerungen aus seinen Recherchen zum Thema Raiffei-sen zusammen.

Interview mit Clemens Staudinger:

… überall eine raiffeisenbeteiligung

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64 65Interview Clemens Staudinger 6564 Interview Clemens Staudinger

Bemerkenswert ist auch der personelle Austausch zwischen Raiffeisen und und der ÖVP. Als Nummer 2 der Bundesliste kandi-diert bei der Nationalrats-wahl Michaela Steinacker, die direkt aus dem Raiff-eisen-Konzern kommt. In der Gegenrichtung hat - als wohl bekann-testes Beispiel - Josef Pröll die ÖVP in Richtung Raiffeisen verlassen.

CS: Gerade der Fall Josef Pröll zeigt auch ein Demo-kratieproblem und er ist nicht der Einzige.

Jetzt kann man sich leicht ausrechnen, wie agiert ein Politiker, der über Raiff-eisen-relevante Themen entscheiden muss, wenn er weiß, dass sein Mandat nicht ewig währt, aber dass es die Möglichkeit gibt, bei

Raiffeisen noch gutes Geld zu verdienen. Damit sei die-sen Politikern nichts unter-stellt, aber der Anschein ist ein ungünstiger.

Kurz bevor Pröll in den Raiffeisen-Konzern wech-selte, hat er als Finanzmi-nister noch Entscheidun-gen getroffen, die ganz im Sinne von Raiffeisen waren. Stichwort: Notver-staatlichung der Kärntner Hypo Alpe Adria.

CS: Bei der Hypo war es ganz konkret so, dass der damalige Finanzminister Pröll sehr auf diese „Not-verstaatlichung“ gedrängt hat. Als Hintergrund kann man hier unter anderem sehen, dass die Hypo im Haftungsverband der an-deren Hypothekenbanken der Länder war. Wenn man sich die Eigentümerstruktur

auf Raiffeisen wirken kann und teilweise haben sie Personalunionen.

In Ihrem Buch beschrei-ben Sie, dass Raiffeisen im Gegensatz zu anderen Banken und Nahrungs-mittelproduzenten die Möglichkeit hat, unmit-telbar in die Politik hin-einzuwirken. Auf welche Weise genau?

CS: In allen Landesregie-rungen, mit Ausnahme Wien, sind Raiffeisen-Funktionäre vertreten. Raiffeisen könnte alleine im Parlament einen Club bilden. Raiffeisen verfügt über sieben Nationalrä-te, drei Bundesräte und eine EU-Abgeordnete. Die politische Macht ist ganz einfach zu beschreiben, die Raiffeisengruppe hat Funktionäre im Gesetz-

werdungsprozess. Also, im Parlament sitzen Raiff-eisen-Abgeordnete und was noch genauso wichtig ist, die tatsächliche Arbeit im Parlament, das tat-sächliche Verhandeln fin-det nicht im Plenum statt, sondern in den diversen Ausschüssen.

Konkretes Beispiel: Jakob Auer, Abgeordneter der ÖVP im österreichischen Nationalrat, Obmann des österreichischen Bauern-bundes und sehr enga-giert in der Raiffeisen-Welt Oberösterreich mit ent-sprechenden Funktionen. Wenn Sie sich anschauen, wo Jakob Auer im Par-lament in irgendwelchen Ausschüssen vertreten ist, dort kann gezielt agiert werden. Das ist die ei-gentliche Macht.

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66 67Interview Clemens Staudinger 6766 Interview Clemens Staudinger

Abstimmungsverhalten drängt sich der Verdacht auf, dass die Abgeordne-ten, die gleichzeitig Raiffei-sen-Funktionäre sind, sich entsprechend verhalten, und ihrem Dienstgeber, der Raiffeisengruppe, dienen.

Raiffeisen übt über seine Zeitungen und Zeitschrif-ten und seine Beteiligun-gen im Print- und Rund-funkbereich auch eine gehörige Medienmacht in Österreich aus.

CS: Dieser Medienkonzern ist ganz, ganz wichtig. Und da muss Raiffeisen gar nicht Eigentümer sein. Sie wissen, um eine Tageszei-tung erfolgreich betreiben zu können, brauchen sie ungefähr 70 Prozent Erlöse aus dem Inserategeschäft. Jetzt ist die gesamte Raiff-eisengruppe - ob es jetzt

Geld, Ware oder Milch ist - einer der größte Inseraten-bucher Österreichs und Sie können davon ausge-hen, dass redaktionelle Linien auch beeinflusst werden können, indem man Inserate schaltet oder nicht schaltet, ob man mehr oder weniger gibt.

dieser Hypothekenbanken anschaut - Oberösterreich Steiermark, Salzburg - gab es überall eine Raiffeisen-beteiligung. Also wäre Raiff-eisen doppelt zum Hand-kuss gekommen. Kurze Zeit später hat Josef Pröll einen hochdotierten Job bei Raiff-eisen übernommen.

Im „Schwarzbuch Raiff-eisen“ bringen Sie ein weiteres Beispiel für eine Gesetzgebung ganz im Sinne von Raiffeisen: die Gruppenbesteuerung.

CS: Die österreichische Raiffeisengruppe hat nach 1989 sehr stark im Osten expandiert. Unter Schwarz-Blau wurde im Parlament dann das System der Gruppenbesteuerung beschlossen. Dieses Instru-ment bedeutet nichts ande-res als: wenn Sie eine Fir-

ma haben, die in Österreich eine Gewinn macht, dann müssen Sie den in Öster-reich besteuern. Wenn sie eine Tochterfirma im Aus-land haben, die am An-fang einen Verlust macht, können sie diesen Verlust vom hiesigen Gewinn ab-ziehen und zahlen weniger Steuern. Dieses Geld fehlt natürlich dem Budget und muss der österreichische Steuerzahler durch die Massensteuern, die Mehr-wertsteuer, etc. ersetzen. Das Wirtschaftsinteresse steht gegen das Interesse der Gemeinschaft.

Wir haben in Österreich das Wesen des freien Mandats. Der Abgeordnete ist nicht seinen Wählern verpflichtet, keiner Partei verpflichtet, sondern aus-schließlich seinem Gewis-sen. Bei verschiedenen

Das Interview im Volltext: schwarzbuchoevp.at/inter-view-mit-den-autoren-von-schwarzbuch-raiffeisen

Das Interview mit Clemens Staudinger auf Youtube

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20%

Medienmacht RaiffeisenRaiffeisen-Holding

Niederösterreich-Wien

Es werden nur ausgewählte Tochtergesellschaften dargestellt, die teilweise über Zwischengesellschaften gehalten werden. Quelle: www.raiffeisen.at

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70 717170 Raif feisen – Medienmacht Raif feisen – Medienmacht

Die Infografik zeigt die konzentrierte Medienmacht des Raiffeisen-Sektors, die Informationen stammen der Homepage des Konzerns selbst bzw. der Broschüre „Ein starker Partner für den Kurier“.

Aber nicht nur über direkten Besitz hat die Raiffeisen-Gruppe Einfluss auf zahlreiche österreichische Medien. Wenn man bedenkt, dass auch die nicht im Raika-Besitz befindlichen Zeitungen und Magazine vor allem von den Inseraten und kaum von den verkauften Aufla-gen leben, lässt sich erahnen, warum es in Österreich nur die Straßenzeitung „Augustin“ wagte, eine vielteilige Serie über das „System Raiffeisen“ abzudrucken: „Die Raiffeisen-Gruppe“. Und der Wiener Medienwissenschafter Fritz Hausjell sagt: „Zumindest eigentümlich ist aber die vergleichs-weise sehr seltene mediale Thematisierung von Raiff-eisen. Das sollte dem heimischen Journalismus zu denken geben.“ Profitiert auch die ÖVP aus dieser Situation?Die ÖVP ist personell und teilweise auch wirtschaftli-chen eng verflochten mit der Raiffeisen. Das beginnt mit Sponsoring von Landjugend-Festen und endet bei

den nun aufgetauchten Vorwürfen von Schwarzgeld-zahlungen an die Volkspartei. In der Sommerdiskussion des Jahres 2013, Thema „Bienensterben“, schien es beinahe so, dass Raiffei-sen/Lagerhaus als Vertreiber der umstrittenen Pestizide den Umweltminister Berlakovich für sich instrumentali-sieren konnten, zu Ungunsten der ÖVP. Viele politische Beobachter konstatieren allerdings, dass vor anstehenden Wahlen manche österreichische Tageszeitungen auffällige ÖVP-Freundlichkeit und damit einhergehend eine stärkere Ablehnung vor allem der SPÖ entwickeln.

Man könnte jetzt noch seitenlang die Verbindungen zwischen ÖVP-Raiffeisen und Medien in Kirchenbesitz analysieren, dazu aber nur ein einziges Beispiel: Chef der Styria Media Group ist Markus Mair, der zuvor Generaldirektor der Raiffeisen-Landesbank Steiermark war. Die Styria Media Group besitzt unter anderem folgende Printprodukte:

Die Presse, Kleine Zeitung, WirtschaftsBlatt, Die Furche, der Grazer, Kärntner Regional Medien, Murtaler Zeitung, Privatmarkt uvm.

raiffeisen – meDienmacht

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72 73Raif feisen – ÖVP – Uniqua 7372 Raif feisen – ÖVP – Uniqua

Der Kreis schließt sich: Das Netzwerk der Raiffeisen, die ÖVP und die UNIQA Aus einem Zusammenschluss von Bundesländerversi-cherung, Raiffeisen-Versicherung und anderen entstand 1997 mit der UNIQA eine der größten Versicherungsge-sellschaften Österreichs. Von Beginn an stand die Versi-cherung im Dunstkreis der Raiffeisen. Von dort hat auch der jetzige Vorstandsvorsitzende (CEO) der UNIQA-Ver-sicherung – Andreas Brandstetter – zur UNIQA gewech-selt. Seine Wurzeln hat er allerdings in der ÖVP, wo er von 1994 bis 95 Geschäftsführer war. So dreht sich das Personalkarussell Raiffeisen-ÖVP-UNIQA.

Bezeichnend dafür ist, dass jenes Bürogebäude, in dem die ÖVP ihre Bundeszentrale hat, der UNIQA-Versiche-rung gehört, an der bis 2012 die Raiffeisen lange Zeit 49,23 Prozent der Anteile besaß. Den Hauptaktionsärs-status haben sie zwar mittlerweile verloren, den Einfluss jedoch sichtlich nicht. So leitet die Raiffeisen Informatik GmBH die IT-Sevices der UNIQA, weiters ist die Raiffei-sen Versicherungs AG eine 100-prozentige Tochter der UNIQA. In deren Chefetage hat Brandstetter gleich bei Amtsantritt zwei UNIQA-Vorstände gesetzt.

Vielen noch in Erinnerung ist auch die „irrtümliche“ Aussage des FCG-Vorsitzenden beim Korruptions-U-

Ausschuss, es gäbe laufende Unterstützung für den FCG ua. von der Telekom Austria, der Sparda-Bank und der UNIQA. Später wurde das dann von FCG-Seite revidiert, es gäbe zumindest bei der UNIQA schon seit Jahren keine „Zusammenarbeit“ mehr. Das war nur eine der Erinnerungslücken im Zusammenhang mit der Telekom-Affäre.

Besonders Aufmerksamkeit verdient auch Christoph Ul-mer, Vertrauter vom Waffenlobbyisten Alfons Mensdorff-Pouilly, ehemals Kabinettschef von Agentenschreck Strasser. Peter Pilz bezeichnete ihn damals als Schat-teninnenminister, der im Hintergrund die Fäden zog. Ins Licht der Medienaufmerksamkeit rückte ihn schließlich die Causa Tetron: Die master-talk hatte hier den Zu-schlag für ein behördeninternes Funknetz erhalten, der Auftrag wurde ihr aber nach nur einem Jahr entzogen und der Tetron, einer Kooperation aus Motorola + Alcatel, übergeben. Das hatte 30 Millionen an Entschädigungs-zahlungen aus Steuergeldern zur Folge. Besonders pikantes Detail dazu: Mensdorff war damals für Motorola als Lobbyist tätig. Zwei Mitglieder von Ulmers Kabinett bekamen später – freilich ohne Zusammenhang – lei-tende Posten in ebendiesen beiden Firmen.

Die Verstrickungen von ÖVP und Raiffeisen-UNIQA-Komplex zeigt sich auch im Parlament, so geben sechs Abgeordnete Einkünfte durch eine Anstellung bei der

raiffeisen – ÖVP – uniQua

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Raiffeisen an. - Der Konzern hätte damit Klubstärke im Nationalrat. Auch die Listen-zweite Michaela Steinacker ist als Raiffei-sen-Generalbevollmächtigte für Immobilien in einer Spitzenposition zu finden.

Schmankerl am Rande:Raiffeisen-Boss und Brigadier Erwin Ha-meseder kam im letzten Winter mit seinem Porsche ins Schleudern und verursachte einen schweren Verkehrsunfall. Obwohl er mit Sommerreifen unterwegs war, versuchte er laut Zeitungsberichten von der Raiffeisen Versicherung Uniqa eine Schadens-Beglei-chung zu erreichen. Sein Chauffeur fuhr übrigens im Dienstauto dem Porsche voran. Nachlese auf derStandard.at - Der Porsche und das Wintermärchen.

Raif feisen – ÖVP – Uniqua 7574 Raif feisen – ÖVP – Uniqua

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Der Cartellverband (CV) ist der Dachverband der ka-tholischen nicht-schlagenden Studentenverbindungen. Während Schlagende deutschnational und FPÖ-nahe sind, ist der Cartellverband ÖVP-nahe. Beiden gemein ist, dass es sich um elitäre Männerbünde handelt, die streng hierarchisch sind und nicht nach demokratischen Prinzipien funktionieren. Das Gegenteil wird zwar be-hauptet, aber allein die klare Dreiteilung der Mitglieder-schaft zeigt das Gegenteil. Die aktiven Mitglieder werden in Füxe/Füchse und Burschen unterteilt, wobei erstere rechtlose Mitglieder auf Probe sind und klar hierarchisch unter letzteren stehen. Die alten Herren sind jene Mitglie-der, die nicht mehr studieren, aber im Berufsleben ste-hend einen besonders großen Einfluss ausüben.

Die Prinzipien des CVDie Prinzipien des CV sind “patria”, “scientia”, “amicitia” und “religio”, also Vaterland, Wissenschaft, Lebens-freundschaft und Religion. Vaterland bedeutet Patriotis-mus, der oft Hand in Hand mit einem Österreich-Chau-vinismus auftritt und der reaktionären Grundhaltung entsprechend Regelmäßig in Monarchie- und Austrofa-schismus-Verklärung und damit in Geschichtsklitterung mündet. Wissenschaft ist selbsterklärend – im CV kann nur Mitglied sein wer studiert. Amicitia weist auf

Österreichischer cartellVerbanD

Der CV

den Lebensbund hin, den alle CV-Mitglieder eingehen. Was schön poetisch daherkommt, ist nichts ande-res als ein Karrierenetzwerk: die alten Herren hieven die jungen Mitglieder in entsprechende Positionen. Besonders in der Verwaltung gibt es hohe Beamten-positionen, deren einzige Qualifikationsbedingung die Mitgliedschaft bei einer CV-Verbindung ist. Frauen und nicht katholische Menschen werden so systematisch von diesen Positionen ausgeschlossen. Es hilft auch, wenn Richter und Staatsanwälte in derselben Verbin-dung wie potentielle Angeklagte sind. Der CV ist vor allem ein Karrierenetzwerk, das sich durch Freunderl-wirtschaft und Klüngel selbst rechtfertigt. Überall wo in der Berufswelt mehr als ein CV’er amtiert existiert ein “Berufszirkel”, In dem sich die “Cartellbrüder” – wie sie sich selbst beschreiben – regelmäßig treffen, Stellen vermitteln und im Klandestinen, hinter dem Rücken der KollegInnenschaft, netzwerken. Nicht umsonst ist die höchste Auszeichnung um Verdienste um den CV (ein besonders breites rot-weiss-rotes Band, das “Wollek-Band”) nach dem Schöpfer der “CV Berufsförderung” Wollek benannt, also nach dem oberstem christlichso-zialen bzw. austrofaschistischen Postenschacherer der 1930er Jahre. Religio heißt beinharter katholischer Fun-damentalismus. In Sachen Homosexualität, Schwan-gerschaftsabbruch, Frauengleichstellung usw. sind die Positionen einzementiert. Kontrolliert wird die “richtige”

Der CV

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78 79Der CVDer CV

katholische Einstellung durch den jeweiligen “Verbin-dungsseelsorger”, den jede CV-Verbindung nachweisen muss.

Austrofaschismus-VerherrlichungDer katholische Fundamentalismus äußert sich vor al-lem in einer ungebrochenen Bewunderung für den aus-trofaschistischen Diktator Engelbert Dollfuß und seine Verbündeten wie Mussolini oder Horthy. Nach wie vor werden die Mären vom “ersten Opfer” und des Austro-faschismus als “Widerstandsbewegung” gepflegt und gehegt. Eine vermeintliche Gegnerschaft zum National-sozialismus reicht in dieser Logik, um historisch auf der demokratischen Seiten zu stehen. Dabei hat der Aus-trofaschismus bis zum bitteren Ende den Ausgleich mit dem NS gesucht, während er jeglichen demokratischen Widerstand zerschlug und Antisemitismus, Frauenver-achtung, Rassismus und Hass auf arbeitende Men-schen den Weg bereitete. Unter der schwarz-blauen Regierung gab es sogar einen offiziellen Gedenkgottes-dienst für den Diktator Dollfuß im Bundeskanzleramt. Der CV war eine der wichtigsten Institutionen des Aus-trofaschismus, viele wichtige Mitglieder saßen in ent-sprechenden Positionen und im Februar 1934, als die Demokratie zerschlagen wurde, bestand das gesamte Kabinett des Kamzlers, CV’ers und UND Diktators Doll-fuß aus Loyalitätsgründen ausschließlich aus CV’ern.

CV und ÖVPDazu passt, dass auch die ÖVP ein höchst zweifelhaftes Verhältnis zur eigenen austrofaschistischen Vergangen-heit hat. So ist Michael Spindelegger Mitglied der “ka-tholischen akademischen Verbindung Norica zu Wien” und trägt dort den Spitznamen (“Couleurname”) “Cato”. Die Antisemiten Karl Lueger und Leopold Kunschak sind Ehrenmitglieder dieser Verbindung. ÖVP-Generalsekretär Johannes Rauch ist Mitglied der A.V. Austria Innsbruck, in dieser Verbindung waren schon der austrofaschisti-sche Diktatator und Nazi-Paktierer Kurt Schuschnigg und Heimwehrkommandant Richard Steidle. Dollfuß ist in so gut wie allen CV-Verbindungen Ehrenmitglied, was zeigt, wie tief das faschistische Selbstverständnis reicht. Weitere ÖVP-Mitglieder, die beim CV sind:

Nikolaus Berlakovich (Austro Peisonia), Wolfgang Blenk (A.V. Austria Innsbruck), Leopold Figl (auch wichtiger Funktionär der austrofaschistischen Vater-ländischen Front; K.a.V. Norica Wien et mult.), Alfons Gorbach (K.Ö.H.V. Carolina Graz), Heinrich Gleißner (K.a.V. Saxo-Bavaria Prag in Wien), Bernhard Görg (K.Ö.St.V. Austria-Wien), Othmar Karas (K.Ö.H.V. Sän-gerschaft Waltharia Wien), Andreas Khol (A.V. Raeto-Bavaria Innsbruck), Josef Klaus (K.Ö.St.V. Rudolfina Wien et mult.), Thomas Klestil (K.a.V. Bajuvaria Wien), Franz Korinek (K.a.V. Bajuvaria Wien), Helmut Kukacka (K.a.V. Austro-Danubia Linz), Robert Lichal

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80 81Der CV

(Ö.k.a.V. Rhaeto-Danubia Wien), Alfred Maleta (K.Ö.H.V. Carolina Graz), Peter Marboe (K.a.V. Bajuvaria Wien), Reinhold Mitterlehner (K.a.V. Austro-Danubia Linz), Alois Mock (K.a.V. Norica Wien et mult.), Heinrich Neis-ser (K.Ö.St.V. Rudolfina Wien), Johannes Prochaska (K.a.V. Saxo-Bavaria Prag in Wien), Julius Raab (auch ehemaliger Funktionär der austrofaschistischen Vaterlän-dische Front und Heimwehrmann, der den berüchtigten faschistischen Korneuburger Eid schwor; Norica Wien et mult.), Wolfgang Rümmele (K.Ö.H.V Babenberg Wien), Herbert Schambeck (K.Ö.St.V. Rudolfina Wien), Franz Schausberger (K.Ö.H.V. Rupertina), Herwig van Staa (K.Ö.H.V. Leopoldina), Josef Taus (K.a.V. Bajuvaria Wien), Karlheinz Töchterle (Sternkorona Hall), Wolfgang Wald-ner (Norica), Wendelin Weingartner (A.V. Raeto-Bavaria Innsbruck), Thomas Winsauer (A.V. Raeto-Bavaria Inns-bruck).

Interview Volker Plass

Volker Plass ist Vorsitzender der „Grünen Wirtschaft“ und einer der schärfsten Kritiker von Wirtschaftskam-mer (WKO) und Sozialversicherungsanstalt der gewerb-lichen Wirtschaft (SVA), die er von ihren Strukturen her für völlig veraltet und somit auch für wirtschafts- und unternehmerfeindlich hält - und an deren Spitze nicht ganz zufällig ÖVP-SpitzenpolitikerInnen wie Christoph Leitl und Brigitte Jank stehen...

Foto: Twitter / Die Kandidaten des Cartellverbandes für die Nationalratswahl 2013. Allen voran Michael Spindelegger und die Nr. 2 der ÖVP-Liste Michaela Steinacker

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Die ÖVP fordert im ak-tuellen Wahlkampf eine „Entfesselung der Wirt-schaft“. Wenn Sie das hören oder lesen, ist Ihnen da mehr zum La-chen oder zum Weinen zumute?

VP: Einerseits ist es kurios, weil die ÖVP seit 27 Jah-ren in diesem Land an der Macht ist. Seit 27 Jahren in der Regierung, wir ha-ben 27 Jahren schwarze Wirtschaftsminister hinter uns und seit mehr als 10 Jahren auch die Finanzen in den Händen der ÖVP. Da sollte man meinen, dass es der Wirtschaft wirklich gut geht, wenn eine Wirtschaftspartei so am Ruder ist. Insofern ist dieser Satz lächerlich. Auf der anderen Seite

ist es wirklich notwendig, was Spindelegger „Ent-fesselung“ nennt, weil wir zwar im 21. Jahrhundert leben, aber Strukturen aus dem 19. Jahrhundert mit uns mitschleppen, die speziell kleine, innovative Unternehmen ganz massiv behindern. (...)

Also da wäre genug Stoff da für die ÖVP oder wäre auch schon genug Stoff da gewesen in den letzten Jahren, um Entfesselungs-tätigkeiten zu entfalten und wirklich etwas zu tun, spe-ziell für die kleinen, innova-tiven Start-Ups, aber da ist nichts passiert.

Aber gerade der Wirt-schaftskammer-Präsident ist doch einer der Lautes-ten, wenn der Ruf nach

Interview Volker Plass 83Interview Volker Plass82

Modernisierung und Ent-bürokratisierung der Wirt-schaft ertönt (...)

Bestes Beispiel sind die Wirtschaftskammer und ihre Strukturen: das ist Jahrhunderte altes Zunft-wesen multipliziert mit österreichischem Fö-deralismus. Das ergibt dann eine Struktur von fast 1000 verschiedenen Körperschaften mit dazu-gehörigen Gremien, mit einer unheimlichen Ver-waltungstätigkeit, wo man sich wirklich fragt, was hat denn das einzelne Mitglied noch davon? Es kostet Millionen und Millionen, das ist ja ein abenteuerlich teurer Apparat. (...)

Kritik üben Sie auch immer wieder an der Gewerbeordnung – was stört Sie konkret daran?

VP: Wenn ich ein Wirts-haus aufmache, dann weiß ich, wie ich von der Gewer-beordnung aus eingeordnet werde. Wenn ich allerdings in einem sehr innovative Geschäftsfeld tätig bin, das nicht hundert-prozentig in die Systematik der Wirtschaftskammer und der Gewerbeordnung passt, habe ich gleich einmal das Problem, dass ich mindestens drei bis fünf Gewerbescheine lö-sen muss, damit ich diese Tätigkeit überhaupt aus-üben darf. Weiters habe ich strikteste Zugangsregle-mentierungen, die zum Teil haarsträubend sind. Mein Lieblingsbeispiel ist immer die Nageldesignerin, die zwar Fingernägel lackieren kann, aber keine Fußnägel, weil laut Gewerbeordnung das Lackieren von Fußnä-geln nur den Fußpflegern zusteht. (...)

Interview mit Volker Plass:

mief Der Vergangenen JahrhunDerte noch ganz tief Verankert

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Was müsste noch getan werden, um die Wirt-schaft wirklich und im positiven Sinne zu „ent-fesseln“?

VP: Eine Totalreform im Sinne junger, innovativer Unternehmen besteht aus einer Handvoll Punkten, die auf der Hand liegen und die auch der Spinde-legger wissen müsste. Er setzt sie nur nicht um. Es würde damit beginnen, dass man versucht Gel-der umzuschichten � von vollkommen sinnlosen, bü-rokratischen, verstaubten Ebenen hin zu Zukunftsin-vestitionen. Ich rede nicht einmal von Einsparungen, aber wenn es uns gelingt, aus Autobahnen Univer-sitäten zu machen, wäre schon viel erreicht. Der zweite Punkt ist eine

Radikalreform unseres Steuersystems, runter mit der Belastung auf den Faktor Arbeit. Bei der Ein-kommenssteuer, Lohnne-benkostensteuer, also dort, wo die Menschen wirklich etwas leisten, investieren, Arbeitsplätze schaffen, dort gehört Entlastung her. Ich brauche aber eine Gegenfinanzierung, zumin-dest kurz- bis mittelfristig für zwei Bereiche: Wir müssen die Umweltsteuern erhöhen und wir brauchen natürlich vermögensbezo-gene Steuern oder Ab-gaben, denn von irgend-woher muss das Geld ja kommen. (...)

Sie da irgendwo Über-schneidungen mit dem, was die ÖVP und ihr Spit-zenkandidat Spindeleg-ger als „Entfesselung der Wirtschaft“ propagieren?

Interview Volker Plass 8584 Interview Volker Plass

VP: Alle diese Ideen liegen auf der Hand, man müsste sie nur umsetzen. Das heißt ein „Entfesselungskünstler“, der uns seit 27 Jahren das Blaue vom Himmel herunter verspricht und der für 150 bis 180 Milliarden Schulden in diesem Land verant-wortlich ist, er und seine Partei, die hätten genug Zeit gehabt in den letzten 27 Jahren, das alles umzu-setzen. Und wenn er jetzt davon jammert, dass die Wirtschaft gefesselt ist und dass alles so bürokratisch ist, dann frage ich, wer hat in den letzten 27 Jah-ren all diese Gesetze be-schlossen? Wer ist für jede einzelne Steuererhöhung verantwortlich? Wer hat uns das alles eingebrockt? Das ist genau er. Und er erzählt uns jetzt, dass er es besser machen wird? Wer‘s glaubt!

Das Interview im Volltext: schwarzbuchoevp.at/interview-mit-volker-plass/

Das Interview mit Volker Plassauf Youtube

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Hannes Rauch, Generalsekretär und Wahlkampfleiter der ÖVP. „Mann fürs Grobe“. Studierte von 1989 bis 2002 Rechtswissenschaften und Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck. Für die beiden letzten Semester zahlte er Studiengebühren, die 20 Semester davor stu-dierte er gratis bzw. auf Kosten der SteuerzahlerInnen. Heute propagiert er die Einführung von Studiengebühren und macht Stimmung gegen Menschen, die arm sind und daher staatliche Unterstützung in Form der Mindest-sicherung bekommen. Rauch war wegen eines „Meniskusschadens“ von der Ableistung seines Wehrdienstes befreit. Heute spielt er leidenschaftlich gerne Tennis und zählte in der Debatte vor der Wehrpflicht-Volksbefragung im Jänner 2013 zu den lautstärksten Befürwortern der Wehrpflicht. Damit nicht genug: Rauch will sogar die Tauglichkeitskriterien

Hannes RauchDer CV

abschaffen und in Zukunft auch Untaugliche zum „Dienst an der Gesellschaft“ einziehen. Wie glaubwürdig ist jemand, bei dem seine persönliche Bevorteilung und seine öffentliche Forderungen an ande-re in einem derartigen Widerspruch zueinander stehen? Anlass zur Kritik gibt auch der untergriffige und gossen-hafte politische Stil, den Hannes Rauch als Generalse-kretär und aktuell als Wahlkampfleiter der ÖVP an den Tag legt. Michael Völker, Ressortleiter Innenpolitik bei der Tageszeitung „Der Standard“, dazu in einem Kommentar vom 25. August 2013:

„Die Hasskampagne des schwarzen Generalsekretärs gegen Rot und Grün ist ein Anschlag auf die Intelligenz und schlichtweg ungustiös: Da werden die Grünen, mit denen die ÖVP als Partner in drei Landesregierungen sitzt, als wild gewordene Horde von rauschgiftsüchti-gen Pädophilen dargestellt. Die Jung-Sozialisten, die im Gegenzug vor Schwarz-Blau und vielleicht Stronach warnen, wirken im Vergleich zur ÖVP-Guerillatruppe wie Internatszöglinge.“ Welcher Teufel reitet eine „bürgerliche Partei“ wie die ÖVP, einen derartigen Rüpel und Stänkerer wie Hannes Rauch in die vorderste Reihe zu stellen und zu ihrem Sprachrohr in der Öffentlichkeit zu machen?

hannes rauch

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88 89FPÖ

• deren Funktionäre regelmäßig in rechtsextremisti-schen Zusammenhängen und Dunstkreisen auftauchen und immer wieder Probleme mit der Distanzierung vom Dritten Reich haben (im Bundespräsidentschafts-wahlkampf 2010 gestand die FPÖ-Kandidatin Barbara Rosenkranz erst nach massiver Kritik die Existenz von Gaskammern in den Nazi-Konzentrationslagern ein).

• die sich selbst als „soziale Heimatpartei“ bezeichnet und deren politisches Programm im wesentlichen aus dem Schüren und Verstärken von Anti-Ausländer-Res-sentiments besteht.

Die der ÖVP besonders nahe stehende CSU geht im angrenzenden Bayern mit besonderer Schärfe gegen Personen, Gruppen und Tendenzen am äußersten rech-ten Rand vor. Ihre „Schwesterpartei“ ÖVP hingegen lässt bewusst die Tür zu einer Koalition mit solchen Leuten offen. Und schlimmer noch: In der ÖVP gibt es viele, die sich nichts lieber wünschen würden als so eine neuer-liche Koalition mit der FPÖ. So etwa Finanzministerin Maria Fekter. Sie sehnt sich trotz aller Skandale und ge-richtsanhängiger Verfahren wegen Korruption, Veruntreu-ung, illegaler Parteienfinanzierung usw. weiterhin nach Schwarz-Blau zurück. Für die Finanzministerin war es eine „viel produktivere“ Zeit. „Unter Schwarz-Blau ging viel mehr weiter“, sagt Fekter in einem Interview mit den Oberösterreichischen Nachrichten im Mai 2011.

FPÖ88

In Deutschland würde die CDU/CSU keine Sekunde zögern, eine Koalition mit einer Partei kategorisch auszuschließen,

• deren Vorsitzender als junger Erwachsener Umgang mit führenden Rechtsextremisten pflegte und gemein-sam mit militanten Neonazis an Wehrsportüberubun-gen teilnahm (von denen er sich bis heute nicht dis-tanziert, sondern die er lediglich und wahrheitswidrig als „Paintballspiele“ verharmlost hat)

straches fPÖ – Die fehlenDe abgrenzung

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Die ÖVP prägt ein traditionell konservatives Frauenbild. Sie geht von einer bürgerlichen Kernfamilie mit Vater, Mutter, Kind(ern) aus. Diese wird zur Keimzelle des bürgerlichen Staates erklärt in die sich dieser möglichst gar nicht einzumischen hat. Alles was an dieser natürli-chen/gottgewollten Ordnung rüttelt wird als Angriff auf die gesamte Existenz des Staates empfunden und der Untergang des Abendlandes herbeiphantasiert.

Frau = MutterEine Frau, die keine Mutter ist oder sein möchte, ist in dieser Ideologie ein unvollständiges Wesen. Die Erfül-lung einer Frau findet sich in der Ehe, als Mutter und im Haushalt. Diese klassische Trennung der öffentli-chen Sphäre, die männlich besetzt ist, und der privaten Sphäre, die von den Frauen geleitet wird, geht in vor-moderne Zeiten zurück. Besonders mit Aufkommen der bürgerlich- kapitalistischen Gesellschaften wurde diese Trennung einerseits einbetoniert, andererseits regte sich von sozialistischer und kommunistischer Seite

Die ÖVP und die Frauen

ÖVP frauenbilD Widerstand. Dank der ersten Frauenbewegung wurde dieses konservative Denken aufgebrochen, Verbes-serungen für Frauen erzielt und das tatsächlich allge-meine Wahlrecht für Alle erkämpft. Nicht mit, sondern gegen die Konservativen. Erst durch die Frauenbewe-gung wurden Frauen als Individuen, als Arbeiterinnen und Wählerinnen wahrgenommen. Unverdrossen hält die ÖVP an ihrem konservativen Ideal fest und da sind Frauen und Mütter synonym.

Sexuelle Selbstbestimmung ist des TeufelsNirgends zeigt sich das deutlicher, als im Recht auf Selbstbestimmung über die eigene Sexualität und den eigenen Körper. Während Eingriffe in die Familie, etwa was den Gewaltschutz angeht, sehr misstrauisch beäugt werden, so ist es für die ÖVP kein Problem alles zu reglementieren was Frauen Selbstbestim-mung garantieren würde. Von Verhütungsmittel über Aufklärungsunterricht bis zum Schwangerschaftsab-bruch- all das soll möglichst nicht existieren und wenn es schon existiert, dann nur mit größtmöglichen Hür-den. Schwangerschaftsabbrüche werden nach wie vor

Die ÖVP und die Frauen

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Österreichs, und vor allem in Wien, ein Abbruch relativ einfach zu bekommen ist (wenngleich auch hier Be-lästigungen ertragen werden müssen), so ist es in den ÖVP-dominierten Ländern im Westen fast unmöglich. Wiener Ärzte und Ärztinnen müssen in Hilfsmissionen nach Westösterreich ausrücken, um Aufklärung und Angebote zu liefern. Frauen als Hausfrauen und TeilzeitbeschäftigteDas Bild der Frau als (potentieller) Mutter setzt sich bei Maßnahmen zu Kinderbetreuung und Arbeitsmarktpoli-tik fort. Noch immer verrichten Frauen den allergrößten Teil unbezahlter Reproduktionsarbeit und da vor allem in den Bereichen Haushalt, Kinderbetreuung und Pfle-ge. Genau da setzt die ÖVP an und möchte das so belassen. Jedes Aufbrechen dieser Rollenverteilung wird als unzulässige Einmischung tituliert, besonders bei Kinderbetreuung. Frühkindliche Betreuung wird da gerne als „sozialistische“ Umerziehung gepriesen. Statt garantierter Kinderbetreuungsplätze möchte die ÖVP ein Müttergeld, das Frauen finanziell belohnt, wenn sie möglichst nicht arbeiten geht. Pädagogisch gibt es

Die ÖVP und die Frauen

unverhohlen mit Mord gleichgesetzt und es scheitert einzig an der ÖVP den Passus zu Abbrüchen aus dem Strafgesetzbuch (!) herauszunehmen. Ganz offen tun sich führend ÖVP-PolitikerInnen mit christlichen Fundis zusammen, die Psychoterror vor Spitälern ausüben und Frauen, die Unterstützung benötigen, stalken. So fand der HLI (Human Life International)-Weltkongress 2012 in Wien statt. Hochrangige Vertreter der ÖVP, wie Michael Spindelegger und Erwin Pröll, ließen es sich nicht neh-men Begrüßungsworte im, für normale Menschen recht teuren, Palais Niederösterreich zu sprechen. Immer wieder kommt diese Haltung durch. „Familien“minister Mitterlehner spricht sich etwa klar gegen Abbrüche aus und ist damit voll auf Linie des katholischen Familien-verbands oder des Cartellverbands, bei dem die meis-ten männlichen ÖVP-Politiker Mitglied sind. Christine Marek hat als „Familien“staatssekretärin eine Broschüre zu Schwangerschaft produzieren lassen, in der zwar die Adressen von Fundi-Organisationen wie „Aktion Leben“ vorkamen, aber keine einzige Klinik in der Ab-brüche vorgenommen werden. So herrscht ein eklatan-tes Ungleichverhältnis in Österreich: Während im Osten

Die ÖVP und die Frauen

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Ausmaß nimmt die Partizipation genau dieser Gruppen bei Beschränkungen einen Schaden.

MännerseilschaftenDie ÖVP ist ein Männerclub. Daran ist vor allem der Cartellverband (CV) schuld. Es gibt zwar keine Frauen-quoten (dagegen wehren sie sich heftig) bei der ÖVP aber CV-Quoten. Jedes männliche Regierungsmitglied ist CV-Mitglied, damit haben sie eine ähnliche Quote wie die FPÖ bei schlagenden Burschenschaften. Durch das strukturelle Ausschließen von Frauen entwickeln sich Männerbünde und Karrierenetzwerke. Das ist ein Vorteil in sozialem Kapital, der von Frauen nicht mehr wett zu machen ist. Zwischen den CV und den völki-schen, deutschnationalen Burschenschaften passt in Sachen Frauenverachtung, Misogynie und Antifeminis-mus kein Blatt Papier.

Am besten erklärt die ÖVP ihr Frauenbild aber immer noch selbst, wie dieses entlarvende Video zeigt:http://www.youtube.com/watch?v=cmHyEFFhQQY

Die ÖVP und die Frauen

keinerlei Gründe warum Kinder ab einem Jahr nicht in eine Kinderkrippe gehen können, im Gegenteil ist es für das Sozialverhalten sogar zuträglich. Die ÖVP möch-te aber, dass Frauen möglichst lange, d.h. am besten für immer aber zumindest bis zum 4. oder 5. Lebens-jahr des Kindes zuhause bleiben. Das läuft dann unter „Wahlfreiheit“. Für Männer gilt die nicht, denn diese müssen das Geld verdienen. Frauen sind in dieser Welt höchstens Teilzeit berufstätig.

Politik gegen Arme ist vor allem Politik gegen FrauenDie ÖVP ist eine Partei für Besserverdienende. Dabei tritt sie gerne gegen die, die arm sind. Und Armut ist noch immer weiblich. Forderungen nach einer noch größeren Gängelung bei der Mindestsicherung (auch hier gilt wieder das Credo, dass der Staat möglichst laissez faire sein soll wieder nicht) würde vor allem Frauen treffen. Das Selbe ist bei Kürzungen und Be-schränkungen bei den Universitäten der Fall. Von der Öffnung der Universitäten mit dem UOG ´75 haben vor allem Frauen und Arbeiterkinder profitiert. Im selben

Die ÖVP und die Frauen

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Dieser Satz von Michael Spindelegger, gefallen in einem ZiB2-Special am 20. Jänner 2013, bringt das ganze Pro-gramm der ÖVP auf den Punkt. Es geht ihr ausschließlich um ein Konservieren der Vergangenheit oder zumindest des Ist-Zustands. Und selbst dort, wo sie sich das Män-telchen der „Reform“ umhängt, geht es ihr um ein Zu-rückdrehen der Zeit - zuletzt etwa in ihrer Forderung, die Arbeitszeitbegrenzung aufzuheben. Die ÖVP ist keine moderne konservative Partei, wie es sie in vielen Ländern Europas gibt. Es ist kein Zufall, dass diese Parteien oft Regierungen anführen und über 40% der Stimmen auf sich vereinen, während die ÖVP seit Jahrzehnten substantiell an Stimmen verliert und sich bei den Wahlergebnissen bei plus/minus 25 Prozent einge-pendelt hat. Denn diese modernen konservativen Parteien haben anders als die ÖVP kein Problem damit, Verände-rung und Fortschritt zu akzeptieren - und in ihrem Sinne mitzugestalten. Die ÖVP hingegen befindet sich in einem permanenten Abwehrkampf gegen Veränderung und gegen den Fortschritt, den sie möglichst verhindern oder zumindest hinauszögern möchte. Für noch einmal fünf oder zehn 10 Jahre. Besser: noch länger, am besten: bis in alle Ewigkeit. Dabei ist auch politisch neutralen Beob-achtern völlig klar, dass:• etwa im Bildungsbereich über kurz oder lang an der zunächst Ganztags- und dann Gesamtschule kein Weg vorbeiführen wird

• der Staat nicht mehr lange den Faktor Arbeit so stark belasten und dafür große Vermögen schonen kann• in ein paar Jahren die Wehrpflicht ausgedient haben und ein Freiwilligenheer kommen wird Spindeleggers eingangs zitierter Satz „Weil es immer so war“ fiel übrigens im Zuge der Diskussion über die Ab-schaffung der Wehrpflicht. Konkret bezog sich Spinde-legger dabei auf die im Vergleich zum Wehrdienst um drei Monate längere Zivildienstdauer. Im Gegensatz zu dem, was Spindelegger behauptete, hat sich die Zivildienstdau-er im Lauf der Jahre und Jahrzehnte aber sehr wohl immer wieder verändert. Der Zivildienst war eine Zeitlang auch gleich lang wie der Wehrdienst. Das ist der normale Lauf der Dinge: Rahmenbedingungen, zu denen im konkreten Fall des Wehr- und Zivildienstes Bedrohungsszenarien und gesellschaftliche Einstellungen gehören, ändern sich immer wieder - und die Politik muss immer wieder darauf reagieren. Der ÖVP wäre es am liebsten, wenn immer alles so bleibt wie es immer war. Und dort, wo ihr ein ständigen Veränderungen unterworfener Ist-Zustand gerade ins po-litische Konzept passt, wird dieser kurzerhand und wahr-heitswidrig zu einer unveränderlichen Tradition erklärt. Mit dieser verlogenen und reaktionären Einstellung lassen sich vielleicht kurzfristige politische Erfolge feiern, aber lässt sich auf Dauer kein Staat machen, vor allem kein moderner und zukunftsfähiger Staat.

„Weil es immer so war ...“

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98 99Fortschrittsverweigerung

Weitere Beispiele würden eine ganze Liste füllen -eine Liste, so lang wie die Donauinsel...

Die ÖVP war gegen ...… Einführung des Zivildienstes… Fristenlösung… Erhöhung des Mindesturlaubs auf zuerst 4 und dann 5 Wochen … Abfertigung für Arbeiter und Angestellte… Strafrechtliche Verfolgung von Vergewaltigung in der Ehe… Aufstellen zweisprachiger Ortstafeln … Einführung eines modernen Scheidungsrechts … Mitbestimmungsrechte für Lehrer, Schüler und Studierende an Schulen bzw. Unis… Einführung der 40-Stunden-Woche… Straffreiheit für Homosexualität Alle diese für uns heute selbstverständlichen Errungenschaften konnten nur gegen den jahre-bis jahrzehntelangen Widerstand der ÖVP und teilweise auch nur gegen die Stimmen der ÖVP im Parlament beschlossen werden. Welche Kompetenz bei der Bewältigung heutiger und zukünftiger Herausforderungen kann eine Partei haben, die derart häufig, ja systematisch auf Seiten der Vergangenheit steht?

Fortschrittsverweigerung

Die Donauinsel in Wien. 1969 fasste der Wiener Gemeinderat gegen die Stimmen der ÖVP den Beschluss, sie zu bauen. Beim Baubeginn 1973 beendete die ÖVP aus Protest dagegen die Koalition mit der SPÖ in Wien. Seit ihrer offiziellen Eröffnung im Jahre 1988 hat sich “die Insel” mehrfach bewährt und Wien vor Hochwasser und ei-nem Schicksal überfluteter Städte wie Prag, Dresden oder Passau bewahrt.

Der Bau der Donauinsel hat sich im Rück-blick als kluge und vorausschauende politi-sche Entscheidung erwiesen – und der Wi-derstand der ÖVP dagegen als kleinlich und peinlich. Doch die Donauinsel ist nicht das einzige Beispiel fehlender Vorausschau und Zukunftsverweigerung durch die ÖVP. Le-gendär ist das Urteil des ehemaligen ÖVP-Chefs und Bundeskanzlers Julius Raab, der in den 1950er Jahren zur Zukunft des Fern-sehens meinte: „Aus dem Büdlradio wird eh nichts …“ Weitere Beispiele würden eine ganze Liste füllen – eine Liste, so lang wie die Donauinsel…

historische „nein“-sager

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