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Vorlesung „Einführung in die Bildungswissenschaft“ (WS 2011/12) Dr. Hans-Peter Gerstner / Markus Popp (16.11.2011) Schwerpunkt 4: Erziehung und Bildung ein geschichtlicher Abriss Begrüßung - Organisatorisches Vortrag: Erziehung und Bildung Skizze der Geschichte Filmausschnitt: Treibhäuser der Zukunft Im Focus 5 Lernende Gesellschaft Arbeitsphase Aussprache Diskussion

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Vorlesung „Einführung in die Bildungswissenschaft“ (WS 2011/12)

Dr. Hans-Peter Gerstner / Markus Popp

(16.11.2011)

Schwerpunkt 4:

Erziehung und Bildung – ein geschichtlicher Abriss

• Begrüßung - Organisatorisches

• Vortrag: Erziehung und Bildung – Skizze der

Geschichte

• Filmausschnitt: Treibhäuser der Zukunft – Im

Focus 5 Lernende Gesellschaft

• Arbeitsphase – Aussprache – Diskussion

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Erziehung und Bildung – ein historischer Abriss

Johann Amos Comenius (1592 – 1670): die Entdeckung der Schule als ein

eigener pädagogischer Kosmos. Comenius war einer der ersten Theoretiker

der Schule, die schulische Erziehung als ein sinnvolles und notwendiges

Unterfangen am Beginn der Neuzeit verstanden.

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Erziehung und Bildung – ein historischer Abriss

Grundgedanken

• vierstufiges Gemeinschaftsschulwesen

• Omnes - omnia – Omnino

• Mit einer anderen Lernmethode im Unterricht

• Comenius legt die Komplexität der Sinnenwelt so in einer zeitlichen

Reihenfolge auseinander, dass der Intellekt in seiner Entwicklung die

Vielfalt der Sinnenwelt immer klarer sehen kann, ohne davon verwirrt zu

werden.

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Erziehung und Bildung – ein historischer Abriss

Im Titelkupfer der von Comenius verfassten Großen Didaktik (Deutsch zuerst

1657) kommt die Ambition neuzeitlicher Pädagogik zum Ausdruck „GROSSE DIDAKTIK

DIE VOLLSTÄNDIGE KUNST, ALLE MENSCHEN ALLES ZU LEHREN

oder

Sichere und vorzügliche Art und Weise, in allen Gemeinden, Städten und Dörfern eines jeden christ-

lichen Landes Schulen zu errichten, in denen die gesamte Jugend beiderlei Geschlechts ohne jede

Ausnahme

RASCH, ANGENEHM UND GRÜNDLICH

in den Wissenschaften gebildet, zu guten Sitten geführt, mit Frömmigkeit erfüllt und auf diese Weise in

den Jugendjahren zu allem, was für dieses und das künftige Leben nötig ist, angeleitet werden kann;

Worin von allem, wozu wir raten

die GRUNDLAGE in der Natur der Sache selbst gezeigt,

die WAHRHEIT durch Vergleichsbeispiele aus den mechanischen Künsten dargetan,

die REIHENFOLGE nach Jahren, Monaten, Tagen und Stunden festgelegt und schließlich

der WEG gewiesen wird, auf dem sich alles leicht und mit Sicherheit erreichen läßt.

ERSTES UND LETZTES ZIEL UNSERER DIDAKTIK SOLL ES SEIN,

die Unterrichtsweise aufzuspüren und zu erkunden, bei welcher die Lehrer weniger zu lehren brau-

chen, die Schüler dennoch mehr lernen; in den Schulen weniger Lärm, Überdruß, und unnütze Mühe

herrsche, dafür mehr Freiheit, Vergnügen und wahrhafter Fortschritt; in der Christenheit weniger

Finsternis, Verwirrung und Streit, dafür mehr Licht, Ordnung, Friede und Ruhe.“ (Comenius 1954, S.9)

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Erziehung und Bildung – ein historischer Abriss

• Pädagogischer Optimismus: durch methodischen Königsweg der richtigen

Darstellungsweise der Lerninhalte soll der Lernerfolg von selbst kommen

„Wie ein sachverständiger Schreiber auf eine leere Tafel schreiben oder ein

Maler darauf malen kann, was er will, so kann der, welcher die Kunst des

Lehrens beherrscht, mit Leichtigkeit dem menschlichen Geist alles einprägen.

Gelingt das nicht, so ist es nur zu gewiß, daß nicht die Tafel schuld ist, die

allenfalls etwas rauh sein mag, sondern allein die Unfähigkeit des Schreibers

oder Malers.“ (Comenius 1954, S.39)

• Damit werden die Grenzen jeglicher Pädagogik überschritten, denn es ist

durch die Methode keineswegs verbürgt, dass der Lernende die geistigen

Schritte des Lehrers nachvollzieht

• Die „leere Tafel“ hat ein Eigenleben, das jeden Lernprozess auch

methodisch zu etwas Unerzwingbaren macht.

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Erziehung und Bildung – ein historischer Abriss

Nur in Rücksicht auf das Ganze kann Allen Alles gründlich gelehrt werden.

Mit dem Wegfall des Omnino – der göttlich verbürgten ganzen Weltordnung –

wird die Didaktik des Comenius grundlos.

Ohne den zugrunde liegenden Versöhnungsgedanken wird es zu einer

erbarmungslosen pädagogischen Maschine, in der alle Räder ineinander

greifen müssen, um den reibungslosen Fortgang des Unterrichts zu sichern.

Das einzelne Individuum braucht gegen die Intention des Comenius dabei nicht

zu Selbstbewusstsein zu kommen.

Als Begründer der Didaktik, erster Verfechter des Gleichheitsgedankens in der

Schule und Verfasser von Lehrbüchern wie dem Orbis Sensualium Pictus

(1658) bleibt er aber im Gedächtnis.

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Jean-Jacques Rousseau (1712 – 1778) entwirft mit seinem Buch Emile oder

über die Erziehung das Paradigma moderner europäischer Pädagogik.

Erziehung und Bildung – ein historischer Abriss

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Das Problem, für das Rousseau mit seinem Emile eine Lösung finden will, ist:

wie ist eine Erziehung, die zum Besseren führen soll, überhaupt denkbar?

„Tout est bien sortant des mains de l’Auteur des choses, tout dégénère entre

les mains de l’homme. Alles ist gut, wie es aus den Händen des Schöpfers der

Dinge hervorgeht; alles entartet unter den Händen des Menschen.“

(Rousseau 1958, S. 11)

Erziehung als Instrument der Durchsetzung des Willens der Erwachsenenge-

neration hat ihre Legitimität verloren. Die neue Erziehung ist in der Tatsache

der kindlichen Entwicklung und der ihr eigenen Würde verankert.

Kindsein ist eine Daseinsform des Menschen, die gegenüber dem Erwach-

sensein nicht defizitär ist, sondern ihre Erfüllung und Reife in sich selbst findet.

Erziehung und Bildung – ein historischer Abriss

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Rousseaus Gedankenexperiment im Émile: wenn alles unter den Händen des

Menschen verdirbt, hat der Mensch auch die Möglichkeit, das Leben zum

Besseren zu wenden, wenn er die richtigen pädagogischen Prinzipien

beherzigt.

Die Natur will nach Rousseau, dass die Kinder Kinder sind, ehe sie sich zu

vernünftigen Wesen entwickeln.

Konventionelle Erziehung ist nur an der Zukunft interessiert. Daher

standardisiert sie die Entwicklung des individuellen Kindes. Sie opfert das

Glück der Gegenwart einer ungewissen Zukunftsperspektive.

Erziehung und Bildung – ein historischer Abriss

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Erziehung und Bildung – ein historischer Abriss

Oberste Aufgabe der Erzieher ist es, die Kinder zu beobachten und zu

studieren, um zu lernen, wie zu erziehen sei.

Folgerungen für Rousseau sind: Plastizität der kindlichen Natur, Schutzbe-

dürftigkeit des Kindes, Kindheit ist eigene Phase, das Kind ist selbsttätig,

Empfindungen und Sinneseindrücke sind vorherrschend, das Kind ist

wißbegierig.

Phasen der Kindheit und des Jugendalters: 1. die Kindheit, 2. das

Knabenalter, 3. die Vorpubertät und 4. das Jünglingsalter. Alle Phasen

enthalten die körperliche, emotionale, soziale und kognitive Entwicklung des

Kindes.

Drei Arten der Erziehung: durch die Natur, durch die Dinge, durch die

Menschen.

Natur- und entwicklungsgemäße Erziehung und negative Erziehung unter

Ausschluss aller soziokulturellen Einflüsse in der Pädagogischen Provinz.

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Erziehungsprinzipien im Emile

• Erziehung bedeutet Respekt und Anerkennung des kindlichen Eigen-

lebens.

• Erziehung muss alters- und entwicklungsgemäß sein.

• Erziehung muss dafür Sorge tragen, dass das Kind eine Balance zwischen

seinen Bedürfnissen und seinen Fähigkeiten herstellt.

• Erziehung muss das Kind mit Gegenständen und Dingen konfrontieren, an

denen es Erfahrung sammeln kann.

• Erziehung muss zeitlich offen angelegt sein, um dem Kind Zeit zur

Entwicklung zu geben.

• Erziehung soll das Kind psychisch und physisch widerstandsfähig machen

Erziehung und Bildung – ein historischer Abriss

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Die Inszenierung negativer Erziehung

Emile, Jean-Jacques und der Gärtner Robert

Erziehung und Bildung – ein historischer Abriss

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Die „natürliche“ Erziehung Émiles bleibt durch und durch pädagogisch ins-

zeniert und kunstvoll arrangiert, so dass er trotz aller Beteuerungen von

Autonomie und Selbstständigkeit eher wie eine Marionette im pädagogischen

Kontroll-Theater seines Erziehers Jean-Jacques wirkt.

„Er (der Zögling) möge stets glauben, er sei der Herr, aber ihr müßt es

trotzdem sein. Keine Unterwerfung ist so vollkommen, als die scheinbar

freiwillige, denn man nimmt den Willen selbst gefangen. Ist denn das arme

Kind, das nichts weiß, nichts kann und nichts kennt, nicht völlig in euren

Händen? Verfügt ihr denn nicht über alles, was es umgibt? Könnt ihr es nicht

beeinflussen, wie ihr wollt? Sind nicht seine Arbeiten, seine Spiele, sein

Vergnügen und sein Ungemach in euren Händen, ohne daß es davon weiß?

Ohne Zweifel soll es nur das tun, was es selber will, aber es soll nichts wollen,

was ihr nicht von ihm wollt. Es darf nicht einen Schritt tun, den ihr nicht hättet

vorausgesehen, es darf nicht den Mund öffnen, ohne daß ihr wißt, was es

sagen wird.“ (Rousseau 1958, S. 115)

Erziehung und Bildung – ein historischer Abriss

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Bildungsreform zwischen Revolution und Restauration:

Wilhelm von Humboldt (1767 – 1835)

Erziehung und Bildung – ein historischer Abriss

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Sozialpolitischer Rahmen

Tiefe Krise des überkommenen feudalen, ständisch geordneten Gesell-

schaftssystems.

Folgerung: umfassende Verwaltungs- und Rechtsreform im Sinn einer

sozialen, ökonomischen und politischen Liberalisierung.

Betonung individueller Leistung und Initiative.

Den sozialpolitischen Reformen korrespondiert eine Reform des

Bildungswesens.

Die modernisierte Schule soll den Bürgern die Grundausstattung für die

zukünftige Gesellschaft bieten.

Die individuelle Leistung sollte in Gesellschaft wie Schule wichtiger als die

soziale Herkunft werden.

Erziehung und Bildung – ein historischer Abriss

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Der Zweck des Menschen ist die höchste und proportionierlichste Bildung

seiner Kräfte zu einem Ganzen. Dazu bedarf es Freiheit und Mannig-

faltigkeit der Situationen

Humboldt will daher eine Leistungsschule, die für alle offen ist, und keine

Standesschule

Es gibt für ihn nur drei Stadien des Unterrichts: Elementarunterricht,

Schulunterricht, Universitätsunterricht.

Seine Forderungen:

• die größtmögliche Einheitlichkeit des Schulwesens und des Unterrichts

• ein gestuftes Schulsystem mit einheitlichen Anforderungen auf jeder Stufe

• ein horizontal gegliedertes Schulmodell, in dem der Übergang von der

niederen zur höheren Stufe prinzipiell allen Schülern möglich ist

• „allgemeine Menschenbildung“ soll kein soziales Privileg sein, sondern

allen zu Gute kommen

Erziehung und Bildung – ein historischer Abriss

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• Die Grenze des schulischen Unterrichts ist nicht die Herkunft oder der

zukünftige Beruf der Schüler, sondern die Grenze ist dort, wo subjektive

Lernprozesse enden.

• Dazu soll Lernen soll eine neue Bedeutung erhalten

• Keine Übung mechanischer Lernroutinen, sondern das Kind soll das volle

Bewusstsein haben von dem haben, was es in jedem Augenblick hört, sagt

und tut, und warum so und nicht anders gehandelt wird

• Dazu bedarf es diagnostischer Kompetenz der Lehrkräfte und sozialen

Lernens miteinander

Erziehung und Bildung – ein historischer Abriss

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Kritik

• Die Bildungsreform nur auf der administrativen Ebene erfolgreich

• Vor allem die Elementarschulen bleiben unterfinanziert

• Der Widerstand des gutsherrlichen preußischen Junkertums bremste

finanziell die Schulreformpläne aus. Es sollte die finanziellen Mittel im Zuge

einer Steuerreform aufbringen, ohne davon zu profitieren. Weder wollte es

seine eigenen Kinder in die dürftig ausgestatteten Elementarschulen

schicken, noch war es an einem höheren Bildungsniveau seiner Bauern

und Landarbeiter interessiert.

• Sobald Humboldt schon 1810 die ersten Anzeichen obrigkeitlicher Be-

schränkung seiner Bildungspolitik verspürte, zog er sich konsequenterweise

aus dem Amt zurück.

Erziehung und Bildung – ein historischer Abriss

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Mit den Reformversuchen um 1800 wurde das schulische Lernen eine

öffentliche, allen zugängliche und zugleich verpflichtende Aufgabe

Dafür gibt es mehrere Ursachen:

auf der politischen Ebene verlangt der moderne Nationalstaat die Loyalität

der Bürger

auf der ökonomischen Ebene erfordert der beginnende Kapitalismus eine

über das bisherige Maß weit hinausgehende Qualifizierung und

auf der kulturellen Ebene wird den Menschen eine säkularisierte Lebenshal-

tung abverlangt, die einen radikalen und schmerzhaften Bruch mit den

eingelebten Traditionen voraussetzt.

Schule soll die Menschen durch allgemeine Bildung auf das Leben in Freiheit,

Gleichheit und Brüderlichkeit vorbereiten

Erziehung und Bildung – ein historischer Abriss

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Erziehung und Bildung – ein historischer Abriss

Horizontale und vertikale Schulstrukturen

Humboldts

„philosophisches“

Schulsystem

Soziales Klassenschulsystem

im 19. Jahrhundert

Universitätsunterricht

Niederes

Schulwesen

Höheres

Schulwesen

Schulunterricht

Elementarunterricht

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Mitte des 19. Jahrhunderts hat sich ein höheres Schulwesen etabliert, das

durch zwei Aspekte charakterisiert ist:

• das Berechtigungssystem

• Konzept der Allgemeinbildung

Folgen:

• Die Loyalität der durch Bildung aufgestiegenen Beamtenschaft wurde

erzeugt und gesichert.

• Die Qualifikation der ‚führenden’ Schichten wurde in staatlichen

Institutionen geleistet und durch den Staat kontrolliert.

• Die erfolgreiche Teilhabe an höherer Bildung ermöglichte den Söhnen des

Bürgertums, in Konkurrenz zu dem bis dahin privilegierten Adel zu treten

und sich dadurch aus den bis dahin engen Standesgrenzen zu befreien.

Erziehung und Bildung – ein historischer Abriss

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• Die Etablierung des ‚niederen Schulwesens’ ist eng verbunden mit dem Prozess der

Durchsetzung der Schulpflicht.

• Da die breite Volksbildung ökonomisch zunächst weniger wichtig war als die qualifi-

zierte Beamtenbildung, entwickelte sich das ‚niedere’ zeitlich erst nach dem ‚höheren’

Schulwesen und zwar in klar getrennten Institutionen nach streng verschiedenen

Kriterien

• Die preußische „Volksschule“ war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vom

Prinzip der gewollten Bildungsbegrenzung bestimmt

• Mit den drei Stiehl'schen Regulativen von 1854 wurde der Volksschulunterricht auf

die elementaren Kulturtechniken und Religion beschränkt, zudem wurde die Volks-

schullehrerbildung so begrenzt, dass Lehrer kaum mehr als ihre späteren Schüler

und Schülerinnen lernen durften.

• Damit war Mitte des 19. Jahrhunderts in Preußen wie generell im deutschsprachigen

Raum ein ‚niederes’ Schulwesen entstanden, das mit seinem Konzept volkstümlicher

Bildung einen Gegenentwurf zum Konzept humanistischer Bildung im Gymnasium

darstellte.

Erziehung und Bildung – ein historischer Abriss

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• Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wurde diese Diskrepanz hinderlich.

Ein ‚Modernitätsrückstand’ des Schulwesens löste Modernisierungs-

schübe aus.

• Es entstehen weitere ‚Vollanstalten’ mit dem Recht der Vergabe der vollen

Studienberechtigung wie das neusprachliche Realgymnasium und die

mathematisch-naturwissenschaftliche Oberrealschule

• Die Gymnasien waren reine Jungenschulen, für die Mädchen gab es

höhere „Töchterschulen“ ohne Studienberechtigung. Die Funktion dieser

Schulen bestand in der Bildung bürgerlicher Hausfrauen.

Erziehung und Bildung – ein historischer Abriss

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• Der Prozess der Anpassung der Schulen und Lehrpläne an die gesell-

schaftliche Entwicklung betraf auch das niedere Schulwesen: Die Politik der

rigiden Bildungsbegrenzung der Stiehlschen Regulative wurde 1872 deut-

lich gelockert

• Entstehung des dualen Berufsausbildungssystems mit Ausbildungsbe-

trieb und Schule und der Dauer von drei Jahren.

• Damit waren diese Jugendlichen vom 14. Lebensjahr an der staatlichen

Beeinflussung entzogen. Der Reformpädagoge Georg Kerschensteiner

schlug daher vor, für die jungen Männer eine Pflichtberufsschule einzu-

führen, um sie durch die gemeinsame Erziehungsleistung von Arbeitsstätte

und Schule für die staatsbürgerliche Gesellschaft zu erziehen.

Erziehung und Bildung – ein historischer Abriss

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Die Sklerotisierung der Wilhelminischen Gesellschaft und die Kritik an der

Schule als Untertanenfabrik erzeugen viele lebens- und schulreformerische

Gegenbewegungen Ende des 19. Jahrhunderts. Neben vielen anderen

Bewegungsformen wird insbesondere die internationale Bewegung der

Reformpädagogik prominent.

Philosophischer Gewährsmann ist vor allem

Friedrich Nietzsche (1844-1900)

Erziehung und Bildung – ein historischer Abriss

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Die Reformpädagogik wendet sich gegen

den Methodenformalismus,

die Verengung auf den kognitiven Bereich,

die Vernachlässigung der Ästhetik und

gegen den autoritären Unterrichtsstil der „alten“ Schule.

Sie will damit die Kluft zwischen Schule und Leben durch eine Pädagogik vom

Kind aus verringern.

Selbsttätigkeit, Selbstständigkeit, Spontanëität stehen im Mittelpunkt und sollen

durch Projektmethode, Werkstätten, künstlerisches Gestalten gefördert

werden.

Erziehung und Bildung – ein historischer Abriss

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Durch die Kombination von Leben und Lernen, Arbeitsschule, Projektmethode,

Einbezug ästhetischer Elemente, Selbsttätigkeit und Selbstüberwindung,

Schulgemeinschaft, altersübergreifende Lerngruppen, Tische und Stühle statt

Bänke, Gruppenunterricht, Kursystem statt Fachsystematik, aber auch Fremd-

und Selbstdisziplinierung wurden Konzepte zur Überwindung der Drill- und

Disziplinarschule des 19. Jahrhunderts entwickelt, die bis in die Gegenwart

fortwirken.

Erziehung und Bildung – ein historischer Abriss

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Die Reformpädagogik war aber keine Alternative zur staatlichen Regelschule,

da traditioneller, selektiver, disziplinierender und kontrollierender Schulunter-

richt sowohl in der Weimarer Republik, im Nationalsozialismus und in der

Nachkriegszeit lange noch die Regel blieb.

Die auf ein vages Gemeinschaftsleben und romantisierende pädagogische

Grundkonzeptionen bezogene Reformpädagogik besitzt neben allen Vorzügen

durchaus auch antirationalistische und gegenaufklärerische Momente, die

sie nicht zuletzt auch für faschistische Vorstellungen empfänglich machte.

Erziehung und Bildung – ein historischer Abriss

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Nach ersten Weltkrieg beginnt mit der Weimarer Reichsverfassung der erneute

Versuch, den Klassencharakter des Schulwesens abzuschaffen, um eine

demokratische Schule in einer Demokratie zu verwirklichen

Der Weimarer Schulkompromiss ist Ausdruck der politischen Machtver-

hältnisse, die nur einen Minimalkonsens gestatten, der aber als schulisches

Pendant zu den demokratischen Grundrechten verstanden werden kann.

Die bisher geltende Unterrichtspflicht wird zugunsten der Schulpflicht abge-

schafft.

Die Vorschulen der Gymnasien werden außer Kraft gesetzt

Eine längere gemeinsame Schulzeit war politisch nicht durchzusetzen. Auch

die Ausbildungsgänge der Lehrer an den Volksschulen, die jetzt allerdings zu

einer Abiturientenkarriere wurden, und an den höheren Schulen bleiben

weiterhin unterschiedlich.

Erziehung und Bildung – ein historischer Abriss

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Erziehung und Bildung – ein historischer Abriss

Schulstruktur vor 1919 Schulstruktur nach 1919

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Mit dem Weimarer Schulkompromiss hatten die Weimarer Parteien ihre gestalterische

Kraft in der Schulpolitik erschöpft.

Trotz aller sozialegalitären Symbolik des Nationalsozialismus hat er die auf dem Prinzip

rigider Auslese beruhende Trennung der Schulformen nicht nur übernommen, sondern

zum alternativlosen Modell der Schulung der Volksgemeinschaft gemacht.

Das nationalsozialistische Regime nutzte das im deutschen Schulsystem verankerte

Ausleseprinzip zur Durchsetzung der eigenen Ideologie, indem ihm eine zusätzliche

rassistische Dimension angefügt wurde.

Die nationalsozialistische Schul- und Hochschulpolitik wurde ab 1937 im Verlauf der

beginnenden Kriegsvorbereitung modifiziert: Die bildungsbegrenzenden Maßnahmen

wurden gelockert, die Betonung der Legitimations- gegenüber der Qualifikationsfunk-

tion der Schule wurde abgeschwächt.

Erziehung und Bildung – ein historischer Abriss

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Nach 1945 verordneten die alliierten Siegermächte den vier Zonen eine

Demokratisierung auch des Bildungswesens.

Die Demokratisierung des Schulwesens sah ökonomisch vor, allen Kindern

den Zugang zu allen Schulen durch Schulgeld- und Lernmittelfreiheit sowie

Unterstützungszahlungen zu ermöglichen.

Organisatorisch sollte die Ganztagsschule eingeführt und die vertikale Drei-

gliederung des Schulwesens durch eine horizontale Gliederung in Form von

Gesamtschulen ersetzt werden.

Inhaltlich sollte die Neuordnung des Schulwesens mit einer Revision der

Curricula verbunden werden, um staatsbürgerliche Verantwortung und

demokratische Lebensauffassung zu ermöglichen.

Diese Neuordnungsvorstellungen versandeten relativ rasch in ökonomischer

und politischer Restauration.

Erziehung und Bildung – ein historischer Abriss

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Erziehung und Bildung – ein historischer Abriss

Von 1965 bis 1989 war in der DDR das sozialistische Einheitsschulsystem

etabliert, nach 1989 wurde dann das Schulsystem der DDR in seinen wesent-

lichen Zügen strukturell und inhaltlich dem der Länder der BRD angepasst.

Abweichungen finden sich in einzelnen der neuen Bundesländer im Vergleich

zu den alten Bundesländern in der Schulstruktur.

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Erziehung und Bildung – ein historischer Abriss Struktur des Schulwesens in Deutschland

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Das Grundmodell des gegliederten, allgemeinbildenden Schulwesens blieb im

Westen trotz des Ausbaus durch Gesamtschulen, die als vierte Säule dazu ka-

men, stabil, jedoch ging innerhalb dieses Rahmens in den letz-ten 50 Jahren

eine erstaunliche Dynamik vonstatten.

So ist die Hauptschule nicht mehr die Schule des Volkes. Während 1950 noch

über 80 % eines Altersjahrgangs nach der gemeinsamen Grundschulzeit die

Volksschuloberstufe, die spätere Hauptschule, besuchten, sind es heute nur

etwas mehr als 20 % im Durchschnitt.

Weiterführende Schulen wie Gymnasien (32 %) und Realschulen (26 %)

werden dagegen von der Mehrheit der Schüler und Schülerinnen besucht. Auf

Schulen mit mehreren Bildungsgängen gehen knapp 10 % und auf Integrierte

Gesamtschulen etwas mehr als 10 %.

Erziehung und Bildung – ein historischer Abriss

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Erst mit dem „Sputnik-Schock“ 1959 setzt eine weltweite Bildungsdebatte ein, da mit

der vermeintlich nachlassenden technologischen Innovation im Westen ein Qualifika-

tionsdefizit ausgemacht wurde.

Aus ökonomischen Gründen wurde ebenso ein höheres Qualifikationsniveau gefordert

wie aus demokratischen Ansprüchen – ‚Bildung ist Bürgerrecht’ (Ralf Dahrendorf).

Aufgeschreckt durch statistische Untersuchungen über den relativen Schulbesuch im

Verlauf der fünfziger Jahre sollten die brachliegenden „Begabungsreserven“ für höhere

Schulabschlüsse genutzt werden, um die drohende „Bildungskatastrophe“ (Georg

Picht) abzuwenden.

Erziehung und Bildung – ein historischer Abriss

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Empirische Schulforschung der 60er Jahre machte Diskriminierungen im

bestehenden Schulsystem deutlich. Benachteiligt waren Mädchen, Kinder aus

ländlichen Gegenden, katholische Kinder und Jugendliche und Arbeiterkinder.

Aus diesen Benachteiligungen setzte sich die Kunstfigur des Objekts schul-

politischer Reform zusammen:

das katholische Arbeitermädchen vom Land.

Erziehung und Bildung – ein historischer Abriss

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Seit den Zeiten der Bildungsexpansion der 60er und 70er Jahre ist das

katholische Bildungsdefizit ebenso verschwunden wie der Bildungsrückstand

von Mädchen.

Die regionalen Unterschiede der Bildungsbeteiligung sind weiterhin abhängig

vom jeweiligen Schulangebot.

Die Bildungschancen von Kindern mit unterschiedlichem sozialem Hintergrund

haben sich insofern verbessert, dass heute ein Arbeiterkind bei gleicher

Intelligenz zwar immer noch eine vierfach geringere Chance hat, ein

Gymnasium zu besuchen als ein Kind aus der Mittel- und Oberschicht, aber im

Vergleich zu den Gründerjahren der Bundesrepublik Deutschland, in denen

allenfalls eines von Hundert Arbeiterkindern die Reifeprüfung ablegte, ist auch

hier ein, wenn auch geringerer Fortschritt zu verzeichnen.

Die soziale Herkunft bestimmt also zwar nach wie vor die schulischen

Chancen und damit den späteren Lebensweg, aber nicht mehr in dem Ausmaß

wie vor der Bildungsexpansion Mitte des letzten Jahrhunderts.

Erziehung und Bildung – ein historischer Abriss

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Von Chancengleichheit kann daher immer noch nicht gesprochen werden. Eine

neue Symbolfigur für die Bildungsreform könnte heute der Stadtjunge mit

Migrationshintergrund und prekärem sozialen Status sein.

Schülerinnen und Schüler aller sozialer Gruppen besuchen zwar immer länger

weiterführende Bildungsgänge, aber das Verhältnis der sozialen Milieus bleibt

sehr stabil, die Bildungsungleichheit nach sozialer Herkunft ist weiterhin stark

ausgeprägt und erhöhte Bildungschancen brechen sich an verminderten

Berufs- und dann auch Einkommenschancen. Die Bildungsreform seit

Comenius, Rousseau, Humboldt und den Reformpädagogen wird also

weitergehen. Das aber ist Thema der nächsten Sitzung.

Erziehung und Bildung – ein historischer Abriss

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Erziehung und Bildung – ein historischer Abriss

Sehen Sie sich bitte den Ausschnitt aus Reinhard Kahls

Film „Treibhäuser der Zukunft – Im Focus 5 Lernende

Gesellschaft“ an und machen Sie sich bitte vor dem

Hintergrund des eben Gehörten Gedanken darüber, was

aus der Geschichte der Pädagogik zu lernen sein kann für

die Zukunft des Bildungswesens.