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Sechs Thesen zum Social Bookmarking

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Gernot Gräfe, Christian Maaß

Sechs Thesen zum Social Bookmarking

Soziale Bookmarkdienste ermöglichen es Inter-netnutzern, Links zu beschreiben und auszu-tauschen, die sie bezüglich eines bestimmtenThemas für wichtig halten. Sie werden immerhäufiger zur Recherche im Internet genutzt.Bislang ist unklar, ob solche Suchdienste mitalgorithmenbasierten Suchmaschinen konkur-rieren und bessere Ergebnisse als die traditio-nellen Suchmaschinen generieren können. DieserBeitrag soll daher das Potenzial sozialer Book-marksysteme untersuchen und eine konzeptio-nelle Grundlage für weiterführende empirischeUntersuchungen legen. Zu diesem Zweck werdensechs Hypothesen erarbeitet, die sich auf dieStärken und Schwächen sozialer Suchdienste imVergleich zu herkömmlichen Suchmaschinenbeziehen. Aus der Diskussion geht hervor, dasssoziale Suchdienste algorithmenbasierte Such-maschinen nicht ersetzen, allerdings in qualita-tiver Hinsicht ergänzen können.

Inhaltsübersicht1 Einführung2 Technische Grundlagen und methodischer

Hintergrund2.1 Charakterisierung algorithmenbasierter

Suchmaschinen und sozialer Bookmarksysteme

2.2 Forschungsarbeiten zum Web Information Retrieval

3 Qualität sozialer und algorithmenbasierter Suchdienste3.1 Indexumfang und -aktualität3.2 Relevanz der Suchergebnisse

4 Ausblick5 Literatur

1 EinführungMit dem exponentiellen Wachstum des Inter-nets sind algorithmenbasierte Suchmaschinenzu den meistgenutzten Internetanwendungenavanciert. Konservative Schätzungen gehendavon aus, dass über solche Suchdienste zwi-schen 70 und 85 % aller Informationsrecher-chen im Internet erfolgen; in jüngeren Ver-öffentlichungen wird dieser Wert sogar aufüber 90 % beziffert [Schulz et al. 2005, S. 20]. IhrErfolg gründet vor allem auf dem Umstand,dass sie automatisch Informationen indizieren,womit sie einer großen Nutzergruppe den Zu-griff auf Informationen ermöglichen. Empi-rische Studien deuten allerdings darauf hin,dass die Qualität der Trefferlisten algorithmen-basierter Suchmaschinen mitunter nur geringist. So liegt der Anteil relevanter Treffer, in Ab-hängigkeit der verwendeten Suchbegriffe, oftnur zwischen 20 und 45 % [Machill & Welp2003]. Ursächlich hierfür sind z. B. Manipula-tionsversuche bei der Bereitstellung von Web-seiten, um möglichst hohe Platzierungen in denErgebnislisten von algorithmenbasierten Such-maschinen zu erzielen.

Vor diesem Hintergrund erstaunt es kaum,dass immer häufiger die Frage gestellt wird,inwieweit alternative Suchdienste in qualita-tiver Hinsicht mit algorithmenbasierten Such-maschinen konkurrieren und zu einer Verbes-serung der Internetsuche beitragen können[Neymanns 2005]. Besonders aussichtsreich er-scheinen dabei sogenannte soziale Bookmark-systeme, bei denen Webseiten nicht von einemSuchmaschinenroboter, sondern von teilweisemehreren Tausend Menschen gemeinschaftlichindiziert werden. Sie werden bereits als eineAlternative zu Google & Co. angesehen. »Aller-

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dings ist es erstaunlich, dass […] nur wenige Un-tersuchungen zur Qualität von Suchmaschinenvorliegen, sowohl international als auch (be-sonders eklatant) im deutschsprachigen Raum«[Lewandowski 2007, S. 244-245]. In diesem Bei-trag soll daher das Potenzial sozialer Bookmark-systeme untersucht werden. Dabei gilt es zuklären, inwieweit solche Suchdienste tatsäch-lich als Alternative zu algorithmenbasiertenSuchmaschinen anzusehen sind und welcheStärken und Schwächen sie im Vergleich zu die-sen haben. Zu diesem Zweck gilt es zunächst,die Funktionsweise sozialer Bookmarksystemezu skizzieren. Sodann wird aufgezeigt, anhandwelcher Methoden und Kriterien die Qualitätvon Suchmaschinen im Information Retrievalbeurteilt wird. Auf dieser Grundlage werden imweiteren Verlauf sechs Hypothesen zur zukünf-tigen Bedeutung sozialer Bookmarksysteme imBereich der Internetsuche erarbeitet, um einekonzeptionelle Grundlage für weitere Studienin diesem Kontext zu legen. Ein knappes Fazitschließt den Beitrag ab.

2 Technische Grundlagen und methodischer Hintergrund

2.1 Charakterisierung algorithmen-basierter Suchmaschinen und sozialer Bookmarksysteme

Algorithmenbasierte Suchmaschinen greifenauf technische Hilfsmittel zurück. SogenannteRoboterprogramme analysieren automatischdie im Web auffindbaren Seiten. Indem sieselbstständig den dort platzierten Hyperlinksfolgen, können sie in einem vergleichsweisekurzen Zeitraum einen großen Teil des Webanalysieren und für anschließende Such-anfragen erschließen. Die auf diesen Seitenvorgefundenen Hyperlinks sowie die Seiten-informationen werden dazu in einer speziellenDatenbank gespeichert, dem sogenannten In-dex. Auf ihn greift die Suchmaschine im Zugeeiner Suchanfrage zurück und gleicht die einge-gebenen Suchbegriffe mit dem dort gespei-

cherten Datenbestand ab, um die Ergebnislistezu generieren.

Soziale Bookmarksysteme – wie z. B.del.icio.us, Furl oder Mister-Wong – sind ein ver-gleichbar junger Suchansatz, der erst seitKurzem breit diskutiert wird. Insofern erstauntes nicht, dass sich eine anerkannte Definitionbislang noch nicht etablieren konnte. Bei so-zialen Bookmarksystemen handelt es sich umeine konkrete Ausprägung sogenannter sozialerSoftwarelösungen. Ihnen ist gemein, dass sieauf den Aufbau von sozialen Netzwerken sowiedie Publikation und Verteilung von Informa-tionen innerhalb dieses Netzwerkes abstellen.»Social-Software-Systeme sind […] umfassendesoziotechnische Systeme, die auf Basis tech-nischer und sozialer Vernetzung durch einfachzu bedienende Informationssysteme gemein-sam in einem bestimmten Themenfeld Leistun-gen generieren« [Komus 2006, S. 36]. Bei sozia-len Bookmarksystemen sind diese Leistungendarin zu sehen, dass Webseiten nicht von einemSuchmaschinenroboter, sondern von den Mit-gliedern des Netzwerkes gemeinschaftlich indi-ziert werden. Die Anwender veröffentlichen zudiesem Zweck nur ihre persönliche Linksamm-lung im Web und annotieren mit sogenanntenTags. Dies sind Metadaten, die der inhaltlichenBeschreibung der Webseiten dienen und mitdem jeweiligen Link verknüpft sind. Ein Linkzum »Weißen Haus« in Washington könnte z. B.mit den Tags »Präsident«, »USA«, »WeißesHaus« sowie »Barack Obama« ausgezeichnetwerden. Eine Suchanfrage nach dem Präsi-denten der Vereinigten Staaten würde mithilfeder Tags somit aufzeigen, dass eine Verbindungzwischen dem Präsidenten und dem WeißenHaus besteht, ohne dass dieser Zusammen-hang zwingend aus den jeweiligen Webdoku-menten hervorgehen müsste. Technisch be-trachtet werden Relationen zwischen den ver-wendeten Tags berechnet, die die Häufigkeitihrer gemeinsamen Verwendung wiedergeben.Ein so entstehendes Beziehungsgeflecht ausLinks und Tags bezeichnet man als Folksono-

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mie. Sie ermöglicht dem Anwender die Naviga-tion durch den gemeinschaftlich aufgebautenIndex.

2.2 Forschungsarbeiten zum Web Information Retrieval

Innerhalb der Informatik stellt das InformationRetrieval ein gesondertes Fachgebiet dar, dassich mit der computergestützten und inhalts-orientierten Informationsgewinnung und -be-schaffung auseinandersetzt. Mit der zuneh-menden Bedeutung des Internets hat sich mitdem Web Information Retrieval ein eigener For-schungsbereich herausgebildet, um den Beson-derheiten bei der Informationssuche im Inter-net Rechnung zu tragen. Einen besonderen Stel-lenwert nimmt die Beurteilung der Qualität vonSuchmaschinen ein, die in der Regel in Formsogenannter Retrieval-Tests ermittelt wird. Beisolchen Tests werden zunächst Anfragen aneine Suchmaschine geschickt. Die zurückgelie-ferten Ergebnisse werden dann durch ein Gut-achtergremium inhaltlich im Hinblick auf ihreRelevanz bewertet. Als Bewertungsmaßstabhat sich die sogenannte Precision durchgesetzt.Diese Kennzahl spiegelt den prozentualen An-teil der relevanten Treffer an der Gesamtheit derausgegebenen Suchergebnisse wider. Aller-dings wird die alleinige Fokussierung auf dieseKennziffer zunehmend kritisiert. Vielmehr sindweitere Maßstäbe anzusetzen, um auf die Qua-lität von Suchmaschinen zu schließen, wobeiinsbesondere die Bedeutung des Index hervor-gehoben wird [Schindler & Burmeister 2006].Dessen Größe und Aktualität beeinflusst, aufwelche Informationen die Anwender im Zugeeiner Suchanfrage zurückgreifen.

Aus diesen Ausführungen geht hervor, dasszur Beurteilung der Qualität von Suchmaschi-nen vor allem die Indexgröße/-aktualität sowiedie Relevanz der Suchergebnisse von Bedeu-tung sind. Deshalb werden im weiteren Verlaufdieses Beitrags soziale Bookmarksysteme undalgorithmenbasierte Suchmaschinen anhanddieser Kriterien verglichen. Zu diesem Zweck

werden sechs Hypothesen erarbeitet, um denStellenwert sozialer Bookmarksysteme zu ver-deutlichen.

3 Qualität sozialer und algorithmenbasierter Suchdienste

3.1 Indexumfang und -aktualität

Hypothese 1: Soziale Bookmarksysteme erfassenim Augenblick eine begrenzte Anzahl von The-men im Web. Die sozialen Bookmarksystemewachsen jedoch und erschließen neue Themen-felder.Die Indexgröße von Suchdiensten und derenAktualität wurden bereits als wichtige Qua-litätsindikatoren von Suchdiensten identifi-ziert. Der indizierbare Teil des weltweiten Da-tennetzes umfasste im Jahr 2005 mindestens11,5 Milliarden Webseiten [Gulli & Signorini2005]. Daher erscheint es fraglich, inwieweitdie manuelle Erfassung von Webseiten bei so-zialen Suchdiensten diesen Datenbestand bes-ser erschließen kann, als das bei der automa-tischen Indexierung durch algorithmenbasierteSuchmaschinen der Fall ist. Diese Vermutungmanifestiert sich auch bei einem direkten Ver-gleich der Indexgröße dieser beiden Suchdiens-te. So weisen empirische Studien darauf hin,dass die Indizes der algorithmenbasiertenSuchmaschinen Google, Yahoo und MSN insge-samt zwischen 57 und 76 % des indexierbarenTeils des World Wide Web abdecken [Lewan-dowski 2007]. Somit werden mehrere Milliar-den Seiten erfasst. Im Vergleich dazu verzeich-nete das in Deutschland führende sozialeBookmarksystem Mister-Wong Anfang desJahres 2009 (2007) lediglich 7,3 (1,4) MillionenWebseiten in seinem Index (www.mister-wong.de). Vergleicht man weiterhin die amhäufigsten verwendeten Tags und die damiteinhergehende Anzahl von Bookmarks, lässtsich eine technische und medienorientierteFokussierung bei sozialen Bookmarksystemenkonstatieren (vgl. Abb. 1).

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Music

Internet

History

Computer

Software

PC

Law

Knowledge

Forum

Movie

Literature

Download

Search Engine

JavaScript

English

Cell phone

MP3

Windows

Advertising

Radio

DownloadsM

ost p

opul

ar T

ags

Number of Bookmarks

Hypothese 2: Der kleinere Index bei sozialenSuchdiensten korreliert nicht mit einer von denNutzern als geringer wahrgenommenen Quali-tät der Suchergebnisliste.Allein aufgrund des Vergleichs der Indexgrößendieser beiden Suchdienste ist es nicht möglich,auf die Qualität der Suchergebnisse zu schlie-ßen. Gerade bei sozialen Bookmarksystemenwird durch die Selektion der Anwender einequalitative Vorauswahl getroffen, wodurch eineAkzentuierung einzelner Webseiten erfolgt. DieNutzer nehmen bewusst die Links von schlecht

beurteilten Seiten nicht in ihre Bookmarklisteauf. Im Gegensatz dazu indizieren algorithmen-basierte Suchmaschinen grundsätzlich alleWebseiten, auf die ihre Roboterprogramme Zu-griff erhalten.

Neben dem Indexumfang wird auch dessenAktualität als Qualitätsmerkmal diskutiert, daim Internet überwiegend nach aktuellen Infor-mationen wie z. B. Wirtschaftsnachrichten, ak-tuellen Sportmeldungen und Stellenausschrei-bungen recherchiert wird. Der Wert solcherInformationen hängt für den Suchenden im

Abb. 1: Zusammenhang der häufigsten Tags und der damit einhergehenden Anzahl von Links beim sozialen Bookmarksystem Lycos IQ (http://iq.lycos.de; Stand April 2007)

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hohen Maße von deren Aktualität ab. Daher er-scheint es interessant, die Aktualisierungs-frequenz der Indizes bei algorithmenbasiertenSuchmaschinen näher zu beleuchten und mitsozialen Suchdiensten zu vergleichen.

Hypothese 3: Algorithmenbasierte Suchmaschi-nen erfassen aktuelle Informationen schnellerund umfassender als soziale Bookmarksysteme.

Betrachtet man die Mittelwerte der Aktua-lisierungsfrequenz der Indizes algorithmen-basierter Suchdienste, liegt die Aktualisierungs-frequenz bei Google bei etwa 3,1 Tagen,während sie bei MSN bei 3,5 und bei Yahoo bei9,8 Tagen liegt [Lewandowski 2007]. Beikleineren Suchmaschinen beträgt die Aktua-lisierungsfrequenz mitunter sogar mehr als30 Tage, was in Anbetracht der Änderungs-geschwindigkeit der Inhalte im Web unakzep-tabel erscheint. So entstehen pro Woche etwa320 Millionen Webseiten und innerhalb einesJahres kommt es bei etwa 80 % aller Webseitenzu Veränderungen bei der Linkstruktur (vgl.hierzu [Ntoulas et al. 2004]). Die teilweise ho-hen Mittelwerte bei der Indexaktualisierungsind darauf zurückzuführen, dass die Such-maschinenbetreiber für bestimmte Themenge-biete gesonderte Datenbestände pflegen. Sowird z. B. der Nachrichtenindex bei Suchmaschi-nen wie Google und MSN täglich aktualisiert.Hingegen fällt die Frequenz im Bereich der Bil-dersuche deutlich länger aus. Somit sind beialgorithmenbasierten Suchdiensten gezielteErneuerungsstrategien des Index erkennbar. ImGegensatz dazu ist es bei sozialen Bookmark-systemen fraglich, inwieweit sie in vergleich-barer Weise oder sogar besser als algorithmen-basierte Suchmaschinen aktuelle Informatio-nen bereitstellen können. Zur Integrationaktueller Informationen ist es erforderlich, dassAnwender entsprechende Links in ihre Book-markliste einpflegen. Dafür müssen die Anwen-der die betreffenden Informationen aber zu-nächst einmal unabhängig vom eigentlichenBookmarksystem identifizieren. Aufgrund der

kurzen Halbwertzeit vieler Informationen – z. B.bei Sportergebnissen oder Wirtschaftsnach-richten – ist es ferner fraglich, ob und inwieweitdie Anwender dedizierte Bookmarks zu einzel-nen Meldungen überhaupt einpflegen. Viel-mehr ist anzunehmen, dass lediglich Links zusolchen Seiten in die persönliche Bookmarklisteaufgenommen werden, auf denen regelmäßigaktuelle Meldungen erscheinen. In diesem Fallwäre es nicht möglich, eine bestimmte Mel-dung über soziale Bookmarksysteme zu finden.

3.2 Relevanz der SuchergebnisseHypothese 4: Im Vergleich zu algorithmenbasier-ten Suchmaschinen sind soziale Suchdienste we-niger manipulationsanfällig. Dies äußert sich ineiner höheren Precision der Suchergebnisse.

Mit Manipulationsanfälligkeit werden in die-sem Beitrag ausschließlich die zweifelhaftenMöglichkeiten betrachtet, mit denen die Betrei-ber einer Webseite dafür sorgen, dass ihre Seitein Rankings möglichst weit oben erscheint.Algorithmenbasierte Suchmaschinen beurtei-len die Relevanz der Ergebnisse von Suchanfra-gen im Wesentlichen anhand von zwei Faktoren[Maaß 2008]: Zunächst spielt die Analyse vonbestimmten Elementen des HTML-Codes einerWebseite eine entscheidende Rolle. Die Such-maschinenroboter gewichten die dort vorge-fundenen Seitenelemente unterschiedlich undbeeinflussen damit das Ranking der Webseiteauf der Suchergebnisseite. So werden z. B. dieals Überschriften deklarierten Textteile höherals herkömmliche Textpassagen bewertet. Wei-terhin stellen die eigentlichen Seiteninhalteeinen wichtigen Ansatzpunkt für Suchmaschi-nen dar, um die Relevanz von Webseiten zubeurteilen. Aus diesem Grund versuchen vieleUnternehmen solche Schlüsselwörter auf denWebseiten zu platzieren, die die Anwender mithoher Wahrscheinlichkeit als Suchbegriff ver-wenden. Findet die Suchmaschine das betref-fende Suchwort besonders häufig auf einerWebseite, wird sie entsprechend hoch auf derSuchergebnisseite angezeigt. Allerdings hat

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sich die Sortierung der Suchergebnisse alleinanhand dieses Kriteriums als manipulations-anfällig erwiesen. So wurden z. B. häufig ge-suchte Suchbegriffe – selbst wenn sie nicht imZusammenhang mit der eigentlichen Webseitestanden – bewusst in den HTML-Code inte-griert, um bessere Platzierungen auf den Ergeb-nislisten zu erzielen.

Des Weiteren spielt die Analyse der Link-struktur eine wichtige Rolle, um auf die inhalt-liche Relevanz und Qualität von Webseiten zuschließen. Dem liegt die Annahme zugrunde,dass auf populäre bzw. inhaltlich anspruchs-volle Webseiten besonders viele Hyperlinksverweisen und im Gegensatz dazu Seiten mitinferioren Inhalten wenig verlinkt sind. In Kom-bination mit inhaltlichen Kriterien lassen sichaufgrund der Analyse der Linkstruktur weitausbessere Suchergebnisse erzielen, als das alleinauf Basis inhaltlicher Kriterien möglich wäre.Allerdings hat sich auch dieses Kriterium alsmanipulationsanfällig erwiesen (vgl. hierzuausführlicher [Maaß 2008]). Beim sogenanntenCloaking wird z. B. versucht, durch spezielleSoftwarelösungen auf dem Webserver des Sei-tenanbieters zu erkennen, ob es sich bei demBesucher um Menschen oder Suchmaschinen-roboter handelt. Letztgenannte werden dannauf eine für sie optimierte Seite weitergeleitet,auf der zahlreiche Hyperlinks und ausgewählteSchlüsselwörter platziert wurden, um einehohe Linkpopularität vorzutäuschen. Ohne andieser Stelle eine umfassende Diskussion derProblemfelder algorithmenbasierter Suchma-schinen – wie z. B. Linkfarmen oder DoorwayPages – führen zu wollen, geht aus diesen knap-pen Ausführungen dennoch hervor, dass dieRelevanz der Suchergebnisse von algorithmen-basierten Suchmaschinen von Kriterien ab-hängt, die sich in der Vergangenheit immerwieder als manipulationsanfällig erwiesen ha-ben. Das erklärt die mitunter nur geringe Pre-cision der Ergebnislisten dieser Suchmaschinen.

Im Gegensatz dazu erscheinen sozialeBookmarksysteme für die oben genannten

Manipulationsmethoden weitaus weniger an-fällig. Die Webseiten werden nicht durch einenSuchmaschinenroboter, sondern durch die An-wender auf ihre inhaltliche Relevanz kontrol-liert. Für sie sind weniger die Linkstruktur oderdie Aufarbeitung des HTML-Codes als die in-haltliche Informationsqualität des jeweiligenWebangebots ein ausschlaggebendes Krite-rium, um die Seite in den persönlichen Link-katalog aufzunehmen. Soziale Bookmarksyste-me bewerten die Qualität von Webseiten aufdieser Grundlage umso höher, je mehr Anwen-der die Seite als Favorit gespeichert haben. So-mit können Webseiten, die von Nutzern derCommunity als sehr gut bewertet worden sind,bei den Suchergebnissen sozialer Bookmarksys-teme sehr weit oben erscheinen, obwohl die ei-gentliche Seite kaum mit anderen Webseitenverlinkt ist.

Hypothese 5: In der Wahrnehmung der Nutzersind die Suchergebnisse von sozialen Suchdiens-ten im Vergleich zu algorithmenbasierten Such-maschinen glaubwürdiger.

Bei sozialen Bookmarksystemen handelt es sichim Prinzip um eine Art »Kundenbewertung/-empfehlung«, die im eCommerce bereits seitgeraumer Zeit verwendet und von den Kundenals besonders glaubwürdig angesehen wird.Diesen Umstand nutzen auch soziale Such-dienste, um die Glaubwürdigkeit der Such-ergebnisse zu unterstreichen. Die Communityfungiert insofern als eine Art Filter, um Inhaltemit geringer Qualität herauszufiltern (vgl. auch[Gräfe 2005, S. 76]).

Hypothese 6: Die Qualität von Tags wird durchdie Integration semantischer Technologien inden nächsten Jahren steigen.

Die bislang positive Einschätzung sozialer Such-dienste relativiert sich jedoch, da es bei der An-notierung der Links durch die Anwender häufigzu Problemen kommt. So stellt Lee im Zugeeiner Untersuchung des weltweit führenden

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sozialen Bookmarksystems delicio.us fest, dassetwa 20 % der Anwender gänzlich auf dieAnnotierung ihrer Bookmarks verzichten [Lee2006, S. 193]. Weiterhin führen unterschied-liche Schreibweisen und subjektive Kombina-tionen von Tags zu mehr oder weniger diffusenFolksonomien. Daher kommt es immer wiederzu Fehlern, wenn es z. B. um die Suche nach zu-sammenhängenden Themen und Inhaltengeht. Allerdings ist davon auszugehen, dassProbleme wie Rechtschreibfehler auf tech-nischer Ebene relativ zeitnah gelöst werdenkönnen. So gleichen algorithmenbasierte Such-maschinen z. B. bereits seit geraumer Zeit Such-anfragen mit einem vorgegebenen Vokabularab, um Rechtschreibfehler zu identifizieren unddem Suchenden ein orthografisch korrektesSuchwort vorzuschlagen. Weiterhin sind ge-genwärtig mehrere Forschungsvorhaben zu be-obachten, die semantische Technologien mitsozialen Softwarelösungen verknüpfen und so-mit die skizzierten Probleme adressieren. EinZiel ist z. B. die automatische Extrahierung vonMetadaten, um das Tagging zu vereinfachen(vgl. hierzu z. B. [Wu et al. 2006]).

4 Ausblick

Aus den vorangegangenen Ausführungen gehthervor, dass die Stärke sozialer Bookmark-systeme vor allem darin zu sehen ist, dass siedie inhaltliche Qualität von Webseiten besserals algorithmenbasierte Suchmaschinen ein-schätzen können. Zudem können durch dieErgänzung von Tags inhaltlich relevante Ver-bindungen hergestellt werden, die bei einermaschinellen Analyse der Webseiteninhalteverborgen bleiben. Ebenso deutlich wurde aberauch, dass solche Suchdienste im Hinblick aufdie Indexgröße und -aktualität bislang nochnicht mit algorithmenbasierten Suchmaschi-nen konkurrieren können. Letztere werden so-mit nicht durch soziale Suchdienste ersetzt,sondern vielmehr in qualitativer Hinsicht er-gänzt. Für Betreiber algorithmenbasierter

Suchmaschinen wäre insofern ein interessanterAnsatz darin zu sehen, die Ergebnisse sozialerBookmarksysteme in ihre Suchergebnislisten zuintegrieren, um die Qualität der Suchergebnissezu verbessern. Für die Durchführung zukünf-tiger Retrieval-Tests bedeutet das, dass die ver-wendeten technischen Kennzahlen um Mess-größen zu erweitern sind, die eine genauereEinschätzung der inhaltlichen Informations-qualität erlauben.

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Dr. Gernot GräfeSiemens AGSiemens IT Solutions and ServicesFürstenallee 1133102 [email protected]

Dr. Christian MaaßAutoScout24 GmbHRosenheimerStr. 143b81671 Mü[email protected]

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