9
FORSCHUNG VIELSTOFFGEMISCHE 262 Wink M: Wie funktionieren Phytopharmaka? Zeitschrift für Phytotherapie 2005; 26: 262–270. Sekundärstoffe dienen als Abwehr- und Signalstoffe Zunächst soll die Frage erörtert werden, wa- rum und wozu Pflanzen überhaupt Sekun- därstoffe produzieren. Pflanzen benötigen Sekundärstoffe, um sich gegen ihre diversen Feinde, die sie ständig umgeben und denen sie permanent ausgesetzt sind, wie Pflan- zenfressern, Bakterien, Pilze, Viren und kon- kurrierende Pflanzen, zu schützen (Abb. 1). Sekundärstoffe werden von Pflanzen auch als Signalstoffe eingesetzt, um bestäubende und samenverbreitende Tiere anzulocken; sie können auch als UV-Schutzsubstanzen und N- und C-Speicherstoffe dienen (Abb. 2). In vielen Fällen hat ein Sekundärstoff mehr als eine Funktion. Da in den Pflanzen meist komplexe Gemische an unterschiedlichen Sekundärstoffen mit diversen Bioaktivitäten vorliegen, verfügen Pflanzen über einen Cocktail an Aktivstoffen mit sehr breiter Wir- kung (4, 7, 8, 9, 12, 15, 17, 18). Vielfach werden Arzneipflanzen und Phy- totherapeutika als bloße Plazebos angese- hen, obwohl klinische Studien und Erfah- rungswissen in sehr vielen Fällen eine Wirksamkeit belegt haben (1, 3, 5, 10, 14, 23). Die Diskriminierung der Phytophar- maka liegt unter anderem an der Schwie- rigkeit, die für die Wirksamkeit verant- wortlichen Substanzen eindeutig zu ermit- teln. Zudem besteht häufig die Erwartung, eine einzige Wirksubstanz zu finden, ob- wohl die Arzneipflanzen, die in der tradi- tionellen Medizin und Phytotherapie seit vielen Jahren genutzt werden, fast immer komplexe Gemische an Sekundärstoffen enthalten. Man geht berechtigterweise da- von aus, dass es diese Sekundärstoffe sind, die auch für die Wirksamkeit einer Droge verantwortlich gemacht werden können. Diese Übersicht will versuchen, die Wirk- mechanismen der Aktivstoffe aus Arznei- pflanzen aus evolutionärer und ökologi- scher Sicht zu erhellen. Sekundärstoffe interagieren mit molekularen Targets Im Verlauf der Evolution ist eine hohe strukturelle Diversität an Sekundärstoffen (Abb. 3) entstanden (2, 4, 6, 11), deren Wirkmechanismen unterschiedlich opti- miert wurden. Da die Sekundärstoffe eine biologische Funktion haben (Abwehr von Herbivoren, Mikroorganismen), müssen sie auch über nachweisliche pharmakolo- gische Aktivitäten verfügen. Wie wirken diese Sekundärstoffe? Während die Phar- makologie früher ihre Experimente am lebenden Organismus durchführte, steht heute die Untersuchung der molekularen Wirkmechanismen im Vordergrund. Wenn man nur nachschaut, ist man auch für die meisten Sekundärstoffe in der Lage, rele- vante molekulare Wirkmechanismen zu entdecken. In Abb. 4 und 5 sind einige der wichtigsten molekularen Targets aus Bak- terien und tierischen Zellen aufgeführt, mit denen Sekundärstoffe interagieren kön- nen. Einige Sekundärstoffe haben im Verlauf der Evolution offenbar ein stringentes »evolu- tionäres Modelling« durchlaufen und sind in der Lage, selektiv mit einem molekula- ren Target im tierischen oder mikrobiellen Organismus (z.B. Neuro- und Hormonre- zeptoren; Ribosomen) zu interagieren (Abb. 6) (13, 19, 23). Beispielsweise ist Phy- sostigmin in der Lage, die Acetylcholin- esterase selektiv zu hemmen. Oder Isofla- vone, wie Genistein, binden an den Östro- genrezeptor und üben einen östrogenen Effekt aus (sog. Phytoöstrogene). Der Vor- teil solcher Substanzen für die Pflanze liegt darin, dass diese Wirkstoffe einen ausge- prägten Effekt gegenüber tierischen Fein- den ausüben und gleichzeitig für die Pflan- ze ungefährlich sind, da entsprechende Wirkorte in ihr nicht vorkommen. Die Selektivität kann aber auch ein gewisser Nachteil sein, da eine Pflanze sich ihre Feinde nicht aussuchen kann und Physo- stigmin nicht hilft, wenn ein mikrobieller Angriff erfolgt. Selektiv wirksame Substanzen Die Wirkstoffe, die selektiv an einem zen- tralen zellulären Target angreifen, gelten meistens als stark wirksam. Viele von ih- Wirkmechanismen der Vielstoffgemische Michael Wink Wie funktionieren Phytopharmaka? ZUSAMMENFASSUNG Phytopharmaka enthalten in der Regel Vielstoffgemische, in denen Polyphenole und Terpene die auffälligsten Komponenten sind. Diese Inhaltsstoffe können als Breit- bandwirkstoffe angesehen werden, die mit Proteinen und Biomembranen als wich- tigen Zelltargets durch nichtkovalente Wechselwirkungen interagieren können. Aber auch kovalente Modifizierungen von Proteinen durch Senföle, Aldehyde, Epoxide, Sesquiterpenlactone, Allicin oder Iridoide stören die Protein-Konformation und damit ihre Wirkmechanismen und Fähigkeit, mit anderen Proteinen zu kommunizieren (cross talk). Da den meisten Erkrankungen multiple Proteinstörungen zugrunde liegen, kommt der unselektiven Modifizierung von Proteinen durch Sekundärstoffe eine besondere Bedeutung zu. Die Breitbandwirkung auf Proteine und Bio- membranen erklärt, warum Phytopharmaka wirksam sein können. Vielstoffgemische, kovalente und nichtkovalente Targetmodifizierung, Breitband- wirkstoffe Schlüsselwörter

Sekundärstoffe interagieren mit Wie funktionieren ... · nen werden in der Medizin als Einzelsub-stanzen eingesetzt, da man sie so besser dosieren kann. Dazu zählen: Ajmalicin,

  • Upload
    others

  • View
    2

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Sekundärstoffe interagieren mit Wie funktionieren ... · nen werden in der Medizin als Einzelsub-stanzen eingesetzt, da man sie so besser dosieren kann. Dazu zählen: Ajmalicin,

FO

RS

CH

UN

GV I E L S TO F FG E M IS C H E

262 Wink M: Wie funktionieren Phytopharmaka? Zeitschrift für Phytotherapie 2005; 26: 262–270.

➤ Sekundärstoffe dienen als Abwehr-und Signalstoffe

Zunächst soll die Frage erörtert werden, wa-rum und wozu Pflanzen überhaupt Sekun-därstoffe produzieren. Pflanzen benötigenSekundärstoffe, um sich gegen ihre diversenFeinde, die sie ständig umgeben und denensie permanent ausgesetzt sind, wie Pflan-zenfressern, Bakterien, Pilze, Viren und kon-kurrierende Pflanzen, zu schützen (Abb. 1).Sekundärstoffe werden von Pflanzen auchals Signalstoffe eingesetzt, um bestäubendeund samenverbreitende Tiere anzulocken;sie können auch als UV-Schutzsubstanzenund N- und C-Speicherstoffe dienen (Abb. 2).In vielen Fällen hat ein Sekundärstoff mehrals eine Funktion. Da in den Pflanzen meistkomplexe Gemische an unterschiedlichenSekundärstoffen mit diversen Bioaktivitätenvorliegen, verfügen Pflanzen über einenCocktail an Aktivstoffen mit sehr breiter Wir-kung (4, 7, 8, 9, 12, 15, 17, 18).

Vielfach werden Arzneipflanzen und Phy-totherapeutika als bloße Plazebos angese-hen, obwohl klinische Studien und Erfah-rungswissen in sehr vielen Fällen eineWirksamkeit belegt haben (1, 3, 5, 10, 14,23). Die Diskriminierung der Phytophar-maka liegt unter anderem an der Schwie-rigkeit, die für die Wirksamkeit verant-wortlichen Substanzen eindeutig zu ermit-teln. Zudem besteht häufig die Erwartung,eine einzige Wirksubstanz zu finden, ob-wohl die Arzneipflanzen, die in der tradi-tionellen Medizin und Phytotherapie seitvielen Jahren genutzt werden, fast immerkomplexe Gemische an Sekundärstoffenenthalten. Man geht berechtigterweise da-von aus, dass es diese Sekundärstoffe sind,die auch für die Wirksamkeit einer Drogeverantwortlich gemacht werden können.Diese Übersicht will versuchen, die Wirk-mechanismen der Aktivstoffe aus Arznei-pflanzen aus evolutionärer und ökologi-scher Sicht zu erhellen.

➤ Sekundärstoffe interagieren mitmolekularen Targets

Im Verlauf der Evolution ist eine hohestrukturelle Diversität an Sekundärstoffen(Abb. 3) entstanden (2, 4, 6, 11), derenWirkmechanismen unterschiedlich opti-miert wurden. Da die Sekundärstoffe einebiologische Funktion haben (Abwehr vonHerbivoren, Mikroorganismen), müssensie auch über nachweisliche pharmakolo-gische Aktivitäten verfügen. Wie wirkendiese Sekundärstoffe? Während die Phar-makologie früher ihre Experimente amlebenden Organismus durchführte, stehtheute die Untersuchung der molekularenWirkmechanismen im Vordergrund. Wennman nur nachschaut, ist man auch für diemeisten Sekundärstoffe in der Lage, rele-vante molekulare Wirkmechanismen zuentdecken. In Abb. 4 und 5 sind einige derwichtigsten molekularen Targets aus Bak-terien und tierischen Zellen aufgeführt, mitdenen Sekundärstoffe interagieren kön-nen.

Einige Sekundärstoffe haben im Verlauf derEvolution offenbar ein stringentes »evolu-tionäres Modelling« durchlaufen und sindin der Lage, selektiv mit einem molekula-ren Target im tierischen oder mikrobiellenOrganismus (z.B. Neuro- und Hormonre-zeptoren; Ribosomen) zu interagieren(Abb. 6) (13, 19, 23). Beispielsweise ist Phy-sostigmin in der Lage, die Acetylcholin-esterase selektiv zu hemmen. Oder Isofla-vone, wie Genistein, binden an den Östro-genrezeptor und üben einen östrogenenEffekt aus (sog. Phytoöstrogene). Der Vor-teil solcher Substanzen für die Pflanze liegtdarin, dass diese Wirkstoffe einen ausge-prägten Effekt gegenüber tierischen Fein-den ausüben und gleichzeitig für die Pflan-ze ungefährlich sind, da entsprechendeWirkorte in ihr nicht vorkommen. DieSelektivität kann aber auch ein gewisserNachteil sein, da eine Pflanze sich ihreFeinde nicht aussuchen kann und Physo-stigmin nicht hilft, wenn ein mikrobiellerAngriff erfolgt.

Selektiv wirksame SubstanzenDie Wirkstoffe, die selektiv an einem zen-tralen zellulären Target angreifen, geltenmeistens als stark wirksam. Viele von ih-

Wirkmechanismen der Vielstoffgemische

Michael Wink

Wie funktionieren Phytopharmaka?

ZUSAMMENFASSUNGPhytopharmaka enthalten in der Regel Vielstoffgemische, in denen Polyphenole undTerpene die auffälligsten Komponenten sind. Diese Inhaltsstoffe können als Breit-bandwirkstoffe angesehen werden, die mit Proteinen und Biomembranen als wich-tigen Zelltargets durch nichtkovalente Wechselwirkungen interagieren können. Aberauch kovalente Modifizierungen von Proteinen durch Senföle, Aldehyde, Epoxide,Sesquiterpenlactone, Allicin oder Iridoide stören die Protein-Konformation und damitihre Wirkmechanismen und Fähigkeit, mit anderen Proteinen zu kommunizieren (cross talk). Da den meisten Erkrankungen multiple Proteinstörungen zugrundeliegen, kommt der unselektiven Modifizierung von Proteinen durch Sekundärstoffeeine besondere Bedeutung zu. Die Breitbandwirkung auf Proteine und Bio-membranen erklärt, warum Phytopharmaka wirksam sein können.

Vielstoffgemische, kovalente und nichtkovalente Targetmodifizierung, Breitband-wirkstoffe

Schlüsselwörter

Page 2: Sekundärstoffe interagieren mit Wie funktionieren ... · nen werden in der Medizin als Einzelsub-stanzen eingesetzt, da man sie so besser dosieren kann. Dazu zählen: Ajmalicin,

nen werden in der Medizin als Einzelsub-stanzen eingesetzt, da man sie so besserdosieren kann. Dazu zählen: Ajmalicin,Ajmalin, Artemisinin, Atropin, Berberin,Bulbocapnin, Camptothecin, Chinidin,Chinin, Cinchonin, Cinchonidin, Cocain,Codein, Coffein, Colchicin, Digitoxin undDigoxin sowie andere Herzglykoside,Emetin, Ephedrin, Ergometrin, Ergotamin,Galanthamin, Lobelin, Morphin, Ouabain,Papaverin, Physostigmin, Pilocarpin, Podo-phyllotoxin und Derivate, Reserpin,Scopolamin, Spartein, Strychnin, Taxol,Thebain, Theobromin, Theophyllin, Tubo-curarin, Vinblastin und Vincristin sowieDerivate und Yohimbin.

»Breitbandwirkstoffe«Viele Pflanzen (und dazu zählen etliche,die wir heute in der traditionellen Medizin,z.B. TCM und Phytotherapie, einsetzen)weisen überhaupt keine stark wirksamenund selektiven Wirkstoffe auf. Wie schüt-zen sie sich vor ihren Feinden? Pflanzen

FO

RS

CH

UN

G

V I E L S TO F FG E M IS C H E

Tab. 1: Wechselwirkung von Sekundärstoffen (»Breitbandwirkstoffe«) mit Proteinen und Biomembranen

Wirkprinzip Sekundärstoff

Kovalente Modifikation

Reaktion von Aldehydgruppen mit Aminogruppen Iridoide, Terpene mit Aldehyd-

funktion

Reaktion von Isothiocyanat-Gruppen mit

Amino- und SH-Gruppen Senföle (Isothiocyanate)

Reaktion von Methylengrupppen mit SH-Gruppen Sesquiterpenlactone; Phenylpropane

Reaktion von Allylsulfiden mit SH-Gruppen Allicin

Reaktion von Epoxidgruppen mit Proteinen und DNA Valepotriate, metabolisch aktivierte

Sekundärstoffe

Reaktion mit Metallionen in Proteinen Chinone, Naphthochinone

Nichtkovalente Bindungen

Ionische Bindungen Phenole, Gerbstoffe, Säuren, Basen

Wasserstoffbrücken Phenole, Gerbstoffe, Anthrachinone

Van der Waals- und hydrophobe Wechselwirkungen lipophile Sekundärstoffe

(insbesondere Terpene)

Störung der Fluidität der Biomembran

Hydrophobe/amphiphile Wechselwirkungen Terpenoide, Saponine

Page 3: Sekundärstoffe interagieren mit Wie funktionieren ... · nen werden in der Medizin als Einzelsub-stanzen eingesetzt, da man sie so besser dosieren kann. Dazu zählen: Ajmalicin,

haben diese Aufgabe evolutionär offenbar dadurch gelöst, dasssie keine stark wirksamen Monosubstanzen, sondern Wirk-stoffgemische (meist als Vielstoffgemische vorliegend) erfun-den haben, die zelluläre Targets nicht selektiv, sondern eher als»Breitbandwirkstoffe« angreifen. Diese Wirkstoffgemischerichten sich gleichzeitig gegen zentral wichtige Zielstrukturender Zelle, z.B. Proteine und Biomembranen. Da diese Struktu-ren in allen Zellen, von tierischen über bakterielle bis pilzlicheZellen, ja sogar in Viren vorkommen, wirken solche Substanz-gemische nicht nur gegen tierische, sondern häufig auch gegenmikrobielle Feinde (Beispiele in Abb. 4 und 5)

In die Kategorie der Breitbandwirkstoffe fallen z.B. Senföle,Allicin, Iridoide, Aldehyde, Chinone, Alkamide, Polyene, Ses-quiterpenlactone mit exocyclischen Methylengruppen, diverseEpoxy-Verbindungen (die z.T. erst im Körper durch Meta-bolismus entstehen), also Substanzen, die mit zahlreichenProteinen, den wichtigsten Bausteinen einer Zelle, kovalenteBindungen eingehen können. Die dadurch hervorgerufeneStörung der Raumstruktur (Konformation) beeinträchtigt dieAktivität der Proteine (Abb. 7; Tab. 1).

Auch die Ausbildung zahlreicher und daher kooperativ wir-kender nichtkovalenter Bindungen über Wasserstoffbrückenund ionische Bindungen (z.B. durch phenolische Hydroxyl-gruppen in Polyphenolen wie Flavonoiden, Gerbstoffen,Anthrachinonen und Phenylpropanen) führt zu einer Konfor-mationsänderung bei Proteinen (Abb. 8; Tab. 1) (13, 23). Eineeinzelne OH-Gruppe ist wenig bedeutsam, die vereinte Akti-vität mehrerer phenolischer OH-Gruppen ist dagegen wirk-sam. Man kann dies mit einem Reißverschluss vergleichen:Wenn nur wenige Glieder zusammen sind, kann man ihn leichtlösen. Ist der Reißverschluss komplett über eine größere Längegeschlossen, wirken die Einzelelemente kooperativ und dieVerbindung ist stabil.

V I E L S TO F FG E M IS C H E

Herbivore Mikroorganismen

Herzglykoside

Na+/K+-ATPase

Fluidität vonBiomembranen

Abb. 1: Pflanzen setzen Sekundärstoffe mit multipler Funktion zur Abwehrvon Pflanzenfressern und Mikroorganismen ein. Der Fingerhut produziertu.a. Herzglykoside, die selektiv die Na+/K+-ATPase tierischer Organismenhemmen. Außerdem reagieren sie als Tenside und können unselektiv dieFluidität von Biomembranen aller Zelltypen stören; daher haben sie auchantimikrobielle und zytotoxische Eigenschaften

Page 4: Sekundärstoffe interagieren mit Wie funktionieren ... · nen werden in der Medizin als Einzelsub-stanzen eingesetzt, da man sie so besser dosieren kann. Dazu zählen: Ajmalicin,

Proteinstrukturen werden im Innern durch hydrophobe Inter-aktionen zusammengehalten. Die Einlagerung von lipophilenTerpenen ins Innere von hydrophoben Proteinen wird deshalbdie Proteinkonformation ebenfalls stark beeinflussen.

Ein weiteres zentrales Target ist die Biomembran einer Zelle(auch die von Bakterien und Pilzen), die leicht durch zahlreichelipophile bzw. amphiphile Substanzen (z.B. Saponine und an-dere Terpene) nachhaltig gestört werden kann (Abb. 9; Tab. 1).Solche Substanzen sind in Wasser sehr schlecht löslich undwerden sich deshalb im wässrigen Milieu der Zelle spontan inlipophile Biomembranen einlagern und somit deren Fluiditätund Dichtigkeit beeinflussen. Auch die Funktion zahlreicherMembranproteine (Ionenkanäle, Rezeptoren und Transporter),deren korrekte Konformation von einer engen Interaktion mitden Membranlipiden abhängt, wird durch membranaktive Se-kundärstoffe gestört. Die lipophilen Substanzen drängen sichzwischen die Membranlipide und die lipophilen Reste der Pro-teine, sodass die enge Interaktion zwischen Membranprotei-nen und Phospholipiden und Cholesterol gestört wird. Mem-branproteine können zusätzlich durch kovalente und nichtko-valente Modifikationen über Polyphenole oder andere funk-tionelle Gruppen (s. Abb. 7) in ihrer Funktion gestört werden.

Etliche Sekundärstoffe, die Proteine angreifen können, sindauch in der Lage, mit DNA und RNA zu interagieren (22). Be-rüchtigt sind Pyrrolizidinalkaloide, Aristolochiasäure, Ptaqui-losid, Cycasin, Saffrol oder Furanocumarine, die Nucleinsäurenkovalent modifizieren und zu Mutationen, Missbildungen undKrebs führen können. Lipophile und planare Sekundärstoffewie Berberin, Sanguinarin, Emetin, Anthrachinone oder Fura-nocumarine können sich zwischen die Basenstapel einlagern(so genannte Interkalatoren). Interkalationen können zuFrameshift-Mutationen führen, mit der möglichen Folge desFunktionsausfalls von Proteinen. Diese Aktivitäten können un-ter Umständen auch in Arzneipflanzen auftreten; deshalb ist essinnvoll, auch bei ihnen auf solche Nebenwirkungen zu prüfen.

V I E L S TO F FG E M IS C H E

Funktion

Sekundärstoffe

Abwehr

Herbivore/Prädatoren•Insekten•Mollusken•Vertebraten

Mikroben/Viren•Bakterien•Pilze

Konkurrenten

Anlockung

•bestäubende Insekten•samenverbreitende Tiere•Rhizobien•angepasste Spezialisten

UV-SchutzN-Speicherung

Abb. 2: Übersicht über die wichtigsten Funktionen der Sekundärstoffe

Page 5: Sekundärstoffe interagieren mit Wie funktionieren ... · nen werden in der Medizin als Einzelsub-stanzen eingesetzt, da man sie so besser dosieren kann. Dazu zählen: Ajmalicin,

➤ Speicherung und Lokalisation derSekundärstoffe in Pflanzen

Pflanzen speichern die Abwehrstoffe oft inhoher Konzentration in Organen, die fürdas Überleben wichtig sind (z.B. Blüten,Früchte, Samen, Zwiebeln). Dies ist sichereiner der Gründe dafür, dass diese Pflan-zenteile häufig pharmazeutisch verwendetwerden. Die Speicherorte sind oft strate-gisch »gewählt«, d.h. die Gewebe, diezuerst einem Angriff ausgesetzt sind, wiedie Abschlussgewebe, weisen häufig höhe-re Sekundärstoffmengen auf als im Inneren

liegende Gewebe. Man denke an die Senf-ölglykoside in der Schale der Radieschenoder an die Terpene in der Orangenschale.

Die Wirkstoffe, insbesondere solche, dieauch molekulare Targets in Pflanzen an-greifen können, sind in vielen Fällen auchfür die Pflanze gefährlich. Die wasserlös-lichen Substanzen werden daher häufig inder Vacuole gelagert, wo sie den Stoff-wechsel weniger stören. Lipophile Sub-stanzen findet man im Milchsaft, im Harz,in der Cuticula oder in toten Speicherzellen(17). Eine Reihe von Sekundärstoffen wird

erst neu gebildet (so genannte Phytoalexi-ne), wenn eine Pflanze durch einen Pilz in-fiziert oder durch ein Herbivor verletztwurde (4, 15, 17, 18, 23). Eine weitere Maß-nahme besteht darin, Wirkstoffe als inakti-ve Vorstufen (»Prodrugs«) zu speichern, dieerst im Verteidigungsfall aktiviert werden(z.B. durch Abspaltung eines Zucker- oderSäurerests durch Beta-Glucosidasen oderEsterasen in der verletzten Pflanze odererst im Tier) (Tab. 2). Diese Phänomenesind auch für die Phytotherapie wichtig,denn ein falsch hergestellter oder falschgelagerter Extrakt, der keinen Aktivstoffoder nur die inaktiven Vorstufen enthält,kann unwirksam sein (20). Lässt man einePflanze langsam trocknen (mit oder ohneVerletzung), so werden die Vorstufendurch enzymatische Prozesse aktiviert. Eindaraus gewonnener Extrakt enthält die ak-tiven Wirkstoffe, sofern diese nicht vorzei-tig mit anderen Extraktkomponenten rea-gieren. Trocknet man die Pflanze schnellbei höheren Temperaturen, so werden dieEnzyme inaktiviert und ein aus diesem Ma-terial gewonnener Extrakt enthält nur dieProdrugs. Wenn diese Prodrugs im Körperaktiviert werden (z.B. im Darm oder Leber),so stehen sie ebenfalls zur Verfügung. Z.B.wird Salicin aus der Weidenrinde im Darmdurch Mikroorganismen in den Salicylalko-hol gespalten, der nach Resorption in derLeber zur aktiven Salicylsäure umgesetztwird. Da die Salicylsäure die Magen- undDarmepithelien schädigen würde, ist es indiesem Fall sicher adäquat, die Droge so zubehandeln, dass nur die Prodrug-Form zurExtraktion gelangt.

➤ Bedeutung der Breitbandwirkstoffefür die Phytotherapie

Proteine gehören zu den wichtigsten mole-kularen Werkzeugen oder Maschinen inunserem Körper, die eine Vielzahl vonFunktionen ausüben (Tab. 3). Entwicklungund Stoffwechsel können nur funktionie-ren, wenn die Proteine zum richtigen Zeit-punkt in ausreichender Menge am richti-gen Ort vorhanden sind und mit anderenProteinen interagieren (die Biochemikernennen dies »Cross talk«). Eine entschei-dende Voraussetzung dafür ist, dass sie inder richtigen Konformation vorliegen.

FO

RS

CH

UN

GV I E L S TO F FG E M IS C H E

266 Wink M: Wie funktionieren Phytopharmaka? Zeitschrift für Phytotherapie 2005; 26: 262–270.

Tab. 2: Sekundärstoffe, die als inaktive Vorstufen gespeichert werden

Vorstufe Aktivstoff Aktivierungsmechanismus

Cyanglykoside HCN und Aldehyd Beta-Glucosidase, Nitrilase

Senfölglykoside Senföle Myrosinase

Ranunculin Protoanemonin Beta-Glucosidase

Flavonoid-Glykoside freie Flavonoide Beta-Glucosidase

Anthrachinon-Glykoside freie Anthrone Beta-Glucosidase

Methylsalicylat Salicylsäure Esterase

Salicin Salicylalkohol, Salicylsäure Beta-Glucosidase

Bidesmosidische Saponine monodesmosid. Saponine Beta-Glucosidase, (Esterase)

Cumaroylglykosid Cumarin Beta-Glucosidase

Arbutin-Glykosid Arbutin Beta-Glucosidase

Iridoidglykoside Iridodial Beta-Glucosidase

Abb. 3: Strukturdiversität der pflanzlichen Sekundärstoffe mit Anzahl bekannter Substanzen

Mit Stickstoff– Alkaloide (1) 14000– Nichtproteinogene Aminosäuren (2) 700– Amine (3) 100– Cyanglykoside (4) 100– Glucosinolate (5) 100– Peptide, Polypeptide 1000

Ohne Stickstoff– Monoterpene, Iridoide (6) 2500– Sesquiterpene (7) 5000– Diterpene (8) 2500– Triterpene, Saponine, Steroide (9) 5000– Tetraterpene 500– Flavonoide, Gerbstoffe (10) 4000– Polyacetylene, Wachse (11) 1000– Polyketide (12) 750– Phenylpropane, Cumarine, Lignane 2000

Page 6: Sekundärstoffe interagieren mit Wie funktionieren ... · nen werden in der Medizin als Einzelsub-stanzen eingesetzt, da man sie so besser dosieren kann. Dazu zählen: Ajmalicin,

starken Wirksamkeit; viele von ihnen wer-den inzwischen als Reinsubstanzen medi-zinisch genutzt.

Die Wirksamkeit der Phytotherapie wirdnicht selten angezweifelt, weil es häufigunmöglich ist, die beobachteten Wirkun-gen mit einer einzelnen Wirksubstanz inZusammenhang zu bringen. Da die moder-

Viele Gesundheitsstörungen und Krank-heiten beruhen auf einem Ungleichge-wicht bzw. Störung von Proteinen, von Pro-tein-Protein- und von Protein-DNA-Wech-selwirkungen. Diese Defekte können letzt-lich auf Mutationen in den proteinko-dierenden Genen, auf einer Veränderungder zugehörigen Kontrollgene, auf Verlet-zungen oder auf Infektionen mit Bakterien,Pilzen, Parasiten oder Viren zurückgeführtwerden. Auch ein Angriff des Immunsys-tems auf körpereigene Bestandteile fällt indiese Kategorie. Wie bereits ausgeführt, istauch die Integrität von Biomembranen undMembranproteinen für die Funktion jederZelle von außerordentlicher Wichtigkeit.Proteinen und Biomembranen kommt da-her als molekulare Targets für Arzneistoffeeine zentrale Bedeutung zu.

Die Nutzung von Arzneipflanzen in derPhytotherapie ist vor diesem Hintergrundzu sehen. Pflanzen der Phytotherapie ent-halten Wirkstoffgemische, die unter-schiedliche zelluläre Komponenten (Abb.4–9) angreifen können, die auch bei Krank-heiten oder Gesundheitsstörungen rele-vant sind. Wirkstoffe, die selektiv an Re-zeptoren, Enzymen oder Ionenpumpen an-greifen, sind meist seit langem bekanntund werden medizinisch heute meist alsReinsubstanzen genutzt (z.B. Herzglykosi-de, Alkaloide) (16, 19, 23).

Von 320 Arzneipflanzenmonographien,welche die wichtigsten Arzneipflanzen derWelt abhandeln (23), enthalten nur 9%stark wirksame selektive Wirkstoffe. Demstehen 91% Arzneipflanzen gegenüber, de-ren Wirkstoffe eher in die Klasse der unse-lektiven bzw. Breitbandwirkstoffe fallen.Diese Arzneipflanzen weisen meist Viel-stoffgemische auf, die sowohl Verbindun-gen aus der Klasse der Terpene als auchPolyphenole umfassen. Tab. 4 zeigt eineStatistik der Inhaltsstoffgruppen derArzneipflanzen mit Breitbandwirkung.Demnach zählen Flavonoide, Cumarine,Furanocumarine, Gerbstoffe, Mono- undSesquiterpene, Steroide, Triterpene undSaponine zu den in Arzneipflanzen amhäufigsten vorkommenden Inhaltsstoffen.Während Alkaloide zwar die größte Grup-pe an Sekundärstoffen stellen (Abb. 1),sind sie in der Kategorie »Phytotherapie«nur wenig repräsentiert. Das liegt an ihrer

ne Medizin außerdem Monosubstanzenmit definierter Wirkung und definiertenTargets vorzieht, wird die Phytotherapiemit ihren Vielstoffgemischen häufig belä-chelt und in die Kategorie »Plazebo« ge-stellt. Hilft hier die evolutionäre und öko-logische Perspektive, die in der Einleitungdiskutiert wurde, weiter?

FO

RS

CH

UN

G

V I E L S TO F FG E M IS C H E

267Wink M: Wie funktionieren Phytopharmaka? Zeitschrift für Phytotherapie 2005; 26: 262–270.

Zellwand•Penicillin•Vancomycin•Cephalosporin

Ribosomen•Tetracyclin•Streptomycin•Erythromycin•Chloramphenicol

Polysomen

Plasmide

DNAReplikation

•AlkaloideTranskription

•RifamycinGyrase

•Chinolone

Biomembran•Polymixine•Terpenoide•Saponine

Proteine�Transporter�Enzyme�Strukturproteine�Regulatorische Proteine

•Polyphenole•Isothiocyanate•Aldehyde•SH-Reagentien•Epoxide•Terpenoide

Abb. 4: Molekulare Targets der Bakterienzelle, an denen Sekundärstoffe angreifen können

Tab. 3: Beispiele für Proteinklassen und Funktionen von Proteinen

Proteinklasse Funktion

Enzyme wichtigste Katalysatoren für anabole und katabole

Reaktionsprozesse

Hämoglobin O2- und CO2-Transport; Transport von polaren Molekülen

über Biomembranen

Rezeptoren Werkzeug zur Erkennung von äußeren und inneren

Signalen

regulatorische Proteine Signaltransduktion durch Protein- Protein-

Wechselwirkungen

Transkriptionsfaktoren Steuerung der Genaktivität

Antikörper Erkennung von Antigenstrukturen

Hormone, Signalsubstanzen Wirkstoffe mit Fernwirkung

Strukturproteine strukturelle Organisation von supramolekularen

Komplexen

Zytoskelett Aufbau von molekularen Netzwerken in der Zelle,

die wichtig für Form und Funktion sind

Motorproteine Muskelkontraktion

Page 7: Sekundärstoffe interagieren mit Wie funktionieren ... · nen werden in der Medizin als Einzelsub-stanzen eingesetzt, da man sie so besser dosieren kann. Dazu zählen: Ajmalicin,

FO

RS

CH

UN

GV I E L S TO F FG E M IS C H E

268 Wink M: Wie funktionieren Phytopharmaka? Zeitschrift für Phytotherapie 2005; 26: 262–270.

➤ Wie wirken Phytopharmaka?

Die moderne Medizin versucht, selektiveWirkstoffe (Zytostatika, Enzym- und Re-zeptormodulatoren) gegen gestörte mole-kulare Targets zu entwickeln. Da das hu-mane Genom gerade erst entziffert wurdeund viele Genfunktionen immer noch un-

bekannt sind, steht auch die molekulareMedizin mit ihrem rationalen Ansatz erstam Anfang (21). Infektionen werden seitca. 50 Jahren mit Antiinfektiva behandelt,d.h. mit Wirkstoffen, die mit molekularenTargets in Mikroorganismen oder Virenwechselwirken. Besonders wichtig ist dieAktivierung des Immunsystems (z.B. Imp-

fung), das in der Lage ist, infizierte Zellen,eingedrungene Mikroorganismen oderZellen mit modifizierten Eigenschaften(neue Oberflächenantigene) auszuschal-ten.

Spezifische Proteinmodulatoren greifendas aktive Zentrum oder die Ligandenbin-dungsstelle eines Proteins an, während un-selektive Wirkstoffe überall angreifen, wosie ein Protein zu fassen bekommen. Wiebereits mehrfach diskutiert, ist die richtigeKonformation eines Proteins für seine Ak-tivität oder für Protein-Protein-Wechsel-wirkungen von entscheidender Bedeu-tung. Proteinwirkstoffe, die Proteine gene-rell ausschalten sollen, zielen darauf ab, dieProteinkonformation zu stören. Dies kanndurch kovalente und nichtkovalente Bin-dungen in der Proteinperipherie (nicht-kompetitive Hemmung) zustande kom-men.

Die polyfunktionellen Eigenschaften derSekundärstoffe nutzen wir in der Phyto-therapie, wenn es gilt, bekannte und unbe-kannte Proteine, die im Körper überexpri-miert werden oder falsch programmiertsind, zu bremsen. Wenn die Konzentrationdes Arzneimittels hoch genug gewähltwurde und es zu einer Resorption kommt,ist die Wahrscheinlichkeit groß, solche

Tab. 4: Vorkommen der häufigsten Wirkstoff-klassen in Arzneipflanzen, die in der Phytotherapieeingesetzt werden

Wirkstoffklasse Häufigkeit [%]

Flavonoide 23

Monoterpene 16

Triterpene, Steroide, Saponine 16

Gerbstoffe 12

Alkaloide 7

Sesquiterpene 7

Iridoidglykoside 5

Polysaccharide 5

Bitter-/Scharfstoffe 3

Anthrachinone 2

ungesättigte Fettsäuren 2

Arbutin, Naphtochinone 1

Senföle, Allicin 1

Signal-transduktion•Alkaloide

Y

Actinfilamente•Cytochalasin B•Phalloidin•Latrunculin

Lysosom

Microtubuli•Taxol•Colchicin•Vinblastin•Podophyllotoxin

ER

Golgi•Indolizidinalkaloide

RibosomenProteinbiosynthese

•Emetin•Cycloheximid

DNA�Replikation�Transkription�Reparatur

•PAs•Cycasin•Furocumarine•Alkaloide•Camptothecin•Epoxide

Vesikel

Rezeptoren•Alkaloide Ionenkanäle

•Alkaloide

Transporter•Alkaloide

�Enzyme�Strukturproteine�Regul. Proteine

•Polyphenole•Isothiocyanate•Aldehyde•SH-Reagentien•Epoxide•Chinone

Biomembran•Saponine•Terpenoide Mitochondrium

•HCN

Abb. 5: Molekulare Targets der tierischen Zelle

-

HOOC C CH2

NH2

H

CH2 O C

NH2

NH

O

HN

O

OHH3C

N

N

H

H

O

N

N

OCOCH3

COOCH3OH

H3COOC

N

N

H

OH

CH3O

H3C

N

N

H3C

CH3

CH3

ON

CH3

O

COOH

H

H

OOCH2OH

-O3SO-O3SO O

C O

OHO

OCOCH3

CH2OH

HO

OCO(CH2)12CH3

O

O

O

OH

rha

OH

HO

OH

OH

O

O

OH

O

O

H3CO

OCH3

OCH3

COOH

OH

1

2

34

5

6

7

8910

NPASs

HyoscyaminLupanin

Physostigmin Vincristin

Podophyllotoxin

Atractalosid

Ouabain

TPA

Salizylsäure

Abb. 6: Selektiv wirkende Sekundärstoffe, die als Liganden zelluläre Targets (Rezeptoren, Enzyme, Struktur-proteine) modulieren können

Ligand – RezeptorErkennung

Page 8: Sekundärstoffe interagieren mit Wie funktionieren ... · nen werden in der Medizin als Einzelsub-stanzen eingesetzt, da man sie so besser dosieren kann. Dazu zählen: Ajmalicin,

FO

RS

CH

UN

G

V I E L S TO F FG E M IS C H E

269Wink M: Wie funktionieren Phytopharmaka? Zeitschrift für Phytotherapie 2005; 26: 262–270.

Proteine zu treffen und ihre Konformationzu beeinflussen. Mit den Breitbandwirk-stoffen lassen sich diese multiplen Protein-Targets treffen, auch wenn man sie nichteinmal kennt. Entsprechend häufig enthal-ten traditionelle Arzneipflanzen diversePolyphenole und Terpene als Hauptwirk-stoffe (Tab. 4), die unselektiv mit Proteinenund Membranproteinen in Wechselwir-kung treten können (Abb. 6–9); die struk-turelle Diversität ist hier also eher ein Vor-als ein Nachteil, wenn es gilt, komplexeund multiple Targets anzugreifen.

Störung der MembranfluiditätEtliche Arzneipflanzen werden traditionellbei diversen Infektionskrankheiten einge-setzt. Sekundärstoffgemische, die Proteine,Membranproteine und Biomembranen an-greifen, sind gegen Bakterien, Pilze undViren unselektiv aktiv. Dies gilt für Isothio-cyanate, Allicin, Saponine genauso wie fürdiverse Polyphenole und Mono- und Ses-quiterpene (Tab. 1). Neben der bereits be-sprochenen Wirkung gegen Proteine,kommt der Permeabilität und Fluidität derBiomembran große Bedeutung zu. Saponi-ne z.B. wirken wie Detergenzien, indem siemit dem lipophilen Molekülteil in die lipo-phile Membran eindringen und sich mitdem hydrophilen Zuckerrest an der Zell-oberfläche verankern. Damit wird dieMembranfluidität gestört, die Membranreißt auf und es bilden sich Löcher, durchdie der Zellinhalt ausfließen kann. DieseAktivität ist nicht selektiv und trifft Bak-terien, Pilzzellen und tierische Zellengleichermaßen. Diese Aktivität ist meistjedoch schwächer als die von Antibiotikaund Zytostatika; sie wirkt aber auch gegenAntibiotikaresistente Keime, was zukünf-tig bei Zunahme der Antibiotikaresisten-zen besonders wichtig werden wird.

Pflanzliche Wirkstoffe können auch mit re-gulatorischen Systemen des Körpers wech-selwirken. Bekannt ist, dass Isoflavone inder Lage sind, an die Rezeptoren von Östro-gen zu binden und phytoöstrogene Wirkun-gen hervorzurufen. Viele Arzneipflanzenmit entzündungshemmender und adapto-gener Wirkung enthalten Steroide und Tri-terpene; man kann vermuten, dass dieseSubstanzen aufgrund struktureller Ähnlich-keit mit Corticosteroiden in der Lage sind,corticomimetische Aktivitäten zu entfalten.

Vielstoffgemisch als ChanceEs ist mehrfach berichtet worden, dass einExtrakt aus einer Arzneidroge seine Wirk-samkeit verliert, wenn man ihn in seinechemischen Bestandteile fraktioniert. Diesdeutet daraufhin, dass eine Kooperativitätder verschiedenen Komponenten in einemVielstoffgemisch vorliegt. Wenn zugleich

Proteine und Biomembranen angegriffenwerden, ist der antimikrobielle Effekt si-cher größer als wenn nur ein einzelnes Tar-get bekämpft wird. Dies ist durchaus plau-sibel. Die Wirkung einer Einzelkomponen-te ist gewöhnlich gering, aber die Additionvieler einzelner Wirkungen führt zu einemmessbaren Gesamteffekt. Die Tradition der

Abb. 7: Kovalente Modifikation von Proteinen durch Sekundärstoffe (A= nach Aktivierung im menschlichenKörper)

O

OH

OH

O

COOH

OH

OH

OH

OH

OH

OHO

OH

OH

OH

HO

OH

O

HO

HO

OH O OH

CH3

CH3

OHOOH

HO

O

O

OO

O

OH

OHHO

O

O

O

O

O

OH

OH

OH

O

HO

HO

HO

OH

OH

OH

OH

OH

OH

O

O-

O

OH

OH

HN

N+

H

H

H

O-

O-

HO

OH

O

OOH

HO

OH

1

2

3

45

KonformationsänderungenGallotannine

Procyanidin

Dianthrone Flavonoide Rosmarinsäure

Wasserstoffbücken

Ionenbindung

Terpene

Abb. 8: Nichtkovalente Modifikation von Proteinen durch Sekundärstoffe über Wasserstoffbrücken, Ionen-bindungen und hydrophobe Interaktionen. Phenolische Hydroxylgruppen bilden unter physiologischenBedingungen Phenolate aus (also O–), die ionische und Wasserstoffbindungen eingehen können. Da Polyphenole mehrere phenolische OH-Gruppen aufweisen, kommt ein kooperativer Effekt zustande

Page 9: Sekundärstoffe interagieren mit Wie funktionieren ... · nen werden in der Medizin als Einzelsub-stanzen eingesetzt, da man sie so besser dosieren kann. Dazu zählen: Ajmalicin,

TCM, nicht nur das Vielstoffgemisch einerDroge zu nutzen, sondern mehrere Drogenzu kombinieren, erscheint daher in einemanderen Licht. Nicht geklärt ist die Frage,ob die Kooperativität lediglich additiv odersynergistisch ist; hier liegt ein erheblicherNachholbedarf auf der Forschungsseite.

Es ist sicher sinnvoll, Arzneipflanzen mitstark selektiven Wirkstoffen nicht als Viel-stoffextrakte, sondern als isolierte Mono-präparate einzusetzen, auch wenn sie dannnicht länger als Phytotherapeutika angese-hen werden und einem anderen Zulas-sungsverfahren unterliegen. Anderseitssollte man Arzneipflanzen, die nur Breit-bandwirkstoffe enthalten, weiterhin alsVielstoffgemische einsetzen. Da die Biover-fügbarkeit eine große Rolle spielt, kommtder adäquaten Dosierung eine besondershohe Bedeutung zu. Fragen der Resorptionund Metabolisierung der Einzelkompo-nenten und der Gemische stellen für dieForschung eine besondere Herausforde-rung dar, die es zukünftig zu meistern gilt.

Prof. Dr. Michael Wink Universität HeidelbergInstitut für Pharmazie und Molekulare BiotechnologieIm Neuenheimer Feld 36469120 Heidelberg

[email protected]

� LITERATUR

1 Barrett M: The Handbook of Clinically TestedHerbal Remedies. Vol. 1 and 2. Binghamton:Haworth Herbal Press; 2004.

2 Dewick PM: Medicinal Natural Products. A Biosynthetic Approach. New York: Wiley;2002.

3 Dingermann T, Loew D: Phytopharmakolo-gie. Stuttgart: WVG; 2003.

4 Harborne JB: Introduction to EcologicalBiochemistry. 4. ed. London: AcademicPress; 1993.

5 Jänicke C, Grünwald J, Brendler T: Handbuchder Phytotherapie. Stuttgart: WVG; 2003.

6 Luckner M: Secondary Metabolism inMicroorganisms, Plants and Animals.Heidelberg: Springer; 1990.

7 Roberts MF, Wink M: Alkaloids-Biochem-istry, Ecological Functions and MedicalApplications. New York: Plenum; 1998.

8 Rosenthal GA, Berenbaum MR: Herbivores:Their Interactions with Secondary PlantMetabolites. Vol. 1. The Chemical Partici-pants. San Diego: Academic Press; 1991.

9 Rosenthal GA, Berenbaum MR: Herbivores:Their In-teractions with Secondary PlantMetabolites. Vol. 2. Ecological and Evolu-tionary Processes. San Diego: AcademicPress; 1992.

10 Saller R, Reichling J, Hellenbrecht D: Phyto-therapie. Klinische, pharmakologische undpharmazeutische Grundlagen. Heidelberg:Haug; 1995.

11 Seigler DS: Plant Secondary Metabolism.Boston: Kluwer; 1998.

12 Swain T: Secondary compounds as protec-tive agents. Annu Rev Plant Physiol 1977;28: 479–501.

13 Teuscher E, Lindequist U: Biogene Gifte. 2. Aufl. Stuttgart: Fischer; 1994.

14 Wagner H, Wiesenauer M: Phytotherapie.Stuttgart: Fischer; 1995.

15 Wink M: Plant breeding: Importance of plantsecondary metabolites for protectionagainst pathogens and herbivores. TheorAppl Gen 1988; 75: 225–233.

16 Wink M (1993) Allelochemical Propertiesand the Raison d'être of Alkaloids. In: CordellG (ed.): The Alkaloids. Orlando: AcademicPress; 1993; Vol. 43: 1–118.

17 Wink M: Biochemistry of Plant SecondaryMetabolism. Sheffield: Academic Press,Annual Plant Reviews Vol. 2; 1999.

18 Wink M: Function of Plant Secondary Metab-olites and their Exploitation in Biotechnolo-gy. Sheffield: Academic Press, Annual PlantReviews, Vol. 3; 1999.

19 Wink M: Interference of Alkaloids withNeuroreceptors and Ion Channels. In: Atta-Ur-Rahman (ed.): Bioactive Natural Pro-ducts. Elsevier; 2000; Vol 11: 3–129.

20 Wink M: Evolution of secondary metabolitesfrom an ecological and molecular phyloge-netic perspective. Phytochemistry 2003; 64:3–19.

21 Wink M: Molekulare Biotechnologie.Weinheim: Wiley-VCH; 2004.

22 Wink M, Schimmer O: Modes of Action ofDefensive Secondary Metabolites. In: WinkM (ed.): Function of Plant Secondary Metab-olites and their Exploitation in Biotechnol-ogy. Sheffield: Academic Press, Annual PlantReviews, 1999; Vol. 3: 17–133.

23 Wyk BE van, Wink M: Medicinal Plants of theWorld. Pretoria: Briza; 2004.

The English summary is available online:www.thieme-connect.de

FO

RS

CH

UN

GV I E L S TO F FG E M IS C H E

270 Wink M: Wie funktionieren Phytopharmaka? Zeitschrift für Phytotherapie 2005; 26: 262–270.

Abb. 9: Interaktion von lipophilen Sekundärstoffen mit der Biomembran und Membranproteinen

Monoterpene Sesquiterpene Diterpene