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16 Migros-Magazin 45, 5. November 2007 Sendung mit der Maus «Ich bin die Maus» Der orange Weltstar: Seit 1971 stakst und schnuffelt die Maus durchs Fernsehen. In hundert Ländern lieben junge und greise Kinder «Die Sendung mit der Maus». Erfinder und Zeichner der Maus ist Friedrich Streich aus München. Der Mausvater – ist Schweizer! Ein Besuch in der Mausefalle. Hallo Mausfreunde. Das ist der Herr Streich. Der Herr Streich sitzt am Gartentisch und will was zeichnen. Leider regnet es heute. Macht aber nix. Er nimmt trotzdem Papier und Blei- stift – und schon kanns losgehen. Herr Streich zeichnet eine Trickfilmfigur, und zwar eine ganz berühmte – die Maus. Die kennt ihr bestimmt, aus der «Sendung mit der Maus». Seit 37 Jahren erfindet und zeichnet Herr Streich die Maus- geschichten. Wie er das macht und warum er das macht und was er in all den Jahren so mausiges erlebt hat – das lest ihr gleich hier. S o ungefähr würde sie klingen, die typische «Sendung mit der Maus»- Moderation. Jeden Sonntagmorgen, 11.30 Uhr, ARD. Eine heilige Fern- sehzeit für alle Kinder und die, die mal Kinder waren. Es ist das ewig gleiche Ritual: Die Maus-Titelmelodie ertönt, dann setzt die so- nore Bassstimme von Sachgeschichtenerzäh- ler Armin ein, der in seiner unverwechselbaren, kindsgerechten Art mit banal wie genial ein- fachen Staccato-Sätzen erklärt, was da gerade auf dem Film zu sehen ist. Die Sendung mit der Maus wird in hundert Ländern gezeigt, die Maus ist Kult, Popsongs und Doktorarbeiten wurden über sie geschrie- ben («Die Lerneffekte der Sendung mit der Maus aus der Sicht der kognitiven Entwick- lung nach Jean Piaget»). Die Maus steht auch im «Brockhaus» (Seite 931), thront in der Style-Bibel «Das Beste an Deutschland» (zu- sammen mit Weisswurst, Lufthansa und Gröne- meyer), und in Plüschform flog sie 1992 zur Weltraumstation Mir. Doch was niemand weiss: Die Maus ist auch ein bisschen Schweizerin. Ihr Vater ist Zürcher. «Dass ich Schweizer bin, hab ich bewusst nie gross erwähnt», sagt Maus- Zeichner Friedrich Streich (73). Sonst hätte es geheissen: Aha, ein Schweizer, darum trottet die Maus so langsam, und ihr «Ch-Ch»-Ge- schnuffel ist bestimmt schweizerdeutsch! Das Gartenhaus als Mausatelier Seit 37 Jahren verdient Friedrich Streich mit seiner Maus Mäuse. Über 350 Maus-Spots hat er produziert, «dramatisierte Witze», wie er sie nennt. Streich ist Künstler und Schwerarbeiter. Jeder Maus-Spot besteht aus vielen hundert Zeichnungen. Streich erfindet, kreiert und zeichnet vor, freie Mitarbeiterinnen kolorieren seine Arbeiten. 60 Sekunden Trickfilm, 25 Bilder pro Sekunde, drei Wochen Arbeit, ein Maus-Spot – und ein ganz spezielles Atelier. Ein Quartier im Norden Münchens. Ein Haus, ein grosser Garten und ein Gartenhäus- chen aus Holz, Streichs Reich, der Geburtsort aller Mäuse, der Kreisssaal der orangen Berühmtheit. 16 Quadratmeter klein ist der Schuppen. Überall Papier, Pinsel, Lupen, Trickfilmfachbücher, Buntstifte und Radier- gummis. In den Ecken türmen sich silberne 35-Millimeter-Filmdosen in Frisbeegrösse mit Etiketten wie «Spot 335», «Maus-Spot Falt- blumen». Daneben Kisten voller Maus-Souve- nirs: Mäuse aus Plüsch als Schlüsselanhänger, auf Kaffeetassen, Kugelschreibern und Son- nenhüten – ein einziges Mausoleum! Zwei Bleistifte in 37 Jahren Friedrich Streich sitzt an einem Tisch direkt am Fenster. Vor sich ein schräges Leuchtpult, 24 mal 32 Zentimeter gross. «Hier entsteht die Welt der Maus», sagt er und greift nach seinem Bleistift. Nicht irgendein Bleistift. Marke Pen- tel, schwarzer Kunststoff, silberne Abschlüsse – und total abgegriffen. Der hier sei sein zwei- ter Bleistift. «Mit dem ersten Stift zeichnete ich 25 Jahre lang, diesen hier habe ich seit 12 Jahren.» Und dann macht der Schweizer, der nicht mehr richtig Schweizerdeutsch spre- chen kann, was er am besten beherrscht – er zeichnet. Grosser Hintern, noch grösser der Bauch, riesige Nase, eckige Ohren, sechs Schnauzhaare, Augen, Arme, Beine. Und schon beginnt sie zu leben – die Maus. Der Trick mit dem Tack-tack-tack Einfach sind die Maus-Spots, «und doch un- heimlich schwierig», sagt Streich. «Bewegung, Rhythmus, Geräusche und Filmmusik müssen haargenau aufeinander abgestimmt sein.» Die Maus habe eine unverkennbare Gangart. «Tack-tack-tack – stimmt der Rhythmus nicht, wirkt die Maus nicht mehr echt, ja gar unsym- pathisch.» Streich stellt sich vor den grossen Spiegel in der Ecke. Er macht Bewegungen und studiert diese so lange, bis er sie maus- mässig zeichnen kann. Wie er jetzt da so durch sein Holzhäuschen geht … sein grauer, bu- schiger Schnauz erinnert an die kecke Schnau- ze der Maus; und wie der Mann schreitet – die- ser Tack-tack-tack-Schritt. Herr Streich, Sie gehen ja wie die Maus! Er grinst. «Nicht ich gehe wie die Maus, die Maus geht wie ich!» Als Kind liebte Fritz nichts so sehr wie Kino. «Ich war fasziniert vom Surren des

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16 Migros-Magazin 45, 5. November 2007Sendung mit der Maus

«Ich bin die Maus»Der orange Weltstar: Seit 1971 stakst und schnuffelt die Maus durchs Fernsehen. In hundert Ländern lieben junge und greise Kinder «Die Sendung mit der Maus». Erfinder und Zeichner der Maus ist Friedrich Streich aus München. Der Mausvater – ist Schweizer! Ein Besuch in der Mausefalle.

Hallo Mausfreunde. Das ist der Herr Streich. Der Herr Streich sitzt am Gartentisch und will was zeichnen. Leider regnet es heute. Macht aber nix. Er nimmt trotzdem Papier und Blei-stift – und schon kanns losgehen. Herr Streich zeichnet eine Trickfilmfigur, und zwar eine ganz berühmte – die Maus. Die kennt ihr bestimmt, aus der «Sendung mit der Maus». Seit 37 Jahren erfindet und zeichnet Herr Streich die Maus-geschichten. Wie er das macht und warum er das macht und was er in all den Jahren so mausiges erlebt hat – das lest ihr gleich hier.

So ungefähr würde sie klingen, die typische «Sendung mit der Maus»-Moderation. Jeden Sonntagmorgen, 11.30 Uhr, ARD. Eine heilige Fern-

sehzeit für alle Kinder und die, die mal Kinder waren. Es ist das ewig gleiche Ritual: Die Maus-Titelmelodie ertönt, dann setzt die so-nore Bassstimme von Sachgeschichtenerzäh-ler Armin ein, der in seiner unverwechselbaren, kindsgerechten Art mit banal wie genial ein-fachen Staccato-Sätzen erklärt, was da gerade auf dem Film zu sehen ist.

Die Sendung mit der Maus wird in hundert Ländern gezeigt, die Maus ist Kult, Popsongs und Doktorarbeiten wurden über sie geschrie-ben («Die Lerneffekte der Sendung mit der Maus aus der Sicht der kognitiven Entwick-lung nach Jean Piaget»). Die Maus steht auch im «Brockhaus» (Seite 931), thront in der Style-Bibel «Das Beste an Deutschland» (zu-sammen mit Weisswurst, Lufthansa und Gröne- meyer), und in Plüschform flog sie 1992 zur Weltraumstation Mir. Doch was niemand weiss: Die Maus ist auch ein bisschen Schweizerin. Ihr Vater ist Zürcher. «Dass ich Schweizer bin, hab ich bewusst nie gross erwähnt», sagt Maus-Zeichner Friedrich Streich (73). Sonst hätte es geheissen: Aha, ein Schweizer, darum trottet die Maus so langsam, und ihr «Ch-Ch»-Ge-schnuffel ist bestimmt schweizerdeutsch!

Das Gartenhaus als MausatelierSeit 37 Jahren verdient Friedrich Streich mit seiner Maus Mäuse. Über 350 Maus-Spots hat er produziert, «dramatisierte Witze», wie er sie nennt. Streich ist Künstler und Schwerarbeiter. Jeder Maus-Spot besteht aus vielen hundert

Zeichnungen. Streich erfindet, kreiert und zeichnet vor, freie Mitarbeiterinnen kolorieren seine Arbeiten. 60 Sekunden Trickfilm, 25 Bilder pro Sekunde, drei Wochen Arbeit, ein Maus-Spot – und ein ganz spezielles Atelier.

Ein Quartier im Norden Münchens. Ein Haus, ein grosser Garten und ein Gartenhäus-chen aus Holz, Streichs Reich, der Geburtsort aller Mäuse, der Kreisssaal der orangen Berühmtheit. 16 Quadratmeter klein ist der Schuppen. Überall Papier, Pinsel, Lupen, Trickfilmfachbücher, Buntstifte und Radier-gummis. In den Ecken türmen sich silberne 35-Millimeter-Filmdosen in Frisbeegrösse mit Etiketten wie «Spot 335», «Maus-Spot Falt-blumen». Daneben Kisten voller Maus-Souve-nirs: Mäuse aus Plüsch als Schlüsselanhänger, auf Kaffeetassen, Kugelschreibern und Son-nenhüten – ein einziges Mausoleum!

Zwei Bleistifte in 37 JahrenFriedrich Streich sitzt an einem Tisch direkt am Fenster. Vor sich ein schräges Leuchtpult, 24 mal 32 Zentimeter gross. «Hier entsteht die Welt der Maus», sagt er und greift nach seinem Bleistift. Nicht irgendein Bleistift. Marke Pen-tel, schwarzer Kunststoff, silberne Abschlüsse – und total abgegriffen. Der hier sei sein zwei-ter Bleistift. «Mit dem ersten Stift zeichnete ich 25 Jahre lang, diesen hier habe ich seit 12 Jahren.» Und dann macht der Schweizer, der nicht mehr richtig Schweizerdeutsch spre-chen kann, was er am besten beherrscht – er zeichnet. Grosser Hintern, noch grösser der Bauch, riesige Nase, eckige Ohren, sechs Schnauzhaare, Augen, Arme, Beine. Und schon beginnt sie zu leben – die Maus.

Der Trick mit dem Tack-tack-tackEinfach sind die Maus-Spots, «und doch un-heimlich schwierig», sagt Streich. «Bewegung, Rhythmus, Geräusche und Filmmusik müssen haargenau aufeinander abgestimmt sein.» Die Maus habe eine unverkennbare Gangart. «Tack-tack-tack – stimmt der Rhythmus nicht, wirkt die Maus nicht mehr echt, ja gar unsym-pathisch.» Streich stellt sich vor den grossen Spiegel in der Ecke. Er macht Bewegungen und studiert diese so lange, bis er sie maus-mässig zeichnen kann. Wie er jetzt da so durch sein Holzhäuschen geht … sein grauer, bu-schiger Schnauz erinnert an die kecke Schnau-ze der Maus; und wie der Mann schreitet – die-ser Tack-tack-tack-Schritt. Herr Streich, Sie gehen ja wie die Maus! Er grinst. «Nicht ich gehe wie die Maus, die Maus geht wie ich!»

Als Kind liebte Fritz nichts so sehr wie Kino. «Ich war fasziniert vom Surren des

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17Migros-Magazin 45, 5. November 2007

Ausgepumpt: Julian von Allmen erholt sich von den Strapazen.

Im Hintergrund das Mittaghorn, wo im April ein Tornado-Kampfbomber

zerschellt ist.

Sendung mit der Maus

Schirmherrin: Mauserfinder Friedrich Streich in seinem Garten in München. Ehefrau Marga schützt ihn beim Posieren vor Regen.

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18 Sendung mit der Maus Migros-Magazin 45, 5. November 2007

Filmprojektors», erinnert sich Streich an seine Zürcher Bubenjahre. Er will Filmregisseur werden und Schauspieler. Und wirklich: Als junger Mann zieht er mit der Heidi-Bühne durch die Schweiz, mimt den Geissenpeter und ist danach Regieassistent beim Theater und Fernsehen. Doch Friedrich will endlich selber Filme machen. Lernen kann man das zu der Zeit nur an der Filmhochschule München. Mit 21 wandert er aus. Um sein Studium zu finan-zieren, zeichnet er Karikaturen für Zeitungen. Als billige Unterkunft wählt er die Münchner Jugendherberge. Hier trifft er eines Tages die Norddeutsche Marga. Sie mag diese Karika-turen und noch mehr den jungen Zeichner, «der blütenweisse Hemden trug und umwer-fend aussah». 1964 heiratet das Paar. 1967 kommt Sohn Oliver zur Welt, 1971 die Maus.

Der Sohn hasst die MausFür die neue TV-Kindersendung «Lach- und Sachgeschichten» soll Streich aus einer be- stehenden Bildergeschichte einen Trickfilm produzieren. Streich verwandelt die etwas schrumplige Bilderbuchmaus in eine selbst- bewusste, freche, lustige Maus. Und orange wird sie. «Weil diese Farbe fröhlicher ist als Mausgrau.» Geplant waren nur wenige Trick-filme, denn die Pädagogen mahnten damals, Fernsehen sei für Kinder schädlich. Sie irrten. Die Sendung wurde ein Riesenerfolg. Nur kannte niemand den richtigen Titel der Serie, «Lach- und Sachgeschichten». Alle Kinder sagten nur: Hast Du gestern auch die Sendung mit der Maus gesehen? Der Irrtum wurde Programm und die Sendung umgetauft. Tag

Im Gartenhäuschen: Auf seinem Leuchtpult zeichnet Friedrich Streich die Geschichten von der Maus, dem Elefanten und der Ente.

«Ich mache die Filme zu meinem Vergnügen.»

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und Nacht schuften Friedrich und Marga an der Maus. Das Fernsehen will mehr und noch mehr von diesen genialen Trickfilmen. Alle Kinder lieben die Maus, nur Sohn Oliver mag sie gar nicht. Ihretwegen hat sein Papa wenig Zeit für ihn. Und die Zeit wird noch knapper: 1975 erfindet Streich einen Kollegen für die Maus – den blauen Elefanten. 1987 schliess-lich stösst auch noch die gelbe Ente dazu.

Und was kommt als Nächstes? Streich ist 73 und sagt, er wolle doch nicht mehr so viel arbeiten. Mittlerweile produzieren auch ande-

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19Sendung mit der MausMigros-Magazin 45, 5. November 2007

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re die Maus-Spots, aber nicht immer ist Streich mit deren Arbeiten zufrieden. Doch das sei ein anderes Kapitel. Er winkt ab und beginnt gleich wieder zu schwärmen – von der Maus, seiner Maus. «Ich mache die Filme zu meinem Ver-gnügen.» Eigentlich seien die Maus-Spots für Kinder, «das Durchschnittsalter des TV-Publi-kums aber», weiss Streich, «ist 39 Jahre.»

Die toten Mäuse Fünf neue Maus-Filme hat Streich in Arbeit. Die Ideen gehen ihm nicht aus. Und dann sind da ja auch noch die Kinder, die an der Tür klin-geln und ihm ihre selber erfundenen Maus-Geschichten «verkaufen». Die Maus ist Streichs Leben, er ist stolz auf sein Werk und weiss, wie viel Freude er den Leuten damit macht. Er sagt gar: «Ich mache die Maus, bis ich vom Stuhl falle.» Er kann wohl gar nicht anders, will auch nicht anders. Er zeichnet die Maus, er ist die Maus. Doch «gemaust» wird nur im Gartenhäuschen, das Wohnhaus ist mausfrei, und der Spruch über der Stubentüre spricht bayrischen Klartext: «Mei Ruh will i ham». Nur eine respektiert die mausfreie Zone nicht: die Katze. Sie schleppt immer wieder mal eine tote Maus nach Hause.

So, liebe Mausfreunde. Das wars. Jetzt wisst ihr, wer die Maus erfunden hat und wa- rum sie ein klein wenig auch Schweizerin ist. Bis zum nächsten Mal. Aus die Maus.

So, liäbi Muusfründ. Das isch es gsii. Jetzt wüssed ihr, wer d Muus erfunde hät und werum sie au es bitzeli Schwiizeri isch. Bis zum nöchschte Mol. Fertig Muus. (Das war Schwei-zerdeutsch.) Text Marcel Huwyler, Bilder Olaf Unverzart

Mauseltern: Mit Ehefrau Marga lebt der Schweizer seit bald 50 Jahren in München. Die Maus-Spots entstehen in Teamarbeit: Friedrich Streich erfindet und zeichnet, um den Rest kümmert sich Marga.