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Fuß & Sprunggelenk 8 (2010) 16—27 BEITRAG ZUM THEMENSCHWERPUNKT Sensomotorische Einlagenversorgung was ist daran neu, was ist alt bekannt? Sensomotoric shoe inserts what’s new, what’s well known? Peter Bernius Zentrum fu ¨r Kinder- und Neuroorthopa¨die, Orthopa¨dische Klinik Mu ¨nchen Harlaching, Scho ¨n Kliniken, Harlachinger Straße 51, D-81547 Mu ¨nchen Eingegangen am 19. Oktober 2009; akzeptiert am 26. Oktober 2009 SCHLU ¨ SSELWO ¨ RTER Sensomotorische Einlage; Knick-Senk-Fuß; Propriozeption KEY WORDS Sensomotoric shoe inserts; Valgus feet; Proprioception Zusammenfassung Sensomotorische Einlagen sollen durch Druck auf die Propriozeptoren die aktive Stabilisierung des Fußes beeinflussen. Der Grundsatz dieser Versorgung ist, mit dem Einlagen-Relief keinen Druck auf einen Muskelbauch der Fußsohle auszuu ¨ben, damit er freien Raum zur Aktivita ¨t hat. Die Indikation zur Einlagenversorgung beim kindlichen Knickfuß wurde gestellt bei ausgepra ¨gter muskula ¨rer Schwa ¨che, ausgepra ¨gter Bindegewebsschwa¨che, bei Be- schwerden und bei Persistenz einer Knick-Senk-Fuß-Fehlstellung u ¨ber das Kinder- gartenalter hinaus trotz ausreichender ko¨rperlicher Aktivita ¨t. Ergebnisse: In den Jahren 2003 bis 2008 wurden insgesamt 2153 Kinder wegen kind- lichen Knickfu ¨ßen mit sensomotorischen Einlagen versorgt. Nach einem halben Jahr im Rahmen der Verlaufskontrolle beschrieben die Eltern bei 59 Prozent eine Normalisierung des Gangbildes mit mehr Dynamik, mehr Gangaus- dauer und weniger Auffa ¨lligkeit, 26 Prozent war keine Vera ¨nderung aufgefallen, 14 Prozent berichteten u ¨ber positive Ru ¨ckmeldungen aus ihrem Umfeld. Auffallend viele Eltern bemerkten, dass ihre Kinder nach den Einlagen verlangten und ungerne mit Schuhen ohne Einlagen liefen. Bei vorbehandelten, schon fru ¨her einlagenver- sorgten Kindern berichteten alle Eltern ausnahmslos u ¨ber deutlich verbesserte Ein- lagentoleranz und einen besseren Korrektureffekt. Schlußfolgerung: Sensomotorische Einlagen stellen ein prinzipiell neues Einlagen- konzept dar, welches die physiologischen Abrollbewegungen des Fußes besonders beru ¨cksichtigt und hierdurch das aktive Training der Fußmuskulatur unterstu ¨tzt. Die bei klassischen Einlagen bekannte Schwa ¨chung der Muskulatur wurde von uns nicht beobachtet. Die Akzeptanz bei Kindern ist deutlich besser als bei klassischen Ein- lagen. Aus unseren Beobachtungen kann daher die sensomotorische Einlagenversor- gung uneingeschra ¨nkt empfohlen werden. ARTICLE IN PRESS www.elsevier.de/fuspru doi:10.1016/j.fuspru.2009.12.013 E-Mail: [email protected]

Sensomotorische Einlagenversorgung – was ist daran neu, was ist alt bekannt?

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ARTICLE IN PRESS

Fuß & Sprunggelenk 8 (2010) 16—27

doi:10.1016/j.

E-Mail: PBe

www.elsevier.de/fuspru

BEITRAG ZUM THEMENSCHWERPUNKT

Sensomotorische Einlagenversorgung – was istdaran neu, was ist alt bekannt?

Sensomotoric shoe inserts – what’s new, what’s wellknown?

Peter Bernius

Zentrum fur Kinder- und Neuroorthopadie, Orthopadische Klinik Munchen Harlaching, Schon Kliniken, HarlachingerStraße 51, D-81547 Munchen

Eingegangen am 19. Oktober 2009; akzeptiert am 26. Oktober 2009

SCHLUSSELWORTERSensomotorischeEinlage;Knick-Senk-Fuß;Propriozeption

KEY WORDSSensomotoric shoeinserts;Valgus feet;Proprioception

fuspru.2009.12.013

[email protected]

ZusammenfassungSensomotorische Einlagen sollen durch Druck auf die Propriozeptoren die aktiveStabilisierung des Fußes beeinflussen. Der Grundsatz dieser Versorgung ist, mit demEinlagen-Relief keinen Druck auf einen Muskelbauch der Fußsohle auszuuben, damiter freien Raum zur Aktivitat hat.Die Indikation zur Einlagenversorgung beim kindlichen Knickfuß wurde gestellt beiausgepragter muskularer Schwache, ausgepragter Bindegewebsschwache, bei Be-schwerden und bei Persistenz einer Knick-Senk-Fuß-Fehlstellung uber das Kinder-gartenalter hinaus trotz ausreichender korperlicher Aktivitat.Ergebnisse: In den Jahren 2003 bis 2008 wurden insgesamt 2153 Kinder wegen kind-lichen Knickfußen mit sensomotorischen Einlagen versorgt.Nach einem halben Jahr im Rahmen der Verlaufskontrolle beschrieben die Eltern bei59 Prozent eine Normalisierung des Gangbildes mit mehr Dynamik, mehr Gangaus-dauer und weniger Auffalligkeit, 26 Prozent war keine Veranderung aufgefallen, 14Prozent berichteten uber positive Ruckmeldungen aus ihrem Umfeld. Auffallendviele Eltern bemerkten, dass ihre Kinder nach den Einlagen verlangten und ungernemit Schuhen ohne Einlagen liefen. Bei vorbehandelten, schon fruher einlagenver-sorgten Kindern berichteten alle Eltern ausnahmslos uber deutlich verbesserte Ein-lagentoleranz und einen besseren Korrektureffekt.Schlußfolgerung: Sensomotorische Einlagen stellen ein prinzipiell neues Einlagen-konzept dar, welches die physiologischen Abrollbewegungen des Fußes besondersberucksichtigt und hierdurch das aktive Training der Fußmuskulatur unterstutzt. Diebei klassischen Einlagen bekannte Schwachung der Muskulatur wurde von uns nichtbeobachtet. Die Akzeptanz bei Kindern ist deutlich besser als bei klassischen Ein-lagen. Aus unseren Beobachtungen kann daher die sensomotorische Einlagenversor-gung uneingeschrankt empfohlen werden.

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SummarySensomotoric shoe inserts shall influence active stabilisation of the foot by pressureonto the proprioceptors. The principle of this supply is not to give any pressure onthe muscle belly of short foot muscles to give space for contraction.The indication to insert therapy in paediatric flat feet was put up in case of sig-nificant muscular weakness, significant weakness of connective tissue, in case ofcomplains and in persistence of flat feet longer than kindergarten age in spite ofenough physical activity.Results: In the years 2003 to 2008 over all 2153 children were supplied withsensomotoric shoe inserts.A half year later parents described in 59 percent a return of gait to normal with moredynamics, more endurance and less irregularities, 26 percent mentioned no changeand 14 percent reported about positive feedback from their environment.Remarkable many parents found their children asking for the inserts not wanting towalk around without. In case of pre-treated children all parents mentioned anincreasingly better insert tolerance and effect of correction.Conclusion: Sensomotoric shoe inserts principally is a new treatment concept, whichallows a physiological unrolling motion of the foot and herewith supports the activetraining of foot muscles. The weakening effect of classic inserts wasn’t seen in ourseries. The acceptance of these inserts was markedly good in comparison to theclassic ones. From our point of view the sensomotoric insert can be recommendedwithout restriction.

Zielsetzung

Fußdeformitaten nehmen nachweislich deutlichzu. Verantwortlich werden hierfur eine Verande-rung der korperlichen Aktivitat von Kindern undeine Zunahme des Korpergewichts gemacht. DieBehandlung des kindlichen Knick-Senk-Fußes ist inder Kinderorthopadie ein weiterhin kontrovers dis-kutiertes Thema. Therapieregime von

’’nichts tun‘‘

bis hin zur’’operativen Stabilisierung‘‘ werden an-

geboten und wahrgenommen. Bei der konserva-tiven Versorgung mit Einlagen ist ein Streitzwischen vielen verschiedenen Einlagenprinzi-pien entstanden. In diesem Artikel soll das Prinzipder sensomotorischen Einlage erklart und unsereeigenen Erfahrungen und Ergebnisse bei der Ver-sorgung des kindlichen Knick-Senk-Fußes berichtetwerden.

Einleitung

Fur die Stabilitat des Fußes sind neben der Kno-chenform, die Gelenkkapseln und Bander sowie diemuskulare Verspannung verantwortlich. Im Laufedes Wachstums und der statomotorischen Entwick-lung finden in diesen Bereichen erhebliche Verande-rungen statt. Ist einer der mitwirkenden Faktorenpathologisch verandert, hat dies deutliche Aus-wirkungen auf die resultierende Fußform bis hinzu schwer pathologischen Deformierungen. Dersehr haufige kindliche Knick-Senk-Fuß befindetsich dabei im Grenzbereich zwischen Norma-litat und leichter Pathologie. Fur die Entste-

hung sind sehr unterschiedliche Faktoren verant-wortlich.

Neurologische Ursachen fehlen beim neurolo-gisch gesunden Kind, aber Muskelungleichge-wichte und Muskelschwachen sind ausunterschiedlichsten Grunden vorhanden.

Wesentlich sind die biomechanischen Faktorendurch die Veranderung der Fußbelastung beimWechsel vom Krabbeln zum Stehen und Gehensowie die Veranderung der Hebelverhaltnissedurch das Wachstum.

Ein dauerhaft fehlbelasteter Fuß zeigt ein an-deres Wachstumsverhalten als ein orthograd be-lasteter Fuß. Dies ist besonders aus derEntwicklung von neurogenen Fußdeformitatenbekannt.

Zusatzlich wirken iatrogene Faktoren wie eineSchwachung der Muskulatur und eine zu starkeBegrenzung der Gelenkbeweglichkeit einzelnerGelenke negativ auf die weitere Entwicklung desFußes.

Meist verursacht aber eine Kombination dieserverschiedenen Faktoren die mehr oder wenigerstarke Entwicklung des Knick-Senk-Fußes.

Definition Sensomotorik

In dem Begriff Sensomotorik vereinen sich dieBegriffe Sensorik und Motorik. Die Sensorik beziehtsich auf die Sinnesmeldungen aus der Umwelt, diedurch Empfangsorgane (Sensoren) als Reiz aufge-nommen werden. Diese Empfangsorgane bilden die

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Basis, um eine Beziehung zwischen Korper und Um-welt herzustellen. Sensoren befinden sich in denverschiedensten Bereichen unseres Korpers, zumBeispiel in den Augen um visuelle Reize oder in denOhren, um akustische Reize zu empfangen. Ebensobefinden sich viele sensible Sensoren in der Haut,um zum Beispiel Druck oder Warme und Kalteaufzunehmen. Die peripheren Rezeptoren der Hal-tungs- und Bewegungsorgane reagieren auf mecha-nische Reize wie Druck, Zug und Vibration undwandeln diese in nervose Erregung um.

Fur die Eigenwahrnehmung unseres Halte- u. Be-wegungsapparats spielen spezielle Sensoren, diePropriozeptoren, eine entscheidende Rolle. Sie be-finden sich hauptsachlich in der Muskulatur, denSehnen und den Gelenken. Die Propriozeptorensorgen fur Informationen uber den Langen- undSpannungszustand unserer Muskulatur. Erst somitkonnen wir beispielsweise einordnen, in welcher Po-sition sich unsere Korperteile aktuell befinden. DieReize aus samtlichen sensorischen Systemen werdenvom Nervensystem gefiltert und weiterverarbeitet.

Man kann folgende Propriozeptoren unterscheiden:Die Muskelspindeln als spezielle quergestreifte

Muskelfasern, die auf Dehnung reagieren und uberdie Muskellange und deren Anderung informieren.

Die Golgi-Sehnen-Rezeptoren am Ubergang vomMuskel zur Sehne, die die Muskelspannung regis-trieren und eine zu starke Kontraktion des Muskelsverhindern.

In Gelenken bzw. Gelenkskapseln die Ruffini- undVater-Pacini-Korperchen, die Gelenkbewegungenregistrieren und uber die jeweilige Gelenksstellunginformieren.

Somit versteht man unter Sensomotorik dieWechselbeziehung der Aufnahme und Verarbeitungvon Sinneswahrnehmungen sowie die Reaktion derMuskulatur und des Bewegungsapparats auf dieseWahrnehmung. Motorische Ablaufe werden durchsensorische Ruckmeldung gesteuert und modifiziert.

Sensomotorische Einlagen

Propriozeptive Einlagen arbeiten nach einemvollig anderen Prinzip als klassische Einlagen, demsensomotorischen Prinzip. Der grundsatzlich andereAnsatz: Die Muskel-Steuerung des Laufapparateswird durch gezielten Druck auf die Propriozeptoren inSehnen, Muskeln und Gelenken im Fuß beeinflusst.Der Korper reguliert sich selbst und ubt ein neues,richtiges Bewegungsmuster ein. Das Zusammenspielder Muskulatur durchlauft einen Umlernprozess.

Sensomotorische Einlagen versuchen also durchReize auf die Fußsohle den sensorischen Input ge-zielt zu verandern und damit die Muskulatur zu be-

einflussen, ihre aktive Stabilisierung des Fußske-letts in der Abrollung abzuwandeln. Um eine sen-somotorische Einlage zu verordnen und herstellenzu konnen, ist daher eine genaue Kenntnis derfunktionellen Anatomie erforderlich und die ge-storte Funktion muss analysiert werden. Bei einemkindlichen Knick-Senk-Fuß ist in der Regel der M.tibialis posterior in der Stand- und Abstoßphase desGangzyklus nicht aktiv genug. Er wird uberdehnt.Die fehlende Vorfußverriegelung wird kompensiertdurch eine gesteigerte Aktivitat der Wadenmusku-latur, d.h. des M. gastrocnemius. Dieser verkurztsich mit der Zeit. Bei einer sensomotorischen Ver-sorgung sollte daher der M. tibialis posterior aus derUberdehnung, der M. gastrocnemius aus der Ver-kurzung korrigiert werden.

Beeinflussung hypotoner Muskeln:Der zu wenig aktive und uberdehnte Musculus

tibialis posterior wird durch die Pelottierung derEinlage unter dem Sustentaculum entspannt undder mechanische Hebelarm verlangert – der Muskelkann mehr Kraft entwickeln. Die sich verminderndeSpannung in der Sehne wird nachjustiert und derMuskel stellt sich mit der Zeit auf die erforderlicheLange wieder ein. Die regelmaßigen Bewegungenunter verbesserten Hebelverhaltnissen bei gleich-zeitig optimierter Muskellange bewirken ein Trai-ning des Muskels und damit eine Zunahme derMuskelkraft.

Beeinflussung hypertoner Muskeln:Der kompensatorisch zu aktive und verkurzte

Musculus gastrocnemius wird durch die Einlage ge-dehnt und damit langfristig langer (der Muskel istvorgespannt) – Ursprung und Ansatz werden von-einander entfernt durch die Korrektur der Ferse ausdem Valgus. Dadurch wird die Spannung im Muskelerhoht. Das Zentralnervensystem nimmt die Tonus-steigerung wahr, der Sollwert ist also uberschrittenund es reagiert mit einer Tonussenkung – der Mus-kel wird gehemmt.

Tonusveranderungen und Anpassungen der akti-ven Muskellangen werden nur erreicht, wenn einephysiologische Bewegung in den Gelenken moglichist. Eine starre Versorgung fuhrt zu einer Hemmungder Muskulatur mit Atrophie und Fibrose.

Sensomotorische Einlagen wirken in der Ab-rollung. Eine Beurteilung dieser Effekte verlangteine Bewegungsanalyse.

Klassische Einlagen

Die klassische Einlagen-Versorgung findet unterrein statischen Vorstellungen statt. Stabilisationund statische Aufrichtung des Fußes ist die Zielset-

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zung. Der Fuß wird nur im Stand und nicht in derAbrollfunktion betrachtet. Die Funktion der Mus-keln in den einzelnen Phasen des Gangablaufs spieltkeine Rolle. Es werden nur die knochernen Anteiledes Fußes betrachtet. Bei einem kindlichen Knick-Platt-Fuß wird der Ruckfuß passiv proniert und dasmediale Gewolbe unterstutzt. Nach Hohmann un-terscheidet man Korrektur-, Kopie- und Bettungs-einlagen. Herkommliche Einlagen werden kurz-oder langsohlig geliefert. Meistens sind sie imRuckfuß, der Fußwurzel und im Mittelfuß sehr steifund erlauben nur eine Abrollung in den Zehen-grundgelenken. Die Beurteilung erfolgt mit stati-schen Rontgenaufnahmen (Abb. 1).

Diese Einlagen sind oft unbequem zu tragen,schranken die Bewegung ein und ubernehmen zu-dem (ahnlich eines Korsetts) den außeren Halt desFußes. Das durch die Ruhigstellung zusatzliche Mus-kelschwachen auftreten mit noch starkerer Defor-mierung ohne die passive Stutze, fuhrte in derVergangenheit zu dem Umkehrschluss, dass Einla-gen per se fur Fuße von gesunden Kindern eherschadlich seien.

Betrachtet man den Unterschied zwischen Statikund Sensomotorik bei einem Knick-Senkfuß, so gehtman bei einer statischen Versorgung immer voneiner optimalen knochernen Langsgewolbe-, bezie-hungsweise optimalen Ruckfußposition aus. DieMuskelbauche unter der plantaren Fußsohle undderen Freiheit zur Aktivitat werden dabei nichtberucksichtigt. Das bedeutet, dass die medialeStutze bei einer statischen Versorgung weit nachvorne gezogen wird, oft bis zur Basis der Mit-telfußknochen. Durch diese Unterstutzung wird zumeinen Druck auf den Muskelbauch des Musculusflexor hallucis ausgeubt, zum anderen werden dieFußwurzel- und Mittelfußgelenke blockiert.

Bei einer sensomotorischen Versorgung geht esdagegen um eine aktive Stabilisierung des Fußge-wolbes durch die Muskulatur und das Erlernen

Abbildung 1. Klassische, starre Einlage aus Plexidur.

neuer Bewegungsmuster. Gerade bei Kindern istdie Moglichkeit neue Bewegungsmuster zu erlernennoch besonders ausgepragt vorhanden. Mit zuneh-mendem Alter nimmt der Bedarf, sich auf bekannteVerhaltnisse zu verlassen dagegen zu. Solange eineausreichende Kraft der Fußmuskeln vorhanden ist,nur beim Gehen und Laufen nicht im richtigen Mo-ment abgerufen werden kann, ist eine sensomoto-rische Versorgung anzustreben.

Geschichte

Seit den 70er Jahren wurden bei der Weiterent-wicklung von Einlagen und Fußorthesen neue Wegeeingeschlagen. Besonders bei der Versorgung voncerebralparetischen Kindern mit erhohtem Waden-muskeltonus und Spitzfußbelastung erzielte NancyHilton, eine Physiotherapeutin aus Washington, mitihrem Einlagen- und Orthesenkonzept Erfolge. Zielwar es dabei vor allem den Hypertonus der Waden-muskulatur zu reduzieren, um einen planen Auftrittzu ermoglichen. Diese Fußorthesen besitzen vor al-lem eine deutliche Spreizfußpelotte, mit der diePlantarfaszie vorgespannt wird.

Durch ein spezielles Relief der Einlagen wird ver-sucht, die durch das propriozeptive System gemes-sene Muskelspannung zu verandern und damit aufdas motorische System Einfluss zu nehmen. Alt be-kannte Elemente von Einlagen, wie die Spreizfuß-pelotte, die Sustentaculumstutze oder die Pro-nationsstutze wurden dabei abgewandelt. Einflussauf diese Weiterentwicklung nahmen Erkenntnisseaus verschiedenen neurologischen Therapien wiePNF, Vojta und Bobath. Durch Reizung bestimmterDruckpunkte an der Fußsohle konnen Aktivitatenvon Muskeln an Fuß und Unterschenkel verandertwerden.

Zusatzlich zur rein statischen Betrachtung desBewegungsapparates entwickelte sich zunehmendBewegungsanalyse.

Einer der wichtigsten Grundsatze dieser Versor-gung ist es, in den konsequentesten Weiterent-wicklungen mit dem Einlagen-Relief keinen Druckauf einen Muskelbauch der Fußsohle auszuuben.Muskelbauche sind, neben den Gelenken, deraktive Part der Bewegung und mussen freien Raumzur Ausdehnung haben. Nur Sehnenzuge durfenkontaktiert werden. Diese Prinzipien werden vonvielen Einlagenprodukten mit dem Siegel

’’pro-

priozeptiv‘‘ oder’’sensomotorisch‘‘ heute noch

nicht erfullt.

Indikation

Durch unsere positiven Erfahrungen bei der Ver-sorgung von neurologisch kranken Kindern mit sen-

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somotorischen Einlagen sind wir seit dem Jahre2003 dazu ubergegangen, auch neurologischgesunde Kinder mit angeborenen und erworbenenDeformitaten der Fuße mit diesen Einlagen zu ver-sorgen.

Die Indikation zur Einlagenversorgung beim kind-lichen Knickfuß stellen wir bei

1.

Abun

ausgepragter muskularer Schwache,

2. ausgepragter Bindegewebsschwache, 3. bei Beschwerden und 4.

Abbildung 3. Gleicher Fuß unter Stehbelastung: Daskraftige Gewolbe ist vollig zusammengebrochen.

bei Persistenz einer Knick-Senk-Fuß-Fehlstellunguber das Kindergartenalter hinaus trotz ausrei-chender korperlicher Aktivitat.

Die Fahigkeit das Fußgewolbe im Zehenspitzen-stand kurzfristig aufrichten zu konnen, stellt keineKontraindikation dar. Beim sogenannten physiolo-gischen, kompensierten Knickfuß des Kleinkind-und Kindergartenalters sehen wir dagegen keineIndikation zur Einlagenversorgung.

Abbildung 4. Palpation der Fußsohle unter dem Susten-taculum tali.

Klinische Untersuchung

In der Anamnese wurden die Familien bezuglichMeilensteine der statomotorischen Entwicklung,Beginn der Auffalligkeiten, Vorbehandlung, auffalli-gem Gehen, Gehausdauer, Schnelligkeit, Stolper-und Sturzneigung, Abweichen der Fuße aus derGangrichtung und beklagter Schmerzen befragt,jeweils vor und ein halbes Jahr nach erster Versor-gung.

Die Evaluation der Fuße vor Versorgung umfassteeine visuelle Ganganalyse mit Konfektionsschuhund barfuß, eine Beschreibung der Fußform imStand, im Zehenspitzenstand und unbelastet (Abb.2,3 und 9), eine Palpation der Fußsohle unter dem

bildung 2. 11-jahriger Junge mit kindlichem Knickfußbelastet.

Sustentaculum, hinter den Metatarsalkopfchen, derZehenkuppen (Abb. 4 und 5), eine Messung derGelenkbeweglichkeiten aller Bein- und Fußge-lenke nach der Neutral-Null-Methode, einePrufung der Muskellangen der Wadenmuskulaturmit dem Silfverskjold-Test, eine Prufung derMuskelkraft nach Janda und eine Prufung aufZeichen einer generalisierten Bindegewebs-schwache (Abb. 6). Rontgenaufnahmen wurdennur im Fall von Schmerzen angefertigt.

Einlagenaufbau

Die sensomotorische Knickfuß-Einlage besitztfolgende Bauelemente:

eine konvex nach oben gewolbte Sustenta-culumstutze,

ein ebenfalls konvex vorgewolbten lateralenGegenhalt,
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Abbildung 5. Die Palpation gibt einerseits Auskunft uberdie genaue Positionierung der einzelnen Informations-punkte, andererseits uber Tonus und das Druckempfindendes Patienten. Wertangaben, bis zu welcher Hohe sich diejeweiligen Informationspunkte im Laufe der Therapieentwickeln sollen, werden in Millimeterangabe gemacht.

Abbildung 6. Die Beighton-Kriterien zur Beurteilu

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ng

eine Spreizfußpelotte direkt hinter den Meta-tarsale-Kopfchen, die nach distal steil abfalltund nach proximal flach abfallt,

eine zum vorderen Einlagenrand abfallendeZehenpelotte unter den Zehenkuppen und ggf.

eine Anhebung der Vorfußaußenrandes mitMaximum unter dem Metatarsale V-Kopfchen.

Die Hohen der Pelotten werden durch Palpation beider Untersuchung des Fußes festgelegt und ent-sprechend auf die Einlage ubertragen. Die Pelottenwerden aus einem hochfesten Schaum auf einerflexiblen Unterlage z.B. Polyethylenfolie gefertigt(Abb. 7).

Methode

Die Versorgung erfolgte bei Vorliegen einer Indi-kation mit sensomotorischen Knickfuß-Einlagen mitkraftiger Sustentaculumstutze, einer Gegenpelotteunter dem lateralen Kalkaneus, einer Spreizfußpe-lotte, einer Zehenpelotte unter den Zehen 2 bis 5und einer leichten Vorfußpronation gemaß Palpa-tionsbefund. Die Eltern wurden angewiesen, dieEinlagen in Konfektionsschuhwerk mit breiter und

der generalisieren Bindegewebsschwache.

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Abbildung 7. Rohling einer sensomotorischen Knickfuß-Einlage.

Abbildung 8. Altersverteilung der mit sensomotorischenEinlagen versorgten Kinder.

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flexibler Sohle tragen zu lassen. In der Ein-gewohnungsphase sollten die Tragezeit der Einla-gen uber einige Tage stetig gesteigert werden. EineKontrolle des Einlagensitzes und des Korrekturef-fektes wurde nach einer Tragezeit von 4 bis 6 Wo-chen empfohlen. Bei unzureichender Korrekturoder Beschwerden wurde eine Nachkorrektur derEinlagen durchgefuhrt. Danach wurden die Einlagenfur durchschnittlich ein halbes Jahr getragen. An-schließend erfolgte eine ambulante Kontrollunter-suchung.

Die Einlagenversorgung gliedert sich in funfwesentlichen Stadien.

1. BelastungsmatrixDie Belastungsmatrix ist meistens ein Blaudruck

oder ein Fußscan (Podogramm). Darauf kann derOrthopadieschuhmacher die Fußform, sowie dieBelastungsspitzen erkennen und sich Besonderhei-ten (z.B. Hautverdickungen, Fersensporn) aufzeich-nen.

2. PalpationDer Orthopadieschuhmacher oder Orthopadie-

schuhtechniker palpiert den Fuß und lernt so dieBeschaffenheit des Fußes des Patienten naher ken-nen. Die Palpation gibt Auskunft uber die genaue

Positionierung der einzelnen Informationspunkteund uber das Druckempfinden des Patienten. DiePalpation ist eine unabdingbare Methode, um eineindividuelle und exakte Versorgung zu gewahrleis-ten (Abb. 4 und 5).

3. GanganalyseDer Patient wird wahrend seines normalen Gang-

verhaltens von vorne, hinten und seitlich beobach-tet. Oftmals wird das Gangbild mittels einerKamera aufgenommen, um eventuell eine spatereGanganalyse als Vergleichsmoglichkeit zu haben.

4. EinlagenanpassungAufgrund der durch Belastungsmatrix, Palpation

und Ganganalyse gewonnen Informationen wird nundie Orthese hergestellt. Der Patient erhalt diesesobald sie fertig ist und gibt nach ein bis zwei Wo-chen dem Orthopadieschuhmacher eine Ruckmel-dung.

Ergebnisse

In den Jahren 2003 bis 2008 wurden in unsererkinderorthopadischen Ambulanz insgesamt 2153Kinder im Alter zwischen 2 und 16 Jahren wegenkindlichen Knickfußen mit sensomotorischen Einla-gen versorgt. Die Altersverteilung zeigt die Abbil-dung 8. Bei 19 Prozent der Kinder (409) mitIndikation zur Einlagenversorgung berichteten dieEltern uber eine verspatete statomotorischeEntwicklung mit Laufbeginn nach dem 18.Lebensmonat, bei 54 Prozent erlernten die Kinder(1163) das Laufen spat zwischen dem 15. und 18.Lebensmonat und 27 Prozent (581) begannen frei zulaufen zwischen dem 9. und 15. Monat. Den Beginnder Auffalligkeiten datierten 76 Prozent der Eltern(1636) auf den Laufbeginn, nur 24 Prozent (517) fiel

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die Gangauffalligkeiten erst im Laufe derEntwicklung auf. Eine Vorbehandlung erfolgte bei33 Prozent der Kinder (710) mittels klassischerEinlagen, bei 7 Prozent mit krankengymnastischerBehandlung (151) und bei einem Prozent mit einerKombination aus beiden Behandlungen (22). DreiProzent der Kinder (65) waren mit Orthesenversorgt und erhielten Krankengymnastik. NachBeurteilung der Eltern hatten diese Vorbehand-lungen keinen oder keinen ausreichenden Effekterzielen konnen.

Meistens war von den Eltern (1055) ein auffalligesGehen bemerkt worden (49 Prozent), gefolgt vonBeobachtungen von nahestehenden Personen(Nachbarn, Großeltern, Kindergartnerinnen) (32Prozent, 689). Die restlichen Kinder fielen bei Vor-sorgeuntersuchungen ihren Kinder- bzw. Hausarz-ten auf (14 Prozent, 301) oder klagten selbst uberBeschwerden beim Gehen (5 Prozent, 108).

Als weitere Symptome wurden von 21 Prozent derEltern (452) eine eingeschrankte Gehausdauer, von16 Prozent eine reduzierte Gehgeschwindigkeit(344) im Vergleich zu altersgleichen Kindern, von13 Prozent eine erhohte Stolper- und Sturzneigung(280) und von 33 Prozent ein Abweichen der Fußeaus der Gangrichtung in Richtung Innenrotation(710) angegeben.

Bei der visuellen Ganganalyse mit Konfektions-schuh und barfuß wurde die Abrollung des Fußes,die Achsabweichung des Ruckfußes, das Durchbre-chen des Mittelfußes und die Drehstellung derFußlangsachse zur Gehrichtung beurteilt. 91 Pro-zent der Kinder (1959) demonstrierten einenprimaren Fersenkontakt, 8 Prozent ein primar pla-nes Aufsetzen (172) und ein Prozent der Kinder (22)sogar eine retrograde Abrollung. Der Mittelfußzeigte im Barfußgang bei 17 Prozent (366) ein nurgeringes Durchbrechen des medialen Gewolbes, bei55 Prozent ein deutliches Einbrechen (1184) vonuber 50 Prozent der medialen Gewolbehohe und in28 Prozent ein volliges Durchbrechen mit Boden-kontakt des Fußinnenrandes (603).

Die Fußform unter Stehbelastung wies bei allenKindern einen deutlichen valgischen Verlauf des la-teralen Fußrandes auf bei gleichzeitig deutlich val-gischem Verlauf der Achillessehne (Abb. 9). DerFußaußenrand-Valgus betrug bei 58 Prozent (1249)10 Grad, bei 31 Prozent (667) 20 Grad und bei 11Prozent (237) ab 30 Grad. Der Ruckfuß-Valgus be-trug bei 53 Prozent (1141) 20 Grad, bei 41 Prozent(883) 25 Grad und bei 6 Prozent (129) ab 30 Grad.Im Zehenspitzenstand waren alle Kinder in der Lageden Knickfuß aktiv aufzurichten und mit kraftigemFußgewolbe zu stabilisieren. Unbelastet korrigier-ten sich alle Fuße. 49 Prozent der Fuße (2271) wie-sen ein besonders kraftiges Langsgewolbe auf, dass

sich bis zum lateralen Fußrand zog, 35 Prozent(754) ein kraftiges Fußlangsgewolbe und 11 Prozent(237) ein normales und nur 5 Prozent (108) ein ab-geflachtes ohne wesentliche Langswolbung.

Die Palpation der Fußsohle ergab bei allen Fußeneine gute Reponierbarkeit uber plantaren Druck.Palpiert wurde die Sustentaculumhohe bei neutral-gestelltem Fuß. Die Hohe des Processus anterior desCalcaneus, die Hohe des Quergewolbes direkt hin-ter den Metatarsalekopfchen, die Anhebung derZehenkuppen 2 bis 5 bis zum Nachlassen des Kral-lens in den Mittel- und Endgelenken und die not-wendige Pronation des Vorfußes bei neutralge-stelltem Ruckfuß.

Bei allen Kindern erfolgte eine Messung der Ge-lenkbeweglichkeiten aller Bein- und Fußgelenkenach der Neutral-Null-Methode bei der Erstunter-suchung. 67 Prozent (1443) zeigten dabei eineHypermobilitat. Besonders auffallig waren dieInnenrotationsfahigkeit in den Huftgelenken, dieUberstreckbarkeit in den Kniegelenken und dieverstarkte Supination des Vorfußes.

Die Prufung der Muskellangen der Wadenmusku-latur mit dem Silfverskjold-Test bei reponiertemunteren Sprunggelenk ergab bei den Kindern mitKnick-Senk-Fuß bei 17 Prozent (366) eine deutlicheEinschrankung der Dorsalextension (DE) auf unter20 Grad bei gebeugten und unter 0 Grad bei ge-strecktem Knie, bei knapp der Halfte (48 Prozent,1033) eine leichte Einschrankung (20 bis 30 Grad DEbei gebeugtem und 0 bis 10 Grad DE bei gestreck-tem Knie) und bei einem Drittel (35 Prozent, 754)eine freie Beweglichkeit von uber 30 Grad DE beigebeugtem und uber 10 Grad bei gestrecktem Knie.

Eine Prufung der Muskelkraft nach Janda ergabbei allen Kindern Kraftwerte zwischen 4 und 5.

Bei Vorliegen einer Hypermobilitat wurde eben-falls eine Prufung auf Zeichen einer generalisiertenBindegewebsschwache nach den Beighton Kriteriendurchgefuhrt (Hyperextension der Langfinger, Ap-position des Daumens, Uberstreckbarkeit der Ellen-bogengelenke, Genu recurvatum und Uberbeugungder Wirbelsaule) (Abb. 6).

Rontgenaufnahmen wurden nur im Fall vonSchmerzen angefertigt. Von den 108 Kindern (5Prozent) mit Schmerzangabe wurde von 87 Schmer-zen an der Ferse angegeben, von 11 Schmerzenunterhalb des Außenknochels, von 8 Schmerzen aminneren Fußrand und von 2 am Großzeh. Die Fer-senbeinaufnahmen zeigten bei 61 von den 87 Kin-dern eine Apophysenveranderung im Sinne vonKondensation oder Fragmentation passend zu derklinischen Diagnose einer Apophysitis calcanei. DieRontgenaufnahmen des Sprunggelenkes in 2 Ebenenergab bei keinem der 11 Kinder mit Schmerzen un-ter dem Außenknochel eine knocherne Besonder-

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Abbildung 10. Nach Versorgung mit Einlagen in Konfek-tionsschuh sofort deutliche Normalisierung der Ruckfuß-stellung und der Außenrotation der Fuße.

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heit. Die Kinder mit Schmerzen am Innenrand er-hielten eine belastete Aufnahme des gesamtenFußes in 2 Ebenen. Diese zeigte bei allen einenvergroßerten Talo-Metatarsale I-Winkel in beidenProjektionen. Die beiden Kinder mit Schmerzen amGroßzeh zeigten auf den Vorfußaufnahmen einedeutliche Valgus Fehlstellung im Grundgelenk derGroßzehe ohne Exostosenentwicklung.

Bei der Nachuntersuchung nach einer Eingewoh-nungszeit der Einlagen berichteten 83 Prozent(1787) der Eltern und Kinder uber Beschwerden inder Eintragezeit, die aber bei den meisten (89 Pro-zent, 1590) innerhalb einer Woche komplett ver-schwanden. Bei den ubrigen 11 Prozent (197)verschwanden bei weiteren 2 Prozent (36) die Be-schwerden innerhalb der ersten 4 Wochen. Bei denanderen 9 Prozent (161) persistierten die Be-schwerden. Bei der Kontrolle zeigte sich ein nichtoptimaler Sitz der Einlage. Nach Optimierung desPelottensitzes wurden sie beschwerdefrei. 17 Pro-zent (366) trugen die Einlagen von Anfang an ohneBeschwerden (Abb. 9 und 10).

Nach einem halben Jahr im Rahmen der Verlaufs-kontrolle beschrieben die Eltern bei 59 Prozent(1270) eine Normalisierung des Gangbildes mitmehr Dynamik, mehr Gangausdauer und wenigerAuffalligkeit, 26 Prozent (560) war keine Verande-rung aufgefallen, 14 Prozent (301) berichteten uberpositive Ruckmeldungen aus ihrem Umfeld. Auffal-lend viele Eltern bemerkten, dass ihre Kinder nachden Einlagen verlangten und ungerne mit Schuhenohne Einlagen liefen (Abb. 11). 2 Prozent der Elternberichteten uber eine Verschlechterung (43) desGangbildes, so dass sie die Einlagen ihren Kindernnur fur kurze Zeit angezogen hatten. Bei vorbehan-delten schon fruher einlagenversorgten Kindernberichteten alle Eltern ausnahmslos uber deutlich

Abbildung 9. In der Ansicht von hinten deutlicher Valgusdes lateralen Fußrandes und des Ruckfußes.

Abbildung 11. Gebrauchte Einlage: Trotz hoher Pelottensehr gute Akzeptanz und lange Tragezeiten; starke Ab-nutzung als Zeichen des regelmaßigen Gebrauchs.

verbesserte Einlagentoleranz und einen besserenKorrektureffekt.

Bei der visuellen Ganganalyse, nach einem hal-ben Jahr Tragedauer der Einlagen bei einer durch-schnittlichen Tragezeit von 6 Stunden (3–12),zeigte sich bei 98 Prozent (2110) der Kinder ein

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Abbildung 13. Gleiches Madchen im Alter von 5 Jahrennach 3 Jahren Einlagenversorgung: Fuße haben sich voll-standig normalisiert.

Tabelle 1. Klinische Veranderungen der Fußab-rollung, des Fußgewolbes und der Wadenmuskellangeninnerhalb des ersten Halbjahres des Einlagenge-brauchs.

(n=2153) vorTherapie

Halbjahres-Kontrolle

Primarer Fersenkontakt 91% 98%

Planes Aufsetzen 8% 2%

Retrograde Abrollung 1% –

LeichteGewolbeabsenkung

17% 42%

DeutlicheGewolbeabsenkung

55% 39%

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primarer Fersenkontakt und bei 2 Prozent (43) einprimar planes Aufsetzen. Der Mittelfuß zeigte imBarfußgang bei 42 Prozent (904) ein nur geringesDurchbrechen des medialen Gewolbes, bei 39 Pro-zent ein deutliches Einbrechen (840) von uber 50Prozent der medialen Gewolbehohe und in 19 Pro-zent ein volliges Durchbrechen mit Bodenkontaktdes Fußinnenrandes (409).

Die Fußform unter Stehbelastung wies bei allenKindern noch einen valgischen Verlauf des lateralenFußrandes mit valgischem Verlauf der Achillessehneauf. Der Fußaußenrand-Valgus betrug bei 63 Pro-zent (1356) 10 Grad, bei 34 Prozent (732) 20 Gradund bei 3 Prozent (65) ab 30 Grad. Der Ruckfuß-Valgus betrug bei 58 Prozent (1249) 20 Grad, bei 39Prozent (840) 25 Grad und bei 3 Prozent (65) ab 30Grad. Im Zehenspitzenstand waren alle Kinder inder Lage den Knickfuß aktiv aufzurichten und mitkraftigem Fußgewolbe zu stabilisieren. Unbelastetkorrigierten sich alle Fuße. 53 Prozent der Fuße(1141) wiesen ein besonders kraftiges Langsgewol-be auf, dass sich bis zum lateralen Fußrand zog, 37Prozent (754) ein kraftiges Fußlangsgewolbe und 10Prozent (237) eine normale Langswolbung (Abb. 12und 13).

Die Messung der Gelenkbeweglichkeiten nach derNeutral-Null-Methode ergab bei der Halbjahres-Kontrolle bei 65 eine Hypermobilitat.

Die Verlaufsprufung der Muskellangen der Wa-denmuskulatur mit dem Silfverskjold-Test bei re-poniertem unterem Sprunggelenk ergab bei denKindern bei 7 Prozent (151) eine deutliche Ein-schrankung der Dorsalextension (DE) auf unter 20Grad bei gebeugten und unter 0 Grad bei gestreck-tem Knie, bei 55 Prozent (1184) eine leichte Ein-schrankung (20 bis 30 Grad DE bei gebeugtem und 0bis 10 Grad DE bei gestrecktem Knie) und bei 38

Abbildung 12. 2-jahriges Madchen mit extremer Bin-degewebsschwache und extremen Knickfußen (lateralerFußrand hebt ab).

VolligeGewolbeabsenkung

28% 19%

Schmerzen 5% –

Silfverskjold o01 DE 17% 7%

Silfverskjold 0–101 DE 48% 55%

Silfverskjold 4101 DE 35% 38%

Prozent (818) eine freie Beweglichkeit von uber 30Grad DE bei gebeugtem und uber 10 Grad bei ge-strecktem Knie (Tabelle 1).

Diskussion

Der kindliche Knickfuß geringen bis maßigen Aus-maßes ist eine physiologische Entwicklungsstufe im

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Kleinkindes- und Kindergartenalter. Schwere undschwerste Fehlstellungen der Fuße vor dem 6. Le-bensjahr und alle Fehlstellungen ab Beginn desSchulalters sind dagegen nicht physiologisch undbedingen eine chronische Fehlbelastung der Fußeund des darauf aufbauenden Bewegungsapparates,die nicht auf Dauer akzeptiert und mittels thera-peutischem Nihilismus begleitet werden sollten.Den Einfluss der Fußstellung auf hoher gelegeneMuskelgruppen konnten Bird und Mitarbeiter (2002)bei erwachsenen Patienten mit tiefem Rucken-schmerz nachweisen [1].

Als Ursache fur einen kindlichen Knickfuß liegtbei Ausschluss einer neurologischen Ursache selteneine primar knocherne Deformitat vor, sondern inder Regel Schwachen der Bindegewebe und derMuskulatur. Durch Bewegungsmangel und Uberge-wicht nimmt die Haufigkeit weiter zu.

Jerosch und Mamsch (1998) fanden in ihrer Un-tersuchung, dass Kinder im Alter zwischen 10 und13 Jahren nur in 36,5% normale Fuße hatten. DerRest wies leichte bis schwerwiegende Deformitatenauf, meistens Knickfuße (39,4%). Die DiagnosePlattfuß wurde bei 19,1% und Hallux valgus bei17,1% der Kinder gestellt [3].

Wolf und Mitarbeiter (2008) konnten mit ihrenganganalytischen Untersuchungen zu Fußbewegun-gen von Kindern in verschiedenen Schuhmodellennachweisen, dass das Tragen von Schuhwerk dieaktiven Bewegungen des Fußes umso mehr ein-schrankt, je fester das Schuhwerk ist [7]. Sie emp-fahlen deshalb moglichst flexible Schuhsohlen undausreichend große Schuhe, um dem Barfußlaufenals Basis fur eine naturliche Fußentwicklung mog-lichst nahe zu kommen.

Bei einer Versorgung mit sensomotorischen Ein-lagen steht die Normalisierung der Balance derfußstabilisierenden Muskeln im Vordergrund. Dabeisollen die Wadenmuskeln, die beim Knickfuß uber-aktiv und haufig verkurzt sind, durch eine Vorspan-nung der Plantarfaszie in ihrer Aktivitat gehemmtwerden. Unterstutzend werden auch die Zehen-flexoren uber die Zehenpelotte vorgespannt. Derhypotone M. tibialis posterior soll durch Un-terstutzung des Fußes isoliert unter dem Susten-taculum entspannt werden, damit er uber diesensomotorische Ruckkopplung aktiviert wird. Beieiner fehlenden aktiven Vorfußpronation werdendie Peronalmuskeln durch eine laterale Vorfußan-hebung entspannt und hierdurch sollen sie in ihrerAktivitat im Abstoß gefordert werden. Durch dasTragen der Einlagen wird bei erhaltenem physiolo-gischem Bewegungsausschlag in den Gelenken eineAbrollbewegung mit veranderter Vorspannung derMuskulatur herbeigefuhrt. Dies setzt einen Lern-prozess in Gang.

Brinkmann (2005) beschrieb bei seiner gangana-lytischen Untersuchung zur therapeutischen Effizi-enz der sensomotorischen Einlagen nach Jahrlingbei zentralnervosen Erkrankungen den Einfluss die-ser Einlagen auf die Gangbilder der Patienten. Be-reits am ersten Tag der Einlagen-Versorgungkonnten positive Effekte auf die untersuchtenGangparameter festgestellt werden. DeutlichereAnderungen ließen sich jedoch erst bei den einenMonat spater durchgefuhrten Ganganalysen fest-stellen. Insgesamt hatten sich die Werte der unter-suchten Gangparameter den physiologischen Normal-daten angenahert. Eine phasenspezifischere und inihrem relativen Ausmaß verbesserte Aktivierungder untersuchten Muskulatur war aber nicht nach-weisbar. Die untersuchten Patienten hatten hin-sichtlich ihres ineffizienten Gangbildes von derVersorgung profitiert, dies kann als therapeutischerEffekt der Einlagen diskutiert werden. Bei zentral-nervos gesunden Kindern ist ein positiver Effektumso wahrscheinlicher [2].

Kornbrust (2001) konnte im Rahmen ihrer Unter-suchung an cerebralparetischen Kindern, Zehen-spitzengangern und Kindern mit sonstigen Fußfehl-stellungen eine dauerhafte Korrektur des Gangbil-des bei insgesamt 79% der Patienten beobachten.Bei weiteren 5,9% kam es zu einer vorubergehen-den Verbesserung. 79,8% der Kinder tolerier-ten die Einlagen gut [5].

Kavounoudias et al. (1998) stellten fest, dassuber eine Stimulation der Mechanorezeptoren derFußsohle eine Beeinflussung der Balance und derKorperhaltung moglich ist: Durch mechanische Vib-ration erhohten sie die propriozeptive Wahrneh-mung in bestimmten Bereichen der Sohle undregistrierten daraufhin regulierende Ausgleichsbe-wegungen des Korpers [4].

Ludwig und Fuhr (2004) konnten bei Sportler nach-weisen, dass sensomotorische Einlagen eine Anderungdes motorischen Aktivierungsmusters induzieren.Diese Anderungen waren differenziert und reversibelund entsprachen den vorhergesagten Effekten [6].

Unsere Untersuchungen bei neurologisch gesun-den Kindern mit schweren Knick-Senk-Fußen be-statigen, dass sensomotorische Einlagen sehr gutakzeptiert werden. Die gewunschten Effekte, einstabileres und dynamischeres Gehen, konnten nichtnur mit den Einlagen erreicht werden. Schon einhalbes Jahr nach Beginn des Tragens der Einlagenzeigten sich auch deutliche klinische Verbesserungenmit Verbesserung des primaren Fersenkontaktes, Ver-besserung der Wadenmuskellange bei der klinischenUntersuchung und geringeres Durchbrechen des Langs-gewolbes in der mittleren Standphase.

Wenn das Lernpotenzial eines Patienten vorhan-den ist, also eine neue Bewegung erlernt werden

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kann, dann ist diese Versorgungsform in der Lage,dieses Lernen therapeutisch zu unterstutzen. Phy-siotherapeutische Behandlungskonzepte werdensomit unterstutzt und der Ubungsgedanke einerphysiotherapeutischen Behandlung kann deutlichzu besseren Ergebnissen fuhren. Operative Maßnah-men konnen sich in ihrer Ausfuhrung an diesenLerngedanken anlehnen und es kann deutlich we-niger versteifend operiert werden. Physiotherapeu-tische und operative Maßnahmen konnen in ihrerWirkung durch die Versorgung mit sensomotori-schen Einlagen unterstutzt und optimiert werden.Diese Art der Einlage kann ideal als Praventions-hilfsmittel eingesetzt werden, um gerade beiKindern die Entwicklung von progredienten Fuß-deformitaten vorzubeugen.

Fazit

Sensomotorische Einlagen werden von Kindernsehr gut akzeptiert. Durch ihre flexible Bauarterfullen sie in Zusammenwirken mit ausreichendflexiblen Schuhen die Forderungen nach einermoglichst naturlichen Abrollung des Fußes unterNutzung des naturlichen Gelenkspiels. Sie fuhrendaruber hinaus zu klinischen messbaren Verbesse-rungen des Ganges. Wir empfehlen daher eine Be-vorzugung diese Art der Versorgung gegenuberklassischen Einlagen. Weitere ganganalytische ver-gleichende Untersuchungen zwischen klassischen

und sensomotorischen Einlagen sind notwendig, umdas Verstandnis fur diese Effekte zu erweitern unddie subjektive Beurteilung durch die Patienten unddie klinischen Ergebnisse durch standardisierteMeßmethoden zu untermauern.

Literatur

[1] A. Bird, A.P. Bendrups, C. Payne, The effect of footwedging on electromyographic activity in the erectorspinae and gluteus medius muscles during walking,Gait and Posture 18 (2003) 81–91.

[2] F. Brinkmann, Ganganalytische Untersuchung zurtherapeutischen Effizienz der sensomotorischen Ein-lagen nach Jahrling bei zentralnervosen Erkrankun-gen, Diplomarbeit Fachhochschule Gießen-Friedberg,2005.

[3] J. Jerosch, H. Mamsch, Deformities and misalignmentof feet in children – a field study of 345 students,Zeitschrift fur Orthopadie 136 (3) (1998) 215–220.

[4] A. Kavounoudias, R. Roll, J. Roll, The plantar sole isa ‘dynamometric map’ for human balance control,Neuroreport 9 (1998) 3247–3252.

[5] A. Kornbrust, Zehengang bei Kindern – Haufigkeit,Ursachen und Behandlung mit propriozeptiven Einla-gen, Inaugural-Dissertation Universitat Gießen, 2001.

[6] O. Ludwig, N. Fuhr, Anderung der muskularen Akti-vitat durch propriozeptiv wirkende Einlegesohlen,Orthopadieschuhtechnik 12 (2004) 13–18.

[7] S. Wolf, et al., Foot motion in children0s shoes –

comparison between barefoot and shoed walking,Gait & Posture 26 (2007) 51–59.