81
Technische Universität München Ingenieurfakultät Bau Geo Umwelt Lehrstuhl für Geodäsie Vorlesungsskript Sensorik und Methodik 1 Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Thomas A. Wunderlich B.Sc. Geodäsie und Geoinformation 3. Semester Wintersemester 2015/16

Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

  • Upload
    others

  • View
    0

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Technische Universität MünchenIngenieurfakultät Bau Geo UmweltLehrstuhl für Geodäsie

Vorlesungsskript

Sensorik und Methodik 1

Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Thomas A. Wunderlich

B.Sc. Geodäsie und Geoinformation3. SemesterWintersemester 2015/16

Page 2: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Erstellt auf Grundlage von Mitschriften der Vorlesung von Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. ThomasWunderlich sowie regelmäßigen Ergänzungen.

Ausgearbeitet von Dr.-Ing. Peter Wasmeier und Dipl.-Ing. Johannes Ohlmann-Lauber.

Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Thomas A. Wunderlich

Technische Universität München Tel +49.89.289.22850Lehrstuhl für Geodäsie Fax +49.89.289.23967Arcisstraße 21 Mail [email protected] München Web www.geo.bgu.tum.de

Page 3: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Inhaltsverzeichnis

1 Koordinatentransformationen 4

1.1 3D-Ähnlichkeitstransformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

1.2 2D-Ähnlichkeitstransformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20

1.3 Überbestimmte Transformation - Helmerttransformation . . . . . . . . . . . . . . . 23

1.4 2D-Affintransformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

1.5 Graphische Transformation - Maschenweise Affintransformation . . . . . . . . . . 31

1.6 Die Affintransformation in der Deformationsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

1.7 Projektive Transformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

2 Trassierungen 37

2.1 Der Kreisbogen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

2.2 Der Korbbogen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

2.3 Übergangsbögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

2.4 Die Klothoide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46

2.5 Schwerpunktstrassierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

3 Interpolationen 54

3.1 Interpolationen einer unabhängigen Variablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54

3.2 Interpolationen von zwei unabhängigen Variablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56

3.3 Spezielle Interpolationen in der Geodäsie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58

4 Freiform-Kurven und -Flächen 64

4.1 Bézierkurven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64

4.2 Rationale Bézierkurven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66

4.3 Tensorprodukt-Bézierflächen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69

4.4 Rationale Bézierflächen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70

4.5 Bézier-Spline-Kurven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73

4.6 Rationale B-Spline-Kurven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76

4.7 NURBS-Flächen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77

4.8 Gordon-Coons-Flächen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79

4.9 Stetige Übergänge zwischen Freiformflächen - Blending . . . . . . . . . . . . . . . 80

Page 4: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Sensorik und Methodik 1

1 Koordinatentransformationen

Unter einer Koordinatentransformation versteht man jede Umwandlung einer Beschreibung ei-nes Punktes aus einem gegebenen System (Quellsystem) in ein anderes System (Zielsystem).

Verschiedene Beispiele für Koordinatentransformationen haben Sie bereits kennengelernt: dieUmwandlung von Polar- in kartesische Koordinaten und umgekehrt, oder die Umwandlung vonsphärischen oder ellipsoidischen Koordinaten und kartesischen Koordinaten oder deren Abbil-dung in die Ebene.

Will man kartesische Koordinatensysteme ineinander überführen, lautet der Ansatz:

Quellsystem S(x, y, z)Zielsystem S′(x′, y′, z′)

⇒x′ = fx(x, y, z)y′ = fy(x, y, z)z′ = fz(x, y, z)

(1.1)

Wünschenswert ist es, für fx, fy und fz lineare Funktionszusammenhänge zu erhalten. Dieserleichtert zum einen die Rechenarbeit ganz erheblich, zum anderen bleiben die Umformungs-schritte geometrisch interpretierbar.Man erhält dann ein Gleichungssystem der Form

x′ = a0 + a1x+ a2y + a3z

y′ = b0 + b1x+ b2y + b3z (1.2)z′ = c0 + c1x+ c2y + c3z

bzw. eleganter und kürzer in Matrixschreibweise:

x′ = k + K · x (1.3)

wobei gilt

xT = (x, y, z)

x′T = (x′, y′, z′)kT = (a0, b0, c0) K =

a1 a2 a3b1 b2 b3c1 c2 c3

In diesem Fall sind 12 Parameter nötig, die dann den Gesetzen der Affinität folgen (Parallelenund Teilstreckenverhältnisse bleiben erhalten). Zur Bestimmung sind dann 4 identische Punkte(Transformationspunkte, Passpunkte) notwendig.

Im Folgenden sollen die für die geodätische Praxis wichtigsten Transformationstypen beschrie-ben werden.

1.1 3D-Ähnlichkeitstransformation

Bei einer Ähnlichkeitstransformation sind alle Operationen zugelassen, die sämtliche Winkel-und Streckenverhältnisse innerhalb eines zu transformierenden Objekts unverändert lassen.Dies sind

• Translation bzw. Parallelverschiebung entlang der drei Koordinatenachsen im Ausgangs-system. Dieser Schritt liefert im 3D-Fall drei Freiheitsgrade.

• Rotationen um die drei Achsen des Ausgangssystems. Auch dieser Schritt liefert dreiFreiheitsgrade.

4 Lehrstuhl für Geodäsie

Page 5: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Wintersemester 2015/16

• Maßstabsänderung zur Skalierung des transformierten Objekts in gleichem Maße in jededer drei Achsenrichtungen des Ausgangssystems. Erlaubt einen weiteren Freiheitsgrad.

Insgesamt ergeben sich 7 Freiheitsgrade, d.h. zur vollständigen Beschreibung einer dreidimen-sionalen Ähnlichkeitstransformation ist die Bestimmung von 7 Parametern notwendig. Manspricht deshalb auch von einer 7-Parameter-Transformation.Dieser Typ ist häufig in Aufgaben der Landesvermessung anzutreffen, wobei in diesem Fall derMaßstab sehr nahe an 1 liegt.

x’

z’

y’

x

z

y

P

Abb. 1: Punkt P im Quellsystem S und imZielsystem S’

Im Folgenden wird angenommen, dass das Quell-system mit S, das Zielsystem mit S′ bezeichnet sei.Die Koordinatenachsen seien so gelegt, dass einLinkssystem entsteht, so dass sich für z → 0 ebe-ne Lagekoordinaten wie im Vermessungswesen üb-lich ergeben.Will man die Gleichungen auf ein Rechtssystemübertragen, ist die Spiegelung an einer der betei-ligten Achsen notwendig.

1.1.1 3D-Koordinatentransformation nach SCHNÄDELBACH

Um einen Punkt vom Ausgangs- ins Zielsystem zu überführen, sind folgende Rechenschrittenotwendig:

1. Drehung des Ausgangssystems S, bis dessen Achsen parallel zu denen des Systems S’sind.

2. Maßstabsveränderung z.B. wegen unterschiedlicher Dimensionen oder nicht ganz iden-tischer metrischer Systeme. In der Geodäsie wird der Maßstabsfaktor in der Regel nahean 1 liegen.

3. Translation des Ursprungs O des Ausgangssystems parallel zu den Koordinatenachsen,bis dieser mit dem Ursprung O’ des Zielsystems zusammenfällt.

Im Folgenden sollen die einzelnen Vorgehensschritte näher betrachtet werden.

Univ. Prof. Dr.-Ing. habil. Thomas A. Wunderlich 5

Page 6: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Sensorik und Methodik 1

Abb. 2: Rotationen um die Achsen desQuellsystems

1. ROTATIONEN

Um Quell- und Zielsystem achsenparallel auszu-richten, sind drei unabhängige Drehungen desQuellsystems notwendig. Diese können entwederum feststehende Achsen oder um mitgedrehteAchsen vorgenommen werden. Letztere Möglich-keit wollen wir hier verwenden.Die positive Drehrichtung sei dabei definiert alsDrehung im Gegenuhrzeigersinn, wenn man vonder Spitze her auf die Drehachse blickt (das ent-spricht der allgemein üblichen mathematischenKonvention).

Die sich dann ergebenden Drehmatrizen Di um die Achsen i = 1, 2, 3 (werden im Folgendenhergeleitet) haben dann die Eigenschaften

• orthonormal zu sein, d.h. die Produkte von je zwei Zeilen oder Spalten sind gleich Null(bzw. | detD| = 1) („ortho“) und alle Zeilen und Spalten haben den Betrag 1 („normal“).

• die Transponierte ist gleich der Inversen, also DT = D−1, da sowohl DTD = E als auchD−1D = E gilt.Das erleichtert Rechnungen ungemein, da der Schritt des Invertierens ersetzt werdenkann.

• Außerdem gilt für eine Drehmatrix mit dem Winkelargument ε, dass

DT (ε) = D−1(ε) = D(−ε)

also dass die Inverse auch einer negativen Drehung (und damit der Rückdrehung) ent-spricht.

Beweisen lassen sich diese Beziehungen durch einfaches Ausrechnen (einfach mal ausprobie-ren!).

1A) 1. DREHUNG

Drehung des Systems S(x,y,z) um die x-Achse mit dem Winkel εx ins System S′1(x′1, y′1, z′1)

6 Lehrstuhl für Geodäsie

Page 7: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Wintersemester 2015/16

z

z'

y

y'

x=x'

PzP

yP

y'P

z'P

�x

�x

�x

�x

1

2

3

4

Abb. 3: Rotation um die x-Achse

Ziel dabei ist es, die y-Achse des Quellsystems in die(x’,y’)-Ebene des Zielsystems zu drehen.Betrachtet man sich die Rotationsskizze in Abb.3 mit x-bzw. x′-Achse zum Betrachter, so erkennt man, dass sichdie Koordinaten des Punktes P im gedrehten System S′

ausdrücken lassen als:

x′P = xP

y′P = yP cos εx − zP sin εx

z′P = yP sin εx + zP cos εx

Die verwendeten Dreiecke sind grau hinterlegt, wobeisich die Formel für y′P aus der Differenz der beiden Sei-ten À und Á ergibt, und die Formel für z′P aus der Summeder beiden Seiten  und Ã.Das ganze lässt sich auch wieder als Matrix schreiben,wobei jetzt das System S′1 das Zwischensystem nach derDrehung um die x-Achse sei:x′1y′1

z′1

=

1 0 00 cos εx − sin εx0 sin εx cos εx

xyz

(1.4a)

oder, wenn Dx als Kurzschreibweise für die ebene Drehmatrix bei Drehung um die x-Achseeingeführt wird:

x′1 = Dxx (1.4b)

1B) 2. DREHUNG

Drehung des Systems S′1(x1, y1, z1) um die y′1-Achse mit dem Winkel εy ins System S′2(x′2, y′2, z′2).

Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y′1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des Zielsystems zu stellen.Auch hier kann wieder die entsprechende Drehmatrix Dy aufgestellt werdenx′2y′2

z′2

=

cos εy 0 sin εy0 1 0

− sin εy 0 cos εy

x′1y′1z′1

(1.5a)

bzw. in Kurznotationx′2 = Dyx

′1 (1.5b)

1C) 3. DREHUNG

Drehung des Systems S′2(x2, y2, z2) um die z′2-Achse mit dem Winkel εz ins System S′3(x′3, y′3, z′3)

Nachdem nun die z-Achsen beider Systeme parallel sind und die x-Achse des Ausgangssystemsschon in der richtigen Ebene liegt, müssen noch x- und y-Achse parallel zum Zielsystem gedrehtwerden.

Univ. Prof. Dr.-Ing. habil. Thomas A. Wunderlich 7

Page 8: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Sensorik und Methodik 1

Dies geschieht mit der Drehmatrix Dz mittelsx′3y′3z′3

=

cos εz − sin εz 0sin εz cos εz 0

0 0 1

x′2y′2z′2

(1.6a)

bzw. in Kurznotationx′3 = Dzx

′2 (1.6b)

1D) ZUSAMMENFASSEN DER DREHUNGEN

Führt man alle drei Drehungen hintereinander aus, so entspricht das einer Matrixmultiplikationdes Punktvektors x aus dem Quellsystem nacheinander mit allen drei Drehmatrizen von rechts(mitdrehende Achsen):

x′3 = DzDyDxx = Dx

Die Reihenfolge der Drehungen darf dabei nicht verändert werden, da mitdrehende Achsen sichfür große Drehwinkel nicht kommutativ verhalten.Für D ergibt sich nach dem Ausmultiplizieren schließlich der Ausdruck

D =

cos εy cos εz sin εx sin εy cos εz − cos εx sin εz cos εx sin εy cos εz + sin εx sin εzcos εy sin εz sin εx sin εy sin εz + cos εx cos εz cos εx sin εy sin εz − sin εx cos εz− sin εy sin εx cos εy cos εx cos εy

(1.7)

bzw. abgekürzt geschrieben mit den entsprechenden Elementen dij :

D =

d11 d12 d13d21 d22 d23d31 d32 d33

(1.8)

Die Gesamtmatrix D ist ebenso wie ihre Teilmatrizen orthonormal; außerdem gilt für

• detD = 1: die Orientierung der Koordinatensysteme ist gleich

• detD = −1: die Orientierung der Koordinatensysteme ist verschieden(Rechtssystem↔ Linkssystem)

2. MASSSTABSÄNDERUNG

Der anzubringende Maßstabm ist ein Skalar, kann also direkt an die Koordinaten des Ausgangs-systems bzw. die Koordinaten des bereits rotierten Ausgangssystems angebracht werden.

3. TRANSLATION

Schließlich ist noch ein Verschieben des Ursprungs des Quellsystems in den Ursprung desZielsystems notwendig. Dies entspricht - analog zum Vektor k aus Formel (1.3) - einem Vektor

x0′ =

x′0y′0z′0

8 Lehrstuhl für Geodäsie

Page 9: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Wintersemester 2015/16

4. GESAMTGLEICHUNG

Für die gesamte Transformation erhält man dann die Gleichungx′y′z′

=

x′0y′0z′0

+m

d11 d12 d13d21 d22 d23d31 d32 d33

xyz

(1.9a)

bzw. in Kurznotationx′ = x0

′ +mDx (1.9b)

Sind die sieben Transformationsparameter bekannt, kann mit Hilfe dieser Formel sofort gearbei-tet werden.An dieser Stelle soll noch ein Sonderfall betrachtet werden, der häufig in der Landesvermes-sung bzw. in der Erdmessung auftritt. Sind nämlich die Drehwinkel εi sehr klein (z.B. wenn einorientiertes Punktfeld vom System der Messung in das System amtlicher GK-Koordinaten über-tragen werden soll) und ist auch der Maßstab nahe an 1 (i.d.R. ± 1-15 ppm), so gelten dieVereinfachungen

cos εi = 1− ε2i2

+ε4i24− . . . ≈ 1

sin εi = εi −ε3i6

+ε5i

120− . . . ≈ εi

m = 1 + µ

Damit ergibt sich für (1.9a):x′y′z′

=

x′0y′0z′0

+ (1 + µ)

1 −εz εyεz 1 −εx−εy εx 1

xyz

bzw. ausmultipliziert und unter der erlaubten Annahme (εi · µ ≈ 0) schließlichx′y′

z′

=

x′0y′0z′0

+

m −εz εyεz m −εx−εy εx m

xyz

(1.10)

Diese Formel hat den entscheidenden Vorteil, dass sie bezüglich der Transformationsparameterlinear ist.

5. UMKEHRUNG

Für die Rückrechnung von Koordinaten im Quellsystem aus Koordinaten im Zielsystem kann beibekannten Transformationsparametern die Gleichung (1.9a) einfach nach x aufgelöst werden:

Dx =1

m(x′ − x0

′)

x =1

mD−1(x′ − x0

′) =1

mDT (x′ − x0

′)

x = − 1

mDTx0

′ +1

mDTx′ = x0 +

1

mDTx′

Das Ergebnis ist formal identisch mit der Ausgangsformel (1.9a) für die Hintransformation; nunbeschreiben jedoch

Univ. Prof. Dr.-Ing. habil. Thomas A. Wunderlich 9

Page 10: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Sensorik und Methodik 1

• x0 die Koordinaten des Ursprungs des Zielsystems O’ im Quellsystem S(x,y,z)

• 1m den Kehrwert des Maßstabs zwischen Quell- und Zielsystem, also den Maßstab für dieRücktransformation

• DT die Rückdrehung des Zielsystems auf Basis der orthonormalen Drehmatrix für dieHindrehung.

1.1.2 Herleitung der Transformationsparameter

Gleichung (1.9a) beschreibt eine Transformation mit sieben Parametern: Translation (x′0, y′0, z′0),

Maßstab m und Rotation (εx, εy, εz).Für die eindeutige Bestimmung sind deshalb sieben Gleichungen notwendig, die sich über Pass-punkte ergeben. Die Passpunkte müssen dabei keine Vollpasspunkte (alle 3 Koordinaten ge-geben) sein, es müssen lediglich insgesamt sieben Koordinaten, die im Raum ein dreidimensio-nales Gebilde beschreiben, gegeben sein.

1. KLEINE DREHWINKEL

Im Fall kleiner Drehwinkel unter Anwendung von Gleichung (1.10) ist das entstehende Glei-chungssystem bezüglich der Parameter linear. Man kann daraus für jeden identischen Punktdirekt ansetzen

x′y′z′

=

1 0 0 0 z −y x0 1 0 −z 0 x y0 0 1 y −x 0 z

x′0y′0z′0εxεyεzm

(1.11a)

bzw. in Kurznotationx′ = Gt (1.11b)

Zum Lösen des Systems muss G eine 7× 7-Matrix sein (7 Gleichungen für 7 Passpunktkoordi-naten). Der Parametervektor t bestimmt sich dann durch

t = G−1x′ (1.11c)

2. GROSSE DREHWINKEL

Kann Gleichung (1.9a) nicht mittels kleiner Drehwinkel und Maßstab nahe an Eins zu einemlinearen Problem vereinfacht werden, muss die Lösung durch Linearisierung und Iteration er-folgen.Bei dieser Vorgehensweise geht man von einem Satz Näherungswerte für die gesuchten Para-meter (gekennzeichnet durch einen ?) aus und bestimmt sich zu diesen dann Zuschläge (Ver-besserungen). Die gesuchten Größen sind also nicht mehr die Parameter selbst, sondern nurnoch deren Zuschläge zu den Näherungswerten.

10 Lehrstuhl für Geodäsie

Page 11: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Wintersemester 2015/16

Die 7 Parameter werden also zusammengesetzt aus ihren Näherungswerten und einem Zu-schlag:

x′0 = x′?0 + dx′0 y′0 = y′?0 + dy′0 z′0 = z′?0 + dz′0

m = m? + dm

εx = ε?x + dεx εy = ε?y + dεy εz = ε?z + dεz

Setzt man die Näherungswerte in Gleichung (1.9a) ein und bestimmt sich damit die Punkte imZielsystem, so erhält man Näherungsergebnisse (x′?, y′?, z′?).Zusammengesetzt lässt sich (1.9a) jetzt in linearer Form mit den entsprechenden Näherungs-werten als sog. Taylorentwicklung darstellen. Die wahren Zielkoordinaten sind demnach Funk-tionen der genäherten Zielkoordinaten sowie der anzubringenden Verbesserungen in der Form

x′ = x′? + (∂x′

∂x′0)?dx′0 + (

∂x′

∂y′0)?dy′0 + (

∂x′

∂z′0)?dz′0 + (

∂x′

∂εx)?dεx + (

∂x′

∂εy)?dεy + (

∂x′

∂εz)?dεz + (

∂x′

∂m)?dm

y′ = y′? + (∂y′

∂x′0)?dx′0 + (

∂y′

∂y′0)?dy′0 + (

∂y′

∂z′0)?dz′0 + (

∂y′

∂εx)?dεx + (

∂y′

∂εy)?dεy + (

∂y′

∂εz)?dεz + (

∂y′

∂m)?dm

z′ = z′? + (∂z′

∂x′0)?dx′0 + (

∂z′

∂y′0)?dy′0 + (

∂z′

∂z′0)?dz′0 + (

∂z′

∂εx)?dεx + (

∂z′

∂εy)?dεy + (

∂z′

∂εz)?dεz + (

∂z′

∂m)?dm

oder, numerisch wesentlich günstiger zu berechnen, da die Koordinaten oft sehr große Werte imVergleich zu den Transformationsparametern bzw. deren Verbesserungen aufweisen, nach demÜbergang auf Koordinatendifferenzen:

x′ − x′? = (∂x′

∂x′0)?dx′0 + (

∂x′

∂y′0)?dy′0 + (

∂x′

∂z′0)?dz′0 + (

∂x′

∂εx)?dεx + (

∂x′

∂εy)?dεy + (

∂x′

∂εz)?dεz + (

∂x′

∂m)?dm

y′ − y′? = (∂y′

∂x′0)?dx′0 + (

∂y′

∂y′0)?dy′0 + (

∂y′

∂z′0)?dz′0 + (

∂y′

∂εx)?dεx + (

∂y′

∂εy)?dεy + (

∂y′

∂εz)?dεz + (

∂y′

∂m)?dm

z′ − z′? = (∂z′

∂x′0)?dx′0 + (

∂z′

∂y′0)?dy′0 + (

∂z′

∂z′0)?dz′0 + (

∂z′

∂εx)?dεx + (

∂z′

∂εy)?dεy + (

∂z′

∂εz)?dεz + (

∂z′

∂m)?dm

Eine andere Möglichkeit, numerische Stabilität zu erreichen, wäre es, die Einheiten so zu wäh-len, dass die Zahlenwerte in etwa im gleichen Bereich liegen (also z.B. in km statt in m rechnen).Die einzelnen Differentialquotienten beschreiben in diesen Formeln die Auswirkung einer Ver-besserung auf das Endresultat und sind abhängig von den Näherungswerten. Deshalb werdensie auch aus diesen berechnet (und sind darum auch mit dem ? gekennzeichnet).Zur Herleitung der Differentialquotienten startet man wieder bei Gleichung (1.9a). Das soll anzwei Beispielen veranschaulicht werden.Für eine beliebige Zielkoordinate x’ gilt

x′ = x′0 +md11x+md12y +md13z

oder, mit ausgeschriebenen Faktoren d11, d12, d13 der Drehmatrix

x′ = x′0+m(cos εy cos εz)x+m(sin εx sin εy cos εz−cos εx sin εz)y+m(cos εx sin εy cos εz+sin εx sin εz)z

Univ. Prof. Dr.-Ing. habil. Thomas A. Wunderlich 11

Page 12: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Sensorik und Methodik 1

Exemplarisch wollen wir nun diese Gleichung nach den Parametern εx und εy ableiten:

∂x′

∂εx= m(cos εx sin εy cos εz + sin εx sin εz)y +m(− sin εx sin εy cos εz + cos εx sin εz)z

= md13y −md12z∂x′

∂εy= m(− sin εx cos εz)x+m(sin εx cos εy cos εz)y +m(cos εx cos εy cos εz)z

= cos εz[m(− sin εy)x+m(sin εx cos εy)y +m(cos εx cos εy)z]︸ ︷︷ ︸3. Zeile von (1.9a)

= cos εz(z′ − z′0)

Man versucht dabei, die Quotienten möglichst einfach zu halten und durch gegebene Elementeauszudrücken. Dann müssen nämlich z.B. die Einträge dij in jedem Iterationsschritt nur einmalzu Beginn bestimmt werden und können zur Berechnung der Differentialquotienten direkt einge-setzt werden. Das spart Rechenarbeit und schafft Übersicht.Ausgehend von obigen Schritten lassen sich alle Ableitungen bestimmen, so dass man erhält:

∂x′

∂x′0=∂y′

∂y′0=∂z′

∂z′0= 1

∂x′

∂y′0=∂x′

∂z′0=∂y′

∂x′0=∂y′

∂z′0=∂z′

∂x′0=∂z′

∂y′0= 0

∂x′

∂εx= m(d13y − d12z)

∂x′

∂εy= (z′ − z′0) cos εz

∂x′

∂εz= −(y′ − y′0)

∂y′

∂εx= m(d23y − d22z)

∂y′

∂εy= (z′ − z′0) sin εz

∂y′

∂εz= x′ − x′0

∂z′

∂εx= m(d33y − d32z)

∂z′

∂εy= m(− cos εyx− sin εx sin εyy − cos εx sin εyz)

∂z′

∂εz= 0

∂x′

∂m=

1

m(x′ − x′0)

∂y′

∂m=

1

m(y′ − y′0)

∂z′

∂m=

1

m(z′ − z′0)

(1.12)

Anzuwenden ist dieser Formelapparat, wenn die Transformationsparameter näherungsweiseaus der gegenseitigen Lage von Quell- und Zielsystem oder einer anderen Näherungsrechnung

12 Lehrstuhl für Geodäsie

Page 13: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Wintersemester 2015/16

bekannt sind. In diesen Fällen - bei ausreichend guten Näherungswerten - ist solange zu ite-rieren, bis die berechneten Parameter in einem weiteren Iterationsschritt keine nennenswertenVerbesserungen mehr erhalten.Sind nur unzureichende Näherungswerte bekannt, kann das Gleichungssystem divergieren bzw.gegen einen falschen Extremwert konvergieren (da ja insbesondere die Winkelfunktionen nichteindeutig sind). Es ist also nicht möglich, mit einem beliebigen Satz von Startwerten zu begin-nen.Um dennoch Näherungswerte bzw. Transformationsparameter berechnen zu können, muss manin Kauf nehmen, mehr als nur 7 Passpunktkoordinaten zur Bestimmung heranzuziehen.

Multipliziert man den Formelsatz (1.9a) aus, so erhält man das Gleichungssystem

x′ = x′0 +md11x+md12y +md13z = a0 + a1x+ a2y + a3z

y′ = y′0 +md21x+md22y +md23z = b0 + b1x+ b2y + b3z

z′ = z′0 +md31x+md32y +md33z = c0 + c1x+ c2y + c3z

(1.13)

Dabei lässt sich der Maßstab m mit den Elementen dij der Drehmatrix zu den Parametern(a, b, c)1−3 zusammenfassen, so dass ein 12-parametriges Gleichungssystem nach Art von (1.2)entsteht. Dieses System ist jetzt bezüglich der Hilfsparameter a0 . . . c3 linear, benötigt aber 12Koordinaten, um gelöst zu werden.Für dieses System kann wieder für jeden Punkt angesetzt werden

x′y′z′

=

1 0 0 x y z 0 0 0 0 0 00 1 0 0 0 0 x y z 0 0 00 0 1 0 0 0 0 0 0 x y z

a0b0c0a1a2a3b1b2b3c1c2c3

(1.14a)

oder, kurz notiert

x′ = Gt (1.14b)

zur Lösung sind jetzt 12 Koordinaten notwendig. Eigentlich löst man mit dieser Gleichung ein af-fines 3D-Problem1. Die neun Parameter, die aus der Drehmatrix stammen, sind aber hinsicht-lich der ursprünglichen vier Parameter (Drehungen, Maßstab) nicht voneinander unabhängig.Über die Orthogonalität von D kann so der Maßstab aus allen drei Spalten berechnet werden:

m21(d

211 + d221 + d231) = m2

1 = a21 + b21 + c21

m22(d

212 + d222 + d232) = m2

2 = a22 + b22 + c22

m23(d

213 + d223 + d233) = m2

3 = a23 + b23 + c23

(1.15)

1Die Affintransformation wird in einem der nächsten Kapitel behandelt.

Univ. Prof. Dr.-Ing. habil. Thomas A. Wunderlich 13

Page 14: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Sensorik und Methodik 1

Die Rotationswinkel erhält man über Einsetzen der Drehmatrixkomponenten und Auflösen, z.B.mittels

tan εx =sin εx cos εycos εx cos εy

=d32d33

=c2c3

tan εy =sin εy√

cos2 εy(sin2 εz + cos2 εz)

=−d31√d211 + d221

=−c1√a21 + b21

tan εz =cos εy sin εzcos εy cos εz

=d21d11

=b1a1

Näherungswerte für die Translation ergeben sich durch Einsetzen der bisher gewonnenen Wertein die Gleichung (1.15).

Betrachtet man die Umformungen genauer, so erkennt man, dass zur Berechnung von(m, εx, εy, εz) eigentlich nur fünf der neun neuen Parameter verwendet worden sind. Die Über-bestimmung, die man sich mit dem Linearisierungsschritt und 12 Parametern eingehandelt hat,wird hierbei nicht berücksichtigt. Das ist erlaubt, wenn sowohl Ausgangs- als auch Zielsystem aufallen Achsen gleichen Maßstab haben und alle für die überbestimmte Rechnung verwendeten12 Koordinatenpaare zu selbstähnlichen geometrischen Gebilden in beiden Systemen gehören.Denn genau dann - und nur dann - ist überhaupt der Ansatz der Ähnlichkeitstransformation er-laubt. In diesem Fall ist auch eine weitere Iteration nach den Formeln des vorherigen Abschnittsunnötig.Beschreiben die Koordinatenpaare keine ähnliche Abbildung, so ist zu entscheiden, ob die Ab-weichungen tolerierbar sind oder nicht. Im ersten Fall können die so bestimmten 7 Parameterals Näherungswerte für die Taylorlinearisierung angesetzt werden. Reduziert man das Systemdort wieder auf 7 Gleichungen, so wird man eine eindeutige Lösung erhalten, die jedoch davonabhängig ist, welche der Koordinatenpaare man dazu verwendet. Mit anderen Worten: aus den12 Näherungspaaren lassen sich 792 (!) verschiedene Kombinationen von 7 Parameterpaarenzusammenstellen, und jede dieser Kombinationen wird eine eigene Lösung produzieren. Hier istbei der Auswahl also Vorsicht geboten, bzw. sollte von vornherein bekannt sein, welche Koordi-naten letztendlich zu verwenden sind.Sind die Abweichungen nicht tolerierbar, so muss der Ansatz der Ähnlichkeitstransformationverworfen werden. In diesem Fall ist eine Affintransformation zu wählen (die ja für den Nähe-rungsansatz ohnehin schon bestimmt worden ist).Zur Überprüfung, ob eine Ähnlichkeitstransformation durchführbar ist oder nicht, dient in ersterLinie die Berechnung des Maßstabs für alle drei Achsen (in allen drei angegebenen Kombi-nationen). Diese drei Werte sollten sich nur geringfügig (wenige ppm bzw. Messgenauigkeit)unterscheiden. Eine Möglichkeit zur Kontrolle der Winkelbestimmung ist die Rückrechnung derDrehmatrixelemente dij aus den (εx, εy, εz).

1.1.3 Räumliche Drehstreckung nach RINNER

Eine weitere Möglichkeit der Lösung einer 3D-Ähnlichkeitstransformation stellt die RäumlicheDrehstreckung dar. Vorteil dieses Verfahrens ist ein linearer Rechenweg, der ohne Näherungs-werte auskommt. Nachteil ist eine mathematisch aufwändigere, weniger anschauliche aber dafürgeometrisch neu interpretierbare Vorgehensweise. Zusätzlich ist die Wahl der Koordinatenpaa-re nicht frei, notwendig sind mindestens zwei Vollpasspunkte und eine weitere Koordinate einesdritten Punktes (im vorliegenden Fall die z-Komponente).

14 Lehrstuhl für Geodäsie

Page 15: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Wintersemester 2015/16

Abb. 4: Räumliche Drehstreckung

In Abb.4 sei das Quellsystem mit Pi und das Zielsystem mit PiL bezeichnet. Gesucht ist einelineare Transformationsvorschrift, die einen Vektor x in den Vektor xL umwandelt bzw. umge-kehrt.Auch hier gilt wieder der allgemeine Ansatz der 3D-Ähnlichkeitstransformation

xL = c + µRx = x0L + µR(x− x0)

mit c = x0L − µRx0 vgl. (1.24)(1.16)

Dabei bezeichnet

• c den Verschiebungsvektor der beiden Systeme (Translation)

• µ den Maßstabsfaktor zwischen den beiden Systemen

• R eine orthogonale Matrix, der die Verdrehungen entsprechen (Rotation)

Die räumliche Drehstreckung wird durch 7 Parameter beschrieben:

c(c1, c2, c3) , µ , R(α1, α2, α3)

Für die Bestimmung sind sieben homologe Koordinaten2 notwendig, wobei zwei Vollpasspunkteenthalten sein müssen:

P0 : x0(x0, y0, z0)→ x0L(x0L, y0L, z0L)

P1 : x1(x1, y1, z1)→ x1L(x1L, y1L, z1L)

P2 : x2(x2, y2, z2)→ x2L(−−,−−, z2L)

Prinzipiell ist die 7. Koordinate frei wählbar, der folgende Rechenweg bezieht sich aber auf dieWahl einer z-Komponente. Für x- oder y-Komponenten ändert sich der Rechenweg.

2Homolog bedeutet, in unterschiedlichen Systemen den selben Punkt zu beschreiben

Univ. Prof. Dr.-Ing. habil. Thomas A. Wunderlich 15

Page 16: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Sensorik und Methodik 1

1. TRANSLATION

Der erste Schritt ist die Verschiebung des Punktes P0 ind den Punkt P0L. Dies entspricht direktdem gesuchten Verschiebungsvektor t (Achtung! Das ist nicht der Verschiebungsvektor c dergesamten Transformation!).

t = x0L − x0 (1.17)

Damit ergeben sich für die Ausgangspunkte Koordinaten in einem ersten Zwischensystem P′:

P′ : x′i(x′i, y′i, z′i) = xi(xi, yi, zi) + t

2. MASSSTAB

Als nächstes ist der Maßstab anzubringen. Dieser wird aus dem Verhältnis der Differenzvektoren(bzw. Raumstrecken) der beiden Vollpasspunkte bestimmt:

µ =|x0L − x1L||x0 − x1|

=sLs

(1.18)

Damit ergibt sich ein zweites Zwischensystem P′′

P′′ : x′′i = x0L + µ(x′i − x0L)

ähnlich und parallel dem Quellsystem.

3. ROTATIONEN

Der dritte Schritt ist die Drehung der durch (P0LP′′1P′′2) aufgespannten Ebene in die Ziellage

(P0LP1LP2L). Dies geschieht mittels zweier Einzeldrehungen, wobei die erste den Punkt P′′1auf P1L zu liegen bringt, und die zweite dann P′′′2 auf P2L.Vor dem Aufstellen der Rotationsgleichungen soll aber noch ein Überblick über räumliche Dre-hungen in vektorieller Darstellung gegeben werden.

3.1A) RÄUMLICHE DREHUNGEN IN VEKTORSCHREIBWEISE

In Abb.5 auf der nächsten Seite sei die Gerade, auf der der Vektor xd liegt, die (beliebig im Raumgelagerte) Drehachse. xd ist der Ursprungsvektor zum Drehungsmittelpunkt, d der zugehörigeEinheitsvektor. xd ist normal zur Ebene der Drehbewegung, xn ist der gemeinsame Normalen-vektor zu xd und xr in dieser Ebene.Der zu rotierende Punkt habe vor der Drehung den Ortsvektor x, danach den Ortsvektor x′.Dementsprechend bezeichnen xr bzw. x′r die Vektoren vom Drehungsmittelpunkt zum rotieren-den Punkt.In der Frontansicht bezeichnen noch i und j die Einheitsvektoren zu xr bzw. xn.Dann gelten folgende Zusammenhänge:

xd = (x · d)d wobei (d · d) = 1

xr = x− (x · d)d

xn = d× x mit |xn| = |xr| = xr

i =1

|xr|xr j =

1

|xn|xn

16 Lehrstuhl für Geodäsie

Page 17: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Wintersemester 2015/16

d

xd

xn

x'r

xr

x

x'

xn

x'r

xr

i j

Abb. 5: Vektorielle Drehungsbetrachtung

In der Frontansicht gilt nun

x′r = ixr cos ε+ jxr sin ε = xr cos ε+ xn sin ε

x′ = (x · d)d + x′r = (x · d)d +(x− (x · d)d

)cos ε+ (d× x) sin ε

Damit ergibt sichx′ = x cos ε+ (1− cos ε)(x · d)d + sin ε(d× x) (1.19)

3.1B) RÄUMLICHE DREHUNGEN IN MATRIXSCHREIBWEISE

Führt man die Vektorarithmetik in Gleichung 1.19 explizit aus, so erhält man ein aus drei Glei-chungen bestehendes System, das sich wie folgt in Matrixschreibweise zusammenfassen lässt:

x′ =(E3,3 cos ε+ D3,3(1− cos ε) + A3,3 sin ε

)x = Rx (1.20)

Dabei sind

E3,3 =

1 0 00 1 00 0 1

D3,3 =

d1d1 d1d2 d1d3d2d1 d2d2 d2d3d3d1 d3d2 d3d3

A3,3 =

0 −d3 d2d3 0 −d1−d2 d1 0

Man nennt D eine Dyade bzw. Projektionstensor3, und A einen Axiator bzw. alternierendenTensor.Für die Elemente rij der Matrix R ergibt sich dann folgende Gestalt:

r11 = (1− cosα)d21 + cosα r12 = (1− cosα)d2d1 − d3 sinα

r21 = (1− cosα)d1d2 + d3 sinα r22 = (1− cosα)d22 + cosα

r31 = (1− cosα)d1d3 − d2 sinα r32 = (1− cosα)d3d2 + d1 sinα

3Als Tensor bezeichnet man im Allgemeinen eine Matrix, die zum Beschreiben eines physikalischen Zusammen-hangs unabhängig vom Bezugssystem verwendet werden kann.

Univ. Prof. Dr.-Ing. habil. Thomas A. Wunderlich 17

Page 18: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Sensorik und Methodik 1

r13 = (1− cosα)d3d1 + d2 sinα

r23 = (1− cosα)d3d2 − d1 sinα

r33 = (1− cosα)d23 + cosα

(1.21)

In den Sonderfällen, in denen die Drehachsen in Richtung der kartesischen Koordinatenachsenzeigen, erhält man für R die bekannten EULERSCHEN Drehmatrizen.Eine weitere wichtige Nebenkerkenntnis aus der Darstellung in Matrixschreibweise ist auch,dass eine kombinierte Drehung um die kartesischen Achsen R = R3R2R1 durch eine einzigeDrehung um eine raumschiefe Achse d ersetzt werden kann. Kennt man R, kann man sichdaraus d und den zugehörigen Drehwinkel berechnen.

3.2A) 1. DREHUNG

Die 1. Rotation führt den Punkt P′′1 in P1L über. Dies geschieht durch Drehung um einen Winkelα1 um eine Achse a1, die senkrecht auf der durch (P0LP

′′1P1L) aufgespannten Ebene stehen

muss. Deshalb gilt:

a1 =(x′′1 − x0L)× (x1L − x0L)

|(x′′1 − x0L)× (x1L − x0L)|(1.22a)

cosα1 =(x′′1 − x0L)T (x1L − x0L)

|(x′′1 − x0L)T ||(x1L − x0L)|(1.22b)

Mit den Werten für a1 und α1 kann eine Drehmatrix R1 nach Formelsatz (1.21) aufgestellt wer-den.es entsteht das Zwischensystem P′′′, das mit dem Zielsystem schon eine Achsenrichtung ge-meinsam hat:

P′′′ : x′′′i = x0L + R1(x′′i − x0L)

3.2B) 2. DREHUNG

Die 2. Rotation dreht noch um die Achse a2 mit dem Winkel α2. Da die Gerade durch den Vektor(P0LP1L) in Quell- und Zielsystem identisch ist, muss sie parallel zur Drehachse sein. Es giltfolglich:

a2 =x1L − x0L

|x1L − x0L|=

a21a22a23

(1.23a)

Der Drehwinkel α2 ist leider nicht so einfach herzuleiten, da für den 3. homologen Punkt nurnoch eine Koordinate zur Verfügung steht. Man setzt dennoch wieder die Abbildungsgleichungan

xL = x0L + R2(x′′′2 − x0L)

und betrachtet darin nur die Komponente, von der auch die x2L-Koordinate gegeben ist. Andieser Stelle unterscheiden sich die Lösungswege für unterschiedliche Koordinatenangabe. ImFall einer gegebenen z-Koordinate gilt für die 3. Zeile:

z2L − z0L =((1− cosα2)a21a23 − a22 sinα2

)(x′′′2 − x0L)

+((1− cosα2)a23a22 + a21 sinα2

)(y′′′2 − y0L)

+((1− cosα2)a

223 + cosα2

)(z′′′2 − z0L)

18 Lehrstuhl für Geodäsie

Page 19: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Wintersemester 2015/16

Ausmultipliziert und nach Faktoren in sinα2 und cosα2 zusammengefasst, erhält man

0 =(a21(y

′′′2 − y0L)− a22(x′′′2 − x0L)

)sinα2

+[−a23

(a21(x

′′′2 − x0L) + a22(y

′′′2 − y0L) + a23(z

′′′2 − z0L)

)+ (z′′′2 − z0L)

]cosα2

+[a23(a21(x

′′′2 − x0L) + a22(y

′′′2 − y0L) + a23(z

′′′2 − z0L)

)− (z′2L − z0L)

]Dies ist eine goniometrische Gleichung der Form

A sinα2 +B cosα2 + C = 0

die sich wie folgt lösen lässt:

A sinα2 +B cosα2 + C = 0 Übergang auf Halbwinkel

2A sinα2

2cos

α2

2+B cos2

α2

2−B sin2 α2

2+ C = 0 | ÷ cos2

α2

2

2A tanα2

2+B −B tan2 α2

2+

C

cos2 α22

= 0 | 1

cos2x= 1 + tan2 x

2A tanα2

2+B −B tan2 α2

2+ C(1 + tan2 α2

2) = 0

(C −B) tan2 α2

2+ 2A tan

α2

2+ (B + C) = 0 | ÷ (C −B)

tan2 α2

2+

2A

C −Btan

α2

2+B + C

C −B= 0

Diese Gleichung als Polynom von (tan α22 ) kann man mit der quadratischen Lösungsformel ein-

fach lösen, so dass sich für den gesuchten Drehwinkel α2 die beiden Lösungen ergeben:

tanα2

2=

1

C −B(−A±

√A2 +B2 − C2

)(1.23b)

3.2C) ZUSAMMENFASSEN DER DREHUNGEN

Beide Einzeldrehungen lassen sich wieder zu einer Gesamtdrehung zusammenfassen, für diegilt:

R = R2R1

Diese Drehmatrix R muss natürlich identisch der Drehmatrix D des SCHNÄDELBACHSCHEN An-satzes sein und dieselben Eigenschaften aufweisen.

4. GESAMTGLEICHUNG

Für die Gesamtgleichung gilt jetzt der gewünschte Ansatz

xiL = c + µRxi (1.24)

dessen Parameterwerte ohne jede Iteration aus den gegebenen 7 Koordinaten bestimmt werdenkönnen.

Univ. Prof. Dr.-Ing. habil. Thomas A. Wunderlich 19

Page 20: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Sensorik und Methodik 1

5. ÜBERBESTIMMTE RÄUMLICHE DREHSTRECKUNG

Hat man mehr als 7 homologe Koordinaten gegeben, so ist das System überbestimmt. DieLösung erfolgt durch Ausgleichungsrechnung nach der Methode der Kleinsten Quadrate4. Dadie Transformationsgleichung hinsichtlich der Parameter dieses Ansatzes linear ist, ist keine Ite-ration notwendig.Man bestimmt sich zuerst Näherungswerte (c?, µ?,R?) nach dem oben beschriebenen Ver-fahren, wobei man nur 7 der gegebenen Koordinaten nutzt. Anschließend werden diese unterVerwendung aller gegebenen Koordinaten verbessert:

c = c? + dc µ = µ? + dµ R = R? + dR

Auf die Ausführung der Rechnung soll an dieser Stelle bewusst verzichtet und auf die entspre-chenden Themen der Ausgleichungsrechnung hingewiesen werden.

1.2 2D-Ähnlichkeitstransformation

y’

x’

O’

O’y ’0

x ’0

x

y

P�

Abb. 6: Punkt P im Quellsystem S und imZielsystem S’

Der Fall einer ebenen Ähnlichkeitstransformationist in der Vermessung sehr häufig, vor allem beiAufgabenstellungen in der Katastermessung (La-gevermessung).Die Formeln ergeben sich aus den Formelsätzender räumlichen Transformation (1.9a) mit den ebe-nen Bedingungen

z = z′ = z′0 = 0

εx = εy = 0

εz → ε

Es verbleiben vier Parameter, nämlich

x′0, y′0 Parameter der Translationε Drehwinkelm Maßstabsfaktor

Der Drehwinkel εwird dabei im Uhrzeigersinn positiv gezählt, also bei einer Drehung der x-Achseauf die y-Achse zu. Daraus folgend lässt sich die zweidimensionale Drehmatrix

D =

(cos ε − sin εsin ε cos ε

)bilden, so dass sich als Transformationsgleichungen für den ebenen Fall ergeben:

x′ = x′0 +m cos ε · x−m sin ε · yy′ = y′0 +m sin ε · x+m cos ε · y

(1.25a)

bzw. in Kurznotationx′ = x′0 +mDx (1.25b)

Dieser Formelsatz wird auch als ebene Drehstreckung oder lineare konforme Transformationbezeichnet.

4siehe Vorlesung „Ausgleichungsrechnung“.

20 Lehrstuhl für Geodäsie

Page 21: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Wintersemester 2015/16

1.2.1 Umkehrung

Das Auflösen von Gleichung (1.25a) nach x formal identisch wie im 3D-Fall führt zu

x =1

mDT (x′ − x′0)

Ausgeschrieben erhält man

x = x0 +1

mcos ε · x′ + 1

msin ε · y′

y = y0 −1

msin ε · x′ + 1

mcos ε · y′

Dabei beschreiben wieder

• x = (x0, y0)T die Koordinaten des Ursprungs O’ im System S(x,y)

• m′ = 1m den Kehrwert des Maßstabs

• ε′ = −ε die Rückdrehung ins Ausgangssystem

so dass man die Umkehrung noch umformen kann zu

x = x0 +m′ cos ε′ · x′ −m′ sin ε′ · y′

y = y0 +m′ sin ε′ · x′ +m′ cos ε′ · y′(1.26)

Damit haben wir formal wieder den identischen Formelsatz zur Hindrehung (1.25a).

1.2.2 Bestimmung der Transformationsparameter

Da vier unbekannte Parameter bestimmt werden müssen, sind zur Auflösung von vier Gleichun-gen des Systems (1.25a) zwei identische Punkte in beiden Systemen notwendig.Die Formeln sind bezüglich der Parameter nicht linear, die Produkte aus m und ε können aberdurch eine Variablensubstitution entfernt und damit die Gleichungen linearisiert werden. Manersetzt

a = m cos ε o = m sin ε (1.27)

und erhält damit das lineare System

x′ = x′0 + ax− oyy′ = y′0 + ox+ ay

(1.28)

Setzt man in diese Gleichungen die Koordinaten zweier identischer Punkte ein, so erhält man

x′1 = x′0 + ax1 − oy1 y′1 = y′0 + ox1 + ay1

x′2 = x′0 + ax2 − oy2 y′2 = y′0 + ox2 + ay2

Um numerisch stabile Größen zu erhalten (Umrechnung kleiner lokaler Koordinatenwerte ingroße Landeskoordinatenwerte) erfolgt wieder der Übergang auf Koordinatendifferenzen:

∆x′ = a∆x− o∆y ∆y′ = o∆x+ a∆y

Univ. Prof. Dr.-Ing. habil. Thomas A. Wunderlich 21

Page 22: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Sensorik und Methodik 1

In diesen Gleichungen kürzen sich die Translationsparameter, so dass nach den Hilfsvariablena und o aufgelöst werden kann

a =∆x∆x′ + ∆y∆y′

∆x2 + ∆y2o =

∆x∆y′ −∆y∆x′

∆x2 + ∆y2(1.29)

wobei sich schließlich die Translationen durch Einsetzen in (1.28) ergeben:

x′0 = x′ − ax+ oy y′0 = y′ − ox− ay (1.30)

Durch Rücksubstitution sind schließlich noch der Maßstab und Drehwinkel aus den Hilfsvaria-blen zu bestimmen:

m =√o2 + a2 tan ε =

o

a(1.31)

Wenn man sichm genauer betrachtet und in obige Formel die Koordinatendifferenz-Ersetzungenfür a und o einsetzt, erhält man

m2 =∆x′2(∆x2 + ∆y2) + ∆y′2(∆x2 + ∆y2)

(∆x2 + ∆y2)2=

∆x′2 + ∆y′2

∆x2 + ∆y2=s′2

s2

Der Maßstabsfaktor ist also im 2D-Fall nichts anderes als das Verhältnis der Strecken zwischenden identischen Punkten im Ziel- und im Ausgangssystem.Eine Anwendung der ebenen Ähnlichkeitstransformation ist bereits aus der Vorlesung „Grund-lagen der Vermessungskunde 1“ bekannt. Dort haben wir die Freie Stationierung durch einegeeignet gelagerte Transformation berechnet.

1.2.3 Sonderfälle der 2D-Ähnlichkeitstransformation

In manchen Situationen können Sonderfälle für die Ähnlichkeitstransformation mit nur drei Pa-rametern auftreten.

GEGENSEITIGE ORIENTIERUNG DER KOORDINATENSYSTEME GEGEBEN

Dies kann der Fall sein, wenn z.B. beide Systeme bereits nordorientiert sind. Es ist also keinParameter für die Drehung mehr mitzubestimmen, es gilt ε = const.Als Parameter bleiben x′0, y

′0 und m, zu deren Bestimmung 3 Gleichungen nötig sind. Das ent-

stehenden Gleichungssystem

x′ = x′0 +m cos ε · x−m sin ε · yy′ = y′0 +m sin ε · x+m cos ε · y

(1.32)

ist dann linear und kann sofort gelöst werden.Bei mehr als drei Gleichungen erfolgt eine Ausgleichung.

MASSSTABSFAKTOR GEGEBEN

Dies kann der Fall sein, wenn gute moderne Messungen in ein bestehendes altes Koordinaten-system eingebaut werden und die Ungenauigkeiten der alten Messungen nicht ins neue System

22 Lehrstuhl für Geodäsie

Page 23: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Wintersemester 2015/16

übertragen werden sollen. Es gilt m = const. und als Parameter bleiben somit x′0, y′0 und ε. Auch

hier sind 3 Gleichungen nötig

x′ = x′0 + m cos ε · x− m sin ε · yy′ = y′0 + m sin ε · x+ m cos ε · y

(1.33)

die aber nicht linear sind. Hier ist also wieder eine Linearisierung nötig, wie im Fall der 3D-Ähnlichkeitstransformation mit großen Drehwinkeln.Es gilt der Ansatz

x′0 = x′?0 + dx′0 y′0 = y′?0 + dy′0 ε = ε? + dε

mit den Näherungswerten x′?0 , y′?0 und ε?, die man sich z.B. über eine normale Ähnlichkeitstrans-

formation mit 4 Parametern beschaffen kann.Die Linearisierung von (1.33) ergibt dann das lineare Gleichungssystem

x′ − x′? = (∂x′

∂x′0)?dx′0 + (

∂x′

∂y′0)?dy′0 + (

∂x′

∂ε)?dε

y′ − y′? = (∂y′

∂x′0)?dx′0 + (

∂y′

∂y′0)?dy′0 + (

∂y′

∂ε)?dε

mit den einfachen Differentialquotienten

∂x′

∂x′0=∂y′

∂y′0= 1

∂x′

∂y′0=∂y′

∂x′0= 0

∂x′

∂ε= −(y′ − y′0)

∂y′

∂ε= x′ − x′0

Bei dieser Art der Transformation ist jedoch Vorsicht geboten, da hier die Klaffungen zu nichtberücksichtigten Punkten sehr groß werden können. Eine gute Anpassung in ein möglichst ho-mogenes und umfassendes Punktenetz ist notwendig, um nicht einseitige Verdrehungen desQuellsystems zu erleiden.

1.3 Überbestimmte Transformation - Helmerttransformation

In der Praxis wird man sich nicht damit zufrieden geben, die Transformationsparameter nur mitHilfe von zwei Punkten zu bestimmen. Vor allem bei Aufgaben der Katastermessung hat man inder Regel eine Vielzahl von identischen Punkten, die ein flächenmäßig verteiltes Gebilde dar-stellen. Bei Verwendung von mehr als den nötigen identischen Punkten kann ein der Messumge-bung bestangepasster Parametersatz abgeleitet werden, dieser wird aber die beiden Systemedann nicht spannungsfrei ineinander überführen können.Die angesetzten Gleichungen (1.28) sind dann nicht konsistent, da Koordinatenwidersprücheexistieren.In der Praxis nennt man diese Widersprüche Restklaffungen und bestimmt sie als

Restklaffungen = gegebene Zielkoordinaten - transformierte Quellkoordinaten

Univ. Prof. Dr.-Ing. habil. Thomas A. Wunderlich 23

Page 24: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Sensorik und Methodik 1

oder als Formel:d = x− x′

Die Bestimmung desjenigen Parametersatzes, der am besten zu den gegebenen Koordinaten-paaren passt, geschieht über eine Ausgleichungsrechnung nach dem Verfahren der KleinstenQuadrate. Ziel dabei ist es, die Summe der Quadrate der Restklaffungen in den Punkten zuminimieren: ∑

d2 = min

Dieses Verfahren ist prinzipiell bei jeder Art von Transformation möglich, wird jedoch im Fall der2D-Ähnlichkeitstransformation in der Praxis am häufigsten angewendet. In diesem Zusammen-hang spricht man von einer Helmerttransformation.Die Formelsätze für die Helmerttransformation lassen sich aus den linearen Transformations-gleichungen mathematisch eindeutig mit Mitteln der Ausgleichungs- und Matrizenrechnung her-leiten. Im Folgenden sollen sie ohne explizite Beweisführung erwähnt werden.

1.3.1 Alle Punkte gleich gewichtet

Geht man davon aus, dass alle Punkte in beiden Systemen jeweils mit gleicher Genauigkeitvorliegen und keinen entfernungsabhängigen Verzerrungseinfluss auf die zu transformierendenPunkte aufweisen, so kann man alle Koordinaten mit gleicher relativer Gewichtung einführen. esgilt dann für n identische Punkte:

a =n∑

(xx′ + yy′)−∑x∑x′ −

∑y∑y′

n∑

(x2 + y2)− (∑x)2 − (

∑y)2

o =n∑

(xy′ − yx′)−∑x∑y′ +

∑y∑x′

n∑

(x2 + y2)− (∑x)2 − (

∑y)2

x′0 =1

n(∑

x′ − a∑

x+ o∑

y)

y′0 =1

n(∑

y′ − o∑

x− a∑

y)

(1.34)

Da hier der Weg über Koordinatendifferenzen nicht möglich ist, sollten aus numerischen Grün-den alle gemeinsamen führenden Ziffern der Koordinaten abgeschnitten werden. Eleganter istaber die Rechnung über Schwerpunktskoordinaten (siehe übernächster Abschnitt).

1.3.2 Unterschiedlich gewichtete Punkte

Ist davon auszugehen, dass die identischen Punkte mit unterschiedlicher Genauigkeit gegebensind, z.B.

• im Zielsystem: unterschiedliche Punktklassen, z.B. Netzpunkte I. - IV. Ordnung

• im Quellsystem: Messpunkte unterschiedlich genau bestimmt, z.B. in Polygonnetz mehr-fach kontrolliert oder nur polar angehängt,

so kann für jedes Paar identischer Punkte Pi ein eigenes relatives Gewicht pxi bzw. pyi einge-führt werden.Dies wird in der Praxis auch zur Erhaltung einer weitgehenden Nachbarschaftstreue durchge-führt, indem man die identischen Punkte abhängig von ihrer Entfernung zum jeweils zu trans-formierenden Punkt gewichtet. Nahe Punkte haben dann einen höheren Einfluss, so dass die

24 Lehrstuhl für Geodäsie

Page 25: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Wintersemester 2015/16

Transformation für diese Punkte geringere Restklaffungen bewirkt und der transformierte Punktlokal eingepasst wird. Die Bayer. Vermessungsverwaltung verwendet als Gewichtungsformelz.B. die Abstandsfunktion

pij =100

sij + 10

Für den Transformationsparametersatz ergibt sich dann

a =1

N

[∑p · (

∑pxx′ +

∑pyy′)−

∑px∑

px′ −∑

py∑

py′]

o =1

N

[∑p · (

∑pxy′ −

∑pyx′)−

∑px∑

py′ +∑

py∑

px′]

wobei N =∑

p(∑

px2 +∑

py2)− (∑

px)2 − (∑

py)2

x′0 =1∑p

(∑

px′ − a∑

px+ o∑

py)

y′0 =1∑p

(∑

py′ − o∑

px− a∑

py)

(1.35)

Dieser Formelsatz ist streng genommen eigentlich kein Transformationsansatz mehr, son-dern eher ein Interpolationsverfahren. Trotzdem darf man hier von einer gewichteten Helmert-Transformation sprechen.

1.3.3 Transformation in Schwerpunktskoordinaten

Numerisch stabile Gleichungen erhält man auch, wenn man die Koordinaten der identischenPunkte im Quellsystem auf ihren Schwerpunkt PS(xS , yS) bezieht. Es ist dies

xS =1

n

∑x yS =

1

n

∑y

und damit folgt für alle auf S bezogenen Punkte im Quellsystem

x = x− xS y = y − ySAls zusätzlicher Nebeneffekt wird in einem auf den Schwerpunkt bezogenen Quellsystem diesogenannte Designmatrix A zur Diagonalmatrix5, was die ausgleichungstechnische Betrachtungwesentlich vereinfacht. Für die Angabe der endgültigen Formeln bedeutet das, ausgehend von(1.34), dass die Summe aller Quellsystemkoordinaten

∑x =

∑y = 0 ist (Schwerpunktsbezug).

Es ergeben sich also für Schwerpunktskoordinaten die Parameterformeln

a =

∑(xx′ + yy′)∑(x2 + y2)

o =

∑(xy′ − yx′)∑(x2 + y2)

x′0 =1

n

∑x′

y′0 =1

n

∑y′

(1.36)

Die beiden letzten Gleichungen bestimmen dabei nicht nur die Translationsparameter, sondernauch die Koordinaten des Schwerpunkts P ′S im Zielsystem S’(x’,y’).

5Die Designmatrix A beinhaltet in der Ausgleichungsrechnung die Ableitungen der Funktionen nach den Unbe-kannten. Zusammen mit dem Widerpruchsvektor l lautet die Ausgleichungsformel dann x = (ATA)−1AT l (sieheVorlesung Ausgleichungsrechnung). Für die Rechnung interessant ist aber an dieser Stelle die Invertierbarkeit von(ATA), was bei A als Diagonalmatrix äußerst einfach ist.

Univ. Prof. Dr.-Ing. habil. Thomas A. Wunderlich 25

Page 26: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Sensorik und Methodik 1

1.4 2D-Affintransformation

Gibt man die Anforderungen an Quell- und Zielsystem, die noch bei der Ähnlichkeitstransforma-tion getroffen worden waren, auf und lässt somit zu, dass

• Quell- und Zielsystem nicht rechtwinklig sind und ihre Achsen die Winkel γ bzw. γ′ ein-schließen und

• Quell- und Zielsystem auf ihren beiden Achsen jeweils unterschiedliche Maßstäbemx,my,mx′ ,my′ tragen,

so ist man auf den allgemeinen Ansatz der Affintransformation angewiesen.Analog zu den Gleichungen aus (1.2) ergibt sich dann im ebenen Fall das lineare Gleichungs-system

x′ = a0 + a1x+ a2y

y′ = b0 + b1x+ b2y(1.37)

mit 6 voneinander unabhängigen Koeffizienten.

y’

x’

O’

y

x

y

P

x

P3

P1P2

�’�

�’

O

a0

b0

�’

Abb. 7: 2D-Affintransformation

Betrachtet man die Problemstellung von geometrischer Seite (Abb. 7) und versucht, die Koordi-naten des Punktes P(x,y) im System (x’,y’) auszudrücken, so erkennt man, dass gilt:

x′ = a0 +OP1 − P2P3

= a0 +mxx′ · x ·sin(π − (π − γ′)− ε)

sin(π − γ′)−myx′ · y ·

sin(π − (π − γ − ε)− γ′)sin γ′

= a0 +mxx′sin(γ′ − ε)

sin γ′· x+myx′

sin(γ′ − (γ + ε))

sin γ′· y (1.38a)

y′ = b0 + P1P2 + P3P

= b0 +mxy′ · x ·sin ε

sin(π − γ′)+myy′ · y ·

sin(π − ε− γ)

sin γ′

= b0 +mxy′sin ε

sin γ′· x+myy′

sin(γ + ε)

sin γ′· y (1.38b)

26 Lehrstuhl für Geodäsie

Page 27: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Wintersemester 2015/16

In dieser geometrischen Beschreibungsweise sind jetzt noch 8 Parameter enthalten, nämlich

• 2 Translationen a0 und b0

• 1 Rotation der x-Achse ε

• 2 Scherungsparameter der Koordinatenachsen γ und γ′

• 4 Maßstäbe mxx′ ,myx′ ,mxy′ ,myy′ , wobei je einer abhängig von den drei anderen ist

Die Auflösung nach diesen Parametern ist jedoch nicht ohne weiteres möglich, insbesonderesind sie natürlich nicht in ein System von linearen Gleichungen mit 8 Parametern überführbar.Dies kann nur dann gelingen, wenn entweder der geometrische Bezug aufgegeben wird (deranalytische Ansatz in Gleichung (1.37)) oder die Parameterzahl geeignet auf 6 reduziert werdenkann.

Allerdings können oftmals Bedingungen für das Zielsystem aufgestellt werden, nämlich dass es

• rechtwinklig ist, also γ′ = π/2 bzw. sin γ′ = 1

• und auf beiden Achsen den gleichen Maßstab trägt, also mxx′ = mxy′ = mx bzw. myx′ =myy′ = my

Auf diese Art und Weise fordern wir ein kartesisches Zielsystem, wie es in der Geodäsie üblichist. Dadurch reduziert sich die Zahl der Parameter um 2.

Damit folgt aus den Gleichungen (1.38a,b):

x′ = a0 +mx cos ε · x+my cos(γ + ε) · y = a0 + a1x+ a2y

y′ = b0 +mx sin ε · x+my sin(γ + ε) · y = b0 + b1x+ b2y(1.39)

und durch Auflösen nach den geometrischen Parametern folgt neben den Translationsparame-tern a0, b0

mx =√a21 + b21

my =√a22 + b22

tan ε =b1a1

tan(γ + ε) =b2a2

und daraus γ

Der allgemeine Fall eines nicht determinierten Zielsystems lässt sich also nicht linear in geome-trischen Parametern lösen, wohl aber eindeutig durch den analytischen Ansatz.

1.4.1 Eigenschaften der Affintransformation

1. Zwischen den Koordinaten herrscht ein linearer Zusammenhang. Alle Koordinaten sindvoneinander unabhängig.

Univ. Prof. Dr.-Ing. habil. Thomas A. Wunderlich 27

Page 28: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Sensorik und Methodik 1

2. Geraden werden wieder auf Geraden abgebildet.

Sei im Quellsystem S(x,y) eine Gerade definiert durch

y = mx+ t

so ergibt sich durch Einsetzen in Gleichung (1.37):

x′ = a0 + a1x+ a2(mx+ t) = a0 + a2t+ (a1 +ma2)x

y′ = b0 + b1x+ b2(mx+ t) = b0 + b2t+ (b1 +mb2)x

Eliminiert man nun durch gegenseitiges Einsetzen den Parameter x, so erhält man

y′ = −(a0 + a2t)b1 + b2m

a1 + a2m+b1 + b2m

a1 + a2m· x′ + b0 + b2t = m′ · x′ + t′

und damit wieder eine Geradengleichung.

3. Parallele Geraden bleiben parallel.

Für die Geradengleichung im letzten Punkt gilt bei Parallelität, dass die Steigung m fürbeide Geraden konstant ist. Da die Steigungen der transformierten Geraden nur von mund nicht von t abhängen, ergibt sich auch für diese ein konstantes m′, also sind dietransformierten Geraden ebenfalls parallel.

4. Je zwei Abschnitte auf einer Gerade und ihrer Transformation sind teilverhältnistreu.

Dasselbe gilt für Flächenabschnitte.

1.4.2 Bestimmung der Transformationsparameter

Die gesuchten 6 Parameter kommen getrennt in Gleichungen für x′ und y′ vor, deshalb benötigtman zur Bestimmung 3 identische Punkte (mit beiden Koordinaten).

Einsetzen in (1.37) führt auf

a1 =1

D

[(y2 − y1)(x′3 − x′1)− (y3 − y1)(x′2 − x′1)

]a2 =

1

D

[(x3 − x1)(x′2 − x′1)− (x2 − x1)(x′3 − x′1)

]b1 =

1

D

[(y2 − y1)(y′3 − y′1)− (y3 − y1)(y′2 − y′1)

]b2 =

1

D

[(x3 − x1)(y′2 − y′1)− (x2 − x1)(y′3 − y′1)

]mit D = (y2 − y1)(x3 − x1)− (y3 − y1)(x2 − x1)

a0 = x′ − a1x− a2yb0 = y′ − b1x− b2y

(1.40)

Betrachtet man den Nenner D, so erkennt man, dass es sich um die Flächenformel für dasDreieck handelt, da durch die drei identischen Punkte aufgespannt wird. Diese Fläche darf nichtzu Null werden, d.h. die drei Punkte dürfen nicht auf einer Geraden liegen, sonst versagt dieTransformation.

Idealerweise spannt das Dreieck eine gleichseitige Fläche auf.

28 Lehrstuhl für Geodäsie

Page 29: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Wintersemester 2015/16

1.4.3 Welche Transformationsart ist zu wählen?

Sowohl Ähnlichkeits- als auch Affintransformation haben in der Geodäsie große Bedeutung.Jede Abbildung lässt sich differentiell als Affintransformation beschreiben (z.B. auch Karten-netzentwürfe).

Oft beginnt man zur Transformation mit einer Ähnlichkeitsabbildung und analysiert die darausentstehenden Restklaffungen der identischen Punkte. Sind diese zufällig verteilt, ist der Ansatzder Ähnlichkeitstransformation gerechtfertigt. Weisen die Klaffungen jedoch eine Systematik auf(zeigen z.B. alle in dieselbe Richtung), so ist anzunehmen, dass die Annahme einer ähnlichenAbbildung nicht erfüllt ist, und statt dessen eine Affintransformation gewählt werden muss. u.U.können die Restklaffungen aber auch durch geeignete Interpolationsverfahren beseitigt werden.

Generell sollte eine Ähnlichkeitstransformation immer dort gewählt werden, wo ein relativ gutbestimmtes Objekt (z.B. Bauwerk, Maschine) in ein übergeordnetes System integriert werdensoll. Damit wird z.B. verhindert, dass sich rechte Winkel etc. verzerren.

Die Affintransformation ist anzuwenden, wenn das Quell- oder Zielsystem größeren Inhomoge-nitäten bzw. Systematiken unterworfen ist.

Dieses Verhalten kommt auch bei der Bauwerksbehandlung mit Hilfe von Transformationen zumAusdruck. Während die Ähnlichkeitstransformation einer Starrkörperbewegung entspricht (z.B.ein gesamtheitliches Rutschen), ist die Affintransformation in der Lage, die inneren Verformun-gen (z.B. Scherungen) zu beschreiben (z.B. ein einseitiges Absacken). In diesem Zusammen-hang spricht man oft auch von „Stress and Strain“, hier erfolgt der Übergang zu kraftvektoriellenBetrachtungen und zur Deformationsanalyse.

1.4.4 Sonderfall der 5-Parameter-Transformation

Wenn nicht nur das Zielsystem, sondern auch das Quellsystem rechtwinklig ist (Übertragungaus einem lokalen in ein übergeordnetes System in der Geodäsie), so kann man vereinfachtansetzen:

x′ = a0 +mx cos ε · x−my sin ε · y = a0 + a1x+ a2y

y′ = b0 +mx sin ε · x+my cos ε · y = b0 + b1x+ b2y(1.41)

Damit folgt

tan ε =b1a1

= −a2b2

und somit lässt sich einer dieser vier Parameter durch die drei anderen ausdrücken, z.B.

b2 = −a1a2b1

Damit reduziert sich die Anzahl der benötigten Koordinaten zusammen mit der Anzahl der un-abhängigen Parameter auf 5.

Sind zusätzlich noch die Maßstäbe auf den Achsen gleich, nämlich mx = my = m, so wird aus(1.41) die Ähnlichkeitstransformation (= 4-Parameter-Affintransformation).

Univ. Prof. Dr.-Ing. habil. Thomas A. Wunderlich 29

Page 30: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Sensorik und Methodik 1

1.4.5 Überbestimmte 2D-Affintransformation

Sind mehr als drei identische Punkte gegeben, so ist wieder ein Ausgleichungsprozess not-wendig. Auch dieser verfolgt das Prinzip der Kleinsten Quadrate, und ist über die Regeln derAusgleichungs- und Matrizenrechnung durchzuführen.

Da die Gleichungen linear sind, erübrigt sich eine Iteration und es sind folgende geschlossenenFormelsätze anzuwenden:

a0 =1

D

[∑x′ ·(∑

x2∑

y2 − (∑

xy)2)

+∑

x(∑

yx′∑

xy −∑

xx′∑

y2)

+∑

y(∑

xx′∑

xy −∑

yx′∑

x2)]

a1 =1

D

[n ·(∑

xx′∑

y2 −∑

xy∑

yx′)

+∑

x′(∑

y∑

xy −∑

x∑

y2)

+∑

y(∑

x∑

yx′ −∑

y∑

xx′)]

a2 =1

D

[n ·(∑

yx′∑

x2 −∑

xy∑

xx′)

+∑

x′(∑

x∑

xy −∑

y∑

x2)−∑

x(∑

x∑

yx′ −∑

y∑

xx′)]

b0 =1

D

[∑y′ ·(∑

x2∑

y2 − (∑

xy)2)

+∑

x(∑

yy′∑

xy −∑

xy′∑

y2)

+∑

y(∑

xy′∑

xy −∑

yy′∑

x2)]

b1 =1

D

[n ·(∑

xy′∑

y2 −∑

xy∑

yy′)

+∑

y′(∑

y∑

xy −∑

x∑

y2)

+∑

y(∑

x∑

yy′ −∑

y∑

xy′)]

b2 =1

D

[n ·(∑

yy′∑

x2 −∑

xy∑

xy′)

+∑

y′(∑

x∑

xy −∑

y∑

x2)−∑

x(∑

x∑

yy′ −∑

y∑

xy′)]

mit

D = n ·(∑

x2∑

y2 − (∑

xy)2)

+ 2(∑

x∑

y∑

xy)− (∑

x)2∑

y2 − (∑

y)2∑

x2

(1.42)

1.4.6 Transformation in Schwerpunktskoordinaten

Obiger Formelsatz gilt für beliebig gelagerte Koordinatensysteme. Bezieht man den Nullpunktdes Quellsystems zusätzlich auf den Schwerpunkt der identischen Punkte, so vereinfachen sichdie Gleichungen wegen des Wegfalls der Nullglieder wieder ganz erheblich.

Man erhält dann

30 Lehrstuhl für Geodäsie

Page 31: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Wintersemester 2015/16

a0 =

∑x′

D

[∑x2∑

y2 − (∑

xy)2]

a1 =n

D

[∑xx′∑

y2 −∑

xy∑

yx′]

a2 =n

D

[∑yx′∑

x2 −∑

xy∑

xx′]

b0 =

∑y′

D

[∑x2∑

y2 − (∑

xy)2]

b1 =n

D

[∑xy′∑

y2 −∑

xy∑

yy′]

b2 =n

D

[∑yy′∑

x2 −∑

xy∑

xy′]

mit

D = n[∑

x2∑

y2 − (∑

xy)2]

(1.43)

1.5 Graphische Transformation - Maschenweise Affintransformation

Bildet man aus dem Ansatz (1.37) der 2D-Affintransformation Formeln für die Änderungen (Zu-schläge) der transformierten gegenüber den ursprünglichen, identischen Koordinaten im Quell-system x′ − x, so erhält man

dx = x′ − x = a0 + (a1 − 1)x+ a2y

dy = y′ − y = b0 + b1x+ (b2 − 1)y(1.44)

Betrachtet man diese Gleichungen, so erkennt man:

• Sind dx bzw-. dy konstant, so kann man die Gleichung nach y bzw. x auflösen und erhälteine Geradengleichung. Punkte mit konstanten Zuschlägen liegen also in S(x,y) auf einerGeraden.

• In dieser Geradengleichung entsprechen dx bzw. dy einem Teil des konstanten Anteils. Än-dert man also die Zuschläge, erfahren die Geraden lediglich eine Parallelverschiebung.

• Als Folge daraus liegen Punkte unterschiedlicher Zuschläge auf gleichabständigen, paral-lelen Geraden.

Damit besteht die Möglichkeit, die Affintransformation auch anschaulich graphisch zu lösen,zumindest bei kleinen Korrekturwerten. Dabei ist wie folgt vorzugehen (vgl. Abb. 8):

1. Die identischen Punkte (Punkte mit bekannten Zuschlägen im S’-System) des Systems Ssind in geeignetem Maßstab zu koordinieren. Am Besten schreibt man auch die Zuschlägean den Punkten an. Zusätzlich sind die zu transformierenden Punkte Pi zu koordinieren.

2. Die identischen Punkte werden als Dreiecke vermascht. Die Dreiecke sollen möglichstgleichseitig sein, damit die Maschen in den beiden Achsrichtungen ähnliche Ausdehnunghaben und keine einseitigen Verzerrungen auftreten.

3. Entlang der Dreiecksseiten werden Zwischenwerte für die Zuschlagsdifferenzen der End-punkte interpoliert. Punkte gleichen Zuschlagswertes werden durch Linien gleicher Ver-besserung verbunden.

Univ. Prof. Dr.-Ing. habil. Thomas A. Wunderlich 31

Page 32: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Sensorik und Methodik 1

P1

Pi

P4

P3

P2

dx=10

dx=4

dx=8

dx=5

5

6

7

8

9

Abb. 8: Maschenweise Affintransformation

4. Dieses Verfahren kann getrennt für dx und dy angewendet werden.

5. Jetzt können die unbekannten Zuschläge für die Pi direkt in die vorhandenen Zuschlagsli-nien interpoliert bzw. abgelesen werden.

Die Linien der Zuschläge müssen dabei natürlich durch die identischen Punkte laufen, die un-verändert bleiben (Konstruktionskontrolle). Punkte auf den Verbindungslinien erhalten eindeu-tige Zuschläge, allerdings können diese Linien von Masche zu Masche ihre Richtung ändern.Je gestreckter die Linien sind, desto gleichmäßiger ist die Transformation bzw. desto konstantersind die Koeffizienten. Wechseln die Richtungen stark, liegt ein inhomogenes Feld identischerPunkte vor.Punkte auf „Bergen“ bzw. in „Löchern“ von Zuschlagslinien verlangen einen zweiten Blick auf diePasspunktwahl. Hier könnten Zuordnungsfehler (Identfehler) vorliegen.

1.6 Die Affintransformation in der Deformationsanalyse

Zustandsänderungen von Objekten, die mit Hilfe von Deformationsanalysen aufgedeckt werdenkönnen, können im sehr kleinen (infinitesimalen) Maßstab auch durch Transformation beschrie-ben werden.6 Handelt es sich dabei um eine reine Starrkörperbewegung (d.h. das zu beschrei-bende Objekt bleibt in sich unverändert und bewegt sich nur bzgl. seiner Umgebung), so ist

6Mehr Hintergrundinformationen zu diesem Thema finden Sie in Welsch/Heunecke/Kuhlmann: Auswertung geo-dätischer Überwachungsmessungen in der Reihe Handbuch Ingenieurgeodäsie, S.262ff.

32 Lehrstuhl für Geodäsie

Page 33: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Wintersemester 2015/16

der Ansatz einer Ähnlichkeitstransformation genügend. Erlaubt man zusätzlich noch elastischereversible Verformungen des Objekts selbst (engl. „strain“ ) durch den Einfluss äußerer Kräfte(engl. „stress“ ), so ist eine Affintransformation anzusetzen.Betrachten wir die Beziehung der Ortsvektoren repräsentativer Punkte zwischen zwei Epochen,so lässt sich der lineare Zusammenhang

x′ = Fx + t (1.45)

finden.Hierin bezeichnet t den Translationsvektor, außerdem ist

F =

∣∣∣∣∣∂x′

∂x∂x′

∂y∂y′

∂x∂y′

∂y

∣∣∣∣∣ =

∣∣∣∣fxx fxyfyx fyy

∣∣∣∣die sog. Deformationsmatrix, die sich aus einer Rotation und einer Verzerrung zusammensetzt.Auf der Hauptdiagonalen finden sich mit fxx und fyy die Dehnungsfaktoren (Maßstäbe), auf derNebendiagonalen mit fxy und fyx die Scherungsfaktoren (Scherungswinkel der Achsen). DieAuswirkungen der einzelnen Matrixelemente sind in Abb. 9 veranschaulicht.

Betrachten wir nun einen Verschiebungsvektor u für einen Punkt zwischen den beiden Epochen,so gilt

u = x′ − x = (F− I)x + t = dFx + t (1.46)

Die Deformationsmatrix setzt sich also zusammen aus der Einheitsmatrix und einem Verschie-bungsgradienten:

F = I + dF

Betrachtet man Verformungen nur in lokal begrenzten Gebieten (z.B. innerhalb der einzelnenMaschen einer Dreiecksvermaschung), so treten oft nur infinitesimal kleine Deformationen auf.In diesem Fall lässt sich die Deformationsmatrix als Summe der Rotations- und der Verzerrungs-komponente schreiben:

F = R + E

Dabei ist R eine Rotationsmatrix für kleine Drehwinkel

R =

(1 ω−ω 1

)= I + dR

und E die symmetrische Verzerrungsmatrix

E =

(exx exyexy eyy

)Damit ergibt sich die Beziehung

dF = E + dR

und aufgelöst nach dR und ausgeschrieben(0 ω−ω 0

)=

(fxx − 1 fxyfyx fyy − 1

)−(exx exyexy eyy

)=

(fxx − exx − 1 fxy − exyfyx − exy fyy − eyy − 1

)(1.47)

Damit ergibt sich durch Differenzbildung der Nebendiagonalelemente der Rotationswinkel

ω =1

2(fxy − fyx)

Univ. Prof. Dr.-Ing. habil. Thomas A. Wunderlich 33

Page 34: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Sensorik und Methodik 1

Abb. 9: Auswirkungen der einzelnen Elemente der Deformationsmatrix

Damit ist es schließlich auch möglich, die durch die Rotation verursachte Starrkörperbewegungvon der Deformationsmatrix abzuspalten und unmittelbar die eigentliche Verzerrungsmatrix zuerhalten:

E = dF− dR

Möglichkeiten der graphischen Aufbereitung der Deformationsgrößen zeigt Abb. 10. Jedes ein-zelne Element entspricht dabei einer Dreiecksmasche. Aufgetragen sind hier in erster Linie nichtquantitative Größen, sondern qualitative Aussagen, die ein großräumiges Erfassen und Interpre-tieren der Deformationen im betrachteten Gebiet (hier eine tektonische Kante) erlauben. Selbst-verständlich ist aber auch eine detaillierte Angabe der einzelnen Zahlenwerte möglich.

34 Lehrstuhl für Geodäsie

Page 35: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Wintersemester 2015/16

Abb. 10: Graphische Aufbereitung der Deformationskomponenten

Ein Vorteil einer Dreieckszerlegung ist neben der lokalen Beschränkung, dass jede Maschedurch die drei Verschiebungsvektoren ui ihrer Eckpunkte Pi eindeutig definiert ist.Es lassen sich folglich 3× 2 Bedingungen aufstellen

ux = exx xi + exy yi + ω yi + tx

uy = exy xi + eyy yi − ω xi + ty(1.48)

bzw. in Matrixform:

u6x1

= H · p =

x y 0 y 1 00 x y −x 0 1...

......

......

...

6x6

·

exxexyeyyωtxty

6x1

Dies entspricht formal einer Affintransformation, wobei sich die gesuchten Deformationsparame-ter aus p ergeben zu

p = H−1u

Die Einheit der Verzerrungselemente eij ist dabei [ppm] bzw. in der Notation der Deformationss-pezialisten das [µstrain].

Univ. Prof. Dr.-Ing. habil. Thomas A. Wunderlich 35

Page 36: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Sensorik und Methodik 1

Abb. 11: Beispiel für die Bestimmung der Deformationspa-rameter

In nebenstehendem Beispiel derAbb. 11 sind die Koordinateneiner Dreiecksmasche zu bei-den Epochen gegeben. Bestimmtman die Parameter p nach demaffinen Ansatz, so erhält man

exx 159,43 ppmexy 7,64 ppmeyy 12,24 ppmω -1,69 mgontx -64,1 cmty -20,9 cm

Deutlich erkennbar ist die Tren-nung des translativen bzw. Rota-tionsanteils (tx und ty bzw. ω) vonden inneren Verformungen.

1.7 Projektive Transformation

Eine weitere wichtige Transformationsart für den Bereich der Geodäsie ist die Projektive Trans-formation. Während alle bisher beschriebenen Transformationstypen parallelen- und teilstre-ckenverhältniserhaltend waren, gilt dies für die projektive Transformation nicht mehr. Sie ist eineZentralprojektion und lässt sich anschaulich deuten als Abbildung eines realen Objektraums aufder Platte einer photographischen Kamera. Der Zentralpunkt ist der Sammelpunkt des Objektivs.

Die projektive Transformation wird in der Ingenieurgeodäsie vor allem dafür benötigt, Photogra-phien ebener Objekte zu entzerren.

Beschrieben wird die projektive Transformation durch 9 Parameter

x′ =A0 +A1x+A2y

C0 + C1x+ C2yy′ =

B0 +B1x+B2y

C0 + C1x+ C2y

wobei jedoch einer linear von den anderen abhängig ist, so dass z.B. nach Division durch C0 fürC0 6= 0 Gleichungen für 8 Parameter entstehen:

x′ =a0 + a1x+ a2y

1 + c1x+ c2yy′ =

b0 + b1x+ b2y

1 + c1x+ c2y(1.49)

Es sind also 4 identische Punkte für die eindeutige Bestimmung der Transformationsparameternotwendig.

Aus der projektiven Transformation gehen die Affintransformation für c1x + c2y → 0 und dieÄhnlichkeitstransformation für zusätzlich a1 = b2 und b1 = −a2 hervor.

36 Lehrstuhl für Geodäsie

Page 37: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Wintersemester 2015/16

2 Trassierungen

Eine häufig vorkommende ingenieurgeodätische Aufgabe ist die Grundrissdarstellung und Ab-steckung von Achsverläufen im Straßen- bzw. Eisenbahnbau. Man spricht in diesem Zusam-menhang von Trassierung.

Eine Trassierung ist die Überführung einer Planungsmaßnahme in die Örtlichkeit, deshalb istbereits in der Planungsphase besondere Rücksicht auf topographische, geologische etc. Be-sonderheiten zu nehmen.

Die endgültige Ausformung einer Trasse besteht aus einer Grundzahl von Trassierungsele-menten wie

• Geradenstücke

• Kreisbögen

• Korbbögen (ineinander übergehende Kreisbögen verschiedenen Radius)

• Klothoiden (Kurven stetigen Krümmungswechsels)

• Parabeln 3. oder 5. Ordnung (z.B. Blosskurve im Eisenbahnbau)

• Polynome höherer Ordnung und weiterer Sonderformen

Die gebräuchlichsten Trassierungselemente werden in den folgenden Kapiteln behandelt.

2.1 Der Kreisbogen

2.1.1 Hauptpunkte

D

A B

M

S'

SE F

G

T

d

h

r r

a/2

b/2

���

���

Abb. 12: Komponenten am Kreisbogen

Zur Festlegung bzw. Trassierung einesKreisbogens mit Radius r lassen sichverschiedene Hauptpunkte festlegen (vgl. Skiz-ze 12).

Es sind dies

• der Bogenanfangspunkt A

• der Bogenendpunkt B

• der Bogenmittelpunkt M

• der Tangentenschnittpunkt D alsSchnittpunkt der beiden Tangenten anden Kreisbogen, die durch A und Bverlaufen

• der Scheitelpunkt S als Schnittpunktder GeradenDM mit dem Kreisbogen.S halbiert den Bogen b.

Univ. Prof. Dr.-Ing. habil. Thomas A. Wunderlich 37

Page 38: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Sensorik und Methodik 1

Zusätzliche Hilfspunkte sind

• der Sehnenscheitel S’, der die Bogensehne AB halbiert

• E und F als die Schnittpunkte der Tangente an den Bogen in S

• der Lotfußpunkt G des Scheitelpunkts auf die Anfangstangente

Daneben lassen sich noch einige weitere Größen und Bestimmungsstücke festlegen:

• Schnittwinkel ϕ zwischen Anfangs- u. Endtangente in D und der Zentriwinkel ψ in M

ψ = 200gon − ϕ

• Länge des Tangentenabschnitts T = AD = BD

T = r tanψ

2= r cot

ϕ

2

• Scheitelabstand d = DS

d = MD − r =r

cos ψ2− r = r ·

1− cos ψ2cos ψ2

= 2r ·sin2 ψ

4

cos ψ2= r tan

ψ

2tan

ψ

4

• Abstand des Scheitels von der Tangente GS

GS = d cosψ

2= r(1− cos

ψ

2) = 2r sin2 ψ

4

• Pfeilhöhe h als Abstand des Scheitels von der Sehne

h = SS′ = r(1− cosψ

2) = 2r sin2 ψ

4

• Der Abstand des Lotfußpunkts G vom Bogenanfang A

AG = T − d sinψ

2= r sin

ψ

2

• Die Bogenlänge

b =aAB = r · ψ

%

• Die Länge der Sehne

a = AB = 2AG = 2r sinψ

2= 2r sin(

b

2r)

38 Lehrstuhl für Geodäsie

Page 39: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Wintersemester 2015/16

2.1.2 Absteckung von Zwischenpunkten

ABSTECKUNG VOM TRASSENBEGLEITENDEN POLYGONZUG AUS

Abb. 13: Trassenbegleitender Polygonzug

Heutzutage ist man nicht mehr auf vereinfa-chende Absteckungen von einzelnen Bogen-elementen aus angewiesen. Die Absteckungerfolgt heute meist von trassenbegleitendenPolygonzügen aus, wobei vorher direkt imGK-System berechnete Stationierungspunkteüber die Absteckfunktionen der Tachymeter indie Örtlichkeit übertragen werden.

Früher angewendete lokale Verfahren sind beispielsweise:

• Rechtwinklige Absteckung von der Tangente aus

• Rechtwinklige Absteckung von der Sehne aus

• Polare Absteckung vom Bogenanfang aus

• Absteckung mittels Sehnen- oder Tangentenpolygon

• Fortgesetzte Absteckung von der Sekante

2.1.3 Verfahren zur Konstruktion von Kreisbögen bei Zwangsbedingungen

D

A B

M

S'

E'

F'

r r� '

� ''

� '

� ''

Abb. 14: Bogenmittelpunkt M nichtzugänglich

BOGENMITTELPUNKT M NICHT ZUGÄNGLICH

Geg. : Tangentenschnittpunkt DRichtungen tDA und tDBRadius r

Lsg. : - Bestimmung von ϕ- T = AD = BD = r · cot ϕ2 , daraus A und B- Ein beliebiger Bogenpunkt S’ mit zugehörigem

Mittelpunktswinkel ψ′ findet sich über E’AE′ = r · tan ψ′

2S’ über polares Anhängen von E’ aus(AE′ = E′S′)

- Die Absteckung ist analog von F’ möglich mitψ′′ = 200gon − ϕ− ψ′

Ist statt dem Radius eine dritte Tangente gegeben, solässt sich M als Schnitt der Winkelhalbierenden bestim-men, und daraus dann wieder r.

Univ. Prof. Dr.-Ing. habil. Thomas A. Wunderlich 39

Page 40: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Sensorik und Methodik 1

D

A B

M

r r�

��

��E

F

Abb. 15: Tangentenschnittpunkt Dnicht zugänglich

TANGENTENSCHNITTPUNKT D NICHT ZUGÄNGLICH

Geg. : Richtungen tAD und tBDRadius r

Lsg. : - Wahl von E und F mit γ1, γ2 und sEF- Außenwinkelsatz im 4EFD: ϕ = γ1 + γ2 − 200gon

- Sinussatz: ED = EF · sin γ2sinϕ

- T = r · cot ϕ2 ⇒ EA = T − ED- Bogenanfangspunkt A polar von E aus absetzen- Analoge Rechnung für Bogenendpunkt B

Wenn auf der Verbindungslinie EF keine Sicht besteht,können E und F zur Bestimmung von γ1 und γ2 mit einemlokalen Polygonzug verbunden werden.

D

A B

M

r

r

K

r-q

q

x

x

p

Abb. 16: Zwei Tangenten undZwangspunkt

ZWEI TANGENTEN UND ZWANGSPUNKT GEGEBEN

Geg. : Tangentenschnittpunkt DRichtungen tAD und tBDZwangspunkt K, der auf dem Bogen liegen soll

Lsg. : - Berechnung von ϕ wie oben- Berechnung von p und q durch Aufwinkeln von

K auf AD

Die Bestimmung des Radius ist etwas umständlich:Zum einen gilt:

(a) t = p+ x(b) t = r cot ϕ2

}r = (p+ x) tan

ϕ

2(1)

Außerdem ist laut Skizze

r2 = x2 + (r − q)2 = x2 + r2 − 2rq + q2 (2)

Setzt man (1) in (2) ein, so erhält man

x2 − 2(p+ x)q tanϕ

2+ q2 = 0

x2 − 2xq tanϕ

2− 2pq tan

ϕ

2+ q2 = 0 mit der Abkürzung q = q tan

ϕ

2x2 − 2qx− (2pq − q2) = 0

x = q(± )

√q2 + 2pq − q2

40 Lehrstuhl für Geodäsie

Page 41: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Wintersemester 2015/16

Das gesuchte x ist der größere Wert (der kleinere Wert würde zur 2. möglichen Lösung mitMittelpunkt zwischen K und D führen).

Durch Einsetzen in die Ausgangsformeln erhält man r und der weitere Rechenweg ist analog zuoben.

2.2 Der Korbbogen

Unter einem Korbbogen versteht man die Aneinanderreihung zweier oder mehrerer Kreisbögenunterschiedlicher Radien (aber gleicher Krümmungsrichtung), wobei die Einzelbögen an ihrenÜbergangspunkten jeweils eine gemeinsame Tangente besitzen.

2.2.1 Zweiteiliger Korbbogen

Ein zweiteiliger Korbbogen (siehe Abb.17) besteht aus zwei Kreisbogenstücken_AC und

_CB, die

in C eine gemeinsame Tangente MN besitzen. Der Mittelpunkt des ersten Kreises ist O1, derdes zweiten ist O2 mit den jeweiligen Radien r1 bzw. r2 und den Mittelpunktswinkeln 2γ bzw. 2δ.Die Tangentenabschnitte von Bogenanfangs- und Bogenendpunkt zum Tangentenschnittpunktseien a und b; sowie der Tangentenschnittwinkel 2τ .

Da jeder Kreis durch drei Bestimmungsstücke eindeutig festgelegt wird, bleiben zusätzlich zurBedingung der gemeinsamen Tangente in C noch fünf weitere Bestimmungsstücke übrig.

Notwendig ist dabei immer der Tangentenschnittwinkel 2τ (hier durch die TangentenrichtungentAD und tBD gegeben), zusätzlich vier weitere Bedingungen. Im einfachsten Fall sind dies direktdie Bogenhauptpunkte D, A, B und C. Es können aber sämtliche Elemente des Korbbogens ausden jeweils anderen berechnet werden, solange nur vier weitere unabhängige Größen bekanntsind.

Zur Herleitung der Beziehungen zwischen den einzelnen Größen wollen wir denjenigen Kreisbetrachten, für dessen Anfangs- und Endpunkte E und F auf den Tangenten die Tangentenab-schnitte gleich

ED = FD =a+ b

2

ist. Dieser Kreis besitze den Mittelpunkt O3 und den Radius ρ1. Um O3 lässt sich ein zweiterKreis mit Radius ρ2 ziehen, der die Eigenschaft besitzt, AO1, BO2 und O1O2C als Tangenten zubesitzen.

Für die Radien gilt:

ρ1 =1

2(a+ b) tan τ ρ2 =

a− b2

= AE = BF

Legt man nun die Tangente an den Kreis (O3; ρ2) durch den Punkt C, so kann man den Rich-tungswinkel tCO1 = tCO2 ableiten und über Geradenschnitte die Mittelpunkte koordinieren.

Meist sind aber nicht die Punkte A, B und C gegeben, sondern z.B. nur der Anfangspunkt,der Tangentenschnittpunkt und die Radien r1 und r2. In diesen Fällen sind die entsprechendenReststücke geometrisch herzuleiten bzw. wird auf Formelsammlungen verwiesen.

Univ. Prof. Dr.-Ing. habil. Thomas A. Wunderlich 41

Page 42: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Sensorik und Methodik 1

��

��

����

� �

��

��

��

O1

O2

O3

A

B

D

C

E

F

M

N

a b

r1

r2

Abb. 17: Zweiteiliger Korbbogen

2.3 Übergangsbögen

2.3.1 Fahrdynamik

Unter einem Übergangsbogen versteht man ein Trassierungselement, das zwei andere Elemen-te unterschiedlicher Krümmung miteinander verbindet. Um die Anforderungen an einen sol-chen Übergangsbogen zu verstehen, sollen kurz fahrdynamische Aspekte betrachtet werden.

42 Lehrstuhl für Geodäsie

Page 43: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Wintersemester 2015/16

Abb. 18: Einwirkende Kräfte bei der Kurvenfahrt auf Zweirad und Vierrad

Fährt ein Zweirad in einer Kurve (Abb.18 mitte), so neigt es sich um einen Winkel α0 aus derVertikalen so, dass die Summe aus angreifender Zentrifugalkraft und Schwerkraft wieder in Rich-tung der Schwerpunktslinie verläuft:

tanα0 =F

S=Mv2

M%g=v2

%gmit % = Krümmungsradius

Dieser Ausgleich der Kräfte funktioniert aber nicht mehr bei zwei Rädern pro Achse (Abb.18rechts), da dort der Schwerpunkt und Auflagelinien nicht zusammenfallen. Aus diesem Grundversieht man die Trassen mit einer Querneigung α bzw. Überhöhung ü, die einen Teil der auftre-tenden Kräfte abfängt. Es gilt dann

tanα = f · tanα0 = fv2

%g= c1

1

%0, 25 ≤ f ≤ 1

f nennt man Regel- bzw. Maximalabweichung. Für eine gegebene Planungsgeschwindigkeitlassen sich alle Komponenten zu einer Konstanten c1 zusammenfassen, so dass die Quernei-gung nur vom Krümmungsradius % abhängt.

Univ. Prof. Dr.-Ing. habil. Thomas A. Wunderlich 43

Page 44: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Sensorik und Methodik 1

Abb. 19: Überhöhung und freie Seitenkraft F’

Für die Überhöhung gilt mit Spurweite B

ü = B tanα = Bfv2

%g= c2

1

%

Die Überhöhung kompensiert die auftreten-den Kräfte, wenn α = α0 ist. Ist dies nichtder Fall, tritt eine Freie Seitenkraft F’ auf:

F ′ = (F − S tanα) · cosα︸ ︷︷ ︸≈1

= M(v2

%− g ü

B)︸ ︷︷ ︸

aS

Dabei bezeichnet aS die freie Seitenbe-schleunigung;

aS = (v2 − gc1)1

%= c2

1

%

Versucht man, die freie Seitenbeschleuni-gung für die Regelgeschwindigkeit zu elimi-nieren (aS = 0), so sind daraus die nötigenKrümmungen für Kurvenfahrten zu bestim-men.

Als Beispiel gilt für den Bereich der Deut-schen Bahn:

ü [mm] = 11, 8v2 [km/h]% [m]

und damit z.B. bei einem Krümmungsradius von % = 10000 m:

v = 100 km/h ü=11,8 mmv= 200 km/h ü=47,2 mm

Aus der Maximalüberhöhung und der Regelgeschwindigkeit ergibt sich umgekehrt auch der zuplanende Minimalradius.

Vermieden werden soll eine plötzliche Änderung der freien Seitenbeschleunigung, ein soge-nannter Quer- oder Seitenruck.

Für den Ruck gilt

rS =daSdt

[ms−3]

bzw. mit v = const. parametrisiert nach der Bogenlänge L

rS =daSdL· v [ms−3]

Es sind also Krümmungssprünge zu vermeiden bzw. zu minimieren (vgl. Verwindungsband einerTrassierung in Abb.20). Dazu sind die Übergänge zwischen den einzelnen Querneigungen durchoptimale Anrampungen herzustellen.

Aufgrund von Überhöhungsrampen treten neben der Zentrifugalbeschleunigung auch eine bis-her nicht berücksichtige Rollwinkelbeschleunigung auf. Deren Einfluss auf die Fahrdynamik unddessen Berücksichtigung wird im Kapitel 2.5 beschrieben.

44 Lehrstuhl für Geodäsie

Page 45: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Wintersemester 2015/16

Abb. 20: Verwindungsband der Trassierung

2.3.2 Arten von Übergangsbögen

In der Praxis existieren je nach Aufgabenstellung (insbesondere Fahrdynamik) verschiede-ne Möglichkeiten, den Übergang zwischen verschiedenen Krümmungen zu gestalten. Die ge-bräuchlichsten zeigt die Skizze in Abb.21 von der Geraden („Kreis“ mit Radius∞ und Krümmungk = 0) in den Kreis (Radius r, Krümmung kK).

Im einfachen Wegebau kann man ggf. ganz ohne Übergangsbogen auskommen. Der Kreisbo-gen schließt dann direkt an das Geradenstück an (gepunktete Linie). Der Querruck tritt in vollerGröße auf.

Für untergeordnete Strecken im Wegebau reicht es oft aus, den Ruck aufzuteilen, indem maneinen Vorbogen einbaut. Die Krümmung des Vorbogens beträgt in der Regel kV = 1

2kK .

Bogenlänge

k= /1

r

Gerade mit k=0

Kreis mit kK

Vorbogen

Abb. 21: Krümmungsdiagramm von Übergangsbö-gen

Einen stetigen Übergang zwischen denKrümmungen erlaubt die Klothoide (ge-strichelte Linie). Dabei nimmt die Krüm-mung linear mit der Bogenlänge zu, sodass gilt

kKlotho = c · l =1

A2l

Die Klothoide wird im folgenden Kapitelnäher betrachtet.

Übergänge ohne Knicke erlauben Berühr-kurven 2. oder 3. Ordnung7. Für einenKrümmungsverlauf 2. Ordnung benutztman die biquadratische Parabel

7Berührungen 2. Ordnung verlaufen entlang der Tangente und sind deshalb mindestens einmal stetig differenzier-bar, Berührungen 3. Ordnung verlaufen am Berührkreis und sind deshalb mindestens zweimal stetig differenzierbar

Univ. Prof. Dr.-Ing. habil. Thomas A. Wunderlich 45

Page 46: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Sensorik und Methodik 1

ax4 + bx2 + c = 0

als geometrische Ortskurve, welche durch Substitution einfach lösbar ist. Der Krümmungsverlaufkann sich dann ergeben zu:

k = kK(a2(

l

lE)2 + a0

)Die verwendeten Kurven 2. Ordnung sind etwas komplizierter. Im Einsatz sind die BLOSS-Kurve

k = kK(3(

l

lE)2 − 2(

l

lE)3)

wobei lE die Bogenlänge vom Anfangspunkt der Kurve bis zum Endpunkt (Übergangspunkt anden Kreis) ist, und die Kurve von KLEIN oder auch Sinusoide

k = kK( llE− 1

2πsin(

l

lE2π))

Beim Bau von Hochgeschwindigkeitstrassen werden darüberhinaus für den Krümmungsverlaufauch Polynome n-ter Ordnung verwendet:

k = kK(an(

l

lE)n + an−1(

l

lE)n−1 + . . .+ a1(

l

lE) + a0

)

2.4 Die Klothoide

Für die Klothoide8 gilt die Bedingung, dass ihre Krümmung linear mit der Bogenlänge steigt:

k =1

r= c · l =

1

A2l ⇒ A2 = r · l und insbesondere A2 = rE · lE

rE und lE bezeichnen dabei Radius und Bogenlänge der Kurve am Kurvenende E.

In die Konstante c geht der Klothoidenparameter A ein, für A = 1 ergibt sich die Einheitsklo-thoide mit

1

r= k = l

Alle Klothoiden sind zueinander bzw. zur Einheitsklothoide ähnlich.

In Abb.22 sind die wichtigsten Bestimmungsmaße der Klothoide eingezeichnet.

8auch Klotoide oder CORNU’sche Spirale genannt

46 Lehrstuhl für Geodäsie

Page 47: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Wintersemester 2015/16

Abb. 22: Die Klothoide und ihre Bestimmungsstücke

r Radiusl Bogenlänge

M(x,y) Krümmungs-mittelpunkt zu P

τ Tangentenwinkelσ Sehnenwinkels Sehne zu P

∆r Kreisbogen-abrückung

Am einfachsten kann die Klothoide wegen des linearen Zusammenhangs nach der Bogenlän-ge parametrisiert werden. Für den praktischen Gebrauch ist jedoch eine Darstellung einzelnerPunkte in einem kartesischen System zu verwenden.

Zur Herleitung bezeichne dl ein differentielles Bogenelement in P, die Richtung der Tangente τzähle im Bogenmaß.

Mit Hilfe der Differentialgeometrie gilt dann:

dl = rdτ =1

kdτ dτ = kdl =

1

A2ldl

Integriert ergibt das

τ =l2

2A2+ C

und mit einer horizontalen Tangente im Bogenanfang (τ = 0⇒ l = 0) folgt C=0. Damit ergebensich im Infinitesimalen für die Koordinaten in einem kartesischen Rechtssystem (mathemati-sches System):

dx = cos τdl = cosl2

2A2dl ⇒ x =

l∫0

cosl2

2A2dl

dy = sin τdl = sinl2

2A2dl ⇒ y =

l∫0

sinl2

2A2dl

Diese Integrale nennt man die FRESNEL’schen Integrale, für die es keine geschlossene Lösunggibt. Es ist also eine Lösung über die Reihenentwicklungen von Sinus und Kosinus notwendig(RUNGE-KUTTA-Verfahren).

Es sei l = lA die Bogenlänge der Einheitsklothoide, so dass gilt:

τ =l2

2und dl = Adl

Univ. Prof. Dr.-Ing. habil. Thomas A. Wunderlich 47

Page 48: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Sensorik und Methodik 1

Dann entwickelt man die Winkelfunktionen in ihre Reihen (z.B. bis zum 3. Glied)

cosl2

2= 1−

( l2

2 )2

2!+

( l2

2 )4

4!∓ . . .

sinl2

2=l2

2−

( l2

2 )3

3!+

( l2

2 )5

5!∓ . . .

Diese Gleichungen sind integrierbar und liefern die Lösung

x = A∞∑n=1

(−1)n+1 l4n−3

(4n− 3)(2n− 2)!22n−2= Al

(1− l

4

40+

l8

3456− l

12

599040+

l16

175472640− . . .

)y = A

∞∑n=1

(−1)n+1 l4n−1

(4n− 1)(2n− 1)!22n−1= A

l3

6

(1− l

4

56+

l8

7040− l

12

1612600+

l16

588493440− . . .

)sowie daraus die explizite Lösung y = f(x)

y

A=

1

6(x

A)3 +

1

105(x

A)7 +

293

237600(x

A)11 + 0, 0002053995(

x

A)15 + 0, 0000387463(

x

A)19 + . . .

und ihre Ableitung

y′ = tan τ =1

2(x

A)2 +

1

15(x

A)6 +

293

21600(x

A)10 + 0, 0030809925(

x

A)14 + 0, 0007361797(

x

A)18 + . . .

Die Absteckwerte s und σ für einen beliebigen Kurvenpunkt sind dann einfach aus den bekann-ten kartesischen Koordinaten zu bestimmen:

s =√x2 + y2 tanσ =

y

x

Für den Krümmungskreismittelpunkt gilt dann

xM = x− r sin τ yM = y + r cos τ

und für die Bogenabrückung∆r = yM − r = y − 2r sin2 τ

2

Zu beachten ist, dass die Klothoide immer in einem geeignet gewählten lokalen System be-rechnet wird, und erst dann z.B. ins GK-System transformiert wird.

Abb. 23: Die Lemniskate (links) und ein Vergleich Klothoi-de - Lemniskate - Parabel (rechts)

Anstatt der Klothoide werdenmanchmal als Übergangsbo-gen auch die kubische Parabely = px3 oder die Lemniskate(Produkt aus Radius und Sehnen-länge r · s = const.) verwendet.Im ausschließlich verwendetenAnfangsbereich der drei Kurvenunterscheiden sich diese kaum(Abb.23).

48 Lehrstuhl für Geodäsie

Page 49: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Wintersemester 2015/16

Abb. 24: Kennstellen der Klothoide

Von besonderem Interesse sind noch die Kennstel-len einer Klothoide.Es sind dies diejenigen Stationierungsstellen, andenen runde Werte für r

A bzw. Al auftreten (vgl.

Abb.24).Die Kennstelle 1 (r = A = l) gilt dabei als absoluteGrenze der Trassierung.Interessant ist auch noch die Kennstelle 1/

√2, denn

an dieser Stelle gilt l = A√

2 und damit τ = 1 [rad].

Die Klothoide als einfacher Übergangsbogen ver-bindet Gerade und Kreis. Eine Wendelinie verbindetzwei gegenläufig gekrümmte Kreise, wobei ein Wen-depunkt (Krümmung 0) entsteht. Eine Eilinie verbin-det zwei gleichsinnig gekrümmte Kreise. Zwei Ge-raden werden von einer Scheitelklothoide verbun-

den, die eigentlich aus zwei einzelnen Klothoiden besteht, die am Scheitel gemeinsam maximaleKrümmung annehmen. Schließlich gibt es noch die Korbklothoide, die aus einer normalen Klo-thoide und einer Eilinie besteht. Den zur Übergangsstelle gehörenden Kreis nennt man auchPufferkreis.

Zum Schluss noch eine kurze Darstellung der Trassierungsmöglichkeiten mit Klothoiden:

Abb. 25: Anwendungen von Klothoidentrassierungen

In Umkehrung lassen sich als Anwendung auch Straßengeometrien und -verläufe durch Klo-thoidenberechnungen geometrisch modellieren. Automobile der Premium-Kategorie verfügen

Univ. Prof. Dr.-Ing. habil. Thomas A. Wunderlich 49

Page 50: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Sensorik und Methodik 1

heute serienmäßig über Fahrerassistenzsysteme mit bildgebender Sensorik in Form vonVideokamera-Systemen. Diese dienen mitunter zur Erkennung von Straßenverläufen durcheine Erfassung von Fahrbahnmarkierungen mittels Bildverarbeitung in Echtzeit (Abb.26). AlsAnwendung kann beispielsweise eine Warnfunktionalität beim Überfahren einer Fahrbahnbe-grenzungslinie (Spurhalteassistent) genannt werden. Die Überbrückung von Erfassungsausfäl-len aufgrund Verdeckungen, besonders im innerstädtischen Bereich, kann mittels vorausschau-ender Klothoidenberechnung durch Kalman-Filterung erfolgen. Forschungsergebnisse9aufdiesem Gebiet zeigen das Potential von erfolgreichen Echtzeitberechnungen. Weitere Anwen-dungen der Klothoidenberechnung sind in diesem Zusammenhang die Approximationen vonparallelen Klothoidensegmenten zur Abschätzung paralleler Spurführungen sowie die Berech-nung von mittigen Klothoidensegmenten zwischen zwei Klothoiden zur Extraktion der Fahrspu-rachse.

Abb. 26: Approximierte Fahrbahnmarkierungen durch Videokamera-Systeme mittels Klothoiden-berechnungen [Quelle: Gackstatter et al. (2010)]

2.5 Schwerpunktstrassierung

Alle herkömmlichen Trassierungsansätze beruhen auf der Festlegung der Gleiskrümmung aufHöhe der Schienenoberkante. Dies hat zur Folge, dass die projizierte Bahn des Schwerpunk-tes im Grundriss nicht der Gleismitte entspricht. Aus fahrdynamischen Gesichtspunkten ist ei-ne Trassierung im Fahrzeugschwerpunkt (Schwerpunktstrassierung) und eine anschließendeProjektion des fiktiven, schwerpunktsbezogenen Gleisstreifens (Schwerpunktlinie) in denrealen, absteckungsrelevanten Gleisstreifen (Leitlinie) als sinnvoller anzusehen (Abb.27).Da der Schwerpunkt des Fahrzeugs dem Aufenthaltsort der Passagiere besser entspricht alsdie Leitlinie kann durch eine Schwerpunktstrassierung mit stetigen Trassierungselementen derFahrkomfort gesteigert werden. Durch einen nachgewiesen stetigen Verlauf der einwirkendenRad-Schiene Kräfte kann außerdem der Instandhaltungsaufwand des Gleiskörpers verringertwerden.

Eine entsprechende Schwerpunktstrassierung und insbesondere die stetige Gestaltung desÜberhöhungs- und Krümmungsverlaufes der Übergangsbögen wird bei der ÖsterreichischenBundesbahn (ÖBB) und den Wiener Linien unter der Bezeichnung Wiener Bogen10 angewen-det. Schwerpunktstrassierungen können Ihre Anwendung bei der Ertüchtigung (Erhöhung der

9Gackstatter, Ch. et al. (2010): Fusion of Clothoid Segments for a More Accurate and Updated Prediction of theRoad Geometry. (http://wwwnavab.in.tum.de/) stellt eine Veröffentlichung aus der Automobilindustrie dar welchediese Forschungsergebnisse detailliert beschreibt.

10Die Trassierungsform des Wiener Bogens ist durch ein von den Wiener Linien und Österreichischen Bundesbah-nen angemeldetes Patent seit 2005 geschützt. Die Patentschrift trägt den Namen Gleis mit Übergangsbogen undkräfteminimaler Überhöhungsrampe. Die Patentschrift legt die Inhalte detailliert offen und ist zum Beispiel auf der

50 Lehrstuhl für Geodäsie

Page 51: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Wintersemester 2015/16

Abb. 27: Schwerpunktstrassierung und Projektion des fiktiven Gleisstreifens, [Quelle: ÖBB]

Geschwindigkeit) auf vorhandenen Strecken und beim Neubau von Hochgeschwindigkeitsstre-cken finden. Eine Trassierung in Form eines Wiener Bogens folgt dabei drei wesentlichen Grund-sätzen:

• Schwerpunktstrassierung in Form eines fiktiven Gleisstreifens,

• Strenge direkte Proportionalität von Überhöhungs- und Krümmungsverlauf und

• Verlaufsfunktion der Überhöhung und Krümmung erfüllt mindestens eine C3-Steitgkeit undeine vierfache Differenzierbarkeit.

Um die Sinnhaftigkeit der dritten Anforderung zu verstehen müssen zunächst die Ableitungen,der den Übergangbogen bildenden Verlaufsfunktion, betrachtet werden. Nachfolgend soll von ei-ner Verlaufsfunktion der Gleisüberhöhung ausgegangen werden. Auf Grundlage dieser sinddie dazu proportionale Gleiskrümmung und die tatsächliche Gleisgeometrie, durch zweifache In-tegration, ableitbar. Die erste Ableitung entspricht der Winkelgeschwindigkeit um die Längsach-se (Achse des fiktiven Gleisstreifens). Ist diese stetig (C1-Stetigkeit), so besitzt die Trassierungkeine Knicke im Überhöhungsverlauf. Diese Anforderung erfüllt die Klothoide mit einer linea-ren Überhöhungsrampe definitionsgemäß bereits nicht mehr! Die zweite Ableitung lässt sich alsVerlauf der Rollwinkelbeschleunigung (Winkelbeschleunigung um die Längsachse) deuten.

Homepage des Deutschen Patent- und Markenamtes http://depatisnet.dpma.de unter Suche nach der Veröffent-lichungsnummer EP1523597B1 einsehbar.

Univ. Prof. Dr.-Ing. habil. Thomas A. Wunderlich 51

Page 52: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Sensorik und Methodik 1

Die durch den Überhöhungsverlauf entstehende Rollwinkelbeschleunigung bildet zusammenmit der auftretenden Zentrifugalbeschleunigung die (unausgeglichene) Seitenbeschleunigungim Schwerpunkt des Fahrzeuges. Deren Stetigkeit besagt, dass der Verlauf der Rollwinkelbe-schleunigungen ohne Sprünge ist (C2-Stetigkeit). Die Änderungen der Rollwinkelbeschleunigun-gen (dritte Ableitung) beschreiben definitionsgemäß den Ruck im Fahrzeugschwerpunkt. Wirdnun sogar die Stetigkeit der dritten Ableitung gefordert (C3-Stetigkeit) entspricht dies einem ste-tigen Verlauf des Winkelrucks ohne Sprünge im Fahrzeugschwerpunkt. Wird noch zusätzlichdie Existenz der 4. Ableitung beansprucht, so ist außerdem die Bernouille-Biegetheorie erfüllt,welche besagt, dass die Bettungskraftverteilung der Schiene stetig ist.

Die Grundformel der Schwerpunktstrassierung berücksichtigt mit einem Korrekturglied diedurch den Überhöhungsverlauf auftretenden Rollwinkelbeschleunigungen im Schwerpunkt desFahrzeuges (2. Ableitung der Verlaufsfunktion). Somit lässt sich ausgehend von der Verlaufs-funktion des Überhöhungswinkels im Schwerpunkt direkt auf den horizontalen Anteil der Krüm-mung k auf Niveau der Schienenoberkante durch die entstehende Differentialgleichung schlie-ßen. Der Parameter l bezeichnet dabei den Weg entlang des Übergangsbogens mit der LängelE . Die Trassierungshöhe h entspricht der angenommenen Höhe des Fahrzeugschwerpunktes(für h gleich Null bleibt die Rollwinkelbeschleunigung unberücksichtigt und man erhält einenkonventionellen Trassierungsansatz).

k(l

lE) =

kKαK· α(

l

lE)− h · d

dl2= kK · fU (

l

lE)− h · d

dl2

Darin beschreibt kK eine konstante Bezugskrümmung und αK einen konstanten Bezugsüber-höhungswinkel (in einem Kreisbogen). Die Verlaufsfunktion des Überhöhungswinkels, äquivalentzur Querneigung, wird durch α( l

lE) ausgedrückt, wobei fU ( l

lE) die normierte Verlaufsfunktion der

Überhöhung bzw. der Krümmung ist.

Es lässt sich nachweisen, dass die resultierende (unausgeglichene) Seitenbeschleunigung imSchwerpunkt der Verlaufsfunktion der Krümmung ähnlich ist, und somit einen glatten und ste-tigen Verlauf am Übergangsbogenanfang und -ende aufweist. Um diese Anforderungen an dieVerlaufsfunktion der Überhöhung zu erfüllen müssen Polynomansätze höherer Ordnung verwen-det werden. Prinzipiell denkbar sind Ansätze ab einem Polynome 3. Ordnung in Kombination mitder Sinus- und Kosinusfunktion, Polynome 5. Ordnung in Kombination mit nur dem Sinus odernur dem Cosinus oder reine Polynomfunktionen mit einem Ordnungsgrad größer als sieben. Andieser Stelle wird beispielhaft auf das in der Literatur primär vorgeschlagene Polynom siebterOrdnung als Verlaufsfunktion eingegangen. Ausgehend von den Anforderungen an die Ste-tigkeiten im Übergangsbogenanfang (Übergang von Geradenstück) und Übergangsbogenende(Übergang in einen Kreisbogen mit konstanter Krümmung), bis zur dritten Ableitung der Verlaufs-funktion, können die Koeffizienten des Polynoms mittels Lösung eines linearen, inhomogenenGleichungssystems hergeleitet werden.

fU (l

lE) = −20·( l

lE)7+70·( l

lE)6−84·( l

lE)5+35·( l

lE)4 = (

l

lE)4 ·(35−84·( l

lE)+70·( l

lE)2−20·( l

lE)3)

0 ≤ (l

lE) ≤ 1

Ein Vergleich des Krümmungsbildes und der Leitlinie von Wiener Bogen und Klothoide zeigt dasAusschwingen des Wiener Bogens (Abb.28) als Effekt der Schwerpunktstrassierung.

52 Lehrstuhl für Geodäsie

Page 53: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Wintersemester 2015/16

Abb. 28: Leitlinie und Krümmungsverlauf von Klothoide und Wiener Bogen (Neue Geometrie),[Quelle: ÖBB]

Der reine Krümmungsverlauf ist ähnlich zur Bloss-Kurve, welche als Verlaufsfunktion der Über-höhung und Krümmung eine Parabel 3. Grades und somit eine geometrischen Ortskurve alsParabel 5. Grades beschreibt. Die Bloss-Kurve findet ihre Anwendung im Streckennetz derDeutsche Bahn AG, wobei kein Bezug zu einer Schwerpunktstrassierung gewählt wird. Wieauch beim Wiener Bogen besteht der Vorteil gegenüber der Klothoide in einer fahrdynamischgünstigeren Überhöhungsrampe. Infolge eines längeren Übergangsbogens mit einer kleinerenBogenabrückung sind somit höhere Streckengeschwindigkeiten realisierbar.

Weitere konventionelle Verlaufsfunktionen der Krümmung und Überhöhung mit stetigem Verlaufsind der z.B. Übergangsbogen nach Klein (Funktion der Überhöhung und der Krümmung isteine Sinusfunktion) und der Übergangsbogen nach Schramm (Funktion der Überhöhung undder Krümmung ist Kosinusfunktion).

Univ. Prof. Dr.-Ing. habil. Thomas A. Wunderlich 53

Page 54: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Sensorik und Methodik 1

3 Interpolationen

Viele geodätische Messverfahren erfassen Informationen nur an diskreten Stellen. Sind dieseEinzelstellen jedoch ausreichend dazu geeignet, das Gesamtobjekt zu charakterisieren, lassensich Zwischenpunkte mit ausreichender Genauigkeit aus den Messwerten interpolieren. DieAuswahl der Messpunkte und die Festlegung eines angemessenen Interpolationskonzepts isteine Ingenieursaufgabe.

3.1 Interpolationen einer unabhängigen Variablen

x

yStützstellen

Interpolationsstelle

Abb. 29: Interpolation bei einer unabhängigen Va-riablen

Geg.: Eine Folge von Argumenten x mit zu-gehörigen Funktionswerten y

Ges.: Funktionswerte für beliebige Zwischen-werte

Das allgemeine Verfahren ist der Ansatzeines Interpolationspolynoms vom Grad n,das den Verlauf der Funktionswerte mög-lichst gut beschreiben soll:

y = P (x) =n∑0

aixi = a0 + a1x+ a2x

2 + . . .+ anxn

Die ai sind dabei die unbekannten, aus den Stützwerten zu bestimmenden Koeffizienten. Fürein Polynom vom Grad n benötigt man dann n + 1 Stützwerte. Umgekehrt lassen sich n + 1Stützstellen immer genau durch ein Polynom vom Grad n so verbinden, dass alle StützstellenElemente der Polynomkurve sind. Die Bestimmung der Koeffizienten kann nach dem Newton-Interpolationsverfahren erfolgen.

n=3

n=1

Abb. 30: Approximationspolynome vom Grad 1und 3

Ist der Grad des gewählten Polynomskleiner als durch die Stützstellen möglich(Grad < Stützstellen-1), wird der Ver-lauf der Stützwerte nur approximiert. Dieskann nach unterschiedlichen Verfahrengeschehen, z.B. so, dass die Quadratsum-me der verbleibenden Restabweichungenminimiert wird (im Sinne einer Kleinste-

Quadrate-Ausgleichung). Zu beachten ist hier das Abtasttheorem, weil durch eine Näherung mitzu kleinem Grad unter Umständen Information verloren gehen kann (Nyquist-Theorem).

Dabei müssen die Koeffizienten ai nicht unbedingt reine Skalare sein, sondern können ihrerseitsFunktionen (aber nicht von x !) sein. Ihre Form bestimmt dann die Eigenschaften des Interpola-tionspolynoms, z. B.

54 Lehrstuhl für Geodäsie

Page 55: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Wintersemester 2015/16

• Tschebyscheff-Polynome Minimierung der Maximalabstände zwischen Stützstellen undPolynom

• Splinefunktionen minimales Ausschwingen an den Stützstellen durch stückweise stetigeFunktionen; Charakter eines elastischen Lineals (bzw. Gummituchs im 3D)

• Orthogonalpolynome die bestehenden Koeffizienten ändern sich nicht, wenn man das In-terpolationspolynom um einen Grad erhöht

• trigonometrische Interpolation anzuwenden bei periodischen Funktionen (hier versagenPolynomansätze), z.B. bei Fourier-Reihen

y =a02

+ a1 cos2π

Tx+ a2 cos 2

Tx+ . . .+ b1 sin

Tx+ b2 sin 2

Tx+ . . .

ANWENDUNGEN IN DER GEODÄSIE

10,8

11,2

9,2

9,9

Abb. 31: Höhenlinieninterpolation

1. Interpolation von Höhenwertenlineare Interpolation zwischen je zwei Höhen-punkten in Falllinie des Geländes für die Kon-struktion von Höhenlinien.Es ist darauf zu achten, dass das Gelände imInterpolationsstück auch wirklich annähernd li-nearen Verlauf aufweist, da sonst Interpolati-onsfehler auftreten (Abtasttheorem!)

2. Zustandswerte für Instrumenteals Funktion von Zeit, Temperatur, Druck o.ä.

3. Punktkoordinierung in einer Messungslinie

Geg.: A(y′A, x′A)), E(y′E , x

′E)

Gem.:sAE , siGes.: Pi(y′i, x

′i)

Univ. Prof. Dr.-Ing. habil. Thomas A. Wunderlich 55

Page 56: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Sensorik und Methodik 1

y'

x'

A

E

Pi

si

sAE

x

y

�x'

�y'

Abb. 32: Interpolation auf der Messungslinie

Es sind die Koordinaten von Zwi-schenpunkten entlang einer Mes-sungslinie aus der Stationierung derPunkte zu bestimmen.Der Ansatz

x′ − x′Ax′E − x′A

=y′ − y′Ay′E − y′A

=s′is′AE

=sisAE

führt auf

x′ = x′A + ∆x′ · sisAE

y′ = y′A + ∆y′ · sisAE

was einer Interpolation im Verhältnis der Messwerte entspricht.

In der Praxis ist die Distanz s′AE aus den Koordinaten zu berechnen und zu überprüfen, ob diegemessene Distanz sAE im Rahmen einer Toleranzgrenze dazu passt. Dadurch lässt sich einMaßstabsfaktor definieren

m =s′AEsAE

→ 1

sAE=

m

s′AE

der Messwerte und Koordinatenwerte miteinander verbindet.

Man erhält dann auch

x′ = x′A +∆x′

s′AEm · si = x′A + cos ε ·m · si

y′ = y′A +∆y′

s′AEm · si = y′A + sin ε ·m · si

als Formelsatz für die Punktkoordinaten entlang der Messungslinie.

3.2 Interpolationen von zwei unabhängigen Variablen

Stützstellen

Interpolationsstelle

Abb. 33: Eindimensionale Interpolation beizwei unabhängigen Variablen

Geg.: n Stützpunkte Pi(xi, yi) mit eindimensionalenStützwerten (Signalen) di (Abb.33) oder auchmit zwei Komponenten dx, dy (Abb.35)

Ges.: Signal d für einen Zwischenpunkt P als Funktionder di in den Stützpunkten Pi

56 Lehrstuhl für Geodäsie

Page 57: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Wintersemester 2015/16

3.2.1 Eindimensionale Interpolation

Sind die di eindimensional, z.B. Höhen oder Funktionswerte an einem Lagepunkt, so genügensie der Funktion

d = f(x, y)

und bilden ein ebenes skalares Feld.

Oftmals verwendet man Polynomansätze zur Modellierung.:

d(x, y) =

m∑j=0

n∑k=0

ajkxjyk = a00 + a10x+ a01y + . . .

wobei m und n die maximalen Grade in x bzw. y und m+ n der Grad des Polynoms ist. Die ajksind die Koeffizienten, ihre Zahl beträgt bei vollständiger Besetzung (m+2)(n+1)

2 .

Sind mehr Stützpunkte gegeben, als für den gewünschten Polynomansatz nötig, kann ebenfallswieder eine Approximation (z.B. nach dem Verfahren der Kleinsten Quadrate) durchgeführtwerden, oder man zerlegt das Gesamtfeld in Teile, z.B. durch eine Dreiecksvermaschung. DerPolynomansatz lässt sich dann auf die Einzelfelder anwenden, dabei ist jedoch darauf zu achten,dass an den Teilfeldübergängen keine Unstetigkeiten entstehen. Dies schafft man durch dieEinführung von Nebenbedingungen11.

ANWENDUNGEN IN DER GEODÄSIE

1. Digitales Höhenmodellgegebene Höhenwerte an koordinatenmäßig bekannten Punkten und dadurch Interpolati-on von Höhenlinien. Hier erfolgt in der Regel eine Zerlegung des Gesamtfeldes in Dreieckeoder Vierecke.

Abb. 34: Nomogramm der Multiplikationskonstan-ten

2. NomogrammeInstrumentendaten als Funktion vonzwei Einflussparametern, z.B. dieMultiplikationskonstante der EDM inAbhängigkeit von Temperatur undLuftdruck (vgl. Abb.34).Die Achsen werden dabei so skaliert,dass der gesuchte Funktionswertin der Abbildung aus Geradenab-ständen interpoliert werden kann(deshalb oft auch logarithmischeAchsen).

11Nebenbedingungen können z.B. sein, dass Anschlusspolynome so gestaltet sind, dass an den Übergangsstellenvon beiden Seiten gleiche Werte für die 1. und ggf. 2. Ableitung entstehen → stetiger Übergang.

Univ. Prof. Dr.-Ing. habil. Thomas A. Wunderlich 57

Page 58: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Sensorik und Methodik 1

3.2.2 Zweidimensionale Interpolation

Stützstellen

Interpolationsstelle

x

y

Abb. 35: Zweidimensionale Interpolation bei zweiunabhängigen Variablen

Sind die di zweidimensional, z.B. Koordina-tenzuschläge dx und dy an den Stützpunk-ten, so bilden sie mit

di =

(dxdy

)ein ebenes Vektorfeld.Die Modellierung ist dann nach verschiede-nen Verfahren möglich:

• unter Zugrundelegen von Ähnlich-keitsbeziehungen über projektiveTransformationen ohne Übergangzu eindimensionalen Vektoren

• unter der Bedingung von Affinität,dann kann das Vektorfeld in zweiskalare Felder aufgetrennt werden(z.B. bei der maschenweisen gra-phischen Affintransformation).

Oft wird der Funktionalzusammenhang zwischen den di auch beschrieben als

d = F (d1, d2, . . . , dn)

oder linear alsd = cTd = c1d1 + c2d2 + . . .+ cndn

Das gewünschte Interpolationsprinzip ist dann in den Koeffizienten c enthalten.

ANWENDUNGEN IN DER GEODÄSIE

1. Überbestimmte Transformationen zwischen Festpunktfeldern

2. Deutung des Vektorfeldes als Verschiebungsvektoren eines Bauwerks, Rutschhangs etc.im Sinne einer Deformation

3.3 Spezielle Interpolationen in der Geodäsie

Betrachten wir einige Sonderfälle in Abhängigkeit von der Anzahl der Stützpunkte n, die für dasVermessungswesen Bedeutung haben.

3.3.1 2 Festpunkte gegeben

Der Formelsatz einer ebenen Ähnlichkeitstransformation lässt sich auch auf Koordinatendiffe-renzen in den identischen Punkten umstellen:

x′ = x′0 + ax− oy → dx = x′ − x = x′0 + (a− 1)x− oyy′ = y′0 + ox+ ay → dy = y′ − y = y′0 + ox+ (a− 1)y

58 Lehrstuhl für Geodäsie

Page 59: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Wintersemester 2015/16

y

x

PF

P1

P2

Pi

dx1

dx2

dy1

dy2

dxi

dyi

hp

q

Abb. 36: 2D-Ähnlichkeitstransformation als Interpola-tionsaufgabe

Mit den Bezeichnungen in Abb.36 giltdann für die Zuschläge in den identi-schen Punkten

dx =q

sdx1 +

p

sdx2 +

h

sdy1 −

h

sdy2

dy =q

sdy1 +

p

sdy2 −

h

sdx1 +

h

sdx2

wobei die dy, dx die Koordinatenände-rungen in den Punkten bezeichnen:

dxi = x′i − xidyi = y′i − yi

Die Verteilung der Zuschläge auf einen Punkt Pi ist also abhängig von p, q und h. Gemeinsa-me Vektorkomponenten von P1 und P2 wirken mit gleichem Vorzeichen entlang der Richtungzwischen den beiden Festpunkten, gewichtet nach dem jeweiligen Abstand. Nicht gleichartigeVektorkomponenten wirken zusätzlich im Verhältnis des Abstands h von der Verbindungsgera-den.

Eine geometrische Deutung erhält das Ganze, wenn man nur eine der Komponenten betrachtet,z.B. dx2. Die Verbindungslinie erhält dann eine Drehung, und Pi wird ebenfalls in y-Richtungverschoben.

Ist h = 0, so existiert keine gegenseitige Beeinflussung der dx und dy und man erhält denFormelsatz der linearen Interpolation.

3.3.2 3 Festpunkte gegeben

Bei drei Festpunkten kann in der Ebene eine Affintransformation angewendet werden. Dabeikönnen die Verschiebungen dx und dy getrennt betrachtet werden, da die entsprechenden Glei-chungssysteme voneinander unabhängig sind. Dabei kann der Ansatz der Affintransformationinnerhalb von Dreiecksmaschen als Maschenweise Affintransformation graphisch mittels li-nearer Interpolation gelöst werden (vgl. Kapitel 2: Transformationen).

Die Vorgehensweise, z.B. für die Interpolation von Höhenwerten in einem triangulär vermaschtenDGM, beruht auf der Anwendung von Flächengewichten (vgl. Abb.37):

d =F1

Fd1 +

F2

Fd2 +

F3

Fd3

Univ. Prof. Dr.-Ing. habil. Thomas A. Wunderlich 59

Page 60: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Sensorik und Methodik 1

P1 P’

2P

3

P’3

P’1

P2

P

h1

s2

s1 s

3

h’1

s23

Abb. 37: Interpolation im Dreieck

Dabei ist die Fläche F die Gesamtfläche desDreiecks 4P1P2P3, die Teilflächen Fi sind die-jenigen, die von den Punkten Pk, k 6= i unddem Interpolationspunkt P aufgespannt wer-den.Da in den Quotienten Fi

F bei der Flächenbe-rechnung die Grundlinien für Zähler und Nen-ner gleich sind, ergibt sich auch eine Gewich-tung über die senkrechten Abstände auf dieDreiecksseiten:

d =PP ′1P1P ′1

d1 +PP ′2P2P ′2

d2 +PP ′3P3P ′3

d3

Die Anwendungen sind theoretisch sowohl für Vektor- als auch für skalare Felder zulässig.

3.3.3 4 Festpunkte gegeben

PROJEKTIVE TRANSFORMATION

Vier Punkte werden mit x und y zur Deckung gebracht, die Zwischenpunkte entsprechend denFormeln (siehe entsprechendes Kapitel) transformiert.

Formeln für die Interpolation von Signalen an den Koordinaten der Zwischenpunkte existierennicht.

BILINEARE INTERPOLATION

P1

s14

P4

P2

P3

s12

s23

s34P

sC

sB

sD

sA

s’14

s’12

s’34

s’23

P1 P

4

P3

P2

P

sD

sC

sA

sB

Abb. 38: Bilineare Interpolation im allgemeinen Viereck und im Rechteck

Für die bilineare Interpolation soll ein skalares Feld zu Grunde liegen. Es wird dann so inter-poliert, dass jeweils gegenüberliegende Seiten des Vierecks im selben Verhältnis für P geteilt

60 Lehrstuhl für Geodäsie

Page 61: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Wintersemester 2015/16

werden, P liegt dann auf dem Schnittpunkt der beiden Geraden. Für beliebige Punkte P entste-hen zwei Scharen von Geraden die Erzeugende eines hyperbolischenParaboloids sind12.

In Abb.38 links gilts′12s12

=s′34s34

=sA

sA + sC

s′14s14

=s′23s23

=sB

sB + sD

Für das Signal in P ergibt sich dann (ohne Angabe der Zwischenschritte)

d =1

s12s14

((s12 − s′12)(s14 − s′14)d1 + s′12(s14 − s′14)d2 + s′12s

′14d3 + s′14(s12 − s′12)d4

)oder, ausgedrückt nicht durch die Fußpunktsabstände auf den Vierecksseiten, sondern durchdie Erzeugenden durch P :

d =sCsDd1 + sAsDd2 + sAsBd3 + sBsCd4

(sA + sC)(sB + sD)=

1∑p

(p1d1 + p2d2 + p3d3 + p4d4)

Die Koeffizienten p lassen sich dabei als Verhältnisse deuten, die jeweils aus den Produkten derErzeugendenabschnitte, die nicht an Pi anliegen, und dem Gesamtprodukt der Erzeugendenbestehen.

Im allgemeinen Fall ist die Interpolation nur iterativ lösbar, da für gegebene P die Verhältnisseauf den Vierecksseiten nicht direkt berechenbar sind.

Der häufigste Anwendungsfall ist daher die Anordnung der Stützpunkte im Rechteck (Abb.38rechts). In diesem Fall sind die Verhältniswerte direkt bestimmbar, und die Koeffizienten derInterpolation werden zu Flächengewichten der abgewandten Fläche.

3.3.4 Mehr als 4 Festpunkte gegeben

Sind mehr als vier Stützpunkte gegeben, bedient man sich je nach Aufgabenstellung unter-schiedlicher Interpolationsmethoden.

ZERLEGUNG IN TEILBEREICHE

Die einfachste Methode ist die Zerlegung des Gebiets in kleinere Einheiten, so dass jeder Einheitwieder weniger als 5 Festpunkte zugeteilt werden.

Problematisch wird dieses Vorgehen jedoch, wenn es gilt, zwischen den Teilgebieten glatteÜbergänge zu schaffen. Es sind dann stetige Funktionen durch Splines oder Methoden derFiniten Elemente zu schaffen, was wieder sehr unangenehm werden kann.

AUSGLEICHENDE ANSÄTZE

Wendet man die Interpolationsmethoden für mehr als 4 Stützpunkte in einem ausgleichendenAnsatz an, so bleiben in allen beteiligten Punkten Restklaffungen erhalten. Insbesondere wirddas Interpolationsergebnis am Punkt P nicht exakt sein, sondern nur eine bestmögliche Nähe-rung in Abhängigkeit von den Klaffungen der Stützstellen.

Oftmals reicht diese Vorgehensweise jedoch aus, da sie glättend wirkt und dadurch den jeweili-gen Genauigkeitsansprüchen genügt.

12Dieses Interpolationsprinzip steckt implizit auch in der Volumenberechnung mit Vierecksprismen (Skript VK 1)

Univ. Prof. Dr.-Ing. habil. Thomas A. Wunderlich 61

Page 62: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Sensorik und Methodik 1

x

y

Pi

si

Abb. 39: Arithmetisch gewichteteInterpolation

ALLGEMEINES ARITHMETISCHES MITTEL

Analog dem Gewichtungsansatz der bilinearen Interpolation

d =1∑p

(p1d1 + p2d2 + p3d3 + p4d4)

können auch Gewichtsfunktionen der Abstände si der Stütz-punkte vom Interpolationspunkt eingeführt werden, meist ininverser Form

pi =1

ski

und mit k ∈ [0, 5 1 1, 5 2 3 . . .]

Um Unstetigkeiten in den Stützstellen selbst zu vermeiden, kann auch noch eine Additionskon-stante für den Nenner eingeführt werden

pi =1

ski + C

die gleichzeitig glättend wirkt.

Bedingung für die Anwendung des allgemeinen arithmetischen Mittels (auch Korrelationsverfah-ren genannt) ist in jedem Fall eine gute Verteilung der Stützpunkte, da es sonst zu unerwünsch-ten Extrapolationseffekten kommt.

MULTIQUADRATISCHE METHODE NACH HARDY

Das gesuchte Signal in P ergibt sich als Linearkombination von Rotationsflächen (Paraboloide,Ellipsoide oder auch räumliche Glockenkurve), die jedem Stützpunkt in Abhängigkeit von dessendi zugeordnet werden.

Dieses Vorgehen ist zu deuten als Aufsummieren von Wahrscheinlichkeiten der einzelnen di, diezum Gesamtwert in P beitragen.

Für das Signal d gilt dann

d = gTk = g1k1 + g2k2 + . . .+ gnkn

Die gi definieren die Rotationsflächen um den Stützpunkt Pi, z.B. ein Hyperboloid mit

gi =√

(x− xi)2 + (y − yi)2 +G =√s2i +G

G ist darin ein Glättungsfaktor.

Die ki sind Koeffizienten, die in allen Stützpunkten Pi für den jeweils betrachteten Wert kk desStützpunktes Pk erhalten werden, ergeben sich also als Lösung des Gleichungssystems

d1 = g11k1 + g12k2 + . . .+ g1nkn...

dn = gn1k1 + gn2k2 + . . .+ gnnkn

62 Lehrstuhl für Geodäsie

Page 63: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Wintersemester 2015/16

wobei die gki die Werte des Punktes Pk bezüglich der Rotationsfläche von Pi sind.

Kürzer kann man schreibend = Gk

so dassk = G−1d

und schließlichd = gTG−1d = cTd

Dieses Verfahren ist einfach zu programmieren und liefert gute Ergebnisse.

AUSGLEICHUNG NACH DER METHODE DER KLEINSTEN QUADRATE

In der Regel die besten Ergebnisse liefert eine strenge Ausgleichung nach der Methode derKleinsten Quadrate, die ja in vielen Interpolationsansätzen implizit enthalten ist.

Hierbei ist auf eine zutreffende Formulierung des jeweiligen Funktionalmodells zu achten.

Univ. Prof. Dr.-Ing. habil. Thomas A. Wunderlich 63

Page 64: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Sensorik und Methodik 1

4 Freiform-Kurven und -Flächen

Von Freiform-Kurven oder -Flächen spricht man, wenn Formen nicht mehr durch geometrischeGrundelemente dargestellt werden können, ihr Formverlauf aber dennoch durch Stützstellenund/oder physikalische Randbedingungen determiniert wird.

Neben verschiedenen Interpolationstypen für diskrete, ungleichmäßig verteilte Kurven- oder Flä-chenpunkte (Scattered Data Interpolation) können für Freiform-Geometrien auch mathemati-sche Beschreibungsmodelle herangezogen werden. Im Folgenden sollen jedoch nur echte Frei-formgeometrien betrachtet werden, d.h. nur von ihren Stützstellen oder Randkurven abhängige,nicht von physikalischen Einflüssen.

Entwickelt wurde die Mathematik hinter diesen Geometrien von DE CASTELJAU (1959) bzw. BÉ-ZIER (1962), beide tätig in der Automobilindustrie. Die von ihnen entdeckten Algorithmen undBerechnungsfunktionen bilden zusammen mit deren Erweiterungen späterer Jahre das Grund-gerüst des Computer Aided Geometric Designs (CAGD). Für den Geodäten ist dieses Themavon Interesse, weil er oft zu Rate gezogen wird, wenn es gilt, anspruchsvolle geometrischeFormen festzulegen bzw. mit diskreten Tachymeterpunkten oder Laserscanning-Daten zu über-prüfen.

4.1 Bézierkurven

Bézierkurven sind definiert durch n+ 1 Punkte Pi mit i = 0, 1, . . . , n, die sogenannten Kontroll-punkte, und bestimmte Basisfunktionen Bi,n(t) vom Grad n.

Für den Koordinatenvektor C(t) der Kurve gilt dann

C(t) =n∑i=0

Bi,n(t)Pi 0 ≤ t ≤ 1 (4.1)

Die Dimension von C hängt dabei von der Dimension der Kontrollpunkte Pi ab, t ist die normierteBogenlänge als Lauf- bzw. Stationierungswert auf der Kurve.

Die Verbindung der Kontrollpunkte Pi in der vorgegebenen Reihenfolge nennt man das Kon-trollpolygon der Kurve.

Die Basisfunktionen der Bézierkurven sind die Bernsteinpolynome, die sich aus dem binomi-schen Lehrsatz entwickeln lassen und explizit gegeben sind durch

Bi,n(t) =

(ni

)(1− t)n−i ti =

n!

i!(n− i)!(1− t)n−i ti (4.2)

Einfach berechnet werden können die Bernsteinpolynome mittels folgender Rekursion:

B0,0(t) ≡ 1

Bi,n(t) ≡ 0 für i > n

Bi,n(t) = (1− t)Bi,n−1(t) + tBi−1,n−1(t)

(4.3)

Die Summe der Bernsteinpolynome ergibt 1:n∑i=0

Bi,n(t) = 1

64 Lehrstuhl für Geodäsie

Page 65: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Wintersemester 2015/16

B0,2 B2,2

B1,2

Abb. 40: Die quadratischen Bersteinpolyno-me

Damit ergeben sich z.B. die linearen und die qua-dratischen Bernsteinpolynome zu

B0,1(t) = 1− tB1,1(t) = t

B0,2(t) = (1− t)2

B1,2(t) = 2t(1− t)B2,2(t) = t2

P = C(0)0

P = C(1)1

Abb. 41: Bézierkurve vom Grad 1

BEISPIELE FÜR BÉZIERKURVEN:

n=1: C(t) = (1− t)P0 + tP1

Die Bézierkurve ist eine Gerade zwischen denStützpunkten P0 und P1 (Abb.41).

Abb. 42: Bézierkurve vom Grad 2

n=2: C(t) = (1− t)2P0 + 2t(1− t)P1 + t2P2

Die Kurve ist ein Teil einer Parabel von P0 zu P2

mit dem Kontrollpolygon {P0, P1, P2} (Abb.42).

Abb. 43: Bézierkurve vom Grad 3

n=3: C(t) = (1− t)3P0 + 3t(1− t)2P1+

3t2(1− t)P2 + t3P3

Mit dieser Kurve betreten wir endgültig den Be-reich der Bézierkurven; es handelt sich um einekubische Bézierkurve (Abb.43).

Univ. Prof. Dr.-Ing. habil. Thomas A. Wunderlich 65

Page 66: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Sensorik und Methodik 1

4.1.1 Der Algorithmus von DE CASTELJAU

Neben der Darstellung der kubischen Bézierkurve zeigt Abbildung 43 auch den geometrischenAlgorithmus zu dessen Erzeugung, der von DE CASTELJAU stammt.

Dieser Algorithmus verbindet die polynomialen Basisfunktionen mit einer geometrischen Be-trachtungsweise, und ermöglicht so, von der Lage der Kontrollpunkte auf die geometrischenEigenschaften der endgültigen Kurve zu schließen.

Man erhält einen beliebigen Punkt mit Stationierungswert t auf der Kurve, indem man alle Seitendes Kontrollpolygons im Verhältnis t : (1 : t) teilt, die entsprechenden Teilungspunkte durchGeraden verbindet, wieder teilt usw. Der letzte Teilungspunkt ist dann der gesuchte Punkt derBézierkurve, die letzte Gerade ist die Tangente an die Kurve in diesem Punkt.

4.1.2 Eigenschaften von Bézierkurven

1. Verhalten in den EndpunktenDie Kurve läuft durch Anfangs- und Endpunkte P0 bzw. Pn. Das erste und das letzte Seg-ment des Kontrollpolygons ist jeweils Tangente an die Kurve im Anfangs- und im Endpunkt.

2. Konvexe-Hülle-EigenschaftDie Kurve liegt in der konvexen Hülle der Bézierpunkte und damit auch in der konvexenHülle des Bézierpolygons.

3. Einfluss der KontrollpunkteDer Kontrollpunkt Pi hat den größten Einfluss auf die Kurve an der Stationierungsstellet =i /n.

4. Variationsmindernde EigenschaftKeine Gerade bzw. Ebene schneidet eine Bézierkurve öfter als das entsprechende Kon-trollpolygon.

5. Symmetriees ist unerheblich, ob die Bézierpunkte aufsteigend P0, P1, . . . , Pn oder absteigendPn, Pn−1, . . . , P0 durchlaufen werden. Die entstehenden Kurven stimmen überein, sie un-terscheiden sich nur in der Durchlaufrichtung des Stationierungswerts.

6. Affine InvarianzJede Bézierkurve kann mit dem Algorithmus von DE CASTELJAU durch wiederholte Inter-polation erzeugt werden. Diese Operationen sind affin invariant.

7. LinearitätEine Bézierkurve ist genau dann eine Gerade, wenn alle Kontrollpunkte auf einer Geradenliegen.

4.2 Rationale Bézierkurven

Von allen Kurventypen sind die Kegelschnitte mit die wichtigsten und werden gerade in derFlugzeugindustrie häufig zur Modellierung verwendet.

66 Lehrstuhl für Geodäsie

Page 67: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Wintersemester 2015/16

Ellipsen, Kreise und Hyperbeln können nicht durch Polynome dargestellt werden, wohl aberdurch rationale Funktionen, die wiederum aus der Division zweier Polynome hervorgehen (vgl.Tabelle 1:

Kegelschnitt x(t) y(t)

Kreis 1−t21+t2

2t1+t2

Ellipse 1−t21+t2

4t1+t2

Hyperbel −1+2t1+2t−2t2

4t(1−t)1+2t−2t2

Tab. 1: Kegelschnitte als rationale Funktionen

Die Bézierkurven stoßen hier an ihre Grenzen, es ist mit ihnen nicht möglich, diese Kurvendarzustellen. Man führte deshalb die rationalen Bézierkurven ein, die definiert sind durch

C(t) =

n∑i=0Bi,n(t)wiPi

n∑i=0Bi,n(t)wi

0 ≤ t ≤ 1 (4.4)

Bei einer rationalen Bézierkurve wird jedem Kontrollpunkt Pi ein Gewicht wi zugeordnet, dieBi,n sind nach wie vor die Bernsteinpolynome. Die Bézierkurven ergeben sich somit aus denrationalen Bézierkurven als Sonderfälle für wi = 1.

4.2.1 Darstellung von Kegelschnitten

Kegelschnitte können durch quadratische rationale Polynomfunktionen dargestellt werden. Fürdie Darstellung in rationalen Bézierfunktionen bedeutet das, dass alle Kegelschnitte der allge-meinen Form

C(t) =w0P0B0,2(t) + w1P1B1,2(t) + w2P2B2,2(t)

w0B0,2(t) + w1B1,2(t) + w2B2,2(t)(4.5)

genügen.

Da das Gewicht eines Kontrollpunkts den Verlauf der Kurve beeinflusst (erhöht man ein wi, sonähert sich die Kurve Pi; strebt ein wi gar gegen +∞, so verläuft die Kurve durch Pi), kann mandie unterschiedlichen Kegelschnitte durch Variation der Gewichte erzeugen.

Setzt man voraus, dass der Kegelschnitt ein der Standardform (w0 = w2 = 1) gegeben ist, sohängt die Klassifizierung nur vom Gewicht des mittleren Kontrollpunkts P1 ab.

Besitzt der Nenner von Gleichung (4.5) keine Nullstelle, so ist die Kurve eine Ellipse, bei einerNullstelle handelt es sich um eine Parabel und bei zwei Nullstellen um eine Hyperbel.

Setzt man ihn also gleich Null und löst nach t auf, so führt das mit w0 = w2 = 1 auf die quadrati-sche Gleichung

t1,2 =(1− w1)±

√w21 − 1

2 + 2w1(4.6)

Univ. Prof. Dr.-Ing. habil. Thomas A. Wunderlich 67

Page 68: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Sensorik und Methodik 1

Diese Gleichung hat eine reelle Nullstelle für w1 = 1 und zwei reelle Nullstellen für w1 > 1 (sieheAbb.44).

Abb. 44: Darstellung von Kegelschnitten durch unter-schiedliches Gewicht wi

Möchte man einen Kreisbogen dar-stellen, so muss das Kontrollpo-lygon wegen der Symmetrieeigen-schaften des Kreises ein gleich-schenkliges Dreieck bilden. Kenntman den Winkel α0 am StützpunktP0, so berechnet sich das fehlendeGewicht zu w1 = cosα0.

Einen ganzen Kreis erhält mandann entweder durch Aneinander-fügen solcher Bögen oder durchkomplementäre Segmente.

Ein komplementäres Segment er-hält man durch Vorzeichenumkehrdes freien Gewichts w1 in der Stan-dardform.

Abb. 45: Darstellungen von Kreisen durch komplementäre Segmente (links) und drei Einzel-stücke (rechts)

Zwei mögliche Darstellungsformen für Kreise zeigt Abb.45. Im linken Fall wird der Kreis durcheine rationale Bézierkurve mit Mittelgewicht w1 = 0, 5145 und ihr komplementäres Segment(w1 = −0, 5145) beschrieben, im rechten Fall bestehend aus drei rationalen Bézierkurven mit

68 Lehrstuhl für Geodäsie

Page 69: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Wintersemester 2015/16

jeweils w1 = 0, 5. Die Kontrollpolygone sind dabei jeweils die Dreiecksformen aus je einer Spitzeund den anliegenden Berührpunkten.

4.3 Tensorprodukt-Bézierflächen

Abb. 46: Tensorprodukt-Fläche mit Parameterlinien

Tensorprodukt-Flächen lassen sichüber verschiedene Basisfunktionenerzeugen, indem ein viereckiges Para-metergebiet von (u, v)-Linien des R2 inden R3 abgebildet wird (vgl. Abb.46)13.

Verwendet man als Basisfunktionen dieBernsteinpolynome, so erhält man dieTensorprodukt-Bézier-Flächen vomGrad (m,n) in der Parameterdarstel-lung

S(u, v) =

m∑i=0

n∑j=0

Bi,m(u)Bj,n(v)Pi,j

mit 0 ≤ u, v ≤ 1 (4.7)

Die Bézierpunkte Pi,j bildennun das Béziernetz. Die PunkteP0,0, Pn,0, P0,m, Pn,m sind die Eckpunk-te der Bézierfläche, zwischen ihnen

verlaufen die Randkurven der Fläche, die selbst Bézierkurven vom Grad n bzw. m sind. DieTangentialebenen in den Eckpunkten sind definiert als

Eckpunkt TangentialebeneP0,0 P0,0 , P1,0 , P0,1

Pn,0 Pn,0 , Pn−1,0 , Pn,1P0,m P0,m , P1,m , P0,m−1Pn,m Pn,m , Pn−1,m , Pn,m−1

4.3.1 Der direkte Algorithmus von DE CASTELJAU

So wie Bézierkurven aus wiederholter linearer Interpolation graphisch gewonnen werden kön-nen, vermag man auch Bézierflächen durch wiederholte Anwendung von bilinearer Interpolationzu bilden (siehe Abb.47 links).

Für Flächen, deren Grad in u- und v-Richtung jedoch unterschiedlich groß ist (Abb.47 rechts),führt dieses Verfahren nach dem k-ten Schritt (wobei k gleich dem kleineren Grad von n und mist) auf eine lineare Interpolation.

13Es handelt sich dabei um nichts anderes als die aus der Vorlesung „Differentialgeometrie“ bekannten Flächenmit Parameterlinien.

Univ. Prof. Dr.-Ing. habil. Thomas A. Wunderlich 69

Page 70: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Sensorik und Methodik 1

Abb. 47: Der direkte Algorithmus von DE CASTELJAU

4.3.2 Eigenschaften von Tensorprodukt-Bézier-Flächen

1. Konvexe-Hülle-EigenschaftDas Flächenstück liegt in der konvexen Hülle des definierten Kontrollnetzes.

2. Verhalten in den EckpunktenDas Flächenstück verläuft durch die Eckpunkte des Kontrollnetzes. Die Tangentialebenenin den Eckpunkten sind durch die beiden Tangenten in u- und in v-Richtung an die Rand-kurven definiert.

3. PlanaritätEin Bézierflächenstück ist genau dann eben, wenn das Kontrollnetz ein ebenes Raster ist.

4. Verhalten in den RandkurvenDie Randpunkte des Kontrollnetzes sind die Kontrollpunkte der Randkurven des Flächen-segments.

5. Affine InvarianzJede Tensorprodukt-Bézier-Fläche kann nach dem Algorithmus von DE CASTELJAU durchwiederholte bilineare Interpolation erzeugt werden. Diese Operationen und damit auch ihreVerknüpfungen sind affin invariant.

6. Variationsmindernde EigenschaftDie variationsmindernde Eigenschaft gilt nicht für Bézierflächen.

4.4 Rationale Bézierflächen

Genauso wie Bézierkurven können auch Flächen in ihre rationale Form verallgemeinert werden:

70 Lehrstuhl für Geodäsie

Page 71: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Wintersemester 2015/16

S(u, v) =

m∑i=0

n∑j=0

wi,jPi,jBi,m(u)Bj,n(v)

m∑i=0

n∑j=0

wi,jBi,m(u)Bj,n(v)

mit 0 ≤ u, v ≤ 1 (4.8)

S(u, v) ist eine rationale Bézierfläche mit den Kontrollpunkten Pi,j , den dazugehörenden Ge-wichten wi,j und den Bernsteinpolynomen Bi,m und Bj,n.

Rationale Bézierflächen erlauben im Gegensatz zu Tensorprodukt-Bézier-Flächen eine Modifi-zierung der Flächengestalt durch die Änderung der Gewichte, und ermöglichen so eine exakteDarstellung von Quadriken und rationaler Rotationsflächen, z.B. einer Kugel.

Abb. 48: Darstellungen eines Kugelsegments mit dessen Béziernetz

Ein Kugelsegment entsteht durch die Rotation eines Kreisbogens, das erzeugende Béziernetzhat deshalb die Form einer regelmäßigen quadratischen Pyramide (Abb.48 links). Da die Be-grenzungskurve in der Grundfläche der Pyramide ein Kreis (bestehend aus vier Kreisbögen)sein muss, sind damit die Gewichte aller Netzpunkte der Grundfläche bereits festgelegt (sieheAbschnitt 4.2):

Punkte Gewicht wi,jP0,0 , P0,2 , P2,0 , P2,2 1P0,1 , P1,0 , P1,2 , P2,1

√2/2

Das einzig verbleibende freie Gewicht w1,1 und die Höhe der Pyramide legen also die Form derFläche fest. Sind der Radius r und die gewünschte Höhe des Kugelsegments a gegeben, sokönnen w1,1 und h des Punktes P1,1 über der Grundfläche berechnet werden nach

w1,1 = 1− c1,1 mit c1,1 =(2 +

√2)a2

r2 + a2

h =

√c1,1r2

(2− c1,1(2−

√2))

(2−√

2)(1− c1,1)2

(4.9)

Univ. Prof. Dr.-Ing. habil. Thomas A. Wunderlich 71

Page 72: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Sensorik und Methodik 1

Durch das Zusammenfügen zweier Halbkugeln kann eine ganze Kugel erstellt werden.

Abb. 49: Einfluss des freien Gewichtes w1,1 auf das Aussehen der Bézierfläche

Den Einfluss des freien Gewichts auf das Aussehen der Bézierfläche verdeutlichen die vierSkizzen in Abbildung 49.

Die Kontrollpunkte der Grundfläche bilden dabei ein Quadrat mit Seitenlänge 4. Eine Halbkugelergibt sich dann wie im Fall (a) für h = 4, 828 bei einem Gewicht w1,1 = −

√2/2. Ein Rotations-

paraboloid entsteht für w1,1 = 1 (b).

Lässt man w1,1 sehr groß werden, nähert sich die Fläche immer mehr dem Kontrollpunkt P1,1,und damit einem Drehkegel, an (c).

72 Lehrstuhl für Geodäsie

Page 73: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Wintersemester 2015/16

Abb. 50: Rotationstorus

Ist schließlich das Gewicht w1,1 = 0,so übt P1,1 keinen Einfluss auf die Flä-che aus und diese wird zu einer ebenenKreisscheibe (d).

Rationale Bézierflächen erlauben auchdie Darstellung beliebiger Rotationsflä-chen, solange diese eine rationale Er-zeugende haben.

Dadurch ist dann z.B. auch die stück-weise Beschreibung von Körpern wie To-ri (Abb.50) möglich. Darauf soll aber andieser Stelle nicht näher eingegangenwerden.

4.5 Bézier-Spline-Kurven

Die Beschreibung von Kurven und Flächen durch polynomiale oder rationale Segmente hat zweideutliche Nachteile:

• hoher Polynomgrad Bei komplizierter aufgebauten Formen benötigt man für n Stützpunk-te eine Bézierkurve vom Grad (n − 1). Das erhöht den Rechenaufwand und führt wegender Parametrisierung nach der normierten Bogenlänge 0 ≤ t ≤ 1 für tn−1 bei großen n zunumerischen Instabilitäten.

• keine lokale Kontrollierbarkeit Eine Veränderung nur eines Punktes oder seines Ge-wichts führt zu einer Formänderung der gesamten Kurve, da durch den Polynomansatzalle Punkte zur Berechnung der freien Parameter herangezogen werden. Das erschwertdie Feinabstimmung bei der Entwicklung eines Kurvenentwurfs.

Die Lösung dieser Probleme bietet die Anwendung von Splines. Dabei werden die komplexenTeile aus einfacheren Einzelteilen zusammengesetzt, wobei an den Nahtstellen natürlich gewis-se Übergangs- und Stetigkeitsbedingungen erfüllt werden müssen.

Bézier-Splines bieten folgende Vorteile:

• Sie ermöglichen eine einheitliche und präzise Darstellung von mathematischen Standard-formen wie Strecken, Kreise, Ebenen, Kegelschnitte und sind darüberhinaus geeignet zurBeschreibung von Freiformflächen und -kurven.

• Durch Einführen einer Gewichtung erzeugt man zusätzliche Freiheitsgrade, um eine bei-nahe beliebige Anzahl von Formen zu erzeugen.

• Sie sind projektiv invariant, d.h. transformiert man die Kurve in ein anderes System,entsteht dieselbe Kurve, als würde man nur die Kontrollpunkte transformieren und ausdiesen die Kurve neu berechnen.

Univ. Prof. Dr.-Ing. habil. Thomas A. Wunderlich 73

Page 74: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Sensorik und Methodik 1

Zur Erzeugung von Bézier-Splines sind wieder Basisfunktionen notwendig. Für deren Definitiongibt es mehrere Möglichkeiten, eine davon soll in der Folge vorgestellt werden.

SeiT = {t0, t1, . . . , ti, ti+1, . . . , tm} mit ti ≤ ti+1

eine monoton steigende Reihe reeler Zahlen, so bildet T einen Knotenvektor der B-Spline-Basisfunktionen.

Die i-te B-Spline-Basisfunktion vom Grad p, bezeichnet durch Ni,p(t), sind dann folgender-maßen definiert:

Ni,0(t) =

{1 wenn ti ≤ t < ti+1 oder t = ti = 1 (Kurvenende)0 sonst

Ni,p(t) =t− ti

ti+p − tiNi,p−1(t) +

ti+p+1 − tti+p+1 − ti+1

Ni+1,p−1(t)

(4.10)

Damit wird Ni,p(t) zur i-ten stückweisen Polynomfunktion vom Grad p, die sich in ihrer Berech-nung auf die Knoten [ti, ti+p+1] stützt. Die einzelnen Kurvenstücke haben an den Knoten ihreNahtstellen, und müssen natürlich auch im Anfangs- und Endpunkt ausreichend oft differenzier-bar sein. Aus diesem Grund müssen bei vorgegebenem Grad p einer Kurve der erste und letzteKnoten des Knotenvektors p+ 1 mal wiederholt werden. Der Knotenvektor kann aus beliebigenreellen Zahlen bestehen, in Anlehnung an die Theorie der Bézierkurven ist es jedoch üblich,auch hier mit t0 = 0 und tm = 1 zu arbeiten (Parameter t läuft von 0 bis 1).

Daher haben alle Knotenvektoren die allgemeine Form

T = {0, . . . , 0︸ ︷︷ ︸p+1

, tp+1, . . . , tm−p−1, 1, . . . , 1︸ ︷︷ ︸p+1

}

Die Wahl des Knotenvektors (bzw. dessen freier Knoten) beeinflusst das Aussehen der B-Spline-Basisfunktionen und damit die Gestalt der Kurve bzw. Fläche. Die von 0 bzw. 1 verschiedenenKnoten nennt man auch innere Knoten.

Sind alle inneren Knoten gleichabständig, z.B. bei T = {0, 0, 0, 12 , 1, 1, 1} für eine quadratischeKurve (p = 2) bei n = 5 Stützpunkten, so nennt man den Knotenvektor uniform, ansonstennicht uniform. Ein Knotenvektor ohne innere Knoten, z.B. T = {0, 0, 0, 0, 1, 1, 1, 1} ergibt eineBézierkurve und die B-Spline-Basisfunktionen Ni,p(t) degenerieren zu den BernsteinpolynomenBi,p(t).

Die Anzahl der Knoten m hängt von der Anzahl der Kontrollpunkte n und vom gewünschtenGrad p der Kurve bzw. Fläche ab und bestimmt sich nach

m = n+ p+ 1

Die B-Spline-Basisfunktionen besitzen folgende Eigenschaften:

• Ni,p(t) ≥ 0 ∀ i, p, t

•∑n

i=0Ni,p(t) = 1 ∀ t ∈ [t0, tm[

• Lokale Unterstützung: Ni,p(t) = 0 wenn t außerhalb des Intervalls [ti, ti+p+1 liegt. Eshaben also nur diese Knoten Einfluss auf das entsprechende i-te Kurvenstück.

74 Lehrstuhl für Geodäsie

Page 75: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Wintersemester 2015/16

• Differenzierbarkeit: Alle Ableitungen von Ni,p(t) existieren innerhalb der dafür zuständi-gen Knotenspanne [ti, ti+1[. An einem k-fachen Knoten ist Ni,p(t) genau p − k mal stetigdifferenzierbar.

• Maximum: Außer für den Fall p = 0 hat Ni,p(t) immer genau ein Maximum.

Ausgehend von den Basisfunktionen ist eine B-Spline-Kurve vom Grad p schließlich definiertdurch

C(t) =

n∑i=0

Ni,p(t)Pi (4.11)

mit den Kontrollpunkten Pi, den B-SplinefunktionenNi,p und dem Knotenvektor T = {t0, . . . , tm}.

Durch die Mehrfachheit der Anfangs- und Endknoten ergeben sich folgende Endbedingungender Kurve:

C(0) = P0

C(1) = Pn

C ′(0) =p(P1 − P0)

tp+1

C ′(1) =p(Pn − Pn−1)

1− tn−p−1

Abb. 51: Quadratische B-Spline-Kurve

Abbildung 51 zeigt eine uni-forme quadratische Kurvemit dem Knotenvektor T ={0, 0, 0, 15 ,

25 ,

35 ,

45 , 1, 1, 1}.

Die Anzahl der Knoten ergibtsich aus Stützpunkte+Grad+1 =7+2+1=10.

Die Punkte auf der Kurve zeigendie Lage der Knoten, und damitdie einzelnen Kurvenabschnitte.

Abb. 52: Kubische B-Spline-Kurve

Abbildung 52 zeigt eine kubi-sche Kurve mit dem KnotenvektorT = {0, 0, 0, 0, 14 ,

12 ,

34 ,

34 , 1, 1, 1, 1},

also eine nicht uniforme Kurve, dader Knoten 3

4 doppelt vorkommt.

Da die Übergänge in den Knotenp−k mal stetig sind, ist die Kurve inden Knoten 1

4 und 12 C

2-mal stetigund im Knoten 3

4 nur C1-mal stetig.

Univ. Prof. Dr.-Ing. habil. Thomas A. Wunderlich 75

Page 76: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Sensorik und Methodik 1

4.6 Rationale B-Spline-Kurven

Eine rationale B-Spline-Kurve entsteht wieder durch die Erweiterung der B-Spline-Kurven umrationale Koeffizienten, wobei gleichzeitig wieder eine Gewichtung eingeführt wird. Es ist also

C(t) =

n∑i=0Ni,p(t)wiPi

n∑i=0Ni,p(t)wi

=n∑i=0

Ri,p(t)Pi mit Ri,p(t) =Ni,p(t)win∑i=0Ni,p(t)wi

(4.12)

mit den Kontrollpunkten Pi, den Gewichten wi und dem Knotenvektor T .

Die Ri,p werden die stückweisen rationalen Basisfunktionen genannt. Die Endbedingungeneiner rationalen B-Splinekurve sind dann

C(0) = P0

C(1) = Pn

C ′(0) =pw1(P1 − P0)

w0tp+1

C ′(1) =pwn−1(Pn − Pn−1)wn(1− tm−p−1)

Abb. 53: Rationale kubische B-Spline-Kurve mit unter-schiedlichen Gewichten in P3

Abbildung 53 zeigt eine uniforme kubi-sche B-Spline-Kurve mit dem Knoten-vektor T = {0, 0, 0, 0, 14 ,

12 ,

34 , 1, 1, 1, 1}.

Durch die Wahl des Gewichts w3 amKontrollpunkt P3 lassen sich auch hierunterschiedlichste Kurvenverläufe er-zeugen.

Mit NURBS-Kurven14 lassen sich nunauch Kegelschnitte, z.B. Kreise, in ge-schlossen er Form (also ohne das An-einander stückeln von rationalen Bé-zierkurven) darstellen. Abbildung 54

links zeigt eine geschlossene Darstellung durch eine quadratische B-Spline-Kurve mit 9 Kon-trollpunkten und dem Knotenvektor T = {0, 0, 0, 14 ,

14 ,

12 ,

12 ,

34 ,

34 , 1, 1, 1}.

Die Gewichte für die Kegelschnitte müssen nach denselben Voraussetzungen wie bei den Bé-zierkurven gewählt werden, es ist also

w0 = w2 = w4 = w6 = w8 = 1

w1 = w3 = w5 = w7 =√

2/2

Abbildung 54 rechts zeigt einen Kreis mit nur 7 Kontrollpunkten und dem Knotenvektor T ={0, 0, 0, 13 ,

13 ,

23 ,

23 , 1, 1, 1}.

14NURBS steht für Non-Uniform Rational Bézier Spline

76 Lehrstuhl für Geodäsie

Page 77: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Wintersemester 2015/16

Abb. 54: Darstellung von Kreisen durch NURBS bei unterschiedlichen Kontrollpolygonen

Entsprechend dem Kontrollpolygon sind hier die Gewichte mit

w0 = w2 = w4 = w6 = 1

w1 = w3 = w5 = = 0, 5

zu wählen.

4.7 NURBS-Flächen

Auch bei den NURBS-Flächen werden wieder zwei Parameter u, v mit 0 ≤ u, v ≤ 1 benötigt,die Fläche kann auch hier unterschiedliche Grade p, q und damit natürlich auch unterschiedlicheKnotenvektoren U, V haben.

Die Pi,j sind die Kontrollpunkte mit den zugehörigen Gewichten wi,j . Eine rationale B-Spline-Fläche ist dann gegeben durch

S(u, v) =

m∑j=0

n∑i=0Ni,p(u)Nj,q(v)wi,jPi,j

m∑j=0

n∑i=0Ni,p(u)Nj,q(v)wi,j

=n∑i=0

m∑j=0

Ri,p,j,q(u, v)Pi,j mit Ri,p,j,q =Ni,p(u)Nj,q(v)wi,j

m∑s=0

n∑r=0

Nr,p(u)Ns,q(v)wr,s

(4.13)

Die Ri,p,j,q werden die bivarianten rationalen Basisfunktionen genannt. Die Formel 4.13 stelltden allgemeinen Fall der rationalen (nicht uniformen) B-Splineflächen dar. Aus ihr können allebisher erwähnten Flächen und Kurven abgeleitet werden:

• Sind beide Knotenvektoren uniform, erhält man eine rationale B-Splinefläche.

• Sind alle Gewichte gleich 1, erhält man eine B-Splinefläche.

Univ. Prof. Dr.-Ing. habil. Thomas A. Wunderlich 77

Page 78: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Sensorik und Methodik 1

• Besitzen die Knotenvektoren keine inneren Knoten, so werden die Basisfunktionen zu denBernsteinpolynomen und man erhält eine rationale Bézierfläche.

• Fällt einer der Parameter u, v weg, so reduziert sich die Fläche auf eine Kurve. Sämtli-che oberen Punkte gelten dann analog für rationale B-Splinekurven, B-Splinekurven,rationale Bézierkurven und schließlich einfache Bézierkurven.

4.7.1 Eigenschaften von NURBS-Flächen

1. Die Fläche verläuft durch die Eckpunkte des Kontrollnetzes.Die partiellen Ableitungen in den Eckpunkten in u- und v-Richtung stimmen mit den Ablei-tungen der Randkurven in diesen Punkten überein.

2. Projektive InvarianzEine transformierte Fläche ist identisch der Fläche, die sich aus den transformierten Kon-trollpunkten entwickeln lässt.

3. Strenge konvexe HülleIst u ∈ [ur, ur+1 und v ∈ [vs, vs+1[, dann ist S(u, v) in der konvexen Hülle der KontrollpunktePi,j mit i = r − p . . . r bzw. j = s− q . . . s.

4. Lokaler EinflussWird der Punkt Pi,j verschoben, dann ändert sich die Fläche nur im rechteckigen Bereich[ui, ui+p+1[×[vj , vj+p+1[.

5. S(u, v) ist in u- bzw. v-Richtung an einem k-fachen u- bzw. v-Knoten p− k bzw. q − k malstetig differenzierbar.

Abb. 55: B-Spline-Fläche mit unterschiedlichenGraden

Der große Vorteil von NURBS-Kurven undFlächen ist es, spezielle Flächen wie Dreh-zylinder, Kugeln, Rotations-, Regel- undFreiformflächen sowie ebene und Raum-kurven mit nur einem einzigen Geometrie-typ darstellen zu können.

Abbildung 55 zeigt eine B-Spline-Fläche,deren Grenzflächen quadratisch bzw.kubisch sind. Die Knotenvektoren sinddementsprechend U = {0, 0, 0, 12 ,

12 , 1, 1, 1}

bzw. V = {0, 0, 0, 0, 12 , 1, 1, 1, 1}.

Hier gelingt es, orthogonal zueinander ge-krümmte Flächenstücke durch einen glattenund stetigen Übergang zu verknüpfen.

78 Lehrstuhl für Geodäsie

Page 79: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Wintersemester 2015/16

4.8 Gordon-Coons-Flächen

Bei den bisher betrachteten Freiformflächen sind im Allgemeinen nur die vier Eckpunkte derFlächen fest, die Randkurven selbst (und damit natürlich auch die Flächen) werden approximiert.Gerade bei technischen Anwendungen sind jedoch oft die Randkurven vorgegeben (z.B. wenneine Motorhaube mit der Karosserie auch abschließen soll), und dazwischen soll ein geeignetesFlächenstück „eingespannt“ werden. Von den Randkurven soll dazu vorausgesetzt werden, dasssie geradlinig begrenzt sind.

Sollen zwei Raumkurven c1 und c2, die über demselben Parameterintervall u ∈ [0, 1] definiertsind, durch eine Fläche miteinander verbunden werden, existieren erst einmal unendlich vieleLösungen (unterschiedlichen Aussehens, Eigenschaften, Materialverbrauchs etc.).

Die einfachste Lösung ist die Regelfläche, d.h. durch lineare Interpolation entsprechenderPunkte der Randkurven erhält man isoparametrische Linien u = const. und damit eine Scharvon Geraden, die die Fläche erzeugt.

Mit den beiden Randkurven x(u, 0) = c1(u) und x(u, 1) = c2(u) gilt dann an einem beliebigenPunkt x(u, v) der Fläche

x(u, v) = (1− v)c1(u) + vc2(u) = (1− v)x(u, 0) + vx(u, 1)

Je näher also ein Punkt der Kurve c1 liegt, desto ähnlicher ist er ihr (1− v nahe an 1, v nahe an0) bzw. umgekehrt mit c2.

Eine Regelfläche interpoliert zwei Randkurven, eine rechteckige Fläche ist aber durch vier Rand-kurven c1(u), c2(u), d1(v), d2(v) über den Parameterbereichen (u, v) ∈ [0, 1] gegeben. Die Flä-che, die diese vier Kurven als Randkurven besitzt, kann mit Hilfe zweier Regelflächen gefundenwerden, die von je zwei gegenüberliegenden Randkurven gebildet werden:

rc(u, v) = (1− v)x(u, 0) + vx(u, 1)

rd(u, v) = (1− u)x(0, v) + ux(1, v)(4.14)

Die Flächen rc und rd verhalten sich an „ihren“ Grenzkurven richtig, können aber nicht die je-weils anderen Kurven reproduzieren. Aus diesem Grund versucht man, nur den Teil beizubehal-ten, den jede Regelfläche interpolieren kann, und jeden Anteil, den sie nicht interpolieren kann,zu eliminieren. Diese „Interpolationsdefekte“ können ebenfalls durch eine Fläche, die bilinearInterpolierende rcd, beschrieben werden:

rcd(u, v) =(1− u u

)(x(0, 0) x(0, 1)x(1, 0) x(1, 1)

)(1− vv

)(4.15)

Univ. Prof. Dr.-Ing. habil. Thomas A. Wunderlich 79

Page 80: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Sensorik und Methodik 1

Abb. 56: Bilinear gebundenes Coonspflaster

Verbessert man nun die beidenRegelflächen durch die bilinear In-terpolierende, so erhält man alsErgebnis die Fläche

x(u, v) = rc + rd − rcd (4.16)

Diese Fläche heißt bilinear ge-bundenes Coonspflaster. Sie istzwar im Allgemeinen keine bili-neare Fläche, die Bezeichnungstammt aber von der Konstrukti-onsmethode des Bindens in zweiRichtungen her.

Die graphische Darstellung zeigtAbb.56.

Prinzipiell können beliebige Paa-re von Bindefunktionen verwen-det werden, die hier angewand-

ten(

1− uu

)und

(1− vv

)sind nur

Spezialfälle.

Sie müssen allerdings folgende beiden Bedingungen erfüllen:

1. Jedes Paar von Bindefunktionen muss sich zu 1 aufsummieren.

2. f1(0) = g1(0) = 1 und f1(1) = g1(1) = 0

Damit ergibt sich als Formel für das verallgemeinerte Coonspflaster

x(u, v) =(f1(u) f2(u)

)(x(0, v)x(1, v)

)+(x(u, 0) x(u, 1)

)(g1(v)g2(v)

)−(f1(u) f2(u)

)(x(0, 0) x(0, 1)x(1, 0) x(1, 1)

)(g1(v)g2(v)

) (4.17)

4.9 Stetige Übergänge zwischen Freiformflächen - Blending

Ein komplexes Objekt besteht in der Regel aus mehreren Einzelflächen, die unterschiedlichgeformt sind und aneinander grenzen. Soll die Oberfläche an diesen Grenzlinien glatt sein, somüssen die Übergänge tangentiell oder krümmungsstetig erfolgen.

Dazu muss man zuerst verschiedene Formen der mathematischen Stetigkeit klären. Die wich-tigsten sind

• C0-StetigkeitDie Flächen haben eine gemeinsame Schnittkurve. Es gibt keine Sprünge15, aber die Tan-genten beider Kurven/Flächen in der Schnittkurve sind unterschiedlich.

15Man kann die Kurve bzw. Fläche zeichnen, ohne mit dem Stift abzusetzen. Das C steht für continuous.

80 Lehrstuhl für Geodäsie

Page 81: Sensorik und Methodik 1 - TUM · 2 0(x02;y02;z0 2). Das Ziel einer zweiten Drehung um die mitgedrehte y0 1-Achse ist es, die z-Achse des Quellsys-tems parallel zur z’-Achse des

Wintersemester 2015/16

• C1-StetigkeitDie 1. Ableitungen stimmen längs und quer der gemeinsamen Randkurve überein.

• Ck-StetigkeitAlle Ableitungen bis zur k-ten stimmen längs und quer der gemeinsamen Randkurve über-ein.

• G1-Stetigkeit, visuelle C1-StetigkeitDie benachbarten Flächen haben längs und quer der gemeinsamen Randkurve gemein-same Tangentialebenen16.

Abb. 57: C1-stetiges Blending zweier Bézierflächen

Sollen zwei Flächen (z.B. die Bézierflächen in Abb.57) zusammengeschlossen werden, sind dieKontrollpunkte der jeweiligen Ränder und die benachbarten Kontrollpunktreihen so anzupassen,dass die jeweilige Übergangsbedingung (hier eine C1-Stetigkeit) erfüllt wird. Auf diese Weisekönnen auch Flächen verbunden werden, die keine gemeinsame Randkurve aufweisen.

16Das G steht für geometric. Eine G1-Stetigkeit ist weniger streng als eine C1-Stetigkeit.

Univ. Prof. Dr.-Ing. habil. Thomas A. Wunderlich 81