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1 Serendipity | 05 2012 05 - 2012

Serendipity Magazin Ausgabe 5 2012

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Serendipity - music is our Substitute for life. Magazin über Musik, Lifestyle, Kunst und Kultur.

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Serendipity 05 - 2012

Liebe Leser,

wir melden uns zurück aus der Sommerpause, die der Sommer eigentlich bereits seit dem Frühjahr macht.

In dieser Ausgabe findest Du einige Plattenkritiken (viele davon negativ), einen Bericht über die Fahrt von The Blood Arm in der Berliner U8, einen Kampfbericht der Situation Gregor McEwan vs. Fehmarn und einige Lesetipps.

Den Sombrero tackerst Du am besten am Kopf fest.

Viel Spaß beim Lesen,

Carolin und Silvia

Editorial

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Inhalt

Serendipity 05 - 2012

Editorial 2

AlbenDamon Albarn – „Dr. Dee“ 6Keane – „Strangeland“ 12William Becket - „Walk the Talk“ 13Superpunk - „A Young Person’s Guide to Superpunk“ 14Der Don und Daniel - „Krach“ 17Wolke – „Für immer“ 19Staring Girl – Sieben Stunden und 40 Minuten 21Gregor McEwan - „Houses and Homes“ 23

BücherJana Förster - „Nackte Frau an Bord“ 7Paul Hille - „An Herzversagen stirbt man nicht“ 9

Live„On to the next station!“ - The Blood Arm und die Berliner U8 4 Ron Pope und kleine Enten live@Beatlemania Hamburg 15.05.2012 15Fehmarn vs. Gregor McEwan – they all go while we still drink. 25

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Sascha Krokowski über The blood arm, live@Berlin, 19. Mai 2012

„On to the next station!“

Die Idee war simpel und den-noch brillant: Die Kalifornier von The Blood Arm machten auf

sich und ihr voraussichtlich im Spät-sommer erscheinendes drittes Stu-dioalbum aufmerksam, indem sie in Berlin U-Bahn fuhren – und an jedem Zwischenstopp der Linie U8 von Wit-tenau im Norden der Bundeshaupt-stadt bis ins südliche Neukölln ein Lied mitten auf dem Bahnsteg trällerten. So lautete zumindest der Plan von Sän-ger und Gitarrist Nathaniel Fregoso so-wie der hübschen Keyboarderin Dyan Valdes, die zwei Viertel der Band, die

dieses besondere Semi-Akustik-Kon-zert am 19. Mai spielen wollten. Über 50 Fans warteten bereits um 14.00 Uhr an der Startstation Wittenau (wo vermut-lich keiner von ihnen jemals zuvor war), und im Laufe des Nachmittags wurden es langsam immer mehr. Die ganze Ak-tion begann leider etwas stockend, weil die U8 bis zur Osloer Straße (8. Stati-on) nur im Zehn-Minuten-Takt fährt und es daher zunächst nicht so recht vor-angehen wollte. Nach jedem Lied kom-mandierte Fregoso zwar freudig „on to the next station“ und erinnerte da-bei ein wenig an Adam West, den Bat-man der 60er Jahre, wenn er bei seiner

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Verbrecherjagd „to the batmobile“ skan-dierte. Leider verriet der Blick auf die Anzeigetafeln, dass die nächste U-Bahn erst in fünf Minuten eintrudeln würde. Doch The Blood Arm improvisierten schnell, übersprangen drei Stationen und spielten dafür am Franz-Naumann-Platz drei Lieder, ehe sie mitsamt ih-ren Fans in die just einfahrende U-Bahn sprangen. Das Konzert nahm lang-sam – im wahrsten Sinne des Wortes – Fahrt auf. Besonders gefeiert wur-den die beiden Clubhits der Band: Der 2006er Ohrwurm „Suspicious Charac-ter“ wurde natürlich am (touristischen) Herzstück der Strecke, dem Alexand-erplatz gespielt, die letztjährige Sin-gle „Relentless Love“ an der Osloer Straße, einem weiteren Knotenpunkt. Über Twitter informierte die Band die-jenigen Fans, die erst später eintrudeln

konnten, wo sie sich gerade befand. Offenbar lasen aber auch die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) mit – und diese waren von der Konzertaktion nicht ganz so begeistert wie die Fans. Am Moritz-platz wurde den Kaliforniern letztlich endgültig untersagt, weiter an den U-Bahnstationen zu musizieren. Nach-dem deutliche Worte ausgetauscht und Strafen angedroht wurden, entschieden sich Nathaniel Fregoso und Dyan Valdes schließlich, die letzten Zwischenhalte zu überspringen und die restlichen Stü-cke alle außerhalb der Endstation in der Hermannstraße zu spielen. Obwohl es nicht dem eingangs geplanten Konzept entsprach, kam diese kurzfristige Ände-rung beim mitreisenden Publikum gut an. Denn bei nahezu 25 Grad im Schat-ten und Sonnenschein ist es doch ganz schön, nicht den gesamten Nachmittag unter der Erde zu verbringen...

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von Silvia Maraun

Damon Albarn – „Dr. Dee“

Damon Albarn, musikalischer Kopf von Blur, Gorillaz und The Good, The Bad and The Queen,

hat mit „Dr. Dee“ gerade seine zwei-te Oper veröffentlicht. Während sei-ne erste Oper, „Monkey: Journey to the West“, auf der klassischen chinesi-schen Erzählung „Reise nach Westen“ basierte und eine Mischung aus mo-dernem Zirkus und Peking-Oper sein sollte, erzählt „Dr. Dee“ das Leben von John Dee, der Mathematiker, Astronom, Astrologe, Geograph, Mystiker und Berater der Königin Elisabeth I. war.

Während ich ehrlich gesagt nicht weit genug gehört habe, um mir inhalt-lich einen Eindruck zu verschaffen, lässt sich für die musikalische Seite von „Dr. Dee“ hauptsächlich eins sa-gen: Sie besteht aus Chorälen und Georgel und ist extrem anstrengend. Wer also Damon Albarn für Goril-laz und Blur mag, wird nicht zwangs-läufig gut Freund mit „Dr. Dee“. Wir werden es jedenfalls nicht. http://dr-dee.info/

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Ein Buch über nackte Frauen an Bord und andere kuriose Kreuzfahrterlebnisse

von Simone Bauer

Ach, ihr Kreuzfahrtschiffdecks. Ihr provoziert seit 1891 Gedan-ken über das Leben. Wie wun-

derbar. Doch Schifffahrten sind nicht nur immer „My Heart Will Go On“, sie sind auch oft ekelig, sexy oder komisch. Aus diesem Grund hat Jana Förster die 33 besten Geschichten, die irgendwo auf dem Weg in den Orient, nach Grie-chenland oder nach Skandinavien pas-siert sind, in „Nackte Frau an Bord“ gesammelt und bei Schwarzkopf & Schwarzkopf am 1. Juli veröffentlicht.

Oder in Jana Försters eigenen Worten: „Seit ‚Ausgezogen‘ (Anm. d. Red.: ihrem ersten Buch) ist es auch kein Geheim-nis mehr, dass ich ständig das Aben-teuer und die Abwechslung suche. Und ich kann versprechen, dass sich auch in diesem Buch ‚ausgezogen‘ wird.“ Und wie. Sex in der Klokabine zum Beispiel, während der eigene Vater sich gerade erleichtert. Ein Dreier wird hier alles andere als sexy, sondern eher unkoor-diniert dargestellt – was aber auch der Homosexualität der beiden teilnehmen-den Männer liegen könnte. Zwei weitere Schwule finden unabhängig von einan-der den Heimathafen ihrer großen Lie-be, was zu Tränen rühren kann. Leider wird auch viel erbrochen. Wegen des Seegangs oder des Alkohols. Denn manchmal ist eine Kreuzfahrt auch eben das, was Tina Fey („30 Rock“) darüber sagt: „Die Luxusliner wurden konstru-iert, um etwas im Grunde Unerträgli-ches - eine zwei Wochen dauernde At-lantiküberquerung - erträglich scheinen zu lassen.“

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quergehört von Silvia Maraun

Get Cape. Wear Cape. Fly – „Maps“

Mir war nicht so richtig klar, dass Sam Duckworth seit seinem Debüt-Album „Chronicles of

a Bohemian Teenager“ noch 3 weite-re Alben (2 davon als Get Cape. Wear Cape. Fly und eins als Sam Duckworth) veröffentlicht hat. „Chronicles of a Bo-hemian Teenager“ war für mich damals recht innovativ und toll, so vielseitig und auf eine interessante Art seichte Electronica mit Singer-Songwriter-Pop vereinbarend. Im Vergleich mit „Maps“

nahezu bahnbrechend, bleibt „Maps“ doch Hit-an-Hit-reihend auf einem eher rockigen, häufig eintönig anmutendem Nananana-Refrain-Niveau. Einzig he-rausragend ist der Song „The Joy of Stress“, der es wohl in Zukunft auf ei-nige Mixtapes schaffen wird, während „Maps“ leider nicht in die Lieblings-platten-Hall-of-Fame eingehen wird. http://getcapewearcapefly.com/

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von Simone Bauer

Crossing Paul

Der Soundtrack der Patholo-gie besteht aus Placebo, Ri-chard Strauß, Rammstein und

Marilyn Manson. Placebo, wegen des treibenden Beats. Rammstein und Marilyn Manson, weil diese Musiker ge-waltig sind. So lässt es uns zumindest Paul Hille wissen, in seiner Biografie „An Herzversagen stirbt man nicht“. Einige Kapitel sind sehr technisch, zu-weilen ekelig, wenn es um das geht, was Paul Hille beruflich macht: Sektionsassis-tent sein, tote Menschen aufschneiden.

Doch dies ist kein Buch ausschließlich über einen ungewöhnlichen Beruf, den Hille schon seit acht Jahren ausübt. Diese Geschichten sind sowas wie sei-ne Memoiren, darüber, wie es war, im Brandenburgischen aufzuwachsen, zwei Jahre lang in ein Wochenheim fah-ren zu müssen, weil nur die Großmutter für ihn sorgen konnte. Später, als er mit Großmutter und Mutter wieder zusam-menwohnte, musste er für ein dreivier-teltes Jahr auf Kur, wegen seiner Lunge – ein Bub, der sich stets einsam fühlt.

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Dann die Schulzeit, wie er seine Jung-fräulichkeit verloren hat, und der Satz: „Schule ist wie Heimat – ein Gefühl.“ Viele Sätze sind poetisch, alle Wörter wunderschön gewählt. Man verliert sich in der Melancholie von Hilles philoso-phischen Ansätzen, bevor sich dann wieder für kurze Zeit der Schauer aus „Navy CIS“ und „CIS: Sonst wo“, wie Hille es selbst nennt, ausbreitet. Denn humorig kann es auch werden. Zum Beispiel, dass es einen grünen Notfallknopf gibt, falls sich ein Leben-der in den Katakomben der Leichen verirrt. Künstlerisch wird es auch nicht zu knapp. Paul Hille ist nämlich auch

vor allem Maler, Grafiker und Tätowier-ter, ganz zu schweigen davon, dass er studierter Zirkusclown ist. Doch nur das Malen fließt wirklich stark ein, in Form seiner Illustrationen für das Buch. Eine Leidenschaft, die er schon als trauriges Kind gerne pflegte. Aufgearbeitet hat er sein Leben im Übrigen für sein eigenes Kind. Damit die 13jährige – und alle ande-ren – versteht, was er tut. Sektionsassis-tent sein, tote Menschen aufschneiden. An Herzversagen stirbt man nicht – Ge-schichten aus der Pathologie / Paul Hille / Erschienen am 15. Mai 2012 / Schwarz-kopf & Schwarzkopf Verlag

Copyright: http://fc-foto.de/27533628

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Ich habe Keane immer als etwas an-gesehen, was nicht nervt. Schön in Arztserien im Hintergrund und bei

SingStar immer noch eine der net-teren Bands im Repertoire. Ich habe mich sonst nicht weiter mit Keane be-schäftigt, aber ich hätte schon ge-sagt: „Ich finde die ganz in Ordnung.“ Nun sitze ich hier mit „Strangeland“ und denke mir dabei die ganze „What the fuck, was für ein Scheiß“, während ich im Geiste eine Horde spießiger Mittzwanzi-ger mit Stock im Arsch die Schlagerfaust gen Himmel recken sehe. Das ist Stadi-onrockklavierpop, das ist Musik, bei der sich die Zehennägel aufrollen. Ich bin

fest davon überzeugt, dass „Silenced by the Night“ den banalsten Songtext seit „Bakerman is baking bread“ hat und Songs wie „Sovereign Light Café“ oder „On the Road“, könnte man sie rie-chen, den Eigengeruch von einer toten Ratte im Swimmingpoolablauf hätten. Bräsige Popballaden sind lang für tot erklärt, dennoch nötigen Keane sie wie-der auf die Straße wie übelriechende, unheilbringende musikalische Zombies. Ich möchte das nicht unterstützen und rate daher dringend von „Strangeland“ ab. www.keanemusic.com

geschlagerfistbumped von Silvia Maraun

Keane – „Strangeland“

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von Simone Bauer

Eine neue EP, aber der alte William Becket

Irgendwie hat man das Gefühl, dass dieser William Beckett nicht altert. Als wäre er einfach in der Zeit ste-

hen geblieben, zufrieden damit, groß und dünn und braunhaarig zu sein. Der schlaksige Körper in T-Shirts und Skinny Jeans, lediglich das Snakes-&-Suit-Tat-too ist zu diesem Look hinzugekommen.

Doch selbst das ist schon einige Zeit her. Damals, als er noch der Lead-singer von The Academy Is … war. Die Band aus Illinois trennte sich im letzten Jahr. Sie befanden sich in den Südstaaten, um zu schreiben, nicht alle fünf von ihnen, weil das gar nicht ging.

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Aus verschiedensten Gründen waren sie kaum noch beieinander, doch sie wollten dieses Album aufnehmen, den Nachfolger ihres Durchbruchsalbums „Fast Times At Barrington High“. Der Rest ihres Backkatalogs ist legendär in Fankreisen, hauptsächlich in den USA, aber sie hätten das ganz große Ding werden können. Und zerbrachen daran. Die Tour wurde abgesagt, das Ende der Band verkündet, nachdem bereits ein-zelne Mitglieder ausgestiegen waren. Doch William Beckett gehört nicht aus ungefähr zum Dunstkreis von Pete Wentz und Gabe Saporta. Die beiden führten ebenfalls zwei Bands mit Kult-status an, die sich auf ihren Zenith auf-lösten. Es folgte die Dunkelheit, dann das Aufstehen aus der Asche wie ein Phönix. Bill wollte dieser Phönix sein. Und da war außerdem die Inspiration aus dem Süden. Also nahm er „Walk

The Talk“ auf (verfügbar auf iTunes seit 17.04.2012), weitere EPs werden im Sommer folgen. „Girl, You Shoul-da Been A Drummer“ beschreibt er als „super fun“ und genau das ist es: Die Gitarre klingt fröhlich, den Text spuckt William, als wäre er ein Cowboy. Dafür klingt „Oh, Love!“ von Muse inspiriert. „Compromising Me“ und „You Ne-ver Give Up“ haben das Feeling alter Remember-Maine-Tage, das Projekt vor The Academy Is … - noch heute spielt William diese Songs gerne. Und die seiner Band. Momentan tourt er in Amerika mit diesen Songs im Ge-päck. Aber vor allem auch mit den ers-ten Songs, die er seit fast zehn Jah-ren ohne seine Kollegen geschrieben hat. Und mit T-Shirt und Skinny Jeans. http://www.thewilliambeckettblog.com

Copyright: William Becket

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Bei „A Young Person’s Guide to Superpunk“ handelt es sich um ein Best-of, zusammengestellt

wurden die 18 besten Songs aus 5 Stu-dioalben und ein paar Singles. Die Aus-wahl wurde getroffen, indem Freunde der Band befragt wurden – eine, wie ich finde, gute Lösung. Tapete Records hat sich dann noch die Mühe gemacht und teils verschollen geglaubte Versionen der bekannten Songs auf Masterbändern aufgetrieben und auf diesem Best-of

veröffentlicht. So ist „A Young Person’s Guide to Superpunk“ ein schönes Ab-schiedsgeschenk an eine Band, die uns jahrelang begleitet hat, und gleicherma-ßen eine gute Sache für Menschen, die das erste Mal mit Superpunk in Berüh-rung kommen (wie auch immer das sein kann?) und für die, die zu faul sind, sich ein eigenes Best-of zusammenzustellen. http://www.tapeterecords.de/artists/superpunk/

quergehörtweilkennichallesschonfindsabertrotzdemgut von Silvia Maraun

„A Young Person’s Guide to Superpunk“ – Superpunk

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Damien Jurado - „Maraqopa“

besucht von Carolin Pröger

Ron Pope und kleine Enten live@Beatlemania Hamburg 15.05.2012

Nachdem Ron Pope mir im In-terview alle meine Illusionen über ihn und die Arbeit des

Songschreibens genommen hatte, war ich ein wenig ernüchtert und ge-spannt, ob ich seine Musik jetzt anders hören würde. Haben die Lieder im-mer noch die gleiche Wirkung? Oder hatte das den Zauber genommen? Nix da! Meine Gänsehaut fing bei Zach Berkman an und blieb bis nach dem Konzert von Ron Pope. Beide waren auf der Bühne genauso nett und lus-tig, wie schon im Interview. Man hat in jedem Moment gemerkt, dass sie lieben, was sie da tun und dass sie

auch die Nähe zu den Fans genießen. Zwischen den Songs haben sie im-mer wieder witzig und charmant von der Tour und ihren Erlebnissen er-zählt, und natürlich auch ein bisschen Werbung für den Merch gemacht. Zach Berkmans Tourshirts zeigen eine kleine Ente, denn mal ehrlich, wer will kein T-Shirt mit einer kleinen Ente drauf? Eben! Und das ist ja auch ein super The-ma, was man immer mal wieder zwischen den Songs einstreuen kann - kleine Enten. Ron Popes Stimme klingt live noch viel tiefer, viel durchdringender, als

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auf der Platte und wenn man den Mann mit seinem langen schwarzen Bart und den langen dunklen Haaren sieht, wie er so wunderschöne Zeilen wie „I do not love you for the way you kiss/ Though your lips, they can put me at ease/ And I do not love you for your sweet green eyes/ Though I love when they’re looking at me/ And I do not love you for the way your hands Can touch me and quiet my soul/ I love you for all of this and so much more“ singt, ist es vollkommen egal, dass er noch eine Stunde zuvor erzählt hat, dass Songschreiben eine kreative Arbeit wie jede andere auch ist. Dann glaubt man ihm, was er da singt. Dann freut man sich für seine Freundin oder beneidet sie vielleicht auch wenig und wünscht sich, man bekäme auch mal solche Zeilen. Als Zugabe hat Ron Pope noch Wün-sche aus dem Publikum erfüllt, sogar

ein paar mehr, als eigentlich geplant waren und alle Mädchen haben sich nochmal an ihre Freunde gekuschelt und wahrscheinlich hat sich noch die ein oder andere außer mir gewünscht, der Abend würde nie vorbei gehen. Ron Pope hat es also nicht nur ge-schafft, mir meine Ernüchterung zu neh-men, meine zerstörten Illusionen (Song-schreiber erleben und fühlen alles, was sie schreiben, das ist ganz bestimmt so!) wieder aufzubauen, sondern auch die nüchterne Atmosphäre in der Bea-tlemania mit Gefühl zu füllen. Leider konnte er die Besucher des Konzerts nicht um ein paar Jahre altern lassen (ich hatte so sehr auf ein Teeniefreies Konzert gehofft - sorry Teenies), aber das passiert ja mit der Zeit von selbst. Jeder, der die Gelegenheit bekommt, Ron Pope oder Zach Berkman live zu sehen, sollte das unbedingt tun!

Copyright Zach Berkman

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ewig erwartet von Silvia Maraun

Der Don und Daniel - „Krach“

Alter, wie lange habe ich bitte auf diese Platte gewartet? Zu-erst gehört habe ich von Don

und Daniel als Support von dem von mir sehr geschätzten Projekt Karamel von Johann Scheerer, welches mittler-weile auch schon eine lange, schmerzli-che Zeit im Grabe liegt. Zu dem Konzert habe ich es damals nicht geschafft, und ich glaube, es war das Jahr 2006, als ich Der Don und Daniel das erste Mal sah, wo sie für Roman Fischer als Sup-port bei einem Konzert einsprangen. Ich habe mich spontan verliebt in die-ses Gitarrenduo, bestehend aus Deniz Jaspersen, damals schon bekannt als Nase von Herrenmagazin, und seinem Sandkastenfreund Daniel Koch. Über

die nächste Zeit hangelte ich mich mit den vier Demo-Aufnahmen, die man bei myspace (!) runterladen (!) konnte. 2007 gab es ein Konzert, bei dem ein Freund von mir erlaubterweise einen Mitschnitt machte, so, dass es dann im-merhin Songs in halbguter Qualität zu hören gab. Textpassagen wie „Bei all den Spacken war noch nie ein Mensch dabei, doch bist du je davon ausge-gangen?“ (aus „Alles gleich“), „Ich kann alles kaputt hauen, doch danach sieht‘s im Augenblick nicht aus“ (aus „Kasse“) oder „10 Bier sind gut und 15 fast schon glücklich“ (aus „Argumen-te“) verwendete ich immer wieder in Schlussmachbriefen, Durchhaltenach-richten oder einfach so als Ausruf im

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Alltag, als hätten mir Der Don und Da-niel ein eigenes emotionales Vokabular mit auf den Weg gegeben, auf das ich in Zukunft zurückgreifen konnte. Bei ei-nem weiteren Konzert vor ein paar Mo-naten kam dann noch „Bist du hilflos oder einfach nur ein Arschloch?“ (aus „Weiter“) hinzu, und mittlerweile frage ich mich, wie meine trist-vorwürflichen Briefe an Menschen aussehen würden, wenn Der Don & Daniel nie angefan-gen hätten, Musik zu machen. Nun, doch recht überraschend, 2012 plötzlich das Debütalbum „Krach“ und das dazugehörige Release-Konzert in der Hamburger Astrastube. Der Don und Daniel sind nun mittlerweile 4, ha-ben noch einen Albrecht und einen Till dazugeholt und sind somit eine „richti-ge“ Band, nicht mehr nur ein Duo. Mu-sikalisch hat sich das natürlich um Län-gen weiterentwickelt von dem, was ich aus der Vergangenheit kannte, alles ist ausgereifter, über die Lagerfeueratmo-sphäre von zwei Gitarren und zweistim-migem Gesang hinausgewachsen – und inhaltlich kann es mich noch immer ge-nau so packen, wie es das über all die Jahre getan hat. Neue Songs fügen sich nahtlos mit den bereits bekannten zu-sammen und ergeben ein stimmiges Gesamtwerk. Neben den neuen Dingen, die ich entdecke, kommen all die Erin-nerungen wieder hoch, die sich über die Jahre mit dieser Musik verknüpft haben: Ich stehe mit meinem besten Freund, von dem ich nicht mehr genau weiß, ob er

noch mein bester Freund ist, bei diesem Konzert, und ich muss ein bisschen wei-nen. „Lass die Wege sich kreuzen, mehr als vier Mal im Jahr. Denn auch wenn wir uns jetzt nicht mehr so oft sehen, will ich dass du weißt: Da kann sonst was pas-sieren, ich vergesse dich nicht, und was Freundschaft heißt. Es gibt sie noch die Nächte, in denen wir sind wie wir sind, in denen die sonst so scheue Wahrheit, gegen die Zweifel gewinnt. Wenn der Wein erst unsere Zungen und dann alle Fragen löst, kommt uns plötzlich alles albern vor, von der Wirklichkeit ent-blößt. Lass uns trinken bis wir uns in die Arme fallen.“ (aus „J“) Es funktioniert noch immer: Erinnerungen und Gefüh-le in Musik konservieren und speichern wie auf einer externen Festplatte, und wenn man nach Jahren wieder einen Song hört, kommen all die Gedanken, Gefühle und Gerüche, die man mit dem Song verbindet, wieder zurück. Und am Ende stehe ich da, mit über 6 Jahren Der Don und Daniel in meinem emotionalen Speicher und kann darauf schauen, was aus mir und was aus der Band gewor-den ist: Wir werden alle älter, wir sind alle weiter. Einige Dinge ändern sich al-lerdings nie. Noch immer schwankend zwischen „Was die eine Hand hinnimmt, macht die andere zur Faust“ (aus „Kas-se“) und „Diese Faust wird wieder eine Hand, die endlich wieder tragen kann.“ (aus „Krach“): Danke für die Jahre und die Worte.

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von Silvia Maraun

Wolke – „Für immer“

Minimalismus war Gebot, als das Duo Wolke innerhalb der Jahre 2005 bis 2008 sein Publikum

beglückte: Gesang, Bass, Piano und Drumcomputer reichten, um in drei Al-ben und einer EP ein eigenes Gesamt-werk zu schaffen. Nach dem letzten Al-bum, „Teil 3“, wurde es still um Oliver Minck und Benedikt Filleböck: Sie wid-meten sich anderen musikalischen Pro-jekten und auch den Aspekten des Le-bens, die es neben der Musik zu bieten hat. Darauf folgte eine Phase der Umo-rientierung als Wolke, und nun: Das Er-gebnis. Album Nummer 4, „Für immer“. Wolke sind im Grundsatz sich selbst treugeblieben: Noch immer dominieren Stimme, Klavier und Bass. Noch immer ist das alles typisch wolkeresque. Dennoch ist „Für immer“ offener gegenüber neu-en Einflüssen, klingt in Teilen fast schon opulent, bleibt im Gesamtwerk jedoch

ruhig und beruhigend. Ausbrechen tun Songs wie „Frei“, mit dem Wolke einen wirklich fiesen Ohrwurm präsentieren oder „Denkst du manchmal noch an mich“ – Stadion-Chanson vom Feinsten! Inhaltlich bringen Wolke noch immer auch die abgründigsten Gefühle auf den Punkt, die dunkle Seite der Liebe, Enttäu-schung und Ernüchterung sind Thema, ebenso wie der Wunsch, der persönli-chen Enge zu entfliehen – Wolke strei-fen dabei ab und an den Schwulst, lan-den jedoch durch eine Prise Ironie stets wieder schnell auf der richtigen Schiene. Mit „Für Immer“ zeigen Wolke, dass Entwicklung funktionieren kann, ohne sich selbst zu entwurzeln. http://www.tapeterecords.de/artists/wolke/

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von Sascha Krokowski

Staring Girl – Sieben Stunden und 40 Minuten

Kiel, die Landeshauptstadt des wohl nördlichsten Bundeslandes, hat eine vitale Musikszene. Sagt

man zumindest in Kiel, der Stadt, die sich gerne auch „Punkrock City“ nennt. Aber vermutlich wird dies in jedem Kaff, das sich Großstadt nennen darf, von sich behauptet. Denn wenn man mal außer-halb Schleswig-Holsteins fragt, welche Kieler Bands man kennt, dann erhält man meist ein Schweigen als Antwort. Seren-dipity hilft auf die Sprünge: Die richtige Antwort lautet Smoke Blow. Auch die im letzten Jahr aufgelösten One Fine Day könnte man noch gelten lassen, selbst wenn sich die einstige Itzehoer Band in den letzten Biografien lieber als Hamburger Combo bezeichnete. Die Heimatstadt wächst halt mit der Band und den eigenen Ansprüchen. Aber wie dem auch sei: „Punkrock City“ trifft es für Kiel dann offenbar doch ganz gut.

Doch die 230 000-Einwohner-Stadt, bekannt, beliebt und berüchtigt durch den minimalst korrupten Handball-Re-kordmeister THW Kiel und die span-nendsten Episoden aus dem Rocker-krieg, hat musikalisch noch mehr zu bieten. Eine kleine, aber feine Armada an feinstem Indie/Songwriter/Folk exis-tiert seit einigen Jahren an der Förde. Zu ihnen gehörte Jan Isermann, der sich walheimat nennt und ein bisschen wie der frühe ClickClickDecker daher kam, sich mittlerweile aber elektroni-scheren Klängen zugewandt hat. Oder aber Ole Petras, der Ende der Neun-ziger Gitarrist bei der kurzzeitig auf-strebenden Band Jonas war, sich spä-ter in Kiel aber als Freaky Miller einen Namen machte und mit „Alaska Boy“ 2008 ein tolles Album veröffentlichte. Die Speerspitze des guten Geschmacks aber bildet seit rund sechs Jahren die Combo Staring Girl. Das Quintett um

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Sänger Steffen Nibbe veröffentlichte bereits 2006 und 2007 in Eigenregie aufgenommene und vertriebene Mini-Alben, die nicht nur in Kiel reißenden Absatz fanden und mittlerweile in phy-sischer Form längst vergriffen sind. Jetzt endlich ist das erste „richtige“ Al-bum von Staring Girl erschienen – und es ist erwartungsgemäß wundervoll! Warum hatte sich das Ganze nun fünf lange Jahre hingezogen, in denen man von der Band immer wieder auf „nächs-tes Jahr“ vertröstet wurde? Nun, Sta-ring Girl machten sich erst einmal auf, sich auch außerhalb Kiels einen Namen zu verschaffen. Dabei half ihnen un-ter anderem Gisbert zu Knyphausen, der den Bandklassiker „Jeder geht al-lein“ immer wieder auf seinen Konzer-ten coverte, weil der gute Gisbert halt gerne zweistündige Sets spielt, aber damals nicht genug eigenes Material beisammen hatte. Noch mehr aber half wohl Omaha Records – kein Platten-label, sondern vielmehr ein Netzwerk aus Künstlern, die sich gegenseitig bei Tourneen, Promotions und ähnli-chem unterstützen. So spielten Staring Girl unter anderem zusammen mit Da-antje & The Golden Handwerk sowie mit _pappmaché, ehe Steffen Nibbe in diesem Frühjahr mehrmals für Gisbert zu Knyphausen eröffnen durfte.

Sowohl von der Musik als auch von den Texten macht das auch komplett Sinn: Staring Girl spielen deutschsprachi-gen Indie-Folk, man könnte es auch als Americana bezeichnen. Als Fan der ers-ten Stunde vermisst man auf dem ers-ten Blick zwar viele Klassiker wie „Vier-tel vor nichts“, „Ich weiß ein Mädchen“ oder „An traurigen Tagen“, denn von den Songs der Mini-Alben hat sich lediglich „Jeder geht allein“ auf „Sieben Stunden und 40 Minuten“ retten können. Das Schöne aber ist: Die neuen Stücke sind sogar noch einen Tick besser. Steffen Nibbe singt mit einer charmanten, et-was monotonen aber dennoch nicht ein-schläfernden Stimme, seine Band unter-stützt ihn mit einem zurückhaltenden, leicht rumpelnden Sound. In den Texten geht es um Sehnsucht, Verzweiflung, Verwirrung und Resignation – in einem Maß, das nur knapp an der Depression vorbei schleicht. Und doch ist es kein nihilistisches Album geworden, viel-mehr ist es durchzogen von Ironie und sorgt spätestens im Schlussstück „Auf dem Weg zu mir nach Haus“ dann doch für eine positive Aufbruchstimmung. Wer Gisbert zu Knyphausen mag – und davon soll es ja eine ganze Menge ge-ben –, wird Staring Girls Debütalbum ins Herz schließen! Und als Kieler kann man sogar drüber hinweg sehen, dass das Quintett mittlerweile als Hambur-ger Band bezeichnet wird.

22 Serendipity | 05 2012

liebgewonnen von Silvia Maraun

Gregor McEwan - „Houses and Homes“

Gregor McEwan wurde unter dem Namen Hagen Siems in Hal-tern am See geboren. Um sein

Debütalbum „Houses and Homes“ zu schreiben und aufzunehmen, übrigens unter der Mitwirkung von Größen wie Tess Wiley und Jonas Künne, zog es ihn nach Hamburg und Berlin. „Hou-ses and Homes“ erschien im Novem-ber 2011 via Ludwig/Indigo. Auf Tour ist Gregor McEwan entweder solo mit Gitarre oder mit Band, dann unter dem Namen „Gregor McEwan & The Ellipses Road Band“. Wer möchte und die Mög-lichkeit hat, kann Gregor McEwan für Konzerte im eigenen Zuhause buchen. Infos dazu finden sich auf seiner Home-page: www.gregormcewan.com Das erste Mal auf meiner Bildfläche er-schien Gregor McEwan im September 2011, als er gemeinsam mit Spaceman Spiff in der Hamburger Zentrale spielte,

der Location über dem Thalia Theater. Hagen performte zu einer Uhrzeit, wo im Theater noch Programm lief, so, dass im Grunde niemand einen Mucks machen durfte in der Zentrale. Er spielte also un-verstärkt, auf dem Bühnenrand sitzend leise seine Songs, während das Publi-kum die Hände in die Höhe streckte und schüttelte, statt zu applaudieren – Ap-plaus für Gehörlose. An diesem Abend habe ich mich unsterblich verliebt: „Houses and Homes“ ging mit nach Hau-se und direkt unter die Haut. Wir kennen uns also noch nicht so schrecklich lange, die „Houses and Ho-mes“ und ich, aber wir sind sehr innig und eng miteinander: Ich nehme sie mit ins Bett, weil sie mich tröstet und beruhigt, ich stehe mit ihr zusammen auf, weil sie mich ohne Groll oder Hek-tik hochkommen lässt, ich kann mit ihr lange Autofahrten überstehen ohne

23 Serendipity | 05 2012

zu streiten, sie ist ein unaufdringlicher Begleiter im Arbeitsalltag, lässt mich heimlich beim Abwaschen gefühls-schwanger mitsingen und vor allem kann man mit ihr ganz wundervoll über einem Glas Rotwein in Tränen ausbre-chen: „The world turns and turns and turns / `Cause it wants you to return / And where you are there I belong / This house is not my home“ heißt es im Opener und Titelsong der Platte, und diese Zeilen fangen das Gesamtgefühl der Platte gut ein: Es geht um das Fehl-geleitetsein im eigenen Leben und den Wunsch nach einem Zuhause, welches sich nicht innerhalb von Wänden oder Stadtmauern finden lässt. Das Gefühl, einsam zu sein und deswegen allein, an-ders oder auch ausgegrenzt, nicht fähig zu dem, wozu alle anderen fähig sind, oder: nicht auf die Art zu funktionie-ren, wie es von außen vorgegeben wird: „They all shine but we just gleam / They all sleep but we just dream / They all know but we just think / And they all go while we still drink / They all own what

we just steal / They all love but we just feel / They all swim but we just drown / The world turns round, the sun goes down.“ („vs.“) Das Vermissen, das War-ten und das Wiederfinden sind genau so Thema wie das Auseinandersetzen mit der Differenz aus Vergangenheit/Zukunftsträumen und der gegenwärti-gen Realität oder die Problematik der Definition der eigenen Position in einer Welt, die trotz ihres Pochens auf Indivi-dualität für den Einzelnen noch immer von gesellschaftlichen Konventionen und Vorgaben geprägt ist. „Houses and Homes“ ist das Ergebnis von jahrelan-gem Songschreiben, welches sich auf diesem Debütalbum zu einem wunder-schönen Gesamtwerk zusammenfügt: Selten war Folkpop wehmütiger, selten waren Akustikgitarrensongs selbstbe-wusster, selten regte ein Album mehr gleichzeitig zum Nachdenken und Ent-spannen an, als es „Houses and Homes“ kann. Derzeit arbeitet Hagen Siems am Nachfolgealbum, auf welches wir natür-lich extrem gespannt sind.

24 Serendipity | 05 2012

ein Reisebericht von Silvia Maraun

Fehmarn vs. Gregor McEwan – they all go while we still drink.

Ich habe eine sehr liebe Freundin na-mens Mirja, die mit ihrem Freund Mi-chi, einem Metalhead, zusammen auf

Fehmarn wohnt. Die Regel ist, dass Mir-ja zu mir nach Hamburg kommt, um sich dort Konzerte mit mir anzusehen, da auf Fehmarn musikalisch einfach nicht so irre viel los ist. Als ich nun las, dass ausnahmsweise mal ein Konzert auf Fehmarn sein sollte, welches ich mir gern ansehen wollte, packte ich unsere gemeinsame Freundin Marina ein und auf ging es nach Fehmarn zum Gregor-McEwan-Konzert.

Fehmarn ist die drittgrößte deutsche Insel und liegt im Kreis Ostholstein im Bundesland Schleswig-Holstein in der Ostsee. Sie hat eine Fläche von knapp 185qm und rund 13.000 Einwohnern. Das ergibt eine Einwohnerdichte von 70 Einwohnern pro km. In Hamburg sind es gut 34x so viele. Da wir faul sind, schaffen wir es auch bei diesem Fehmarn-Besuch nicht an den Strand, sondern schlagen uns in Mirjas und Michis Wohnzimmer vorm Fernseher den Bauch voll: Pizza vom Lieferdienst, Gummibärchenschnaps

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und IT-Crowd auf DVD sind eine gute Beschäftigung, egal, wo auf der Welt man sich befindet. Das Konzert findet im Kulturlabor (www.kulturlabor.biz) statt, einem Café mit Veranstaltungs-raum in der Bahnhofstraße 17, also im Stadtkern von Burg auf Fehmarn. Das Café ist gemütlich eingerichtet, wenn auch nicht sonderlich stilvoll: Es finden sich typische Tilda-Elemente neben Quietschebadeentchen und glitzernde rosafarbene Hirsche neben Häkeldeck-chen. Vor der Tür sitzt eine lebensgroße Kinderpuppe mit Fahrradhelm, im Flur vom Café zum Veranstaltungsraum liegt ein Mann ohne Kopf. Der Veranstal-tungsraum hat alte Kinositze als Be-stuhlung und einen Kronleuchter an der Decke. Für Gregor McEwan haben sich, es mag dem DFB-Pokalfinalspiel Bayern – Dortmund geschuldet sein, an diesem Abend leider nur 14 Besucher eingefun-den, darunter Mirja und Michi (die einzi-gen beiden mit im Vorverkauf erstande-nen Tickets, durchnummeriert: 1 und 2),

Marina und ich (die einzigen beiden auf der Presse-Gästeliste) und 2 Urlauber. Das macht immerhin einen Eingebore-nen-Anteil von über 50%. (Rechnete man die Anzahl der Gäste übrigens auf Hamburg hoch, dann wären, gemessen an der Einwohnerdichte, an diesem Abend fast 500 Gäste erschienen – das klingt doch nicht schlecht!) Hagen Siems spielt als Gregor McEwan neben den Songs seines aktuellen Al-bums „Houses and Homes“ eine Cover-Version von Natalie Imbruglias „Torn“, die Stimmung schwankt von Wohnzim-mer- zu Stammtischatmosphäre: Mit ei-nem Eingeborenen aus dem Publikum liefert Hagen sich Wort- und Wissens-gefechte über Fehmarn und die Insula-ner, zwischendurch gibt Michi immer wieder den Spielstand vom Fußball durch. Hagen erzählt viel über die Hin-tergründe der Songs und gibt Anekdo-ten aus seinem Touralltag wieder, und als er anbietet, dass die Anwesenden

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schnippsen dürfen, wenn er zu viel er-zählt, macht das unfreundlicherweise tatsächlich jemand, nämlich: Die Frau von dem Mann, der selbst die ganze Zeit labert. Das ist wahre Gastfreundschaft. Beim Song „Canola Fields“ fordert Ha-gen die Anwesenden auf, das Meeres-rauschen zu imiteren und Möwenge-schrei nachzumachen, dies funktioniert zwar mit viel Gelächter, aber eher leid-lich – 14 people do not make an ocean. Die Möwe fällt flach, weil es allen zu peinlich ist; leider findet Scham häufig an den falschen Stellen statt. Trotz der wirklich arg schrägen Atmosphäre wird mir dieses Konzert als ein sehr schönes, intensives in Erinnerung bleiben, nicht zuletzt, weil Hagen am Ende einen bis-her unveröffentlichten Song spielt, den er über seinen Vater geschrieben hat, in dem ich vieles aus meiner eigenen Fa-milie wiederfinden kann. Nach dem Konzert ist schnell klar: Wir adoptieren Hagen und engagieren Mirja

und Michi als Tourguides durch das Feh-marner Nachtleben. Vorher werden im Kulturlabor noch CDs verkauft und Au-togramme gegeben, Barmann Kevin versorgt alle mit Getränken und ani-miert mit anzüglichen Witzen zum Wei-terziehen; zunächst bekommt Hagen je-doch noch ein Gastgeschenk vom Labermann und seiner Frau: Eine Stoff-möwe, die Möwengeräusche macht, wenn man ihr auf den Bauch drückt. Useful. Erste Anlaufstelle an diesem Abend: Das Vibes Underground in der Bahnhof-straße 1 (www.vibes-underground.de). Das Vibes Underground ist so etwas wie die neue In-Disse auf Fehmarn und hat erst vor kurzem aufgemacht. Der Laden soll wohl irgendwie einer U-Bahn oder einem U-Bahnhof nachempfunden sein, so ganz erschließt es sich uns nicht; Bar und Wände sind komisch geformt und es gibt Gullydeckel im Boden, die kotz-grün beleuchtet sind. Die Musik bewegt

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sich im Bereich von Dancecharts und R‘n‘B , alle Mädchen tragen extrem hohe Schuhe, alle Männer Muscleshirts – na gut, dass wir überhaupt reingelassen wurden. Wir ordern Martinis, die wir je-der zu einem anderen Preis bekommen und schauen uns das Treiben auf der Tanzfläche an. Nachdem wir Mädels be-reits am Eingang mit dümmlichen Sprü-chen angemacht wurden, stellen wir hocherfreut fest, dass es im Vibes Un-derground einen Bereich gibt, der „Fummel Ecke“ heißt und mit roten So-fas bestückt ist. Nachdem ich mich dort jedoch zur Belustigung unserer Reise-gruppe dekorativ als Freak-Köder plat-ziere und alle gespannt warten, passiert einfach eine lange Zeit gar nichts, nur die Musik wird immer schlechter. Wir beschließen, dass das Vibes Under-ground nicht unsere erste Empfehlung sein wird, wenn uns jemand nach Aus-gehen auf Fehmarn fragt. Nächste Anlaufstelle ist das berüchtigte

Medley, Breite Straße 31 (www.medley-fehmarn.de - „Schön, dass Sie sich hier-her verirrt haben.“). Bereits bei meinem letzten Fehmarn-Besuch haben wir dort vor der Tür gestanden und hineinge-linst, trauten uns jedoch nicht durch die Tür. Da Hagen aber unbedingt einheimi-sche Kneipen sehen möchte und der Gast ja immer entscheiden darf, wagen wir es diesmal: Das Medley ist eine „Bierbar mit Tanz“, deren Wand ein Ge-mälde der Fehmarn-Sund-Brücke ziert und wo an diesem Abend hauptsächlich von Dieter Bohlen geschriebene Musik-stücke gespielt werden (darunter 3x Mark Medlock), wozu die Gäste Stan-dardtänze darbieten. Das Bier kostet 2 Euro, der Apfelkorn 1,80 Euro und der nette Barmann bietet uns zwar laufend an, dass wir uns Songs wünschen sollen, behauptet dann aber bei jedem einzel-nen Wunsch, dass er gerade diesen lei-der heute nicht dabei hätte. Selbst, als Hagen nach dem noch fiktiven Charak-ter „Hansi Gruber“ fragt (Hagen ist der

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Meinung, dass man mit Schlagern bes-ser Geld verdienen kann als mit seiner Musik und hat daher einen Song namens „Schwarzwälder Kirsch“ geschrieben, welcher unter diesem Namen veröffent-licht werden könnte), nickt der Barmann wissend, sagt „Das sagt mir irgend-was...“ verschwindet kurz, und kommt dann bedauernd den Kopf schüttelnd zurück: „Leider heute nicht dabei.“ Na denn. Bereits den ganzen Abend im Gespräch war ein Getränk namens „Rostiger Na-gel“, welches die Spezialität eines La-dens namens „Mopsy‘s Bierbar“ ist (Bahnhofstraße 3, keine Homepage vor-handen) – und dort soll uns nun auch die letzte Etappe unserer Reise durch das Fehmarner Nachtleben hinführen. Wir sind noch nicht ganz zur Tür rein, da sagt die Bedienung bereits: „IHR wollt sicher einen Rostigen Nagel, rich-tig?“ Ein Rostiger Nagel ist ein Kurzer, der Gerüchten zu Folge aus Tabasco, Cayennepfeffer, Cola, Cognac und Zu-cker besteht. (Auf der Internetseite frag-mutti.de ist das Rezept übrigens unter der Kategorie „NUR für die ganz Harten“ verzeichnet.) Wir kippen also unseren Rostigen Nagel, und die Män-ner verschwinden erstmal gemeinsam auf der Toilette, während wir Mädchen nur irritiert gucken. Soviel zu den ganz Harten heute Abend. Nach dem Rostigen Nagel reagieren wir alle nur noch auf die Anrede „Schatz“ und lassen den Abend auf einen

Absacker im Morgengrauen in Mirjas und Michis Wohnung enden, wo wir in Schlafanzügen an der Wii Bowling spie-len, die kalten Pizzarest vom Nachmit-tag essen und Hagen beim SingStar mit Matthias Reims „Verdammt ich lieb dich“ nicht die beste Figur macht. Als wir Hagen in sein Taxi zur Jugendher-berge setzen, sind wir erleichtert, dass auch Menschen, die eigentlich toll sin-gen können, beim SingStar nicht immer gewinnen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Fehmarn zwar immer eine Reise wert ist, das dortige Nachtleben jedoch im besten Falle das ist, was man selbst draus macht. Die SMS von Mirja aus dem Zimmer nebenan am nächsten Morgen beschreibt das, was möglich ist, per-fekt: „Maus, mir geht’s so schlecht, aber ich hatte wirklich eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr so viel Spaß!“ Mopsy‘s Bierbar: Bahnhofstraße 3. Medley: Breite Straße 31. Vibes Underground. Bahnhostraße 1. Kulturlabor, Bahnhofstraße 17.

Herausgegeben von Silvia Maraun und Carolin Pröger. www.serendipity-magazin.de