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TERRY BROOKS Shannara III

Shannara III - bilder.buecher.de · 11 1 Ein Wechsel der Jahreszeiten stand den vier Ländern bevor, als der Spätsommer langsam in den Herbst überging. Dahin waren die lan-gen,

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TERRY BROOKS

Shannara III

BuchDas Grauen geht in den Vier Ländern um, denn das Ildatch, das ural-te Buch des bösen Zaubers, ist zu neuem Leben erwacht. Es sendetfurchtbare Schreckgestalten aus, um die Menschheit endgültig zu ver-nichten. Erneut muss der Druide Allanon die Hilfe eines Nachfahrenvon Jerle Shannara suchen. Brin, die Tochter von Wil Ohmsford, wur-de mit der Gabe des Zauberlieds geboren, und einzig ihre magischenKräfte können den Weg zum Ildatch öffnen. Als sich Allanon und dasMädchen auf den Weg gemacht haben, erfährt Brins jüngerer BruderJair von der Prophezeiung, dass seine Schwester in eine tödliche Falleläuft, wenn er sie nicht zuvor erreicht. Er folgt ihr eilig, wäh-

rend das Böse das Land heimsucht …Ideal für Neueinsteiger: die frühen Romane aus der Shannara-Saga –

erstmals komplett in Sammelbänden!

AutorTerry Brooks wurde 1944 in Illinois geboren. Nach seinen Abste-chern in die Dark Fantasy mit der »Dämonenjäger«-Trilogie und indas Star-Wars-Universum mit der Romanfassung von »Episode I. Diedunkle Bedrohung« kehrte er zu seinen Wurzeln und zu seiner erstengroßen Liebe zurück: in die Welt der Shannara-Saga. Terry Brooks

lebt in Seattle und auf Hawaii.

Von Terry Brooks bereits erschienen:Die Shannara-Saga:

1. Abschnitt: Das Schwert von Shannara (23828), Der Sohn von Shan-nara (23829), Der Erbe von Shannara (23830) • Die Elfensteine vonShannara (23831), Der Druide von Shannara (23832), Die Dämonenvon Shannara (23833) • Das Zauberlied von Shannara (23893), Der Kö-nig von Shannara (23894), Die Erlösung von Shannara (23895) – 2. Ab-schnitt: Die Kinder von Shannara (24535), Das Mädchen von Shannara(24536), Der Zauber von Shannara (24537) • Die Schatten von Shanna-ra (11584) • Die Elfenkönigin von Shannara (24571), Die Verfolgtenvon Shannara (24572) • Die Reiter von Shannara (24588), Die Talisma-ne von Shannara (24590) – Die Vorgeschichte: Der Ausgestoßene vonShannara (24717) – 3. Abschnitt: Die Hexe von Shannara (24966) • DieLabyrinthe von Shannara (24178) • Die Offenbarung von Shannara(24179) – 4. Abschnitt: Die Magier von Shannara 1. Das verbannte Volk

Außerdem von Terry Brooks erschienen:DIE DÄMONENJÄGER: Dämonensommer (24133) • Stadt der Dämo-

nen (24913) • Dämonenfeuer (24170)STAR WARS, Episode I. Die dunkle Bedrohung.Roman zum Film von George Lucas (35243)

Weitere Bücher von Terry Brooks sind in Vorbereitung.

Terry Brooks

SShhaannnnaarraa IIIIIIDas Zauberlied von

Shannara

Der König von Shannara

Die Erlösung vonShannara

Drei Folgen in einem Band!

Ins Deutsche übertragenvon Sylvia Brecht-Pukallus

BLANVALET

Umwelthinweis:Alle bedruckten Materialien dieses Taschenbuches

sind chlorfrei und umweltschonend.

Blanvalet Taschenbücher erscheinen im Goldmann Verlag,einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH.

1. AuflageTaschenbuchausgabe 6/2004

Copyright © der Originalausgabe 1985 by Terry BrooksThis translation was published by arrangement with Ballantine Books,

a division of Random House, Inc.Copyright © der Landkarte by Random House, Inc.

Copyright © der deutschsprachigen Ausgaben 1986 byWilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbHUmschlaggestaltung: Design Team MünchenUmschlagillustration: Agt. Schlück/Harrison

Satz: deutsch-türkischer fotosatz, BerlinDruck: GGP Media, Pößneck

Titelnummer: 24289V. B. · Herstellung: Peter Papenbrok

Printed in GermanyISBN 978-3-442-24289-4www.blanvalet-verlag.de

Die amerikanische Originalausgabe erschien unter dem Titel»The Wishsong of Shannara«

bei Ballantine Books/Random House, New York.

SHANNARA III

Das Zauberliedvon Shannara

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Ein Wechsel der Jahreszeiten stand den vier Ländern bevor, als derSpätsommer langsam in den Herbst überging. Dahin waren die lan-gen, stillen Tage der Jahresmitte, da brodelnde Hitze den Gang desLebens verlangsamte und das Gefühl herrschte, für alles ausreichendZeit zu haben. Hing auch die Sommerwärme noch in der Luft, sowurden die Tage allmählich kürzer, die feuchte Luft wurde trockenerund die Erinnerung an die Unmittelbarkeit des Lebens erwachte vonneuem. Überall waren Anzeichen des Übergangs zu erkennen. In denWäldern von Shady Vale begann das Laub bereits, sich zu verfärben.

Brin Ohmsford blieb an den Blumenbeeten stehen, die den Wegauf der Vorderseite ihres Hauses begrenzten, und verlor sich sogleichim hochroten Blattwerk des alten Ahorns, der den Hof dahinterüberschattete. Es war ein gewaltiges Exemplar mit breitem, knorri-gem Stamm. Brin lächelte. Dieser Baum war für sie die Quelle vielerKindheitserinnerungen. Unwillkürlich trat sie vom Weg und ging hi-nüber zu dem betagten Baum.

Sie war ein hoch gewachsenes Mädchen – größer als ihre Elternoder ihr Bruder Jair, fast so groß wie Rone Leah –, und obgleich ihrschlanker Körper irgendwie auch zart wirkte, war sie so kräftig wiedie anderen auch. Jair würde in diesem Punkt freilich widersprechen,doch nur deshalb, weil er schon genügend Probleme damit hatte, sei-ne Rolle als Jüngster anzunehmen. Letzten Endes blieb ein Mädchenein Mädchen.

Ihre Finger strichen sanft über die raue Ahornrinde, liebkosten sie,und ihr Blick wanderte hinauf in das Ästegewirr über ihr. Langes,schwarzes Haar strömte von ihrem Gesicht, und es konnte keinZweifel bestehen, wessen Kind sie war. Vor zwanzig Jahren hatte Ere-

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tria genauso ausgesehen wie ihre Tochter jetzt, vom dunklen Teintüber die schwarzen Augen zu den weichen, zarten Gesichtszügen.Brin fehlte nur das feurige Temperament ihrer Mutter. Das hatte Jairgeerbt. Brin hatte das Wesen ihres Vaters: kühl, selbstsicher und be-herrscht. Als Wil Ohmsford einmal seine Kinder verglichen hatte –wozu eines von Jairs eher tadelnswerten Missgeschicken ihm den An-lass gegeben hatte –, war ihm ziemlich wehmütig aufgefallen, dass Jairzu allem fähig war und Brin ebenso, sie allerdings erst nach reiflicherÜberlegung. Brin wusste nicht mehr genau, wer bei dieser Strafpre-digt damals den Kürzeren gezogen hatte.

Sie ließ ihre Hände hinten an den Seiten ihres Körpers entlangglei-ten. Sie erinnerte sich an das eine Mal, da sie das Wünschlied auf denalten Baum angewandt hatte. Sie war noch ein Kind gewesen und hat-te mit dem Elfenzauber herumexperimentiert. Es war Hochsommergewesen, und sie hatte das Wünschlied eingesetzt, um das grüneSommerlaub des Ahorns in herbstliches Feuerrot zu verwandeln; inihrem kindlichen Denken fühlte sie sich dabei völlig im Recht, dennRot war schließlich eine weit hübschere Farbe als Grün. Ihr Vater warwütend gewesen; der Baum hatte fast drei Jahre benötigt, um nachdem Schock wieder zu seinem natürlichen Rhythmus zu finden. Daswar das letzte Mal gewesen, dass sie oder Jair, wenn ihre Eltern in derNähe waren, Elfenzauber angewandt hatten.

»Brin, komm, hilf mir bitte, den Rest zusammenzupacken.«Ihre Mutter rief nach ihr. Sie tätschelte den alten Ahorn ein letztes

Mal und drehte sich zum Haus um.Ihr Vater hatte dem Elfenzauber niemals ganz getraut. Vor etwas

über zwanzig Jahren hatte er die Elfen-Steine, die ihm der Druide Al-lanon geschenkt hatte, bei seinen Bemühungen benutzt, die Erwähl-te Amberle Elessedil auf ihrer Suche nach dem Blutfeuer zu beschüt-zen. Die Anwendung des Elfenzaubers hatte ihn verändert; das warihm damals schon klar geworden, auch wenn er nicht gewusst hatte,wie das geschehen war. Erst nach Brins und später nach Jairs Geburtwar offenkundig geworden, was sich ereignet hatte. Nicht in WilOhmsford würde sich der Wandel manifestieren, den der Zauber be-

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wirkt hatte, sondern in seinen Kindern. Sie waren diejenigen, welchedie sichtbaren Folgen der Zauberei in sich trugen – sie und vielleichtalle kommenden Ohmsford-Generationen, obgleich bislang keineMöglichkeit bestand sicherzustellen, dass das auf den Zauber desWünschliedes zutraf.

Brin hatte ihm den Namen Wünschlied gegeben. Wenn man etwaswünschte, wenn man es besang, erfüllte sich der Wunsch. So war esihr erschienen, als sie zum ersten Mal entdeckte, dass sie die Kraft be-saß. Sie erfuhr früh, dass sie das Verhalten von Lebewesen mit ihremLied zu beeinflussen vermochte. Sie konnte das Laub des altenAhorns verändern. Sie vermochte einen rasenden Hund zu besänfti-gen. Sie konnte einen Wildvogel verlocken, sich auf ihrem Handge-lenk niederzulassen. Sie konnte sich selbst zum Teil jedes beliebigenLebewesens machen – oder es zum Teil ihrer selbst. Sie wusste nichtgenau, wie sie es bewirkte; es geschah einfach. Sie sang, wobei Melo-die und Text wie stets unbeabsichtigt und nicht einstudiert ganz vonselbst kamen – als wäre das die natürlichste Sache von der Welt. Siewar sich dessen, was sie sang, stets bewusst, überlegte jedoch gleich-zeitig überhaupt nicht, da ihr Denken in unbeschreiblichen Gefühlengefangen war. Diese Gefühle durchfluteten und durchzogen sie, er-neuerten sie irgendwie, und der Wunsch pflegte sich daraufhin zu er-füllen.

Es war das Geschenk des Elfenzaubers – oder aber sein Fluch. AlsLetzteres hatte ihr Vater es erachtet, als er entdeckte, dass sie dieseFähigkeit besaß. Brin wusste, dass er tief in seinem Innern sich davorfürchtete, wozu die Elfen-Steine in der Lage waren, und davor, wassie bei ihm bewirkt hatten. Nachdem Brin den Hund der Familiedazu gebracht hatte, hinter seinem Schwanz herzujagen, bis er vorErschöpfung fast umfiel und einen ganzen Gemüsegarten hatte wel-ken lassen, hatte ihr Vater rasch verkündet, dass niemand jemals wie-der die Elfen-Steine benutzen dürfe. Er hatte sie versteckt und kei-nem gesagt, wo sie zu finden wären, und seither waren sie auch in die-sem Versteck geblieben. Zumindest glaubte das ihr Vater. Sie war sichdessen nicht so ganz sicher. Einmal, es war noch nicht allzu viele Mo-

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nate her, hatte Brin beobachtet, wie Jair selbstgefällig grinste, als vonden versteckten Elfen-Steinen die Rede war. Er würde freilich nichtszugeben, aber sie wusste, wie schwierig es war, vor ihrem Bruderetwas geheim zu halten, und sie vermutete, dass er das Versteckgefunden hatte.

Rone Leah kam ihr an der Eingangstür entgegen, groß und kräftigwie er war, das rostbraune Haar lose auf den Schultern und mit einembreiten Stirnband aus dem Gesicht zurückgenommen. Schelmische,graue Augen verengten sich abschätzig. »Wie wäre es, wenn du aucheinmal einen Finger krumm machtest, wie? Ich verrichte die ganzeArbeit, und gehöre nicht einmal zur Familie, um der Katze willen!«

»So oft, wie du hier bist, sollte man es aber fast glauben«, foppte sieihn. »Was ist noch zu tun?«

»Nur noch diese Sachen rauszutragen, das wäre dann wohl alles.«Eine Anzahl von Ledertruhen und kleineren Koffern war im Eingangaufgestapelt. Rone ergriff den größten. »Ich glaube, deine Mutterbraucht dich im Schlafzimmer.«

Er verschwand den Weg hinab, und Brin ging durch die Räume ih-res Hauses zu den hinten gelegenen Schlafzimmern. Ihre Elternmachten sich zum Aufbruch zu ihrer alljährlichen Herbstfahrt zuden entlegenen Gemeinden im Süden von Shady Vale bereit, eine Rei-se, durch welche sie über zwei Wochen von zu Hause abwesend seinwürde. Nur wenige Heiler besaßen die Fähigkeiten von Wil Ohms-ford, und keiner davon ließ sich im Umkreis von fünfhundert Meilenum das Tal finden. So bereiste ihr Vater zweimal im Jahr, im Frühlingund im Herbst, die abgelegenen Siedlungen und bot seine Dienste an,wo sie benötigt wurden. Eretria begleitete ihn stets; sie war für ihrenMann inzwischen eine geschickte Helferin und in der Pflege derKranken und Verletzten ebenso geübt wie er. Diese Reise stellte keinMuss dar – und wäre nicht unternommen worden, wären sie wenigergewissenhaft gewesen. Doch Brins Eltern waren von großem Pflicht-bewusstsein erfüllt. Das Heilen war der Beruf, dem sie beide ihr Le-ben gewidmet hatten, und sie nahmen ihre Aufgabe nicht auf dieleichte Schulter.

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Wenn sie sich auf diesen Fahrten der Nächstenliebe befanden, warJair Brins Aufsicht unterstellt. Diesmal war Rone Leah vom Hoch-land heruntergekommen, um auf sie beide aufzupassen.

Brins Mutter schaute von ihrer letzten Packarbeit auf und lächelte,als Brin das Schlafzimmer betrat. Langes, schwarzes Haar fiel offenum ihre Schultern, und sie strich es sich aus dem Gesicht zurück, daskaum älter wirkte als Brins.

»Hast du deinen Bruder irgendwo gesehen? Wir sind fast reisefer-tig.«

Brin schüttelte den Kopf. »Ich dachte, er wäre mit Vater zusam-men. Kann ich dir bei irgendetwas helfen?«

Eretria nickte, nahm Brin bei den Schultern und zog sie neben sichaufs Bett. »Ich möchte, dass du mir etwas versprichst, Brin. Ichmöchte nicht, dass ihr das Wünschlied anwendet, während dein Vaterund ich fort sind. Weder du noch dein Bruder.« Brin lächelte. »Ichwende es praktisch überhaupt nicht mehr an.« Ihre dunklen Augensuchten das dunkelhäutige Gesicht ihrer Mutter.

»Ich weiß. Aber Jair tut es, auch wenn er glaubt, ich wüsste nichtsdavon. Jedenfalls wünschen dein Vater und ich, dass ihr es in unsererAbwesenheit nicht ein einziges Mal benützt. Hast du mich verstan-den?«

Brin zögerte. Ihr Vater begriff wohl, dass der Elfenzauber Be-standteil seiner Kinder war, aber er wollte nicht akzeptieren, dass erein guter oder nützlicher Teil war. Ihr seid, so wie ihr seid, intelligen-te, begabte Menschen, pflegte er ihnen zu sagen. Ihr braucht keineTricks und keine Kunstgriffe, um euch weiterzubringen. Seid werund was ihr vermögt, ohne das Lied. Eretria hatte diesen Rat unter-stützt, obgleich sie bereitwilliger als er anerkannte, dass sie ihn nichtbeachteten, wenn es sich unauffällig machen ließ.

Unglücklicherweise gehörte Unauffälligkeit nicht gerade zu JairsWesen. Jair war impulsiv und von einer aufreibenden Halsstarrigkeit;was nun die Anwendung des Wünschliedes anging, so verfuhr er da-mit ganz nach seinem Gutdünken – solange er damit durchkam.

Und der Elfenzauber wirkte bei Jair etwas anders …

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»Brin?«Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen. »Mutter, ich wüsste nicht,

was es ausmachen sollte, wenn Jair mit dem Wünschlied herumspielt.Es ist doch nur ein Spielzeug.«

Eretria schüttelte den Kopf. »Selbst ein Spielzeug kann gefährlichwerden, wenn man es unklug benutzt. Abgesehen davon solltest duinzwischen genügend von Elfenzauber verstehen, um zu wissen, dasser niemals harmlos ist. Nun hör mich an. Du und dein Bruder seidbeide dem Alter entwachsen, da ihr der ständigen Aufsicht durch Va-ter oder Mutter bedürftet. Aber ein kleiner Ratschlag hin und wiederist immer noch angebracht. Ich möchte nicht, dass ihr euch in unsererAbwesenheit des Zaubers bedient. Versprich mir, dass du ihn nicht an-wendest – und dass du Jair ebenfalls davon abhältst, ihn zu benutzen.«

Brin nickte langsam. »Es ist wegen der Gerüchte von den schwar-zen Wandlern, nicht wahr?« Sie hatte die Geschichte gehört. Drun-ten im Gasthaus wurde dieser Tage von nichts anderem geredet.Schwarze Wandler – geräusch- und gesichtslose Wesen, geboren ausschwarzer Magie, die aus dem Nichts auftauchten. Manche behaup-teten, der Dämonenlord und sein Gefolge kehrten zurück. »Ist dasder Grund für das alles?«

»Ja.« Brins Mutter lächelte über ihre schnelle Auffassungsgabe.»Nun versprich es mir.«

Brin erwiderte das Lächeln. »Ich verspreche es.«Nichtsdestoweniger hielt sie das Ganze für baren Unfug.Das Packen und Aufladen nahm eine weitere halbe Stunde in An-

spruch, dann waren ihre Eltern reisefertig. Jair tauchte wieder ausdem Gasthaus auf, wo er für seine Mutter als Abschiedsgeschenk einebesondere Leckerei besorgt hatte, die sie gerne mochte, und man ent-bot sich gegenseitig das Lebewohl.

»Denk an dein Versprechen, Brin«, flüsterte ihre Mutter ihr zu, alssie sie auf die Wange küsste und fest an sich drückte.

Dann saßen die Ohmsford-Eltern in dem Wagen, in welchem sieihre Reise absolvieren würden, und fuhren langsam die staubige Stra-ße hinab.

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Brin schaute ihnen nach, bis sie außer Sicht waren.

Brin, Jair und Rone Leah gingen am Nachmittag in den Wäldern desTales wandern, und als sie schließlich den Rückweg antraten, war esschon spät am Tag. Die Sonne war inzwischen auf die Talränder zu-geglitten, und die Mittagsschatten des Waldes dehnten sich langsamzu jenen des Abends. Es war noch eine Stunde Weg zum Dorf, aberbeide Ohmsfords und der Hochländer waren diesen Weg schon so oftzuvor gegangen, dass sie bei stockfinsterer Nacht den Wald hättendurchwandern können. Sie gingen leichten Schritts dahin und genos-sen das Ende eines prachtvollen Herbsttages.

»Lasst uns morgen fischen gehen«, schlug Rone vor. Er grinste Brinan. »Bei solchem Wetter ist es ganz gleichgültig, ob wir etwas fangenoder nicht.«

Als ältester von den dreien ging er zwischen den Bäumen hindurchvorneweg, und sein quer über den Rücken getragenes Schwert in derverschrammten, abgewetzten Scheide zeichnete sich als vager Umrissunter seinem Waldmantel ab. Einst wurde es vom Thronfolger vonLeah getragen, hatte diesen Zweck jedoch längst überlebt und war er-setzt worden. Doch Rone hatte die alte Klinge stets bewundert, dieeinst vor Jahren sein Urgroßvater Menion Leah umgegürtet hatte, alsdieser auf die Suche nach dem Schwert von Shannara aufgebrochenwar. Da Rone sich so für die Waffe begeisterte, hatte sein Vater sie ihmals kleines Zeichen seines Rangs als ein Prinz von Leah geschenkt,auch wenn er der jüngste der Prinzen war.

Brin schaute zu ihm hinüber und zog die Stirn kraus. »Du scheinstetwas zu vergessen. Morgen ist der Tag, den wir den Hausreparaturenvorbehalten hatten, die wir für Vater in seiner Abwesenheit ausfüh-ren wollten. Was ist damit?«

Er zuckte fröhlich mit den Schultern. »Dann wird eben einen Tagspäter ausgebessert – die Reparaturen können warten.«

»Ich glaube, wir sollten den Rand des Tales etwas erkunden«, warfJair Ohmsford ein. Er war schlank und drahtig und hatte das Gesichtseines Vaters mit den elfenhaften Zügen: schmale Augen, schräg ge-

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stellte Augenbrauen und leicht spitz zulaufende Ohren unter einerMähne wilden, blonden Haars. »Ich finde, wir sollten uns nach An-zeichen für die Mordgeister umsehen.«

Rone lachte. »Was weißt du denn von den Wandlern, Tiger?« Daswar sein Kosename für Jair.

»Ebenso viel wie du, nehme ich an. Im Tal hören wir die gleichenGeschichten wie ihr im Hochland«, erwiderte der Talbewohner.»Schwarze Wandler, Mordgeister – Wesen, die sich aus der Finsternisstehlen. Drunten im Gasthaus reden sie ständig davon.«

Brin warf ihrem Bruder einen vorwurfsvollen Blick zu. »Undmehr steckt auch nicht dahinter – Gerede!«

Jair schaute zu Rone hinüber. »Was meinst du?«Zu Brins Überraschung zuckte der Hochländer mit den Schultern.

»Vielleicht. Vielleicht auch nicht.«Plötzlich wurde sie wütend. »Rone, solche Geschichten hat es im-

mer gegeben, seit der Dämonen-Lord vernichtet wurde, und nichteine davon enthielt jemals ein Körnchen Wahrheit. Warum sollte esdiesmal anders sein?«

»Ich behaupte nicht, dass es anders ist. Ich bin nur lieber vorsich-tig. Vergiss nicht, zu Shea Ohmsfords Zeiten glaubten sie auch nichtan die Geschichten von den Schädelträgern – bis es zu spät war.«

»Deshalb finde ich ja, dass wir uns umsehen sollten«, wiederholteJair.

»Und wozu genau?«, drängte Brin nun in härterem Ton. »Auf dasRisiko hin, dass wir etwas so Gefährliches entdecken, wie diese Din-ger es sein sollen? Was willst du dann machen? Zuflucht zu einemWünschlied nehmen?«

Jair errötete. »Wenn es sein müsste, ja. Ich könnte den Zauber be-nutzen …«

Sie fiel ihm ins Wort. »Der Zauber ist nicht zum Herumspielen da,Jair. Wie oft muss ich dich noch daran erinnern?«

»Ich meinte ja nur, dass …«»Ich weiß, was du gesagt hast. Du glaubst, das Wünschlied wäre zu

allem imstande, aber da täuschst du dich gewaltig. Du solltest lieber

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auf das hören, wovor dein Vater in Bezug auf den Gebrauch des Zau-bers warnt. Eines Tages wirst du dir große Schwierigkeiten einhan-deln.«

Ihr Bruder starrte sie an. »Worüber bist du denn so wütend?«Sie war wütend, wie ihr nun klar wurde, und es war völlig sinnlos.

»Es tut mir Leid«, entschuldigte sie sich. »Ich habe Mutter verspro-chen, dass keiner von uns das Wünschlied anwenden würde, solangesie und Vater auf dieser Reise sind. Wahrscheinlich regt es mich des-halb so sehr auf, dich davon reden zu hören, nach Mordgeistern zustöbern.«

Nun stand ein Funken Zorn in Jairs blauen Augen. »Wer gab dirdas Recht, für mich irgendwelche Versprechungen zu machen, Brin?«

»Keiner, nehme ich an, aber Mutter …«»Mutter hat keine Ahnung …«»Um der Katze willen, hört bloß auf!« Rone Leah hob flehentlich

die Arme. »Bei solchen Streitereien bin ich immer froh, im Gasthausund nicht bei euch beiden zu wohnen. Nun lasst uns das alles verges-sen und zu unserem eigentlichen Thema zurückkommen. Gehen wirnun morgen angeln oder nicht.«

»Wir gehen angeln«, plädierte Jair.»Wir gehen angeln«, stimmte Brin zu, »nachdem wir zumindest

ein paar der Reparaturen ausgeführt haben.«Eine Zeit lang gingen sie schweigend weiter, und Brin brütete im-

mer noch darüber, was sie als Jairs zunehmende Verblendung durchden Gebrauch des Wünschliedes erachtete. Ihre Mutter hatte Recht;Jair wandte den Zauber an, wann immer er die Gelegenheit dazu fand.Er hielt es für ungefährlicher als Brin, weil es bei ihm anders wirkte.Bei Brin veränderte das Wünschlied tatsächlich Aussehen und Ver-halten, bei Jair war es nur ein Trugbild. Wenn er das Wünschlied be-nutzte, hatten die Dinge nur den Anschein einer Veränderung. Dasverlieh ihm eine größere Handlungsbreite in der Anwendung und er-mutigte zu Experimenten. Er tat es insgeheim, aber er tat es nichts-destoweniger. Nicht einmal Brin war ganz sicher, welche Fähigkeitener inzwischen damit erworben hatte.

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Der Nachmittag ging zu Ende, und der Abend brach herein. DerVollmond hing wie ein weißes Leuchtfeuer am östlichen Horizont,und Sterne begannen zu funkeln. Mit dem Einbruch der Nacht kühl-te die Luft merklich ab, in die Düfte des Waldes mischte sich sprödeund schwer der Geruch von moderndem Laub. Rings um sie her stie-gen das Summen von Insekten und der Gesang der Abendvögel auf.

»Ich finde, wir sollten am Rappahalladran fischen«, verkündeteJair plötzlich.

Keiner antwortete sogleich. »Ich weiß nicht recht«, meinte Roneschließlich. »Wir könnten ebenso gut an den Teichen im Tal angeln.«

Brin warf dem Hochländer einen fragenden Blick zu. Rone klangbesorgt.

»Doch nicht nach Bachforellen«, widersprach Jair. »Außerdemwürde ich gerne für ein, zwei Nächte in den Duln-Wäldern zelten.«

»Das könnten wir auch im Tal.«»Dann könnten wir ebenso gut im Hinterhof bleiben«, erwiderte

Jair, allmählich ein wenig gereizt. »In den Duln gibt es wenigstens einpaar Plätze, die wir noch nicht ausgekundschaftet haben. Wovor habtihr eigentlich Angst?«

»Ich habe vor gar nichts Angst«, entgegnete der Hochländer ab-wehrend. »Ich meine nur … Schau, warum sprechen wir nicht späterdarüber? Lasst euch erzählen, was mir auf dem Weg hierher wider-fahren ist. Ich hätte mich tatsächlich beinahe verlaufen. Da war die-ser Wolfshund …«

Brin fiel einen Schritt zurück und ließ sie vorweggehen und erzäh-len. Sie war immer noch erstaunt über Rones unerwartete Abnei-gung, auch nur einen kurzen Zeltausflug in die Duln zu machen – ei-nen Ausflug, wie sie ihn zuvor Dutzende von Malen unternommenhatten. Gab es jenseits des Tales etwas, wovor sie sich fürchten muss-ten? Sie blickte finster drein, als sie an die Besorgnis dachte, die ihreMutter ausgesprochen hatte. Nun auch noch Rone. Der Hochländerwar nicht so schnell wie sie bei der Hand gewesen, die Geschichtenvon Mordgeistern als Gerüchte abzutun. Vielmehr war er sogar au-ßergewöhnlich zurückhaltend gewesen. Normalerweise hätte Rone

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solche Geschichten ebenso wie sie lachend als Unfug verspottet. Wa-rum nicht diesmal? Möglicherweise, dachte sie, hatte er Grund, sienicht als lächerlich abzutun.

Eine halbe Stunde verstrich, dann tauchten allmählich die Lichterdes Dorfes zwischen den Bäumen des Waldes auf. Nun war es dun-kel, und sie hielten sich mit Hilfe des hellen Mondenscheins an ihrenWeg. Der Pfad führte hinab in die geschützte Senke, wo das Dorf lag,und verbreiterte sich schließlich vom Fußweg zur Landstraße. Häu-ser tauchten auf; aus ihrem Innern ließ sich der Klang von Stimmenvernehmen. Brin fühlte, wie die erste Spur von Müdigkeit über siehinwegstrich. Es täte gut, in ihr behagliches Bett zu kriechen und dieganze Nacht durchzuschlafen.

Sie gingen hinab durch die Mitte von Shady Vale und kamen andem alten Gasthof vorüber, der so viele Generationen lang von derOhmsford-Familie geführt worden war, der er gehörte. Das Hauswar immer noch im Besitz der Familie, doch die Ohmsfords lebtendort nicht mehr – nicht seit dem Dahinscheiden von Shea und Flick.Freunde der Familie führten inzwischen das Gasthaus und teilten Be-triebskosten und Einkünfte mit Brins Eltern. Brin wusste, dass sichihr Vater im Gasthaus niemals wohl gefühlt hatte, denn er besaß kei-ne Beziehung zu diesem Geschäft und zog sein Leben als Heiler demeines Wirtes vor. Nur Jair zeigte echtes Interesse an den Geschehnis-sen des Wirtshauses und das deshalb, weil er so gerne die Geschich-ten hörte, welche die Reisenden mit nach Shady Vale brachten – Ge-schichten voller Abenteuer, die den Geist des ruhelosen Tiefländersbefriedigen konnten.

An diesem Abend herrschte viel Betrieb im Gasthaus, die breitenDoppeltüren wurden aufgestoßen, drinnen fiel Licht über Tische undeine lange Theke, an der sich Reisende und Leute aus dem Dorfdrängten, lachten und scherzten und den kühlen Herbstabend übereinem oder zwei Glas Bier zubrachten. Rone grinste über die Schul-ter hinweg Brin an und schüttelte den Kopf. Keiner wartete begierigdarauf, dass dieser Tag zu Ende ging.

Wenige Augenblicke später erreichten sie das Haus der Ohmsfords,

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ein Bauernhaus aus gemörteltem Stein inmitten von Bäumen auf ei-nem kleinen Hügel. Sie hatten den halben Pflasterweg zurückgelegt,der zwischen Heckenreihen und blühenden Pflaumenbäumen zurEingangstür führte, als Brin sie plötzlich zum Anhalten veranlasste.

Im vorderen Zimmer brannte Licht.»Hat einer von euch heute früh, als wir gingen, eine Lampe bren-

nen lassen?«, fragte sie ruhig und wusste die Antwort schon. Beideschüttelten die Köpfe.

»Vielleicht hat jemand zu einem Besuch hereingeschaut«, meinteRone.

Brin blickte ihn an. »Das Haus war abgeschlossen.«Sie starrten einander wortlos einen Augenblick lang an, und ein va-

ges Gefühl von Unbehaglichkeit beschlich sie. Jair jedoch empfandnichts dergleichen.

»Na, dann lasst uns hineingehen und sehen, wer da ist«, erklärte erund setzte sich in Bewegung.

Rone legte ihm eine Hand auf die Schulter und zog ihn zurück.»Nur einen Moment, Tiger. Lass uns nichts überstürzen.«

Jair riss sich los, schaute wieder zu dem Licht und zurück zu Rone.»Was glaubst du denn, wer da drinnen auf uns wartet – einer von denWandlern?«

»Wirst du wohl mit dem Unsinn aufhören!«, befahl Brin in schar-fem Ton.

Jair feixte. »Das dachtest du doch tatsächlich, wie? Einer von denWandlern, der gekommen ist, uns zu holen!«

»Wie nett von ihnen, Licht für uns gemacht zu haben«, bemerkteRone trocken.

Sie starrten wieder unentschlossen zu dem Lichtschein im Fenster.»Nun, wir können nicht die ganze Nacht hier draußen stehen blei-

ben«, entschied Rone schließlich. Er griff über seine Schulter nachhinten und zog das Schwert von Leah aus der Scheide. »Sehen wirdoch einmal nach. Ihr zwei haltet euch hinter mir. Wenn irgendetwaspassiert, lauft zum Gasthaus zurück und holt Hilfe.« Er zögerte.»Nicht dass ich damit rechne, dass irgendetwas passieren wird.«

UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Terry Brooks

Shannara IIIDas Zauberlied/Der König/Die ErlösungDrei Folgen in einem Band!

Taschenbuch, Broschur, 608 Seiten, 12,5 x 18,3 cm1 farbige AbbildungISBN: 978-3-442-24289-4

Blanvalet

Erscheinungstermin: Juni 2004

Ein uraltes Grauen regt sich in den Vier Ländern und droht, die Menschheit zu vernichten. Dabegeben sich der Druide Allanon und das magisch begabte Mädchen Brin auf einen Weg vollerGefahren, um die Katastrophe abzuwehren.