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Sheldrake, Rupert - Das schöpferische Universum

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  • Das Universum richtet sich nicht nurnach unvernderlichen starren Mustern,sondern folgt auch Gewohnheiten -Muster, die im Lauf der Zeit durch dieWiederholung von Ereignissen entste-hen. Nicht nur materiell-energetischessteuert den Kosmos sondern auch un-sichtbare, organisierende Felder, Blau-pausen fr alle Formen, alles Verhalten.Diese sensationelle Theorie des ange-sehenen britischen Biologen RupertSheldrake besagt: Jeder Form und je-dem Verhalten liegen neben genetischbedingten Ursachen unsichtbare Kon-struktionsplne zugrunde - transzen-dente morphogenetische Felder pr-gen und steuern die gesamte belebtewie unbelebte Schpfung. Und obwohldiese Felder frei von Materie und Ener-gie sind, wirken sie doch ber Raum undZeit - und knnen auch ber Raum undZeit hinweg verndert werden.Wann immer Atome, Molekle, Zellenoder Organismen (morphische Einhei-ten) zum ersten Mal auftauchen, erzeu-gen sie ein morphogenetisches Feld,das fortan alle folgenden Einheiten dergleichen Art prgt. Eignet sich ein Ange-hriger einer biologischen Gattung einneues Verhalten an, wird sein morpho-genetisches Feld verndert. Behlt ersein neues Verhalten lange genug bei,beeinflut die morphische Resonanz,eine Wechselwirkung zwischen allenGattungsangehrigen, die gesamteGattung.Phnomene, die von der Wissenschaftbislang nicht erklrt werden konnten,dienen dieser Hypothese als Beleg: DieSynthese organischer Stoffe gelingt denChemikern um so schneller, je hufigerzuvor entsprechende Versuche glck-ten - gleich, an welchem Ort der Welt;untrainierte Ratten, in New York City et-wa, die den Ausgang eines Wasserlaby-rinths suchen, kommen schneller ansZiel, wenn Artgenossen vorher in einemanalogen Experiment, z. B. in Neu Delhi,erfolgreich waren - ohne, da zwischenihnen eine wie immer geartete Verbin-dung bestanden hat.

  • RUPERT SHELDRAKE

    DASSCHPFERISCHE

    UNIIVERSUM

    Die Theorie desmorphogenetischen

    Feldes

    Meyster

  • Die Originalausgabe erschien 1981 unter dem Titel A New Science ofLife bei Blond & Briggs Limited, London

    Aus dem Englischen von Waltram Landman und Klaus Wessel

    Fr Dom Bede Griffiths, O.S.B.

    A. Rupert Sheldrake 1981 1983 der deutschsprachigen Ausgabe: Meyster Verlag GmbH.,8000 Mnchen 19Schutzumschlag: Cooperation, MnchenSatz: Fotosatz Pfeifer, GermeringDruck und Bindung: Franz Spiegel Buch GmbH., UlmISBN 3-8131-8129-4Printed in Germany

  • INHALT

    Vorwort 9Einleitung 11

    1 Die ungelsten Probleme der Biologie 151.1 Der Hintergrund des Erfolgs 151.2 Die Probleme der Morphogenese 171.3 Verhalten 201.4 Evolution 221.5 Der Ursprung des Lebens 231.6 Grenzen des physikalischen Ansatzes 241.7 Psychologie 241.8 Parapsychologie 261.9 Schlufolgerungen 28

    2 Drei Theorien der Morphogenese 302.1 Beschreibung des normalen Entwicklungsverlaufs

    und experimentelle Forschung 302.2 Mechanistischer Ansatz 322.3 Der Vitalismus 412.4 Der Organizismus 48

    3 Der Ursprung der Formen 523.1 Das Problem der Form 523.2 Form und Energie 573.3 Die Voraussage von chemischen Strukturen 613.4 Die formbildende Verursachung 68

    4 Morphogenetische Felder 724.1 Morphogenetische Keime 724.2 Chemische Morphogenese 754.3 Morphogenetische Felder als

    Wahrscheinlichkeitsstrukturen 794.4 Wahrscheinlichkeitsprozesse in biologischer

    Morphogenese 814.5 Morphogenetische Keime in biologischen Systemen . . 85

  • 5 Der Einflu vergangener Formen 885.1 Bestndigkeit und Wiederholung von Formen 885.2 Die allgemeine Mglichkeit berzeitlicher kausaler

    Verknpfungen 905.3 Morphische Resonanz 915.4 Der Einflu der Vergangenheit 925.5 berlegungen zu einer abgeschwchten morphischen

    Resonanz 985.6 Ein mglicher experimenteller Test , . . . . 100

    6 Formbildende Verursachung und Morphogenese 1056.1 Aufeinanderfolgende Morphogenesen 1056.2 Die Polaritt morphogenetischer Felder 1066.3 Die Gre morphogenetischer Felder 1076.4 Die wachsende Spezifizierung morphischer Resonanz

    whrend der Morphogenese 1086.5 Die Erhaltung und Stabilitt der Form 1096.6 Eine Anmerkung zum physikalischen Dualismus . . .1106.7 Eine Zusammenfassung der Hypothese der form-

    bildenden Verursachung 112

    7 Die Vererbung der Formen 1167.1 Genetik und Vererbung 1167.2 Vernderte morphogenetische Keime 1187.3 Vernderte morphogenetische Entwicklungswege . . . 1227.4 Dominanz 1237.5 hnlichkeit von Familien 1267.6 Umwelteinflu und morphische Resonanz 1277.7 Die Vererbung erworbener Eigenschaften 129

    8 Die Evolution biologischer Formen 1338.1 Die neodarwinistische Evolutionstheorie 1338.2 Mutationen 1368.3 Die Verzweigung der Chreoden 1378.4 Die Unterdrckung von Chreoden . . . . . " 1408.5 Die Wiederholung von Chreoden 1418.6 Der Einflu anderer Arten 1438.7 Der Ursprung neuer Formen 145

  • 9 Bewegung und motorische Felder 1479.1 Einfhrung 1479.2 Bewegungen von Pflanzen 1489.3 Amboide Bewegung 1519.4 Die wiederholte Morphogenese spezialisierter Strukturen 1529.5 Nervensysteme 1549.6 Morphogenetische und motorische Felder 1579.7 Motorische Felder und Sinneswahrnehmung 1619.8 Regulation und Regeneration 162

    10 Instinkt und Lernen 16510.1 Der Einflu vergangenen Verhaltens 16510.2 Instinkt . . . 16810.3 Signalreize 16910.4 Lernen 17110.5 Angeborene Lerntendenzen 175

    11 Vererbung und Evolution des Verhaltens 17811.1 Die Vererbung des Verhaltens 17811.2 Morphische Resonanz und Verhalten: Ein Experiment . 18011.3 Die Evolution des Verhaltens 18711.4 Menschliches Verhalten 189

    12 Vier mgliche Schlufolgerungen 19312.1 Die Hypothese formbildender Verursachung 19312.2 Modifizierter Materialismus 19412.3 Das bewute Selbst 19612.4 Das kreative Universum 20012.5 Transzendente Wirklichkeit 201

    Anmerkungen 203Literatur 215Register 223Wettbewerbs-Informationen 231

  • Vorwort

    Fr die meisten Biologen sind lebende Organismen nichts weiter alskomplexe Maschinen, die ausschlielich von den bekannten Gesetzender Physik und Chemie gelenkt werden. Ich selbst war auch dieser Mei-nung. Aber im Laufe einer Reihe von Jahren kam ich zu der Einsicht,da eine solche Annahme schwer zu rechtfertigen ist. Nachdem wir tat-schlich erst so wenig wissen, knnten dann nicht wenigstens einigePhnomene des Lebens von noch vollkommen unbekannten Gesetzenoder Faktoren der Naturwissenschaften abhngen?

    Je mehr ich ber die ungelsten Probleme der Biologie nachdachte,um so berzeugter wurde ich, da der konventionelle Ansatz unntigeng gefat ist. Ich begann, mir den mglichen Horizont einer weiterge-faten Wissenschaft vom Leben vorzustellen, wobei die in diesem Buchniedergelegte Hypothese allmhlich Form gewann. Wie jede neue Hy-pothese ist sie im Kern spekulativ und wird erst experimentell berprftwerden mssen, bevor ihre Bedeutung beurteilt werden kann. Mein In-teresse an diesen Problemen ergab sich aus meiner seit 1966 bestehen-den Verbindung zu einer Gruppe von Wissenschaftlern und Philoso-phen, die sich zur Erforschung der Grenzgebiete zwischen Wissen-schaft, Philosophie und Religion zusammengefunden hatten. DieseGruppe, die sich die Epiphania-Philosophen nannte, sorgte fr vieleGelegenheiten zu Diskussionen auf Seminaren und informellen Treffenin Cambridge und bei Aufenthalten an der Kste von Norfolk in Burn-ham Overy Staithe. Folgenden Mitgliedern dieser Gruppe fhle ichmich in besonderem Mae zu Dank verpflichtet: Prof. Richard Braith-waite, Margaret Mastermann, Reverend Geoffrey und Gladys Keable,Joan Miller, Dr. Ted Bastin, Dr. Christopher Clarke und Prof. DorothyEmmet, der Herausgeberin von Theoria to Theory, der vierteljhrlicherscheinenden Zeitschrift der Gruppe.

    Als ich von 1974-78 in Indien am Internationalen Getreidefor-schungs-Institut fr die semiariden Tropen arbeitete, hatte ich vielegewinnbringende Diskussionen mit Freunden und Kollegen in Hydera-bad, und die inzwischen verstorbene Mrs. J.B.S. Haidane berlie mirgrozgigerweise ihre umfangreiche Bcherei.

  • Der erste Entwurf zu diesem Buch entstand whrend eines einein-halbjhrigen Aufenthaltes im Shantivanam-Ashram, im Trichinopoly-Distrikt von Tamil Nadu. Den Mitgliedern der Gemeinschaft danke ichfr ihre Hilfe, mir den Aufenthalt dort so angenehm wie mglich zu ma-chen. Mein Dank gilt in besonderem Mae Dom Bede Griffiths, demdieses Werk gewidmet ist. Dina Nanavathy von der British Council Li-brary in Bombay versorgte mich freundlicherweise mit den Bchern,die ich brauchte.

    Nach meiner Rckkehr nach England wurde mir bei der Nieder-schrift und der Durchsicht meines zweiten Entwurfs in hohem MaeHilfe zuteil durch den Rat und die Ermutigung meiner Freunde unddurch die Kritik und die Kommentare von mehr als fnfzig Personen,die die verschiedenen Manuskripte lasen. Insbesondere mchte ichdanken Anthony Appiah, Dr. John Beioff, Prof. Richard Braithwaite,Dr. Keith Campbell, Jennifer Chambers, Dr. Christopher Clarke, derMarchioness of Dufferin and Ava, Prof. Dorothy Emmet, Dr. RogerFreedman, Dr. Alan Gauld, Dr. Brian Goodwin, Dr. John Green, Da-vid Hart, Prof. Mary Hesse, Gladys Keable, Dr. Richard LePage, Mar-garet Masterman, Prof. Michael Morgan, Frank O'Meara, JeremyPrynne, Anthony Ramsay, Julian Robertson, Dr. Tsui Sachs, Prof.W.H. Thorpe, F.R.S., Dr. Ian Thompson, Mrs. R. Tickeil (ReneeHaynes), Pater E. Ugarte, S.J., und Dr. Norman Williams.

    Danken mchte ich auch besonders Dr. Keith Roberts fr die Anfer-tigung der Zeichnungen und Diagramme in diesem Buch. Dr. PeterLawrence war so freundlich, die Fruchtfliegen zu besorgen, nach denendie Zeichnungen in Abb. 17 angefertigt wurden, und Brian Snoad be-sorgte die Erbsenbltter, die in Abb. 18 zu sehen sind.

    Ich danke ebenfalls Mohammed Ibrahim, Pat Thoburn und EithneThompson fr das Tippen der Entwrfe, und Philip Kestelman undJenny Reed fr ihre Hilfe bei der Durchsicht des Manuskripts.

    Hyderabad, Mrz 1981

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  • Einleitung

    Der orthodoxe Ansatz der Biologie ist heute durch die mechanistischeTheorie des Lebens gegeben: Lebende Organismen werden als physi-kochemische Maschinen gesehen, und smtliche Lebensphnomeneglaubt man in Begriffen der Physik und Chemie ausdrcken zu kn-nen1*. Dieses mechanistische Paradigma ist keineswegs neu2, es ist inder Tat seit mehr als einem Jahrhundert bestimmend. Der wesentlich-ste Grund dafr, warum ihm die meisten Biologen treu bleiben, ist seineFunktionsfhigkeit. Es liefert ein Denkmodell, und in diesem Rahmenknnen Fragen ber die physikochemischen Mechanismen von Lebens-prozessen gestellt und beantwortet werden.

    Fr diesen Ansatz sprechen auch spektakulre Erfolge wie die Ent-schlsselung des DNS-Codes. Dennoch haben Kritiker gute Grndevorgebracht, die es zweifelhaft erscheinen lassen, da alle Lebensph-nomene, darunter auch das menschliche Verhalten, auf ausschlielichmechanistische Weise gedeutet werden knnen3. Doch selbst wenn maneine strikte Begrenzung des mechanistischen Ansatzes nicht nur inpraktischer, sondern auch in grundstzlicher Hinsicht zuliee, knnteman ihn nicht einfach aufgeben. Er ist zur Zeit der einzige fr die expe-rimentelle Biologie verfgbare Ansatz, und zweifellos wird man ihmfolgen, bis sich eine positive Alternative findet.

    Jede Theorie, die imstande ist, die mechanistische Theorie zu erwei-tern oder ber sie hinauszugehen, wird mehr leisten mssen als nur zubehaupten, da Leben Qualitten oder Faktoren beinhaltet, die vonden Naturwissenschaften bisher noch nicht erkannt worden sind: Siewird erklren mssen, was diese Qualitten oder Faktoren sind, wie siewirken und in welcher Verbindung sie zu den bekannten physikochemi-schen Prozessen stehen.

    Am einfachsten wre die mechanistische Theorie zu modifizieren,wenn man voraussetzte, die Lebensphnomene beruhten auf einemneuen Typ eines Kausalfaktors, der den Naturwissenschaften unbe-kannt ist und mit physikochemischen Prozessen in lebenden Organis-

    * Diese und alle weiteren Anmerkungen befinden sich auf den SS. 203 ff.

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  • men zusammenwirkt. Verschiedene Versionen dieser vitalistischenTheorie sind in diesem Jahrhundert zur Diskussion gestellt worden4,keiner ist jedoch gelungen, berprfbare Aussagen zu machen oderneue Formen des Experimentes vorzuschlagen. Wenn, um Sir KarlPopper zu zitieren, das Kriterium des wissenschaftlichen Ranges einerTheorie in ihrer Falsifizierbarkeit oder Widerlegbarkeit oder berprf-barkeit liegt5, dann ist es dem Vitalismus nicht gelungen, sich zu quali-fizieren.

    Die organizismische oder holistische Philosophie vermittelt einemglicherweise noch radikalere Revision der mechanistischen Theorie.Diese Philosophie leugnet, da sich alles im Universum gewissermaenvon Grund auf in der Sprache der Eigenschaften von Atomen oder garaller hypothetischen letzten Bausteine der Materie erklren lt.Vielmehr erkennt sie die Existenz hierarchisch organisierter Systemean, die auf allen Ebenen unterschiedlicher Komplexitt Eigenschaftenaufweisen und die nicht vollstndig begriffen werden knnen, wennman sie voneinander isoliert betrachtet. Auf jeder Stufe ist das Ganzemehr als die Summe seiner Teile. Man kann sich diese Ganzheiten alsOrganismen vorstellen, wobei dieser Begriff in einem bewut weitge-faten Sinne verstanden wird, um nicht allein Tiere, Pflanzen, Organe,Gewebe und Zellen einzuschlieen, sondern auch Kristalle, Molekle,Atome und subatomare Teilchen. Diese Philosophie zielt letztlich aufeinen Wechsel vom Paradigma der Maschine zum Paradigma des Orga-nismus in den biologischen und den physikalischen Wissenschaften. InA.N. Whiteheads bekanntem Satz heit es: Biologie ist das Studiumder greren Organismen, Physik das Studium der kleineren Orga-nismen.6

    Verschiedene Spielarten dieser organizismischen Philosophie sindseit ber fnfzig Jahren von vielen Autoren befrwortet worden, auchvon Biologen7. Doch wenn der Organizismus einen mehr als nur ober-flchlichen Einflu auf die Naturwissenschaften nehmen will, mu erfhig sein, berprfbare Aussagen zu machen. Dies ist bislang nicht derFall gewesen8.

    Die Grnde fr dieses Versagen lassen sich am deutlichsten in jenenBereichen der Biologie aufzeigen, in denen die organizismische Philo-sophie am einflureichsten war, nmlich in der Embryologie und derEntwicklungsbiologie.

    Das bedeutendste bislang zur Diskussion gestellte organizismischeKonzept ist das der morphogenetischen Felder9. Diese Felder sollen da-zu dienen, die Entstehung der charakteristischen Formen von Embryosund anderer sich entwickelnder Systeme zu beschreiben oder zu erkl-

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  • ren. Problematisch ist jedoch, da dieser Ansatz in einem mehrdeuti-gen Sinne gebraucht wird. Der Begriff selbst scheint auf die Existenzeiner neuen Art eines physikalischen Feldes zu zielen, welches eine be-stimmte Rolle bei der Ausbildung einzelner Formen spielt. Einige orga-nizismische Theoretiker bestreiten jedoch, die Existenz eines neuenTypus eines Feldes, einer Daseinsform oder eines von der Physik bis-lang unerkannten Faktors suggerieren zu wollen10; vielmehr gebrauch-ten sie diese organizismische Theorie, um einen neuen Weg der Spracheber komplexe physikochemische Systeme zu erffnen11. Diese Art desVorgehens scheint nicht sehr weit zu fhren. Das Konzept morphoge-netischer Felder kann nur unter der Voraussetzung, da es zu berprf-baren Aussagen fhrt, die sich von denen der konventionellen mechani-stischen Theorie unterscheiden, von praktischem wissenschaftlichenWert sein. Aussagen dieser Art aber sind nur dann mglich, wenn mandavon ausgehen kann, da morphogenetische Felder mebare Auswir-kungen haben.

    Die Hypothese, die mit diesem Buch aufgestellt wird, beruht auf derVorstellung, da morphogenetische Felder in der Tat physikalische Ef-fekte haben. Sie besagt weiter, da spezifische morphogenetische Fel-der fr die charakteristische Form und Organisation von Systemen aufallen Ebenen unterschiedlicher Komplexitt zustndig sind, und diesnicht allein im biologischen Bereich, sondern auch in den Bereichen derChemie und Physik. Diese Felder ordnen die Systeme, mit denen sieverbunden sind, indem sie auf Ereignisse einwirken, die energetisch ge-sehen, als indeterminiert oder wahrscheinlichkeitsbedingt erscheinen;sie legen den potentiell mglichen Ergebnissen physikalischer Prozessebestimmte Beschrnkungsmuster auf.

    Wenn morphogenetische Felder fr die Organisation und die Formmaterieller Systeme verantwortlich sind, mssen sie selbst charakteri-stische Strukturen aufweisen. Woher also kommen diese Feldstruktu-ren? Die Antwort, die wir vorschlagen, besagt, da sie sich von mor-phogenetischen Feldern ableiten, die ihrerseits mit frheren hnlichenSystemen verbunden sind: Die morphogenetischen Felder aller vergan-genen Systeme werden fr jedes folgende System gegenwrtig, dieStrukturen vergangener Systeme wirken auf folgende hnliche Systemedurch einen sich verstrkenden Einflu, der ber Raum und Zeit hinauswirksam ist.

    Aus dieser Hypothese folgt, da Systeme in einer bestimmten Weiseorganisiert werden, weil hnliche Systeme auf eben diese Weise in derVergangenheit organisiert wurden. So kristallisieren die Molekleeines komplexen organischen Prparats deshalb zu einem charakteristi-

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  • sehen Muster, weil die gleiche Substanz auf diese Art zuvor kristallisier-te; eine Pflanze nimmt die fr ihre Art charakteristische Form an, weilfrhere Exemplare ihrer Art die gleiche Form annahmen; und ein Tierhandelt instinktiv auf eine bestimmte Weise, weil hnliche Tiere sichzuvor ebenso verhielten.

    Gegenstand der Hypothese ist die Wiederholung von Formen undOrganisationsmustern. Die Frage nach dem Ursprung dieser Formenund Muster liegt auerhalb ihres Betrachtungsfeldes. Es gibt mehrereunterschiedliche Mglichkeiten, diese Frage zu beantworten, doch jededieser Mglichkeiten scheint gleichermaen mit dem Medium der Wie-derholung vereinbar12.

    Von dieser Hypothese lt sich eine Vielzahl berprfbarer Aussa-gen ableiten, die sich entscheidend von denen der konventionellen me-chanistischen Theorie unterscheiden. Ein einziges Beispiel mag gen-gen: Wenn ein Tier, beispielsweise eine Ratte, lernt, ein neues Verhal-tensmuster auszufhren, so wird sich fr jede folgende Ratte (derselbenArt, unter den gleichen Bedingungen gezchtet) die Tendenz zeigen,die Ausfhrung desselben Verhaltensmusters schneller zu erlernen.Brchte man zum Beispiel Tausenden von Ratten in London die Aus-fhrung einer neuen Aufgabe bei, mten somit hnliche Ratten diegleiche Aufgabe in Laboratorien an beliebigen anderen Orten schnellerlernen. Me man die Lerngeschwindigkeit der Ratten in einem ande-ren Laboratorium, beispielsweise in New York, vor und nach der An-lernung der Ratten in London, mten die beim zweiten Versuch gete-steten Ratten rascher als die Ratten des ersten Versuchs gelernt haben.Dieser Effekt trte ein bei vollstndigem Fehlen jeglicher bekanntenphysikalischen Verbindung oder Informationsbermittlung zwischenden beiden Laboratorien. Bemerkenswerterweise gibt es bereits denNachweis aus Laborexperimenten, da sich der vorhergesagte Effekttatschlich einstellt13.

    Diese Hypothese, genannt Hypothese der formbildenden Verursa-chung, fhrt zu einer Interpretation vieler physikalischer und biologi-scher Phnomene, die sich radikal von der Interpretation gltiger Theo-rien abhebt. Sie ermglicht es weiter, eine Reihe wohlbekannter Pro-bleme in einem neuen Licht zu sehen. In diesem Buch wird sie in einervorlufigen Form entworfen, einige ihrer Konsequenzen werden ange-sprochen, und verschiedene Mglichkeiten, sie zu testen, werden vor-geschlagen.

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  • 1 Die ungelsten Problemeder Biologie

    1.1 Der Hintergrund des ErfolgsDas Ziel der mechanistisch biologischen Forschung hat T.H. Huxleyvon mehr als 100 Jahren so definiert:

    Die zoologische Physiologie ist die Lehre von den Funktionsablu-fen oder Vorgngen in Tieren. Sie betrachtet Tierkrper als Maschi-nen, die, von verschiedenen Krften angetrieben, einen bestimmtenBetrag an Arbeit verrichten, welche in Begriffen der bekannten Ge-setze der Natur ausgedrckt werden kann. Das hchste Ziel der Phy-siologie ist es, die Fakten der Morphologie einerseits und die derkologie andererseits von den Gesetzen der molekularen Krfte derMaterie abzuleiten.1Alle weiterfhrenden Entwicklungen der Physiologie, Biochemie,

    Biophysik, Genetik und Molekularbiologie sind hier bereits angedeu-tet. In vielerlei Hinsicht waren diese Wissenschaften auergewhnlicherfolgreich, allen voran die Molekularbiologie. Die Entdeckung derDNS-Struktur, die Entschlsselung des genetischen Codes und die Auf-klrung des Mechanismus der Proteinsynthese scheinen die Gltigkeitdes mechanistischen Ansatzes auf eindrucksvolle Weise zu besttigen.

    Die vernehmlichsten und einflureichsten Verfechter der mechani-stischen Theorie sind die Molekularbiologen. Ihre Begrndung derTheorie beginnt gewhnlich mit einer kurzen Absage an die vitalisti-schen und organizismischen Theorien. Sie werden als berbleibseleiner primitiven Glaubenslehre hingestellt, die in dem Mae, wie diemechanistische Biologie voranschreitet, immer mehr in den Hinter-grund treten mu. Die Begrndung lautet dann ungefhr wie folgt2:

    Die chemische Natur des genetischen Materials, die DNS, ist nun be-kannt und ebenso der genetische Code, wodurch sie die Aminosure-Sequenz in Proteinen codiert. Der Mechanismus der Proteinsyntheseist bis ins Detail verstanden. Die Struktur vieler Proteine ist inzwischenerarbeitet worden. Alle Enzyme sind Proteine, und Enzyme katalysie-ren die komplexen Ketten und Zyklen biochemischer Reaktionen, diein ihrer Gesamtheit den Stoffwechsel eines Organismus ausmachen.Der Stoffwechsel wird durch biochemische Rckkoppelungsprozesse

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  • gesteuert. Verschiedene Mechanismen dieser Art sind bekannt, wo-durch Enzymaktivittsraten reguliert werden knnen. Proteine undNukleinsuren schlieen sich spontan zusammen und bauen so Struktu-ren wie Viren und Ribosomen auf. Der berblick ber die vielfltigenEigenschaften von Proteinen und anderen physikochemischen Syste-men wie Lipidmembranen, reicht aus, um die Eigenschaften lebenderZellen zumindest im Prinzip vollstndig erklren zu knnen.

    Der Schlssel zu den Problemen der Differenzierung und Entwick-lung, worber bisher sehr wenig bekannt ist, liegt im Verstndnis derKontrollmechanismen der Proteinsynthese. Die Art und Weise, wie dieSynthese bestimmter Stoffwechselenzyme und anderer Proteine kon-trolliert wird, ist beim Bakterium Escherischia coli bis ins Detail er-forscht. In hheren Organismen geschieht die Kontrolle der Protein-synthese durch komplizierte Mechanismen, die aber wohl bald aufge-klrt sein werden. So wrde die Differenzierung und Entwicklung er-klrbar werden in Begriffen von Reihen chemisch arbeitender Schal-ter, die Gene oder Gengruppen ein- oder ausschalten.

    Die Art und Weise, in welcher die Teile lebender Organismen an dieFunktionen des Ganzen angepat sind, und die offensichtliche Zweck-gerichtetheit von Struktur und Verhalten lebender Organismen knnenin Begriffen von zuflligen genetischen Mutationen mit anschlieendernatrlicher Selektion erklrt werden. Folglich werden jene Gene her-ausselektiert, die die Fhigkeit eines Organismus, zu berleben undsich zu reproduzieren, verbessern. Schdliche Mutationen werdendabei ausgesondert. Somit kann die neodarwinistische Evolutionstheo-rie Zweckgerichtetheit erklren. Es ist vollkommen unntig, irgend-welche mysterisen Vitalfaktoren dafr zu bemhen.

    ber die Funktionsweise des Zentralnervensystems ist bisher sehrwenig bekannt. Durch die Fortschritte in der Biochemie, Biophysik undElektrophysiologie drfte es aber demnchst mglich sein, das, was wirGeist nennen, in Begriffen von physikochemischen Mechanismen imGehirn zu erklren. So sind lebende Organismen schlielich im Prinzipvollstndig in Begriffen der Physik und Chemie erklrbar. Unsere ge-genwrtige Unwissenheit ber die Mechanismen der Entwicklung undber das Zentralnervensystem ist auf die enorme Komplexitt der Pro-bleme zurckzufhren. Mit den leistungsstarken neuen Konzepten derMolekularbiologie und mit Hilfe von Computermodellen knnen dieseDinge aber jetzt in einem bislang nicht mglichen Umfang angegangenwerden.

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  • Im Licht vorangegangener Erfolge scheint dieser Optimismus verstnd-lich , da schlielich alle Probleme der Biologie auf mechanistische Wei-se gelst werden knnen. Aber ein realistisches Urteil ber die Aussich-ten des mechanistischen Ansatzes darf nicht allein auf der bloen Wei-terfhrung des Vergangenen beruhen. Es lt sich nur bilden nach einergenauen Betrachtung der Hauptprobleme der Biologie und der Wege,die zu ihrer denkbaren Lsung fhren knnen.

    1.2 Die Probleme der MorphogeneseBiologische Morphogenese kann definiert werden als das Auftretenvon charakteristischen und spezifischen Formen bei lebendenOrganismen3. Das erste Problem ist genau dieses, da Form berhauptentsteht. Biologische Entwicklung ist epigenetisch: Es treten neue Struk-turen auf, deren Form nicht durch Entfaltung oder Wachstum, die, schonzu Beginn der Entwicklung im Ei angelegt waren, erklrt werden kann.

    Das zweite Problem besteht darin, da viele sich entwickelnde Syste-me zur Regulation fhig sind. Wenn - in anderen Worten - ein Teil einessich entwickelnden Systems entfernt (oder ein zustzlicher hinzugefgt)wird, entwickelt sich das entsprechende System so weiter, da einemehr oder weniger normale Form entsteht. Dieses Phnomen konntevon H. Driesch Ende des letzten Jahrhunderts in den klassischen Expe-rimenten an Seeigel-Embryonen nachgewiesen werden. Wenn eine derZellen eines sehr jungen, im Zweizellstadium befindlichen Embryosabgettet wurde, veranlate die briggebliebene Zelle die Bildungnicht etwa eines halben, sondern eines zwar kleinen aber vollstndigenSeeigels. Nach Abttung von einer ,zwei oder drei Zellen von Embryo-nen im Vierzellstadium entwickeln sich ebenfalls kleine, aber vollstn-dige Organismen. Umgekehrt erbrachte die Verschmelzung zweier jun-ger Seeigel-Embryonen eine Riesenform4.

    Viele in Entwicklung befindliche Systeme lassen Regulationsvorgn-ge erkennen. Im Laufe der Entwicklung geht diese Fhigkeit jedoch oftverloren, da das Schicksal verschiedener Keimbereiche determiniertwird. Aber selbst in Systemen, wo die Determination schon in einemfrhen Stadium einsetzt, zum Beispiel bei Insektenembryonen, knnennach einem Schaden am Ei Regulationsvorgnge auftreten (Abb. 1).

    Befunde dieser Art zeigen, da in Entwicklung befindliche Organis-men einen morphologischen Endzustand ansteuern und ihn in spezifi-scher Weise realisieren knnen, selbst wenn Teile des Systems entferntwerden und der normale Verlauf der Entwicklung gestrt wird.

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  • Abb. 1 Beispiel fr Regulation. Links ein normaler Embryo der WasserjungferPlatycnemis pennipes; rechts ein kleiner, aber vollstndiger Embryo, entstandenaus der Hlfte eines Eies, das kurz nach der Ablage in der Mitte abgeschnrtwurde (nach Weiss, 1939).

    Das dritte Problem liegt im Regenerationsvermgen, wodurch Orga-nismen imstande sind, beschdigte Strukturen zu ersetzen oder wieder-zubeleben. Pflanzen zeigen eine erstaunlich groe Regenerationsfhig-keit, ebenso viele der niederen Tiere. Wenn zum Beispiel ein Strudel-wurm in mehrere Teile zerschnitten wird, kann jedes Teil einen voll-stndigen Wurm regenerieren. Selbst viele Wirbeltiere besitzen hier er-staunliche Fhigkeiten. Zum Beispiel regeneriert der Wassermolchnach der Extirpation der Augenlinse eine neue Linse aus dem Irisrand(Abb. 2). Bei normaler embryonaler Entwicklung wird die Linse aufvllig andere Weise, nmlich von der Haut, gebildet. Diese Art der Re-generation wurde zuerst von G. Wolff entdeckt. Er whlte mit Bedachteine Art der Verstmmelung, die sich nicht zufllig unter natrlichenBedingungen ereignen wrde. Es war deshalb auch nicht mit einer na-trlichen Selektion fr diesen besonderen regenerativen Proze zurechnen5.

    Das vierte Problem stellt sich durch die einfache Tatsache der Repro-duktion: Ein abgetrennter Teil des Elterntieres wird zu einem neuenOrganismus; ein Teil wird ein Ganzes.

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  • Tage nach operativer Entfernung der LinseAbb. 2 Regeneration einer Linse vom Irisrand im Auge des Wassermolchsnach operativer Entfernung der ursprnglichen Linse (Cf. Needham, 1942).

    Diese Phnomene knnen nur im Sinne kausal wirkender Erschei-nungsformen verstanden werden, die in gewisser Weise mehr sind alsdie Summe der Teile sich entwickelnder Systeme und die Endzustndeder Entwicklungsprozesse determinieren.

    Vitalisten schreiben diese Eigenschaften Vitalfaktoren zu, Anhngerdes Organizismus morphogenetischen Feldern und Anhnger des me-chanistischen Ansatzes genetischen Programmen.

    Das Konzept genetischer Programme beruht auf einer Analogie mitComputerprogrammen. Das befruchtete Ei enthlt demnach ein vorge-fertigtes Programm, welches den morphogenetischen Endzustand desOrganismus in irgendeiner Weise spezifiziert und seine Entwicklungdorthin koordiniert und kontrolliert. Das genetische Programm mujedoch mehr enthalten als die chemische Struktur der DNS, weil identi-sche Kopien der DNS auf alle Zellen bertragen werden; wenn alle Zel-len gleich programmiert wren, knnten sie sich nicht verschieden ent-wicklen. Also, was ist dieses genetische Programm genau? In Beant-wortung dieser Frage kann die Vorstellung sich nur in vagen Vermutun-gen ber physikochemische, im Raum- und Zeitmuster irgendwiestrukturierte Wechselwirkungen ergehen; das Problem wird lediglichauf eine andere Ebene verlagert6.

    Und es gibt eine weitere ernstzunehmende Schwierigkeit. Ein Com-puterprogramm wird von einem intelligenten, mit Bewutsein ausge-statteten Wesen, dem Programmierer, in einen Computer eingegeben.Es wurde entworfen und geschrieben fr einen bestimmten Auswer-tungszweck. Wenn nun das genetische Programm als Analogon zueinem Computerprogramm angesehen wird, bedeutet dies auch, da

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  • eine Zweckgerichtetheit vorhanden ist, die die Rolle des Programmie-rers bernimmt. Wenn aber behauptet wird, da genetische Program-me gewhnlichen Computerprogrammen nicht analog sind, sonderneher denen sich selbst erneuernder und selbst organisierender Compu-ter gleichen, dann besteht das Problem darin, da es solche Computernicht gibt. Und selbst wenn es sie gbe, mten sie erst einmal von ihrenErfindern auf die vollendetste Weise programmiert worden sein. Dereinzige Weg aus diesem Dilemma ist die Annahme, da sich das geneti-sche Programm im Laufe der Evolution durch das Zusammenwirkenvon Zufallsmutation und natrlicher Selektion herausgebildet hat.Dann aber besteht keine hnlichkeit mehr mit einem Computerpro-gramm, und die Analogie wird bedeutungslos.

    Die orthodoxen Anhnger des Mechanismus weisen die Vorstellungentschieden von sich, da das scheinbar zielgerichtete Verhalten bei derEntwicklung, Regulation und Regeneration von bzw. in Organismenvon einem Vitalfaktor gesteuert wird, der die Organismen zu ihremmorphologischen Endzustand fhrt. Sofern jedoch mechanistische Er-klrungsweisen von solchen teleologischen Konzepten wie genetischeProgramme oder genetische Anweisungen abhngen, kann sich dieProjektion der Zielgerichtetheit nur eingeschlichen haben. In der Tatzeigen die Eigenschaften, die genetischen Programmen zugeschriebenwerden, bemerkenswerte hnlichkeit mit denjenigen, mit denen dieVitalisten ihre hypothetischen Vitalfaktoren begrnden. Ironischer-weise scheint das genetische Programm einem Vitalfaktor in mechani-stischer Verkleidung sehr hnlich zu sein7.

    Die Tatsache, da biologische Morphogenese zur Zeit nicht auf striktmechanistische Weise erklrt werden kann, ist natrlich noch kein Be-weis dafr, da dies nie mglich sein wird. Die Aussichten, in Zukunftzu solch einer Erklrung zu kommen, werden im folgenden Kapitel n-her beleuchtet. Zum gegenwrtigen Zeitpunkt jedoch ist keine ber-zeugende Antwort mglich.

    1.3 Verhalten

    Sind die Probleme der Morphogenese bereits entmutigend schwierig,so trifft dies erst recht auf die des Verhaltens zu. Zum einen der In-stinkt: Man berlege einmal, wie die Spinnen dazu kommen, Netze zuweben, denn sie haben es nicht von anderen Spinnen gelernt8. Oderman vergegenwrtige sich das Verhalten des europischen Kuckucks.

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  • Die Jungen werden von anderen Vogelarten ausgebrtet und grogezo-gen und bekommen ihre Eltern nie zu sehen. Gegen Ende des Sommersfliegen die erwachsenen Kuckucke zu ihrem Winterquartier in Afrika.Etwa einen Monat spter sammeln sich die jungen Kuckucke und fliegenebenfalls zu demselben Gebiet in Afrika, wo sie sich ihren Elternanschlieen9. Ihr Instinkt sagt ihnen, da und wann sie aufbrechenmssen; auf instinktive Weise erkennen sie andere junge Kuckucke undschlieen sich mit ihnen zusammen; und ihr Instinkt verrt ihnen, inwelche Richtung sie fliegen mssen und wo ihr Bestimmungsort liegt.

    Auf ein zweites Problem lenken uns zahlreiche Beispiele der Verhal-tenssteuerung, wobei trotz Vernderungen in Teilbereichen des Ver-haltenssystems ein mehr oder weniger normales Ergebnis erreicht wird.Ein Hund beispielsweise steuert nach der Amputation eines Beines sei-ne motorische Aktivitt so, da er auf drei Beinen laufen kann. Ein wei-teres Beispiel ist ein Hund, der, nachdem ihm Teile einer Grohirnhe-misphre entfernt wurden, allmhlich die meisten seiner frheren F-higkeiten zurckgewinnt. Einem dritten Hund werden, willkrlich Hin-dernisse in den Weg gelegt. Aber alle drei Hunde knnen trotz der St-rungen ihrer motorischen Organe, ihres Zentralnervensystems oder ih-rer Umgebung von einem Ort zu einem gewnschten anderen Ort ge-langen.

    Drittens stellt sich das Problem des Lernens und des intelligentenVerhaltens. Neue Verhaltensmuster treten auf, die offenbar nicht hin-lnglich im Zusammenhang mit vorausgegangenen Ursachen erklrtwerden knnen.

    Ein Meer von Unkenntnis liegt zwischen diesen Phnomenen undden bestehenden Fakten der Molekularbiologie. Wie zum Beispiel istdas Wanderverhalten junger Kuckucke letztlich in Begriffen der DNSund der Proteinsynthese erklrbar? Begreiflicherweise sollte von einerbefriedigenden Erklrung mehr zu erwarten sein als die Beweisfh-rung, da passende Gene mit entsprechenden DNS-Basen-Sequenzenfr dieses Verhalten notwendig sind, oder da das Verhalten von Kuk-kucken auf elektrischen Nervenimpulsen beruht; es wre notwendig,die Beziehungen zwischen spezifischen Basensequenzen der DNS, demNervensystem des Vogels und dem Zugvogelverhalten zu verstehen.Momentan kann diese Beziehung nur auf der Basis der gleichen unzu-lnglichen Begriffe hergestellt werden, die alle morphogenetischenPhnomene erklren: vitale Faktoren, morphogenetische Felderoder genetische Programme.

    Zudem setzt ein Verstndnis des Verhaltens ein Verstndnis derMorphogenese voraus. Selbst wenn beispielsweise das Verhalten eines

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  • vergleichsweise einfachen Tieres niederer Entwicklungsstufe, etwaeines Fadenwurmes, in allen Einzelheiten im Kontext eines Schaltbil-des verstanden werden knnte, bliebe noch immer die Frage, wie sichdas Nervensystem mit dieser charakteristischen Anlage eines Schaltsy-stems in dem sich entwickelnden Tier ausbilden konnte.

    1.4 Evolution

    Lange bevor man etwas von den Mendelschen Vererbungsregeln wu-te, wurden viele unterschiedliche Pflanzenarten und Haustierrassen se-lektiv gezchtet. Da sich eine vergleichbare Entwicklung von Rassenund Varietten in der freien Natur unter dem Einflu natrlicher stattknstlicher Auswahl vollzieht, steht auer Zweifel. Die neodarwinisti-sche Evolutionstheorie beansprucht fr sich, diese Form der Evolutionmit zuflligen Mutationen, den Mendelschen Regeln und der natrli-chen Selektion erklren zu knnen. Aber selbst im Rahmen des mecha-nistischen Denkens gilt es keineswegs als ausgemacht, da dieser Typuseiner Mikroevolution innerhalb einer Art fr den Ursprung von Arten,Gattungen, Familien oder hheren taxonomischen Gliederungen ver-antwortlich ist. Die eine Denkrichtung behauptet, da die Makroevolu-tion in Verbindung mit Langzeitprozessen innerhalb der Mikroevolu-tion selbst erklrt werden kann10; die andere Richtung wiederum leug-net diese Deutung und behauptet, da sich bedeutende Sprnge pltz-lich im Laufe der Evolution vollziehen11. Obgleich die Aussichten in-nerhalb der mechanistischen Biologie hinsichtlich der relativen Bedeu-tung vieler kleiner Mutationen bzw. einiger weniger groer Mutationenin der Makroevolution auseinandergehen, besteht doch allgemeinebereinstimmung darber, da diese Mutationen zuflliger Art sindund da sich die Evolution als eine Kombination von zuflliger Muta-tion und natrlicher Selektion erklren lt.

    Diese Theorie wird letztlich jedoch immer spekulativ bleiben. DasBeweismaterial fr die Evolution, das in erster Linie die fossile Vergan-genheit liefert, wird immer eine Vielzahl von Interpretationen zulassen.So knnen zum Beispiel Gegner der mechanistischen Theorie argumen-tieren, da sich evolutionre Neuerungen nur bedingt mit Zufallsereig-nissen erklren lassen, sondern vielmehr dem Wirken .eines schpferi-schen Prinzips zuzuschreiben sind, das von der mechanistischen Wis-senschaft nicht erkannt worden ist. Schlielich kann der Selektions-druck, der sich aus dem Verhalten und den Eigenschaften der lebendenOrganismen ergibt, selbst als abhngig angesehen werden von einem in-

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  • neren organisierenden Faktor, der im wesentlichen nicht-mechanistischist.

    Deshalb lt sich das Problem der Evolution nicht schlssig lsen. Zuden vitalistischen und organizismischen Theorien gehrt notwendiger-weise eine Weiterfhrung vitalistischer und organizismischer Vorstel-lungen, ebenso wie die neodarwinistische Theorie eine Weiterfuhrungmechanistischer Ideen erfordert. Dies ist unvermeidlich, denn manwird die Evolution immer in der Begriffssprache von Vorstellungendeuten mssen, die bereits auf anderen Ebenen gebildet wurden.

    1.5 Der Ursprung des LebensDieses Problem ist nicht minder unlsbar als das der Evolution, unddies aus den gleichen Grnden. Zum einen wird man nie mit Sicherheitwissen, was sich in der fernen Vergangenheit abspielte. Wir werden im-mer eine berflle an Spekulationen haben, unter welchen Umstndender Ursprung des Lebens auf der Erde stattgefunden hat. GegenwrtigeSpekulationen legen den Ursprung des Erdenlebens in die Ursuppe;sie gehen auch von der Infektion der Erde durch Mikroorganismenaus, die eigens von intelligenten Wesen eines Planeten in einem ande-ren Sonnensystem per Raumschiff verschickt wurden12; oder sie spre-chen von der Evolution des Lebens auf Kometen mit organischen Sub-stanzen, die von interstellarem Staub stammen 13. Zweitens: Selbstwenn die Bedingungen, unter denen Leben entstand, bekannt wren,wrfe dieses Wissen kein Licht auf die Natur des Lebens. Angenommenbeispielsweise, es liee sich nachweisen, da die lebenden Organismenin der Ursuppe aus nichtlebenden chemischen Aggregaten oder ausHyperzyklen chemischer Prozesse entstanden sind14, wre dies kein Be-weis, da diese Organismen voll und ganz mechanistischer Art sind.Die Vertreter der organizismischen Theorie wren in jedem Fall in derLage, dem entgegenzuhalten, da damals neue organizismische Merk-male auftauchten. Und die Vitalisten wrden darauf verweisen, da derFaktor Leben genau dann Einla in das erste lebende System fand, alsdieses selbst zum ersten Mal ins Leben trat. Die gleichen Argumentetrfen selbst dann zu, wenn es jemals gelingen sollte, lebende Organis-men knstlich in der Retorte zu erzeugen.

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  • 1.6 Grenzen des physikalischen AnsatzesDie mechanistische Theorie postuliert, da smtliche Lebensphnome-ne, darunter das menschliche Verhalten, prinzipiell in physikalischenBegriffen erklrt werden knnen. Abgesehen von anderen Problemen,die sich aus speziellen Theorien der modernen Physik ergeben oder ausKonflikten zwischen diesen, ist diese Forderung aus zumindest zweientscheidenden Grnden problematisch.

    Zunchst einmal knnte die mechanistische Theorie nur dann gltigsein, wenn die physikalische Welt kausal in sich geschlossen wre. Be-zogen auf das menschliche Verhalten wre dies der Fall, wenn mentaleZustnde entweder keinerlei Wirklichkeit htten oder auf irgendeineWeise mit physischen Zustnden des Krpers identisch wren oder pa-rallel dazu verliefen oder ihre Begleiterscheinungen wren. Wre aberauf der anderen Seite das Mentale nichtphysischer Natur und dennochkausal wirksam, also fhig, mit dem Krper zu interagieren, dann lieesich das menschliche Verhalten nicht vollstndig in physikalischen Be-griffen beschreiben. Die verfgbaren Belege knnen in keiner Weisedie Mglichkeit des Zusammenwirkens von Krper und Geistausschlieen15. Zur Zeit lt sich auf empirischer Ebene keine definiti-ve Entscheidung zwischen der mechanistischen und der Interaktions-theorie fllen. Aus naturwissenschaftlicher Sicht bleibt die Frage offen.Aus diesem Grunde ist es denkbar, da zumindest menschliches Ver-halten - nicht einmal prinzipiell - vollstndig in physikalischen Begrif-fen erklrbar ist.

    Zweitens fhrt der Versuch, mentale Aktivitt von den Naturwissen-schaften her zu erklren, scheinbar zwangslufig in einen Kreislauf,weil ja die Wissenschaft selbst auf mentaler Aktivitt beruht16. DiesesProblem ist in der modernen Physik in Verbindung mit der Rolle desBetrachters physikalischer Mevorgnge offenkundig geworden; dieGrundlagen der Physik lassen sich ohne (wenn auch mitunter nur im-pliziten) Bezug auf die Eindrcke - und damit auf das Bewutsein derBeobachter - nicht formulieren (B. D'Espagnat)17. Nachdem also diePhysik das Bewutsein des Betrachtenden voraussetzt, knnen diesesBewutsein und seine Eigenschaften physikalisch nicht erklrtwerden18.

    1.7 PsychologieIn der Psychologie lt sich das Problem der Beziehung zwischen Geistund Krper umgehen, indem man die Existenz mentaler Zustnde

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  • ignoriert. Dies ist der behaviouristische Ansatz, der die Aufmerksam-keit nur auf das objektiv beobachtbare Verhalten beschrnkt19. Dochder Behaviourismus stellt keine berprfbare wissenschaftliche Hypo-these dar; er ist ein methodischer Ansatz. Und als ein restriktiver psy-chologischer Ansatz ist seine Stimmigkeit in keiner Weiseselbstverstndlich20.

    Andere psychologische Schulen haben einen geradlinigeren Ansatzgewhlt und die subjektive Erfahrung als vorrangig gegebene Greakzeptiert. Fr den Zweck unserer Errterung knnen wir davon abse-hen, die verschiedenen Schulen und Systeme zu diskutieren. Ein einzel-nes Beispiel mag ausreichen, die biologischen Schwierigkeiten zu zei-gen, die sich durch psychologische Hypothesen bei einem Versuch erga-ben, empirische Beobachtungen zu deuten.

    Die psychoanalytischen Schulen setzen voraus, da viele Aspekte desVerhaltens und der subjektiven Erfahrung vom Unter- oder Unbewu-ten abhngen. Um nun die Tatsache der wachen Erfahrung und desTrumens zu erklren, mu das Unbewute mit Eigenschaften verse-hen werden, die sich von denen eines bekannten mechanischen oderphysikalischen Systems grundstzlich unterscheiden. Bei CG. Junggeht das Unbewute sogar ber die Grenzen des individuellen Bewut-seins hinaus und stellt fr jedes einzelne menschliche Bewutsein daskollektive Unbewute dar:

    Im Unterschied zur persnlichen Natur der bewuten Psyche gibt esein zweites psychisches System von kollektivem, nicht-persnlichemCharakter, neben unserem Bewutsein, das seinerseits durchaus per-snlicher Natur ist und das wir - selbst wenn wir das persnliche Un-bewute als Anhngsel hinzufgen - fr die einzig erfahrbare Psychehalten. Das kollektive Unbewute entwickelt sich nicht individuell,sondern wird ererbt. Es besteht aus prexistenten Formen, Archety-pen, die erst sekundr bewut werden knnen, und den Inhalten desBewutseins fest umrissene Formen verleihen.21

    Indem er andeutete, die archetypischen Formen seien im Erbgutenthalten22, versuchte Jung die Vererbung des kollektiven Unbewutenauf physikalische Weise zu erklren. Doch es erscheint sehr zweifelhaft,da sich die Inhalte der archetypischen Formen auf chemische Weise inder Struktur der DNS oder in andern physikalischen oder chemischenStrukturen im Sperma oder in den Eizellen vererben sollen. Tatschlichergibt die Vorstellung des kollektiven Unbewuten in bezug auf die ge-genwrtige mechanistische Biologie wenig Sinn, unbeschadet ihrerVerdienste als eine psychologische Theorie.

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  • Es gibt jedoch a priori keinen Grund, warum sich psychologischeTheorien auf den Rahmen der mechanistischen Theorien zu beschrn-ken haben. Sie gewinnen mehr Sinn in Verbindung mit einer interaktio-nistischen Theorie. Mentale Phnomene mssen nicht notwendig aufphysikalischen Gesetzen beruhen, sondern folgen eher eigenen Geset-zen.

    Der Unterschied zwischen dem mechanistischen und dem interaktio-nistischen Ansatz lt sich durch eine nhere Betrachtung des Problemsdes Gedchtnisses veranschaulichen. Der mechanistischen Theorie zu-folge mssen Gedchtnisinhalte auf irgendeine Weise im Gehirn ge-speichert werden. Nach einer interaktionistischen Theorie knnten dieEigenschaften des Bewutseins so beschaffen sein, da vergangenementale Zustnde in der Lage sind, gegenwrtige Zustnde direkt zubeeinflussen und dies in einer Weise, die nicht auf der Speicherung phy-sischer Gedchtnisspuren beruht23. Wenn dies zutrfe, bliebe eine Su-che nach substantiellen Gedchtnisspuren im Gehirn eindeutig frucht-los. Obgleich verschiedene mechanistische Hypothesen vorgeschlagenwurden - so zum Beispiel mit Bezug auf Nervenreflexe oder auf speziel-le RNS-Molekle -, gibt es doch keinen berzeugenden Beweis dafr,da einer der vorgeschlagenen Mechanismen tatschlich fr das Ge-dchtnis verantwortlich zu machen ist24.

    Wenn es zutrifft, da Gedchtnisinhalte im Gehirn auf nichtphysika-lische Weise gespeichert werden, dann brauchen bestimmte Formendes Gedchtnisses nicht notwendigerweise auf das individuelle Bewut-sein beschrnkt zu werden. Jungs Begriffeines ererbten kollektiven Be-wutseins mit seinen archetypischen Formen liee sich als eine Art kol-lektives Gedchtnis deuten.

    Derartige Spekulationen, im Rahmen des Interaktionismus vertret-bar, scheinen von einem mechanistischen Standpunkt aus unsinnig.Aber die mechanistische Theorie kann nicht als gesichert gelten; zurZeit ist der Gedanke, da alle Phnomene grundstzlich vom Physikali-schen her erklrbar sind, letztlich auch nur spekulativ.

    1.8 ParapsychologieDie berlieferung aller Vlker erzhlt von Mnnern und Frauen mitscheinbar wunderbaren Krften, und solche Krfte werden von smtli-chen Religionen anerkannt. In vielen Teilen der Erde werden angeblichverschiedene paranormale Fhigkeiten innerhalb eines esoterischenSystems bewut entwickelt, zum Beispiel im Schamanismus, in der

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  • Zauberei, im tantrischen Yoga oder im Spiritualismus. Selbst in der mo-dernen westlichen Gesellschaft finden sich regelmig Berichte berscheinbar unerklrbare Phnomene, wie zum Beispiel Telepathie,Hellsehen, Prkognition, Erinnerung an vergangene Leben, Spuk, Pol-tergeister, Psychokinese und dergleichen.

    Wir haben es hier offensichtlich mit einem Bereich zu tun, in demAberglaube, Schwindel und Leichtglubigkeit bestens gedeihen. Aberdie Mglichkeit, da anscheinend paranormale Phnomene vorkom-men, lt sich nicht einfach von der Hand weisen; diese Frage lt sicherst nach einer Sichtung des Beweismaterials beantworten.

    Seit fast einem Jahrhundert werden angeblich paranormale Phno-mene studiert. Obwohl die Wissenschaftler in diesem Forschungsbe-reich schon viele Flle von Betrug aufgedeckt und festgestellt haben,da einige scheinbar paranormale Ereignisse durch normale Ursachengeklrt werden knnen, so bleibt doch eine ganze Menge an Beweisen,die sich einer Deutung auf der Grundlage smtlicher bekannter physi-kalischer Grundstze zu widersetzen scheint25. Dazu kommt, da zahl-reiche Experimente mit dem Ziel, sogenannte bersinnliche Wahrneh-mung oder Psychokinese zu untersuchen, positive Resultate erbrachthaben, und dies bei einer Wahrscheinlichkeit von 1 zu 1000 bis 1 zueiner Milliarde26.

    Sollten diese Phnomene nicht mit den bekannten Gesetzen der Phy-sik und der Chemie erklrbar sind, drften sie vom konventionellenmechanistischen Standpunkt aus eigentlich nicht auftreten27. Ist diesdennoch der Fall, gibt es zwei Mglichkeiten fr ein theoretisches Mo-dell. Das eine geht von der Annahme aus, da diese Phnomene vonbislang unbekannten physikalischen Gesetzen abhngen. Der andereModelltyp geht davon aus, da sie auf nichtphysikalischen Kausalfakto-ren oder Verknpfungen sonstiger Art beruhen28. Die meisten der Hy-pothesen des zweiten Typs wurden innerhalb eines interaktionistischenRahmens entworfen. Manche Hypothesen beruhen auf Formulierun-gen der Quantentheorie und schlieen verborgene Variable odermehrgliedrige Universen ein; auerdem setzen sie voraus, da Be-wutseinszustnde bei der Bestimmung des Ausgangs von wahrschein-lichkeitsabhngigen Prozessen mitentscheiden29.

    Sowohl das Diffuse solcher theoretischer Vorschlge als auch dasletztlich Undefinierbare der angeblichen Phnomene lassen die para-psychologische Forschung nur sehr langsam vorankommen. Dies wie-derum strkt die Neigung vieler mechanistisch eingestellter Biologen,den Nachweis zu ignorieren oder gar zu leugnen, der zu zeigen scheint,da sich diese Phnomene in der Tat ereignen.

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  • 1.9 SchlufolgerungenDiese kurze Betrachtung der unerledigten noch offenen Probleme derBiologie lt der Annahme, sie lieen sich alle durch einen ausschlie-lich mechanistischen Ansatz lsen, nicht viel Spielraum. Im Falle derMorphogenese und des tierischen Verhaltens kann diese Frage als offengelten; aber die Probleme der Evolution und der Ursprung des Lebenssind per se unlsbar und knnen keine Hilfe sein, um zwischen der me-chanistischen und anderen denkbaren Theorien des Lebens zu entschei-den. Wo es um das Problem der Grenzen des physikalischen Modellsgeht, gert die mechanistische Theorie in ernsthafte philosophischeSchwierigkeiten; im Bezug auf die Psychologie weist sie keinen deutli-chen Vorteil gegenber der interaktionistischen Theorie auf; undschlielich steht sie im Konflikt mit offenkundigen Beweisen fr para-psychologische Phnomene.

    Andererseits hat das interaktionistische Modell den schwerwiegen-den Nachteil, eine Kluft zwischen Psychologie und Physik aufzureien,auch wenn es als attraktive Alternative im Bereich der Psychologie undParapsychologie erscheinen mag. Zudem sind seine weiterreichendenbiologischen Konsequenzen unklar. Denn wenn das Wechselspiel zwi-schen Geist und Krper das menschliche Verhalten beeinflut, wiesteht es dann mit dem Verhalten bei Tieren? Und wenn es sich so ver-hlt, da ein nichtphysikalischer Faktor bei der Kontrolle des Tierver-haltens eine Rolle bernimmt, knnte es dann auch bei der Kontrolleder Morphogenese eine Rolle bernehmen? Sollte man ihn in diesemFall als einen Faktor der Art sehen, wie er in vitalistischen Theorien derMorphogenese beschrieben ist? Wenn j a, in welchem Sinn wrde ein vi-taler Faktor, der die embryologische Entwicklung steuert, demmenschlichen Geist hneln?

    In einem allgemeinen biologischen Zusammenhang gesehen scheintdie interaktionistische Theorie mehr Probleme zu schaffen als zu lsen.Sie scheint auch zu keinen spezifischen berprfbaren Aussagen zu fh-ren, sieht man davon ab, da sie die Mglichkeit parapsychologischerPhnomene zult.

    Auch der organizismische Ansatz in seiner derzeitigen Form kranktan dem Nachteil, da er keine neue empirische Forschungsrichtung auf-zeigen kann. Fr die experimentelle Biologie bietet er kaum mehr alseine verschwommene Terminologie.

    Angesichts derart schwacher Alternativen wird die biologische For-schung dem mechanistischen Modell trotz seiner Begrenzungen folgenmssen. Auf diese Weise wird man zumindest einiges herausfinden,

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  • selbst dann, wenn dabei die Hauptprobleme der Biologie ungelst blei-ben. Obwohl dies langfristig die einzig mgliche Verfahrensweise ist, soerscheint es doch mit Blick auf die Zukunft vernnftig zu fragen, ob sicheine Alternative entwickeln lt, die logisch, sachspezifisch und ber-prfbar ist. Wenn es um die Formulierung einer solchen Theorie geht,finden wir im Problem der Morphogenese den wohl zugnglichstenAusgangspunkt.

    Im folgenden Kapitel werden die Mglichkeiten fr verbesserte Dar-stellungen mechanistischer, vitalistischer und organizismischer Theo-rien der Morphogenese behandelt.

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  • 2 Drei Theoriender Morphogenese

    2.1 Beschreibung des normalen Entwicklungsverlaufsund experimentelle Forschung

    Entwicklung lt sich auf sehr verschiedene Weise beschreiben. Mankann die uere Form des sich entwickelnden Tieres oder der sich ent-wickelnden Pflanze zeichnen, fotografieren, filmen und sich somit eineBilderfolge der sich wandelnden Form verschaffen. Wir knnen die in-nere Struktur, einschlielich ihrer mikroskopischen Anatomie, in ver-schiedenen Entwicklungsstadien beschreiben (Abb. 3); wir knnen Pa-rameter wie etwa Gewicht, Volumen und Sauerstoffverbrauch messen,und schlielich lassen sich Vernderungen im chemischen Haushalt desGesamtsystems und in seinen Teilbereichen analysieren. Die fort-schreitende Verbesserung der technischen Hilfsmittel erlaubt es, derar-tige Beschreibungen in immer prziseren Details zu geben. So knnenwir z.B. dank des Elektronenmikroskops die Prozesse zellulrer Diffe-renzierung mit einem wesentlich greren Auflsungsvermgen unter-suchen, als dies mit dem Lichtmikroskop mglich ist, wodurch vieleneue Strukturen sichtbar werden. Die verfeinerten analytischen Me-thoden der modernen Biochemie ermglichen die Messung von Kon-zentrationsvernderungen bestimmter Moleklarten, darunter Protei-ne und Nukleinsuren in uerst kleinen Gewebsproben. Mit Hilfe ra-dioaktiver Isotope lassen sich chemische Strukturen im Entwicklungs-verlauf markieren und nachweisen. Bestimmte Techniken, welche ge-netische Vernderungen in Embryonalzellen bewirken, ermglichenes, die solcher Art genetisch signierten Abkmmlinge zu identifizie-ren und ihren Werdegang zu bestimmen.

    Mit solchen Techniken knnen in weiten Bereichen der Embryologieund der Entwicklungsphysiologie neue Sachverhalte beschrieben wer-den. Wenn man die beschriebenen Sachverhalte dann klassifiziert unduntereinander vergleicht, lt sich feststellen, auf welche Weise ver-schiedene Arten von Vernderungen in einem gegebenen System mit-einander in Beziehung gesetzt werden knnen und in welcher Weise

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  • Abb. 3 Stadien der Embryonalenentwicklung des Hirtentschelkrauts, Cap-sella bursa-pastoris (nach Maheshwari, 1950).

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  • verschiedene Systeme einander hneln. Eine Beschreibung allein reichtnicht aus, die Ursachen der Entwicklung verstndlich zu machen, wennsie auch Hypothesen nahelegt1. Diese Hypothesen lassen sich dann an-hand experimentell ausgelster Entwicklungsstrungen berprfen: Sokann z.B. die Umgebung verndert werden; bestimmte Stellen auf bzw.in einem gegebenen System knnen physikalisch oder chemisch gereiztwerden; bestimmte Teile des Systems knnen entfernt werden, und ihreEntwicklung liee sich dann isoliert weiteruntersuchen; die Reaktiondes Systems auf die Entfernung von Teilen kann beobachtet werden;und schlielich kann an Pfropfungen und Transplantationen untersuchtwerden, wie sich die Kombination verschiedener Teile auswirkt.

    Die Hauptprobleme, die durch diese Art der Forschung aufgeworfenwerden, sind im Kapitel 1.2 zusammengefat worden: Biologische Ent-wicklung ist epigenetisch, oder anders gesagt, sie beinhaltet einen Zu-wachs an Komplexitt in Form und Organisation, der sich nicht aus demVerstndnis der organischen Ausbildung oder des Zerfalls einer prfor-mierten, doch unsichtbaren Struktur erklren lt. Viele in Entwick-lung begriffene Systeme sind selbstregulativ; d.h.: Sie knnen einemehr oder weniger normale Struktur hervorbringen, auch wenn ein Teildes Systems zerstrt oder in einem hinreichend frhen Stadium entferntwird. Viele Systeme knnen sich regenerieren oder fehlende Teile er-setzen, und bei der vegetativen und sexuellen Fortpflanzung entstehenneue Organismen aus abgetrennten Teilen der Elternorganismen. Eineweitere bedeutsame Verallgemeinerung ergibt sich daraus, da dasSchicksal von Zellen und Gewebsteilen von ihrer rtlichen Lage in-nerhalb des Systems bestimmt wird.

    Von diesem gesicherten Tatsachenbestand gehen alle drei Theorienaus, die mechanistische, die vitalistische und die organizismische. Be-trachten wir aber ihre Deutungen, so zeigen sich krasse Unterschiede.

    2.2 Mechanistischer AnsatzDie moderne mechanistische Theorie der Morphogenese spricht derDNS eine entscheidende Rolle zu, und dies aus vier Hauptgrnden:

    Erstens hat man in einer Vielzahl von Fllen herausgefunden, daUnterschiede im Erbgut von Pflanzen oder Tieren einer Art von Genenabhngen, die sich an bestimmten Stellen auf bestimmten Chromoso-men lokalisieren und in Genkarten einordnen lassen. Zweitens ist be-kannt, da die DNS die chemische Basis von Genen ist, und von ihrenspezifischen Eigenschaften wei man, da sie von der Sequenz der Pu-

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  • rin- und Pyrimidinbasen in der DNS abhngen. Drittens wei man, aufwelche Weise die DNS als chemische Basis der Vererbung wirken kann:Einerseits dient sie als Schablone fr ihre eigene Replikation; dies wirdermglicht durch die charakteristische Paarung der Basen in zwei kom-plementre Strnge. Andererseits dient sie als Schablone fr die Se-quenz von Aminosuren in Proteinen, was aber nicht auf direktem We-ge geschieht; einer der beiden DNS-Strnge wird zunchst abgelesen,wodurch eine einstrngige Boten-RNS entsteht, dessen Basense-quenz dann in Dreiergruppen abgelesen wird. Verschiedene Basen-tripletts kodieren verschiedene Aminosuren. Auf diese Weise wirdder genetische Code in eine Sequenz von Aminosuren bersetzt, diesich in der vorgegebenen Reihenfolge zu charakteristischen Polypeptid-ketten zusammenschlieen und zu Proteinen auffalten. Die Proteineschlielich verleihen einer Zelle ihre charakteristischen Eigenschaften:Ihr Stoffwechsel und ihre Fhigkeiten zu chemischen Synthesen hngenvon Enzymen ab, einige ihrer Strukturelemente von Strukturproteinenund ihre Oberflcheneigenschaften, die als Erkennungszeichen fr an-dere Zellen fungieren, von besonderen Proteinen auf ihrer Oberflche.

    Die Kontrolle der Proteinsynthese gilt innerhalb des mechanistischenGedankengebudes als das zentrale Problem der Entwicklung undMorphogenese. In Bakterien knnen spezielle Substanzen, genannt In-duktoren, die Ablesung bestimmter Abschnitte der DNS auslsen,die dadurch entstehende Boten-RNS dient dann wiederum als Scha-blone zur Bildung bestimmter Proteine. Das klassische Beispiel hierfrist die Induktion des Enzyms -Galaktosidase durch Laktose beim Bak-terium Escherischia coli. Das Einschalten des betreffenden Gens ge-schieht durch ein kompliziertes System, woran ein Repressorproteinbeteiligt ist, das im aktiven Zustand durch Bindung an eine bestimmteStelle auf der DNS die Ablesung blockiert und in Anwesenheit desInduktors diese Bindung lst. Durch einen vergleichbaren Vorgangknnen bestimmte Repressoren Gene ausschalten. Bei Tieren undPflanzen ist das System fr Ein- bzw. Ausschaltung von Genen kompli-zierter und bis jetzt noch nicht voll verstanden. Weitere Schwierigkei-ten ergeben sich aus der jngst entdeckten Tatsache, da die Boten-RNS aus Teilen aufgebaut sein kann, die durch Ablesung von ver-schiedenen Abschnitten der DNS entstehen, und sich dann in spezifi-scher Weise zusammengeschlossen haben. Darber hinaus wird dieProteinsynthese auch noch auf der bertragungsebene Boten-RNS -Protein kontrolliert; selbst bei Anwesenheit in der passenden Boten-RNS kann die Proteinsynthese noch durch eine Vielzahl von Faktorenein- bzw. ausgeschaltet werden.

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  • Die Art, in der die Proteinsynthese kontrolliert wird, bedingt somitdie Bildung der verschiedenen Proteine in verschiedenen Zelltypen.Auf mechanistische Weise lassen sich diese Prozesse nur verstehen,wenn man davon ausgeht, da physikochemische Einflsse auf die Zel-len wirken. Differenzierungsmuster mssen daher von physikochemi-schen Mustern innerhalb des Gewebes abhngen. Die Natur dieser Ein-flufaktoren ist nicht bekannt, doch gibt es verschiedene Erklrungsan-stze: Konzentrationsgradienten bestimmter Stoffe; Diffusions-Reak-tions-Systeme mit chemischer Rckkopplung; elektrische Gradienten;elektrische oder chemische Oszillationen; mechanische Kontakte zwi-schen Zellen; oder verschiedene andere Faktoren bzw. Kombinationendavon. Die Zellen mssen dann je in charakteristischer Weise auf dieseunterschiedlichen Einflsse antworten. Heute betrachtet man diesephysikalischen oder chemischen Faktoren gern als Trger von Posi-tionsangaben. Die Zellen deuten diese dann in bereinstimmungmit ihren genetischen Programmen, indem sie die Synthese bestimmterProteine auslsen2.

    Die verschiedenen Aspekte des zentralen Problems der Kontrolleder Proteinsynthese werden zur Zeit intensiv erforscht. Die meistenmechanistisch denkenden Biologen erhoffen sich von der Lsung diesesProblems den entscheidenden Schritt zur Erklrung der Morphogeneseauf ausschlielich mechanistischer Grundlage.

    Will man beurteilen, ob eine mechanistische Erklrung der Morphoge-nese wahrscheinlich oder sogar mglich ist, gilt es, ein paar Schwierig-keiten zu bedenken:

    1. Die Tatsache, da sowohl die DNS als auch die Proteine verschie-dener Arten einander stark hneln knnen, lt der Funktion, die derDNS und der Synthese spezifischer Proteine zugesprochen wird, nureinen sehr engen Spielraum. So hat z. B. ein eingehender Vergleich zwi-schen Proteinen vom Menschen und denen vom Schimpansen ergeben,da eine betrchtliche Anzahl der Proteine identisch ist und andere sichnur wenig unterscheiden: Die Aufstellung von Aminosuresequenzenund die Ergebnisse immunologischer und elektrophoretischer Untersu-chungen sprechen eindeutig fr eine genetische Verwandtschaft. DieseAnstze zeigen alle, da die Polypeptide des Menschen im Mittel zumehr als 99% mit denen des Schimpansen bereinstimmen3. Vergleicheder sogenannten nicht-wiederholten DNS-Sequenzen (das sind jeneTeile mit vermutlich genetischer Bedeutung) zeigen, da der Gesamt-unterschied zwischen den DNS-Sequenzen des Menschen und denendes Schimpansen nur 1,1% ausmacht.

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  • hnliche Vergleiche zwischen verschiedenen Musearten oder ver-schiedenen Arten der Fruchtfliege Drosopha haben jeweils innerhalbdieser engverwandten Arten grere Unterschiede erkennen lassen alszwischen Menschen und Schimpansen. Diese Unterschiede zwischender Evolution der Organismen und der molekularen Evolution legenden Schlu nahe, da die beiden Entwicklungsprozesse weitgehendvoneinander unabhngig sind.4

    Nun kann man jedoch - um der mechanistischen Beweisfhrungmehr Nachdruck zu verleihen - annehmen, da die genetischen Unter-schiede zwischen so verschiedenen Arten wie Mensch und Schimpansesich tatschlich durch uerst geringe Vernderungen der Proteinstruk-tur erklren lassen. Oder aber die Erklrung findet sich in einer kleinenZahl verschiedenartiger Proteine oder in genetischen Vernderungen,die die Kontrolle der Proteinsynthese betreffen (was vielleicht zu einembestimmten Grad von einer unterschiedlichen Anordnung der DNS in-nerhalb der Chromosomen abhngt); denkbar ist auch eine Kombina-tion dieser einzelnen Faktoren.

    2. Innerhalb desselben Organismus realisieren sich verschiedeneEntwicklungsmuster, whrend die DNS unverndert erhalten bleibt.Man betrachte beispielsweise Arme und Beine des Menschen: Beideenthalten gleiche Zelltypen (Muskelzellen, Bindegewebszellen, usw.)mit gleichen Proteinen und gleicher DNS. Also lassen sich die Unter-schiede zwischen Armen und Beinen nicht per se auf die DNS zurck-fhren. Sie sind vielmehr strukturbestimmenden Faktoren zuzuschrei-ben, die in den sich entwickelnden Armen und Beinen auf unterschied-liche Weise wirken. Die Przision der Anordnung der Gewebe (bei-spielsweise die Befestigung von Sehnen an den richtigen Stellen vonKnochen) beweist, mit welcher Genauigkeit diese strukturbestimmen-den Faktoren arbeiten. Der mechanistischen Theorie des Lebens zufol-ge mu man diese Faktoren als von Natur aus physikochemisch betrach-ten. Ihre wirkliche Natur ist jedoch nach wie vor unbekannt.

    3. Selbst wenn sich die physikalischen oder chemischen Faktoren,die das Differenzierungsmuster bestimmen sollen, identifizieren lassen,so bleibt doch das Problem, wie diese Faktoren selbst in entsprechenderWeise ursprnglich geprgt wurden. Wir knnen dieses Problem veran-schaulichen, indem wir zwei der seltenen Flle betrachten, in denen dieIsolation von chemischen Substanzen gelang, die fr die Gestaltbildungverantwortlich gemacht werden.

    In dem einen Fall geht es um Schleimpilze, frei lebenden amboidenZellen, die unter bestimmten Bedingungen zu einem Plasmahaufenverschmelzen. Dieser bewegt sich zuerst einige Zeit umher, richtet sich

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  • Sporenbehlter.

    Stiel

    Dictyostelium mucoroides

    Polysphondilium pallidum

    Abb. 4 Wander- und Kulminationsstadien zweier Schleimpilzarten. Links dieneu gebildeten zusammengesetzten Organismen, entstanden aus der Verschmel-zung zahlreicher freilebender amboider Zellen; sie wandern zuerst als Plasma-haufen umher, richten sich dann auf und differenzieren sich in Stiele mit obe-naufsitzenden Sporenbehltern (nach Bonner, 1958).

    dann auf und differenziert sich in einen Stiel mit einer von ihm getrage-nen Sporenmasse {Abb. 4). Es lie sich nachweisen, da die Verschmel-zung jener Zellen von der Anwesenheit einer relativ einfachen Sub-stanz, dem zyklischen AMP (Adenosin 3' ,5'-Monophosphat) abhngigist. Obwohl die Verteilung des zyklischen AMP in Beziehung zum Dif-ferenzierungsmuster steht, ist es jedoch nicht klar, ob in dem zusam-mengesetzten Zellhaufen die charakteristische Verteilung des zykli-schen AMP ein Grund oder eine Folge der Differenzierung in Stiel undSporenbehlter ist. Selbst wenn es bei der Begrndung der Differen-zierung eine entscheidende Rolle spielt, lt sich eine hinreichende Er-klrung weder fr seine charakteristische Verteilung finden noch dafr,da dieses Verteilungsmuster von Art zu Art variiert: Andere Faktorenmssen demzufolge fr seine Verteilung verantwortlich sein. ber die

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  • mgliche Natur dieser Faktoren gibt es jedoch groeMeinungsverschiedenheiten5.

    In dem anderen Fall handelt es sich um Auxin (Indol-3-Essigsure),ein Wachstumshormon in hheren Pflanzen. Es spielt bekanntlich eineentscheidende Rolle bei der Kontrolle der Gefdifferenzierung inLeitbndeln. Aber auch hier stellt sich die Frage: Wodurch wird dieProduktion und Verteilung des Auxin gesteuert? Und die Antwortscheint zu lauten: durch die Gefdifferenzierung selbst. Auxin wirdwahrscheinlich beim Differenzierungsproze der Gefzellen freige-setzt, sozusagen als Nebenprodukt der Protein Verteilung in der Schlu-phase der Zellentwicklung. Wahrscheinlich ist es ein zirkulres System,welches dazu beitrgt, da die Differenzierungsmuster aufrechterhal-ten werden; es erklrt aber nicht, wodurch sie entstehen6.

    Angenommen jedoch, man knnte herausbekommen, welche Fakto-ren den physikalischen oder chemischen Einflssen ein Muster aufpr-gen, jenen Einflssen, die ihrerseits das Differenzierungsmuster be-stimmen; angenommen, man wte darberhinaus, aufweiche Weisediese steuernden Faktoren selbst gesteuert wrden; und so fort. In die-sem Zusammenhang sei das Problem der Regulation genannt: Wennein Teil des Systems entfernt wird, bedeutet das zwangslufig eineUnterbrechung der komplizierten Reihen physikochemischer Muster-bildungen. Die verbleibenden Teile des Systems sind dennoch irgend-wie in der Lage, ihren normalen Entwicklungsverlauf zugunsten einesentsprechend modifizierten Verlaufs zu ndern, der einen mehr oderweniger normalen Endzustand realisiert.

    Man ist sich darin einig, da dies ein ganz besonders schwieriges Pro-blem ist; und man ist weit davon entfernt, es selbst in Anstzen zu ver-stehen. Verfechter der mechanistischen Theorie hoffen, da es sich mitviel gewissenhafter Sorgfalt lsen lt. Ihre Gegner bestreiten, da esselbst im Prinzip auf mechanistische Art gelst werden kann. Nehmenwir jedoch auch hier wieder, rein hypothetisch, an, es gbe eine mecha-nistische Lsung des Problems.

    4. Dann bleibt noch das Problem, wie diese Positionsinformationabgerufen wird und zu entsprechenden Wirkungen fhrt. Die einfach-ste Denkmglichkeit wre, da die Positionsinformation durch einenKonzentrationsgradienten eines bestimmten Stoffes gegeben ist, undda Zellen einen bestimmten Satz von Proteinen synthetisieren, wenndieser Stoff ber einer bestimmten Konzentrationsstelle liegt, undeinen anderen Satz von Proteinen, wenn dieser darunterliegt. Nehmenwir hier wieder an, dieser oder andere Mechanismen zur Erklrung derPositionsinformation lieen sich tatschlich aufdecken7.

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  • Was ist dann schlielich erreicht nach all diesen hchst optimistischenAnnahmen? Nichts weiter, als da verschiedene Zellen in passenderVerteilung angeordnet sind und verschiedene Proteine produzieren.

    Bis hierher gab es eine Folge monokausaler Beziehungen; ein Gen wirddurch spezifischen Reiz aktiv; die DNS wird abgelesen, in RNS um-geschrieben und die RNS wiederum in eine bestimmte Sequenz vonAminosuren, eine Polypeptidkette, bertragen. Hiermit ist aber dieeinfache Kausalfolge bereits am Ende. Es stellen sich nun Fragen kom-plexer Art. Wie falten sich die Polypeptidketten zu den charakteristi-schen dreidimensionalen Strukturen von Proteinen auf? In welcherWeise geschieht die Strukturbildung von Zellen durch Proteine, undauf welche Weise schlieen sich Zellen zur Bildung von Geweben cha-rakteristischer Struktur zusammen, und so fort. Dies alles sind reinmorphogenetische Probleme: Die Synthese spezifischer Polypeptidket-ten liefert die Basis fr die Stoffwechselmaschinerie und fr das struk-turgebende Material, wovon die Formwerdung abhngt. Ohne die Po-lypeptidketten und die sich daraus auffaltenden Proteine wre Morpho-genese undenkbar. Was ist es nun de facto, was die Muster und Struktu-ren bestimmt, die aus den Kombinationen von Proteinen, Zellen undGeweben entstehen? Vom mechanistischen Standpunkt aus lt sichdies alles in Begriffen von physikalischen Interaktionen erklren, undder Formwerdungsproze lt sich als spontaner Vorgang beschreiben,wenn die richtigen Proteine an den richtigen Stellen zur rechten Zeitund in der richtigen Reihenfolge vorhanden sind. An diesem entschei-denden Punkt gibt die mechanistische Biologie tatschlich auf undberlt das Problem der Morphogenese ganz einfach der Physik.

    Es ist in der Tat so, da sich Polypeptidketten - wenn die passendenBedingungen vorhanden sind - spontan zu Proteinen mit ihren charak-teristischen dreidimensionalen Strukturen auffalten. In Reagenzgl-sern knnen sie auch dazu veranlat werden, sich zu entfalten und sichdann - auch wieder unter vernderten Versuchsbedingungen - erneutaufzufalten. Dadurch wird hinreichend deutlich, da dieser Vorgangnicht von irgendwelchen mysterisen Eigenschaften lebender Zellenabhngt. Unter Reagenzglasbedingungen knnen sich darber hinausauch Proteinuntereinheiten zusammenschlieen und Strukturen entste-hen lassen, die normalerweise innerhalb lebender Zellen gebildet wer-den: Beispielsweise schlieen sich Untereinheiten des Proteins Tubulinzu langen bndelartigen Gebilden, den sogenannten Mikrotubuli,zusammen8. Und selbst komplexere Gebilde, wie beispielsweise Ribo-somen, knnen durch spontanen Zusammenschlu verschiedener Pro-

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  • tein- und RNS-Anteile entstehen. Andere Stoffklassen, beispielsweisedie Lipide der Zellmembranen, sind im Reagenzglas ebenfalls zu spon-tanen Aneinanderlagerungen befhigt.

    Insoweit diese Strukturen sich spontan selbst zusammenschlieenknnen, hneln sie Kristallen. Viele von ihnen knnen tatschlich alskristallin oder quasi-kristallin betrachtet werden. So erfordern sie imPrinzip nicht mehr oder nicht weniger Verstndnis als das normale Kri-stallisationsproblem, da hier wie dort die gleichen physikalischen Pro-zesse zu wirken scheinen.

    Dennoch knnen auf keinen Fall alle morphogenetischen Prozesseals Kristallisationstypen verstanden werden. Sie verlangen zu ihrer Er-klrung eine Anzahl weiterer physikalischer Faktoren. Beispielsweisemu angenommen werden, da die durch Membranen entstandenenFormen durch Oberflchenspannungskrfte beeinflut, und Gel- undSol-Strukturen durch die kolloidalen Eigenschaften ihrer Bestandteilebestimmt werden. Darber hinaus knnten sich einige Musterbildun-gen auch durch zufallsbedingte Fluktuationen bilden. Von der irreversi-blen oder Nicht-Gleichgewichtsthermodynamik in anorganischen Sy-stemen ausgehend hat man begonnen, das Auftreten von Ordnungdurch Fluktuationen an einfachen Beispielen nher zu untersuchen;vergleichbare Vorgnge knnen durchaus in Zellen und Geweben an-genommen werden9.

    Die mechanistische Theorie vermutet jedoch nicht nur, da diese undandere physikalische Vorgnge bei der Morphogenese mit von Bedeu-tung sein knnen, sie behauptet vielmehr, da die Morphogenese voll-stndig in physikalischen Begriffen erklrbar ist. Was bedeutet das?Wenn alles Beobachtbare von vornherein, nur weil es einen Ereignis-wert hat, als prinzipiell physikalisch erklrbar definiertwird, dann muesper definitionem so sein. Doch bedeutet das nicht notwendigerweise,da es in Begriffen der bekannten Gesetze der Physik zu erklren ist.Das trifft dann auch gleichermaen fr die biologische Morphogenesezu, wenn ein Biologe, der mit der Basensequenz in der DNS eines Orga-nismus zu tun hat und mit einer detaillierten Beschreibung des physiko-chemischen Zustandes des befruchteten Eis und den fr die Entwick-lung gegebenen Umfeldeinflssen, in Begriffen der fundamentalen Ge-setze der Physik (z.B. der Quantenfeldtheorie, der elektromagneti-schen Feldgleichungen, des zweiten Gesetzes der Thermodynamik,usw.) zu folgenden Punkten Voraussagen macht: 1. zur dreidimensiona-len Struktur aller im Organismus entstehenden Proteine; 2. zu enzyma-tischen und anderen Eigenschaften dieser Proteine; 3. zum gesamtenStoffwechsel des Organismus; 4. zur Natur und den Wirkungen aller

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  • Arten von Positionsinformation, die sich whrend seiner Entwicklungergeben; 5. zum Aufbau und zur Verteilung seiner Zellen, Gewebe undOrgane und zur Form des Organismus als eines Ganzen; und schlie-lich, im Falle eines Tieres, zu seinem instinktiven Verhalten. Wenn tat-schlich dies alles und darber hinaus noch der Verlauf von Regula-tions- und Regenerationsvorgngen a priori vorausgesagt werden knn-te, dann wre das sicherlich ein schlssiger Beweis dafr, da lebendeOrganismen vollstndig in Begriffen der bekannten Gesetze der Physikerklrt werden knnen. Aber natrlich ist gegenwrtig nichts derglei-chen mglich. Es ist auch berhaupt kein Ansatz erkennbar, die Gltig-keit einer solchen Erklrung zu beweisen.

    Wenn also die mechanistische Theorie angibt, da alle Phnomeneder Morphogenese prinzipiell in Begriffen der bekannten Gesetze derPhysik erklrbar sind, dann ist das sehr wahrscheinlich falsch, weil ge-genwrtig erst so wenig von all diesen Phnomenen verstanden wird.Daher besteht kaum ein guter Grund fr die Annahme, da die bekann-ten Gesetze zur Erklrung dieser Phnomene angemessen sind. Auf je-den Fall aber ist dies eine berprfbare Hypothese, die durch die Ent-deckung eines neuen Gesetzes der Physik widerlegt werden knnte.Wenn andererseits die mechanistische Theorie angibt, da lebende Or-ganismen beiden, sowohl den bekannten wie den noch unbekanntenGesetzen der Natur gehorchen, dann wre sie unwiderlegbar und nichtsweiter als ein allgemeines Glaubensbekenntnis in eine mgliche Erklr-barkeit. Sie wrde dann nicht im Gegensatz zum Organizismus und Vi-talismus stehen, sondern sie mit einschlieen.

    Gewhnlich wird jedoch die mechanistische Theorie des Lebensnicht als eine streng definierte, widerlegbare wissenschaftliche Theorieangesehen; sie dient vielmehr als Rechtfertigung fr die konservativeArbeitsmethode innerhalb der etablierten, durch die Physik und dieChemie gesttzten Denkschemata. Obgleich sie blicherweise so ver-standen wird, da lebende Organismen prinzipiell vollstndig in Begrif-fen der bekannten Gesetze der Physik erklrbar sind, so kann sie doch,wenn die Physik ein neues Gesetz entdecken sollte und in seiner Gltig-keit besttigt, leicht modifiziert werden und das neue Gesetz in ihrTheoriengebude aufnehmen. Es ist dann nur noch Definitionssache,ob diese modifizierte Theorie des Lebens mechanistisch genannt wirdoder nicht.

    Wenn bisher erst so wenig ber die Phnomene der Morphogeneseund des Verhaltens bekannt ist, kann die Mglichkeit keinesfalls ausge-schlossen werden, da schlielich einige davon von einem noch unbe-kannten physikalischen Kausalfaktor abhngig sind. Im mechanisti-

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  • sehen Ansatz wird diese Frage einfach bergangen. Nichtsdestowenigerbleibt sie vollstndig offen.

    2.3 Der VitalismusFr den Vitalismus steht fest, da sich Lebensphnomene nur bedingtauf der Basis physikalischer Gesetze verstehen lassen, welche von derUntersuchung unbelebter Systeme abgeleitet werden. Er behauptet,da in lebenden Organismen ein zustzlicher Kausalfaktor wirkt. Einetypische Darstellung eines vitalistischen Standpunktes des 19. Jahrhun-derts stammt von dem Chemiker Liebig: Obwohl Chemiker bereits inder Lage seien, eine Vielzahl organischer Substanzen herzustellen undin Zukunft noch sehr viel mehr produzieren wrden, gelnge es derChemie niemals, ein Auge oder ein Blatt herzustellen. Zu den bekann-ten Faktoren Wrme, chemische Affinitt und den formbildenden Fak-toren Bindekraft und Kristallisation kommt im lebendigen Krpereine vierte Ursache hinzu, durch welche die Kohsionskraft beherrschtwird, durch welche die Elemente zu neuen Formen zusammengefgtwerden, durch die sie neue Eigenschaften erlangen, Formen und Eigen-schaften, die auerhalb des Organismus nicht bestehen.10 Vorstellun-gen dieser Art waren ungeachtet ihrer starken Verbreitung zu vage, umeine wirkungsvolle Alternative zur mechanistischen Theorie darzustel-len. Erst zu Beginn dieses Jahrhunderts wurden neovitalistische Theo-rien prziser formuliert. Im Hinblick auf die Morphogenese war dieTheorie des Embryologen Hans Driesch die bedeutendste. Ginge es umdie Ausbildung einer modernen vitalistischen Theorie, so fnde sie inDriesch das beste Fundament, auf dem sie aufbauen knnte.

    Driesch bestritt nicht etwa, da sich viele Eigenarten lebender Orga-nismen in der physikochemischen Begriffssprache ausdrcken lassen.Er war sich sehr wohl der Befunde der Physiologie und der Biochemiewie auch ihrer Potentiale fr die kommende Forschung bewut: Es fin-den sich im Organismus viele spezifische Verbindungen, welche ver-schiedenen Kategorien der chemischen Systeme angehren und derenBeschaffenheit teils bekannt, teils unbekannt ist. Doch die bisher nochunbekannten wird man in nchster Zeit kennen, und es gibt gewi keinetheoretisch begrndbare Unmglichkeit, die Eiweistruktur ausfindigzu machen und sie auch herzustellen.11 Er wute, da Enzyme (Fer-mente) biochemische Reaktionen katalysieren, und dieses auch imReagenzglas konnten: Wir knnen sagen, da kein Grund dagegen

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  • vorliegt, fast alle Stoffwechselvorgnge im Organismus als mit Hilfevon Fermenten oder Katalysatoren geschehend anzusehen, und da dieeinzige Differenz zwischen anorganischen und organischen Fermentenin der sehr komplizierten Natur und dem hohen Grade der Spezifika-tion der letzteren besteht.12 Ihm war bekannt, da es sich bei den Men-delschen Genen um materielle Faktoren in den Chromosomen handel-te, auch, da es vermutlich chemische Substanzen einer spezifischenStruktur waren13. Er glaubte, da viele Aspekte des Stoffwechsels undder physiologischen Adaptation durchaus auf physikochemischer Ebe-ne begrndbar seien14 und da es im allgemeinen im Organismus vieleProzesse gibt..., welche in teleologischer oder zweckmiger Weise aufeiner unvernderlichen maschinenhnlichen Basis ablaufen15. Seinehier geuerten Ansichten wurden in der Folgezeit mit dem Fortschrittvon Physiologie, Biochemie und Molekularbiologie besttigt. Esscheint, da es Driesch nicht mglich war, diese spter gemachten Ent-deckungen in ihren Einzelheiten vorauszusehen, doch hielt er sie frdenkbar und fr durchaus vereinbar mit dem Vitalismus. Im Hinblickauf die Morphogenese war er der Meinung, man msse zugeben, daeine Maschine in unserem Sinne des Wortes sehr wohl die Grundlageder Formbildung im allgemeinen sein knnte, wenn es nur normale, d.hnur ungestrte Entwicklung gbe, und wenn die Entnahme von Teilenbei unseren Systemen zu fragmentaler Entwicklung fhren wrde16.Doch folgt tatschlich in vielen embryonalen Systemen auf die Entfer-nung eines Embryoteiles ein Proze der Regulation, wobei sich die ver-bleibenden Gewebsteile reorganisieren, um dann einen ausgewachse-nen Organismus mit mehr oder weniger normaler Form auszubilden.

    Die mechanistische Theorie sieht sich vor die Aufgabe gestellt, denEntwicklungsablauf mittels komplexer physikalischer oder chemischerWechselwirkungen zwischen den Teilen des Embryos zu erklren.Driesch behauptete nun, da die Tatsache der Regulation jede Formeines maschinenhnlichen Systems unvorstellbar machen msse.Schlielich knne sich das System als Ganzes erhalten und dabei einetypische Endgestalt hervorbringen, whrend kein komplexes dreidi-mensionales maschinenhnliches System nach willkrlicher Abtren-nung einzelner Teile eine Ganzheit bewahren knne.

    Diese Argumentation mag insofern anfechtbar erscheinen, als siedurch den Fortschritt in der Technologie entwertet sein knnte oder zueinem spteren Zeitpunkt entwertet werden mag. Doch zumindestscheint sie bislang nicht widerlegt worden zu sein. So knnen Computerzwar korrekt auf bestimmte Formen funktioneller Strungen reagieren,doch tun sie dies auf der Basis einer festgelegten Struktur. Sie vermgen

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  • nicht, ihre eigene physische Struktur zu regenerieren; werden Teile desComputers nach dem Zufallsprinzip zerstrt, so knnen sie nicht durchdie Maschine selbst ersetzt werden. Ebensowenig ist das System in derLage, nach der willkrlichen Entfernung einzelner Teile normal weiter-zuarbeiten. Neben dem Computer als Kernstck moderner Technolo-gie knnte in diesem Zusammenhang auch das Hologramm von Bedeu-tung sein. Einem Hologramm knnen Teile entnommen werden, ohneda seine Fhigkeit gestrt wird, ein vollstndiges dreidimensionalesBild zu entwickeln. Das Hologramm kann dies aber nur als Teil einesbergeordneten funktionellen Ganzen, unter Einschlu von Lasern,Spiegeln usw. Auch diese Strukturen knnen nach willkrlicher Be-schdigung nicht regeneriert werden, zum Beispiel dann nicht, wenndie Laserapparatur zerstrt wird.

    Driesch glaubte, da die Tatsache der Phnomene von Regulation,Regeneration und Reproduktion beweisen, da es irgend etwas an demlebenden Organismus gibt, das sich als Ganzheit erhlt, obgleich sichTeilbereiche des physischen Ganzen entfernen lassen. Er nahm an, dadieser Faktor sich auf das physische System auswirke, ihm selbst aberals Teil nicht zugehre. Er nannte diesen nichtphysikalischen Kausal-faktor Entelechie. Er stellte die Behauptung auf, die Entelechie organi-siere und kontrolliere physikochemische Ablufe whrend der Mor-phogenese; die Gene seien dafr verantwortlich, die materiellen Trgerder Morphogenese zu stellen und die chemischen Substanzen anzuord-nen - die Verwirklichung der Ordnung selbst geschehe durch die Ente-lechie. Natrlich knne die Morphogenese durch genetische Vernde-rungen beeinflut werden, welche die Trger der Morphogenese vern-derten, doch bedeute dies nicht, da sich die Morphogenese einfachmittels der Gene und der von ihnen gesteuerten chemischen Substanzenerklren liee. In hnlicher Weise stellt das Nervensystem nach Drieschden Trger des Verhaltens eines Tieres dar, wobei es aber die Entele-chie ist, welche die Aktivitt des Gehirns organisiert, indem es dieseswie ein Instrument benutzt, vergleichbar einem Pianisten, der auf sei-nem Klavier spielt. Wiederum liee sich einwenden, da Verhaltendurch Schdigungen des Gehirns beeintrchtigt werden kann, so wieauch die Musik, die der Pianist spielt, durch eine Schdigung des Kla-viers negativ beeinflut wrde. Doch nach Driesch bewiese dies nur,da das Nervensystem ein notwendiger Trger des Verhaltens ist, indem Sinn, in dem das Klavier ein notwendiges Medium fr den Piani-sten darstellt.

    Entelechie ist ein griechisches Wort, dessen Ableitung (en-telos) aufetwas hinweist, das seinen Zweck in sich selbst trgt; sie schliet das

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  • Ziel ein, auf welches ein System unter ihrer Fhrung ausgerichtet ist.Wird also der normale Entwicklungsweg gestrt, vermag das Systemdas gleiche Ziel auf einem anderen Wege zu erreichen. Driesch nahman, da Entwicklung und Verhalten der Kontrolle einer Hierarchie vonEntelechien unterstellt sind, welche sich letzten Endes von der berge-ordneten Entelechie des Gesamtorganismus herleiten17. Wie in jedemanderen hierarchischen System, z.B. dem einer Armee, knne es dabeizu Fehlern kommen, und Entelechien knnten sich unintelligent ver-halten, wie sie es beispielsweise in Fllen von Superregeneration tun,wo es zur Ausbildung eines berflssigen Organs kommt18. Doch wider-legt derartiges Fehlverhalten die Existenz der Entelechie ebensowenigwie militrische Irrtmer beweisen knnen, da Soldaten unintelligen-te Wesen sind.

    Driesch bezeichnete die Entelechie als eine intensive Mannigfaltig-keit, als einen rumlichen Dimensionen nicht unterworfenen Kausal-faktor, der dennoch im Raum wirken kann. Er betonte dabei, es hande-le sich um einen natrlichen Faktor (also nicht um einen metaphysi-schen oder mystischen), der in physikochemischen Prozessen seinenAusdruck finde. Es gehe nicht um eine Energieform, und seine Funk-tionen widersprchen nicht dem zweiten Gesetz der Thermodynamik,dem Gesetz der Erhaltung der Energie. Wie aber sollte er dann wirkenknnen?

    Driesch schrieb dies in der ra der klassischen Physik, als man allge-mein annahm, alle physikalischen Ablufe seien vollstndig determi-niert und grundstzlich in den Gren von Energie, Impuls usw. aus-drckbar. Aber er gelangte zu der berzeugung, da physikalischeProzesse nicht in ihrer Gesamtheit determiniert sein konnten, denn an-dernfalls knnte die nichtenergetische Entelechie auf sie keinen Ein-flu nehmen. Er folgerte deshalb, da zumindest in lebenden Organis-men mikrophysikalische Prozesse nicht vollstndig durch physikalischeKausalitt determiniert seien, wenngleich physikochemische Vernde-rungen im Durchschnitt statistischen Gesetzen folgten. Er nahm an,da die Entelechie solcherart in Erscheinung trat, da sie das genaueTiming mikrophysikalischer Prozesse beeinflute, und dies, indemsie diese gleichsam in der Schwebe hlt und sie aus diesem Zustandder Suspension immer dann entlt, wenn dies ihrem Zwecke dient:Diese Fhigkeit zu temporrer Suspension anorganischen Geschehensmu als die wichtigste ontologische Eigenschaft der Entelechie angese-hen werden ... Nach unserer Auffassung ist Entelechie ganz und gar un-fhig zum Wegrumen irgendeines >Hindernisses< fr aktuelles Gesche-hen ...; denn solch ein Wegrumen braucht Energie, und Entelechie ist

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  • nicht energetisch. Wir lassen Entelechie nur das in Aktualitt setzen,was sie selbst vordem gehindert, was sie selbst suspendiert hatte.19

    Scheint dieser khne Entwurf eines physikalischen Indeterminismusin lebenden Organismen vom Standpunkt der deterministischen klassi-schen Physik auch vllig unannehmbar zu sein, so erscheint er im Lichteder Quantentheorie weitaus weniger indiskutabel. Im Jahre 1927 for-mulierte Heisenberg die Unscharferelation, und sehr bald wurde deut-lich, da sich Angaben zu Ort und Zeit von mikrophysikalischen Ereig-nissen nur in Form von Wahrscheinlichkeiten machen lieen. Im fol-genden Jahr vermutete der Physiker Sir Arthur Eddington, der Geistbeeinflusse den Krper, indem er die Form quantenmechanischer Er-eignisse im Gehirn durch Einflunahme auf die Wahrscheinlichkeit ih-res Auftretens prge. Soll sich der Begriff der Wahrscheinlichkeitnicht selbst widersprechen, lassen sich Wahrscheinlichkeiten in ver-schiedenen Formen modifizieren, die, richtet man sich nach den ge-wohnten physikalischen Gesetzen, eigentlich nicht statthaft sind.20Vergleichbare Gedanken hat der Neurophysiologe Sir John Eccles zurDiskussion gestellt. Er fat seine berlegungen wie folgt zusammen:

    Die neurophysiologische Hypothese besagt, da der >Wille< dieraumzeitbezogene Aktivitt des neuronalen Netzwerks durch dieAuswirkung von raumzeitbedingten >Einflufeldern< modifiziert.Diese werden wirksam durch die einzigartige Wahrnehmungsfunk-tion der aktiven Grohirnrinde. Es wird mit der Zeit deutlich wer-den, da der >Wille< oder der >geistige Einflu< selbst das Merkmaleiner Art Raumzeitstruktur aufweist, welches ihm erst ein solchesEingreifen ermglicht.21

    Jngst haben Physiker und Parapsychologen hnliche, doch bereitsdetailliertere Vorstellungen verffentlicht22 (vgl. Kapitel 1.8).

    In bereinstimmung mit diesen Anstzen liee sich eine moderne vi-talistische Theorie auf der Hypothese entwickeln, da Entelechie (umDriesch' Begriff zu gebrauchen) physikochemische Systeme ordnet, in-dem sie auf physikalisch nichtdeterminierte Ereignisse innerhalb derstatistischen Grenzwerte wirkt, die durch energetische Verursachunggesetzt werden. Um so arbeiten zu knnen, mu die Entelechie selbsteine raumzeitliche Struktur aufweisen. Woher aber bezieht die Entele-chie diese Struktur? Eine mgliche Antwort gibt uns die in Kapitel 1.7angefhrte interaktionistische Theorie des Gedchtnisses. Trifft es zu,da Gedchtnisinhalte auf nichtphysikalische Weise im Gehirn gespei-chert werden, sondern mit einer unmittelbaren Funktion ber die zeitli-chen Grenzen hinaus miteinander verbunden sind23, so besteht keineNotwendigkeit, diese Inhalte auf das individuelle Gehirn zu beschrn-

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  • ken. Sie knnten von Person zu Person weitergehen; mglich w