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EDITORIAL DuD Datenschutz und Datensicherheit 4 | 2008 239 Sicherheit mit Datenschutz Im Verfassungsstaat setzen die Regeln der Verfassung der staatlichen Machtausübung Grenzen. Gesetze beschließt der demokratisch legitimierte Gesetzgeber auf Vorschlag der Regierung bzw. der sie tragenden Koalitionsfraktionen mit der Mehrheit seiner Stimmen. Das einzige Korrektiv gegenüber diesen Beschlüssen ist – abgesehen von ei- ner Revision durch einen anderen Wahlentscheid – das Bundesverfassungsgericht. Als Hüter der Verfassung misst es die Gesetzesbeschlüsse an den Bestimmungen der Ver- fassung, insbesondere aber an den Grundrechten. Eine mittlerweile bewährte Speziali- tät der bundesdeutschen Verfassungstradition ist es, dass die Bürger selbst und unmit- telbar mit einer Verfassungsbeschwerde die von Bundestag und Bundesrat beschlos- senen Gesetze dem höchsten deutschen Gericht zur Bewertung vorlegen können. Wie erfolgreich dieses Modell ist, lässt sich an den letzten Entscheidungen des Ge- richts zu den zahlreichen seit 2001 beschlossenen Sicherheitsgesetzen ermessen. Das Bundesverfassungsgericht hat vom Großen Lauschangriff über die Rasterfahndung, die Telekommunikationsüberwachung, die automatisierte Kennzeichenerfassung, die Online-Durchsuchung und zuletzt der Vorratsdatenspeicherung dem Gesetzge- ber seine Grundrechts-Grenzen aufgezeigt. Auf der Linie seiner bisherigen Rechtspre- chung hat das Bundesverfassungsgericht die fachlichen Prognosen der Innenmini- ster in Bund und Länder zur Verfassungsmäßigkeit ihrer Gesetzesvorlagen buchstäb- lich verworfen. An Warnungen hat es wahrlich nicht gefehlt: Insbesondere die Datenschutzbeauf- tragten des Bundes und der Länder haben in zahlreichen Stellungnahmen zu den par- lamentarischen Beratungen, aber auch in öffentlichen Verlautbarungen auf die Verfas- sungswidrigkeit der Sicherheitsgesetze hingewiesen. Im Verfassungsstaat der Bundes- republik Deutschland bedürfen gesetzliche Einschränkungen der Freiheitsrechte eines konkreten Anlasses: Maßnahmen, die anlass- und ziellos auf die Erfassung der Bevöl- kerung bzw. von Bevölkerungsteilen gerichtet sind, sind verfassungswidrig. Das Bun- desverfassungsgericht hat diese grundrechtliche Basiserkenntnis nun mehrfach wie- derholt. Die Innenminister des Bundes und der Länder sind nicht nur zuständig für den Si- cherheitsapparat, sondern auch und gerade für die Wahrung der Grund- und Freiheits- rechte. Wenn das Bundesverfassungsgericht in einer Kette von Entscheidungen Ge- setzes demontiert, dann zieht dies auch die Verfassungskompetenz der zuständigen Minister in Zweifel. Man könnte sich nun fragen, durch welche Mechanismen in der Gesetzgebung in Zukunft die Befolgung der verfassungsrechtlichen Vorgaben einge- übt werden. Es könnte aber auch sein, dass den Innenministern die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch gelegen kommt: Man selbst habe schließlich um der Sicherheit Willen Alles versucht, aber leider habe Karlsruhe die Grenzen des Sicher- heitsstaates enger gezogen. Dies wäre ein grandioses Missverständnis. Nicht Ponti- us Pilatus steht auf der Agenda, sondern eine Sicherheitspolitik im Einklang mit den Grundrechten. Die Formel hierzu könnte lauten „Sicherheit mit Datenschutz“. Zu diesem Heft: Malte Diehl gibt einen instruktiven Überblick über die internationale Gesetzgebung zur Kryptographieregulierung. Noggie Kaufmann fasst die Rechtsprechung zum Da- tenschutz aus dem Jahr 2007 zusammen. Michael Schmidl prüft die Übermittlung von Arbeitnehmerdaten auf Grundlage des Standardvertrages Set II. Philipp Riesenkampff berichtet über die rechtliche Bewertung in Österreich zur Videoüberwachung in La- denlokalen. Niels Lepperhoff / Björn Petersdorf setzen sich mit dem Datenschutz bei Webstatistiken auseinander. Hannes Ludyga fasst die Ansprüche gegen die Bewer- tung eines Anbieters einer Online-Auktion zusammen. Roland Gabriel / Sebastian So- wa reflektieren aus betriebswirtschaftlicher Sicht das Management von Informations- sicherheit. Und im Nachgang zum letzten Heft fasst J.C. Buitelaar die Politik der Identi- tätsnummern in Europa zusammen. Johann Bizer DuD_408.indb 239 09.04.2008 13:20:54

Sicherheit mit Datenschutz

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EDITORIAL

DuD • Datenschutz und Datensicherheit 4 | 2008 239

Sicherheit mit Datenschutz

Im Verfassungsstaat setzen die Regeln der Verfassung der staatlichen Machtausübung Grenzen. Gesetze beschließt der demokratisch legitimierte Gesetzgeber auf Vorschlag der Regierung bzw. der sie tragenden Koalitionsfraktionen mit der Mehrheit seiner Stimmen. Das einzige Korrektiv gegenüber diesen Beschlüssen ist – abgesehen von ei-ner Revision durch einen anderen Wahlentscheid – das Bundesverfassungsgericht. Als Hüter der Verfassung misst es die Gesetzesbeschlüsse an den Bestimmungen der Ver-fassung, insbesondere aber an den Grundrechten. Eine mittlerweile bewährte Speziali-tät der bundesdeutschen Verfassungstradition ist es, dass die Bürger selbst und unmit-telbar mit einer Verfassungsbeschwerde die von Bundestag und Bundesrat beschlos-senen Gesetze dem höchsten deutschen Gericht zur Bewertung vorlegen können.

Wie erfolgreich dieses Modell ist, lässt sich an den letzten Entscheidungen des Ge-richts zu den zahlreichen seit 2001 beschlossenen Sicherheitsgesetzen ermessen. Das Bundesverfassungsgericht hat vom Großen Lauschangriff über die Rasterfahndung, die Telekommunikationsüberwachung, die automatisierte Kennzeichenerfassung, die Online-Durchsuchung und zuletzt der Vorratsdatenspeicherung dem Gesetzge-ber seine Grundrechts-Grenzen aufgezeigt. Auf der Linie seiner bisherigen Rechtspre-chung hat das Bundesverfassungsgericht die fachlichen Prognosen der Innenmini-ster in Bund und Länder zur Verfassungsmäßigkeit ihrer Gesetzesvorlagen buchstäb-lich verworfen.

An Warnungen hat es wahrlich nicht gefehlt: Insbesondere die Datenschutzbeauf-tragten des Bundes und der Länder haben in zahlreichen Stellungnahmen zu den par-lamentarischen Beratungen, aber auch in öffentlichen Verlautbarungen auf die Verfas-sungswidrigkeit der Sicherheitsgesetze hingewiesen. Im Verfassungsstaat der Bundes-republik Deutschland bedürfen gesetzliche Einschränkungen der Freiheitsrechte eines konkreten Anlasses: Maßnahmen, die anlass- und ziellos auf die Erfassung der Bevöl-kerung bzw. von Bevölkerungsteilen gerichtet sind, sind verfassungswidrig. Das Bun-desverfassungsgericht hat diese grundrechtliche Basiserkenntnis nun mehrfach wie-derholt.

Die Innenminister des Bundes und der Länder sind nicht nur zuständig für den Si-cherheitsapparat, sondern auch und gerade für die Wahrung der Grund- und Freiheits-rechte. Wenn das Bundesverfassungsgericht in einer Kette von Entscheidungen Ge-setzes demontiert, dann zieht dies auch die Verfassungskompetenz der zuständigen Minister in Zweifel. Man könnte sich nun fragen, durch welche Mechanismen in der Gesetzgebung in Zukunft die Befolgung der verfassungsrechtlichen Vorgaben einge-übt werden. Es könnte aber auch sein, dass den Innenministern die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch gelegen kommt: Man selbst habe schließlich um der Sicherheit Willen Alles versucht, aber leider habe Karlsruhe die Grenzen des Sicher-heitsstaates enger gezogen. Dies wäre ein grandioses Missverständnis. Nicht Ponti-us Pilatus steht auf der Agenda, sondern eine Sicherheitspolitik im Einklang mit den Grundrechten. Die Formel hierzu könnte lauten „Sicherheit mit Datenschutz“.

Zu diesem Heft:Malte Diehl gibt einen instruktiven Überblick über die internationale Gesetzgebung zur Kryptographieregulierung. Noggie Kaufmann fasst die Rechtsprechung zum Da-tenschutz aus dem Jahr 2007 zusammen. Michael Schmidl prüft die Übermittlung von Arbeitnehmerdaten auf Grundlage des Standardvertrages Set II. Philipp Riesenkampff berichtet über die rechtliche Bewertung in Österreich zur Videoüberwachung in La-denlokalen. Niels Lepperhoff / Björn Petersdorf setzen sich mit dem Datenschutz bei Webstatistiken auseinander. Hannes Ludyga fasst die Ansprüche gegen die Bewer-tung eines Anbieters einer Online-Auktion zusammen. Roland Gabriel / Sebastian So-wa reflektieren aus betriebswirtschaftlicher Sicht das Management von Informations-sicherheit. Und im Nachgang zum letzten Heft fasst J.C. Buitelaar die Politik der Identi-tätsnummern in Europa zusammen.

Johann Bizer

DuD_408.indb 239 09.04.2008 13:20:54