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Silke Kinzig Auf dem Weg zur Macht?

Silke Kinzig Auf dem Weg zur Macht?der einflussreichsten politischen Philosophin des 20. Jahrhunderts, sind die Frauen von dieser Halfte noch weit entfemt, dem Ziel aber schon etwas

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Silke Kinzig

Auf dem Weg zur Macht?

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Forschung Politik

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Silke Kinzig

Auf dem Weg zur Macht? Zur Unterreprasentation von Frauen im deutschen und U.S.-amerikanischen Regierungssystem

VSVERLAG FUR SOZIALWISSENSCHAFTEN

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Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothel< verzeichnet diese Publil<ation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet iJber <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Die hier vorliegende Arbeit wurde von der Philosophischen Fakultat der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universitat Bonn als Dissertation angenommen und mit Genehmigung derselben gedruckt.

1. Auflage Januar 2007

Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag fiJr Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007

Lektorat: Monika Mulhausen / Tanja Kohler

Der VS Verlag fiJr Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Sphnger Science+Business Media. www.vs-verlag.de

DasWerk einschlieBlich aller seiner Telle ist urheberrechtlichgeschiJtzt.Jede Verwertung auBerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulassig und strafbar. Das gilt insbesondere fiJr Vervielfaltigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspei-cherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und daher von jedermann benutzt werden durften.

Umschlaggestaltung: KunkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v, Meppel Gedruckt auf saurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands

ISBN 978-3-531-15334-6

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Danksagung

Herzlich bedanken mochte ich mich an erster Stelle bei Herrn Prof. Dr. Frank Decker von der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universitat Bonn (Seminar fiir Politische Wissenschaft und Soziologie, Abteilung Politische Wissenschaft) fiir seine Freundlichkeit, fiir die Aufmunterung zur Anfertigung dieser Arbeit sowie fiir die iiberlassene uneingeschrankte Freiheit bei der Ausgestaltung des Pro-jekts.

Fiir ihre Bereitschaft zur tJbernahme des Zweitgutachtens, fiir ihr Interesse an meiner Arbeit und ihre Unterstiitzung danke ich Frau Prof. Dr. Doris Lucke von der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universitat Bonn (Seminar fiir Poli­tische Wissenschaft und Soziologie, Abteilung Soziologie).

Meinen Promotions-Kommilitoninnen aus verschiedenen Fachgebieten an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universitat Bonn gilt mein Dank fiir die breit gefacherten wissenschaftlichen Diskussionen.

Dem Team der Akademie fiir Internationale Bildung danke ich fiir vielfalti-ge kleine und groBere Hilfestellungen. So hat es mir Dr. Rainer Zack durch die Uberlassung eines Zimmers (ganz im Sinne von Virginia Woolfs A Room of One's Own) ermoglicht, eine phasenweise notwendige Ruhe und Abgeschie-denheit zu finden. Hilde Koch stand mir in der Endphase wiederholt mit stiHsti-schen und orthographischen Korrekturvorschlagen zur Seite. Viele weitere Kol-leginnen und KoUegen, einschlieBlich der visiting faculty members der Loyola Marymount University aus Los Angeles, richteten am Rande unserer Zusam-menarbeit aufmuntemde Worte an mich.

Besonderer Dank gilt schlieBlich meinem Freundeskreis und meiner Fami-lie in Waldeck und in Bonn, insbesondere meinem Mann Klaus fiir sein Ver-standnis und seine Unterstiitzung sowie meinem Sohn und Sonnenschein Alex­ander, der ganz unbewusst dafiir gesorgt hat, dass ich beizeiten eine fruchtbare Distanz zum Arbeiten genommen habe.

Bonn, im August 2006 Silke Kinzig

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Geleitwort

„Die Halfte des Himmels und die Halfte der Macht auf Erden" lautete eine For-derung der zweiten Frauenbewegung in Deutschland am Ende der 1970er Jahre. Jetzt, am Anfang des 21. Jahrhunderts, zum 100 Geburtstag von Hannah Arendt, der einflussreichsten politischen Philosophin des 20. Jahrhunderts, sind die Frauen von dieser Halfte noch weit entfemt, dem Ziel aber schon etwas naher. Spielten Frauen im 'Kreislauf der Eliten' Jahrhunderte lang allenfalls als Ma-tressen eine Rolle, und war zunachst hinter den Kulissen und dann zunehmend auch in der medienwirksamen Inszenierung von political couples - Ronald und Nancy Reagan, Gerhard Schroder und Doris Schroder-Kopf oder Ehepaar Gor-batschow - die 'Liebe an der Macht', so stehen heute immer mehr Frauen leib-haftig und allein an der Spitze von Regierungen und bekleiden weltweit hohe und hochste politische Amter. Deutschland wird seit Herbst 2005 von einer Kanzlerin regiert, knapp ein Jahr spater schon hat Angela Merkel als die nach einer aktuellen Forbes-Umfrage nun machtigste Frau der Welt die US-AuBen-ministerin Condoleezza Rice von Platz 1 verdrangt.

Der Weg zur Macht ist in Tempo und Massivitat indes kein - erst recht kein unaufhaltsamer - Marsch durch die seit jeher mannlich besetzten Institutionen, kein Gipfelsturm, eher ein Schleichpfad. Aber auch die Kriechspur hinterlasst Spuren. Das gilt selbst fiir ein running in place, wenn auf die Frau ganz oben 'nattirlich' wieder ein Mann folgt, die Zahl der Ministerprasidentinnen in Deutschland z.B. emeut auf Null sinkt oder bei den Bundesprasidenten trotz nun schon mehrerer prasentierter Kandidatinnen iiber die Null-Nummer kalkulierter Damenopfer gar nicht erst hinauskommt. Gipfeltreffen zeigen das alt bekannte Gruppenbild mit Dame: versprengte Politikerinnen, Fremdkorper auf der Grat-wanderung zwischen dem vorgeblich geschlechtsneutralen Amt und der irritie-rend weiblichen Person. „Handkuss und GruB an den Herrn Gemahl, Frau Bun-deskanzlerin!" Noch immer wirkt die Macht in Handen und in den Kleidem von Frauen wie eine aus mannlicher Potenz und Potestas abgeleitete einmalige Son-derausgabe. Sollte Hilary Clinton tatsachlich einmal Prasidentin der USA wer-den, wird sie das nicht nur, aber auch als die Noch-Ehegattin von Ex-Prasident Bill Clinton: eine der Weltliteratur entsprungene Trau Thomas Mann'.

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Die am Institut fiir Politikwissenschaft und Soziologie der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universitat Bonn entstandene und von der Philosophischen Fakultat als Dissertation angenommene Analyse zur Unterreprasentanz von Frauen im deutschen und US-amerikanischen Parteien- und Regierungssystem leistet einen systematischen, empirisch fundierten Beitrag zur ungleichen Betei-ligung von Frauen in der Politik und deren moglichen Ursachen, der sich in die einschlagige Forschungslandschaft im Uberschneidungsbereich von Politik­wissenschaft, Soziologie und Gender Studies einftigt und vor allem auch fur komparatistische Zwecke - sowohl im Landervergleich wie fiir den Vergleich mit den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft und Recht - als sorgfaltig recher-chierte Bestandsaufnahme hervorragend eignet. Aufgrund der anhaltenden Ak-tualitat der Thematik ist zu erwarten, dass die in diesem Buch prasentierten Ergebnisse und die auf ihrer Basis von Silke Kinzig zur Diskussion gestellten Thesen auf groBes fachliches Interesse stoBen und praktisch-politische Auf-merksamkeit auch iiber die Grenzen der genannten akademischen Disziplinen hinaus finden.

Bonn, im Oktober 2006 Doris Lucke

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Inhalt

Abbildungsverzeichnis 14

Einleitung 17

Forschungsstand und Quellenlage 21

Methodik, Aufbau und Zielsetzung der Arbeit 28

A Wie viele Frauen, wann und wo? - Streifzug durch die Gewalten 33

1. Legislative 33

l.l.NationaleEbene 33 1.1.1. Frauen im Deutschen Bundestag 33 1.1.2. Frauen im U.S. Kongress 39 1.1.3. Zwischenergebnis: Doppelt so hoher Anteil an

Parlamentarierinnen in Deutschland im Vergleich zu den USA: Staatliche Institutionalisierung von Frauenpolitik als Konigsweg oder gebremster Fortschritt? 45

1.2. Bundeslander und Bundesstaaten 48 1.2.1. Auffalligkeiten in den deutschen Bundeslandern 48 1.2.2. Besonderheiten in den amerikanischen Bundesstaaten 53 1.2.3. Zwischenergebnis: Regionale Disparitaten durch den

Einfluss von Parteien, politischen Kulturen und Wahlsystemen 61

2.Exekutive 62

2.1.NationaleEbene 62 2.1.1. Die Spitze der Macht 62

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2.1.1.1. Die erste deutsche Bundeskanzlerin 62 2.1.1.2. Das Bundesprasidentenamt: Frauen bislang nur

als 'Zahlkandidatinnen' 65 2.1.1.3. Frauen auf dem Weg zur amerikanischen

Prasidentschaft 69 2.1.1.4. Zwischenergebnis: Ungiinstigere

Rahmenbedingungen fiir die Erfolgsaussichten von Kandidatinnen auf das amerikanische Prasidentschaftsamt 73

2.1.2. Regierungskabinette 74 2.1.2.1. Deutsche Bundesniinisterinnen 74 2.1.2.2. Frauen in amerikanischen

Prasidentschaftskabinetten 78 2.1.2.3. Zwischenergebnis: Kaum noch ministeriale

Mannerdomanen - jedoch jiingst riicklaufige Frauenanteile 81

2.2. Bundeslander und Bundesstaaten 83 2.2.1. Frauen in deutschen Landerregierungen 83 2.2.2. Frauen in Regierungsmannschaften der amerikanischen

Einzelstaaten 87 2.2.3 Zwischenergebnis: Mehr Frauen in den

Regierungsmannschaften der amerikanischen Einzelstaaten als in denen der deutschen Bundeslander 91

3.Judikative 92

3.1. Deutsche Berufsrichterinnen 92 3.2. Richterinnen in den Vereinigten Staaten 95 3.3. Zwischenergebnis: Bekannte Strukturen auch im Bereich der

Judikative 97

B Zu wenig Kandidatinnen? Einflussfaktoren auf den Anteil von Frauen im eligibility pool der Politik 101

1. Sozialstrukturthese 106

1.1. Geschlechtsspezifischer Bildungsstand und Berufsstrukturen in der Bundesrepublik 106

1.2. Bildungsstand und beruflicher Status amerikanischer Frauen 113

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1.3. Zwischenergebnis: Keine grundsatzliche Interdependenz der Frauenanteile in der freien Wirtschaft zu denen in der Politik jedoch globale Grenzen der Strategien 'Gleichberechtigung durch Bildung' und 'Emanzipation durch Erwerbsarbeit' 116

1.4. Exkurs: SoziologischeErklarungsmodelle: SchlieBungstheorien, horizontale Segregation, Theorie des weiblichen Arbeitsvermogens und das Potentiale-Konzept 117

2. Abkommlichkeitsthese 121

2.1.Deutschland 121 2.2. USA 124 2.3. Zwischenergebnis: Spate Mutterschaft und Kinderlosigkeit als

Vermeidungsstrategien 126

3.Sozialisationsthese 127

3.1.Deutschland 131 3.1.1. Das bundesrepublikanische Leitbild der Hausfrauenehe 131 3.1.2. Exkurs: Ungleiche Schwestem? Die staatliche propagierte

Frauenrolle in der DDR 134 3.1.3. Politische Motivation deutscher Frauen 137

3.2. USA 142 3.2.1. Die staatliche Konzentration auf die Eigenschaft der

Berufstatigkeit und der Einfluss orthodoxer Denominationen 142

3.2.2. Politische Motivation amerikanischer Frauen 145 3.3. Zwischenergebnis: Traditionelle Werte und Strukturen im

Spannungsverhaltnis zu sich verandernden Rollenbildern 149

C Der Weg zum politischen Mandat 153

1. Die Rolle der Parteien im Rekrutierungssystem 153

1.1. Innerparteiliche Frauen- und Geschlechterquoten - Warum diesseits undnichtjenseits des Atlantiks? 157

1.2. Deutsche Spielarten: Die Quotenregelungen der Parteien 164 1.2.1. Skizze zur Historic innerparteilicher Quotenregelungen 167 1.2.2. Beobachtungen zu Umsetzungen der Quotenregelungen ....174

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1.3. Auspragung und Bedeutung innerparteilicher Rekrutiemngsstmkturen in den USA 181

1.4. Zwischenergebnis: Rekrutierungsmonopol deutscher Parteien vs. Vielfaltigkeit in den USA 186

2.Eine U.S.-amerikanische Besonderheit: Die Finanzierung von Wahlkampfen 187

2.1. Zwischenergebnis: Geld ist nicht die groBte Sorge 193

3. Die mediale Darstellung politischer Kandidatinnen 194

3.1. Forschungsergebnisse zur medialen Darstellung von Politikerinnen in Wahlkampfen - Bin deutsches Desiderat 195

3.2. Die Darstellung U.S.-amerikanischer Politikerinnen zu Wahlkampfzeiten in den Medien 201

3.3. Zwischenergebnis: Achtsamkeit und 'gendersensibler Joumalismus' gefragt 207

4. Der Einfluss von Wahlsystemen auf die Representation von Frauen ....210

4.1. Mehrheitswahl - Verhaltniswahl: Amerikanischer Kongress und Deutscher Bundestag 211

4.2. Die Bedeutung der Anzahl von Wahlkreisen und der Anzahl von Vertretern je Wahlkreis 215

4.3. Geschlossene Listen, offene Listen, Kumulieren, Panaschieren: Die Auswirkungen einer erhohten Einflussnahme der Wahler aufWahllisten 219

4.4. Zwischenergebnis: So etwas wie 'das beste Wahlsystem' gibt es nicht 223

5. Das Wahlerverhalten: Geschlechtssolidarisch, geschlechtsdiskriminierend oder geschlechtsneutral? 225

5.1. Die deutschen Wahler: Starke Parteienidentifikation und geringe Kandidatenorientierung 226

5.2. Die amerikanische Wahlerschaft: Vermehrte Anzeichen von Frauensolidaritat und das weibliche Geschlecht als Positivmerkmal 231

5.3. Zwischenergebnis: Keine ausschlaggebenden Diskriminierungen an den Wahlumen 239

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6. Die 'Altherrenriege' - Zur Bedeutung von Amtszeitbeschrankung und incumbency factor 241

6.1. Amtszeitbeschrankung und incumbency factor. Nur von untergeordneter Bedeutung fiir die Frauenpolitik in Deutschland..242

6.2. Die frauenpolitische Forderung nach Amtszeitbeschrankungen in den USA: Bin Irrweg? 245

6.3. Zwischenergebnis: Der incumbency factor wirkt auch zugunsten weiblicher Abgeordneter 250

Fazit und Ausblick 251

Bibliographic 255

Webliographie 269

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Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Auszug aus der'Weltrangliste'weiblicher Parlamentsabgeordneter (Stand Februar 2006) , 19

Abb. 2: Parlamentarischer Frauenanteil auf Bundesebene (1919-2005) 35 Abb. 3: Anzahl der weiblichen Bundestagsabgeordneten nach Fraktionen

(ausgewahlte Jahre) 37 Abb. 4: Frozentualer Frauenanteil an den Abgeordneten der einzelnen

Fraktionen im 16. Deutschen Bundestag (Stand Oktober 2005) 38 Abb. 5: Anteil von Frauen im U.S. Kongress (1969-2005) 40 Abb. 6: Ubersicht aller bisherigen Senatorinnen nach Art der

Mandatstibemahme (Stand November 2005) 43 Abb. 7: Anteile der Parteien an den weiblichen Kongressabgeordneten

(2005 und insgesamt) 44 Abb. 8: Anteil von Frauen im Deutschen Bundestag und im U.S.

Kongress (1969-2005) 45 Abb. 9: Durchschnittlicher Frauenanteil in den Landtagen im Vergleich

zum Deutschen Bundestag (1969-2005) 48 Abb. 10: Anteil weiblicher Abgeordneter in den Landtagen der

Bundeslander (Stand November 2005) 49 Abb. 11: Hohe der Abgeordnetendiaten und Frauenanteile in den

Landtagen (Stand November 2005) 52 Abb. 12: Frauenanteil in den einzelstaatlichen Legislativen und im U.S.

Kongress (1971-2005) 54 Abb. 13: Bundesstaaten mit den hochsten und niedrigsten Frauenanteilen

in den Legislativen (Stand November 2005) 55 Abb. 14: Bundesministerinnen bis Dezember 2005 (chronologisch) 75 Abb. 15: Frauen mpresidential cabinets amerikanischer Prasidenten bis

Dezember 2005 (chronologisch) 79 Abb. 16: Anzahl und Ressorts amtierender Landesministerinnen

(Stand Dezember 2005) 84 Abb. 17: Landesministerinnen und Parteizugehorigkeit (1998 und 2005) 87 Abb. 18: Frauen in Statewide Elective Executive Offices (Stand

November 2005, in Klammem Vergleich zu 2002) 89

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Abb. 19: Frauenanteil in exekutiven Amtem auf einzelstaatlicher Ebene (ausgewahlte Jahre) 90

Abb. 20: Zustimmung von deutschen 14-jahrigen Jungen und Madchen zu Aussagen im Rahmen der Familienbilder und der Gleichstellung 133

Abb. 21: GeauBerte Bereitschaft der Deutschen zur Ubernahme eines politischen Amtes 138

Abb. 22: Prozentualer Anteil der Frauen an den Abgeordneten der einzelnen Parteien im Deutschen Bundestag zu ausgewahlten Wahlperioden 178

Abb. 23: Wahlverhalten nach Geschlecht und Partei (Zweitstimmenanteile in Prozent) bei der Bundestagswahl 2005 (Veranderung gegeniiber 2002) 228

Abb. 24: GeauBerte Bereitschaft von Studenten zur Unterstiitzung von Kandidatinnen auf verschiedenen Ebenen 238

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Einleitung

Die Vereinigten Staaten gelten als Urspmngsland der Frauenbewegung. Strate-gien der 'politischen Ermachtigung' (empowerment) von Frauen werden jenseits des Atlantiks bereits seit Jahrzehnten diskutiert.' Die Arbeit der iiberwiegend nicht-staatlichen Frauenorganisationen wird im Vergleich zu Deutschland als vorbildlich eingestuft. So urteilt die Politologin Helga Lukoschat:

„Insbesondere im Vergleich zu den USA, wo es zahlreiche unabhangige, parteiiibergreifende Einrichtungen zur Nachwuchsfordemng, zur Qualifizierung von Frauen und zur Beratung, Un-terstiitzung und Vemetzung von Politikerinnen gibt, nimmt sich die Bundesrepublik nahezu wie ein frauenpolitisches 'Entwicklungsland' aus."^

Dem marginalen Einfluss nicht-staatlicher Frauenorganisationen in der Bundes­republik steht jedoch eine staatlich institutionalisierte Struktur gegeniiber, in-nerhalb derer rund 1900 Gleichstellungsstellen iiber die Chancengleichheit der Geschlechter wachen.^ Zudem kommen hierzulande seit nunmehr zwanzig Jah-ren innerparteiliche Frauen- und Geschlechterquoten zur Anwendung, und seit Herbst vergangenen Jahres steht eine Frau an der Spitze der Regierung.

Wird nicht somit und nach fast 90 Jahren Frauenwahlrecht in Deutschland und in den Vereinigten Staaten sowie nach vielen weiteren Errungenschaften die alte feministische Behauptung vom Ausschluss der Frauen aus der Politik all-mahlich unsinnig? 1st nicht die Chancengleichheit bereits erreicht? Und wenn es tatsachlich noch den einen oder anderen Mangel geben sollte, liegt dies dann nicht allein an den Frauen, die endlich beherzter zugreifen mtissten? Die Sozio-login Barbara Maria Blattert begegnet solchen MutmaBungen wie folgt:

„Das Recht auf Chancengleichheit und formale Gleichberechtigung garantiert noch nicht die Verwirklichung von Gleichstellung und kann dariiber hinaus auch dazu missbraucht werden,

Vgl. Meyer. Amerika, hast Du es besser? Zur politischen Partizipation von Frauen in den USA. 36. Lukoschat. Austausch und Vemetzung: MaBnahmen zur Starkung von Frauen in der Politik. 195. Ebenso sieht es Esch. Instrumente gleichstellungspolitischen Mainstreamings. 207f. Zur Anzahl der Gleichstellungsstellen vgl. Bundesministerium fiir Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.). Frauen in Deutschland. Von der Frauen- zur Gleichstellungspolitik. 11.

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eine bestehende Ungleichheit zum individuellen Pro-blem zu erklaren. (...) Mit diesem Argu­ment, das die Benachteiligung von Frauen in der Konsequenz wiederum als individuelles Pro­blem an die Betroffenen zuruckgibt, zieht sogar die Gefahr auf, hinter bereits Erreichtes zu-riickzufalien. Nach wie vor unberiicksichtigt bleiben Einsichten in strukturelle Zusammen-hange."^

Tatsachlich ist fur Deutschland festzustellen, dass 20 Jahre institutionalisierte Frauenpolitik einen beachtlichen Fortschritt gebracht haben, der Anteil weibli-cher Bundestagsabgeordneter^ aber seit acht Jahren mehr oder minder stagniert bzw. in jiingster Vergangenheit sogar Riickschritte erleidet. In den Vereinigten Staaten kann man gar von einem Paradoxon sprechen, das sich auf der einen Seite durch das Selbstverstandnis als fortschrittlich(st)e Demokratie sowie durch die lange Geschichte der Frauenbewegung, auf der anderen Seite durch die vergleichsweise geringe Zahl von Frauen in politischen Amtern kennzeichnet. In den Parlamenten Ruandas, Spaniens und Argentiniens liegt der Frauenanteil iiber dem in Deutschland, welches sich derzeit auf Platz 16 der Landerliste be-findet. Die USA belegten Ende 1999 nur den 40. Platz auf dieser Liste. In den folgenden drei Jahren wurden sie von weiteren 15 Landern iiberholt und rangier-ten im Juli 2002 gemeinsam mit der Slowakei auf Platz 55. Die marginalen Zuwachse der vergangenen Jahre konnten die Talfahrt nicht aufhalten, so dass sich die Vereinigten Staaten heute abgeschlagen auf Platz 69 der 'Weltrangliste' weiblicher Parlamentsabgeordneter wieder finden.^

Blattert. Aus(sen)wirkungen staatlicher Frauenpolitik. Eine Untersuchung des Verhdltnisses von Gleichstellungsstelle und Frauenprojekten in Berlin. 76 und 71. Bei der Formulierung dieser Arbeit kam es durch die androzentrische Ausrichtung der deut-schen Sprache an mehreren Stellen zu dem Problem der geschlechtsneutralen Formulierung. Die Verfasserin hat sich dazu entschlossen, dieses Problem nicht an jeder Stelle durch die Verwendung neuerer sprachlicher Innovationen (wie durch die explizite Nennung beider Ge-schlechter oder durch das Anfiigen weiblicher Wortendungen) zu losen, sondem grundsatzlich der besseren Lesbarkeit den Vorzug zu geben. Ahnliches gilt in Bezug auf die Begriffe Ameri-ka, Amerikaner sowie amerikanisch, die stellvertretend fiir die USA und ihre Einwohner ver-wandt werden. An dieser Stelle mag der Binwand kommen, dass Frauen in beiden Gesellschaften politischen Einfluss auf Ebenen ausiiben, die auBerhalb der Strukturen der Regierungssysteme liegen. Dies mag zutreffen, dennoch bleibt m.E. das Paradoxon hiervon unberiihrt; vor allem, wenn man an die Legitimierung einer demokratischen Regierung denkt.

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8 9

10 11 16 23

" 29 30 37 40 47 50 55 60 65 69 77

1 85

Country

Rwanda^ Sweden Norway Finland Denmark Netherlands Cuba Spain Costa Rica Argentina Mozambique Belgium Germany Afghanistan Viet Nam Australia Mexico Bulgaria Croatia China United Kingdom Peru Dominian Rep. Cyprus USA Ireland France

Lower or Single House Seats

80 349 169 200 179 150 609 350 57

257 250 150 614 249 498 150 500 240 152

2980 646 120 150 56

435 166 574

Women 39

158 64 75 66 55

219 126 20 90 87 52

195 68

136 37

121 53 33

604 127 22 26

9 66 22 70

% 48,8 45,3 37,5 37,5 36,9 36,7 36,0 36,0 35,1 35,0 34,8 34,7 31,8 27,3 27,3 24,7 24,2 22,1 21,7 20,3 19,7 18,3 17,3 16,1 15,2 13,3 12,2

Upper House or Senate | Seats

26

___ ___ — __-75

— 259

— 72

___ 71 62

102

___ 79

128

___ ___ —

721

___ 32

— 100 60

331

Women 9

___ ___ ___ ___ 22

___ 60

___ 30

___ 27 17 23

___ 27 28

__. ___ ___

126

___ 2

___ 14 10 56

% 1 34,6

- 1 -- 1 — 1 ___

29,3

--- 1 23,2

___ 1 41,7

_._ 1 38,0 27,4' 22,5

___ 1 35,5 21,9

___ 1 --- 1 -- 1 17,5

___ 1 6,3

___ 1 14,0 16,7 16,9 1

7 Mit Ruanda steht ein Entwicklungsland an der Spitze der Tabelle. Hintergrund sind die tief-greifenden gesellschaftlichen Umbriiche in der Folge des Genozids von 1994. Durch die Ab-wesenheit ihrer Ehemanner (Inhaftierung oder Tod) libemahmen ruandische Frauen in groBer Zahl die Funktion des Famihenoberhaupts, erschlossen sich unabhangige Einnahmequellen, griindeten Vereine und Organisationen. Der Wunsch nach „gesellschaftlicher Aufarbeitung, Versohnung und einem demokratischen Neuanfang" bereitete schlieBlich den Weg fiir eine verfassungsrechtlich vorgeschriebene Frauenquote, nach der 24 der 80 Sitze des Abgeordne-tenhauses fur Frauen reserviert sind. Die Inter-Parliamentary Union iibernahm im Prozess der Verfassungsnovellierung eine beratende Rolle und diirfte positiv auf die Entscheidung zur Quoteneinfuhrung eingewirkt haben. Vgl. Thorn. Gender justice auf dem Priifstand. Lebens-bedingungen, Entwicklungschancen und Machtgleichstellung im intemationalen Vergleich. (Link siehe Webliographie.)

8 Nach eigener Recherche basierend auf den Mitgliederlisten des Deutschen Bundesrats sind unter den insgesamt 69 Mitgliedem des Deutschen Bundesrats derzeit zwolf Frauen, was ei­nem Anteil von 17,4 Prozent entspricht. Vgl. Deutscher Bundesrat. Liste der Mitglieder nach Bundeslandem. (Link siehe Webliographie.)

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89 95

100 105 109 115 127 134 138

"

Country

Italy El Salvador Russian Fed. Japan India Kenya Turkey Egypt Saudi Arabia Unit. Arab Emi.

Lower or Single House Seats

616 84

447 480 543 224 550 442 150 40

Women 71

9 44 43 45 16 24

9 0 0

% 11,5 10,7 9,8 9,0 8,3 7,1 4,4 2,0 0,0

0

Upper House or Senate | Seats

321 ___

178 242 242 ___ ___

264 ___ —

Women 26 ___

6 34 28 ___ ___ 18 ___ —

% 1 8,1 ___

3,4 14,0 11,6

__-

-- 1 6,8 ___

1 Abb. I: Auszug aus der 'Weltrangliste' weiblicher Parlamentsabgeordneter

(Stand Februar 2006f

Neben der erwahnten, widerspriichlich anmutenden Situation in den USA (de-mokratisches Selbstverstandnis und etablierte Frauennetzwerke versus an-dauernde Unterreprasentation von Frauen in der Politik) war das Vorhandensein einer weiteren 'Unstimmigkeit' ftir diese Arbeit motivationsstiftend: Es ist eine gangige Annahme in der Geschlechterforschung, dass die vorgelagerten gesell-schaftlichen Barrieren ftir die Unterreprasentation von Frauen in der Politik zu einem groBeren Teil verantwortlich sind als spezifische Strukturen innerhalb der politischen Systeme. In diesem Sinne argumentiert beispielsweise die Soziolo-gin und Politikwissenschaftlerin Beate Hoecker:

„[D]er derzeitige Forschungsstand [belegt] eindeutig, dass die geringe weibliche Prasenz im politischen Entscheidungsprozess vorrangig auf strakturellen Barrieren aus dem gesellschaftli-chen Bereich beruht. Die nach wie vor bestehende soziale Ungleichheit von Frauen, die wie-derum Resultat der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung sowie der damit verbundenen tradi-tionellen Geschlechterrollen ist, setzt sich in den politischen Institutionen fort, und begrenzt die Beteiligungschancen von Frauen."'*^

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Ubersicht erstellt basierend auf Angaben der Inter-Parliamentary Union (IPU). Women in National Parliaments: World Classification. (Link siehe Webliographie.) Eine Studie im Auf-trag des World Economic Forum stellte 2005 ein Internationales Ranking auf, welches nicht nur die Anzahl weiblicher Abgeordneter, sondem auch den Frauenanteil an politischen Fiih-rungspositionen beriicksichtigt. Hiemach findet sich die Bundesrepublik auf Platz 6, die Ver-einigten Staaten auf Platz 19 von 58 Landem wieder. Vgl. Lopez-Claros and Zahidi. Women's Empowerment: Measuring the Global Gender Gap. (Link siehe Webliographie.) Hoecker. Geschlechterdemokratie im europdischen Kontext. Die Konzepte der Europdischen Union zur Forderung der politischen Beteiligung von Frauen. Hoecker bezieht diese Aussage auf die Unterreprasentation von Frauen in den Mitgliedslandem der Europaischen Union und

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Ausgehend hiervon ware fiir einen Landervergleich zu schlussfolgem, dass die gesellschaftlichen Barrieren in der Bundesrepublik niedriger sind als in den USA, da der Anteil von Frauen in politischen Amtern hier wesentlich liber dem in den Vereinigten Staaten liegt. Wie aber konnten sich unter dem traditionellen bundesrepublikanischen Leitbild der Hausfrauenehe giinstigere gesellschafdiche Strukturen herausbilden als unter der individualistisch veranlagten und an Leis-tung orientierten Gesellschaft der Vereinigten Staaten?'^ Spielen die Strukturen innerhalb der politischen Systeme doch eine groBere Rolle als angenommen? Oder fuhrt das universelle Ubertragen geschlechtertheoretischer Ansatze, ob-wohl durchaus iiblich, wie die Vorgehensweise Hoeckers zeigt, zu gravierenden Fehleinschatzungen?

Forschungsstand und Quellenlage

Zur weiteren Einstimmung folgen nun einige grundlegende Anmerkungen zum Bereich der Geschlechterforschung sowie zum aktuellen Forschungsstand. Un­ter gender, einem Begriff, der urspriinglich aus der Granmiatik stammt, versteht man „soziokulturelle Funktionen von Mannlichkeit und Weiblichkeif'J^ Gender ist dabei nicht kausal mit dem biologischen Geschlecht verkniipft, sondern ist eine kulturelle Interpretation, die dem Individuum iiber eine Geschlechterrolle einen Platz innerhalb der gesellschaftlichen Ordnung zuweist. In diesem Zu-sammenhang ist eine Grundannahme dieser Arbeit, dass zwischen Geschlechter-roUen {gender roles) und politischen Rollen eine Beziehung besteht. Wie Virgi­nia Sapiro, Lehrende an der Universitat von Wisconsin, ausfiihrt, werden inner­halb der Geschlechterrollen unterschiedlich groBe Ressourcen zur Verfiigung gestellt, die fur die tJbernahme politischer Rollen notwendig sind. Hierzu zahlen beispielsweise Zeit, Geld oder die Moglichkeit der Kommunikation mit be-stimmten sozialen Gruppen. Weiterhin wird davon ausgegangen, dass Normen, Werte oder Bediirfnisse, die in den Geschlechterrollen verankert sind, in unter-schiedlichem MaBe kongruent sind mit den Normen, Werten oder Bediirfnissen, die politischen Rollen zugeschrieben sind.'^ Es geht bei dieser Arbeit also nicht nur um das Aufzeigen von Disparitaten in der politischen Reprasentation von

postuliert somit eine weitreichende Ubertragbarkeit der Annahme von der herausragenden Be-deutung gesellschaftlicher Strukturen - und zwar unabhangig von verschiedenen politischen Systemen.

11 Zu den staatlich propagierten Frauen-Leitbildem vgl. Teil B, Kapitel 3 dieser Arbeit. 12 Feldmann und Schiilting. Gender. 217. 13 Vgl. Sapiro. The Political Integration of Women: Roles, Socialisation, and Politics. 60f.

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Frauen und Mannern. Vielmehr soil deutlich werden, dass gender eine Katego-rie ist, die auf politische Einstellungen, Strukturen und Moglichkeiten Einfluss nimmt und somit eine Determinante fiir politische Ungleichheit darstellt.'"^ Selbst wenn der Untertitel explizit Bezug auf Frauen nimmt, geht es zwangslau-fig auch um die Situation von Mannern und um die Auswirkungen ihrer Ge-schlechterrolle.

Mit dieser Ausgangssituation und einer Herangehensweise, der ein dualisti-sches Konzept von Geschlechtlichkeit zugmnde liegt, muss sich diese Arbeit mit dem Vorwurf der dekonstruktivistischen feministischen Kritik auseinander-setzen, sie beteilige sich an der Re-Konstruktion der ZweigeschlechtHchkeit.^^ Dieser Kritik begegnet die Verfasserin zunachst mit der Feststellung, dass die hier vorliegende Arbeit nicht dem Unterschiedsfeminismus verhaftet ist. Diese Arbeit betreibt keine systematische Aufwertung des Weiblichen, da ein solcher Weg das bipolare Geschlechterverhaltnis immanent bestatigt. Zudem stellt die Logik des Unterschiedsfeminismus die Erwartung an Frauen in politischen Amtem, dass diese eine andere, bessere Politik machen mtissten als ihre mannli-chen Kollegen. Weiterhin kann jede Differenzannahme die Distanz von Frauen zum etablierten politischen System verstarken; sicherlich aber, und dies ist das Entscheidende, stellt sie die Struktur fiir eine Hierarchic bereitJ^

14 An dieser Stelle sei die in der politischen Praxis seit einiger Zeit prominente Strategic des gendermainstreamings erwahnt. Hierbei soil das soziale Geschlecht zu einem integrativen Teil aller dominanten Politikbereiche (main stream) werden, wobei der „Prozess bin auf eine ge-schlechtergerechte Politik (mainstreaming)" im Zentrum des Interesses steht. Gender-mainstreaming enthalt somit die Forderung, dass sich Frauen und Manner fiir Fortschritte im Geschlechterverhaltnis gleichermafien engagieren. Vgl. hierzu HoUand-Cunz. Die alte neue Frauenfrage. 192.

15 Als einer der ersten thematisierte Niklas Luhmann diese problematische Situation der Frauen-forschung. Vgl. Luhmann. Frauen, Manner und Georg Spencer Brown. 47-71. Judith Butler legte in ihrem Werk Gender Trouble die soziale, kulturelle und sprachliche Konstituiertheit der GeschlechterroUen frei. In Bodies That Matter radikalisiert Butler ihren Gedankengang, indem sie ausfuhrt, dass die Unterscheidung zwischen biologischem und sozialem Geschlecht eben-falls eine kulturell konstmierte Ideologic sei. Dies impliziert, dass die Frauenbewegung und auch die feministische Forschung zu einer Aufrechterhaltung der Geschlechterdichotomie bei-tragen. Die Unterschiedlichkeit werde immer wieder thematisiert, was schlieBlich eine system-starkende Wirkung habe. M.E. werden durch Butlers Analysen die Aktivitaten und Arbeiten von Frauenrechtlerinnen und -forscherinnen dennoch nicht in Frage gestellt, da sich Butler auf einer anderen (theoretischen) Ebene des Themenkomplexes bewegt. Vgl. Butler. Gender Trouble: Feminism and the Subversion of Identity, sowie Butler. Bodies That Matter: On the Discursive Limits of Sex'.

16 Angelika Wetterer fiihrt hierzu aus: „Die Ubersetzung von Hierarchic in Differenz stiitzt (...) fortwahrend die Legitimation der Vergeschlechtlichung und hat nicht zuletzt deshalb zur Fol-ge, dass der Abbau geschlechtshierarchischer Strukturen eher weiter in die Feme, statt naher

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Mit der Distanzierung vom Unterschiedsfeminismus positioniert sich die Verfasserin auBerhalb des in der deutschen Forschung (und Gesellschaft) prafe-rierten Ansatzes. Die Politologin Angelika von Wahl fiihrt aus, dass hierzulande eine groBere Affinitat in Richtung Differenztheorie zu fmden sei als in den USA, was sich u.a. in einer starkeren Kritik der weiblichen Anpassung an das mannliche Verhaltensmodell auBere: „Der prominenten liberalen Vorstellung amerikanischer Feministinnen, dass 'Frauen das auch konnen', setzen deutsche Feministinnen ein 'wir konnen das auch, aber wir machen es anders' entge-gen."*^ Dass diese Arbeit nicht dem Unterschiedsfeminismus verhaftet ist, be-deutet jedoch nicht zugleich die uneingeschrankte Zustimmung zu den Auffas-sungen des Gleichheitsfeminismus. Zunachst sollte Gleichheit nicht gleichge-setzt werden mit einer Anpassung der Frauen an mannhche Lebensgestaltung. AuBerdem teilt die Verfasserin, und dies mag nach der zuvor erfolgten Ableh-nung der Differenztheorie tiberraschen, nicht die Ansicht, dass Frauen und Manner gleich sind - sie konnen es gar nicht sein, da weder innerhalb der Grup-pe der Frauen noch innerhalb derer der Manner eine Gleichheit besteht. Viel-mehr existieren innerhalb der Geschlechtergruppen eine Vielfalt und eine Unter-schiedlichkeit, welche die Grenzen der Zweigeschlechtlichkeit aufzeigen.̂ ^ So

riickt." Wetterer. Dekonstruktion und AUtagshandeln. Die (moglichen) Grenzen der Ver-geschlechtlichung von Bemfsarbeit. 242.

17 von Wahl. Gleichstellungsregime. Berufliche Gleichstellung von Frauen in den USA und in der Bundesrepublik. 349. Grundsatzlich gilt das Konzept der Gleichheit als systemerhaltend, da es trotz der Forderung nach Gesellschaftsveranderung das soziale Wertgefiige in Takt lasst und so systemkompatibel ist. Das Konzept der Geschlechterdifferenz hingegen befiirwortet die Separation vom etablierten System und die Schaffung einer Gegenkultur. Vgl. hierzu bei-spielsweise Blattert. Aus(sen)wirkungen staatlicher Frauenpolitik. Eine Untersuchung des Verhdltnisses von Gleichstellungsstelle und Frauenprojekten in Berlin. 24 und 48f.

18 Die soziale Konstmktion der Zweigeschlechtlichkeit birgt die Problematik, dass Frauen wie auch Manner zu einer jeweiligen Einheit zusammengefasst werden, die es in der Realitat nicht gibt. Frauen wie auch Manner haben mehrere soziale Rollen, durch die sie sich innerhalb ihrer Geschlechtergruppe immens voneinander unterscheiden. So verstarken wirtschaftliche Schwa-che Oder die Zugehorigkeit zu einer ethnischen Minderheit die politische Marginalitat, der be-stimmte Gruppen von Frauen ausgesetzt sind. In dieser Arbeit sollen Frauen nicht zu einer Einheit zusammengefasst werden, aufgrund des angestrebten Umfangs miissen die getrennten Analysen jedoch auf einem sehr eingeschrankten Niveau verharren. Umso wichtiger ist es, die Unterschiedlichkeit von Frauen (und auch die von Mannem) stets im Hinterkopf zu behalten. Ein (Diversity-)Konzept, welches zwar die Zweigeschlechtlichkeit nicht auflost, aber die Viel­falt innerhalb der Geschlechtergruppen beriicksichtigt und so weiter geht als Differenz- und Gleichheitstheorien ist das so genannte Potentiale-Konzept, welches Christine Roloff und Sig-rid Metz-Gockel wie folgt beschreiben: „Das Potentiale-Konzept nimmt die Idee auf (...) Dif-ferenzierungen unter Frauen wahrzunehmen und zu akzeptieren. Es bezieht aber auch das Um-feld ein, in dem Differenzierungen oder Gleichformigkeit sich ausbilden. Unter 'Potentialen' verstehen wir die Anlagen und Begabungen, Fahigkeiten und ausgebildeten Qualifikationen,

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wird es m.E. immer dringlicher, Wahlfreiheit fiir beide Geschlechter zu verwirk-lichen, Rollen-Zwischen-Formen zuzulassen und die Geschlechterdualitat gmndsatzlich in Frage zu stellen.

Weiterhin scheint es angebracht, den Begriff (Unter-) Reprasentation zu diskutieren und zu differenzieren. Warum ist es so wichtig, dass die Anzahl von Frauen im Regierungssystem in einem ausgewogenen Verhaltnis zu ihrem Be-volkerungsanteil steht? Vor allem Vertreter normativer Theorien behaupten, es sei wesentlich bedeutender darauf zu achten, wie Abgeordnete ihre Wahler-schaft vertreten, als danach zu fragen, ob sie aus der gleichen Bevolkerungs-gruppe stammen. Mitglied einer Gruppe zu sein bedeutet schlieBlich nicht, dass man nicht auch im Sinne anderer Gruppen handeln kann. Im Kern ist dies die Frage nach der Wichtigkeit von substantive versus descriptive representation. Jane Mansbridge, Professorin an der Harvard Universitat, definiert descriptive representation wie folgt: „In 'descriptive' representation, representatives are in their own persons and Hves in some sense typical of the larger class of persons whom they represent. "'̂ Bei substantive representation hingegen ist die Person des Reprasentanten sowie seine Herkunft und Zugehorigkeit zu gesellschaftli-chen Gruppen irrelevant; es geht einzig und allein um seine Handlungsweisen. In der Tat gibt es eine Reihe empirischer Untersuchungen, die belegen, dass Politikerinnen nicht zwangslaufig im Interesse der weiblichen Bevolkerung handeln.^^ Eine groBe Anzahl von Forschungsergebnissen sttitzt jedoch den gegenteiligen Standpunkt. Politikerinnen reprasentieren die weibliche Bevolke­rung hinsichtlich Ideologic und politischen Prioritaten 'besser' als ihre mannli-chen Kollegen. Weibliche Abgeordnete bringen haufiger Gesetzesvorlagen fiir Frauen ein und stimmen im Interesse von Frauen, als mannliche Abgeordnete

aber auch die latent gehaltenen, unterdruckten, verschiitteten Interessen, die abgeschnittenen Entwicklungsmoglichkeiten von Frauen bzw. Individuen allgemein. (...) Unter 'Potentialen' verstehen wir aber gleichzeitig mehr als je personliche, individuelle Leistungsmoglichkeiten, namlich das gesamte Kraftefeld um das Individuum herum, das ihm/ihr solche Entwicklungen ermoglicht." Roloff und Metz-Gockel. Unbeschadet des Geschlechts... Das Potentiale-Konzept und Debatten der Frauenforschung. 265f. In Teil B, Unterkapitel 1.4 wird nochmals auf das Potentiale-Konzept eingegangen.

19 Mansbridge. Should Blacks Represent Blacks and Women Represent Women? A Contingent 'Yes'. 629. In der Literatur finden sich analog zu „substantive and descriptive representation" die Bezeichnungen „agency and sociological representation". Vgl. z.B. Reith Schroedel and Mazumdar. Into the Twenty-First Century: Will W^omen Break the Political Glass Ceiling? 205.

20 Mansbridge benennt eine Reihe solcher Untersuchungen. Vgl. Mansbridge. Should Blacks Represent Blacks and Women Represent Women? A Contingent 'Yes'. 630.

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dies tun?' Kevin Arceneaux, Lehrender am Politischen Institut der Universitat Utah, schlussfolgert aufgmnd der Ergebnisse solcher Studien: „The under-representation of women in elective office has serious implications for the type of policy states pursue, which in turn affects the responsiveness of the political system to more than half of U.S. citizens. "̂ ^ Diese Arbeit forscht nach Griinden fur die mangelnde Teilhabe von Frauen an der politischen Macht, will damit aber nicht sagen, dass Teilhabe allein alles ist oder dass mit einer gesteigerten weiblichen Teilhabe eine qualitative Aufwertung der Politik einhergeht - nur: verzichten konnen wir nicht auf sie. Insofern hat die Forderung nach einer pari-tatischen Teilhabe Ahnlichkeiten mit der alteren, mittlerweile erfiillten Forde­rung nach dem Wahlrecht fiir Frauen. Diese Arbeit will also nicht suggerieren, dass sich die feministischen Bemtihungen auf Strategien der Reprasentation beschranken sollten, aber die Forderung nach derselben ist, wie Holland-Cunz formuliert, eine „zentrale, unverzichtbare feministische Forderung".^^

21 An dieser Stelle kann nur auf einen Teil der unzahligen Untersuchungen verwiesen werden, die die Ansicht vertreten, dass Frauen Frauen 'besser' reprasentieren. Siehe beispielsweise Bundesministerium fiir Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.). Frauen in Deutschland. Von der Frauen- zur Gleichstellungspolitik. Hier insbesondere 129. Burrell. A Woman's Place is in the House: Campaigning for Congress in the Feminist Era. Hier insbesondere Chapter 8: Women Members of Congress and Policy Representation. 151-82. Carroll (ed.). The Impact of Women in Public Office. Sowie Carroll. Women as Candidates in American Politics. Hier insbesondere Chapter 8: Representaion of the Interests of Women. 138-56. Darcy, Welch, and Clark. Do Women in Office Make a Difference? 181-84. Dolan. Political Appointees in the United States: Does Gender Make a Difference? 213-16. Firestone and Vega. The Effects of Gender on Congressional Behavior and the Substantive Representation of Women. 213-22. McGlen, O'Connor, van Assendelft, and Gunther-Canada. Women, Politics, and American Society. Hier insbesondere 105-11. Thomas. Voting Patterns in the Califomia State Assembly: The Role of Gender. 43-56. Welch. Are Women More Liberal Than Men in the U.S. Congress? 125-34. Witt, Paget, and Matthews. Running As A Woman. Gender and Power in American Politics. Hier insbesondere Chapter 11: What Difference Does Differences Make? 265-84.

22 Arceneaux. The 'Gender Gap' in State Legislative Representation: New Data to Tackle an Old Question. 143. Auch wenn sich Arceneaux nur auf gewahlte Amter bezieht, gilt gleiches fiir Amter, die durch Emennung besetzt werden. Jo Freeman sagt hierzu: „[A]ppointments also have symbolic values. They signal to members of a particular group, at least to those who consciously identify with that group, that the President considers them important." Freeman. A Room at a Time: How Women Entered Party Politics. 213.

23 Holland-Cunz. Die alte neue Frauenfrage. 186. Gegner der descriptive representation argu-mentieren weiterhin, dass bei einer Umsetzung dieses Systems die Qualifikationen der Repra-sentanten zwangslaufig sinken wiirden. Wie vor allem die Ausfiihrungen in Teil B, Kapitel 1 deutlich machen werden, ist auch dieses Argument in Bezug auf eine deskriptive Reprasentati­on von Frauen gegenstandslos. Weiterhin sei angemerkt, dass es keine exakte Methode zur Messbarkeit der Qualitat von Politikem gibt, sondem dass Qualitat sich auf mehreren Ebenen

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Grenzt man die Frauen- und Geschlechterforschung von der frauenpoli-tischen Praxis ab, so hat man ein wissenschaftliches Feld vor sich, welches ver-gleichsweise jung ist. Hervorgegangen ist die wissenschafdiche Diskussion aus der amerikanischen Frauenbewegung der 1960er Jahre. Wahrend es zu Beginn in erster Linie um ein Sichtbarmachen von Frauen, um das Hineinschreiben von Frauen in die traditionellen Wissenschaften ging, losten in der Folge breit ange-legte empirische Untersuchungen die kurzen Abhandlungen und Portrats iiber einzelne Frauen in poHtischen Ftihrungspositionen ab. Die Literaturlage zum Themenkomplex Frauen und PoHtik erfulir, vor allem in den USA, eine Umkeh-rung: Bis in die 1970er Jahre zeigten sich die Wissenschaften an Fragen des Geschlechterverhaltnisses kaum interessiert; heute hingegen existiert eine schier uniiberschaubare Ftille an Literatur.̂ "^ Das Wachstum der vergangenen zwei Jahrzehnte lasst sich fiir den Bereich der USA durchaus mit 'explosionsartig' beschreiben, und der Strom der Veroffenthchungen reiBt nicht ab. Durch eine Reihe von Fachzeitschriften erfolgt eine gewisse Biindelung des wissenschaftii-chen outburst, so dass man sich zumindest einen groben Uberbhck iiber neue Problemstellungen und Forschungsergebnisse im Bereich der soziologischen und poHtikwissenschafthchen Geschlechterforschung verschaffen kann. Die (interdisziplinare) Fachzeitschrift Women & Politics, herausgegeben von Karen O'Connor, Professorin am Women & Politics Institute der American University in Washington, D.C., hat sich als ergiebige Quelle fiir die auf die USA bezoge-nen Recherchen herausgestellt. Ausgesprochen hilfreich, besonders in Bezug auf quantitative Daten fiir die Vereinigten Staaten, sind die uber Internet abzu-fragenden Informationen des Center for American Women and Politics (CAWP) am Institute of Politics der State University of New Jersey.̂ ^ SchlieBlich sei noch eine der zahlreichen Monographien zum Thema erwahnt: Nancy McGlen, Karen O'Connor, Laura van Assendelft und Wendy Gunther-Canada geben in

bewegt. Wird in dieser Arbeit im weiteren Verlauf von Reprasentation gesprochen, so ist eine deskriptive Reprasentation gemeint.

24 Barbara J. Nelson von der Princeton University hat eine umfangreiche Bibliographie zum Themenkomplex veroffentlicht, die mittlerweile jedoch einer Aktualisierung bediirfte. Vgl. Nelson. American Women and Politics: A Selected Bibliography and Resource Guide. Eine beeindmckende Enzyklopadie iiber Frauen in der Welt der amerikanischen Politik wurde 1999 veroffentlicht. Neben Portraits von mehr als 400 Frauen finden sich dort kurze Essays zu wich-tigen Gerichtsurteilen ebenso wie die Wiedergabe bedeutender historischer Reden oder Kon-taktadressen zu Frauenorganisationen. Vgl. Schultz and van Assendelft (eds.) Encyclopedia of Women in American Politics. The American Political Landscape Series No. 1.

25 Vgl. Center for American Women and Politics {CAWP). Eagleton Institute of Politics, Rutgers University. 1. April 2006 <http://www.cawp.rutgers.edu>.

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ihrem Werk Women, Politics, and American Society einen iiberaus gelungenen tFberblick iiber das Themengebiet.^^

Fiir Deutschland ist die Literaturlage iiberschaubarer. Die Geschichts-wissenschaftlerin Merith Niehuss sieht die Bundesrepublik im Vergleich zu den westeuropaischen Landem und zu den Vereinigten Staaten in der frauen-geschichtlichen Forschung gar als Schlusslicht.^^ In der Tat gestalteten sich Recherchearbeiten fiir Deutschland in mehreren Fachgebieten miihseliger als fiir den Bereich der USA. Hierzu ein Beispiel: Wahrend in den USA das CAWP kontinuierliche Dokumentationsarbeit leistet, wurde das europaische Pendant, die Europaische Datenbank fiir Frauen in Fiihrungspositionen, erst 2001 einge-richtet - und bereits 2004 mangels weiterer Forderung wieder geschlossen. Doch es fanden sich auch fiir Deutschland ergiebige Quellen, wie beispielsweise die Fachzeitschriften Beitrdge zur feministischen Theorie und Praxis des Ver-eins Sozialwissenschaftliche Forschung und Praxis fiir Frauen, Femina Politica des Berliner Arbeitskreises Politik und Geschlecht in der Deutschen Vereini-gung fiir Politik und Wissenschaft (DVPW) sowie die Zeitschrift Feministische Studien (ohne institutionelle Anbindung). Als Monographic sei fiir Deutschland auf das Lem- und Arbeitsbuch. Frauen, Manner und die Politik von Beate Hoe-cker hingewiesen.^^

In der Forschung mangelt es jedoch an einer interdisziplinaren und interna-tionalen Zusammenfiihrung einzelner Studien. Es scheint fast so, als lieBen die standigen Neuerscheinungen bzw. das SchlieBen von Forschungsliicken nicht viel Zeit fiir kritische Auseinandersetzungen. Trotz der groBen Fiille an Studien fiir den Bereich der USA und einer (zumindest fiir die meisten Gebiete) soliden Anzahl von Studien fiir die Situation in Deutschland, blieb die Recherche nach einer umfassend vergleichenden Landerstudie Deutschland - USA erfolglos.

26 Vgl. McGlen, O'Connor, van Assendelft, and Gunther-Canada. Women, Politics, and American Society.

11 „Trotz einer starken Intensiviemng frauengeschichtlicher Forschung bildet Deutschland im Vergleich zu den westeuropaischen Landem und natiirlich den Vereinigten Staaten das SchlussUcht." Niehuss. Frauengeschichtsschreibung als Spiegelbild gesellschaftlicher Ent-wicklung. 23.

28 Vgl. Hoecker. Lem- und Arbeitsbuch. Frauen, Manner und die Politik.

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Methodik, Aufbau und Zielsetzung der Arbeit

Nicht zuletzt aus diesem Grund ist diese Arbeit eine komparatistisch angelegte Sekundaranalyse (bzw. survey research)}^ Durch die vergleichende Herange-hensweise soil iiberpriift werden, in wie weit eine universelle Ubertragbarkeit geschlechtertheoretischer Ansatze gegeben ist. Das Zusammenstellen erwies sich dabei mitunter als ein aufwendiges Unterfangen, da die Beriicksichtigung nationaler regionaler Besonderheiten ebenso notwendig war wie Analysen zu gesellschaftlichen und politischen Kulturen, Strukturen und Akteuren. Letztend-lich wurde auf mehr als 350 Quellen zugegriffen, wobei die groBe Anzahl si-cherstellen sollte, dass widerspriichliche Einzelergebnisse entdeckt und mitein-ander konfrontiert werden. Im Laufe dieser Arbeit werden einzelne Argumenta-tionen zusammengefiihrt in der Absicht, Erkenntnisse zu untermauern oder in Frage zu stellen. SchlieBlich wird iiberpriift, inwieweit Rohdaten in Einklang stehen mit Erklarungsansatzen. Diese Zusammenfiihrung von Forschungsergeb-nissen aus Bereichen, die zwar alle in einem Zusanimenhang stehen, aber nicht immer in diesem Zusammenhang gesehen und diskutiert werden, soil schlieB-lich Synergieeffekte erzielen und einen Panoramablick auf den Gegenstand dieser Arbeit ermoglichen.

Die Arbeit ist in drei Telle gegliedert, wobei die einzelnen Themenbereiche der Kapitel grundsatzlich nach Landern getrennt behandelt werden, um die kul-tur- und systembedingten Unterschiede sichtbar zu machen. Jewells abschlie-Bend werden die einzelnen Ergebnisse zusammenfassend verglichen. Im ersten Teil erfolgt eine quantitative Betrachtung der Entwicklung von Frauen in Am-

29 Bettina und Dirk Wentzel haben die wirtschaftlichen Systeme der Bundesrepublik und der USA miteinander verglichen. Zur Methode des Systemvergleichs fiihren sie aus: „Menschli-ches Handeln ist immer ordnungsbediirftig. In einer sich schnell wandelnden modemen Ge-sellschaft stellt sich die Frage nach geeigneten Ordnungsbedingungen stets neu. Welche An-reiz- und KontroUwirkungen gehen von unterschiedlichen Regeln aus? Welche Ordnungsbe­dingungen sind zweckmaBig (...)? Alle diese Fragen konnen theoriegeleitet beantwortet wer­den. Gleichwohl bleibt offen, ob bestimmte Regeln in der Realitat tatsachlich die prognosti-zierte Wirkung entfalten. (...) In diesem Sinne ist der Systemvergleich als ordnungsokonomi-sche Methode ein zukunftstrachtiges Forschungsprogramm, denn mit Hilfe dieser Vorgehens-weise ist es moglich, die Vielfalt institutioneller Arrangements aufzuzeigen und deren Wir­kung zu analysieren. (...) Es geht dabei nicht darum, das eine oder das andere System als 'bes-ser oder schlechter' einzustufen. Ziel ist es vielmehr, durch die systematische Gegeniiberstel-lung stark differierender Teilordnungen Erkenntnisse zu gewinnen, die hilfreich sind, um wirt-schaftspolitische Handlungsoptionen fur aktuelle Probleme zu entwickeln." Wenzel und Wen-zel. WirtschaftUcher Systemvergleich Deutschland - USA anhand ausgewdhlter Ordnungsbe-reiche. XI-XVI. Was Wenzel und Wenzel hier fur den Systemvergleich der okonomischen Strukturen in den USA und Deutschland ausfiihren, hat fur den Forschungsbereich dieser Ar­beit entsprechende Giiltigkeit.

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tern der Regierungssysteme, unterteilt nach den drei Gewaltenbereichen Exeku-tive, Legislative und Judikative. Dabei wird kein detaillierter Entwicklungsver-lauf mit akribischer Rekonstruktion der jeweiligen historischen Hintergriinde vorgenommen, denn einen rein buchhalterischen Zweck zu erfiillen ist nicht Ziel dieser Arbeit. Was in Teil A dargelegt wird, ist eine grobe Skizzierung, wobei einige wichtige Daten und Namen durchaus hervorgehoben werden sollen. Un-ter Beriicksichtigung der zum Teil erheblichen Unterschiede zwischen den Bun-deslandem und Einzelstaaten beschranken sich die Betrachtungen nicht auf die hochste foderale Ebene, sondern wenden sich dariiber hinaus regionalen Beson-derheiten zu. Durch diese Anordnung werden bereits in Teil A Strukturen und Einflussfaktoren sichtbar.

Nach dieser Bestandsaufnahme werden Schritt ftir Schritt, analog des We-ges, den Kandidaten zu gehen haben, wenn sie ein poHtisches Amt anstreben, potenzielle Griinde ftir die Unterreprasentation von Frauen im deutschen und U.S.-amerikanischen Regierungssystem analysiert, wobei sich schlieBlich zwei Forschungsbereiche eroffnen. Der erste Bereich, der in Teil B behandelt wird, hat im weitesten Sinne gesellschaftliche Rahmenbedingungen zum Gegenstand. Es geht hier in erster Linie um die Frage, innerhalb welches gesellschaftlichen Kontextes sich Frauen - bewusst oder unbewusst - ftir oder gegen eine Kandi-datur entscheiden. Welche Verbindungen existieren zwischen augenscheinlich individuellem Verhalten und gesellschaftlichen Strukturen? Spielt der Mangel an weiblichen Nachwuchskraften eine Rolle? Wie beeinflussen Bildungsstand, beruflicher Hintergrund, traditionelle und staatlich propagierte Rollenbilder und -zustandigkeiten sowie daraus resultierende Motivationslagen die Anzahl von Frauen, die ein politisches Amt iiberhaupt anstreben?

Im weiteren Verlauf beschranken sich die Analysen nicht mehr auf die ge­sellschaftlichen Rahmenbedingungen, sondern richten das Augenmerk weiterhin auf politische Strukturen, die eine potenziell geschlechtsdiskriminierende Wir-kung entfalten. Nach Pierre Bourdieus Theorie des menschlichen Handelns und im Einklang mit den Erkenntnissen aus der Elitenforschung wirken, wie Virgi­nia Penrose zusammenfasst, „politische Strukturen, objektive Chancen, Person-lichkeitsstrukturen und subjektive Motivation sowie individuelle und gesell­schaftliche Wertesysteme (...) gleichzeitig auf den individuellen Entschei-dungsprozeB ein".̂ ^ So konzentrieren sich die Untersuchungen im zweiten For-

30 Penrose. Orientierungsmuster des Karriereverhaltens deutscher Politikerinnen: Ein Ost-West-Vergleich. 40, 16-21. Die Eliteforschung hat auf der Suche nach den ausschlaggebenden Quali-fikationskriterien verschiedene Ansatze entwickelt. Wahrend der (mittlerweile veraltete) Strati-fikationsansatz davon ausging, dass die soziale Herkunft ausschlaggebend ftir den politischen Aufstieg sei, konzentrierte sich der personlichkeitstheoretische Ansatz auf den Einfluss be-

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schungsbereich auf das gesellschaftliche Teilsystem der Politik. Welche Statio-nen durchwandem Frauen (und auch Manner), die sich fur eine Kandidatur entschieden haben, und welche dieser Stationen erweist sich als Barriere? 1st bei innerparteihchen Rekrutierungsstmkturen, der Wahlkampffinanziemng oder der Medienberichterstattung das Geschlecht eines Kandidaten von Bedeutung? Sind Wahlsysteme und Wahlerschaft gegeniiber dem Geschlecht indifferent, oder gelingt so wenigen Frauen der Einzug in politische Amter, weil mannliche Amtsinhaber nicht weichen? In der Schlussbetrachtung werden die Analysen der einzelnen Stationen zusammengefiihrt und gewichtet, um schlieBlich aus den denkbaren Ursachen die tatsachlichen herauszufiltern sowie um ein Fazit fiir den Landervergleich und die globale IJbertragbarkeit geschlechtertheoretischer Ansatze zu ziehen.

Vorbeugend sei an dieser Stelle gestattet, auf zwei haufig vorgebrachte Kri-tikpunkte gegen Arbeiten der hier vorliegenden Art einzugehen. Zunachst wird nicht selten bemangelt, dass feministische Studien hauptsachlich die Barrieren und nicht die Chancen vorfiihren, der Feminismus also stets aus der Opferper-spektive argumentiere.^^ Auch wenn diese Arbeit es sich zum Ziel gesetzt hat, Barrieren zu erkennen, liegt der Sinn nicht in der Komposition eines weiteren Klagelieds. Vielmehr ist das Wissen um Barrieren zum Abbau derselben not-wendig. Bleiben sie unentdeckt, werden sie zu FuBangeln; werden sie klar er-kannt, konnen sie als Herausforderung betrachtet und iiberwunden werden. Zweitens leben wir in einer Zeit drangender politischer Probleme, wie Rekord-Staatsverschuldungen, Massenarbeitslosigkeit und terroristischer Bedrohungen. SoUte nicht in einem solchen Umfeld die Geschlechterfrage zugunsten der Lo-sung akuter Krisen zurlickgestellt werden? M.E. kann die Antwort hierauf nur ein 'Nein' sein, denn besonders in Krisenzeiten ist es wichtig, die Geschlechter­frage nicht ins Abseits zu stellen. Viele Erfolge der Frauenbewegung sind nicht abgesichert und Riickschritte nicht nur denkbar, sondem teilweise schon zu be-obachten.^^ Die Geschlechterfrage ist kein Luxusthema fiir rosige Zeiten; sie ist

stimmter Personlichkeitsmerkmale. Der heutzutage dominierende Karriereansatz verbindet die Theorien und geht davon aus, dass Karriere beeinflusst wird von sozialer Schicht, Personlich-keit sowie weiteren Einflussen und Zufallen.

31 Vgl. HoUand-Cunz. Die alte neue Frauenfrage. 222. 32 Neben den quantitativen Riickschritten von Frauen in einigen politischen Bereichen, die in Teil

A dargestellt werden, kann man hier beispielsweise an die neuen, konservativen Entwicklun-gen in Sachen Abtreibungsreclit in den USA denken: 1973 bestatigte der Oberste Gerichtshof mit der Entscheidung im Falle Roe vs. Wade die grundsatzliche Legalitat von Abtreibungen. Nachdem Texas im vergangenen Jahr das Abtreibungsrecht erheblich verscharft hatte, ist in South Dakota seit Marz dieses Jahres eine Abtreibung nur dann legal, wenn das Leben der Mutter in Gefahr scheint. SoUte die Frage emeut vor dem Supreme Court behandelt werden, ist

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