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4,80 € | 7,80 sFr www.welt-sichten.org 4-2013 APRIL MAGAZIN FÜR GLOBALE ENTWICKLUNG UND ÖKUMENISCHE ZUSAMMENARBEIT SIMBABWE: Landbesetzer ernten viel MALI: Die Islamisten selbst gefördert KOLUMBIEN: Landraub als Dorfentwicklung Wasser

Simbabwe: Landbesetzer ernten viel mali: Die Islamisten ... · 3 | 4-2013 ediToRial Liebe Leserinnen und Leser, rund 1,2 Millionen Menschen haben bislang mit ihrer Unterschrift gegen

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Page 1: Simbabwe: Landbesetzer ernten viel mali: Die Islamisten ... · 3 | 4-2013 ediToRial Liebe Leserinnen und Leser, rund 1,2 Millionen Menschen haben bislang mit ihrer Unterschrift gegen

4,80 € | 7,80 sFr www.welt-sichten.org

4-2013 April

Magazin für globale entwicklung und ökuMenische zusaMMenarbeit

Simbabwe: Landbesetzer ernten vielmali: Die Islamisten selbst gefördert

Kolumbien: Landraub als Dorfentwicklung

wasser

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Helfen Sie uns. Nennen Sie uns Ihre HeldInnen, damit wir wahre Heldentaten ans Licht der Öffentlichkeit bringen können!

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editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

rund 1,2 Millionen Menschen haben bislang mit ihrer Unterschrift gegen Pläne der Europäischen Union protestiert, die Wasserversorgung zu privatisieren. Wasser sei ein Menschenrecht und keine Ware, argumentieren sie und befürchten höhere Preise und eine schlechtere Qualität. Das haben vor 13 Jahren auch die Einwohner der bolivianischen Stadt Cochabamba gedacht und sich mit Erfolg gegen die Privatisierung gewehrt. Jetzt ist die Wasserversorgung wieder in kommunalen Händen – doch der Traum vom Wasser für alle habe sich nicht erfüllt, schreibt Thomas Guthmann. Nach wie vor stehen Arme am Tankwagen an, während die Reichen nur den Hahn aufdrehen müssen.

Ungleich verteilt sind auch die Wasservorräte; hierzulande etwa herrscht kein Mangel. Trotzdem importieren wir Lebensmittel und andere Konsumgüter, die anderswo mit viel Wasser produziert werden. Global gesehen spart der Agrarhandel sogar Wasser, schreibt

„welt-sichten“-Chefredakteur Bernd Ludermann, doch in manchen Ländern verschärft er die Wasserknappheit – etwa beim Export von Baumwolle aus Zentralasien. Zum wachsenden Wasserverbrauch tragen auch Touristen bei, die an ihren Urlaubsorten in sauberen Pools baden oder in der Wüste Golf spielen wollen. Anja

Ruf hat sich angeschaut, welche Folgen das für Einheimische haben kann. Und im größten Slum von Bangladesch kommt das Wasser aus illegalen Leitungen und macht krank, hat Anja Burri erfahren.

Über schmutziges Wasser hat sich auch die Cholera-Epidemie nach dem Erdbeben in Haiti ausgebreitet. Jonathan Katz schildert, wie nepalesische UN-Soldaten den Erreger eingeschleppt hatten und die UN versuchten, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Im westafrikanischen Mali ist es nach dem Eingreifen Frankreichs keine gute Idee, die Kontrolle der Zentralregierung im Nordteil zu stärken, denn sie hat den Konflikt mit verursacht, erklärt Yvan Guichaoua. Schließlich greifen wir die Debatte über neue Entwicklungsziele auf: Wie kann eine gerechtere Welt geschaffen werden, die ohne Raubbau an der Natur auskommt? „welt-sichten“ beteiligt sich daran mit Beiträgen in lockerer Folge. Den Anfang macht der britische Entwicklungsexperte Duncan Green.

Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre,

Wasser ist ein Menschenrecht – trotzdem müssen Slumbewohner in Bangladesch eine

Dreckbrühe trinken, die krank macht.

Gesine Kauffmann

Redakteurin

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12 Mexiko-Stadt kämpft gleichzeitig gegen Wassermangel und Über-schwemmungen – und historische Gebäude wie die Kirche San Lo-reto versinken dadurch mehr und mehr im Boden. 17

süsswasser 12 Unsichtbarer Wasserhandel Das meiste Süßwasser wird gebraucht, um Konsumgüter herzustellen,

vor allem Nahrungsmittel. Spart es Wasser, die im Ausland zu kaufen? Bernd Ludermann

17 Auf Wasser gebaut Die Einwohner von Mexiko-Stadt verbrauchen 62.000 Liter Wasser pro

Sekunde. Seit der Zeit der Azteken ist die Wasserversorgung eine Baustelle Matthias Knecht

21 Oasen für den Urlaub Ferienanlagen werben mit Parks und Schwimmbädern um Touristen.

Die Einheimischen sitzen deshalb oft auf dem Trockenen Anja Ruf 24 Gute Geschäfte für die Herren des Wassers In den Slums von Dhaka in Bangladesch müssen viele dreckiges Wasser trinken.

Und einige möchten, dass das so bleibt Anja Burri

27 Für die Armen Mangelware Vor 13 Jahren stoppten Bürger in Cochabamba in Bolivien die Privatisierung

der Wasserversorgung. Doch der öffentliche Anbieter macht es nicht besser Thomas Guthmann

30 „Toiletten sind ein Tabu“ Gespräch mit Dinesh Suna vom Ökumenischen Wassernetzwerk

Wasser ist Leben – und in vielen Weltregionen ist es knapp. In Kenia

zum Beispiel, wo diese durstige Frau zuhause ist. Ausgerechnet da machen Safari-Hotels den Einhei-

mischen das kostbare Nass streitig. In den großen Städten ärmerer Län-der sind vor allem die gut versorgt, die bezahlen können. Das gilt auch im Welthandel: Mehr als 5000 Liter

täglich verbraucht jeder Deutsche im Schnitt, indem er Produkte

konsumiert, die anderswo her-gestellt wurden.

TiTelbild: JöRg böThling

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Ein Teil der Auflage enthält Beilagen der Wochenzeitung „Freitag“, der Informations-

stelle Südliches Afrika, des „DW-Shop“ sowie das Dossier „Kommunale Partnerschaften“

und eine Bestellkarte von .

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36Eine halbe Million Menschen sind in Haiti seit Oktober 2010 an Cholera erkrankt. Die Vereinten Nationen weisen eine Mitverant-wortung von sich und verweigern Opfern eine Entschädigung.

welt-blicke

32 Mali: Im Schatten des Staates Die Regierung hat im Nordteil mittels lokaler Milizen regiert und die

Islamisten stark gemacht. Frankreich greift zu ähnlichen Methoden Yvan Guichaoua

36 Haiti: In den Zeiten der Cholera Nach dem Erdbeben 2010 schleppten UN-Soldaten die Infektions-

krankheit ein. Die Vereinten Nationen wollten das vertuschen Jonathan M. Katz

41 Kolumbien: Landwäsche im Chocó Paramilitärs haben Bauern ihr Land geraubt und das dann

geschickt verschleiert. Dies macht eine Landrückgabe sehr schwierig Teo Ballvé

45 Entwicklung neu denken Die Finanzkrise und der Klimawandel verursachen Verwerfungen,

die mit herkömmlichen Ansätzen nicht in den Griff zu kriegen sind Duncan Green

48 „Ich dachte: Okay, das war‘s“ Gespräch mit dem Dichter Chirikure Chirikure aus Simbabwe

Reu

TeRs

Kommentieren Sie die Artikel im Internet: www.welt-sichten.org

Journal 50 Ethik: Der Gutachter Frank Bliss über

Zielkonflikte in der Entwicklungsarbeit

52 Studien: Machtwechsel in der internationalen Politik

52 Berlin: Die Opposition und Hilfswerke kritisieren den Afrika-Agrarfonds des BMZ

54 Brüssel: Die EU setzt auf ein zweifelhaftes Verfahren für den Investitionsschutz

56 Schweiz: Hilfswerke fordern den Erhalt der Schweizer Botschaft in Guatemala

57 Österreich: Wien schickt Soldaten nach Mali

58 Kirche und Ökumene: Mit Erzbischof Ludwig Schick auf dem Tahrir-Platz in Kairo

60 Global Lokal: Eine Welt Netz diskutiert über neue Entwicklungsziele

61 Personalia

standpunkte 6 Die Seite Sechs

7 Leitartikel: Spielt nicht mit im Post-2015- Zirkus. Die Zivilgesellschaft sollte sich am Geschacher um neue Entwicklungsziele nicht beteiligen

Tillmann Elliesen

8 Kommentar: Das Märchen von den bösen Landbesetzern in Simbabwe

Joseph Hanlon

10 Kommentar: Uhuru Kenyatta wird wohl Kenias Staatschef – trotz internationaler Anklage

Bernd Ludermann

10 Leserbriefe

11 Herausgeberkolumne: Kinder so stark wie Staaten. Die UN-Kinderrechtskonvention braucht ein Beschwerdeverfahren

Jürgen Thiesbonenkamp

service

62 Rezensionen

65 Termine

65 Impressum

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standpunkte DIE SEITE SECHS

Reife LeistungSeit Dirk Niebel sich mit Feldjä-germütze gezeigt hat, will alle Welt ihm Übel. Sogar in seinem Ministerium kursiert eine Art Jahresrückblick, angeblich aus seiner Feder: „Gelbfieber. Die Niebel-Tagebücher“. Das Mach-werk schildert, was im Entwick-lungsministerium 2012 angeblich alles passiert ist. Sogenannte Fachleute meinen, es stimme alles außer dem Verfasser. Wer soll das glauben? Nun gut, die Personal-politik … Gute Kumpels werden auf Leitungsposten gehievt und dann entfernt, wenn sie nicht völlig loyal sind – das kann schon sein. Dass die „Afrika-Kampagne“ bei näherem Hinsehen öffentlich finanzierten FDP-Wahlkampf darstellt, ist auch möglich, aber mal ehrlich: Was würden Sie tun, wenn die Wähler und die Presse Ihnen übel mitspielen? Und wollten wir nicht schon immer, dass nicht nur der Süden von uns lernt, sondern auch umgekehrt?

Und dann die Aufregung über die vielen Fototermine von BMZ-Spitzenleuten mit Stars und Sternchen wie der kolumbiani-schen Sängerin Shakira. Natür-lich lassen die sich nicht gratis ablichten. Auch als Peter Maffay sich neulich mit Dirk Niebel getroffen hat, mussten manche gleich nörgeln, das habe nichts mit Entwicklungspolitik zu tun. Erstens stimmt das nicht, der Rock-Opa hilft schließlich armen Kindern. Und zweitens ist das ja nun wirklich kein Maßstab. Niebel und Maffay passen sogar gut zu-sammen: Beide machen nebenbei Entwicklungsarbeit, soweit das dem persönlichen Fortkommen dient. Maffay hat den Zenit seiner Karriere überschritten, und das scheint, leider, auch Niebel ge-glückt zu sein: Seine Parteifreun-de sind den Verleumdern auf den Leim gegangen und haben ihn aus dem FDP-Präsidium gewählt. Kurz zuvor hatte der Minister dem Haus der Geschichte seine Mütze vermacht – die von „mei-nem Einzelkämpferlehrgang“, sagte er. Er will doch wohl nicht aufgeben?

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Wer ist’s?„Wasser kann uns lehren, in Har-monie miteinander zu leben“, sagte sie einmal. „Wenn wir Au-gen haben, zu sehen, und Oh-ren, zu hören.“ So poetisch klingt das nicht immer, wenn die 65-Jährige sich zu dem The-ma äußert, das ihr am meisten am Herzen liegt: Das Men-schenrecht auf Wasser. Und sie meldet sich oft zu Wort – uner-müdlich, streitbar und hart ge-gen alle, die ihre Ansicht nicht teilen wollen. Und das sind vor allem Regierungen und Unter-nehmen, die die Wasserversor-gung und die Abwasserentsor-gung privatisieren möchten, um damit „riesige Gewinne“ zu erwirtschaften. Dafür nutzt sie geschickt alle Medien, sie twit-tert, schreibt Kolumnen bei der Online-Zeitung „Huffington Post“, verfasst Bücher – inzwi-schen sind es schon 16 – und tritt in Videoclips und Doku-mentarfilmen auf, ganz zu

schweigen von den zahlreichen internationalen Konferenzen, die sie besucht. Dabei ist Wasser längst nicht ihr einziges Anlie-gen. Begonnen hat sie ihr Enga-gement als Feministin, das brachte ihr zeitweise ein Bera-tungsamt an Spitze ihres Hei-matlandes ein. Außerdem hat sie vor fast 30 Jahren eine große Bürgerrechtsorganisation ge-gründet und später außerdem eine Bewegung, die sich – wenig erstaunlich – für das Men-schenrecht auf Wasser einsetzt. Sie hat zahlreiche Auszeich-nungen erhalten, unter ande-rem ist sie Ratsmitglied des

„World Future Council“. Wenn sie nicht irgendwo auf der Welt unterwegs ist, lebt sie in einer nordamerikanischen Groß-stadt. Wer ist’s?

auflösung aus heft 3-2013: gesucht war der Multimilliardär und philan-throp Karim aga Khan iV.

„Korruption und die chinesische Regierung

sind so unvereinbar wie Feuer und Wasser.“

Chinas neuer premierminister li Keqiang bei seinem ersten öffentlichen

auftritt.

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J etzt dürfen wieder Wunschlisten geschrieben und Luftschlösser errichtet werden: In zwei Jah-ren laufen die Millenniumsentwicklungsziele aus

und bei den Vereinten Nationen hat die Suche nach Nachfolgern begonnen. Der Erdgipfel Rio+20 im ver-gangenen Juni hat der Welt zudem die noch ehrgei-zigere Aufgabe gestellt, Vorgaben für eine nachhalti-ge Politik nicht nur in den armen Ländern, sondern gleich für den ganzen Planeten zu formulieren. Au-ßerdem muss entschieden werden, ob es künftig zwei Zielkataloge für Entwicklung und für Nachhaltigkeit geben soll oder ob beides nicht zusammengehört. Die internationale Entwicklungsbürokratie hat sich der Sache wie immer mit Elan angenommen: Wö-chentlich steigert sie den Ausstoß von Studien und Konzepten sowie die Frequenz, mit der sie zu Konfe-renzen und Tagungen einlädt.

Das wird so weitergehen, bis die UN-Generalver-sammlung im Herbst darüber berät, was die neuen Ziele enthalten sollen und was nicht. Die Europäische Union hat schon mal einen Vorschlag gemacht: Bis 2030 sollten alle Menschen auf der Welt ein „würdi-ges Leben“ führen können, heißt es in ihrem im Feb-ruar vorgelegten Beitrag zur sogenannten Post-2015-Debatte.

Die Frage, was solche Ziele und der Aufwand um sie herum eigentlich bringen, wird eher stiefmütter-lich behandelt. Für die alten Millenniumsziele gibt es eine Handvoll Untersuchungen zu ihrer Wirkung, die aber zu wenig aufschlussreichen Ergebnissen kom-men: Man weiß es nicht genau. Hingegen lässt sich wohl mit Gewissheit sagen, dass die größten Erfolge bei der Bekämpfung der Armut in den vergangenen 15 Jahren – in China und anderen Aufsteigern in Asi-en – nichts mit den Zielen zu tun haben.

„Stell dir vor, es ist UNO, und keiner geht hin“ – unter diesem Titel hat der Trierer Soziologe Bernd Hamm in einem bissigen Kommentar im „Informati-onsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung“ zivilgesell-schaftliche Organisationen für ihre Beteiligung am Post-2015-Zirkus kritisiert. Sie sollten besser zuhause bleiben und das Geld und die Zeit sinnvoller investie-ren. Es gibt auch in der von Hamm gescholtenen or-ganisierten Zivilgesellschaft Kritik an den abgehobe-

nen Beratungen bei den Vereinten Nationen. Aber einfach nicht mitmachen? Viele Organisationen er-liegen dann doch der Versuchung, auf höchster Ebe-ne an einem weiteren Masterplan für eine bessere Welt mitzuwirken.

Damit verkaufen sich die zivilgesellschaftlichen Organisationen allerdings unter Wert. Sie gefährden außerdem ihre Glaubwürdigkeit, wenn sie sich zu be-reitwillig auf das Geschacher der internationalen Entwicklungsdiplomatie einlassen und faule Kom-promisse mittragen. Es war an der Grenze zur Pein-lichkeit, wie sich die Vertreter der Zivilgesellschaft auf der Konferenz für eine wirksamere Entwicklungs-hilfe Ende 2011 in Busan darüber freuten, dass sie mit den Regierungen an einem Tisch sitzen durften und in der Abschlusserklärung lobende Erwähnung fan-den – in einem Papier wohlgemerkt, das weitgehend inhaltsleer ist und für die künftige internationale Entwicklungspolitik keine größere Bedeutung mehr haben dürfte.

Die Diskussionen darüber, ob und wie sich die Zi-vilgesellschaft an der Post-2015-Agenda beteiligen sollte, sind ein guter Anlass für einige grundsätzliche Überlegungen zur Advocacy- und Lobbyarbeit nicht-staatlicher Entwicklungsorganisationen. Zwei For-men des Engagements sind besonders überzeugend: Das ist zum einen Hilfe für die Zivilgesellschaft in den Ländern des Südens, sodass die Leute dort für sich selbst sprechen können und weniger darauf an-gewiesen sind, dass Stellvertreter in den reichen Län-dern das für sie tun. Es zeichnet sich bereits ab, dass die Beratungen über neue Entwicklungs- und Nach-haltigkeitsziele wieder einmal über die Köpfe der Be-völkerung in armen Ländern hinweg ablaufen wer-den.

Zum anderen ist die Zivilgesellschaft immer dann stark, wenn sie Missstände hier bei uns mit Fol-gen für den Rest der Welt aufdeckt und beackert. Kei-ne Bank in Deutschland kann es sich heute noch er-lauben, mit Nahrungsmitteln zu spekulieren, ohne sich dafür zu rechtfertigen – dank der Aufklärung und der Kampagnen vieler engagierter Organisatio-nen. Die Entschuldung der ärmsten Länder, das Land-minenverbot, Finanzmarktreformen und demnächst vielleicht wirksamere Maßnahmen gegen Steuer-flucht – all diese Fortschritte in der Staatenwelt sind geprägt von der professionellen Vor- und Lobbyar-beit in der Gesellschaftswelt.

Das ist mühsamer und vielleicht weniger gla-mourös, als auf dem internationalen Parkett Wunsch-listen zu schreiben und Luftschlösser zu errichten. Aber viel sinnvoller.

LEITARTIKEL standpunkte

Spielt nicht mit im Post-2015-Zirkus!Die Zivilgesellschaft sollte sich am Geschacher um neue Entwicklungsziele nicht beteiligen

Von Tillmann Elliesen

Tillmann Elliesen ist Redakteur bei .

Die Post-2015-Debatte ist ein guter Anlass für grundsätzliche Überlegungen zur Advocacy-

und Lobbyarbeit von NGOs.

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standpunkte KOMMENTAR

Als vor 13 Jahren in Simbabwe landlose Bauern weiße Farmen be-setzten und ihre Eigentümer ver-trieben, war die Empörung groß in Europa. Seither hält sich das Bild von der Horde schwarzer Tauge-nichtse, die solide weiße Farmer um Lohn und Brot gebracht und ihr Land in den Ruin gestürzt haben. Mit der Wirklichkeit hat das nichts zu tun.

Es war widerlich, wie die Kriegsve-teranen das Land an sich rissen. Bewaffnete vertrieben die Bauern, die nur das mitnehmen durften, was sie tragen konnten. Sie verlo-ren ihr Vieh und alles, was sie in ihre Höfe investiert hatten. Sie wurden geschlagen, ihre Häuser niedergebrannt.

Die Veteranen hatten im Zwei-ten Weltkrieg gekämpft, und das Land hieß Südrhodesien. In den ersten zehn Jahren nach dem Krieg wurden 100.000 Farmer und ihre Familien mit Gewalt ver-trieben. Sie wurden nicht entschä-digt, und es gab keine internatio-nalen Proteste – vielleicht weil Gewalt gegen Afrikaner nichts Be-sonderes mehr war.

50 Jahre später holten sich die Simbabwer ihr Land zurück. Vete-ranen des Unabhängigkeitskrieges besetzten im Jahr 2000 die Höfe und vertrieben 4000 weiße Far-mer; ihre Stelle nahmen 170.000 neue Bauernfamilien ein. Doch dieses Mal gab es einen internatio-nalen Aufschrei. Die Vereinigten Staaten und die Europäische Uni-on verhängten Sanktionen gegen Simbabwe und verlangten, die weißen Farmer müssten ihr Land zurückbekommen oder entschä-digt werden. Niemand hatte je eine Entschädigung der 100.000 Bauern gefordert, die 50 Jahre zu-vor enteignet worden waren – of-fenbar zählen nur Menschen mit europäischen Wurzeln.

Simbabwe wurde 1980 unab-hängig, doch das Abkommen von Lancaster House schrieb vor, die neue Regierung dürfe das gestoh-lene Land lediglich zurückkaufen – und das auch nur sofern die wei-ßen Farmer dazu bereit seien. Es hatte nie mehr als 6000 weiße Farmer im Land gegeben, und als Simbabwe unabhängig wurde, be-wirtschafteten sie gerade einmal ein Drittel der Agrarfläche, die von den Kolonialbehörden als „euro-päisch“ klassifiziert worden war. Ein knappes Drittel der weißen Farmer war bankrott, ein weiteres Drittel schlug sich mit Hilfe von Subventionen der weißen Regie-rung durch. Der Rest erwirtschaf-tete Gewinne, und einige hundert wurden reich. Es überrascht nicht, dass vor allem die gescheiterten Farmer bereit waren, ihr Land zu Preisen zu verkaufen, die sich die neue Regierung leisten konnte. Das reichte immerhin, um 75.000 Bauernfamilien neu anzusiedeln. Drei Jahrzehnte später lässt sich feststellen, dass diese Farmer gute Arbeit geleistet haben. Untersu-chungen zu den Ansiedlungen 1980 zeigen aber auch, dass es eine Generation dauert, bis ein Bauer mit seinem Land Gewinne erwirtschaftet.

Im Befreiungskrieg ging es so-wohl um Unabhängigkeit als auch um Land. 20 Jahre nachdem sie ihre Freiheit erkämpft hatten be-gannen die Kriegsveteranen, sich lautstark darüber zu beschweren, dass keine Landreform in Sicht sei. Die Regierung machte allerlei Ver-sprechungen, doch die Veteranen hielten das für Geschwätz und or-ganisierten Anfang 2000 die Landbesetzungen. Sie betonen bis heute, die Landreform sei keine

Sache von Präsident Robert Muga-be gewesen – im Gegenteil: Sie sei das Ergebnis einer Massenbewe-gung gegen Mugabe und die raff-gierige politische Elite gewesen.

Tatsächlich ermahnten Regie-rungsmitglieder in den ersten Monaten die Besetzer, sie könnten nicht bleiben und sollten „nach Hause“ gehen. Doch die Besetzer entgegneten, dies sei ihr Zuhause und blieben. Die Regierung kam zu dem Schluss, die Wählerstim-men der 170.000 Besetzerfamili-en seien wohl mehr wert als die der 4000 weißen Farmer, und le-galisierte die Aktion als „Fast Track Land Reform“ (beschleunig-te Landreform). Die politische Eli-te riss sich ebenfalls einen Teil des ehemals weißen Agrarlands unter den Nagel: Ungefähr zehn Pro-zent gingen an ein paar hundert hochrangige Leute in der Regie-rungspartei Zanu und im Militär. Aber 90 Prozent sind wirklich an Kleinbauern gegangen.

Die ersten zehn Jahre dieses Jahrhunderts waren traumatisch für Simbabwe, geprägt von schwe-rer politischer Gewalt und Raffgier der Elite. Die Regierung druckte Geld, um ihre Probleme zu lösen, und verursachte die bis dahin schlimmste Hyperinflation. Die Gewalt und die Inflation führten dazu, dass Mugabe und die Oppo-sition 2008 eine „Regierung der Einheit“ bildeten. Zudem wurde die einheimische Währung, der Simbabwe-Dollar, abgeschafft und der US-Dollar als Zahlungsmittel eingeführt mit der Folge, dass die Wirtschaft sich rasch erholte.

Besonders bemerkenswert ist, dass die 170.000 Bauern der Land-reform dieses Chaos nicht nur überlebt haben, sondern sogar

Das Märchen von den bösen LandbesetzernIn Simbabwe produzieren die Bauern bald mehr als ihre weißen Vorgänger

Von Joseph Hanlon

In den ersten Monaten ermahnte die Mugabe-Regierung die Landbesetzer, sie

sollten „nach Hause“ gehen.

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KOMMENTAR standpunkte

aufgeblüht sind. Im November 2012 kam die Weltbank in einer Untersuchung zu dem Schluss, die landwirtschaftliche Produktion in Simbabwe habe wieder ein Niveau erreicht wie im Durchschnitt der 1990er Jahre, der Dekade vor der Landreform. Und laut Finanzmi-nister Tendai Biti produzieren die Bauern der Landreform heute die Hälfte der Mais- und 40 Prozent der Tabakernte in Simbabwe. Mit anderen Worten: Diese Bauern sind heute die dynamischsten Kräfte der simbabwischen Wirt-schaft.

Die weißen Farmer wurden vor der Unabhängigkeit von der weißen Regierung großzügig ge-fördert. Die Landbesetzer hinge-gen bekamen kaum Unterstüt-zung und mussten selbst Geld auftreiben. Einige behielten ihre Jobs in der Stadt, andere sammel-ten in ihren Familien Geld. Laut Weltbank haben die Landreform-Bauern noch immer viel zu wenig Investitionskapital.

Trotzdem und trotz der Hyper-inflation waren die meisten der neuen Kleinbauern in der Lage, ihre Höfe auf- und auszubauen. Seit mit US-Dollars gezahlt wird

produzieren sie deutlich mehr, weil sie jetzt leichter Material und Geräte kaufen und ihre Produkte verkaufen können. Erhebungen zeigen, dass die Entwicklung ähn-lich verläuft wie bei den weißen Farmern: Ein Drittel der Bauern ist sehr erfolgreich; sie haben sich zu kleinen profitorientierten Unter-nehmen gemausert, die vor allem für den Markt produzieren und gute Einkommen erwirtschaften. Einer mittleren Gruppe geht es recht gut: Diese Bauern produzie-ren ihre eigenen Nahrungsmittel, verkaufen aber auch etwas und können sich Steinhäuser leisten. Dank dem US-Dollar werden eini-ge ihre Produktion noch steigern können und in die erste Gruppe aufsteigen. Dem letzten Drittel der Bauern geht es schlecht: Ihnen fehlt es an Kapital oder auch an Fä-higkeiten, und einige scheitern komplett.

Weil die Bauern kaum Subven-tionen oder Kredite bekommen haben, konnten sie ihre Produkti-on nur langsam steigern. Aber im Durchschnitt erreichen sie bereits das Niveau der weißen Farmer. Der Vertragsanbau von Pflanzen wie Tabak, Baumwolle oder Soja ist

seit der Einführung des US-Dollars 2009 schnell gewachsen. Die Käu-fer liefern den Bauern auf Kredit Saatgut und Dünger und pflügen manchmal die Felder, die Bauern müssen im Gegenzug den Firmen die Ernte verkaufen. Einige frühe-re weiße Farmer sind auf der Wert-schöpfungskette nach oben ge-klettert und leiten nun solche Fir-men für den Vertragsanbau.

Insgesamt setzen die Landre-form-Bauern weniger Maschinen ein als die weißen Farmer; sie be-ackern größere Flächen und be-schäftigen mehr Arbeiter als diese. Die weißen Bauern hatten rund 250.000 Vollzeitarbeiter unter Vertrag. Nach neuen Schätzungen arbeiten derzeit etwa 550.000 Fa-milienmitglieder Vollzeit auf den Höfen, hinzu kommen weitere 350.000 angestellte Arbeiter. Die Zahl der Beschäftigten auf den früheren „europäischen“ Flächen hat sich also fast vervierfacht. Be-kämen die 170.000 Landreform-Bauern mehr Kredit und Subven-tionen, dann könnten sie ihre Pro-duktion schneller steigern. Aber auch so stehen sie kurz davor, die weißen Farmer, die sie ersetzt ha-ben, zu überholen.

Joseph Hanlon ist gastwissenschaftler in der abtei-

lung für internationale entwicklung an der london school of economics und

befasst sich seit über 30 Jahren mit der entwicklung im südlichen afrika. Vor

kurzem ist von ihm sowie von Jeanette Manjengwa und Teresa smart das

buch „Zimbabwe Takes back its land“ (Kumarian) erschienen.

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10 standpunkte KOMMENTAR | LESERBRIEFE

Zwei Gerichte, eine WahlUhuru Kenyatta wird wohl Kenias neuer Staatschef, obwohl er international angeklagt ist

Nach den Wahlen in Kenia ist der befürchtete neue Gewaltausbruch zwischen den Gefolgsleuten der Sieger und Verlierer ausgeblieben. Das gestiegene Ansehen des Obersten Gerichts hat dazu beige-tragen. Dagegen hat der Internati-onale Strafgerichtshof Zustim-mung verloren und findet sich in einer unmöglichen Lage wieder.

Bei den Präsidentschaftswahlen in Kenia hat Uhuru Kenyatta mit seinem Vize William Ruto denk-bar knapp im ersten Wahlgang gesiegt: Laut der Wahlkommissi-on hat er die absolute Mehrheit um 0,7 Prozent übertroffen. Wie Ende 2007 hat sich damit der Prä-sidentschaftskandidat aus der größten Volksgruppe, den Ki-kuyu, durchgesetzt. Und erneut ficht der Verlierer Raila Odinga das Ergebnis an. Diesmal hat er aber nicht zu Massenprotesten aufgerufen, sondern Einspruch beim Obersten Gericht eingelegt. Unter anderem deshalb hat sich der damalige Gewaltausbruch bisher nicht wiederholt. Das Ge-richt genießt unter seinem neuen Vorsitzenden weit mehr Vertrau-en als 2007. Es steht vor der heik-len Entscheidung, ob es wegen der Probleme bei der Wahl und der Stimmenauszählung eine Neuwahl oder eine Stichwahl an-

ordnet. Wenn aber die Justiz ge-stärkt aus dem Streit hervorgeht, ist das für den Frieden in Kenia ein großer Gewinn.

Angeschlagen steht indes der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) dar. Uhuru Kenyatta und William Ruto sind zwei der vier Männer, gegen die er im März 2010 ein Verfahren eröffnet und Anfang 2012 Anklage erhoben hat – als mutmaßliche Drahtzieher der Gewalt von 2007/2008. Eine offizielle kenianische Untersu-chung hatte schon 2008 belegt, dass führende Politiker ethnische Ressentiments geschürt und Mili-zen gelenkt hatten, und Klage ge-gen die Haupttäter empfohlen. Weil Kenias Justiz nicht imstande war, sie anzuklagen, fand das Ein-greifen des IStGH zunächst viel Zustimmung.

Dieser Kredit ist nun dahin. Kenyatta und Ruto, die 2007 Geg-ner waren – Ruto stand damals im

Lager von Odinga –, haben sich verbündet und Stimmen gewor-ben, indem sie die Anklage als An-griff des Westens auf die Souverä-nität Kenias darstellten. Die Pro-paganda hat offenbar gewirkt. Sollte Kenyatta Präsident werden, dann endet der IStGH in einer un-möglichen Lage: Er führt einen Prozess gegen einen Staatschef, der noch nach Anklageerhebung demokratisch gewählt wurde und dessen Land ein wichtiger Ver-bündeter der USA und Europas ist. Mehr noch: Da Kenyattas und Rutos Milizen 2007/2008 gegen-einander standen, dürften vor Ge-richt früher oder später Zeugen aus dem einen Lager den anderen belasten. So kann der Prozess in Den Haag das Bündnis zwischen beiden und damit die neue Regie-rung in Kenia gefährden. Dort wie im Westen wird all dies das Unbe-hagen am IStGH weiter wachsen lassen. (bl)

LESERBRIEFE

Was Entwicklung ausmachtZum artikel „entwicklungspolitik? was soll das sein?“, welt-sichten 3/2013

Es ist unmöglich, auf die ver-schiedenen anregenden Diskus-sionsbeiträge Ihrer Gesprächs-runde einzugehen. Deshalb nur ein Punkt: Die Forderung, den Begriff „Entwicklungspolitik“ zu überwinden, fand viel Zustim-mung, berichten Sie. Einzige Be-gründung: Angeblich suggeriere der Begriff „einen linearen Auf-stieg aus der Armut“. Größte Hochachtung vor der journalisti-schen Arbeit von Bettina Gaus. Meines Erachtens ist ihr Einwurf aber viel zu kurz gegriffen. Selbst-verständlich ist es das Ziel von Entwicklungspolitik, die Lebens-bedingungen für die Menschen in den Partnerländern zu verbes-

sern. Entwicklung ist aber sehr viel mehr als Armutsüberwin-dung. Statt verschiedener Be-gründungen hier nur der Hin-weis: Wir alle sprechen von der Entwicklung unserer Kinder und meinen die volle Entfaltung ihrer Fähigkeiten. So ist es auch bei der Entwicklung von Gesellschaften gemeint – dies als Versuch einer kurzen Antwort auf die Frage im Titel des Artikels: „Was soll das sein?“ Das soll es sein.

Gewiss eine gewaltige Aufga-be, aber mit Linearität hat das nichts zu tun – das wäre eine viel zu mechanische, eindimensiona-le Betrachtungsweise. Irrtümer und Fehler mit den daraus resul-tierenden Lernprozessen sind dem Entwicklungsbegriff inhä-rent und nicht von ihm zu tren-nen. Also gerade kein gerader Weg. Und welche Bezeichnung sollte denn die so verstandene umfassende Entwicklungsarbeit

besser und unmissverständlich kennzeichnen? Schade, dass es dazu keinen Vorschlag gab; er wäre wahrscheinlich genauso oder leichter angreifbar. „Ent-wicklungshilfe“ und „wirtschaftli-che Zusammenarbeit“ können es jedenfalls nicht sein. Schließlich: Partnerschaftliche Zusammenar-beit ist trotz wirtschaftlichen Ge-fälles zwischen den Beteiligten möglich, wenn die menschliche und kulturelle Gleichrangigkeit des Vertragspartners anerkannt wird. Und das gibt es, wie ich aus eigener Erfahrung weiß.

Cay Gabbe, über „welt-sichten online“

Erfolge herausstellenBei allen Kommentaren die ich zu diesem Thema gelesen habe, stel-le ich mir die Frage, wie wohl die betroffenen Personen, um die es letztendlich geht, darüber den-

ken würden? Für diese Menschen geht es mehr oder weniger da-rum, wie sie ihren beschwerli-chen Alltag etwas leichter gestal-ten können. Entwicklungshilfe hat genau diese Aufgabe. Ein Ent-wicklungshelfer muss die Mög-lichkeit bekommen, in zwei oder drei Jahren nachhaltig zur Ver-besserung der Lebensbedingun-gen beizutragen. Wenn wir über die Darstellung der Entwicklungs-hilfe in der Öffentlichkeit spre-chen, sollten wir die Erfolge vieler engagierter Mitarbeiter in der Heimat und vor Ort in den Vor-dergrund stellen. Wir Deutschen neigen immer dazu, uns in Selbst-kritik zu ergehen und sehen nicht, wie sehr wir im Ausland geschätzt werden. Hartmut Buchholz, über „welt-sichten online“

die Redaktion freut sich über leser-briefe, behält sich aber vor, sie zu kürzen.

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11HERAUSGEBERKOLUMNE standpunkte

Der Titel dieser Kolumne erinnert an die Geschichte von David und Goliath. „Kinder so stark wie Staa-ten“ – das verweist auf einen Weg, der noch nicht zu Ende ist; auf ein Ziel, das noch aussteht. Seit 2001 begleiten diese Worte program-matisch die Initiativen und Orga-nisationen, die sich für das Indivi-dualbeschwerdeverfahren für Kinder einsetzen. Wer den Begriff zum ersten Mal liest, mag an ein Nischenproblem denken. Wer sich auf seine Geschichte einlässt, kommt zu einem Kernproblem der Kinderrechte.

Als die UN-Vollversammlung am 20. November 1989 das Über-einkommen über die Rechte des Kindes, die UN-Kinderrechtskon-vention, beschloss, war nach jahr-zehntelangem politischem Rin-gen ein Meilenstein im Blick auf ein neues Verständnis von Kind-sein und Kinderrechten erreicht. Der Vorrang des Kindeswohls war damit für alle politischen und ad-ministrativen Entscheidungen ge-setzt wie auch der Anspruch, je-des Kind als handelndes Subjekt wahrzunehmen. Artikel 12 sichert das Recht auf Beteiligung und freie Meinungsäußerung „in allen das Kind berührenden Angele-genheiten“ zu, entsprechend sei-nem Alter und seiner Reife.

Fast alle Staaten der Welt ha-ben die Kinderrechtskonvention

ratifiziert. Damit verpflichten sie sich, Kinder zu schützen, zu för-dern und zu beteiligen. Doch ein Blick in die Welt – auch in die In-dustriestaaten – zeigt, dass noch viel Arbeit ansteht, damit die Rechte von Kindern etwa bei Bil-dung oder Gesundheit Wirklich-keit werden können.

Zwar gibt es nach Artikel 44 mit der Berichtspflicht der Ver-tragstaaten gegenüber den UN ein wichtiges Kontrollinstrument, das in den vergangenen Jahren seine Relevanz gezeigt und zur Umsetzung der Konvention bei-getragen hat. Doch fehlt das Inst-rument der Individualbeschwer-de, wie sie in einigen anderen Menschenrechtsverträgen vorge-sehen ist. Dieses Verfahren soll Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit geben, nach Aus-schöpfung aller Rechtsmittel in ihren Heimatländern Verletzun-gen der Kinderrechte vor einem internationalen Gremium anzu-zeigen und ihre Rechte einzufor-dern. Kinder sind damit als voll-berechtigte Inhaber von Rechten anerkannt. Das stärkt ihre Positi-on gegenüber den Staaten und verweist diese erneut auf interna-tionaler Ebene auf ihre Pflichten. Deshalb ist das Beschwerdever-fahren ein wichtiger Baustein zur Durchsetzung der Kinderrechte.

Nach über zehn Jahren politi-scher Lobbyarbeit unter anderem auch in Deutschland beschloss die UN-Vollversammlung im No-vember 2011 das sogenannte 3. Zu-satzprotokoll zur Kinderrechts-konvention und machte den Weg frei, das Individualbeschwerde-verfahren von den Staaten ratifi-

zieren zu lassen. Dieser politische Erfolg verdankt sich nicht zuletzt der Beharrlichkeit einzelner Per-sonen, die sich mit aller Kraft für dieses Ziel eingesetzt haben.

Zu ihnen gehörte in ganz be-sonderer Weise die Kinderrechts-expertin Barbara Dünnweller, die sich als Referentin der Kindernot-hilfe dieser Aufgabe viele Jahre lang gewidmet hat. An ihrem To-destag am 8. November 2012 stimmte der Bundestag dem Zu-satzprotokoll zu. So erfüllte sich ihr Lebenswerk, auch wenn sie selbst nicht mehr an diesem Er-folg teilhaben kann. Das Zusam-mentreffen dieser beiden Ereig-nisse hat viele Menschen in ihrer Trauer um Barbara Dünnweller sehr bewegt. Es verbindet das To-desdatum von Barbara Dünnwel-ler mit einer Entscheidung, auf die sie immer gehofft und für die sie gearbeitet hat.

Auf dem Weg sind wir seither vorangekommen. Ende 2012 wur-de die Ratifizierung im Bundesge-setzblatt veröffentlicht. Insge-samt haben bis Ende Februar 35 Staaten das Zusatzprotokoll un-terzeichnet. Nun steht die Ratifi-zierung an, damit es international in Kraft treten kann. Dazu sind nach UN-Vorgaben zehn Ratifizie-rungen erforderlich. Nach Thai-land und Gabun hat Deutschland als dritter Staat die Ratifizierungs-urkunde Ende Februar bei den UN in New York hinterlegt.

Erst wenn sich die Staaten der Welt wirklich für die Kinder und ihre Zukunft stark machen und ihre Rechte durchsetzen, werden Kinder stark wie Staaten sein. Es wäre viel gewonnen, wenn die Staaten und damit die politisch Verantwortlichen merkten, wel-che Kraft darin liegt, wenn sich Kinder und ihre Initiativen für ihre Rechte einsetzen. Denn im demokratischen Sinn machen sie sich damit auch für den Rechts-staat stark und bringen zum Aus-druck, dass sie ihn als ihre politi-sche Zukunft wollen.

Kinder so stark wie Staaten Die UN-Kinderrechtskonvention braucht ein Beschwerdeverfahren

somalia, sudan und die Vereinigten staaten – diese drei länder haben die un-Konvention über die Rechte des Kindes bislang nicht anerkannt. außer ihnen haben alle un-Mitglieder das abkommen ratifiziert. dennoch werden die Rechte von Kindern in vielen ländern mit füßen getreten. bislang konnten die opfer sich nicht dagegen wehren. das ändert sich hoffentlich bald.

Von Jürgen Thiesbonenkamp

Jürgen Thiesbonenkamp ist Vorstandsvorsitzender der Kinder-

nothilfe in duisburg.

Das Beschwerdeverfahren stärkt die Position der Kinder und verweist die Staaten erneut auf ihre Pflichten.

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M it Wasser im Haushalt gehen wir Deutschen recht sparsam um, rund 130 Liter brauchen wir am Tag. Für die Herstellung der Güter,

die wir konsumieren, muss viel mehr Süßwasser auf-gewendet werden, das meiste für Agrarprodukte. Zwei oft zitierte Beispiele stellte die Umweltorganisa-tion WWF vor einigen Jahren heraus: Um den Kaffee anzubauen, der in einer einzigen Tasse steckt, braucht man rund 140 Liter Wasser. 4100 Liter sind im Durch-schnitt nötig, um ein T-Shirt aus Baumwolle herzu-stellen. Weil beides großenteils importiert wird, fällt der Wasserverbrauch dafür im Ausland an – etwa für den Kaffee-Anbau in Lateinamerika, den Baumwoll-anbau in Usbekistan oder die Textilverarbeitung in China. Vom im deutschen Konsum verborgenen Was-ser, immerhin über 5000 Liter pro Person und Tag, stammt laut dem WWF rund die Hälfte aus Ländern wie Brasilien, der Elfenbeinküste, Frankreich, den USA oder Indien.

Aber ist das ein Problem? Verbrauchen wir knap-pes Wasser aus dem Ausland? Nehmen wir gar armen Ländern Wasser weg? Modellrechnungen legen das Gegenteil nahe: Danach spart der internationale Ag-rarhandel global Wasser – es würde mehr gebraucht, würden alle alles selbst erzeugen. Diese Beobachtung steht am Ursprung des Konzeptes vom „virtuellen Wasser“, das der britische Geograf John Anthony Al-len 1995 eingeführt hat: Er wies darauf hin, dass tro-ckene Länder in Nordafrika und Nahost mit Nah-rungsmitteln virtuelles Wasser importierten und so das Wasser für den eigenen Anbau einsparten.

Die Untersuchungen dazu hat das Institut für Wasser-Bildung der UN-Wissenschafts- und Kulturor-ganisation (UNESCO-IHE) in den Niederlanden vor-angetrieben. Die Forschungsgruppe um Arjen Hoeks-tra hat Berechnungsverfahren für den sogenannten Wasserfußabdruck entwickelt. Der gibt an, wie viel Süßwasser für die Herstellung bestimmter Produkte nötig ist. Hoekstra hat jetzt ein Buch zum Wasserfuß-abdruck der Menschheit erstellt, also über die für un-seren gesamten Konsum nötige Menge an Süßwasser. Rund 90 Prozent davon sind der Landwirtschaft ge-schuldet und allein rund 30 Prozent der Herstellung tierischer Produkte – auch wenn in einzelnen Län-dern wie China die Industrie einen hohen Anteil hat.

Die meisten Studien zum Handel mit virtuellem Wasser beschränken sich auf die Landwirtschaft. Aus dem Wasserfußabdruck der Produkte sowie Handels-statistiken berechnen sie, wie viel virtuelles Wasser im internationalen Handel steckt. Das Gesamtvolu-men hat sich danach seit Mitte der 1980er Jahre un-gefähr verdoppelt. Das ist ein Nebeneffekt der Globa-lisierung: Weil der Welthandel stark gewachsen ist, wird zwangsläufig auch mehr Wasser, das in die Pro-duktion eingeht, zwischen Ländern ausgetauscht. Ungefähr ein Fünftel des global genutzten Süßwas-sers wird heute für die Herstellung von Exportgütern eingesetzt. Drei Viertel davon stecken in Feldfrüch-ten; große Anteile entfallen auf Weizen, Soja, Palmöl, Mais, Kaffee, Kakao, Baumwolle, Reis und Zucker. Je zwölf Prozent werden in tierischen Produkten und in Industriegütern „versteckt“ gehandelt.

das meiste süßwasser braucht die Menschheit nicht zum Trinken und waschen, sondern um Konsumgüter herzustellen – vor allem landwirtschaftliche. wenn wir solche produkte im ausland kaufen, verlagern wir damit auch den wasserverbrauch dorthin. und das, so behaup-ten wissenschaftler, spart global gesehen sogar wasser.

Von Bernd Ludermann

Unsichtbarer Wasserhandel

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Dem Wasser des Nil verdankt die Landwirtschaft im Sudan ihre Früchte: Ein Bauer in der Nähe von Khartum bewässert seine Felder.MohaMed nuReldin abdallah/ReuTeRs

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Die großen „Lieferanten“ von virtuellem Süßwas-ser für den Weltmarkt sind aber nicht arme Entwick-lungsländer. Afrika südlich der Sahara ist aufgrund seiner geringen Rolle im Welthandel auch am Aus-tausch von virtuellem Wasser wenig beteiligt. In ers-ter Linie stillen Nord- und Südamerika, gefolgt von Teilen Süd- und Südostasiens sowie Australiens, indi-rekt den Durst anderer Nationen: In ihren Exporten steckt mehr Wasser als in ihren Importen. Umgekehrt führen Nordafrika und der mittlere Osten, Mexiko, Teile Europas sowie Japan mehr virtuelles Wasser ein als aus. China importiert mit Agrarprodukten per Sal-do virtuelles Wasser, exportiert es aber, wenn man Industriegüter berücksichtigt.

Dass sich der globale Wassertransfer seit 1986 grob verdoppelt hat, geht zum großen Teil auf die ra-sche Zunahme der Soja-Importe Chinas aus Brasilien, Argentinien und den USA zurück; China hatte die Im-portbeschränkungen dafür 2001 aufgehoben. Der zweitgrößte Faktor war die Zunahme der Mais-Im-porte Mexikos aus den USA nach dem Freihandelsab-kommen von 1994 zwischen beiden Ländern und Kanada. Weil die USA, Brasilien und Argentinien für die Herstellung von einer Tonne Soja oder Mais weni-ger Wasser nutzen als China beziehungsweise Mexi-ko, spart dieser Handel Wasser. Glaubt man den Be-rechnungen, dann gilt das für den größten Teil des Agrarhandels. Global spare er zwischen vier und sechs Prozent des für die Landwirtschaft nötigen Wassers ein. Der Industriehandel dagegen führt laut

Hoekstra zu Wasserverlusten. Das ist plausibel, weil zum Beispiel viele Textilfabriken in Asien mehr Was-ser verschmutzen als moderne Betriebe bei uns.

doch was folgt daraus? Sollen trockene Länder auf die Herstellung wasserintensiver Güter ver-zichten und sie importieren, um Wasser zu spa-

ren? Darin sieht eine Forschungsgruppe an der Uni-versität Princeton in den USA gar ein mögliches Re-zept zur Anpassung an den Klimawandel. Oder soll man den Handel beschränken dürfen, wenn die Her-stellung eines Gutes Wasserressourcen überlastet?

Aus den Modellen lassen sich keine einfachen Empfehlungen ableiten. Fraglich ist bereits, wie exakt die Berechnungen sind. Ihre Grundlage ist der Was-serbedarf von Pflanzen. Er werde im Wesentlichen davon bestimmt, wie viel Wasser sie aufnehmen und über die Blätter verdunsten, erklärt Petra Döll von der Arbeitsgruppe Hydrologie an der Universität Frank-furt am Main. Das ist je nach Pflanze, Ort und Zeit verschieden; es umfassend zu messen ist unmöglich. Mit einem Modell hat die Geografin 2009-10 den Wasserbedarf der globalen Landwirtschaft berechnet. Hierzu muss man wissen, was wo angebaut und wie bewässert wird. Daraus und aus Klimadaten wird er-mittelt, wie viel Wasser Pflanzen am jeweiligen Ort verdunsten. Das muss dann in Beziehung zum Ertrag gesetzt werden. Für jeden dieser Schritte seien die Da-ten lückenhaft, sagt Döll. Man kann also den Wasser-fußabdruck von Pflanzen nicht genau bestimmen und damit auch nicht den der Tierzucht, der fast völ-lig von dem des Futters abhängt. Immerhin stimmen verschiedene Berechnungen grob überein. Noch un-sicherer sind Angaben zum Wasserfußabdruck der Industrie, der im Wesentlichen von der Verschmut-zung des Abwassers abhängt.

Der Schluss, dass der Handel Wasser spart, beruht zudem auf dem Vergleich mit einer hypothetischen

Weil der Welthandel stark gewachsen ist, wird auch mehr in den Gütern verborgenes Wasser

zwischen Ländern ausgetauscht.

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Welt, in der alle Länder die Güter, die sie jetzt impor-tieren, selbst erzeugen. Doch Deutschland oder die Schweiz würden schon aus Gründen des Klimas kaum Baumwolle, Reis oder Kaffee anbauen, sondern ihren Konsum umstellen. Und auch da, wo das Klima kein Problem ist – Mexiko kann Mais kultivieren und China Soja –, bleiben oft andere Hindernisse. Ein ent-scheidendes ist Landmangel. Ohne Agrarhandel wür-de in China wohl weniger Soja und damit Fleisch ver-braucht, während in Brasilien Flächen brach lägen. Der globale Wasserverbrauch könnte dadurch sinken – zusammen mit dem Wohlstand. Mit anderen Wor-ten: Ohne Agrarhandel würde vermutlich weniger Wasser benötigt, als das Modell suggeriert.

Doch globale Bilanzen besagen wenig. Der Agrar-handel hilft einer Reihe von Ländern, ihre Wasserpro-bleme zu lindern – etwa Ägypten und anderen Staa-ten Nordafrikas. In manchen verschärft er sie wahr-scheinlich, zum Beispiel in Zentralasien: Als Folge des Baumwollanbaus für den Export trocknen dort die Flüsse und der Aralsee zunehmend aus.

Entscheidend ist, ob das knappe Gut nachhaltig genutzt wird. Hier, betont Döll, müsse man „blaues“ und „grünes“ Wasser unterscheiden – auch wenn die Grenze fließend ist. Das grüne ist in den Boden gesi-ckertes Regenwasser; es lässt sich nicht transportie-ren und nur für Landwirtschaft nutzen. Das „blaue“ Fluss-, See- und Grundwasser lässt sich dagegen um-leiten und wird auch in der Industrie, der Energieer-zeugung oder im Haushalt gebraucht. Die Konkur-renz darum ist größer als um grünes und wächst mit der Verstädterung und Industrialisierung.

Haushalte und Fabriken leiten den größten Teil ihres blauen Nutzwassers als Abwasser in den lokalen Wasserkreislauf zurück – wenn auch mehr oder weni-ger verschmutzt. Über 70 Prozent des blauen Wassers weltweit werden aber entnommen, um Pflanzen zu bewässern. Auch hier fließt ein Teil verschmutzt,

etwa mit Dünger, zurück. Über die Hälfte aber ver-dunsten die Pflanzen über die Blätter. Anders als das Wasser aus der Industrie geht es dem lokalen Wasser-kreislauf großenteils verloren. Mit Regenfeldbau ent-ziehe man Flüssen und Seen dagegen kaum Wasser, weil grünes Wasser nicht nur auf dem Acker, sondern auch in der Wildnis verdunstet, sagt Döll.

w enn man zu viel blaues Wasser auf die Äcker leitet oder verschmutzt, gefährdet das die Ökosysteme von Gewässern. Viele

Flüsse sind bereits stark geschädigt – vor allem infol-ge von Bewässerung. In Regionen wie Nordindien und Nordchina sowie Teilen Ost- und Südafrikas ist ein großer Teil des nutzbaren blauen Wassers schon erschlossen. Wird mehr als ein Fünftel entnommen, dann spricht man von Wasserstress, bei mehr als zwei Fünfteln von extremem Wasserstress. Hiervon sind über zwei Milliarden Menschen betroffen, ihre Zahl nimmt zu.

Inzwischen unterscheiden auch Hoekstra und ein Teil der anderen Studien grünes und blaues Was-ser. Dadurch erscheint zum Beispiel Kaffee als weni-ger heikel, denn er wird praktisch nirgends mit blau-em Wasser kultiviert. Bei wichtigen Agrarprodukten wie Weizen ist der Anteil im globalen Durchschnitt höher, bei den meisten aber unter einem Fünftel: Das meiste wächst mit Regenwasser. Die Baumwolle im T-Shirt hingegen wird mit überdurchschnittlich viel blauem Wasser angebaut.

Überwiegend grün ist auch das virtuelle Wasser im internationalen Handel. Und der spart laut den Berechnungen mehr blaues als grünes Wasser. Offen-bar importieren manche Länder, deren Landwirt-schaft von Bewässerung abhängt, viele Agrargüter und sparen so eigenes blaues durch die Einfuhr von grünem Wasser. Chinas Sojaimporte aus Brasilien sind ein Beispiel. Die Wasserersparnis kann aller-

Bewässerung von Salatfeldern im Süden Australiens (links). Zwei Fünftel der Anbaufläche des Landes liegen hier im Flussbecken von Murray und Darling, die von der Wasserentnahme schon geschädigt sind: Messung der Wassermenge in einem Zufluss des Murray River (Mitte links).aMy Toensing/geTTy iMages (2)

Baumwollpflückerin in Tadschikistan (Mitte rechts). Für den Anbau des Exportgutes verbraucht Zentralasien knappes Wasser.noZiM KalandRoV/ReuTeRs

Im Hafen von La Rochelle in Frank-reich wird ein Schiff mit Weizen beladen (rechts). Getreideimporte können trockenen Ländern helfen, Wasser zu sparen.Claudius ThieRieT/laif

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dings mit anderen Umweltschäden einhergehen, etwa Landerschließung im Regenwald.

Das alles sagt jedoch nichts darüber, wo knappes blaues Wasser nachhaltig verwendet wird. Zum Bei-spiel wird es gespart, wenn Mexiko in den USA Mais kauft, denn dort erzeugt die intensive Landwirt-schaft mit derselben Wassermenge mehr Mais. Den-noch ist das in Teilen der USA nicht nachhaltig; spe-ziell im mittleren Westen wird das Fluss- und Grund-wasser übernutzt. Die Hälfte des blauen Wasser, das in Exportgütern verborgen auf den Weltmarkt ge-langt, stammt laut Hoekstra aus Ländern unter Was-serstress. „In Nordchina und Nordindien ist Wasser sehr knapp und man produziert trotzdem wasserin-tensive Güter für den Export“, sagt er.

Den Einwand von Entwicklungsexperten, viele arme Länder könnten nur mit Agrarexporten wirt-schaftlich vorankommen und müssten dafür auch knappes Wasser nutzen, lässt er nicht gelten: „Es ist ein zynisches Argument zu sagen, man soll natürli-che Ressourcen übernutzen. Das bringt vielleicht für eine begrenzte Zeit Wachstum, hat aber unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit keinen Sinn.“ Han-delseinschränkungen sind für ihn kein Tabu.

Der Leipziger Umweltökonom Erik Gawel wider-spricht. Grundsätzlich führe das Konzept des Was-serfußabdrucks in die Irre, weil es den Handel nur unter dem Gesichtspunkt des Wasserverbrauchs be-trachte. Nachhaltigkeit, betont Gawel, sei mehr als effiziente Wassernutzung. Den Handel daran auszu-richten, führe zu Wohlfahrtsverlusten, ohne Um-weltprobleme zu lösen.

Nun sieht auch Hoekstra, dass Handelsströme von Chancen auf dem Weltmarkt bestimmt sind und Wasserknappheit höchstens ein Faktor dafür ist. Ja-pan und die Niederlande etwa führen virtuelles Was-ser ein, weil ihr Land knapp ist, nicht ihr Wasser. Ei-nig sind Gawel und Hoekstra auch darin, dass lokale

Regeln für eine vernünftige Wassernutzung nötig sind und Preise, die widerspiegeln, wo das Nass knapp ist. Waltina Scheumann, eine Wasserexpertin vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik, hält das nicht überall für möglich. Zum einen könne man in vielen Bewässerungssystemen die Wassermengen technisch gar nicht messen. Zum anderen hätten kostendeckende Wasserpreise auch soziale Folgen; das müsse man bei der Gestaltung von Anreizen zum Wassersparen bedenken.

w enn lokal angemessene Preise nicht er-reichbar sind, will Hoekstra im Einzelfall Exportschranken für Güter in Betracht zie-

hen, deren Produktion Wasserressourcen übernutzt. Scheumann hält das für fatal: Es beschränke die Ex-portchancen der einen Länder und hindere andere daran, mit dem Import von virtuellem Wasser Knappheit auszugleichen. Nicht zuletzt bestrafe es Betriebe, die Wasser effizient einsetzen. „Wasserspa-rende Techniken rentieren sich, wenn Betriebe Zu-gang zum Markt haben und gute Preise bekommen“, sagt sie. Und die Erträge zu erhöhen ist auch laut Hoekstra die wirksamste Art, Wasser zu sparen.

Kontrovers ist auch seine These, der Welthandel mache Wasser von einem ortsgebundenen zu einem teilweise globalen Gut. Zwar müsse seine Nutzung weiterhin in erster Linie auf Ebene der Flussbecken geregelt werden. Bei grenzüberschreitenden Flüssen und Grundwasserspeichern ist dafür schon immer die Kooperation aller Anrainer gefragt. Aber das ge-nügt laut Hoekstra nicht mehr: Weil virtuelles Was-ser global gehandelt wird, tritt er für globale Nut-zungsregeln ein – zum Beispiel für ein internationa-les Abkommen, wonach alle Länder ausreichend hohe Preise für Wasser festsetzen sollen. Zudem sieht er ein Problem darin, dass Bürger mancher Länder viel mehr Wasser pro Kopf verbrauchen als der Durchschnitt. „Es ist schlicht unmöglich, das Ni-veau des Wasserverbrauchs in den USA allen Men-schen zugänglich zu machen“, sagt er.

Doch im Unterschied zu klimaschädigenden Treibhausgasemissionen sind die Umweltwirkun-gen des Wasserverbrauchs stets ortsgebunden. Wenn es in einem Flussbecken übernutzt oder verschmutzt wird, hat das anderswo keine direkten Folgen. Man könne kein globales Maß für Knappheit oder einen

„fairen“ Pro-Kopf-Verbrauch angeben, sagt Gawel; Wasser sei kein globales Gut.

Das Konzept des Wasserfußabdrucks ist also pro-blematisch und verleitet zu einfachen Schlüssen. Dennoch ist es nützlich, weil es Probleme sichtbar macht. So zeigt es, dass pflanzliche Nahrungsmittel viel weniger Wasser beanspruchen als tierische. Und es macht klar, wie stark der Konsum in einem Land vom Wasserverbrauch anderswo abhängen und dar-auf zurückwirken kann. Dass der Aralsee austrock-net, hat nicht nur mit der Regierungsführung in Us-bekistan zu tun, sondern auch mit unserem Ver-brauch von billiger Baumwolle. Es wäre unredlich, nur die Anbieter verantwortlich zu machen.

Zum weiterlesen: www.waterfootprint.orgBernd Ludermann

ist Chefredakteur von .

Rotes Abwasser fließt 2011 in der chinesischen Stadt Luoyang in den Fluss. Es stammt aus zwei illegalen

Chemiebetrieben. In der Industrie ist Wasserverbrauch vor allem eine

Frage der Verschmutzung.ReuTeRs/China daily

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Eine Stadt versinkt: Weil das Grund-wasser abgepumpt wird, senkt sich der Boden in Mexiko-Stadt jedes Jahr um rund einen Meter.

auf wasser gebaut

d er Geruch im Dorf Melchor Ocampo ist bestia-lisch. Hier endet der zentrale Abwasserkanal von Mexiko-Stadt. Aus einem Loch im Hügel

schießen 18.000 Liter braune Dreckbrühe pro Sekun-de: fast alles, was die rund 20 Millionen Einwohner der Hauptstadtregion den Abfluss hinunterlassen. Ariel Flores, Ingenieur der nationalen Wasserbehörde Conagua, verzieht keine Miene: „Gerade kommt nicht so viel Abwasser an. Morgens, wenn alle auf die Toilet-te gehen, haben wir hier mehr als das Doppelte.“

Dann wendet sich Flores dem zu, was er voller Stolz den ausländischen Besuchern zeigen will: der

neuen Kläranlage, die unterhalb des Kloakenlochs entsteht. 3000 Menschen arbeiten hier. Es wird eine der größten Kläranlagen der Welt, und Flores ist der Chef. 2014 soll sie fertig werden und dann bis zu 42 Kubikmeter pro Sekunde reinigen können. 60 Pro-zent der Abwässer von Mexiko-Stadt werden dann künftig geklärt. Bisher sind es um die zwölf Prozent. Rund zehn Milliarden Peso (600 Millionen Euro) wird die Anlage kosten.

Wasser in Mexiko-Stadt, das ist eine Liste von Su-perlativen. Die Wasser – und Abwassermengen sind gewaltig, die Geldsummen, die die Regierung inves-

Manche städte kämpfen gegen überschwemmungen, andere gegen wassermangel. Mexiko-stadt hat beide probleme – seit fast 700 Jahren. und die Milliardeninvestitionen reichen gerade einmal von einer Krise zur nächsten.

Text: Matthias Knecht, Fotos: Meinolf Koessmeier

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tiert, ebenfalls. Und doch schlittert die Metropole immer nur knapp an einer Katastrophe vorbei. In 500 Jahren kam es zu 25 großen Überschwemmun-gen, denn die Stadt liegt in einem Hochtal ohne na-türlichen Abfluss. Im Durchschnitt alle sechs Jahre wird das Trinkwasser knapp. Zuletzt stellte die Stadt-regierung 2009 tagelang in einzelnen Vierteln das Wasser ab. Das kann sich jederzeit wiederholen. In diesen Wochen wartet Mexiko-Stadt sehnsüchtig auf den Beginn der Regenzeit im Mai.

um der gleichzeitig wachsenden Regen- und Abwassermengen Herr zu werden, arbeitet die Stadt an einem weiteren Superlativ. Seit

2009 baut die Regierung einen gigantischen neuen Abwassertunnel. Wenn er wie geplant 2016 fertig ist, wird er mit sieben Metern Durchmesser und 62 Kilo-metern Länge der weltweit größte seiner Art sein. Er bringt dann noch mehr Wasser in den Ausfluss in Melchor Ocampo. TEO heißt das Prestigeprojekt der mexikanischen Regierung, gemäß der spanischen Abkürzung für „Östlicher Abwassertunnel“ (Tunel Emisor Oriente). Kostenpunkt: 19,5 Milliarden Peso (1,2 Milliarden Euro).

Weltrekordverdächtig ist schließlich auch der Trinkwasserverbrauch. Während etwa Berlin 6000 Liter Wasser pro Sekunde benötigt und der Ballungs-raum Zürich 1700 Liter, sind es in der mexikanischen Hauptstadt 62.000 Liter. Das macht zwei Milliarden Kubikmeter pro Jahr, die Hälfte des Zürichsees. 24.000 Kilometer Wasserleitungen durchziehen das Hochtal von Mexiko, in dem die Hauptstadt und die mit ihr verschmolzenen 60 Vorortgemeinden liegen, ein unendliches Häusermeer mit mehr als 20 Millio-nen Einwohnern.

Das meiste Wasser bezieht Mexiko-Stadt aus dem Boden. Mehr als 200 Pumpen arbeiten derzeit im ge-samten Stadtgebiet, und doch reicht es nicht. 1952 er-schloss die Hauptstadt mit dem Stauseesystem Ler-ma eine weitere Quelle. Es transportiert zusätzliches Trinkwasser über eine 62 Kilometer lange Leitung in die Hauptstadt. Als auch das nicht mehr reichte, bau-te Mexiko ein weiteres System von Stauseen, das 1992 fertiggestellt wurde. Aus 127 Kilometern Entfernung und mehr als 1102 Metern Höhendifferenz wird aus dem „Sistema Cutzamala“ seither zusätzlich Wasser herangepumpt, auch das ein Weltrekord. Und doch wird das Trinkwasser immer wieder knapp. Deutli-ches Indiz sind die schwarzen Wassertanks, die auf je-dem Hausdach der Metropole stehen. Hier wird das ankommende Leitungswasser erst einmal gesammelt. Dank der Tanks fließt das Wasser auch dann noch aus dem Hahn, wenn die Versorgung wieder einmal für Stunden oder Tage unterbrochen ist.

Die heutigen Wasserprobleme begannen bereits mit den Azteken. Sie errichteten vor fast 700 Jahren ihre Hauptstadt Tenochtitlán, das heutige Zentrum von Mexiko-Stadt, nach rein militärischen Kriterien. Umgeben war Tenochtitlán von einer gewaltigen Se-enplatte, die etwa 2000 Quadratkilometer maß. De-ren Reste können Mexiko-Reisende heute vom Flug-zeug aus sehen: ein paar Tümpel nördlich des Flug-hafens. Die erste überlieferte Hochwasserkatastro-phe datiert aus dem Jahr 1446, als Tenochtitlán bis zu den Baumwipfeln unter Wasser stand. Der See war übergelaufen. Der Aztekenherrscher Moctezuma ließ daraufhin einen 16 Kilometer langen Schutz-damm bauen. Die Arbeiten dauerten 60 Jahre. Es war das erste von immer gigantischeren Vorhaben der folgenden Jahrhunderte, die dem Hochwasser Ein-halt gebieten sollten. Heute gibt es zwar keinen See mehr, doch jeder Liter Wasser, der in das Hochtal von Mexiko fließt, muss mit Kanälen und Tunneln wie-der herausgeschafft werden.

Auch die Trinkwasserbeschaffung war schon un-ter den Azteken aufwendig, ihre Stämme führten Kriege darum. Versorgt wurde Tenochtitlán unter anderem durch ein Aquädukt, das wiederum über den damaligen See führte. Es speiste sich aus den Quellen des Hügels von Chapultepec, dem heutigen Sitz des Regierungsschlosses. Zu sehen ist dieser Vor-gänger aller Trinkwasserkanäle auf einem öffentlich zugänglichen Wandgemälde des mexikanischen Ma-lers Diego Rivera im Nationalpalast. Das Äquadukt der Azteken war ihre Meisterleistung und ihr ent-scheidender Schwachpunkt zugleich. Als der spani-sche Eroberer Hernán Cortés 1520 die Belagerung begann, kappte er schlicht die Wasserversorgung und hatte leichtes Spiel.

Die Spanier rissen zahlreiche Dämme der Azte-ken ein oder schütteten Kanäle zu, um den Handel per Schiff und das Wachstum der Stadt zu erleich-tern. Das wiederum ließ die mit jeder Regenzeit ein-setzenden Hochwasser immer schlimmer werden. Schon im 16. Jahrhundert schlug der spanische Statt-halter vor, die komplette Hauptstadt zu verlegen. Das erwies sich angesichts der Einwohnerzahl als un-durchführbar: 40.000 Menschen lebten damals in Mexiko-Stadt.

Seit der Eroberung bis 1607 erlitt Mexiko-Stadt vier Hochwasserkatastrophen, mit jeweils Tausen-den von Todesopfern. Der Statthalter beschloss da-raufhin genau die Lösung, die heute im großtechni-schen Ausmaß realisiert wird: einen künstlichen Abfluss für das Hochtal von Mexiko. Fast 200 Jahre benötigten die Spanier, bis sie 1789 das Tunnel- und Kanalsystem von Nochistongo fertiggestellt hatten. Das Problem war dasselbe, das auch die heutigen

Das Abpumpen des Grundwassers lässt den weichen Boden sinken. Das historische Zentrum liegt heute neun Meter tiefer als vor hundert Jahren.

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Tunnelbauer vor Herausforderungen stellt: ein sehr weicher Untergrund.

Die Kapazität des Bauwerks von Nochistongo war von Anfang an ungenügend. Bereits 1792 war die Stadt erneut wochenlang überschwemmt. Da hatte Mexiko-Stadt rund 140.000 Einwohner. 1866 be-schloss Mexiko-Stadt einen weiteren Abfluss, den 1900 fertiggestellten „Großen Abwasserkanal“. Und wieder reichte die Kapazität nicht. Da lebten bereits fast eine halbe Million Menschen in der Metropole. Es folgten noch mehr Überschwemmungen, die größte im Jahr 1952, als man sich im Stadtzentrum nur noch per Boot fortbewegen konnte. Die Metro-pole hatte damals 3,3 Millionen Einwohner und die eigentliche Bevölkerungsexplosion stand erst noch bevor. Ein weiterer Kanal aus dem Jahr 1975 schaffte das Abwasser schließlich dorthin, wo es heute in Melchor Ocampo aus dem Berg schießt, rund 80 km nördlich der Hauptstadt.

Die im 20. Jahrhundert möglichen Messungen zeigten erstmals den Grund für die ständigen Über-schwemmungen: Ganz Mexiko-Stadt sinkt perma-nent ab. Sämtliche Abwasserkanäle verlieren darum Jahr für Jahr an Gefälle und damit an Kapazität; eini-ge fließen sogar in die Gegenrichtung. Nur dank Pumpwerken kommt das Abwasser überhaupt noch aus der Stadt. Der Grund für das Absinken ist wiede-rum die aufwändige Trinkwasserversorgung. Das Abpumpen des Grundwassers lässt den weichen Bo-den sinken. Das historische Zentrum liegt heute neun Meter tiefer als im Jahr 1900. Die Folgen sind unübersehbar. Die großen Avenidas der Stadt verlau-fen grundsätzlich wellenförmig, was im ohnehin chronisch chaotischen Verkehr für zusätzliches Ma-genkitzeln sorgt.

w ellenförmig verlaufen auch die einst schnurgeraden neoklassizistischen Fassa-den des Nationalpalastes und anderer Ge-

bäude. Die Eingänge mancher Kirchen und anderer schwerer Gebäude liegt bis zu einem Meter unter-halb des Bürgersteigs. Relativ leichte Bauwerke scheinen hingegen im Laufe der Jahrzehnte zu wach-sen, weil sie langsamer sinken als der Rest der Stadt. Das gilt etwa für den berühmten Engel der Unabhän-gigkeit. Das der Berliner Siegessäule ähnliche Monu-ment auf der Geschäftsstraße Reforma war um 1900 noch ebenerdig zugänglich. Heute führen Treppen zum Fuß des Monuments hoch.

Mehrere Dutzend Wissenschaftler der Autono-men Nationalen Universität Mexikos (UNAM) zer-brechen sich hauptberuflich den Kopf darüber, das Wasserproblem der Hauptstadt in den Griff zu be-kommen. Die Denkfabrik mit dem unauffälligen Na-

Das Abwasser aus der Stadt zu schaffen, erfordert riesige Inves-titionen: Die Kläranlage, die in Atotonilco entsteht (oben), und der 62 Kilometer lange Abwassertunnel gehören zu den größten weltweit.

Im Durchschnitt alle sechs Jahre wird das Trinkwasser knapp. Zuletzt stellte die Stadtregierung 2009 in einzelnen Vierteln das Wasser ab.

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men „Wassernetz der UNAM“ belegt ein unscheinba-res Gebäude auf dem riesigen Universitätsgelände der Hauptstadt. Eine der Forscherinnen ist Adriana Palma. Sie entwickelt ein Vorhersagemodell. „Wenn wir so weitermachen wie bisher, wird Mexiko-Stadt in den nächsten 40 Jahren weitere sechs Meter sin-

ken“, warnt sie. Probleme schafft das nicht nur für die Touristen, die dann viele weitere Stufen zur Unab-hängigkeitssäule emporsteigen müssen. Palma be-fürchtet Schäden an der Infrastruktur in Milliarden-höhe.

Schlimmer noch: Je mehr Wasser die Stadt aus dem Boden pumpt, umso tiefer sinkt der Grundwas-serspiegel, jedes Jahr ein Meter. Um 1930 versiegte der letzte Oberflächenbrunnen, seither geht es im-mer weiter runter. Aus bis zu 300 Metern Tiefe kommt jetzt das Trinkwasser. Palma spricht von ei-nem „Teufelskreis der Wasserversorgung“, den es zu durchbrechen gelte. Neuerdings versucht die Stadt-verwaltung, das Wasser aus bis zu 2000 Metern Tiefe zu pumpen. Aber auch das ist keine wirkliche Lö-sung. Denn das Tiefenwasser muss mit aufwendigen Verfahren aufbereitet werden, und seine Förderung verbraucht viel Energie. Völlig unklar ist, wie und ob das Tiefenwasser mit dem höher gelegenen Grund-

wasser verbunden ist. Im schlimmsten Fall beschleu-nigt die Stadt nur ihr Absinken.

g ibt es eine dauerhafte Lösung? Wenn es je-mand weiß, dann Fernando González. Er ist Direktor der Denkfabrik und hat der Stadtre-

gierung mit seinen Vorschlägen immer wieder aus der Klemme geholfen. Auf ihn geht die letzte Erwei-terung der Trinkwasserversorgung zurück, das Stauseesystem von Cutzamala. „Mexiko-Stadt hat ungefähr alle 25 Jahre eine schwere Wasserkrise“, re-sümiert der Forscher – und beeilt sich hinzuzufü-gen: „Das ist nicht die Schuld von uns Ingenieuren. Mexiko-Stadt liegt schlicht an einem ungeeigneten Ort.“ González weist auf die Fülle von Maßnahmen hin, die die Stadtregierung in den vergangenen Jah-ren realisiert hat. Sie startete Kampagnen zum Was-sersparen und verhängte etwa für das Autowaschen auf der Straße drakonische Bußgelder. Seither ist der Pro-Kopf-Verbrauch um etwa zehn Prozent ge-sunken.

Doch es gibt noch sehr viel mehr Sparpotenzial. Die beiden wichtigsten Posten: Erstens wird im länd-lichen Gürtel um die Hauptstadt immer noch künst-lich bewässert. Rund 20 Prozent des teuer beschaff-ten Trinkwassers gehen damit in die kaum rentable Agrarwirtschaft. Und zweitens gehen in den überal-terten Trinkwasserleitungen 20 bis 40 Prozent verlo-ren. Um deren Reparatur zu finanzieren, müsste die Stadt jedoch den Wasserpreis von derzeit rund 30 Eurocent je Kubikmeter deutlich erhöhen.

Ein höherer Wasserpreis würde laut González ernsthafte Anreize liefern, mehr zu sparen. Doch der Preis wird in Mexiko politisch tief gehalten, genauso wie die Preise für Energie. Ökonomen weisen schon lange darauf hin, dass das die ineffizienteste Art ist, für soziale Gerechtigkeit zu sorgen. Denn von sol-chen subventionierten Gütern profitieren die obe-ren Einkommensschichten am meisten. Während die Villenbesitzer in Polanco ihre Gärten für ein Ta-schengeld bewässern, kommt in höher gelegenen Armenvierteln wie Iztapalapa oft gar nichts mehr an. González kritisiert darum den fehlenden politischen Willen, zumindest kostendeckende Wasserpreise durchzusetzen.

Mexiko-Stadt müsste die Investitionen in das Wassersystem mindestens verdoppeln, um nicht gleich wieder in die nächste Krise zu schlittern, zeigt sich González überzeugt. „Mit den wenigen Mitteln, die wir haben, ist es ein Wunder, dass die Stadt über-haupt noch funktioniert“, sagt der Ingenieur. Doch selbst wenn es der Politik gelingt, solche Effizienz-probleme zu lösen, bleibt das Grundproblem beste-hen. Und das ist laut González das unverminderte Bevölkerungswachstum, derzeit wächst die Metro-pole jährlich um 300.000 Einwohner. Eine dauer-hafte Lösung für Mexiko-Stadt sieht er darum nicht:

„Immer, wenn ein neues großes Werk eingeweiht wird, sagt die Regierung, dass alles gelöst ist – bis zur nächsten Krise.“ In Wirklichkeit improvisiere sie aber nur: „Wir lösen ein Problem und schaffen zu-gleich drei neue.“

Matthias Knecht ist ökonom und philosoph. er lebt in

Mexiko und arbeitet als Korrespondent für die „neue Zürcher Zeitung“ sowie

die nachrichtenagentur epd.

Rund ein Fünftel des teuer beschafften Trinkwassers gehen in die kaum rentable

Agrarwirtschaft im Umland von Mexiko-Stadt.

Viel Spaß haben Kinder im Alameda-park im Zentrum von Mexiko-Stadt. Der Wasserverbrauch der Metropole ist zehnmal höher als der Berlins.

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oasen für den urlaub Von Anja Ruf

Maria, das Zimmermädchen, putzt. Wasser rauscht, als die blonde Bulgarin Waschbe-cken und Dusche säubert. Maria reinigt die

Hotelräume jeden Tag und tauscht täglich die Hand-tücher gegen frische aus. Die Gäste erwarten das, ebenso wie sie es für selbstverständlich halten, dass trotz Strandnähe jedes Hotel einen eigenen Swim-mingpool hat. Zum Urlaub gehört neben Sonne und Meer auch Süßwasser im Überfluss.

Für die Bevölkerung der bulgarischen Küstenregi-on ist ausreichend Wasser nicht so selbstverständlich. Die Hitzewelle des Sommers 2012 lässt die Felder aus-dörren, sie müssen bewässert werden. Viel von dem Leben spendenden Nass versickert durch marode Lei-tungen. Trinkwasser wird knapp – auch in der Pro-vinz Burgas am Schwarzen Meer. Hier liegt nicht nur die Stadt Burgas, sondern auch Sonnenstrand. Die Hotelstadt hat 80.000 oder mehr Betten plus Ferien-apartments mit wenigstens 35.000 Betten. Genau beziffern lässt sich das nicht, denn offiziell ist Son-nenstrand keine Stadt, sondern ein Resort. Im August

ist dieses Urlaubszentrum, in dem auch Maria arbei-tet, voll ausgebucht. Die zumeist ausländischen Pau-schalurlauber trifft die Wasserkrise nicht.

In Europa ist Wasser vor allem in Bulgarien, Itali-en, Malta, Spanien und Zypern knapp. Diese Länder verbrauchen nach Angaben der Europäischen Union (EU) derzeit jährlich mindestens 20 Prozent ihrer nur langfristig erneuerbaren Wasservorräte. Das hat vor allem mit dem Wasserbedarf von Industrie und Landwirtschaft zu tun. Aber auch der Tourismus – so steht es etwa im 2012 veröffentlichten United Na-tions World Water Development Report – trägt dazu bei, dass die Wasserreserven schwinden.

Daran ist nicht nur der Massen- und Pauschal-tourismus, sondern auch der Prestigetourismus schuld. Die sogenannte Qualitätswende im Touris-mus auf Mallorca bezeichnete ein Artikel in der „ta-geszeitung“ 2008 als „Besetzung von Raum für den egoistischen Nutzen“. „Meine Finca, meine Jacht, mein Golfplatz – so urlauben die Schönen und Rei-chen“, titelte ein Reisemagazin im Februar 2013 über Urlaubsorte von Prominenten auf der Insel. Große Mengen Wasser verschlingen sowohl das Garten-grundstück um die Luxusfinca als auch der grüne Rasen der Golfplätze. Mit der Ausbreitung dieser Tou-rismusformen ins Landesinnere hinein haben der Landschaftsverbrauch und die zu bewässernde Gar-tenfläche stark zugenommen – und damit der Was-serverbrauch pro Urlauber und Tag.

Pool am Meer und stets frische

Handtücher: Luxushotels wie

dieses an der Küste Kenias

brauchen viel Wasser.

MaisanT ludoViC/heMis.fR/laif

Viele hotels und Resorts werben mit großen parks, schwimm-bädern oder golfplätzen um wohlhabende besucher. dafür wird sehr viel wasser gebraucht. und das kann in trockenen gebieten wie auf der insel sansibar auf Kosten der einheimi-schen gehen.

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Er ist beim Prestigetourismus höher als beim Massentourismus, das zeigt auch eine Studie der Ruhr-Universität Bochum. Doch um wie viel genau und was das für den absoluten Wasserverbrauch heißt, darüber liegen keine Erhebungen vor – weder

für Mallorca noch für den Rest der Welt. Überhaupt ist die Datenlage zum Wasserkonsum im Tourismus dürftig, wie Eurostat, das Statistikbüro der Europäi-schen Kommission, in einer 2009 veröffentlichten Pilotstudie festgestellt hat. Eurostat geht aber davon aus, dass der Wasserverbrauch rapide zunehmen wird, da die Touristen immer höhere Ansprüche an Komfort stellen.

Das Konzept, dass ein Urlaub umso hochwertiger sei, je mehr Raum und Wasser zur Verfügung stehen, färbt vom Prestigetourismus auf den Massentouris-mus ab. In Tunesien etwa kommen auch Pauschaltou-risten in den Genuss riesiger parkähnlicher Außenan-lagen. Von Kreta bis Kenia ist die Gartenanlage mit Süßwasserpools zum Symbol für einen entspannten Urlaub geworden – und zum Statussymbol. Wenn die Grundwasserspiegel in der Umgebung der Resorts sinken, bemerken das die Touristen in den Urlauber-oasen mit ihrer künstlichen Vegetation nicht, aber die lokale Bevölkerung bekommt es zu spüren.

„Water Inequity“ – dieser Begriff bezeichnet das Ungleichgewicht zwischen Touristen und lokaler Be-völkerung beim Zugang zu und Verbrauch von Was-ser. Die britische nichtstaatliche Organisation (NGO) Tourism Concern hat im Juli 2012 einen Bericht veröf-

fentlicht, der große Wasserungerechtigkeit insbeson-dere im globalen Süden feststellt: In vielen Touristen-orten bedeuteten der Mangel an Infrastruktur sowie an Fähigkeiten und Ressourcen des Staates, dass loka-le Gemeinschaften kämpfen müssen, um ihren tägli-chen Wasserbedarf zu decken. Zur gleichen Zeit ver-brauchten benachbarte Hotels und Resorts große Mengen von Wasser für den Zimmerservice und die Pflege von landschaftlich gestalteten Gärten, Swim-mingpools und Golfplätzen.

Tourism Concern hat dazu fünf Fallstudien in vier Ländern gemacht – alle in Küstenregionen, da sich dort der Fremdenverkehr am intensivs-

ten entwickelt. Die Ergebnisse aus Bali, Gambia, San-sibar und Indien belegen, dass die Aneignung, Ver-schwendung und Verschmutzung von Wasser durch einen kaum oder schlecht regulierten Tourismus die Umwelt gefährdet und die Lebensgrundlagen und Entwicklungsmöglichkeiten lokaler Gemeinschaften unterminiert.

Ein Beispiel sind die Hausboote für Touristen im südindischen Bundesstaat Kerala. Dort zieht sich ein Netz von Süßwasserkanälen, Seen, Lagunen und Flüs-sen durch das Hinterland der Küste. Die Boote sind nicht mit kleinen traditionellen Fischerbooten zu vergleichen, sondern eher schwimmende Hotels mit mehreren Schlafzimmern, Klimaanlagen und manchmal sogar Swimmingpools. Sie verschmutzen das Wasser mit Motoröl, Abwässern und Abfällen; der Ölfilm lässt Fische und Garnelen sterben, und das Wasser verliert seine Trinkwasserqualität.

In den meisten Fällen aber graben Hotels und Re-sorts lokalen Gemeinschaften das Wasser ab. Im indi-schen Goa etwa stehen laut Tourism Concern den 1785 Litern Wasser, die der Gast eines Fünf-Sterne-Re-sorts im Durchschnitt täglich verbraucht, 14 Liter ge-genüber, die ein Anwohner nutzen kann. Besonders krass ist das Missverhältnis nach Angaben von Tou-rism Concern in Sansibar, dem vor Tansania gelege-nen Archipel im indischen Ozean: Dort konsumieren die Gäste von Luxushotels bis zu 3195 Liter Wasser pro Raum und Tag, während ein durchschnittlicher lokaler Haushalt 93,2 Liter verbraucht. Wie auch in Goa sind hier die Grundwasserspiegel gesunken, seit der Tourismus sich entwickelt hat. Die Hotels holen sich ihr Wasser zum Teil aus selbst gebohrten Brun-nen. Unter dem frischen Grundwasser liegt in Sansi-bar aber Salzwasser, das aufsteigen und sich mit dem Süßwasser vermischen kann, wenn davon zu viel ab-gepumpt wird.

In Nungwi auf Sansibar müssen die Bewohner nach Angaben von Tourism Concern ihr Wasser mitt-lerweile aus einer 20 Kilometer entfernten Stadt her-beitransportieren lassen. Hier und in Kiwengwa pa-trouillieren an Hotelpipelines Wächter, um wütende Anwohner daran zu hindern, sie zu zerstören. Im Dorf Jambiani starben 2010 mehrere Bewohner an verschmutztem Wasser. Denn als es drei Monate lang keinen Strom gab und die Pumpen, die frisches Was-ser in die Leitungen pumpen sollten, nicht mehr ar-beiteten, tranken die Menschen Brunnenwasser.

Auch als fair zertifizierte Reisen unterliegen nicht immer strengen Standards

für den Wasserverbrauch.

Mit Hausbooten fahren Touristen durch Kanäle und Lagunen in Südindien. Das verschmutzt die Gewässer und gefährdet den Fischfang.ModRow/laif

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Cholera brach aus – vermutlich weil das Brunnen-wasser mit Abwässern eines nahe gelegenen Hotels verschmutzt war.

Einen Urlaub in Sansibar kann man zum Beispiel bei TUI buchen, dem größten Touristikkonzern Euro-pas. Weiß das Unternehmen um die Wasserkonflikte im Urlauberparadies? „Nein, diese Vorfälle sind uns nicht bekannt“, antwortet Mareike Opolka von der Unternehmenskommunikation. Sie merkt an, dass es sich „bei der Destination Sansibar für TUI um einen sehr kleinen Markt handelt, in dem wir keine eigenen Hotelmarken oder -beteiligungen besitzen“. Auch von einem Workshop des Mwambao Coastal Community Network, einer örtlichen Organisation, mit Vertretern von Hotels, lokalen Gemeinschaften und der Wasser-behörde hat Opolka keine Kenntnis. Zu dem Work-shop im Oktober 2012 in Sansibar hatte Tourism Con-cern nach eigenen Angaben auch TUI eingeladen. „Es kann durchaus sein, dass einzelne Hotelpartner, von denen TUI Zimmerkontingente anbietet, eigenstän-dig an dieser Konferenz teilgenommen haben. Uns liegen darüber keine Informationen vor“, sagt Marei-ke Opolka.

Dennoch ist Wasser für TUI ein Thema. Im Rah-men eines „Sustainability Holiday Plan“ hat sich die gesamte TUI-Gruppe ein Ziel zum Wasserverbrauch bei eigenen Hotelmarken des Konzerns gesetzt: Bis September 2014 sollen dort durchschnittlich 400 Li-ter pro Person und Nacht verbraucht werden. Das ist wenig, verglichen mit dem Konsum der Luxushotels in den Fallstudien von Tourism Concern, liegt aber über dem Verbrauch der Bundesbürger in Deutsch-land (2010 waren es 121 Liter).

Indirekt versucht TUI, auch über die eigenen Ho-telmarken hinaus den Wasserkonsum zu beeinflus-sen. Aus der TUI-internen Beratung für Hotels ist das Dienstleistungs- und Beratungsunternehmen blue-Contec entstanden, das Hotels dabei unterstützt, Energiekosten zu sparen und den Wasserverbrauch zu verringern. Der Geschäftsführer von blueContec, Andreas Koch – früher der Umweltbeauftragte von TUI –, bestreitet nicht, dass es Fälle geben könne wie die von Tourism Concern geschilderten. Er sieht je-doch „viele Hotels in Bewegung“. Sein Unternehmen hat Hotels nicht nur in Europa, sondern auch in der Dominikanischen Republik und Ägypten beraten. Es arbeitet dabei oft nach dem „Green-For-Free-Prinzip“: Es lässt sich nur aus Anteilen der tatsächlich erzielten Energie- und Wasserkosteneinsparungen bezahlen.

Erzielt werden sie nicht nur durch die Installation wassersparender Technologie in Hotels. Für Garten-anlagen, sagt Koch, sind Pflanzen vorteilhaft, die tro-ckenes Klima gewohnt sind. Am besten versorge man sie mit unterirdischen Bewässerungssystemen in den frühen Morgen- oder den Abendstunden. Golf-plätze wie auch Gartenanlagen ließen sich sehr gut mit Brauchwasser bewässern. TUI-Sprecherin Marei-ke Opolka räumt allerdings ein: „Bei der Auswahl un-serer Golfpartnerplätze gehen wir (noch) nicht mit gezielten Kriterien in puncto Umweltstandards vor.“

auf welchem Platz sie golfen und ob überhaupt, entscheiden letztlich die Urlauber. Das Reise-portal www.fairunterwegs.org des Arbeitskrei-

ses Tourismus & Entwicklung in Basel gibt Reiselusti-gen Tipps für ihre Buchungsentscheidungen: „Bevor-zugen Sie Angebote, bei denen der Wasserverbrauch maßvoll ist. Auf Inseln und überall dort, wo das Süß-wasser rar ist, bietet das Hotel Ihrer Wahl keine eige-nen Golfplätze oder Wasserparks, Süßwasserpools und bewässerungsintensive Grünanlagen.“

Wer solchen Ratschlägen folgt, wählt sicher nicht Golfen unter Palmen in 1150 Hektar großen Parkanla-gen am Strand von Mauritius. Solche Angebote fin-det man bei Kuoni, dem führenden Schweizer Touris-musunternehmen. Davon hebt sich am deutlichsten die fair gehandelte Südafrika-Reise ab, die Kuoni auch im Programm hat. „Die Betriebe operieren in einer nachhaltigen und verträglichen Weise mit ih-ren Nachbargemeinden und der Natur“, bewirbt der Konzern die Reiseunterkünfte. Übernachtungen in Wasser verschlingenden Resorts gibt es bei Fair- Trade-Reisen nicht. Stattdessen schläft man in Lod-ges, Cottages, Farm- oder Stadthäusern.

Zertifiziert sind diese Reisen von der Non-Profit-Organisation Fair Trade in Tourism South Africa (FT-TSA). In deren Zertifizierungsstandards taucht „Was-ser“ dennoch nur am Rande auf: FTTSA-zertifizierte Unternehmen müssen sicherstellen, Wasser nicht zu verschwenden, ihren Konsum überwachen und Maß-nahmen ergreifen, ihn zu minimieren. Das klingt we-nig konkret. Die Standards werden jedoch, teilt FTTSA mit, gerade überarbeitet. Zu wünschen ist, dass die Frage des Wasserverbrauchs darin künftig mehr Ge-wicht bekommt.

Anja Ruf ist freie Journalistin in frankfurt am

Main und betreut für die beigelegten dossiers.

Totes Rind nahe der Safari Lodge

in Nordkenia, die ihr Wasser aus der Quelle des

Dorfes Samburu bezieht.

adRian aRbib/lineaiR

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d iese Dusche hat keine Wän-de und eine Brause schon gar nicht. Wenn sich Nu-

runnahar Begum waschen will, kauert sie neben einem kleinen, quadratischen Betonteich und schöpft mit einem roten Plastik-behälter das trübe, abgestandene Wasser. Es riecht modrig. Sie leert es über ihren Körper. Freie Stellen – davon gibt es allerdings wegen der Ganzkörperbekleidung nicht allzu viele – reibt die 40-Jährige mit Seife ein. Dann nimmt sie nochmals von dem unappetitli-

chen Wasser und wäscht die Seife von Gesicht, Händen und Füßen. Später wird sie in ihrer Wellblech-hütte die nassen Kleider gegen trockene tauschen.

Nurunnahar Begums Familie teilt dieses „Duschbassin“ in Ko-rail Bosti, dem größten Slum in Bangladeschs Hauptstadt Dhaka, mit rund 50 weiteren Familien. Die Frauen waschen auch die Klei-der darin. Im Frühling und im Sommer, wenn die Temperaturen auf über 40 Grad steigen, wird das Duschwasser unangenehm warm.

Das Duschen ist jedoch Nurun-nahar Begums kleinstes Problem. Am schlimmsten ist das schmut-zige Trinkwasser. Es fließt über il-legale Leitungen in zwei Zentime-ter dünnen Gummischläuchen in den Slum, in dem 150.000 Men-schen leben.

Die blauen Schläuche schlän-geln sich oberirdisch durch die engen Wege. Etwa alle hundert Meter ist ein Schlauch auseinan-dergeschnitten und mit Klebe-band zusammengeflickt. An die-sen Stellen können die Slumbe-wohner Wasser beziehen. Das sind die schmutzigsten Orte in Korail Bosti: Das tropfende Wasser ver-wandelt den Staub in Schlamm, und oft bleibt dort Abfall liegen. Bakterien haben aber nicht nur deshalb ein leichtes Spiel, ins Trinkwasser zu gelangen. Das Wasser in den Schläuchen kann sich während des Tages auf 30 bis 40 Grad erhitzen. Es macht viele Slumbewohner krank.

Im Slum kostet das Wasser doppelt so viel wie anderswo„Durchfall, Cholera und Gelbfie-ber sind bei uns weit verbreitet“, sagt Abdul Mannan, der General-sekretär der Slumgemeinschaft von Korail Bosti. In Bangladesch sterben nach Angaben der briti-schen nichtstaatlichen Organisa-tion (NGO) Water Aid jedes Jahr 34.000 Kinder unter fünf Jahren an Durchfall. Und ein Viertel aller Todesfälle in dem südostasiati-schen Land sind auf schmutziges Trinkwasser zurückzuführen.

Das in Flaschen abgefüllte Wasser im Supermarkt ist aus fi-nanziellen Gründen keine Alter-

gute geschäfte für die herren des wassers

Links: An der neuen Wasserpumpe von Gallabani Bosti herrscht gute

Laune: Ein Mann duscht, Frauen waschen Kleider und Kinder schauen

fasziniert zu.

Rechts: Mit Hilfe illegaler Wasser-leitungen am Straßenrand müssen

die Bewohner von Korail Bosti ihr Trinkwasser herbeischaffen.

in den slums der 16-Millionen-stadt dhaka trinkt die große Mehrheit der einwohner schmutziges wasser aus illegalen leitungen. das ändert sich langsam, doch Verbesserungen treffen auf heftige gegenwehr – auch bei den wohlhabenden nachbarn.

Text und Fotos von Anja Burri

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native für die Slumbewohner: Eine einzelne 1,5-Liter-Flasche kostet rund 30 Cent. Selbst die 20-Liter-Trinkwasserbehälter, die sich die vermögenderen Einwohner ande-rer Stadtviertel über einen Liefer-service bringen lassen, sind mit Preisen von 60 Cent bis zu einem Euro zu teuer. Zum Vergleich: Eine Näherin oder ein Rikschafahrer verdienen pro Tag rund einen Euro. Für die oft viel zu heiße, ille-gale Dreckbrühe aus den Schläu-chen bezahlen die Slumbewohner in Korail Bosti rund zwei Euro pro Familie und Monat.

Doch der Wasserpreis ist im Slum doppelt so hoch wie in lega-len Siedlungen. Schuld an dieser Ungerechtigkeit ist das korrupte System: Weil es keine offiziellen Wasseranschlüsse in der bis heute illegalen Siedlung Korail Bosti gibt, haben sogenannte „Water Lords“ die Schläuche installiert, die Wasser von den benachbarten Quartieren abzwacken. Sie leben meist selbst im Slum, gehören aber zu den Wohlhabendsten hier und haben das nötige Geld, um die illegalen Leitungen zu instal-lieren, wie Abdul Mannan erklärt.

Um die Mitarbeiter der städti-schen Wasserversorgung davon zu „überzeugen“, die illegalen Lei-tungen nicht abzustellen, sind monatliche Zahlungen fällig. Die-se wie auch den Profit der „Water Lords“ finanzieren die Slumbe-wohner. Und sie leiden darunter, wenn sich die Geschäftsmänner einmal nicht einig sind. Dann flie-ße für einige Tage nämlich gar kein Wasser mehr, erzählt Nurun-nahar Begum. Vor drei Jahren, als sie gerade ihr sechstes Kind auf

die Welt gebracht hatte, sei mona-telang nur ganz selten Wasser aus den Schläuchen gekommen. „Kein Wasser ist viel schlimmer als schmutziges“, sagt sie.

Die Bewohner wollten lieber sauberes Wasser als MedizinNur wenige Kilometer entfernt von Korail Bosti liegt der kleinere Slum Gallabani Bosti. Dort herrscht ausgelassene Stimmung rund um eine Wasserpumpe, die so etwas wie ein Dorfplatz ist. Ein junger Mann wird von einer Frau von Kopf bis Fuß eingeseift. Die anderen Frauen, die nebenan Kleider waschen, schauen ver-gnügt zu. Und Dutzende Kinder versuchen unter Kreischen, das Schauspiel der Erwachsenen zu imitieren. Gallabani Bosti verfügt seit Januar über eine legale Was-serleitung und insgesamt 14 Pum-pen für die 318 Familien. Rund um die Pumpen ist der Boden beto-niert und auffällig sauber.

„Wir haben eine Gruppe gebil-det, die für die Sauberkeit sorgt“, sagt die 27-jährige Rosina Akhtar, Generalsekretärin der Slumge-meinschaft. Seit die legale Wasser-leitung in Betrieb ist, sei die Was-

serversorgung kein einziges Mal unterbrochen worden, sagt sie und strahlt. Die Kinder hätten nur noch selten Durchfall. Die Wasser-versorgung verdanken die Slum-bewohner der NGO Dushtha Shasthya Kendra (DSK). „Als wir vor zwanzig Jahren mit Ärzten in die Slums gekommen sind, um den kranken Kindern zu helfen, wollten die Vertreter der Slumge-meinschaften keine Medizin, son-dern sauberes Wasser“, sagt Pro-jektmanager Akhil Chandra Das.

Um dieses Ziel zu erreichen, sei nicht nur technisches Know-how, sondern vor allem Verhand-lungsgeschick gegenüber den Be-hörden nötig gewesen. Weil sämt-liche Slums in Dhaka illegal sind, fehlt die gesetzliche Grundlage für deren Wasserversorgung. Nach jahrelangen Verhandlungen gelang es den DSK-Mitarbeitern, die städtische Behörde, die für die Wasserversorgung zuständig ist (DWASA), davon zu überzeugen, ein Pilotprojekt zu wagen. DSK übernahm die Garantie, dass die Slumbewohner die Wasserrech-nungen bezahlen würden. Unter Anleitung der NGO wurden Slum-komitees gegründet, die sich dar-

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um und um den Unterhalt der Pumpen kümmern sollten. Doch zuerst lief alles schief. „Wir hatten vergessen, Frauen in die Komitees zu wählen“, sagt Akhil Chandra Das. Die reinen Männergruppen hätten versucht, die Frauen über das Wasser zu erpressen, so ver-langten sie etwa zusätzliches Geld oder andere Gegenleistungen. Erst seit die Komitees überwie-gend weiblich besetzt sind, funkti-oniert das System.

DSK vermittelt den Kontakt zwischen der städtischen Wasser-versorgung und den Slumbewoh-nern und unterstützt diese bei der Bildung und der Arbeit der Komi-tees. Als Sicherheit verlangen die Behörden pro Wasseranschluss, den sie einrichten, eine Depotzah-lung von rund 50 Euro. Diese Sum-me können sich die Slumbewoh-ner knapp leisten, weil sie sich meistens in größeren Gruppen um einen Wasseranschluss bewerben. Korrupte Beamte versuchen im-mer wieder, die Gebühren in die Höhe zu treiben. Dann schreiten die Leute von DSK ein und wenden sich notfalls an die Presse.

DSK hat bereits 110 Slums zu legalen Wasseranschlüssen ver-holfen. Auch andere NGOs wie Water Aid engagieren sich auf die-sem Gebiet. Laut der städtischen Wasserversorgung DWASA haben gegenwärtig 204 Slums in Dhaka eine legale Wasserversorgung.

Insgesamt existieren in Bangla-deschs Hauptstadt allerdings eini-ge Tausend Armenviertel. Sie be-herbergen nach Schätzungen der Weltbank rund die Hälfte der 16 Millionen Einwohner von Dhaka.

Die reichen Stadtbewohner lehnen neue Leitungen ab Auch für die Einwohner von Ko-rail Bosti wird die Wassermisere wohl bald ein Ende haben. In den nächsten Wochen sollen die ers-ten Wasserhähne in Betrieb ge-nommen werden. Künftig werden sich rund 30 Familien eine Lei-tung und einen Hahn teilen. Die Umgebung der Wasserstellen, zu denen auch ein neues Reservoir aus Beton gehört, ist zubetoniert und kann einfach sauber gehalten werden. Um das zu erreichen, musste lange und hart verhandelt werden, wie Akhil Chandra Das sagt. Vor allem die „Water Lords“ wehrten sich heftig. Sie bestachen Hunderte Slumbewohner und or-ganisierten Demonstrationen ge-gen den legalen Wasseranschluss, die für Außenstehende geradezu grotesk anmuteten.

Die Mitarbeiter von DSK konnten sich zu Beginn des Pro-jektes kaum ohne Sicherheitskräf-te im Slum bewegen. Weil die städ-tische Wasserversorgung aber in den nächsten ein bis zwei Jahren alle Leitungen in der gesamten Gegend ersetzen muss, ist das Ge-schäft mit dem illegalen Wasser-verkauf dort sowieso gefährdet. Diese Tatsache sowie das Verspre-chen, dass sie als Erste einen neu-en Wasseranschluss erhalten, ha-ben die „Water Lords“ schließlich zu einem Einlenken bewegt.

Gegenwehr kam aber auch von anderer Seite: Die Einwohner des benachbarten reichen Diplo-matenviertels Banani wehrten sich vehement gegen die Wasser-leitungen zum Slum. Sie befürch-teten, ihre eigene Versorgung wür-de eingeschränkt. An ihrem Wi-derstand war vor einigen Jahren bereits ein Projekt von DSK ge-scheitert. Damals wollte die NGO statt eigener Wasseranschlüsse in Korail Bosti einige Pumpen instal-lieren, die das Wasser aus Reser-voirs von Banani bezogen hätten. Beides zusammen – das florieren-de Geschäft mit den illegalen Was-serleitungen und die zunehmen-de Wasserknappheit – würden auch in den nächsten Jahren eine flächendeckende legale Wasser-versorgung Dhakas verhindern, befürchtet Akhil Chandra Das.

Die Slumbewohnerin Nurun-nahar Begum wird in Korail Bosti zwar auch künftig nicht nach westlichen Vorstellungen du-schen können. Immerhin weiß sie nun, dass sie sich mit sauberem Wasser wäscht, und sie kann ihren Kindern sauberes Trinkwasser ge-ben. „Ein Traum geht in Erfül-lung“, sagt sie.

Von flächendeckender Ge-rechtigkeit in puncto Wasserver-sorgung ist Bangladesch aller-dings nach wie vor meilenweit entfernt: Zurzeit leben in dem Land mit rund 160 Millionen Ein-wohnern über 28 Millionen Men-schen ohne Zugang zu sauberem Wasser. Und die geografische Lage des extrem dicht besiedelten, ar-men Landes erschwert die Situati-on zusätzlich. Monsunregen und Zyklone zerstören regelmäßig vor allem die küstennahen Gebiete und ihre Infrastruktur.

Zudem vergiftet natürliches Arsen das Grundwasser in man-chen Regionen des Landes. Nach dem Bau Hunderttausender Brunnen seit den 1970er Jahren mussten Anfang der 2000er Jah-re, als das Arsen im Boden ent-deckt worden war, große Teile der ländlichen Bevölkerung wieder auf die Nutzung des Oberflächen-wassers, also der Teiche und Flüs-se, umstellen. Und das ist – selbst für die Verhältnisse in Bangla-desch – alles andere als sauber.

Anja Burri ist Journalistin. sie hat von Januar bis

ende März für die englischsprachige Tageszeitung „The daily star“ in dhaka

gearbeitet. seit april ist sie bundes-hausredakteurin bei den schweizer

Zeitungen „Tages-anzeiger“ und „der bund“.

Nurunnahar Begum und Abdul Mannan an der Baustelle, wo in Korail Bosti ein neues Wasser-reservoir entsteht.

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Der achtjährige Edwin Ventura holt 2005 in Cochabamba Wasser an einer Zapfstelle. Bis heute gibt

es im Süden der Stadt kein fließendes Wasser.

noah fRiedMan-RudoVsKy/nyT/Redux/laif

für die armen Mangelware

Von Thomas Guthmann

am Platz der Flaggen, der „Plaza de Banderas“, versprüht Cochabamba den Charme einer mo-dernen Großstadt. Im Geschäftsviertel der

drittgrößten Stadt Boliviens deutet nichts darauf hin, dass man sich im ärmsten Land Südamerikas befin-det. Vans und Limousinen schieben sich durch den Kreisverkehr, der mit Fahnen aus aller Herren Länder geschmückt ist. Moderne Bürogebäude umsäumen den Platz, an der Ecke thront ein Multiplex-Kinocen-ter. Hier sind alle Haushalte an das Netz des lokalen Wasserversorgers SEMAPA (Servicio Municipal de Agua Potable y Alcantarillo) angeschlossen. Das le-benswichtige Nass kommt zuverlässig aus dem Hahn, Tag und Nacht.

Nur wenige Kilometer südlich ändert sich das Bild. Plätze und Straßen in der „Zona Sur“ sind stau-big und mit Schlaglöchern übersät. Die Häuser

schmiegen sich windschief an die in rote Erde ge-tauchten Hügel. In diesem Teil von Cochabamba, der in den vergangenen Jahrzehnten infolge der Land-flucht entstanden ist, gehört der Mangel an Wasser zum Alltag. In vielen Barrios der Zona Sur gibt es bis heute kein fließendes Wasser, die Bevölkerung wird mit Tanklastern versorgt. Sie kommen nur unregel-mäßig und das Wasser, das sie für viel Geld verkaufen, ist nicht zum Trinken geeignet. „Das Wasser, das wir von den Tanklastern bekommen, ist verschmutzt und mit Bakterien durchsetzt“, berichtet Luis Patiño vom lokalen Wasserkomitee von Mineros.

Dabei gab es eine Zeit der Hoffnung: Vor 13 Jahren verhinderten die Bürger von Cochabamba erfolg-reich die Privatisierung des lokalen Wasserunterneh-mens. Die Bewohner von Mineros hofften, ein öffent-licher Wasserversorger würde sie in absehbarer Zeit in das bestehende System integrieren. Und sie kämpften an vorderster Front im „Wasserkrieg“. Sie bildeten den harten Kern eines breiten Bündnisses gegen ein multinationales Konsortium unter Füh-rung des US-Konzerns Bechtel, der die Wasserversor-gung von Cochabamba übernehmen wollte. Ihrem Widerstand schlossen sich Landwirte aus dem Um-

Vor 13 Jahren stoppte ein breites bündnis von bürgern in Cochabamba die privatisierung der wasserversorgung. die Regierung versprach

mehr beteiligung und wasser für alle. die einwohner im süden der stadt haben das warten darauf inzwischen satt.

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land und die Mittelschicht aus dem Zentrum und dem Norden Cochabambas an.

Alle versammelten sich unter dem Dach des „Zu-sammenschluss zur Verteidigung des Wassers und des Lebens“ (Coordinadora de Defensa del Agua y de la Vida), um sich gegen die Privatisierung zu wehren. Allerdings war das Bündnis von Anfang an fragil, weil die einzelnen Beteiligten sehr unterschiedliche Inte-ressen vertraten. Die Bauern im Umland befürchte-ten die Enteignung ihrer Quellen, die Bürger im Zen-trum wehrten sich gegen die angekündigten Preiser-höhungen. Die Unterschicht aus dem Süden stand auf, weil sie befürchtete, eine Privatisierung würde sie auf Jahrzehnte abhängen von der Möglichkeit, an die Wasserversorgung angeschlossen zu werden.

Bei den Massenprotesten von Januar bis April 2000 wurde die Stadt zeitweise von mehreren Zehn-tausend Demonstranten belagert, Wasserrechnun-gen wurden verbrannt und Barrikaden errichtet. Ta-gelang kam das öffentliche Leben zum Erliegen. Die Regierung sah sich gezwungen, die Privatisierung zurückzunehmen und SEMAPA wieder in die öffentli-che Hand zu überführen. Mit der Rekommunalisie-rung ging der Versuch einher, den Wasserversorger

unter Beteiligung der Bürger zu organisieren und so alle Interessen zu berücksichtigen. Es wurden Bürger-direktoren eingesetzt, die von der Bevölkerung ge-wählt wurden und den zügigen Ausbau der Wasser-versorgung gewährleisten sollten.

Bald stellte sich jedoch heraus, dass sie die Erwar-tungen nicht erfüllen konnten. Ihre Arbeit blieb inef-fektiv. Vielmehr schoben sich lokale Eliten die Posten zu: „Korruptionsskandale, Nepotismus und Klientel-politik verhinderten den Umbau zu einem öffentli-chen Dienstleister“, meint Ida Peñaranda, die sich als Studentin an den Protesten beteiligt und bei dem Wasserprojekt „Yaku Al Sur“ mitgearbeitet hat. „Die Leute wandten sich von dem Unternehmen ab und beteiligten sich nicht mehr“, ergänzt sie resigniert. An den Wahlen zu den Bürgerdirektoren 2006 betei-ligten sich kaum noch zehn Prozent der Bevölkerung. 2009 fanden gar keine Wahlen mehr statt.

noch stärker wiegen laut Ida Peñaranda aller-dings die technischen Probleme, das ineffekti-ve Versorgungsnetz und fehlende Leitungen.

So wurde eine Integration der südlichen Stadtviertel in die Wasserversorgung zwar ins Auge gefasst, schei-terte aber auch daran, dass SEMAPA das nötige Kapi-tal fehlt. Luis Patiño aus Mineros ist enttäuscht über die Ergebnisse der Rekommunalisierung. „Die Ver-sorgung mit Wasser ist eine Basisdienstleistung von SEMAPA. Aber die Unternehmensführung sieht das leider nicht so“, sagt er.

Das Bündnis gegen die Privatisierung zerfiel, und ein Flickenteppich an Einzelinteressen trat zutage. Die Mittelschicht im Stadtzentrum und den wohlha-benderen Vierteln im Norden erhielt wieder billiges Wasser von SEMAPA – sie hatte keinen Grund mehr, sich weiter zu engagieren. Im landwirtschaftlich ge-prägten Umland der Stadt kommt es immer häufiger zu Konflikten zwischen verschiedenen Gemeinden, bei denen es um den Zugang zum Wasser geht – man-che von ihnen verfügen über Quellen und Brunnen, andere nicht.

Die Wasserversorgung von Cochabamba ist aus mehreren Gründen schwierig. Zwar sei genug Wasser für alle da, meint Rocio Bustamante, von der Univer-sität San Simón. Im Jahresdurchschnitt fällt rund 480 Millimeter Regen. Die Niederschläge sind allerdings über das Jahr sehr ungleich verteilt und konzentrie-ren sich auf wenige Monate. In den Trockenperioden kommt es regelmäßig zu Engpässen, weil Tanks oder Auffangbecken fehlen, die in der Regenzeit Wasser sammeln könnten.

2010 führte eine monatelange Dürre dazu, dass das Wasser im gesamten Tal von Cochabamba knapp wurde. In manchen Gegenden wurde es rationiert. Da nicht mehr genug Wasser durch die Leitungen floss, mussten selbst die, die ans Netz angeschlossen wa-ren, am Tanklastwagen anstehen. In anderen Regio-nen kam nur alle zwei Tage Wasser aus dem Hahn. „Für den Süden war es noch schwieriger, an Wasser zu kommen, weil viele Verkäufer ihr Wasser bei einer kaufkräftigeren Klientel im Norden absetzen konn-ten“, berichtet Rocio Bustamante.

Das Recht auf Wasser wurde 2009 in der Verfassung verankert. Doch woher das kostbare

Nass in der Trockenzeit kommen soll, bleibt offen.

Die Rücknahme der Privatisierung hat die Versorgungsprobleme nicht

gelöst: Tausende protestieren im April 2005 in Cochabamba gegen die

Erhöhung der Wasserpreise. ReuTeRs

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Die Dürre offenbarte eine weitere Schwierigkeit: Das Wasser in der Stadt wird auf Kosten von Gemein-den im Umland verbraucht. Bisher bezieht SEMAPA sein Wasser größtenteils aus den umliegenden Ge-meinden. Einige von ihnen haben bereits gefordert, dass das Grundwasser auf ihrem Boden nicht mehr angezapft wird. Müsste der Wasserversorger jedoch auf die Quellen außerhalb der Stadtgrenzen verzich-ten, könnte er noch weniger Einwohner versorgen.

„Nur fünf Prozent des Wassers, das in der Stadt Cocha-bamba verbraucht wird, stammt aus dem eigenen Ge-biet. Der Rest wird aus dem Grundwasser der Nach-bargemeinden entnommen“, meint Bustamante.

Und im indigen geprägten Umland herrscht we-nig Verständnis dafür, das Wasser den zumeist wei-ßen Städtern zur Verfügung zu stellen. Jahrhunderte-lang war es der indigenen Bevölkerung in Bolivien nicht erlaubt, in den Städten zu wohnen. Die Quechu-as waren unter spanischer Kolonialherrschaft ge-zwungen, auf dem Land oder vor den Toren der Städ-te zu leben. Das blieb auch lange Zeit während der Unabhängigkeit so. Nur langsam hat sich das weiße Bild der Städte geändert.

Der Wasserbedarf in Cochabamba und Umge-bung ist in den vergangenen Jahren durch das Bevöl-kerungswachstum und die intensivere Landwirt-schaft ständig gestiegen. Die extreme Trockenheit vor zwei Jahren hat gezeigt, wie nötig ein umfassen-

des Konzept für die Wasserversorgung ist. Allerdings weiß bisher keiner, wie das bewerkstelligt werden kann. Die Regierung von Präsident Evo Morales hat bisher vor allem mit Absichtserklärungen auf natio-naler und internationaler Ebene reagiert: Das Recht auf Wasser wurde 2009 in der Verfassung verankert. Jede Person habe ein Recht auf einen „universellen und gerechten Zugang zu grundlegenden Dienstleis-tungen wie Trinkwasser“ steht dort. Bei den Verein-ten Nationen wurde auf Initiative von Bolivien er-reicht, dass Wasser auch dort als Menschenrecht an-erkannt wurde.

Doch die Frage, woher das Wasser in der Trocken-zeit kommen soll, ist damit nicht beantwortet. „Es gibt einen schönen Diskurs und richtige Prinzipien in der neuen Verfassung“, kritisiert Bustamante. „Aber alle Erklärungen bleiben abstrakt, wenn es nicht gelingt, ein tragfähiges Konzept daraus zu entwi-ckeln.“ Die Einwohner von Mineros hatten das War-ten satt. Unterstützt von einer Hilfsorganisation aus den Niederlanden haben die 1200 Familien mit Spa-ten und Schaufeln ein eigenes Leitungssystem ge-schaffen und Zisternen aufgebaut. Sie sollen das Re-genwasser sammeln und das Viertel damit versorgen. Das hat ihre Situation entschärft, aber nicht alle Pro-bleme aus der Welt geschafft. Vor allem wenn der Re-gen ausbleibt und sich die Zisternen leeren, sind sie wieder auf die Tanklaster angewiesen.

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Thomas Guthmann ist Journalist und berichtet unter

anderen für den nachrichtenpool lateinamerika e. V. über Themen in la-teinamerika mit schwerpunkt bolivien,

Mexiko und Venezuela.

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Milliarden Menschen weltweit ha-ben kein sauberes Trinkwasser und keine sanitären Einrichtungen – ein unhaltbarer Zustand, findet Di-nesh Suna. Der gebürtige Inder ko-ordiniert seit Januar das Ökumeni-sche Wassernetzwerk in Genf. Er erklärt, was in seiner Heimat die Situation besonders schwierig macht.

sie kommen aus indien. was sind dort die größten probleme mit wasser und abwasser?

Allein die hohe Bevölkerungs-zahl ist schon ein Teil des Prob-lems. 130 Millionen Inder haben kein sauberes Wasser zu trinken, 626 Millionen verrichten ihre Notdurft im Freien. In fast allen ländlichen Regionen sind die Menschen nicht an die Wasser-versorgung angeschlossen. Sie sind abhängig von Flüssen, Seen und Teichen. Die Bergwerke, die dort Rohstoffe fördern, ver-schmutzen das Wasser, und das macht die Menschen krank. Aber die weitaus größten Schwierigkei-ten hängen mit dem Kastensys-tem zusammen.

wie kommt das?Die Dalits, die am unteren

Ende des Systems stehen, gelten als unberührbar. In vielen Teilen Indiens dürfen sie sich Brunnen oder Wasserstellen noch nicht einmal nähern, weil die höheren Kasten befürchten, dass sie diese verschmutzen. Dalits sind des-halb schon geschlagen und sogar ermordet worden, Frauen wurden vergewaltigt. Außerdem müssen sie oft Latrinen sowie Gleise in Bahnhöfen mit ihren bloßen Händen vom Kot reinigen – denn wenn Passagiere in Zügen die Toi-lette benutzen, fällt ihre Notdurft einfach nach draußen und muss dann beseitigt werden. Das ist Aufgabe der Dalits. Die Regierung

tut nichts, um die Dalits vor Krankheiten zu bewahren, denen sie aufgrund dieser unhygieni-schen Arbeit ausgesetzt sind.

das ökumenische wassernetz-werk wurde 2006 ins leben geru-fen. warum kümmern sich die Kir-chen darum, dass Menschen mit sauberem Trinkwasser und sanitä-ren anlagen versorgt sind?

Kirchen und christliche Orga-nisationen sind von Gott aufge-rufen, Frieden und Gerechtigkeit zu verbreiten und allen Men-schen die Fülle des Lebens zu bringen, wie es von Jesus Christus versprochen ist. Zwei Milliarden Menschen auf der Welt haben kei-ne sanitäre Versorgung und eine Milliarde hat kein sauberes Trink-wasser. Die Mehrheit von ihnen lebt im globalen Süden und viele sind in Gefahr, durch schmutzi-ges Wasser krank zu werden. Die Fülle des Lebens ist bei weitem nicht erreicht. Deshalb sehen die Kirchen Wasser- und Sanitärver-sorgung auch als ihre Aufgabe. Außerdem zählen sie zu den größten Organisationen der Zivil-gesellschaft und können die Poli-tik maßgeblich beeinflussen.

woran arbeiten sie konkret?Zunächst geht es darum, in-

nerhalb der Kirchen ein Bewusst-sein dafür zu wecken, dass jeder Mensch das Recht auf sauberes Wasser und sanitäre Einrichtun-gen hat. Wir haben dazu eine Rei-he regionaler Konsultationen in Afrika, Asien und Lateinamerika veranstaltet. Eines unserer wich-tigsten Programme heißt „Sieben Wochen für Wasser“ und findet jedes Jahr während der Fastenzeit statt. Wir verschicken biblische

und theologische Reflexionen über Wasser und rufen dazu auf, dass sich die Gemeinden mit dem Thema beschäftigen. Außerdem wenden wir uns gezielt an junge Menschen, zum Beispiel mit den Projekten „Sommerschule für Wasser“ und „Jugend für Umwelt-gerechtigkeit“. Außerdem betrei-ben wir Anwalts- und Lobbyar-beit.

„Toiletten sind ein Tabu“Das Ökumenische Wassernetzwerk streitet für das Menschenrecht auf Wasser

Gespräch mit Dinesh Suna

„Ein Vorbild: Die Initiative ,WASH united‘ bringt Kindern schon ganz früh bei, wie

wichtig Händewaschen ist.“

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wessen politik wollen sie damit beeinflussen?

Wir nutzen unsere kirchliche Gemeinschaft auf der ganzen Welt. Wir identifizieren Fälle, in denen es Probleme mit Wasser gibt und rufen die Kirchen auf, diese Probleme mit den Regierun-gen ihrer Länder anzupacken. Au-ßerdem arbeiten wir eng mit Ca-tarina de Albuquerque zusam-men, der Sonderberichterstatte-rin der Vereinten Nationen für das Menschenrecht auf Wasser und Sanitärversorgung. Wir ha-ben viel zu der Publikation „Auf dem richtigen Weg“ beigetragen, einer Zusammenstellung von „Best Practice“-Beispielen aus der ganzen Welt. Nun unterstützen wir die UN dabei, das Menschen-recht auf Wasser zu verwirkli-chen.

wie sieht denn ein solches „best practice“-beispiel aus?

Die Initiative „WASH united“ bringt Kindern schon ganz früh bei, wie wichtig Hygieneverhalten ist, etwa einfaches Händewa-schen. Als Vorbilder dienen be-rühmte Fußballstars. Und in Tan-sania hat das Hilfswerk der nor-wegischen Kirchen ein System eingeführt, mit dem Gemein-schaften die Ausgaben der öffent-lichen Hand, also auch für Wasser und Sanitärversorgung, kontrol-lieren können.

das entwicklungsziel nummer 7, den anteil der Menschen ohne Zugang zu sauberem Trinkwasser zu halbieren, ist laut offiziellen an-gaben längst erreicht. da könnte man sich jetzt doch eigentlich zu-rücklehnen.

Das können wir feiern, und wir können uns selbst dafür lo-ben. Aber angesichts der Milliar-den Menschen, die noch immer ohne Wasser- und Abwasserver-sorgung sind, dürfen wir nicht nachlassen.

die sanitärversorgung scheint das größere problem zu sein – offenbar ist es nicht so beliebt, sich damit zu beschäftigen.

Ja, das stimmt. Als das Öku-menische Wassernetzwerk 2006 seine Arbeit aufnahm, sollten wir uns zunächst nur um sauberes Trinkwasser kümmern. Erst 2010 kam die Sanitärversorgung dazu. Am 19. November, dem „Welttoi-lettentag“, haben wir im vergan-genen Jahr in allen Morgenan-dachten im Ökumenischen Zen-trum in Genf daran erinnert, wie wichtig Hygiene ist. Das war das erste Mal, dass wir diesen Anlass genutzt haben. In vielen Kirchen ist es ein Tabu, von einer Toilette zu sprechen – das könnte nach traditionellem Verständnis als re-spektlos gegenüber Gott aufge-fasst werden. Aber wir versuchen, das Tabu zu brechen.

gelingt ihnen das?Die Kirchen sehen die Sanitär-

versorgung als zweitrangig an. Wasser wird als Frage von Leben und Tod behandelt, erst danach kommt die Beseitigung von Ab-wässern. Dabei ist das nicht weni-ger wichtig.

was gibt ihnen hoffnung, dass sich das Menschenrecht auf wasser verwirklichen lässt?

Mit dem Hilfswerk der indi-schen Kirchen haben wir Men-schen in Radschastan mobilisiert, gegen den Entzug von Wasser zu protestieren. Sie leben in der Re-gion Banswara, in der Nähe des Flusses Mahi, an dem ein großer Damm gebaut worden ist. Das Wasser wird an den Nachbarstaat Gujarat verkauft, und sie selbst gehen leer aus. Wir hoffen, dass sie sich mit unserer Hilfe einen Zugang erkämpfen können – noch ist es nicht so weit. Ich hoffe, dass es eines Tages niemanden mehr auf der Erde ohne Zugang zu Wasser und Sanitärversorgung gibt. Das klingt sehr utopisch – aber wir arbeiten daran.

sie sind seit anfang 2013 Koordi-nator des wassernetzwerkes. was haben sie in diesem Jahr vor allem vor?

2013 ist ein sehr wichtiges Jahr. Die Vereinten Nationen ha-ben es zum „Internationalen Jahr der Zusammenarbeit im Bereich Wasser“ erklärt und wir sind im-mer noch mitten in der Dekade „Wasser für Leben“ von 2005 bis 2015. Wasser steht also ganz oben auf der Tagesordnung der UN. Au-ßerdem wird in diesem Jahr die zehnte Vollversammlung des Weltkirchenrates stattfinden, der das Wassernetzwerk gegründet hat. Dort können wir berichten, was wir bislang erreicht haben, und wir hoffen, dass unser Man-dat erneuert wird. Unser Ziel ist noch weit entfernt, und die Reise muss weitergehen.

das gespräch führte Gesine Kauffmann.

„Ich hoffe, dass es eines Tages niemanden mehr auf der Erde ohne Zugang zu Wasser und Sanitärversorgung gibt.“

Dinesh Suna koordiniert seit Januar das Ökumenische Wassernetzwerk

in Genf.

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Ein Junge vor einer öffentlichen Toilette in Kibera. Im größten Slum der kenianischen Hauptstadt Nairobi sind mit Unterstützung von Hilfswerken viele Sanitär-einrichtungen entstanden.nooR KhaMis/ReuTeRs

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Schwieriges Nord-Süd-Verhältnis: Ein Soldat der malischen Armee

im Gespräch mit Einwohnern von Timbuktu Ende Januar.

benoiT TessieR/ReuTeRs

im schatten des staates

M ehrmals hat der britische Premierminister David Cameron Nordmali als „regierungs-freien Raum“ bezeichnet. Damit verschreibt

er sich der oberflächlichen Analyse derer, die nach einfachen Erklärungen suchen, wenn irreguläre be-waffnete Gruppen – darunter Al-Qaida nahestehende – in Afrika und anderswo Fuß fassen. Diese Auffas-sung führt zu gefährlich falschen Vorstellungen von der politischen und sozialen Realität Malis. Vor allem suggeriert sie, die Terroristen hätten ihre Hochburg in einem politischen Vakuum errichtet.

Dadurch werden diejenigen von der Verantwor-tung für die gegenwärtige Lage in Mali freigespro-

chen, die das politische Umfeld bestimmt haben, das zur erneuten Rebellion der säkular orientierten Tuareg von der separatistischen Bewegung für die Befreiung des Azawad (MNLA) im Januar 2012 ge-führt hat. Die MNLA wurde dann von einer Koalition aus Al-Qaida-nahen Gruppen und Tuareg aus der strengen islamischen Glaubensrichtung des Salafis-mus verdrängt.

Warum konnte Al-Qaida im Islamischen Magh-reb (AQIM) in Nordmali nach und nach zur dominie-renden Kraft werden und zwischen April 2012 und Januar 2013 zwei Drittel des Staatsgebietes unter ihre Kontrolle bringen? Die Antwort auf diese Frage

fast ohne gegenwehr konnten islamistische Kämpfer den norden Malis unter Kontrolle bringen, bis die intervention frankreichs sie zurückwarf. doch das liegt nicht daran, dass Malis Regierung in dem wüstengebiet keinen einfluss hatte. im gegenteil: ihre herrschaft mittels lokaler Milizen hat die islamisten stark gemacht. frankreich greift nun auf ähnliche Methoden zurück.

Von Yvan Guichaoua

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MALI welt-blicke

hat nur am Rande damit zu tun, dass die Sahara weit-gehend unbewohnt und ihr Gelände schwer zugäng-lich, rau und zerklüftet ist. Die Wüste hat im benach-barten Mauretanien oder dem Niger einen ähnli-chen Charakter wie in Mali; aber nur hier wählten die algerischen Salafisten, die 2003 aus ihrem Hei-matland flohen und später AQIM in Mali gründeten, ihren Zufluchtsort.

Das Auftreten von AQIM im nördlichen Mali wurde jahrelang von den Behörden in der Haupt-stadt Bamako geduldet. Westliche Mächte nahmen zunächst an, dass die Regierung deshalb so passiv bleibe, weil es ihr an militärischen Fähigkeiten fehle. Aber dann floss zur Unterstützung der Terrorismus-bekämpfung Geld aus dem Ausland nach Mali, ohne dass die Bedrohung spürbar abnahm. Nun began-nen die westlichen Geber daran zu zweifeln, dass die malische Regierung AQIM wirklich bekämpfen woll-te.

Geradezu schizophren war, dass dieselben Geber noch zum Stillstand beitrugen, indem sie AQIM großzügig Lösegeld für die Freilassung von Geiseln aus ihrem jeweiligen Staat zahlten. So förderten sie ein profitables Geschäft, das nicht nur die Taschen der Dschihadisten füllte, sondern auch die der Mit-telsmänner, die an Verhandlungen über die Freilas-sung von Geiseln beteiligt waren. Einer davon war Iyad Ag Ghaly, der später zum gefürchteten Anführer von Ansar Dine werden sollte – einer der islamisti-schen Gruppen, die Nordmali 2012 unter ihre Kon-trolle brachten. Zuvor arbeitete er Hand in Hand mit dem malischen Regime, das ebenfalls seinen Anteil am Lösegeld kassierte.

Parallel zum Aufstieg von AQIM, bei dem die Re-gierung in Bamako zusah, verschlechterten sich die Beziehungen zwischen der Zentralregierung und

dem unruhigen Norden des Landes. Der war seit der Unabhängigkeit von Frankreich im Jahr 1960 regel-mäßig von Aufständen der Tuareg erschüttert wor-den. Fünf Jahrzehnte forderten Militante unter ih-nen mehr Autonomie und Entwicklung für ihre Regi-on, konnten aber keinen Konsens unter den ver-schiedenen Tuareg-Gruppen herstellen – ganz zu schweigen von einer Verständigung mit den ande-

ren sehr unterschiedlichen Ethnien, die im Norden Malis leben, insbesondere den Arabern, den Songhai und den Fulani.

Zwischen 2006 und 2009 leistete Ibrahim Ag Bahanga, ein junger Tuareg-Offizier aus der Region Kidal, heftigen Widerstand gegen jede Einigung mit der Zentralregierung. Um die davon verursachten

Unruhen einzudämmen, lieferte die Regierung Waf-fen an Milizen, die sich aus jenen Volksgruppen und Klientel-Netzwerken im Norden rekrutierten, denen Bahangas Ziele widerstrebten. Diese Milizen nutz-ten den Schutz des Staates für ihre eigenen Interes-sen, darunter den grenzüberschreitenden Drogen-handel.

So nahm in den Jahren vor dem Aufstand der MNLA 2012, der maßgeblich von Bahanga geprägt war, die Zahl informeller bewaffneter Gruppen unter dem Schutz der Regierung stark zu. Sie waren Teil ei-nes lockeren Systems staatlicher Kontrolle, das einen Anschein von öffentlicher Ordnung vermittelte. Das

MALI

Saha ra

TimbuktuTimbuktu

SikassoSikasso

KidalKidal

GaoGao

Niger

MAURETANIEN

BURKINA FASOBURKINA FASO

GUINEAGUINEA

NIGERNIGERSENEGALBamakoBamako

500 km

Fläche: 1.240.192 km2

Einwohner: 15,8 Mio.Lebenserwartung: ca. 51 JahrePro-Kopf-Einkommen (Kau�raftparitäten): 1123 US$Alphabetisierungsrate: 31 % Quelle: Weltbank, UNDP

Mali

AFRIKA

©

Französische Soldaten acht Tage nach Beginn ihrer Offensive in Markala am Niger-Fluss.Joe penny/ReuTeRs

Das Auftreten von Al-Qaida in Mali haben die Behörden in der Hauptstadt Bamako jahrelang geduldet.

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welt-blicke MALI

System brach zusammen, als die MNLA – gestärkt von Waffennachschub aus Libyen – Anfang 2012 die malische Armee aus dem Norden des Landes ver-trieb. Doch ein großer Teil von deren Kämpfern tauchte wieder auf, als die MNLA nach Timbuktu und Gao vorrückte: Sie kündigten in einem dramati-schen Loyalitätswechsel der Regierung in Bamako die Gefolgschaft auf und schlossen sich der Koalition unter Führung von AQIM an, die schließlich die MNLA vertrieb und den Norden des Landes unter ihre Kontrolle brachte.

Die Islamisten, jetzt Todfeinde der französischen und der malischen Armee, sind also Begleiterschei-nungen des Herrschaftssystems in Nordmali. Ge-schaffen wurde es von einem Netz politischer und ökonomischer Interessen, das sich von Malis Haupt-stadt Bamako bis in die nördlichen Provinzen Gao, Timbuktu und Kidal erstreckt. Die Ursache für die Teilung Malis in den vergangenen Monaten liegt nicht in Faktoren, die für einen „regierungsfreien Raum“ typisch sind, sondern in vergifteten Bezie-hungen zwischen dem Norden und dem Süden. Tat-sächlich ist Nordmali in den vergangenen Jahren streng regiert worden, bloß nicht nach den Stan-dards eines rationalen Rechtssystems. Das Regie-rungssystem hat Entwicklung behindert und ist nur einigen wenigen zugutegekommen – in Gao, Tim-buktu und Kidal, aber auch, und das ist entschei-dend, in Bamako.

aus der Theorie von „regierungsfreien Räumen“ folgt, dass man, um Terroristen zu vertreiben, das von ihnen ausgenutzte politische Vaku-

um durch eine legitime Regierung ersetzen müsse. Nun ist für die meisten internationalen Geber Legiti-mität überwiegend an die Zentralregierung gebun-den. Der Ansatz würde deshalb bedeuten, sich beim Wiederaufbau auf genau die Drahtzieher und Reprä-sentanten in Bamako zu verlassen, die maßgeblich für die gegenwärtige Krise verantwortlich sind. Es wäre aber dumm, Mali den Nordteil seines Territori-ums zurückzugeben, ohne die Nord-Süd-Beziehun-gen im Land radikal zu überdenken.

Die Aufgabe für die Malier ist jetzt nicht, eine Verwaltung nach dem Ideal von Max Webers rationa-ler Herrschaft einzusetzen – das ist eine Illusion. Es geht darum, all denen im Norden eine Stimme zu geben, über deren Leben bisher kriminalisierte Eli-ten und ihre bewaffneten Vertreter bestimmt haben, und von innen eine legitime politische Vertretung aufzubauen. Was bedeuten dafür die Auswirkungen der französischen Intervention?

Der offizielle Auslöser der französischen Militär-offensive war die Gefahr, dass Bamako in die Hände der Islamisten fallen könnte. Die Intervention be-gann am 11. Januar und führte schnell zur Vertrei-bung islamistischer Truppen aus den wichtigsten Städten in Nordmali. Ob die Islamisten wirklich die Absicht hatten, Bamako einzunehmen, ist unklar. Möglicherweise war ihr Hauptziel Sérvaré und sein strategisch wichtiger Flughafen 600 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt. Laut französischen Si-

cherheitskreisen arbeiteten jedoch zur gleichen Zeit Gefolgsleute der früheren Junta in Bamako, die im März 2012 den Präsidenten Amadou Toumani Touré gestürzt und inzwischen eine Übergangsregierung eingesetzt hatte, auf einen neuen Staatsstreich hin und wollten das mit der islamistischen Offensive in Richtung Süden „verbinden“ – daher die schnelle und harte Reaktion Frankreichs. Es ist zu früh, diese Darstellung zur Wahrheit zu erklären, aber sie ist plausibel.

a ls sicher kann gelten, dass hinter Frankreichs Eingreifen in erster Linie sicherheitspoliti-sche Anliegen standen. Während die USA da-

rauf beharrten, Wahlen seien eine Voraussetzung für die Wiederherstellung von Malis territorialer Inte-grität, befürwortete Frankreich schon lange eine mi-litärische Option. Paris fürchtete, die Dschihadisten könnten in Westafrika „unantastbar“ werden und andere Länder gleichsam infizieren – Terroranschlä-ge auf französischem Boden eingeschlossen. Die Be-freiung Malis aus seiner verfahrenen politischen Lage wurde als weniger dringlich betrachtet, obwohl offiziell geplant war, zweigleisig – politisch und mili-tärisch – vorzugehen.

Nun dauert der Militäreinsatz an und beeinflusst entscheidend die politische Landschaft, in der sich Bemühungen um Frieden entwickeln sollen. Er pro-duziert vorläufige Gewinner und Verlierer und eine provisorische Ordnung. Frankreich hat sich für eine Allianz mit der säkular ausgerichteten MNLA ent-schieden. Deren konstant prowestliche Haltung, mit der die Bewegung vom Kampf gegen den Terroris-mus profitieren wollte, wird endlich belohnt – zum stillen Ärger der Regierung in Bamako. Allerdings wird die MNLA aus strategischen Gründen und eher vom französischen Militär als von der Diplomatie gefördert. Denn die MNLA bietet die Informationen und die lokalen Hilfstruppen, die Frankreich braucht, zumal acht französische Staatsbürger von Al-Qaida im Islamischen Maghreb in diesem Gebiet festgehal-ten werden.

Als Folge kann die malische Armee sich noch im-mer nicht nach Kidal wagen, wo die MNLA sowie eine Abspaltung von Ansar-Dine, deren Mitglieder ursprünglich zur MNLA gehörten, ihre Hochburg ha-ben. Diese Situation hat ihr Gutes, weil die Tuareg-Bevölkerung aus guten Gründen große Angst vor der undisziplinierten und niemandem rechenschafts-pflichtigen Armee hat. Aber es bedeutet auch, dass Frankreich zwei bewaffnete Gruppen als Helfer he-ranzieht, bei denen fraglich ist, wie weit sie die Tua-reg-Bevölkerung repräsentieren; ihre Gewalttaten der vergangenen Monate müssen zudem noch un-tersucht werden.

In Gao sieht die politische Lage anders aus. Hier-hin ist Elhadj Ag Gamou zurückgekehrt, ein regie-rungstreuer Tuareg-Offizier, dessen Truppen in Ni-ger an der Grenze zu Mali bleiben mussten, nach-dem sie von der MNLA besiegt worden waren. Ob er Frankreich um Erlaubnis gefragt hat zurückzukeh-ren, ist unklar, aber zumindest haben die französi-

Die Islamisten sind verjagt: Anfang Februar besucht der französische

Präsident François Hollande gemein-sam mit Malis Übergangspräsident

Dioncounda Traoré (links hinter Hollande) Timbuktu.

ReuTeRs

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MALI welt-blicke

schen Truppen es zugelassen. Ag Gamous Rückkehr verhindert wahrscheinlich Rachemorde an der „hellhäutigen“ Bevölkerung von Gao, wirft jedoch ebenfalls ein politisches Problem auf: Ag Gamou wirkte zuvor entscheidend mit an der von Malis frü-herem Regime installierten ferngesteuerten Verwal-tung und machte sich dieses Herrschaftssystem zu-nutze – vor allem gegen seine Rivalen unter den Tu-areg.

T imbuktu bietet wiederum ein anderes, kompli-zierteres Bild. Hier, wo Araber einen großen Teil der Bevölkerung ausmachen, sind die Franzo-

sen zusammen mit der malischen Armee eingezo-gen. Sogleich wurden Läden, die in arabischer Hand sind, geplündert, die Armee hat Vergeltungsmorde verübt und einige Mitglieder der arabischen Ge-meinschaft sind verschwunden. Araber haben Tim-buktu in Scharen verlassen und Zuflucht 70 Kilome-ter nördlich der Stadt gefunden – ohne jede Exis-tenzgrundlage, wie ihre Führer sagen.

Warum hat sich Frankreich in Timbuktu nicht an die Strategie gehalten, lokale Gruppen hinzuzuzie-hen, wie sie es in Kidal und Gao mehr oder weniger planmäßig getan haben? Der arabische Oberst Ould Meydou hätte sich geradezu angeboten, die mali-sche Armee nach Timbuktu zu führen: Er hatte unter dem im März 2012 gestürzten Präsidenten Touré

und an der Seite von Ag Gamoue gegen die MNLA ge-kämpft. Vielleicht war Paris gezwungen, ihn zu über-gehen, um gefährliche Spannungen mit den Militärs, die Touré gestürzt hatten, zu vermeiden. Als Folge bangen Führer der arabischen Bevölkerungsgruppe jetzt nicht nur um das Überleben ihrer Gemein-schaft, sondern beschweren sich, Frankreich benach-teilige sie, obwohl sie sich doch immer zu Malis terri-torialer Einheit bekannt hätten. Sie überlegen sogar, zum Selbstschutz einige ihrer früheren Milizen zu reaktivieren. Auch Führer anderer Volksgruppen, die noch nicht offizielle Partner bei der „Befreiung“ des Landes sind, beschweren sich – zum Beispiel Mossa Ag Intazoume, der für die Bellah spricht, die frühe-ren Sklaven der Tuareg.

Frankreichs Eingreifen macht die komplexen und von heftigen Konflikten geprägten Beziehungen zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen noch schwieriger. Eifrigen lokalen Hilfstruppen ver-leiht es von außen eine Pseudolegitimität, während andere Gruppen übergangen werden. Das kann schnell Spannungen anheizen, welche sich die Dschihadisten zunutze machen können. Das Ein-greifen Frankreichs provoziert auch außergerichtli-che Strafaktionen, wie von der malischen Armee verübte Hinrichtungen zeigen. Letztlich kann es dazu führen, illegitimen Führern, die ihre starke Po-sition nur dem geschickten Umgang mit den Euro-päern verdanken, noch mehr Macht zu geben.

Frankreich hofft, bald von UN-Friedenstruppen abgelöst zu werden. Die aber werden dem Land wo-möglich eigene Regierungsgremien aufzwingen, je nachdem wie sie die wechselhaften und instabilen lokalen Gegebenheiten deuten. Eine Art Neo-Treu-handschaft kann entstehen, bei der in der Regel un-ter der Aufsicht multilateraler Organisationen die Macht unter verschiedenen Institutionen verteilt wird. Dafür gäbe es in Mali wahrscheinlich viele lo-kale Partner, die in den Augen des Westens, nicht je-doch in den Augen der Bevölkerung legitimiert wä-ren. Schlimmer noch: Das kann die Entstehung von Initiativen an der Basis behindern.

Um das zu vermeiden, ist es wichtig, unter den Gemeinschaften im Norden Malis einen politischen Prozess in Gang zu setzen, an dem wirklich alle betei-ligt sind. Gefragt sind Schritte zur Friedenskonsoli-dierung an der Basis, eine neue Dezentralisierung staatlicher Stellen, Investitionen in die Infrastruktur, Gespräche über die Zusammensetzung und Statio-nierung von Sicherheitskräften, ein interreligiöser Dialog und natürlich Wahlen. Absolut notwendig ist, die Gewalt gegen Zivilisten unverzüglich zu been-den.

aus dem englischen von Elisabeth Steinweg-Fleckner.

Frankreich läuft Gefahr, im Norden Malis Machtansprüche von Führern zu untermauern, die bei der Bevölkerung unbeliebt sind.

Yvan Guichaoua lehrt politik und internationale entwicklung an der univerity of east anglia in großbritannien. der experte für westafrika hat am Mali-bericht der international Crisis group von Mitte 2012 mitgearbeitet.

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e r spürte furchtbare Schmer-zen im Bauch. Sie schienen sein Innerstes nach außen

zu kehren. Auf der ganzen Strecke durch die Berge hatte Rosemond Lorimé das Gefühl, als würde ein Fluss aus ihm herausströmen, und mit jeder Kurve wurde es schlimmer. Rosemonds Familie lebte in einer strohgedeckten Lehmhütte in Meille, einem Dorf im zentralen Hochland von Haiti, am kleinen Fluss Meille. Hier gab es für einen jungen Mann von 21 Jahren nicht viel zu tun. Man konnte im Fluss baden oder den älteren Leuten helfen, die Schwei-ne und Truthähne zu versorgen oder Maniok anzupflanzen.

Ein paar Dollar verdienten Ro-semond und sein Cousin, indem sie den Blauhelmsoldaten aus dem benachbarten UN-Stütz-punkt Schnaps verkauften und sie mit den Mädchen aus der Um-gebung bekannt machten. Nach neun Monaten wurden sie krank – Rosemonds Vater als Erster. Ein hartnäckiger Schmerz krallte sich in seinem Gedärm fest und brei-tete sich im ganzen Körper aus. Dann setzten Durchfall und Er-brechen ein, so heftig wie ein Platzregen. Bald lag die ganze Fa-milie darnieder: Rosemond, seine vier Geschwister und die Mutter. Dann griff die Krankheit auch in der Nachbarschaft um sich.

In Haiti gab es keine Cholera, bis Soldaten der Vereinten Nationen sie auf die Insel brachten. Ein Mann bringt Ende 2010 einen Erkrankten ins Krankenhaus der Hauptstadt Port-au-Prince.eduaRdo MunoZ/ReuTeRs

fast 8000 Menschen sind in haiti seit oktober 2010 an der hoch ansteckenden infektionskrankheit gestorben. es gilt als erwiesen, dass un-soldaten aus nepal sie eingeschleppt hatten. die Vereinten nationen wollten das vertuschen und stehlen sich aus der Verantwortung.

Von Jonathan M. Katz

in den Zeiten der Cholera

36 welt-blicke HAITI

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Die Familie legte ihre Erspar-nisse zusammen und schickte den Vater ins nächste Kranken-haus nach Mirebalais. Doch bald stellte sich heraus, dass Rose-mond noch viel schlimmer dran war. Die Nachbarn munkelten, er sei verhext worden. Die Familie trieb noch mehr Geld auf, um auch Rosemond ins Kranken-haus zu schicken, aber dafür brauchten sie mehrere Tage. Am Tag, nachdem der Vater nach Hause gekommen war – er-

schöpft, aber wenigstens noch am Leben –, luden die Brüder Ro-semond auf ein Motorradtaxi, um ihn nach Mirebalais zu brin-gen. Bei sengender Hitze trug man ihn in das kleine Kranken-haus mit den grüngestrichenen Wänden. Dort schloss Rosemond am Sonntag, dem 17. Oktober 2010 seine ausgedörrten Lider, zum letzten Mal.

Drei Tage danach fuhr ich mit meinem Kontaktmann Evens Sa-non gerade hinauf zum Associa-ted-Press-Büro in Pétionville, ei-nem Vorort von Port-au-Prince, als ich im Radio folgende Nach-richt hörte: „Das Gesundheitsmi-nisterium meldet, dass es im

Krankhaus in Saint-Marc 41 To-desfälle gegeben hat, darunter viele Kinder. Die Patienten wur-den mit Fieber, Erbrechen und

heftigem Durchfall eingeliefert. Das Gesundheitsministerium fordert alle Einwohner des De-partements Artibonite dringend zur Wachsamkeit bei derartigen Symptomen auf. Sie müssen um-gehend gemeldet werden.“

Ja, sagte eine UN-Sprecherin: Es gebe ein ProblemWir griffen nach unseren Han-dys. Evens rief im Gesundheits-ministerium an, um sich die Nachricht bestätigen zu lassen. Ich rief – wie immer, wenn in ei-nem Teil von Haiti, den ich nicht sofort erreichen konnte, etwas Wichtiges los war – bei den Ver-einten Nationen an. Ja, sagte eine

Pressesprecherin, in Saint-Marc gebe es ein Problem. Ein interna-tionales Team sei von Port-au-Prince aus unterwegs, um he-

rauszufinden was dort vor sich gehe. Ja, es habe auch Tote gege-ben; 19 seien bisher bestätigt worden.

Saint-Marc liegt etwa eine Stunde nördlich von Port-au-Prince, direkt südlich vom Delta des Artibonite. Im städtischen Krankenhaus drängten sich über tausend Patienten aus dem gan-zen Tal. Auf dem Parkplatz lagen die Kranken und Sterbenden auf verschmutzten Decken. Kranken-schwestern liefen zwischen ih-nen hin und her und hängten sie an den Tropf. Die Polizei hatte den Eingang zum Krankenhaus abgesperrt und ließ nur die Not-fälle durch.

Oben: Das Lager des nepalesischen UN-Battalions in Mirebalais. Einige der Soldaten waren vermutlich mit Cholera infiziert. RaMon espinosa/ap

Links: Ein Lkw entleert Ende Oktober 2010 Fäkalien aus dem UN-Lager in eine Grube. Von hier aus verbreite-ten sich die Bakterien über Haiti.RaMon espinosa/ap

HAITI welt-blicke

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welt-blicke HAITI

In allen Kliniken im Artiboni-te-Tal und im benachbarten zen-tralen Hochland häuften sich bald Fälle von schweren, oft tödli-

chen Durchfällen. Die Gesund-heitsinspektoren brachten acht Stuhlproben ins nationale Un-tersuchungslabor in Port-au-Prince. In allen Fällen wurden Cholera-Erreger gefunden.

Nach einer Naturkatastrophe befürchten die Überlebenden, die Behörden und die Journalis-ten eigentlich immer, dass Seu-chen ausbrechen. Französische Wissenschaftler haben jedoch festgestellt, dass es von 1985 bis 2004 im Gefolge von mehr als

600 Katastrophen nur drei Mal zu größeren Epidemien gekom-men war. Wenn eine Krankheit nach einem Erdbeben schnell um sich greift, war sie ziemlich sicher schon vorher da. Cholera breitet sich aus, wenn Wasser und Le-bensmittel mit menschlichen Ex-krementen verunreinigt werden. Deshalb wird sie oft mit Armut in Verbindung gebracht, doch sie ist keine automatische Folge davon. Es gibt keine Choleraepidemie ohne das Bakterium „Vibrio cho-lerae“, das die Krankheit verur-sacht. Und in Haiti waren seit mindestens hundert Jahren keine Cholerafälle aufgetreten.

Schon in den ersten Tagen der Epidemie kursierten in Haiti Gerüchte, dass die Ansteckung von einem UN-Stützpunkt ausge-gangen war. Am 25. Oktober wur-de ich auf einen Internet-Blog mit der Überschrift „Nepal: Cho-lera in Kathmandu“ aufmerksam. Er verlinkte auf einen Artikel aus der „Himalayan Times“, laut dem in Nepal, wo die Cholera ende-misch ist, in jüngerer Zeit ver-mehrt Fälle beobachtet wurden. Die Ärzte im Krankenhaus von Kathmandu wiesen darauf hin, dass mit einer größeren Epide-mie gerechnet werden müsse. Die Blauhelmsoldaten, die am Artibonite River stationiert wa-ren, kamen aus Nepal.

Am Tag darauf bekam ich eine Pressemitteilung der UN. Darin hieß es, im Camp der Nepa-lesen seien „sieben den Normen der (amerikanischen) Umwelt-schutzbehörde entsprechende Senkgruben“ angelegt worden. Sie würden „jede Woche von ei-nem privaten Unternehmen mit vier Lkws“ geleert. Die Gruben im Camp lägen „250 Meter vom Fluss entfernt“, also „20-mal wei-ter, als es internationale Normen erfordern“. Die Entsorgung ent-spreche den „geltenden interna-tionalen Bestimmungen“. Ein völlig misslungener Versuch der Schadensbegrenzung: Die Ge-rüchte wurden mit Behauptun-gen dementiert, die sich mit ei-nem Besuch im Camp leicht nachprüfen ließen.

Das Dorf Meille besteht aus ein paar verstreuten Betonge-

bäuden und strohgedeckten Hüt-ten, die an der Nationalstraße 3 zwischen den Bäumen hervorlu-gen. Der UN-Stützpunkt dagegen ist eine imposante Anlage auf ei-ner Lichtung zwischen der Straße und dem Fluss. Er ist von stachel-drahtbewehrten Mauern umge-ben, die von einem hohen wei-ßen Tor und mehreren Wachtür-men überragt werden. Vor dem Tor standen junge Männer aus dem Dorf mit Rucksäcken und Baseballmützen. Evens begrüßte sie mit ausgebreiteten Armen und sagte: “Es heißt, hier wurde Kacke in den Fluss geleitet. Habt ihr davon gehört?“ Sie nickten. „Könnt ihr uns die Stelle zeigen?“ Sie brachten uns zur Rückseite des Camps, das nur durch einen steilen Hang aus Felsen und Erde vom Fluss getrennt war.

Aus einem defekten PVC-Rohr ergoss sich eine dunkle BrüheAls wir uns dem Wasser näherten, stank es infernalisch nach menschlichen Fäkalien. Wir hiel-ten den Atem an und stiegen über die Betonmauer vor der Bö-schung. Am Ende der Mauer stand eine Blauhelmsoldatin mit einem blonden Pferdeschwanz und dem Abzeichen Guatemalas auf der Schulter. Zu ihren Füßen stand ein schwarzer Plastikcon-tainer mit Sicherheitsverschlüs-sen. „Das sieht aber nicht gut aus“, sagte ich, und sie antwortete: „Nein.“ Dann schaute sie weg. Ein defektes Rohr aus PVC führte über der Erde aus einem Gebäude innerhalb des Lagers, in dem die Latrinen zu sein schienen, über die Böschung zum Fluss hinunter, und daraus ergoss sich eine dunk-le Flüssigkeit ins Wasser. Der Ge-stank stach uns schon in einigen Metern Entfernung in die Nase. Ein Stück weiter unten an der Bö-schung entnahmen guatemalte-kische Militärpolizisten eine Pro-be, verschlossen das Gefäß mit einem hellblauen Deckel, scho-ben sich an uns vorbei und ver-schwanden.

Einer der Bauern aus dem Dorf tippte Evens auf die Schul-ter. Er führte uns über die Straße zu dem Betongebäude, in dem er mit seiner Frau und seinen fünf

Choleraopfer in Haiti gehen leer ausOpfer der Cholera-Epidemie in Haiti erhalten keine Entschädi-gung von den Vereinten Nationen (UN). Die Organisation wies entsprechende Forderungen Ende Februar offiziell zurück. Eine Klage gegen die UN sei aufgrund ihrer Immunität nicht zulässig, erklärte der Sprecher von Generalsekretär Ban Ki Moon, Martin Nesirky, in New York. Ban habe den haitianischen Präsidenten Michel Martelly telefonisch über die Entscheidung informiert, ihm aber zugleich weitere Hilfe im Kampf gegen die Cholera zu-gesagt. 5.000 Opfer der gefährlichen Infektionskrankheit hatten die Vereinten Nationen im November 2011 mit Hilfe des Instituts für Gerechtigkeit und Demokratie, einer Vereinigung US-ameri-kanischer Rechtsanwälte, auf mehrere Hundert Millionen US-Dollar Schadenersatz verklagt. Seit Oktober 2010 sind in Haiti fast 7.800 Menschen an Cholera gestorben, mehr als 500.000 haben sich angesteckt. (gka)

HAITIHAITI DOMINIKAN. REPUBLIK

KUBA

Port-au-Prince

Les Cayes

Saint-Marc

Port de Paix Cap

Haitien

H i s p a n i o l aH i s p a n i o l a

Karibik

Atlantik

Ausbruch in der Region ArtiboniteAusbruch in der Region Artibonite

Cholera in Haiti

©100 km

Atlantik

Pazifik

NORDAMERIKA

SÜDAMERIKA

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Kindern wohnte. An einem ma-geren Maultier und ein paar Schweinen vorbei gingen wir ei-nen Hang hinauf, und dann be-gegnete der Gestank uns wieder. Vor uns lagen zwei Tümpel voller Fäkalien. Um die Gruben anzule-gen, war einfach das Erdreich ausgehoben worden. „Hier lädt die MINUSTAH ihre Kacke ab“, sagte der Bauer. Ein einheimi-sches Unternehmen namens SANCO schicke alle paar Wochen einen Lkw – das war der Vertrags-

partner, auf den die UN verwie-sen hatten. Der Lkw leere die Tanks im Camp und entsorge den Inhalt in die Gruben hinter sei-nem Haus, berichtete der Bauer. Wenn es regne, liefen die Gruben über. Manchmal ergoss sich der Inhalt den Hang hinunter bis zum Fluss. Manchmal floss er auch auf sein Haus zu, und dann stank es so, dass seine Familie nicht schlafen konnte.

Nun führte er uns den Hang hinunter zu einer Stelle, an der sich noch eine weitere Fäkalien-grube zu befinden schien. Ein paar Schweine und Enten schwammen darin. Ein paar Wo-chen zuvor war ein neuer SANCO-

Fahrer im Einsatz gewesen und hatte seine Ladung an der fal-schen Stelle entleert. Ein Teil da-von war jetzt hier gelandet. Kurz darauf bestätigte sich die Erzäh-lung des Bauern: Ein Lkw mit der Aufschrift SANCO erschien im Camp, gefolgt von der Vizechefin des Unternehmens in einem schicken, weißen Pick-up. Ich sah, wie der Lkw die unterirdischen Tanks im Camp leerpumpte, über die Straße den Hang hinauffuhr und bei den Gruben Halt machte.

Ein Arbeiter sprang heraus, öff-nete ein Ventil und trat ein gutes Stück zurück; dann ergoss sich eine dunkle Flüssigkeit in die of-fene Grube. Zum Abschluss sprühte der Arbeiter aus einem orangefarbenen Kanister mit ei-ner Spritzdüse Desinfektionsmit-tel darüber.

Später erfuhr ich, dass SAN-CO einige Monate zuvor den Ver-trag für das Camp der Nepalesen bekommen hatte, weil es den bis-herigen Vertragspartner beim Preis unterboten hatte. Der Fah-rer des Lkws sagte uns, dass sie einen Monat lang nicht herbe-stellt worden seien. Waren die Fäkalientanks im Camp mögli-

cherweise übergelaufen, weil sie nicht rechtzeitig geleert wurden? Ich versuchte, mit der SANCO-Geschäftsführerin ins Gespräch zu kommen, aber sie ließ nur kurz das Fenster herunter und sagte: „Wir haben es mit einem sehr schwierigen Kunden zu tun.“ Der Bauer sagte, es seien Leute krank geworden, nachdem sie das Wasser aus dem Fluss ge-trunken hatten. In Meille benutz-ten viele das Flusswasser jetzt nicht mehr. „Man kann sich

nicht einmal mehr darin wa-schen“, sagte er. Aber davon hat-ten Millionen Menschen flussab-wärts nichts gewusst.

Der Kommandant war nicht erfreut über unseren BesuchIch klopfte ans Tor des Camps und sagte: „Verzeihung, ich be-richte für die Nachrichtenagen-tur Associated Press. Wir würden gerne mit dem Lagerkomman-danten sprechen.“ Durch das Me-tallgitter konnte ich die nepalesi-schen Soldaten sehen. Evens stieg wieder ins Auto und fing an zu hupen. Schließlich öffnete sich eine Luke und ein Blauhelm woll-te meinen Presseausweis sehen.

HAITI welt-blicke

„MINUSTAH und Cholera sind Zwillinge“ – im November 2010

protestieren Haitianer in Port-au-Prince gegen die UN-Soldaten.

eMilio MoRenaTTi/ap

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welt-blicke HAITI

Die Zeit verging. Einer der Män-ner aus dem Dorf fing an zu sin-gen: „Cho-cho-cholera. Cho-le-ra, MIN-U-STAH.“ Seine Freunde lachten. Schließlich ging eine Tür auf und ein Soldat ließ uns he-rein. Der Kommandant, ein etwas älterer Mann mit strähnigen schwarzen Haaren, gab mir mei-nen Ausweis zurück und bat uns, Platz zu nehmen, doch er schien wenig erfreut über unseren Be-such.

„Könnten Sie uns das Lager zeigen?“, fragte ich. „Heute geht das nicht. Sie müssen wieder ge-hen.“ Er deutete auf den Rekorder neben meinem Notizbuch. „Ste-cken Sie das Gerät weg.“ Ich sagte: „Es ist nicht eingeschaltet.“ Ich schaltete es ein. Evens und ich brachten abwechselnd unser An-liegen vor, und der Kommandant verlangte immer dringender, dass wir gehen sollten. Ich sagte, dass wir Fotos und Videos von den Senkgruben und den lecken Rohren gemacht hatten und dass nach uns ein englisches Team des Fernsehsenders Al-Jazeera gekommen sei und ebenfalls Aufnahmen macht. Evens fing an, dicker aufzutragen: „Sie ste-hen heute gar nicht gut da. Ganz böse sieht das aus. Sagen Sie uns die Wahrheit – wir bringen sie an die Öffentlichkeit.“

Der Kommandant schüttelte den Kopf. „Was kann ich schon machen?“, sagte er leise. „Ist im Lager jemand krank geworden?“, fragte ich. „Nein. Gehen Sie jetzt.“ „Ist hier jemand krank? Gibt es Cholerafälle im Camp?“ Der Kommandant stand auf. „Von Cholera ist mir nichts bekannt.“ „Klar ist Ihnen die Cholera be-kannt. In Nepal gibt es doch Cho-lera, oder nicht? In Kathmandu.“ Was jetzt kam, kann ich nicht be-weisen, aber es war so: Er hatte Tränen in den Augen. „Nein“, sag-te er. „Es gibt hier keine Cholera. Nur das Denguefieber.“

Als wir am 27. Oktober in Meille recherchierten, waren schon mindestens 303 Menschen gestorben und 4722 weitere in die Krankenhäuser eingeliefert wor-den. Neun Monate nach dem Erd-beben, das laut Regierung um die 316.000 Menschenleben gefor-

dert hatte, wurden nun zum zweiten Mal im selben Jahr tote Haitianer in Massengräber gebet-tet. Über den wichtigsten Fluss von Haiti breitete sich die Krank-heit aus, und die Menschen, die aus dem Tal flüchteten, brachten sie in jeden Winkel des Landes.

Die Ursache der Epidemie ist für die UN „nicht wichtig“Für den UN-Sicherheitsrat war die Mission in Haiti ein Musterbei-spiel für das konstruktive Wirken der Blauhelmtruppen. Wenn sich herausstellen sollte, dass die UN eine Seuche eingeschleppt und vielen Menschen in Haiti den Tod gebracht hatte, war der gute Ruf der Friedensmission in Gefahr. „Das ist jetzt nicht wichtig“, ant-wortete ein WHO-Sprecher, den ich nach den Ursachen der Epide-mie gefragt hatte. Das hat „keine Priorität“, sagte ein anderer. Aber wie will man einer Seuche Herr werden, wenn man nicht heraus-finden will, wie sie ausgebrochen ist?

Am 31. Oktober, zwei Wochen nach Beginn der Epidemie, luden die UN mein Team zu einer Füh-rung durch das Camp ein. Die Blauhelme hatten etwas gegen den Gestank unternommen und belastendes Material beseitigt. Sie gaben zu, dass sie Reparatu-ren ausgeführt und das lecke Ab-flussrohr ausgetauscht hatten. Außerdem hatten sie einen Ab-wasserkanal, der in den Fluss führte, gereinigt. Doch bewirk-ten diese Maßnahmen besten-falls oberflächliche Verbesserun-gen. Noch immer führten meh-rere oberirdische Rohre von den Latrinen über den Abwasserka-nal, und man konnte erkennen, dass sie Risse hatten. Ein Rohr war offenbar mit Isolierband zu-sammengeflickt worden. Wo der Kanal unterhalb des Camps in den Fluss mündete, dümpelte eine breiige braune Masse am Ufer, über der sich ein Schwarm Fliegen sammelte.

„Was ist das denn?“, fragte ich den MINUSTAH-Sprecher Vin-cenzo Pugliese, der uns herum-führte. „Das könnte alles Mögli-che sein“, antwortete er. Im Fluss schwamm gerade ein Mann aus

dem Dorf. „Das muss gar nicht aus dem Camp kommen“, sagte er. „Schließlich baden die Leute von hier im Fluss.“ Er deutete auf den Schwimmer. „Sie wissen doch, wie die sind!“ Damit war die Führung beendet. Die Fäkali-engruben auf der anderen Seite der Straße wollte das UN-Team nicht mit uns anschauen. Am nächsten Tag, knapp zwei Wo-chen nach der ersten offiziellen Bestätigung der Epidemie, veröf-fentlichte das Center for Disease Control and Prevention seine Un-tersuchungsergebnisse: Der Cho-leraerreger in Haiti glich dem, der auch in Südasien und in Ne-pal verbreitet war. Aber zu weite-ren Nachforschungen war man nicht bereit. Inzwischen waren über 400 Menschen gestorben.

Als Erklärung gaben die Be-hörden an, sie müssten sich ganz auf die Bekämpfung der Krank-heit konzentrieren. Ich fragte den Gesundheitsexperten Paul Far-mer, ob es in der Seuchenbe-kämpfung ein anerkanntes Prin-zip sei, die Ursachenerforschung hintanzustellen. „Das hört sich nicht nach Wissenschaft an, son-dern nach Politik“, antwortete er. Später stellte die Zeitschrift „Sci-ence“ fest, dass die Choleraexper-ten in ihrer Arbeit an der Basis durch erzwungene Rücksicht auf diplomatische und strategische Gesichtspunkte behindert wor-den seien.

In den folgenden zwei Jahren starben mehr als 7800 Menschen an Cholera. Jeder fünfte der etwa zehn Millionen Haitianer wurde schwer krank, und der besonders aggressive Erreger breitete sich in der ganzen Karibik, in Südameri-ka und in den USA aus. Die UN machten vollmundige, aber of-fenbar leere Versprechen, die Krankheit in Haiti zu bekämpfen und auszurotten. Aber sie sind nicht bereit, ihre eigene Verant-wortung für den Ausbruch der Epidemie einzugestehen. Ent-wicklungshelfer und Geberländer haben eine wichtige Chance ver-säumt: Die zu zeigen, dass sie das Leben und Wohlergehen von Hai-tianern ebenso wichtig nehmen wie das ihrer Bürger.

aus dem englischen von Anna Latz.

Jonathan M. Katz ist der Verfasser des buches „The big Truck That went by: how the

world Came to save haiti and left behind a disaster“. er arbeitete von

2007 bis 2011 als Korrespondent der associated press in haiti und wurde

für seine berichte über das erdbeben von 2010 und die Zeit danach mit der „Medill Medal for Courage in

Journalism“ ausgezeichnet.

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KOLUMBIEN welt-blicke

Ein Flüchtling mit seiner Tochter Ende der 1990er Jahre in der kolumbianischen Provinz Chocó. Wo der Mann früher Nahrungsmittel angebaut hatte, wuchs bald eine Ölpalme neben der anderen.baCon/RepoRT digiTal/laif (oben); ReuTeRs

b rigadegeneral Pauxelino Latorre geleitete En-rique Petro in die Kaserne der siebzehnten Ar-meebrigade in Carepa, einer Stadt im Nordwes-

ten Kolumbiens. Der Bauer, arm, Ende 60, war in Sorge. Strafrechtliche Ermittlungen hatten wieder-holt die siebzehnte Brigade mit illegalen paramilitä-rischen Gruppen in Verbindung gebracht, die Tau-sende Menschenleben auf dem Gewissen hatten. La-torre öffnete die Tür zu einem Gebäude im hinteren Teil der Kaserne, wo Javier Daza, Chef des Palmölun-ternehmens Urapalma, schon wartete.

Das war im August 2004. Nur wenige Tage zuvor hatte sich Petro bei dem General beschwert, dass Urapalma Ölpalmen auf einem Grundstück ange-pflanzt hatte, das Paramilitärs ihm 1997 unrechtmä-ßig abgenommen hatten. Im Gegenzug hatte der General das Treffen in der Kaserne vorgeschlagen und Petro hatte zugestimmt – er hatte wenig zu ver-

lieren. Am Ende des kurzen Zusammentreffens, so Petro, hatten Daza und Latorre ihn dermaßen einge-schüchtert, dass er die Inbesitznahme seines Grund und Bodens für rechtsgültig erklärte. Durch den Ver-trag, den Latorre als Zeuge mit unterzeichnete, ver-lor Petro 85 Prozent seiner 150 Hektar großen Farm und erhielt nie die geringste Entschädigung.

Trotzdem hat Petro Glück im Unglück: Er ist noch am Leben. Berichte der Regierung, amtliche Doku-mente und Zeugnisse von Menschenrechtsgruppen belegen, dass aus dem Drogengeschäft finanzierte Paramilitärs – oft in Kooperation mit den von den USA alimentierten Streitkräften – Ende der 1990er Jahre Tausende Bauern aus der Chocó-Provinz im Nordwesten Kolumbiens zwangsvertrieben haben. Allein in Petros Dorf kamen mehr als 100 Menschen ums Leben. Früher war ein Großteil des Bodens im gemeinsamen Besitz afro-kolumbianischer Bauern.

landwäsche im Chocódie Regierung Kolumbiens will bauern land zurückgeben, das paramilitärs ihnen im bürgerkrieg geraubt haben. doch das ist schwierig, denn die landräuber haben die ursprünglichen besitzverhältnisse mit hilfe angeblicher bauernorganisatio-nen verschleiert: sie geben palmölplantagen erfolgreich als dorfentwicklung aus.

Von Teo Ballvé

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welt-blicke KOLUMBIEN

Die Paramilitärs entwickelten ein kompliziertes Sys-tem, um zu verschleiern, dass das Land unter illega-len Umständen geraubt worden war – man könnte es „Landwäsche“ nennen. Und seit 2001 haben Urapal-ma und ein weiteres Dutzend Palmölunternehmen mindestens 22.000 Hektar der entvölkerten Land-striche im Chocó an sich gerissen.

Jetzt hat die kolumbianische Regierung ein Pro-gramm gestartet, bei dem gestohlenes Land an enteignete Bauern wie Petro zurückgegeben wer-

den soll. Bei den derzeitigen Friedensgesprächen mit der Guerillabewegung FARC steht die Landreform ganz oben auf der Tagesordnung. Das hat die Hoff-

nung geweckt, dass endlich etwas gegen die soziale Ungleichheit im ländlichen Kolumbien getan wird. Doch die Geschichte von Urapalma und den afro-kolumbianischen Dorfgemeinschaften im Chocó zeigt, wie schwierig eine Lösung für die blutigen Landkonflikte ist.

Und der Schaden könnte noch viel größer wer-den. Denn die Regierung will landesweit die Produk-tion von Palmöl ausweiten und den Anbau von Ag-rarprodukten, die sich für Kraftstoffe eignen. Mit den unlängst ratifizierten Freihandelsabkommen mit den USA und der Europäischen Union, die eine Abschaffung der Zölle auf Palmölimporte vorsehen, setzt Kolumbien voll und ganz auf den neuen Markt für Agrokraftstoffe.

Die Bauern im Chocó, die am meisten unter dem Palmölgeschäft leiden, leben in der Nähe von zwei wasserreichen Flussläufen: an den Ufern des Curva-radó und Jiguamiandó. Ende der 1980er Jahre war

dieser Teil Kolumbiens Stützpunkt paramilitärischer Gruppen, gegründet von drei Brüdern aus dem Castaño-Clan. Fidel, Vicente und Carlos hatten sich in den Reihen des berüchtigten Medellín-Kartells von Pablo Escobar hochgedient. Sie wurden von Ge-schäftsleuten, wohlhabenden Landbesitzern, Dro-genhändlern und Mitgliedern der Streitkräfte finan-ziell und logistisch unterstützt. Ihre Zusammenar-beit mit der kolumbianischen Armee im Krieg gegen die FARC-Guerilla war so eng, dass die Menschen-rechtsorganisation Human Rights Watch sie 2001 als „sechste Division“ der Streitkräfte bezeichnete.

Mitte der 1990er Jahre, so zeigen Menschen-rechtsberichte, begannen die Paramilitärs, Gewalt für ihre wirtschaftlichen Interessen einzusetzen. Sie übernahmen Land und Unternehmen, eliminierten ihre Gegner und schützten so ihren lukrativsten Er-werbszweig, den Drogenhandel. Die Castaños und ihre Verbündeten sicherten in Kolumbien ihre unan-gefochtene Stellung als Drogenbarone, was ihnen Spitzenplätze auf den Fahndungslisten der US-Re-gierung einbrachte. Die Warlords nahmen ihren blu-tigen Marsch in die Provinz Chocó auf.

Zuerst tauchten Flugblätter auf, die alle Kollabo-rateure der Guerilla aufforderten, das Gebiet zu ver-lassen, und die Städte wurden mit paramilitärischen Graffitis überzogen. Es folgte eine Eskalation des Ter-rors, von den Einheimischen schlicht „la violencia“ (die Gewalt) genannt. Nach Angaben des UN-Flücht-lingshilfswerks verloren 1997 infolge der Offensive 17.000 Menschen ihr Zuhause. Allein in den Tälern des Curvaradó und Jiguamiandó wurden nachweis-lich 140 Bauern getötet oder verschwanden. Von vier Fällen abgesehen waren daran stets Soldaten oder

AND

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KOLUMBIENBogotá

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MedellínMedellín

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VENEZUELA

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Pazifik

Barranquilla

Quito

ANTIOQUIAANTIOQUIA

CHOCÓ

Cali

Kolumbien

500 km

SÜDAMERIKA

©

Oben: Ein Bauer mit einem Para-militär der sogenannten „Ländlichen

Selbstverteidigungsgruppe“ Ende der 1990er Jahre im Chocó.

ReuTeRs

Rechts: Drogenhändler, Paramilitär und Landräuber – der gefürchtete Milizenführer Carlos Castaños im

September 2002 in den Bergen im Nordwesten Kolumbiens.

ReuTeRs

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KOLUMBIEN welt-blicke

Paramilitärs beteiligt. 1997 hatte Enrique Petro be-reits seinen Bruder und zwei seiner Söhne verloren, einer war von den FARC getötet worden. Paramilitärs hatten wiederholt gedroht, ihn zu töten, wenn er sei-nen Hof nicht verlassen würde. Er versuchte durch-zuhalten, aber als noch einer seiner Söhne fortge-gangen war, verließ Petro sein Land.

„Sie sagten, sie seien da, um die Guerilla zu ver-treiben“, erinnert sich Petro, „aber wir Campesinos wurden von ihnen vertrieben.“ Mehrere Überleben-de erzählen, dass zu Beginn der Gewaltwelle Parami-litärs zu ihnen kamen und drohten: „Entweder du verkaufst uns dein Land – oder wir verhandeln mit deiner Witwe weiter.“ Als nach 2001 die Kleinbauern allmählich heimkehrten, mussten viele feststellen, dass ihr Land umgepflügt und mit Palmsetzlingen bepflanzt war. Unternehmen wie Urapalma hatten große Schilder angebracht mit der Aufschrift: Privat-eigentum. Die ständige Anwesenheit der Paramili-tärs hielt die Gegend in Angst und Schrecken.

Petro war seinem Bauernhof fünf Jahre lang ferngeblieben, weil er in der nahe gelegenen Stadt Bajirá Zuflucht gesucht hatte. Erst 2002 kam er wie-der – und der Anblick war erschütternd. „Alles, was ich in meinen jungen Jahren geleistet hatte, war da-hin“, erzählt er. Urapalma hatte Petros unregelmäßi-gen Flickenteppich aus Feldern, Weideland und Wäl-dern eingeebnet und dort ordentliche und scheinbar endlose Reihen von Ölpalmen gepflanzt.

d ie Castaños woben ein verschlungenes rechts-widriges Netz, um den geraubten Landbesitz reinzuwaschen. Den Paramilitärs gelang es

sogar, das Konzept der lokalen Entwicklung für ihre unlauteren Zwecke zu vereinnahmen: Sie deklarier-ten den Anbau von Ölpalmen als partizipativ, von Kleinbauern getragen und umweltfreundlich.

Wie das ging, zeigt der Fall von Lino Antonio Díaz, der schon lange als Campesino im Curvaradó-Tal ansässig war. Die staatliche Behörde für ländliche Bodennutzung sprach Díaz 1990 den Besitztitel für 18 Hektar herrenloses Land zu. Zehn Jahre später, am 27. Mai 2000, soll Díaz Belege eingereicht haben, de-nen zufolge sein Grundstück mittlerweile knapp 6000 Hektar betrug – eine glückliche Fügung, wie sie für einen armen Kleinbauern schlichtweg un-möglich ist. Noch am selben Tag verkaufte Díaz das Riesenanwesen an den Verband Palmöl anbauender Kleinbauern in Urabá.

Allerdings war Díaz schon 1995 gestorben, er-trunken in den Wassern des Jiguamiandó – also fünf Jahre, bevor es zu diesen Transaktionen kam. Seit sei-nem Tod hatten seine Kinder das Land beackert, das noch immer unter seinem Namen registriert war. Und laut Gerichtsunterlagen war der Verband Palmöl anbauender Kleinbauern in Urabá eine paramilitäri-sche Einheit. Kopf der Organisation war seinerzeit Ja-vier Morales, der später an dem umstrittenen Demo-bilisierungsprogramm der Regierung teilnahm, was seinen damaligen Status als Paramilitär bestätigt.

Laut Unterlagen des Landregisters teilte Morales die 6000 Hektar große Fläche direkt in vier kleinere

Grundstücke auf. Die Parzellierung hilft bei der Landwäsche, weil jede neue Parzelle eine neue Regis-ternummer bekommt, so dass der genaue Hergang der Transaktionen und die früheren Eigentumsver-hältnisse in den Registerunterlagen zu einem Grundstück gelöscht werden. Drei der vier entstan-denen Grundstücke wurden nochmals geteilt und manche sogar noch ein drittes Mal, was die Spur des ursprünglichen Grundstücks auf dem Papier immer weiter verwischte. Im Zuge der Teilungen und Ver-käufe übertrug der Verband fast die kompletten 6000 Hektar an eine Handvoll Palmölunternehmen, darunter Urapalma.

Eine der aktivsten „Kleinbauernorganisationen“ im Palmölgeschäft war der Verband der Agrarprodu-zenten in Belén de Bajirá (Asoprobeba). Mehrere Jah-re lang wurde dieser Verband von Teresa Gómez ge-leitet, laut US-Finanzministerium die „Finanzmana-gerin“ der weit verzweigten, im Drogengeschäft täti-gen paramilitärischen Organisation der Castaños. Gómez, praktisch Ehrenmitglied der Familie Casta-ños, leitete noch mindestens eine weitere, mit den Paramilitärs verbundene nichtstaatliche Organisati-on (NGO), die in Fälle von Landraub verwickelt ist. Nach ihr wird derzeit gefahndet wegen der Ermor-dung eines Campesino-Anführers, der die Rückgabe von Land eingefordert hatte, das die Castaños an

Für die Plantagen auf geraubtem Land sicherten sich die Palmölunternehmen Darlehen von der staatlichen Agrarbank.

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welt-blicke KOLUMBIEN

sich gerissen hatten. Als Direktorin von Asoprobeba kaufte Gómez 1100 Hektar Land aus strittigen Eigen-tumsverhältnissen in Curvaradó. Unterlagen des Re-gisters zeigen, dass auch diese Grundstücke geteilt und in Form von kleinen, fünf Hektar großen Kon-zessionen an Mitglieder von Asoprobeba abgetreten wurden.

Laut vertriebenen Campesinos und Menschen-rechtsgruppen nutzten die Paramilitärs diese Land-abtretungen, um die Gebiete mit Bauern aus ande-ren Landstrichen wieder zu bevölkern. Die Vertriebe-nen behaupten, dass die Neusiedler entweder oppor-tunistische Einheimische oder Kleinbauern aus Nachbarregionen sind, die den Paramilitärs loyal gegenüberstehen.

Palmplantagen mit Hilfe von Scheinorganisatio-nen von Kleinbauern anzulegen hat überdies den von den Paramilitärs unterstützten Unternehmen geholfen, ihre Projekte zu legitimieren und sich Zu-gang zu staatlichen Fördergeldern zu erschließen. Mit Phrasen, die aus der Feder eines Weltbanktech-nokraten stammen könnten, hieß es in einem För-dermittelantrag von Urapalma, die Plantage sei das Resultat einer „gemeinsamen Anstrengung einer Gruppe von Bauern, die sich 1999“ – also zu Hochzei-ten des paramilitärischen Terrors – „das langfristige Ziel setzten, eine tragfähige, ökologisch und ökono-misch nachhaltige Geschäftstätigkeit in der Region Urabá zu verwirklichen“.

Im Antrag hieß es ferner, die Zeitplanung für die Verwirklichung eines nachhaltigen sozialen Pro-gramms sei ideal. Es könne ein Entwicklungsmodell unter Beteiligung von Geschäftsleuten und Gemein-wesen werden, „die gemeinschaftlich Entscheidun-gen treffen und Verantwortung tragen, während sie Schulter an Schulter arbeiten“. Und obwohl Chocós üppige Wälder den Ölpalmen weichen mussten, pries das Unternehmen den Beitrag des Projektes zur „Wiederaufforstung“ zum Wohle der „Familien“ und „Kleinerzeuger“ vor Ort.

Gestützt auf eine Kombination aus Landwäsche und „Förderung“ für lokale Entwicklung, ging die dreiste Rechnung auf. Jahrelang kultivierten die Palmölunternehmen ungestraft das gestohlene Land und sicherten sich Förderdarlehen der staatlichen Agrarbank in Höhe von mehr als 2,1 Millionen US-Dollar. Auf dem Papier sah das Unternehmen so vor-teilhaft aus, dass es sogar fast einen Zuschuss der US-Agentur für internationale Entwicklung (USAID) er-halten hätte.

Für Petro und die anderen Vertriebenen hat sich das Leben dagegen kaum verbessert. Zwar haben Ge-richte wiederholt zugunsten der vertriebenen Klein-bauern entschieden, aber die fortgesetzte Bedro-

hung durch den paramilitärischen Terror hindert die Bauern daran, diese Urteile vollstrecken zu lassen. Petro lebt weiter auf einem winzigen Eckchen seines Landes – alles, was ihm noch geblieben ist – und er-hält immer noch Morddrohungen. Es gibt Berichte, nach denen jetzt auch Bananenunternehmen auf das Land der Kleinbauern scharf sind.

In Kolumbien steht Land mitten im Zentrum hei-ßer politischer Konflikte und eiskalter Wirtschaftsin-teressen. Aus diesem Grund ist der erste (und schwie-rigste) Punkt in den gegenwärtigen Friedensverhand-lungen zwischen Regierung und FARC die Ausarbei-tung einer neuen Vision für „integrierte ländliche Entwicklung“. Momentan besitzt ein Prozent der Be-völkerung mehr als der Hälfte der landwirtschaftlich genutzten Fläche, während 60 Prozent der Landbe-völkerung in bitterer Armut leben. Mehr als vier Mil-lionen Campesinos – jeder zehnte Kolumbianer – sind im eigenen Land vertrieben worden.

Sollten die Gespräche mit der Guerilla erfolg-reich sein, hat die Regierung sehr wenig Zeit, um zu verhindern, dass die Paramilitärs und ihre Netzwer-ke das Vakuum füllen, das durch die Auflösung der Rebellenkräfte entsteht. Doch viele der Initiativen, über die jetzt diskutiert wird, haben eine verblüffen-de Ähnlichkeit mit den Programmen an der „Gras-wurzelebene“, die die Paramilitärs im Chocó so schamlos für sich vereinnahmt haben.

d ie von den Paramilitärs unterstützten Projek-te könnte man als Fall von Landraub abtun, der mit trendigem Entwicklungsjargon weiß-

gewaschen wird. Aber das Problem ist noch ernster. Bewegungen der lokalen Entwicklung wie NGOs und Kleinbauernverbände, wie sie von der Regierung ge-fördert werden, waren für die Paramilitärs äußerst hilfreich, um Land zu enteignen und ihre Spuren zu verschleiern. Das wirft nicht nur die Frage auf, wel-che Strategien am Verhandlungstisch gefragt sind, sondern zeigt auch, wie schwierig es ist, Landraub überhaupt aufzudecken.

Das Wiedergutmachungsprogramm der Regie-rung für vertriebene Campesinos wie Petro ist wie-derholt auf Schwierigkeiten gestoßen. Zum einen dauert der gewaltsame Widerstand paramilitärischer Kräfte an. Zum anderen fällt es den Ermittlern schwer zu entwirren, wer überhaupt der rechtmäßige Eigen-tümer eines Landstücks ist. Im Laufe der Jahre kann es Dutzende Male den Eigentümer gewechselt haben – und nicht jedes Mal unter rechtswidrigen Umstän-den. Es gibt übereinander liegende Schichten von Ei-gentümern und – legalen und illegalen – Verfügun-gen über das Land, so dass die Suche nach dem „tat-sächlichen“ Grundstückseigentümer eine heroische Aufgabe ist, die archäologische Fähigkeiten von Juris-ten und Bürokraten fordert. Der Gewaltkonflikt und die Konzentration des Grundeigentums in den Hän-den weniger verstärken sich gegenseitig. Sollte es der Regierung nicht gelingen, das Land gerechter zu ver-teilen, wird der Teufelskreis der Gewalt in Kolumbien auf absehbare Zeit anhalten.

aus dem englischen von Barbara Kochhan.

Teo Ballvé ist Journalist und doktorand für geo-

grafie an der universität von Kaliforni-en. er lebt in bogotá, Kolumbien.

Die Paramilitärs drohten: „Entweder verkaufst du uns dein Land – oder wir verhandeln

mit deiner Witwe weiter.“

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ENTWICKLUNG welt-blicke

entwicklung neu denken

V ielen Europäern bereiten vor allem die Proble-me in Europa Kopfzerbrechen. Das ist ver-ständlich, doch außerhalb Europas spielen

sich weit dramatischere Vorgänge ab. Das Zeitalter der Entwicklungsfortschritte gelangt nach 70 Jahren, in denen bei Bildung, Lebenserwartung und Men-schenrechten mehr als je zuvor erreicht worden ist, an einen Moment der Entscheidung. Das Ende der Armut, ein Mindesteinkommen für alle und die Ge-staltung des Übergangs zu einer schrumpfenden und alternden Weltbevölkerung scheinen zum Grei-fen nah. Doch kurz vor dem entscheidenden Durch-bruch steht das Projekt „Entwicklung“ vor ökologi-schen und finanziellen Gefahren und tritt in eine Phase von Chaos und Verunsicherung.

In den vergangenen fünf Jahren wurde die Welt von drei heftigen Turbulenzen erschüttert: der globa-

len Finanzkrise, dem drastischen Anstieg der Lebens-mittelpreise und dem Arabischen Frühling. Hinzu kommt eine Art Schiffbruch in Zeitlupe: Ein chaoti-scher Klimawandel macht sich immer stärker be-merkbar. Zusammen haben diese Faktoren die Ent-wicklungspolitik und unsere Vorstellungen davon, wie sich die Welt wandelt, gründlich verändert.

Die weltweite Finanzkrise hat geopolitische Ver-änderungen von historischem Ausmaß nach sich gezogen. Das Gewicht der Schwellenländer ist ge-wachsen und die G8, das Forum der acht mächtigs-ten Industriestaaten, wurde als Zentrum der Abstim-mung über globale Wirtschaftsfragen von der G20 abgelöst, der auch Schwellenländer angehören. Die Finanzkrise hat sichtbar gemacht, wie gefährlich es ist, wenn die Weltwirtschaft zu stark vom Finanzsek-tor bestimmt wird. Doch es ist nicht gelungen, den

weniger armut, mehr bildung, mehr Rechte – in den vergangenen 70 Jahren waren viele entwicklungserfolge zu verzeichnen. doch jetzt droht der Trend sich umzukehren. die globale finanzkrise und der Klimawandel verursachen Verwerfungen, die mit den herkömmlichen Modellen nicht in den griff zu kriegen sind.

Von Duncan Green

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welt-blicke ENTWICKLUNG

enormen Umfang der schnell um den Globus vaga-bundierenden spekulativen Geldströme einzudäm-men.

s eit 2007 hat sich zudem der jahrzehntelange Trend stetig sinkender Preise für Lebensmittel ins Gegenteil verkehrt. Mehrfache starke An-

stiege der Lebensmittelpreise wirken sich auf die arme Bevölkerung in vielen Ländern viel schlimmer aus als die Finanzkrise. Die langfristigen Fortschrit-te im Kampf gegen Hunger und Unterernährung sind in Gefahr. Und es sieht so aus, als ob dieser neue Trend anhalten wird und wir es in absehbarer Zukunft mit hohen und stark schwankenden Nah-rungsmittelpreisen zu tun haben werden. Die Ursa-chen dafür werden kontrovers diskutiert. Zu ihnen gehören der Landverbrauch für die Produktion von Biokraftstoffen, der Anstieg des Fleischkonsums in den Schwellenländern, die gestiegenen Ölpreise (die kommerzielle Landwirtschaft ist auf fossile Brenn-stoffe angewiesen) und die Spekulation mit Lebens-mitteln.

Mit dem Anstieg der Lebensmittelpreise ist die Landwirtschaft wieder ins Zentrum der öffentlichen Wahrnehmung gerückt. Man fordert für sie ver-mehrt finanzielle Hilfe und Investitionen und be-sinnt sich auf die tragende Rolle der Kleinbauern als Produzenten und Verbraucher. Sie können, wie es in Vietnam der Fall war, den Anstoß zu einer erfolgrei-chen gesamtwirtschaftlichen Entwicklung geben. Doch leider hat das stärkere Interesse an der Ernäh-rungssicherheit auch dazu geführt, dass Investoren aus reichen Ländern in großem Umfang Anbauflä-chen in Entwicklungsländern erwerben. Im vergan-genen Jahrzehnt wurden weltweit Flächen verkauft oder verpachtet, die zusammen fast sechsmal so groß sind wie die Bundesrepublik Deutschland (203 Millionen Hektar). Das von 2000 bis 2010 vergebene Land würde ausreichen, um eine Milliarde Men-schen zu ernähren – genauso viele, wie derzeit Hun-ger leiden.

Doch nicht alle Erschütterungen der vergange-nen Jahre waren beklagenswert. Während des Ara-bischen Frühlings bot sich zum ersten Mal seit Jahr-zehnten die Möglichkeit, in ganz Nordafrika und im Mittleren Osten Formen der Demokratie zu verbrei-ten. Das bestätigt, wie wichtig aktive Bürger für po-litische Veränderungen sind. Der Arabische Früh-ling gibt auch Anlass, verstärkt nachzudenken über die Rolle der Frauen in islamischen Gesellschaften und über die komplexe Struktur sozialer Bewegun-gen, in denen unterschiedliche Gruppen „Zellen“ bildeten, um die sich spontane Teilnehmer scharen können.

Den düsteren Hintergrund dieser drei Ereignis-se bildet das unerwartete Tempo des Klimawandels. Laut neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen schreiten der Temperaturanstieg auf der Erde und das Schmelzen der polaren Eiskappen schneller vo-ran, als es selbst die ungünstigsten Prognosen er-warten ließen. Und statt stetiger Veränderungen sehen wir in vielen Entwicklungsländern eher ein klimatisches Chaos. Die Regenzeiten werden unbe-rechenbarer, Dürren und Überflutungen wechseln sich auf unvorhersehbare Weise ab, Stürme von bis-her unbekannter Heftigkeit und überraschende Kälteeinbrüche zerstören Ernten. Bisher konnten sich die Bauern auf die Erfahrung vieler Generatio-nen stützen, doch mit diesen Entwicklungen sind sie überfordert.

Die drei Schocks und die Zunahme extremer Wetterereignisse machen deutlich, welche Bedeu-tung Unsicherheit, Preisschwankungen, Risiken und Verwundbarkeit für arme Menschen haben. Deshalb konzentriert sich die Entwicklungspolitik heute ei-nerseits darauf, wie sich Gesellschaften besser an veränderte Umstände anpassen und widerstandsfä-higer werden können, und andererseits darauf, wie weitere Schocks abgemildert oder verhindert werden können. Man denkt verstärkt über vorbeugende Maßnahmen nach: die soziale Sicherung verbessern, Lebensmittelreserven anlegen oder sich selbst ver-stärkende Kreisläufe an den Finanzmärkten unter-brechen.

Doch die Folgen für das Entwicklungsdenken ge-hen noch weit tiefer. Die jüngsten Erschütterungen und ihre Folgen machen klar, dass es unangemessen ist, von einer linearen Entwicklung und stetig fort-schreitenden Veränderungsprozessen auszugehen. Die traditionellen Mechanismen der Planung und der Erfolgskontrolle in der Entwicklungsarbeit sind damit infrage gestellt. Oxfam hat unlängst einen Spezialisten für komplexe Systeme in den Norden Kenias geschickt, um die dortigen Projekte zu evalu-ieren. Vermutlich werden die Erkenntnisse, die aus solchen interdisziplinären Untersuchungen gewon-nen werden, in den kommenden Jahren eine wichti-ge Rolle spielen.

f erner versuchen wir zu verstehen, welche Kon-sequenzen es hat, wenn wir das globale Ökosys-tem als ein geschlossenes System begreifen, das

an die Grenzen unseres Planeten gebunden ist. Wenn wir anerkennen, dass das menschliche Han-deln klare Grenzen achten muss, dann gewinnt die Ungleichheit eine größere Bedeutung. Wem soll zum Beispiel der Zugriff auf die verbleibenden fossilen Brennstoffe zugestanden werden, wenn das Recht auf Schadstoffausstoß eingeschränkt werden muss? Wenn die Größe des Kuchens begrenzt ist, kommt es umso mehr darauf an, wie die Stücke aufgeteilt wer-den. Zunehmend werden Gerechtigkeit und Umver-teilung auch in der politischen Mitte wieder debat-tiert; selbst der Internationale Währungsfonds be-tont, dass Ungleichheit Wachstum und Stabilität gleichermaßen gefährdet.

Hilfsorganisationen müssen in Theorie und Praxis ihren Schwerpunkt von

Armutsbekämpfung auf Machtfragen verlagern.

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ENTWICKLUNG welt-blicke

Zu den politischen Turbulenzen kommen eher graduelle, aber nicht weniger wichtige Veränderun-gen der Faktoren, die für die Entwicklungspolitik wichtig sind. Die Zusammensetzung der Menschheit wandelt sich aufgrund demografischer Verschiebun-gen: Bei der Zahl der Kinder haben wir einen Höhe-punkt überschritten, denn zum ersten Mal in der Geschichte nimmt die Zahl der Geburten ab. In vie-len Entwicklungsländern wird das Durchschnittsal-ter der Menschen in den kommenden Jahrzehnten steigen. Damit werden die Systeme der Sozialfürsor-ge zusätzlich belastet, die vielerorts noch wenig ent-wickelt sind. Seit 2007 lebt zudem die Weltbevölke-rung mehrheitlich in Städten. Doch in den Instituti-onen der Entwicklungshilfe zeigt sich noch keine große Bereitschaft, die weit verbreitete romantische Verklärung des Kleinbauerntums aufzugeben.

Die mehrfachen demografischen Umwälzungen sind eine echte Aufgabe für das entwicklungspoliti-sche Denken. Um nur ein Beispiel zu nennen: Bis 1990 lebte die große Mehrheit der Armen in Ländern mit niedrigem Einkommen; inzwischen leben 80 Prozent von ihnen in Staaten mit mittlerem Ein-kommen, denn zu denen zählt heute etwa Indien infolge seines Wirtschaftswachstums. Das ist nicht nur eine willkürliche Klassifizierung: In Ländern mit mittlerem Einkommen sind innenpolitische Maß-nahmen, Steuern zu erheben und Sozialausgaben zu zahlen, für die Armutsbekämpfung wichtiger als Entwicklungshilfe.

Angesichts all dieser Veränderungen wird schließlich grundsätzlich hinterfragt, was Armut und Entwicklung eigentlich bedeuten. Auf der gan-zen Welt stellen immer mehr Regierungen fest, dass das Pro-Kopf-Einkommen oder das Bruttoinlands-produkt als Maßstab der Lebensqualität nicht aus-reichen, und sie entwickeln differenziertere Bewer-

tungskriterien. In dieser Hinsicht sind sie den Hilfs-organisationen eher voraus. Die Orientierung an der Lebensqualität ist Teil einer veränderten Auffassung davon, was es heißt, arm zu sein. Wie die wegweisen-de Weltbank-Studie „Stimmen der Armen“ (Voices of the Poor) von 1999 zeigt, ist das Erleben von Zu-kunftsangst, Ohnmacht und Scham für arme Men-schen mindestens ebenso wichtig wie die Höhe ihres Einkommens.

d er eher subjektive Begriff von Lebensqualität ist wohl ein Grund dafür, dass die Entwick-lungspolitik sich zunehmend auf Fragen von

Macht, Handlungsmöglichkeiten und Mitsprache konzentriert. Die Aufgabe von Hilfsorganisationen und anderen Institutionen der Entwicklungshilfe ist, sicherzustellen, dass ihre Ansätze und Methoden – einschließlich der Versuche, Ergebnisse und wirt-schaftliche Effizienz nachzuweisen – diesem neuen, menschlichen Verständnis von Armut und Macht entsprechen. Wir müssen sowohl in der Theorie wie in der Praxis unseren Schwerpunkt von Armutsbe-kämpfung auf Machtfragen verlagern.

Können wir es schaffen, das Zeitalter der Ent-wicklung zu einem erfolgreichen Abschluss zu brin-gen? Oder werden neue Konflikte und chaotische Klimaveränderungen dazu führen, dass wir kurz vor dem Ziel Schiffbruch erleiden? Man kann sich kaum an eine Zeit erinnern, in der Optimismus und Pessi-mismus so stark nebeneinander bestanden. Es steht viel auf dem Spiel. Die nächsten Jahrzehnte werden entscheiden, ob die Armut ebenso zur bloßen Ge-schichte wird wie die Sklaverei und das Wahlrecht nur für Männer – oder ob ein neues, von Knappheit und Chaos bestimmtes Zeitalter den Fortschritt der vergangenen 70 Jahre wieder umkehren wird.

aus dem englischen von Anna Latz.

Duncan Green ist politischer berater der britischen hilfsorganisation oxfam und autor

des buches „from poverty to power“. dieser essay ist aus der arbeit an der

aktualisierten neuauflage des buches (november 2012) hervorgegangen.

Schweitzer Spital LambareneHundert JahreMenschlichkeit

2013 feiern wir das 100. Jubiläum von Albert Schweitzers Spitalgründung in AfrikaMit seinem Spital in Lambarene ist Albert Schweitzer zum Wegbereiter humanitärerHilfe geworden. Seine Ethik der Ehrfurcht vor allem Leben ist richtungsweisend –auch für Gegenwart und Zukunft. Wir würdigen Albert Schweitzer mit einem umfang-reichen Jahresprogramm: Vorträge, Symposien, Ausstellungen, Publikationen und über150 Benefiz-Orgelkonzerte. Mehr dazu:

www.albert-schweitzer-100.de

Schirmherrschaft: Dr. Friedrich Schorlemmer

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ich muss das einfach fragen: Chiri-kure Chirikure – ist das eigentlich ein Künstlername?

Nein, das ist mein echter Name. Ich kann Ihnen gern mei-nen Ausweis zeigen.

danke, nicht nötig. ich finde es nur ungewöhnlich, dass Vorname und nachname gleich sind.

Klar. In Simbabwe kommt das vor, aber auch nicht oft. Mein Großvater hat seinen Vornamen zum Familiennamen gemacht. Mein Vater hat mich wiederum nach meinem Großvater be-nannt.

bedeutet ihr name etwas?Ja, die meisten Shona-Namen

haben eine Bedeutung. Chirikure ist ein Zusammenschluss: „Chiri“ bedeutet „es ist“ und „kure“ be-deutet „weit entfernt“. Zusammen bedeutet es: Was weit entfernt ist, liegt in der Ferne.

das ist ja ein kleines gedicht. sie sind dichter, autor, songwriter, Journalist, literaturagent, Kultur-manager. habe ich noch etwas ver-gessen?

Ich habe auch viele Jahre als Herausgeber gearbeitet.

wie fing das an?Ich habe die Shona-Sprache,

Religionswissenschaften und Phi-losophie studiert. Seit ich an der Universität war, habe ich das Ge-dichteschreiben ernsthafter be-trieben. Politik beschäftigt mich seit langem. Die gesellschaftli-chen Umschwünge seit der Unab-hängigkeit, neue Freiheiten, die Zunahme der Korruption. Ich be-gann, politisch kritische Gedichte vorzutragen. Ich habe schon im-mer mit Metaphern gearbeitet, um einer Verhaftung zu entge-hen. Die Leute sind ja schlau ge-nug, um zu verstehen, was ich meine.

warum leben sie zurzeit in deutschland?

Ich war bis 2011 in Simbabwe, dann habe ich hier ein DAAD-Sti-pendium bekommen. Ich lebe nun mit meiner Frau und zwei Kindern in Paderborn. Unser Sohn ist in Südafrika und sucht einen Job – dort oder in Simbab-we. Er hat in Südafrika studiert, weil die Universitäten in Simbab-we in den vergangenen Jahren unbrauchbar waren.

Müssen sie angst haben, in ihre heimat simbabwe zurückzukeh-ren?

Ach, ich muss keine Angst mehr haben. Ich habe all die cha-otischen, schwierigen Jahre mit-gemacht. Meine Familie und ich wurden oft unter Druck gesetzt. Wir wurden belästigt, auch die Kinder und meine Eltern. Das Mugabe-Regime weiß alles über mich und meine Familie. Einmal sprach mich ein ehemaliger Agent an. Er sagte, er wolle sein Gewissen erleichtern, und berich-tete mir, wie er uns ausspioniert hatte.

wie gehen sie damit um?Ich muss es hinnehmen. Ich

schreibe, beziehe Position, arbeite mit Organisationen zusammen, um das Bewusstsein für die Lage in unserem Land zu schärfen. Das ist der Preis, den man dafür zahlt. Nach einem Konzert haben mich Männer auf der Toilette gestellt. Sie meinten, ich solle endlich den Mund halten, den Präsidenten re-spektieren. Dann haben sie Pisto-len hervorgeholt. Ich dachte: Okay, das war’s. Nun sterbe ich. Ich habe gesagt: Tut mit mir, was ihr wollt. Aber ihr wisst, dass ich die Wahrheit sage und dass ich es für das Wohl unseres Landes tue. Dar-auf sagten sie: Wir sind geduldige Leute, unsere Kollegen würden dich jetzt töten. Dann gingen sie.

wie in einem Thriller.Ja. Oder einfach die Autos mit

irgendwelchen Typen darin, die vor unserem Haus rumlungerten. Wenn ich einreisen oder ausrei-sen will, weiß ich nie, ob ich aufge-halten werde. Das alles verursacht solch einen großen Druck. Des-halb ist es gut, ab und zu im Aus-land zu sein, auch zur Erholung.

„Mugabe ist oft unterschätzt worden. Seine Leute und er wissen genau, wie sie

ihr politisches Spiel spielen müssen.“

„Ich dachte: Okay, das war’s!“In Simbabwe werden kritische Geister wie der Dichter Chirikure Chirikure politisch verfolgt

der dichter Chirikure Chirikure kritisiert die Regierung von Robert Mugabe in simbabwe. deshalb wurden bereits pistolen auf ihn gerichtet und seine familie drangsaliert. er erzählt, warum er keine schikanen mehr fürchtet und trotzdem zurzeit in deutschland lebt.

Gespräch mit Chirikure Chirikure

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dennoch wollen sie wieder zurück nach simbabwe.

Ja, ich käme mir sonst vor, als liefe ich davon. Ich denke auch an meine Eltern. Mein Stipendium ist ein Privileg, das ich nutzen muss: für neue Kontakte und Er-fahrungen, die ich dann einset-zen kann in Simbabwe. Viele jun-ge Leute in Simbabwe kennen meine kritische Haltung. Die schauen vielleicht zu mir auf, die kann ich nicht allein lassen. Ich will auch der Regierung nicht den Triumph gönnen. Die würden ja sagen: Ach, seht ihr, das ist ein Feigling, der flieht zu seinen Ein-flüsterern aus dem Norden, die ihn bezahlen. Da sitzt er rum und schlägt sich den Magen voll.

was arbeiten sie zurzeit?Ich organisiere von hier aus

Dinge in Simbabwe, derzeit vor allem das Programm für das Ha-

rare International Festival of Arts, eines der größten Kulturfestivals Afrikas. Das beginnt Ende April und ich werde auch dort sein. Ich suche europaweit nach Künst-lern. Eine Reihe von Autoren aus dem Ausland nimmt teil, Dichter, aus Deutschland, der Schweiz, so-gar aus Indien.

hier wundert man sich, warum Mugabe immer noch an der Macht ist.

Das ist schon verrückt. Muga-be ist jetzt 89 Jahre alt. Er ist oft unterschätzt worden. Mugabe und seine Leute sind extrem in-telligent, sehr gut ausgebildet. Sie wissen genau, wie sie ihr politi-sches Spiel spielen müssen. Mitt-lerweile wollen ihn aber auch in Simbabwe die meisten Leute los-werden. Ich schätze, 80 Prozent der Menschen haben genug von ihm.

glauben sie, dass es im sommer wahlen geben wird, wie vorgese-hen?

Ich kann es nur hoffen, damit wir bald einen legitimen Präsi-denten haben. Derzeit machen sich die Koalitionspartner gegen-seitig für die Misere verantwort-lich, aber niemand wird zur Ver-antwortung gezogen. Es gibt kei-ne Kontrolle.

wie geht es weiter in simbabwe?Es ist zu befürchten, dass es

wieder zu gewaltsamen Übergrif-fen kommt, wenn die Wahlen nä-her rücken. Das ist organisierte Gewalt, die von Mugabes Partei, der ZANU-PF, finanziert und orga-nisiert wird. Die bezahlen arbeits-lose junge Leute, die dann die Op-position angreifen, verprügeln.

Können sie derzeit von hier aus die politik in simbabwe kommentie-ren?

Ja, ich gebe Interviews, schrei-be Kommentare. Es gibt einige unabhängige Zeitungen in Sim-babwe. Seit kurzem gibt es auch unabhängige Radiosender, aber die spielen nur Musik. Die TV-Sender sind hingegen komplett unter staatlicher Kontrolle. Sehr viel wird natürlich im Internet debattiert. Wenn ich auftrete und Gedichte vortrage, kann ich zwi-schendurch Kommentare zur po-litischen Lage machen, über die dann gelacht werden kann.

welche Rolle spielt humor für sie?Er ist extrem wichtig. Humor

ist wunderbar: Die Menschen la-chen ihre Sorgen weg. Der Humor reinigt ihre Seelen.

das gespräch führte Felix Ehring.

Chirikure Chirikure ist Dichter, Journalist und Kultur-

manager. Im April organisiert der 51-Jährige das Internationale

Kulturfestival in Harare.

Keine Meinungsfreiheit: Polizei-einsatz gegen Regierungskritiker in

Simbabwes Hauptstadt Harare.philiMon bulawayo/ReuTeRs

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„Ich arbeite mit Metaphern, um einer Verhaftung zu entgehen. Die Leute sind schlau genug, um zu verstehen, was ich meine.“

SIMBABWE welt-blicke

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Journal

ETHIK

„Wir haben nur noch hochkarätige Berater, die alles wissen“Der Gutachter Frank Bliss über Ethik in der Entwicklungszusammenarbeit

Wer Entwicklungshilfe leistet, muss ständig abwägen, etwa zwi-schen lokalen Rechtsvorstellungen und universellen Menschenrech-ten. Oder zwischen kurzfristigen Entwicklungszielen und langfristi-gen Anliegen wie dem Klima-schutz. Die Arbeitsgemeinschaft Entwicklungsethnologie hat ein Papier vorgelegt, das solche Dilem-mata anspricht und ethische Prin-zipien formuliert, die bei Entschei-dungen helfen können. Der Berater und Gutachter Frank Bliss sagt, Entwicklungshelfer werden heute zu wenig auf solche Zielkonflikte vorbereitet.

herr bliss, in ihrem papier betonen sie unter anderem das sogenannte

„do no harm“-prinzip. demnach sollen entwicklungsprojekte nie-mandem schaden, auch nicht un-beabsichtigt. geht das überhaupt? das heißt doch im grunde: am besten gar keine entwicklungszu-sammenarbeit.

Der Einwand ist vielleicht in Deutschland berechtigt, wo es üb-lich ist, dass Leute protestieren, wenn in 300 Metern Entfernung eine Windmühle oder ein Strom-mast hingestellt werden. Aber in der Entwicklungszusammenar-beit geht es im extremen Fall um Menschenleben. Ein Beispiel aus Sri Lanka: Da wurde für einen Staudamm der Lebensraum von 15.000 Menschen überflutet. Die Leute wurden auf Lastwagen ge-setzt, in ein malariaverseuchtes Gebiet transportiert und haben dort Barracken bekommen. Dort sind sie dann wie die Fliegen ge-storben. „Do no harm“ heißt nicht, dass man nichts macht, sondern dass man die Leute, die von einem Projekt beeinträchtigt werden, nicht schlechter stellt als vorher.

entwicklungszusammenarbeit bedeutet immer, dass man sich einmischt, und mein eindruck ist, dass ihre suche nach ethischen

prinzipien ein wenig den Zweck hat, das zu verschleiern. Man will sich möglichst nach allen seiten absichern, so dass nichts schlech-tes dabei herauskommt.

Nein, wir wollen gar nichts verschleiern. Wir bekennen uns in dem Papier zur Einmischung mit-tels Entwicklungszusammenar-beit. Aber es muss Grenzen geben, nämlich dort, wo die Leute Nach-teile erleiden. Und in dem Papier geht es uns ja nicht nur um die Frage nach der Wirkung von Pro-jekten, sondern auch um indivi-duelles Verhalten: Wenn man mit anderen interagiert, dann muss man bestimmte universell gülti-ge Konventionen achten.

sie nennen solche dinge wie Res-pekt, empathie, Menschenrechte. das ist doch alles selbstverständ-lich ...

Es geht darum, alle Aspekte einmal gebündelt zu präsentie-ren und nicht verteilt auf ein Dut-zend Papiere. Und das mit der Empathie ist durchaus etwas Neues. Sowohl bei der Gesell-schaft für Internationale Zusam-menarbeit als auch bei der KfW-Entwicklungsbank wurde uns ge-

sagt, mit dem Begriff hätten sie sich so noch nicht im Detail be-fasst; das nähmen sie gern auf.

eigentlich sollte es üblich sein, dass man in der entwicklungszu-sammenarbeit versucht, sich in die partner hineinzuversetzen.

Naja, das ist ja praktisch auf null zurückgefahren worden. Frü-her gab es die dreimonatige Aus-bildung für alle, die in der Techni-schen Zusammenarbeit tätig sind. Mittlerweile sind es nur noch anderthalb Tage Landeskun-de. Da bleibt keine Zeit für tief-gründige, kulturelle Erfahrungen.

gilt das nur für staatliche oder auch für nichtstaatliche hilfsorga-nisationen?

Leider auch für nichtstaatli-che. Die Vorbereitungszeit für Mitarbeiter vor der Ausreise ist häufig zu kurz, und sie wird im Land auch nicht so intensiv fort-gesetzt, wie es wünschenswert wäre. Viele Leute müssen ins kalte Wasser springen. Das ist bei nicht-staatlichen Organisationen auch eine Frage der finanziellen Aus-stattung. Aber es fehlt heute manchmal ein Bewusstsein dafür, wie wichtig diese Aspekte sind.

erklärt das auch, dass der gedanke eines partnerschaftlichen entwick-lungsdienstes zunehmend an be-deutung verliert?

Ja. Ich beobachte das in der Technischen Zusammenarbeit: Wir haben heute die tollen Fach-leute, diese Managertypen. Wir unterstützen eigentlich keine Projekte mehr, wir haben nur noch hochkarätige Berater. Und die wissen alles. Ich übertreibe et-was.

ein anderes ethisches prinzip aus ihrem papier ist die parteinahme zugunsten von benachteiligten. als beispiel dienen ihnen Kleinbauern in indien, die davor geschützt wer-den müssen, dass ihnen große ag-

rarbetriebe ihr land wegnehmen. damit wird aus dem ethischen prinzip eine politische entschei-dung für einen bestimmten ent-wicklungspfad, nämlich den der kleinbäuerlichen landwirtschaft. ist das legitim?

Ja, denn wir sind nicht neut-ral, sondern folgen in unserem Papier einem bestimmten Ent-wicklungsbegriff: Die Armen so-wie die Nachhaltigkeit stehen im Mittelpunkt. Wenn wir Ethik nur im Verhalten einzelner Personen fordern würden, dann wären wir unpolitisch.

in ihrem diskussionspapier taucht der begriff „ownership“ – also das prinzip, dass die partner sich die entwicklungszusammenarbeit zu eigen machen – an keiner stelle auf. warum?

Aus meiner Sicht dient der Be-griff der Verschleierung. Immer wenn etwas schief läuft in der Zu-sammenarbeit, dann wird schnell von „ownership“ gesprochen und die Verantwortung auf die Part-ner abgewälzt. Aber bei der Pla-nung von Projekten, bei der Frage, ob die Leute an der Basis das überhaupt wollen, wird nie von „ownership“ gesprochen. Deshalb haben wir den Begriff Partizipati-on gewählt.

wenn man ein prinzip wie partizi-pation ernst nähme, dann müsste man in einem land wie Äthiopien doch sagen: hier können wir nicht arbeiten.

Das kann man vordergründig sicher so sagen, und mit Blick auf Tschad habe ich mich auch dafür ausgesprochen, die Zusammen-arbeit zu beenden. Aber ich habe zum Beispiel für die Welthunger-hilfe das Länderprogramm Äthio-pien evaluiert und war begeistert: Ich kenne kein anderes Land, wo eine Regionalregierung Geld in Projekte von deutschen nicht-staatlichen Organisationen steckt. Das ist fantastisch, und da

Frank Bliss arbeitet als entwick-lungspolitischer Gutachter und

lehrt Entwicklungsethnologie an der Universität Hamburg.

pRiVaT

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STUDIEN Journal

kann ich nicht sagen, weil mir die Gesamtlinie in dem Land nicht gefällt, mache ich da nichts. Die ethischen Prinzipien sind als Hil-fe gedacht, woran man in schwie-rigen Situationen denken sollte, und nicht als Ausschlusskriteri-um. Im Tschad hingegen gibt es wirklich niemanden auf der Seite des Staates, der sich zugunsten der Bevölkerung für irgendetwas interessiert.

nach dem Tsunami 2004 gab es viele untersuchungen dazu, was bei der internationalen hilfe alles falsch gemacht wurde. alles das kann man jetzt wieder lesen, dies-mal in bezug auf die hilfe für haiti nach dem erdbeben 2010. wir wis-sen doch längst, was schief läuft. wozu brauchen wir da noch ethi-sche prinzipien?

Es wäre in beiden Fällen doch gut gewesen, wenn etwa nicht-staatliche Hilfsorganisationen sich zu dem Prinzip bekannt hät-ten, dass sie den Leuten verpflich-tet sind – und daraus den Schluss gezogen hätten, vielleicht auf ein paar Millionen Hilfsgelder zu ver-zichten und sich stattdessen mit anderen Organisationen abzu-stimmen …

„wir sind den Menschen verpflich-tet“ – das steht bei jeder staatli-chen und nichtstaatlichen hilfsor-ganisation ganz oben.

Ja, aber viele fühlen sich zu-mindest auch ihrem Umsatz ver-pflichtet. Die nichtstaatlichen Or-

ganisationen sehen das selbst durchaus als Problem. Ich habe das lange mit dem Vorstand einer deutschen Hilfsorganisation dis-kutiert: Macht man nur das, was man selbst für richtig hält, und nimmt nur Spendengelder? Oder

akquiriert man Projekte und macht das, was die Geber wollen, zum Beispiel die Europäische Union? Denen ist die Frage, ob die Arbeit der Hilfsorganisationen schlüssig ist, ja teilweise völlig egal, solange ihre Budgets verge-ben werden.

Müssten ethische prinzipien für die entwicklungszusammenarbeit nicht gemeinsam mit den partnern gefunden werden, wenn über-haupt?

Das ist eine gute Idee, vor al-lem für die erste von den drei Handlungsebenen, mit denen wir uns in dem Papier befassen. Die betrifft politische Institutionen, die Grundlinien für die Zusam-menarbeit definieren. Da geht es um Prinzipien wie die Frage nach dem Entwicklungsbegriff, Partizi-pation, die Menschenrechte oder Fragen von Macht und Legitimi-tät. Es wäre denkbar, dass man sich mit Partnerinstitutionen auf gemeinsame Prinzipien verstän-digt. Nur denken Sie an den Fall Äthiopien: Mit dem Zentralstaat geht das wahrscheinlich kaum, eher auf der Arbeitsebene.

das gespräch führte Tillmann Elliesen.

STUDIE

Mit roten Zahlen in eine düstere ZukunftWas derzeit im Euroraum droht, kennen andere Länder schon: Auch Staaten können pleite ge-hen. Der neue Schuldenreport 2013 von erlassjahr.de und Kin-dernothilfe plädiert eindringlich für internationale Regeln, um Staatsbankrotte zu verhindern.

Die Behandlung Deutsch-lands nach dem Zweiten Welt-krieg wäre für Staaten wie Grie-chenland heute ein Glücksfall. Mit einem Schuldenschnitt ähn-lich dem, den vor 60 Jahren das Londoner Schuldenabkommen für Westdeutschland brachte, hät-te Griechenland eine reelle Chan-ce zur wirtschaftlichen Erholung. Stattdessen herrscht quälende Krisenfinanzierung vor, ohne ge-sicherte Aussicht auf Erfolg.

Der neue Schuldenreport sieht nicht nur die kränkelnden Eurostaaten auf schiefer Bahn. Nicht weniger als 65 Länder mit beträchtlichen Überschuldungs-risiken führt der Bericht auf. Die Liste umfasst zahlreiche kleine Inselstaaten ebenso wie osteuro-päische Transformationsstaaten und Länder, die bereits die Ent-schuldungsinitiative HIPC durch-laufen, aber erneut in Schieflage geraten sind, etwa Senegal oder Nicaragua.

„Schuldenerlass ist kein Gna-denakt und keine Belohnung für irgendetwas, sondern ein Akt po-litischer Vernunft“, mahnt der Re-port. Als Beispiel für einen Erfolg wird auf Ecuador verwiesen, wo ein Schuldenerlass Spaniens und

nationale Reformen 2008 das staatliche Bildungssystem ge-stärkt haben; das lateinamerika-nische Land ist wirtschaftlich auf dem Weg vom Entwicklungs- zum Schwellenland.

Vorschläge für ein internatio-nales Insolvenzverfahren für Staaten, nicht nur für solche Ein-zelfälle, liegen seit Jahren auf dem Tisch. Es müsse endlich ein transparentes und geregeltes Ver-fahren im Umgang mit chronisch verschuldeten Staaten geben, for-dern erlassjahr.de und die Kin-dernothilfe. Entschuldung ja oder nein könne den Unterschied zwi-schen einer düsteren und einer optimistischen Zukunft für nach-folgende Generationen ausma-chen. (di)

Kindernothilfe, erlassjahr.deSchuldenreport 20131953 – 2013: Das Londoner Schulden-abkommen. 60 Jahre Entschuldung Deutschlandsfebruar 2013, 64 seiten, www.erlassjahr.de

In der Hilfe für die Tsunami-Opfer Anfang 2005 wie hier in Sri Lanka ist vieles falsch gelaufen. Fünf Jahre später in

Haiti haben die Helfer viele Fehler wiederholt. ReuTeRs

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Journal STUDIEN | BERLIN

BERLIN

Hauptsache Gewinn?Die Opposition und Hilfswerke kritisieren den Afrika-Agrarfonds des BMZ

Armut bekämpfen und gleichzeitig rentabel sein – diesen Anspruch hat der Africa Agriculture and Trade Investment Fund des Bundesent-wicklungsministeriums. Gefördert wurde seither wurde unter ande-rem eine Getreidefarm in Sambia,

„um die regionale Nahrungsmittel-sicherheit zu verbessern“. Dass der Eigentümer der Farm extrem hohe Renditen anstrebt, scheint dabei nicht zu stören.

Vor gut einem Jahr wurde der Fonds von der KfW Entwicklungs-bank im Auftrag des Entwick-lungsministeriums (BMZ) gegrün-det, als Fondsmanager fungiert die Deutsche Bank. Das BMZ ist mit 45 Millionen Euro der größte Anteilseigner, KfW und Deutsche Bank haben jeweils 20 Millionen Euro beigetragen. Das BMZ hat zu-sätzlich 9,25 Millionen Euro für

„Begleitmaßnahmen“ angegeben.Ein erstes direktes Investment

wurde im Oktober 2011 getätigt – ein Darlehen von zehn Millionen Dollar (umgerechnet etwa 7,3 Mil-lionen Euro) für eine Getreide-farm in Sambia. Dabei handelt es sich um eine Großfarm in Mkushi

in der sambischen Zentralprovinz, betrieben von der Chobe Agrivisi-on Company. Das Unternehmen baut nach eigener Aussage auf 10.000 Hektar Weizen, Mais und Soja an. Lokale Medien nennen ei-nen angestrebten jährlichen Er-trag von 120.000 Tonnen Getrei-de. Die KfW gibt an, das Invest-ment in Sambia trage dazu bei, „die regionale Nahrungsmittelsi-cherheit (…) nachdrücklich zu ver-bessern“. Bei näherer Betrachtung entstehen allerdings Zweifel, ob das Projekt dieses Ziel erreichen kann.

Unter dem Namen Chobe Agri-vision führt der britische Invest-mentfonds Chayton seine Ge-schäfte in Afrika. Chayton wieder-um, gegründet unter anderen von dem ehemaligen Goldman-Sachs-Manager Neil Crowder, gehört zur Investmentgesellschaft PSG Group – ein in Südafrika gelistetes Börsen-unternehmen mit einem Markt-wert von mehr als 60 Milliarden Rand (gut fünf Milliarden Euro). PSG-Chef Jannie Mouton rangiert mit einem Privatvermögen von 415 Millionen US-Dollar auf Platz 38 der Forbes-Liste der reichsten

Menschen weltweit. Die Hilfsorga-nisationen Terre des hommes und Deutsche Welthungerhilfe schrei-ben in ihrem Bericht „Die Wirklich-keit der Entwicklungspolitik 2012“: Hauptmotiv der PSG Group sei es,

„alte landwirtschaftliche Koopera-tiven in Unternehmen“ umzuwan-deln – mit Gewinnstreben als oberstem Ziel.

Der Investor will Renditen von bis zu 25 ProzentDie Zeitschrift „Hedge News Afri-ca“ berichtete 2011, Neil Crowder strebe Renditen von jährlich 25 Prozent an und verspreche seinen Investoren, „von Wertsteigerun-gen des Landes zu profitieren“. Das kalifornische Oakland Institu-te, das Landgeschäfte in Afrika kri-tisch unter die Lupe nimmt, zitiert Crowder mit den Worten, er wolle

„den Afrikanern modernste Farm-technologie lehren“, bevor er „mit einer Cashflow-Erwartung von 18 Prozent wieder aussteigt“.

Beim Afrikafonds ist von sol-chen Zahlen keine Rede: Laut BMZ bewertet der Fonds vorrangig „die potentiellen entwicklungspoliti-schen Wirkungen“ einer Investiti-

on; er zahle lediglich „moderate Renditen“ (KfW) an Investoren. Aus dem BMZ heißt es auf Anfra-ge, das Ministerium könne „die Angemessenheit“ der genannten Renditeerwartung „nicht bewer-ten“. Auch wie hoch die tatsächli-che Rendite für die Investition in Chobe Agrivision sein werde, sei

„derzeit nicht abzusehen“.Fakt ist: Damit Chayton in

Sambia möglichst risikofrei wirt-schaften kann, hat das Unterneh-men sich bei der Multilateral In-vestment Guarantee Agency (MIGA) versichert, einer Tochter der Weltbank, die Auslandinvesti-tionen in Entwicklungsländern fördert. Die MIGA trägt das Risiko für bis zu 50 Millionen Dollar für Chaytons Investitionen in Afrika, auch in Sambia. Die Vereinbarung schließt zum Beispiel Krieg oder zivile Unruhen ein. Außerdem ge-währt die sambische Regierung Chayton in einem Investitions-schutzabkommen diverse Ver-günstigungen: Zollfreiheit, Steu-erfreiheit und Steuerfreibeträge sowie hohe Abschreibungsraten. Laut dem Oakland Institute ga-rantiert die Regierung Chayton

STUDIE

MachtwechselDie unmissverständliche Bot-schaft des diesjährigen UN-Be-richts über die menschliche Ent-wicklung (Human Development Report) steckt bereits im Titel:

„Aufstieg des Südens“. Fazit: Mit der Dominanz der alten Industrie-länder des Nordens über den Sü-den ist es in absehbarer Zeit vor-bei. Bald werde der Norden den Süden – vor allem die erstarken-den Schwellenländer – für eine gedeihliche Zukunft ebenso brau-chen wie umgekehrt. Bereits 2020 dürfte die Wirtschaftsleis-tung von Brasilien, China und In-

dien die Gesamtproduktion von Kanada, Frankreich, Deutschland, Italien, Großbritannien und den USA übersteigen.

Der Bericht wertet diese Ent-wicklung nicht als Bedrohung, sondern als großen Fortschritt. Erstmals bestehe die Chance für neue Partnerschaften zwischen Nord und Süd auf Augenhöhe. Zu-gleich sieht er eine Politik, die blind auf die Marktkräfte ver-traut, nicht als zukunftsweisend an. Ob beim Wirtschaftswachs-tum, im Gesundheitswesen, bei der Bildung oder bei den sozialen

Diensten – gerade Länder mit ak-tiv gestaltender Politik führten die Liste der Aufsteiger an, oft mit beachtlichen Erfolgen auch in der Armutsbekämpfung. Globale Pro-bleme wie der Klimawandel oder die Ernährungssicherung seien ohnehin nur in gemeinsamer Nord-Süd-Anstrengung zu meis-tern, wozu auch eine stärkere Ver-tretung der Länder des Südens in den internationalen Institutio-nen gehöre. Die wachsende Süd-Süd-Kooperation bringe zuneh-mend auch ärmere Entwicklungs-länder voran. (di)

undpBericht über die menschliche Entwick-lung 2013. Der Aufstieg des Südens: Menschlicher Fortschritt in einer ungleichen Weltdeutsche gesellschaft für die Verein-ten nationen, berlin 2013, 238 seiten, www.dgvn.de

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BERLIN

Rückkehrer sind keine VeteranenEntwicklungshelfer bestehen auf einer klaren Trennung vom Militär – auch zuhause

Verteidigungsminister Thomas de Maizière und Militärs denken dar-über nach, aus Auslandseinsätzen zurückkehrenden Soldaten beson-dere Anerkennung zuteil werden zu lassen. In den Konfliktländern sind auch tausende zivile Helfer im Einsatz. Sie wollen von solcher Ehr-bezeugung nichts wissen.

Winfried Nachtwei, früher Sicher-heits- und Verteidigungspolitiker der Grünen im Bundestag, hält viel von besonderer Fürsorge, Auf-merksamkeit und Anerkennung für „Einsatzrückkehrer“ – im eige-nen sozialen Umfeld wie auf „ge-samtgesellschaftlicher Ebene“. Zu Rückkehrern zählt Nachtwei ne-ben Soldaten und Polizisten aus-drücklich auch Entwicklungshel-fer und Friedensfachkräfte.

Doch wie eine solche Anerken-nung aussehen kann und wem ge-nau sie zuteil werden soll, ist nicht einmal mit Blick auf Soldaten klar. Ein Kampfflugzeug zu fliegen ist nicht dasselbe wie der Dienst auf der Einsatzbasis in Italien, sagte Andreas Timmermann-Levanas vom neu gegründeten Bund Deut-scher Veteranen bei einer Anhö-rung der Bundestagsfraktion der Grünen zum Thema im Februar in Berlin. Zugleich tritt der ehemali-ge Soldat vehement für „Respekt und Hilfe“ für die mittlerweile

rund 200.000 „jungen Veteranen“ und ihre Familien ein. Nur wie? Recht hilflos wirkt, wenn neben materieller Besserstellung, etwa einer Beschädigtenrente, von ei-nem alljährlichen „Rückkehrertag“ oder gar von Dankes-Sonderbrief-marken die Rede ist.

Tom Koenigs von den Grünen lehnt den Begriff Veteranen abTom Koenigs, Vorsitzender im Bundestagsausschuss für Men-schenrechte, kann schon mit dem Begriff des Veteranen nichts an-fangen. Er habe etwas „Schwüles“, weil historisch stark Belastetes. Und Entwicklungshelfer waren sich bei der Anhörung weitgehend

einig, dass sie mit einem Vetera-nenbonus nichts zu tun haben wollen. Viele Helfer fühlen sich schon im Einsatz nicht wohl, wenn nicht klar zwischen militärischen und zivilen Aufgaben unterschie-den oder beides sogar vermischt wird. „Entwicklungshelfer sind keine Soldaten“, sagt etwa Jürgen Deile von Brot für die Welt – Evan-gelischer Entwicklungsdienst.

Anerkennung gebühre auch ihnen, findet Deile gleichwohl. Wie die Militärs klagt er, die eige-ne Arbeit werde hierzulande nicht genügend wahrgenommen. Was Wolfgang Schmitt, bis 2009 Ge-schäftsführer der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit

(heute GIZ), ganz anders sieht: „Niemand aus diesem Kreis hat je nach politischer Anerkennung ge-fragt.“ Ein vergleichbares „Rück-kehrer-Problem“ wie bei Soldaten, die häufig traumatisiert und teils verwundet nach Hause kommen, sieht Schmitt bei den Entwick-lungshelfern nicht. Die Gefähr-dung sei geringer – und ihr Anse-hen steige nach Auslandseinsät-zen ganz von selbst. Wichtiger als irgendwelche Rückkehrersymbo-lik seien ordentliche Arbeitsver-träge und eine ausreichende Sozi-alversicherung – Dinge, an denen es Staatsangestellten wie Solda-ten oder Polizisten nicht fehlt.

Eine klare Trennlinie nicht nur zu militärischem Engage-ment, sondern auch zu regie-rungsamtlichen Danksagungen forderte in Berlin auch eine Ver-treterin der nichtstaatlichen Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen: Wenn Hilfe, dann bitte weniger bürokratische Hürden – und wenn Anerkennung, dann da-für, „dass wir ohne Regierungsauf-trag arbeiten“. Johannes Schradi

BERLIN Journal

Statt ritualisierte Anerkennung lieber einen Abbau bürokratischer Hürden: Eine „Ärztin ohne Grenzen“ in Afghanistan. Ton Koene/piCTuRe allianCe

zudem, dass 80 Prozent der Ernte exportiert werden dürfen – auch für den Fall, dass die Grenzen Sambias geschlossen werden (zum Beispiel im Fall einer Hun-gersnot).

Kritiker sehen einen Beleg für eine falsche AgrarpolitikDas BMZ sieht die Investition un-ter anderem wegen ihrer „Be-schäftigungs- und Einkommens-wirkung“ dennoch als „sinnvoll“ an. Ein Ministeriumssprecher zi-tiert einen Bericht der MIGA, in

dem es heiße, Chobe schaffe Ar-beitsplätze und zahle Löhne „über dem staatlich vorgegebenen Mi-nimum“. Allerdings zitiert das BMZ in der Antwort auf eine An-frage der Linkspartei im Bundes-tag eine Passage aus dem MIGA-Bericht, der dieses freundliche Bild etwas trübt: Die Weltbank-Tochter sieht demnach nur „be-grenzt“ günstige soziale und öko-logische Auswirkungen des Pro-jekts. Sie verweist auf „Risiken und Auswirkungen“ und erwähnt un-ter anderem „flüssige und feste

Abfälle“, „Bodenverdichtung und Erosion durch den Gebrauch schwerer Maschinen“ sowie „agro-chemische Einlagerungen“. Au-ßerdem bestünden Risiken für „Gesundheit und Sicherheit von Arbeitern und Gemeinden“ durch zusätzlichen Verkehr und den Ein-satz von Wachpersonal.

Während das BMZ mit Blick auf diese Einwände lediglich von

„begrenzt vorhandenen negativen Wirkungen“ spricht, die den insge-samt positiven Effekten nicht wi-dersprächen, sehen Kritiker einen

Beleg für eine grundlegend fal-sche Agrarpolitik. Die Linken-Ab-geordnete Sevim Dagdelen, die die Anfrage an das BMZ gestellt hatte, sagt: „Die Bundesregierung unter-stützt mit der Initiative die Agrar-industrie unter dem Deckmantel der Entwicklungspolitik. Die Hilfe für die einheimische kleinbäuerli-che Landwirtschaft und Entwick-lung wird zurückgefahren.“ Ent-wicklungsminister Dirk Niebel (FDP) treibe stattdessen „den Aus-verkauf landwirtschaftlicher Flä-chen voran“. (osk)

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Journal BERLIN | BRüSSEL

BRÜSSEL

Ein dickes Geschäft für die SchiedsrichterDie EU setzt auf ein zweifelhaftes Verfahren für den Investitionsschutz

In neuen Freihandelsverträgen mit Drittstaaten will die EU den Schutz ihrer Investoren festschreiben las-sen. Doch von dem dafür vorgese-henen internationalen Schlich-tungsverfahren profitiert vor allem ein exklusiver Klub von Anwaltsfir-men und Streitschlichtern.

Anfang Februar beschieden drei Herren in einer geschlossenen Sitzung in Den Haag der Regie-rung von Ecuador, sie möge doch besser ihre Justiz außer Kraft set-zen, wenn sie nicht Gefahr laufen wolle, saftige Bußen an den US-Ölkonzern Chevron zu zahlen. Der war zwar im vergangenen Jahr in Ecuador zu 18 Milliarden US-Dollar Schadenersatz für eine von ihm verursachte Ölpest im

Amazonasgebiet verurteilt wor-den. Da der Konzern jedoch alles Eigentum außer Landes geschafft hat, suchen die Geschädigten – der Staat und Gemeinden – die Forderungen in Nachbarländern und in den USA einzutreiben. Da-gegen wiederum hat Chevron ein internationales Schiedsverfahren nach dem Investitionsvertrag zwischen Ecuador und den USA eingeleitet.

Solche Schiedsverfahren, wie sie nun auch die EU in Handels-verträgen verankern will, haben es in sich: Sie öffnen eine Ein-bahnstraße für Firmen, die unter Umgehung des üblichen Rechts-wegs gegen Staaten klagen wollen. Umgekehrt können Regierungen mit derlei Verfahren aber nicht

auswärtige Firmen belangen, die eventuell Schaden angerichtet ha-ben. Seit den 1980er Jahren ist die Zahl der bilateralen Investitions-schutzverträge, die solche Verfah-ren zulassen, geradezu explodiert – und ebenso die Zahl der darauf gegründeten Klagen: 1991 gab es 24 Schiedsverfahren, 1996 waren es bereits 38, und 2011 wurden 450 registriert. Politisch begründet werden die Verträge mit dem Schutz von Investoren vor Enteig-nungen. Das schaffe Rechtssicher-heit und diene damit dem globa-len Wirtschaftswachstum, ant-wortete EU-Handelskommissar Karel De Gucht im Februar auf Anfragen des EU-Parlaments.

Vor allem aber nutzen solche Verfahren einer Handvoll interna-

tionaler Anwaltskontore, die sich auf die Schiedsgerichtsbarkeit spezialisiert haben. Deren Exper-ten sitzen für horrende Honorare mal für die Kläger, mal für beklag-te Staaten oder als vermeintlich neutrale dritte Partei in den Schiedsgerichten. Das Amsterda-mer Transnational Institute (TNI) legte interessierten EU-Parlamen-tariern auf einer Tagung Ende Fe-bruar Material dazu vor. Laut der von Misereor mitfinanzierten Studie schätzen Branchenkenner die Einnahmen dieser Büros auf gut vier Fünftel der Gesamtkos-ten solcher Verfahren; die OECD veranschlagt die durchschnittli-chen Kosten solcher Fälle auf gut sechs Millionen Euro. Einzelne, spektakuläre Verfahren sind al-

BERLIN

Die Krisenprävention ist unterbelichtetDas Entwicklungsministerium legt ein neues Konzept für fragile Staaten vor

Ein im März vorgelegtes Strategie-papier nennt Ziele für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit mit fragilen Staaten: Eine Pflicht-übung, die nicht viel Neues bietet.

Mehr als die Hälfte der Partner-länder der deutschen Entwick-lungszusammenarbeit sind keine sogenannten „good performer“ – keine Länder also, in denen es ei-nigermaßen stabile und funktio-nierende Regierungen gibt, wo die Bevölkerung mitreden und sich einigermaßen sicher fühlen und wo die Wirtschaft gedeihen kann.

Auf diese Länder zielt das Pa-pier mit Titel „Entwicklung für Frieden und Sicherheit“, das das Konzept zur Krisenprävention und Friedensförderung von 2005 ablöst. Es ergänzt die im vergan-genen Herbst gemeinsam von Auswärtigem Amt, Verteidigungs-

ministerium und BMZ vorgestell-ten „Leitlinien für eine kohärente Politik gegenüber fragilen Staa-ten“, die nach Ansicht von Fach-leuten allerdings äußerst vage sind (siehe welt-sichten 11/2012). Zugleich greift das Entwicklungs-ministerium (BMZ) die Ende 2011 bei der Konferenz für eine wirksa-mere Entwicklungshilfe in Busan verabschiedeten Ziele für Frie-denskonsolidierung (Peace- and Statebuilding Goals) auf: Dem-nach geht es in fragilen Staaten vor allem darum, Verfahren und Strukturen für legitime politische Entscheidungen zu schaffen so-wie die Sicherheit und die Lebens-grundlagen der Bürger zu verbes-sern.

Das BMZ betont in dem Pa-pier, in fragilen und Konfliktstaa-ten müssten idealtypische Vor-stellungen von einer partner-

schaftlichen Entwicklungszusam-menarbeit zurückgenommen werden. Ziele müssten „realis-tisch“ formuliert, Misserfolge in Kauf genommen werden. Schnell halbwegs funktionierende „Paral-lelstrukturen“ zu schaffen, habe oft Vorrang vor langfristigen und anspruchsvolleren Reformen. Ge-nerell gelte es, „die Risiken gegen die Folgen eines Nichtengage-ments abzuwägen“; dabei dürften aber grundlegende entwicklungs-politische Prinzipien wie demo-kratische Legitimation, Recht-staatlichkeit und die Achtung der Menschenrechte nicht komplett aufgegeben werden.

NGOs und Stiftungen misst das BMZ besondere Bedeutung beiAls geeignete Instrumente im Umgang mit fragilen Staaten nennt das neue Papier unter an-

derem die Entwicklungsfördern-de und Strukturbildende Über-gangshilfe (ESÜH), die die Brücke bildet zwischen akuter Nothilfe und langfristig angelegter Ent-wicklungszusammenarbeit, den Zivilen Friedensdienst sowie die Unterstützung der Arbeit inter-nationaler Organisationen. Eine besondere Rolle misst das BMZ außerdem den politischen Stif-tungen, kirchlichen Hilfswerken und anderen nichtstaatlichen Or-ganisationen bei. Damit unter-scheidet sich das neue Papier nur unwesentlich von dem, das es ab-löst. Das freilich, noch unter Fe-derführung von Dirk Niebels Vor-gängerin Heidemarie Wieczorek-Zeul, hatte wesentlich größeres Gewicht auf den Aspekt der Kri-senprävention gelegt und war da-mit deutlich proaktiver ausge-richtet. Johannes Schradi

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lerdings deutlich teurer: Rund 43 Millionen Euro musste die Regie-rung der Philippinen bisher für den seit zehn Jahren laufenden Streit mit der Frankfurter Flugha-fen-Gesellschaft FRAPORT um den Bau des Flughafens Manila berappen – laut der TNI-Studie so viel wie für ein ganzes Jahr Gehäl-ter für 12.500 Lehrer.

Gerade einmal 20 Anwaltsbü-ros beherrschen das Feld, auf dem es um gewaltige Summen geht: In 151 der 450 Schiedsverfahren 2011 wurde Schadensersatz von mehr als 75 Millionen Euro verlangt. Der britische Konzern Churchill Mi-ning hat Indonesien gar auf 1,6 Milliarden Euro verklagt, weil die Regierung eine Konzession für den Kohleabbau auf Borneo an-nulliert hatte, nachdem sich vor indonesischen Gerichten die Ge-nehmigung als gefälscht erwiesen hatte. Der kanadische Bergbau-konzern Pacific Rim will von El Salvador den Gegenwert von ei-nem Prozent des gesamten Volks-einkommens, weil die Regierung die Konzession für eine Goldmine zurückgezogen hat. Laut der TNI-Studie werden 42 Prozent der Kla-gen von großen multinationalen Konzernen gegen Länder außer-halb der OECD angezettelt.

Kleine und schwache Länder sind immer die VerliererLängst dienen diese Verfahren nicht mehr dem Schutz von Inves-toren vor ungerechtfertigten Ent-eignungen. Die astronomischen Verfahrenskosten versetzen klei-ne und verwaltungsschwache Länder grundsätzlich in die Positi-on der Verlierer. Bolivien, das nach dem Versagen des privati-sierten Telefons den Dienst wie-der verstaatlicht hatte, musste 100 Millionen US-Dollar an die Telecom Italia erstatten, weil es sich das Land nicht leisten konnte, das Verfahren weiterzuverfolgen.

Mittlerweile spannt sich laut der UN-Handelsorganisation UNCTAD ein Netz von 3000 zwi-schenstaatlichen Investitions-schutzverträgen um den Globus, 1200 entfallen auf die EU-Staaten. Brüssel verhandelt derzeit mehre-re Freihandelsabkommen, die In-vestitionsschutz und internatio-

nale Schiedsgerichtsbarkeit für die EU insgesamt und für alle ihre Mitglieder vorsehen: Ein Vertrag mit Kanada steht kurz vor dem Abschluss, Verhandlungen mit Singapur und Indien laufen, Ge-spräche mit Marokko begannen Anfang März und sollen zum Muster für Abkommen mit allen Nachbarstaaten im Süden des Mittelmeers werden.

Wer in der EU im Streitfall zahlen muss, ist nicht klarDie EU will damit vor allem die EU-Investoren im Ausland schüt-zen. Doch da die Schiedsgerichts-barkeit gegenseitig ist, stellt sich die Frage, wer zahlt, wenn Firmen aus den Vertragsstaaten die EU oder ihre Mitgliedsaaten verkla-

gen. Eine im Februar von der Kommission vorgelegte EU-Rege-lung soll das klären: Sie sieht eine komplizierte Prozedur in Streit-fällen vor, in denen die „finanziel-le Verantwortlichkeit“ zwischen EU und einzelnen Mitgliedstaa-ten nicht klar ist – wie maßge-schneidert für die Spezialisten des exklusiven Klubs der Schieds-richterindustrie. Zwar hat die TNI-Untersuchung nach Auskunft von Franziska Keller von den Grü-nen im Europaparlament „quer durch die Fraktionen“ auf die kaf-kaesken Folgen dieserart Ge-richtsbarkeit aufmerksam ge-macht. Doch bisher hat nur die Fraktion der Grünen im Deut-schen Bundestag gefordert, sie einfach abzuschaffen.

Wirksamer ist vielleicht, dass vorgesehene Partner von Freihan-delsverträgen der Europäischen Union und sogar andere OECD-Länder die Schiedsgerichtsbarkeit ablehnen. So biss die Brüsseler EU-Spitze Ende Januar auf Granit, als sie beim Gipfeltreffen mit La-teinamerika eine Empfehlung da-für in die Schlusserklärung schreiben lassen wollte. Die OECD-Länder Australien und Neuseeland haben beschlossen, in ihren Investitionsschutz- und Handelsverträgen mit anderen Staaten die entsprechenden Klau-seln zu kündigen. Die USA und Kanada wollen sie im nordameri-kanischen Freihandelsabkom-men (NAFTA) einschneidend än-dern. Heimo Claasen

BRüSSEL Journal

Schweizer Hilfswerke kritisieren Abkommen mit TunesienSchweizer Investitionsabkommen mit an-deren Staaten schützen einseitig die Inter-essen der Investoren und schränken den politischen Handlungsspielraum der Gast-länder ein, kritisiert Alliance Sud, die Ar-beitsgemeinschaft von sechs Schweizer Hilfswerken. Anlass für die Kritik ist ein neues Abkommen mit Tunesien, das das Schweizer Parlament im März gebilligt hat.

Insgesamt hat die Schweiz 130 Abkom-men zum Schutz ihrer Auslandinvestitio-nen abgeschlossen, mehrheitlich mit Ent-wicklungsländern. Diese Abkommen seien ein Vermächtnis der postkolonialen Ära, sagt Peter Niggli, der Geschäftsleiter von Alliance Sud. Mehr und mehr Staaten be-mühten sich deshalb, sie zu revidieren. Die Schweiz allerdings lasse sich diesbezüglich Zeit. Zwar habe sich das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) intern Gedanken dazu gemacht, sagt Niggli, doch sei es nicht akzeptabel, dass dem Parlament mit dem Tunesienabkommen noch ein Vertrag nach altem Muster vorgelegt werde.

Das neue Abkommen mit Tunesien soll einen Vertrag aus dem Jahr 1961 erset-zen. Alliance Sud kritisiert die Neufassung aber als „ebenso veraltet und revisionsbe-dürftig“. Damit Schweizer Investitionen der Entwicklung Tunesiens nachhaltig nützen, sei es notwendig, einzelne Bestim-mungen neu zu formulieren, fordert Alli-ance Sud. Zum Beispiel den sogenannten Enteignungsartikel: Es müsse gewährleis-tet sein, dass öffentliche Umwelt- und Ge-

sundheitsmaßnahmen nicht zu Klagen von Firmen wegen staatlicher Enteignung führen.

Grund für diese Forderung sind Ent-schädigungsklagen von Investoren, die sich von politischen Entscheidungen be-nachteiligt sehen. Der Tabakkonzern Philip Morris mit Hauptsitz in der Schweiz bei-spielsweise hat gegen mehrere Länder Kla-ge eingereicht, weil deren Regierungen das Tabakübereinkommen der Weltgesund-heitsorganisation umsetzen mit dem Ziel, die Bevölkerung vor den Gefahren des Tabak konsums zu schützen.

Trotz dieser Kritik hat das Parlament das Abkommen mit Tunesien gebilligt, so dass der Bundesrat es nun ratifizieren kann. Wie die Reaktionen in Tunesien aus-fallen, ist angesichts der dortigen politi-schen Umwälzungen schwer zu sagen. Die tunesische Regierung habe möglicherwei-se sogar vergessen, dass im Oktober 2012 eine Vereinbarung unterzeichnet wurde, sagt Isolda Agazzi, die bei Alliance Sud für Handelspolitik zuständig ist.

Abdeljelil Bedoui, Gründungsmitglied des tunesischen Forums für wirtschaftli-che und soziale Rechte, teilt die Einschät-zung Agazzis. Das Abkommen sei von ei-ner gestürzten Regierung ausgehandelt und von einer Übergangsergierung unter-zeichnet worden. Er hätte es begrüßt, wenn die Schweiz die Ankunft einer stabilen Re-gierung in Tunesien abgewartet hätte, sagt der Wirtschaftsprofessor. (kam)

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Journal SCHWEIZ

SCHWEIZ

Das Parlament als letzte HoffnungHilfswerke fordern den Erhalt der Schweizer Botschaft in Guatemala

Die Schweiz hält an ihrem Vorha-ben fest, ihre Botschaft in Guate-mala zu schließen. Die Schweizer Hilfswerke leisten hartnäckig Wi-derstand gegen diesen Beschluss. Sie befürchten Nachteile für die Menschenrechtsarbeit in dem mit-telamerikanischen Land.

Im vergangenen Jahr hatte die Re-gierung in Bern beschlossen, die Schweizer Vertretung in Guate-mala zu schließen – aus Kosten-gründen: Ohne Sparmaßnahmen könnten die Öffnung oder Ver-stärkung von Botschaften „in Wachstumsregionen Asiens und der Golfstaaten nicht wie vorge-sehen umgesetzt werden“, heißt

es in einer Stellungnahme des Eidgenössischen Departementes für auswärtige Angelegenheiten (EDA). Im vergangenen November öffnete die Schweiz eine neue Botschaft in Burma.

In einem Brief an das Außen-ministerium weisen 19 Hilfswerke darauf hin, dass die Botschaft in Guatemala der Zivilgesellschaft dort als Plattform für Fragen der Menschenrechte und der Entwick-lung diene. „Eine solche Plattform scheint insbesondere vor dem Hintergrund der gravierenden Menschenrechtsverletzungen, der Abwesenheit eines funktionieren-den Rechtsstaates, der sozialen Ungerechtigkeit und weit verbrei-

teten Armut in Guatemala von zentraler Bedeutung“, heißt es in dem Schreiben. Die Hilfswerke fordern, dass die Schweiz für Gua-temala einen Menschenrechtsbe-rater einsetzt. Das würde es erlau-ben, „an das bisherige Engage-ment der Schweiz anzuknüpfen“ und die Lage der menschlichen Si-cherheit und der Menschenrechte im Land weiter zu beobachten.

Aus dem Antwortschreiben des Außenministeriums an die Hilfswerke geht hervor, dass die Regierung von ihrer Position nicht abrückt. Die Projekte in Gu-atemala, wie etwa die Unterstüt-zung der Internationalen Kom-mission gegen die Straflosigkeit

in Guatemala und die Unterstüt-zung der Staatsanwaltschaft oder der Aufbau eines historischen Po-lizeiarchivs, werden wie vorgese-hen von Costa Rica aus weiter be-treut. Zentralamerika bleibe Schwerpunkt der Direktion für Entwicklung und Zusammenar-beit (DEZA), die in Honduras und Nicaragua vertreten ist.

Einen Hoffnungsschimmer gibt es noch: Das Parlament muss in Kürze über eine Motion (eine Art Antrag) seiner außenpoliti-schen Kommission abstimmen, der den Erhalt der Botschaft for-dert. Gegen ein Ja wäre das Au-ßendepartement machtlos.

Rebecca Vermot

SCHWEIZ – KURZ NOTIERT

SWISSAID fordert politische Wei-chenstellungen, die es dem Bio-landbau ermöglichen, sein volles Potenzial zu entfalten. Das ist das Ziel der Jahreskampagne des Hilfswerks mit dem Titel „Hunger ist biologisch abbaubar“. Es gehe nicht darum, strikten internatio-nalen Biostandards zu folgen, er-klärt SWISSAID-Geschäftsleiterin Caroline Morel. Vielmehr seien lokal angepasste ökologische An-baumethoden, die kostengünsti-ger sind als konventionelle Land-wirtschaft, der Schlüssel zum Er-folg. Zudem würden so langfristig Boden, Wasser und Klima ge-schont. „Bio ist in armen Ländern kein Luxus, sondern schlicht die intelligenteste Überlebensstrate-gie“, sagt Morel. Gefordert sind laut SWISSAID die Landwirt-schaftspolitik, der Agrarhandel, die Forschung und die Finanz-plätze. So fordert das Hilfswerk beispielsweise ein Verbot der Spe-kulation mit Nahrungsmitteln und die Bekämpfung der Produk-tion von Treibstoffen aus Lebens-mitteln wie Mais, Palmöl oder Soja. (kam)

Gütesiegel für zurückgewonnene Rohstoffe: Das schweizerische Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) und die Eidgenössische Materialprüfungs- und For-schungsanstalt (Empa) wollen Qualitäts- und Nachhaltigkeits-standards für rezyklierte Rohstof-fe ausarbeiten. Beim Recycling vor allem in Entwicklungsländern leiden häufig die Umwelt und die Gesundheit der Arbeiter. SECO und Empa wollen unter anderem Ökobilanzen von Sekundärroh-stoffen sammeln und zugänglich machen sowie Pilotprojekte zur Verbesserung von Recyclingket-ten unterstützen. An dem Projekt werden sich neben Recyclingbe-trieben und deren Handelspart-nern auch UN-Organisationen sowie nichtstaatliche Organisati-onen beteiligen. Das SECO und die Empa arbeiten seit zehn Jah-ren bei der Entsorgung von Elekt-rogeräten zusammen. Im Rah-men des „Swiss e-Waste Program-me“ unterstützten sie Indien, Chi-na, Südafrika, Kolumbien und Peru bei der Verbesserung ihrer Entsorgungssysteme. (kam)

Ferrari versus Solidar SuisseFerrari sieht rot und droht Solidar Suisse. ? Das ehemalige Arbeiterhilfswerk der Sozialdemokra-ten und Gewerkschaften hat 50 Entwicklungspro-jekte in aller Welt, Jahresumsatz 12 Millionen Euro. Der italienische Sportwagenhersteller hat 2011 ei-nen Rekordumsatz von 2,2 Milliarden Euro erzielt und über 300 Millionen Gewinn eingestrichen. Zwei Welten treffen hier aufeinander. Der Grund ist ein Spot von Solidar gegen die Nahrungsmittel-spekulation sowie dessen Requisit: Ein roter Ferra-ri, gefahren von einem Mann in Anzug mit leicht angegrautem Haar und dunkler Sonnenbrille. Der Ort: Afrika, eine Ansammlung strohgedeckter Rundhütten mit Mutter, Tochter, Baby. Der Ferrari braust durch die Wüste, bremst; der Mann steigt aus, reißt der Familie wortlos die spärlichen Le-bensmittel aus den Händen und rast davon.

Der Sportwagenhersteller befürchtet nun ei-nen Imageschaden und droht mit rechtlichen Schritten. Ferrari werde mit „rücksichtlosen, kapi-talistischen Bösewichten gleichgestellt, die auf Kosten der Armen immer mehr Reichtum anhäu-fen“. Eine solch unverhohlene und verleumderi-sche Attacke könne nicht toleriert werden. Danke! Ferrari hätte mit seiner bestechenden Analyse das Anliegen von Solidar nicht besser auf den Punkt bringen können. PS: Seit der Drohung Ferraris fah-ren nun Pixel durch die Wüste. (ver)

www.solidar.ch/spekulation

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ÖSTERREICH Journal

ÖSTERREICH

Vom Gebirge in die WüsteWien schickt Soldaten nach Mali

Österreich beteiligt sich an der mi-litärischen Ausbildungsmission der Europäischen Union in Mali EUTM), vor allem mit Sanitätern. Die Opposition hat dagegen prinzi-piell nichts einzuwenden.

Anfang April will die Europäische Union ein etwa 500 Mann starkes Truppenkontingent als Ausbil-dungsmission (EUTM) nach Mali schicken. Österreich wird sich dar-an mit bis zu neun Soldaten betei-ligen. Es handelt sich ausdrücklich nicht um Kampftruppen, sondern um einen Notarzt, einen Chirur-gen, vier Notfallsanitäter sowie zwei Stabsmitglieder, die im Missi-onshauptquartier vertreten sein werden. Rund 20 Personen könn-ten als „Crewmitglieder“ folgen, so das Verteidigungsministerium. Sie werden in einem Feldlazarett unter deutschem Kommando ein-gesetzt. Der Einsatz ist zunächst auf ein Jahr begrenzt.

Gleichzeitig segnete die Regie-rung Hilfszahlungen aus dem Aus-

landskatastrophenfonds in der Höhe von 950.000 Euro ab; weite-re 300.000 Euro werden über die Nahrungsmittelhilfe zur Verfü-gung gestellt. „Damit reagieren wir auf die dringendsten Bedürfnisse der notleidenden Bevölkerung in Mali“, sagte Außenminister Micha-el Spindelegger. Bereits Mitte Feb-ruar hatten die EU-Entwicklungs-minister bei einem Treffen in Dub-lin beschlossen, die Entwicklungs-zusammenarbeit mit Mali wieder aufzunehmen. Österreich werde sich daran beteiligen, sagte Außen-staatssekretär Reinhold Lopatka. Mehr als 16 Millionen Euro, die Wien in den vergangenen fünf Jah-ren an den Europäischen Entwick-lungsfonds überwiesen hat, sollen nach Mali gehen.

Außerdem stellt Österreich bi-lateral insgesamt 3,1 Millionen Euro zur Linderung der Nah-rungsmittelkrise sowie für Flücht-linge und Binnenvertriebene be-reit, davon rund ein Drittel direkt für Mali, der Rest für die Nachbar-

länder. Dort unterstützt Öster-reich nach Angaben von Lopatka die Betreuung und Versorgung malischer Flüchtlinge, insbeson-dere in Burkina Faso, einem Schwerpunktland der österreichi-schen Entwicklungszusammenar-beit.

Die Opposition verweigert sich nicht dem Einsatz österrei-chischer Heeresangehöriger. Ju-dith Schwentner, die entwick-

lungspolitische Sprecherin der Grünen, sagte, sie finde es gut,

„dass nicht nur Frankreich aktiv ist und wir nicht nur zusehen“. Den Einsatz von Ärzten und Sanitä-tern des österreichischen Bundes-heeres begrüßt sie. Allerdings ist sie dagegen, den Einsatz als Ent-wicklungszusammenarbeit zu verbuchen – auch wenn das nach den Kriterien der OECD zulässig wäre. Ralf Leonhard

ÖSTERREICH – KURZ NOTIERT

Einen Plan für mehr Entwicklungs-hilfe fordert Petra Bayr, die Spre-cherin der Sozialdemokratischen Partei für globale Entwicklung. Im vergangenen November hatte der Nationalrat einen Antrag zur Auf-stockung der Entwicklungshilfe beschlossen. Der müsse „mit ei-nem realistischen Stufenplan“ umgesetzt werden, sagte Bayr auf einer Sitzung des Unterausschus-ses für Entwicklungszusammen-arbeit des österreichischen Parla-ments. Österreich hat 2011 ledig-lich 0,27 Prozent des Bruttonatio-naleinkommens für die EZA ausgegeben; der Durchschnitt der OECD-Länder lag bei 0,46 Prozent. Bayr: „Seit Jahren wird Österreich für seine viel zu niedrigen Ent-wicklungszahlungen gerügt. Un-ter allen OECD-Ländern liegt Ös-terreich an viertletzter Stelle.“ (rld)

Brüssel leistet Stabilisierungshilfe für MaliZur Geberkonferenz für den Wiederauf-bau in Mali im Mai will die Europäische Union mit einem „gemeinsamen und um-fassenden“ Paket aufwarten. Die EU werde zusätzlich zu den bereits bereitgestellten 250 Millionen Euro „ihr Engagement für die Erholung des Landes weiter ausbauen“, kündigte die EU-Kommission nach einem Treffen mit den EU-Entwicklungsminis-tern und dem Außen- sowie dem Wirt-schaftsminister von Mali Ende Februar an. Das Geld soll ins Schul- und Gesundheits-wesen, in die Landwirtschaft und in Infra-struktur wie Straßen und Wasserversor-gung fließen. Das soll die Wirtschaft an-kurbeln und rund 20.000 Arbeitsplätze schaffen. Demokratie und Frieden will Brüssel mit Programmen zur Unterstüt-zung der Staatsführung, der Verwaltung öffentlicher Finanzen, der Justiz und der Menschenrechte fördern.

Gleich nach Beginn des französischen Militäreinsatzes hatten die EU-Außenmi-nister im Januar Mali „schnellen Beistand“ zum Erhalt eines funktionierenden Staats zugesagt. Die Kommission genehmigte zu diesem Zweck Mitte Februar ein erstes Pa-ket zur Stabilisierungshilfe in Höhe von 20 Millionen Euro. Mit dem Geld sollen Strafverfolgungsbehörden, die Justiz, lo-kale Gebietskörperschaften sowie Initiati-ven zur Aussöhnung auf lokaler Ebene und zur Vorbereitung der bevorstehenden Wahlen gefördert werden. Zuvor hatte Ma-lis Übergangsregierung Ende Januar einen Fahrplan zur Reform des Staates und für Wahlen vorgelegt. Weitere EU-Hilfen wür-den Schritt für Schritt an die Einhaltung dieses Fahrplans gebunden, sagte EU-Ent-wicklungskommissar Andris Piebalgs nach dem Ministertreffen Ende Februar. (hc)

Sie kriegen bald Verstärkung aus Österreich: Französische Soldaten der EU-Trainingsmission für Mali.

piCTuRe allianCe/dpa

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Journal KIRCHE UND ÖKUMENE

KIRCHE UND ÖKUMENE

„Die Revolution hat die Köpfe geöffnet“Erzbischof Ludwig Schick auf Solidaritätsbesuch in Ägypten

Eine spannendere Zeit hätte sich Erzbischof Ludwig Schick für sei-nen Solidaritätsbesuch in Ägypten kaum aussuchen können. Einen Tag bevor westliche Botschaften ihre Bürger aufforderten, das Stadtzentrum Kairos zu meiden, machte sich der Vorsitzende der Kommission Weltkirche der Deut-schen Bischofskonferenz zu einem Gang über den Tahrir-Platz auf.

Der Tahrir-Platz gleicht auch zwei Jahre nach der Revolution einem Zeltplatz. Der hartnäckige Kern der Demonstranten hat sich auf dem großen Rondell in der Mitte ein Lager eingerichtet. Vor zwei Jahren richtete sich der Zorn Hunderttau-sender gegen das Regime Muba-rak. Heute ist der Unmut über die Regierung von Mohammed Mursi und die Muslimbrüder in ganz Ägypten so groß, dass viele schon in Kürze wieder mit Massende-monstration rechnen. Fast täglich kommt es zu Ausschreitungen rund um den Tahrir-Platz.

„Das ist schon alles sehr bedrü-ckend“, sagt Erzbischof Schick, der nur an seinem Collarkragen als geistlicher Würdenträger zu er-kennen ist – eine eher bescheide-ne Aufmachung für ein Land, in dem die Geistlichkeit, egal wel-cher Religion oder Konfession, nicht an prächtigen Gewändern spart. Schick läuft schweigend an

den Zelten der Oppositionspartei-en vorbei, hält kurz am improvi-sierten Revolutionsmuseum an, lässt sich einige an Tücher gepinn-te Zeitungsausschnitte erklären. Gegenüber hängt ein noch fri-sches Plakat: „Obama supports Dictator Mursi“ ist zu lesen – eine Anspielung auf den Besuch des neuen amerikanischen Außenmi-nisters John Kerry, der Ägypten gerade ein hohes Darlehen zuge-sagt hat. Schick seufzt, nachdem er die vier Worte vorgelesen hat.

„Jugendliche sehen für ihr Heimatland kaum eine Zukunft“Für den Vorsitzenden der Kom-mission Weltkirche ist es der erste Besuch in Kairo. Eine Woche lang trifft Schick Vertreter aus der Poli-tik und den Kirchen, um mehr über die Situation des Landes und insbesondere der Christen in Ägypten zu erfahren. Er nehme eine „tiefe Beunruhigung über die weitere Entwicklung Ägyptens“ wahr. „Gerade die Jugendlichen se-hen für sich und ihr Heimatland kaum eine Zukunft. Neue Initiati-ven für eine gerechte und friedli-che Entwicklung sind dringend erforderlich.“ Was Hoffnung ma-che, sei die Entschlossenheit vieler Muslime und Christen, sich nicht gegeneinander aufbringen zu las-sen, sondern das Land gemeinsam voranzubringen.

Der Weg durch das Stadtzent-rum führt am Religionsministeri-um vorbei. „Die Revolution hat die Köpfe geöffnet“, sagt Schick. „Es ist so viel in Bewegung gekommen.“ Man wisse aber nicht, ob die Ener-gie in die richtige Richtung fließen werde. „Die Kirchen müssen zu-sammenarbeiten und tun es ja auch schon“, sagt Schick und spielt auf den kürzlich erst gegründeten Ägyptischen Kirchenrat an. Es müsse nur endlich jemanden ge-ben, der politisch das Heft in die Hand nehme und alle Kräfte, die das Land im positiven Sinne ent-wickeln könnten, um sich vereine. „Die Kirchen können nur indirekt auf die Politik einwirken“, sagt Schick. Sie hätten aber ein unge-mein großes Potenzial. Allein im Erziehungsbereich könnten sie

„mit den vielen, guten Privatschu-len sehr viel bewirken“.

In einer Seitenstraße hält Monsignore Joachim Schroedel, der Seelsorger der deutschspra-

chigen Katholiken im Nahen Os-ten, noch einmal an. „In den vie-len kleinen Kaffees versammelt sich die Jugend immer vor den Demonstrationen“, erklärt er. Während der Revolution habe man sich hier aber auch zwischen-drin ausgeruht. Der Erzbischof aber muss weiter, der nächste Ter-min steht schon auf dem Plan. Auch die Sicherheit ist derzeit in den Straßen von Kairo ein großes Thema. Die Kriminalitätsrate ist in den letzten Monaten stark ge-stiegen: Die wirtschaftliche Lage lässt viele Leute verzweifeln. Und da viele Polizeistationen mittler-weile in Streik getreten sind, wer-den insbesondere Ausländer vor Diebstählen im Stadtzentrum ge-warnt.

Nur einmal bleibt die Gruppe noch kurz stehen. Schroedel hat gerade eine SMS von einem mus-limischen Gesprächspartner am Vorabend bekommen. „Das muss ich vorlesen“, sagt er lachend zu Schick. „Er bedankt sich bei uns für das gute Gespräch und lässt Grüße an ‚His Majesty Holy Fa-ther‘ ausrichten.“ „Ach, bitte nicht“, winkt Schick ab. „Ich bin doch nicht der Papst.“

Katja Dorothea Buck

Besuch in Ägypten: Pfarrer Joachim Schroedel, Erzbischof Ludwig Schick und Ulrich Pöner von der Deutschen Bischofskonferenz (von links).KaTJa doRoThea buCK

KIRCHE UND ÖKUMENE – KURZ NOTIERT

Der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) hat die Evange-lisch-Lutherische Kirche in Jordanien und im Heiligen Land (ELKJHL) als 350. Mitgliedskirche aufgenommen. Eigent-lich ist die Kirche zu klein für eine Vollmitgliedschaft. ÖRK-Generalsekretär Olav Fykse Tveit erklärte, mit die-ser Ausnahmeentscheidung wolle der ÖRK den bedräng-ten Kirchen im Nahen Osten besonderes Gewicht geben. Die ELKJHL hat ihre Wurzeln in der Missionarstätigkeit im Heiligen Land im 19. Jahrhundert und hat heute vier Gemeinden, denen insgesamt 3000 Mitgliedern ange-hören. Seit Jahren unterstützt die Kirche die Arbeit des ÖRK in der Region zum Beispiel beim Ökumenischen Begleitprogramm in Palästina und Israel sowie im Öku-menischen Forum für Israel/Palästina. Eine Rolle bei der Aufnahme dieser kleinen Kirche in den ÖRK wird auch gespielt haben, dass ihr Bischof Munib Younan seit Juli 2010 Präsident des Lutherischen Weltbundes ist. (kb)

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KIRCHE UND ÖKUMENE Journal

KIRCHE UND ÖKUMENE

Rückzug ins PrivateDie Kirchen suchen Strategien im Umgang mit Gewalt und Chaos im Kongo

Die Kirchen sind in der Demokrati-schen Republik Kongo eine wichti-ge politische Stimme. Doch trotz ihres Engagements sind Korrupti-on und Gewalt nicht zurückgegan-gen. Manche Kirchen konzentrie-ren sich deshalb verstärkt auf die Familie und die individuelle Ethik.

Politische Statements der Kirchen sind im Kongo keine Seltenheit. Anfang Februar haben Religions-führer in einer gemeinsamen Er-klärung das neue Wahlgesetz kri-tisiert. Protestanten, Katholiken, Orthodoxe und Muslime bemän-geln, dass das Gesetz zur Neu-strukturierung der Wahlkommis-sion keine ausreichenden Garan-tien für deren Unabhängigkeit biete. Die Besetzung mit Vertre-tern politischer Parteien stärke weder den nationalen Zusam-menhalt, noch erhöhe sie die Glaubwürdigkeit des Wahlprozes-ses. Vielmehr würden die Ursa-chen der politischen Konflikte ze-mentiert.

Das neue Wahlgesetz entstand vor dem Hintergrund der Wahlen Ende 2011. Deren Ergebnis war aufgrund von Unregelmäßigkei-ten in Frage gestellt worden. Das Parlament hat den neuen Geset-zestext bereits verabschiedet. Die Religionsgemeinschaften appel-lieren an Präsident Joseph Kabila, das Gesetz nicht zu unterzeich-nen, sondern an das Parlament zurückzuverweisen. Sie fordern eine mit unabhängigen Personen besetzte Wahlkommission.

Im Kongo sind etwa 90 Pro-zent der Bevölkerung Christen. Insbesondere die beiden großen Kirchen wie die Katholische Kir-che im Kongo und der protestan-tische Kirchenbund Eglise du Christ au Congo (ECC) engagieren sich politisch, etwa indem sie füh-rende Vertreter in politische Gre-mien schicken oder politische Prozesse kritisch begleiten. So hat die katholische Kirche vor den Parlaments- und Präsidentenwah-len im November 2011 mehr als

30.000 ehrenamtliche Wahlbeob-achter ausgebildet.

„Das Wort der Kirchen hat im Kongo großes Gewicht“, sagt Ilona Auer-Frege vom Ökumenischen Netz Zentralafrika. Die Kirchen seien in dem von Korruption und Misswirtschaft geprägten Land die einzige Organisation der Zivil-gesellschaft, die funktioniert. Sie trügen fast den gesamten Bil-dungs- und Gesundheitssektor.

Kirchenvertreter zweifeln am Sinn ihres EngagementsManche Vertreter der Kirchen se-hen allerdings keinen großen Sinn mehr im politischen Enga-gement. Zu wenig hat sich bisher verbessert. Das gilt vor allem für den Ostkongo, dessen Bevölke-rung seit Jahren unter den gewalt-samen Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen Re-bellen- und Regierungstruppen leidet. „Dort herrscht das Gefühl der Hilflosigkeit. Die Menschen haben den Eindruck, dass die Welt

sie vergessen hat und sie ein Spielball von Mächten sind, die sie nicht kennen“, sagt Claudia Währisch-Oblau, Leiterin der Ab-teilung Evangelisation bei der Vereinten Evangelischen Mission (VEM) in Wuppertal.

Währisch-Ohlau hat vor kur-zem die VEM-Mitgliedskirche in Ostkongo besucht. Die Zentralaf-rikanische Baptisten-Gemein-schaft (CBCA) gehört zu den grö-ßeren Kirchen in Nord- und Süd-Kivu. Ihr Präsident Kakule Molo, der bis 2011 Parlamentsabgeord-neter war, hat sich frustriert aus der Politik zurückgezogen. „Ange-sichts der katastrophalen Zustän-de im Ostkongo stellt sich die Kir-che die Frage, was sie dem Chaos und der Gewalt vor Ort entgegen-setzen kann“, sagt Währisch-Ob-lau. Neben der diakonischen Ar-beit für Flüchtlinge und für die Opfer der Gewalt sei insgesamt ein Rückzug auf kleinste Struktu-ren wie Familie und Kirchenge-meinden zu erkennen. Das Ver-trauen in die Regierung und die Vereinten Nationen sei zerstört.

Hinzu komme die große Ar-mut. „Viele meinen, dass sie nur mit vorgehaltener Waffe an Güter herankommen“, sagt Währisch-Oblau. In Predigten und Gottes-diensten gehe es deshalb vor al-lem um das richtige Verhalten des einzelnen. „Die CBCA sieht die Not auf einer geistlichen, psychologi-schen und ethischen Ebene.“ Zu einem ähnlichen Schluss kommt Ka Mana, Präsident des Pole-Insti-tuts, einer 1997 gegründeten For-schungseinrichtung für die Regi-on der Großen Seen. Die Proble-me des Kongo könnten nicht mili-tärisch gelöst werden, schreibt er zu den schwierigen Friedensver-handlungen zwischen der Regie-rung und der Rebellengruppe M23. Die Lösung liege im ethi-schen Handeln der Führungskräf-te und bei der Bevölkerung, die verantwortlich für das Zusam-menleben ist. Katja Dorothea Buck

Neues evangelisches Entwicklungswerk eröffnetMit einem Festakt wurde am 14. März in Berlin das neue Evangelische Werk für Dia-konie und Entwicklung eröffnet. Die Evan-gelische Kirche in Deutschland (EKD) hat in dem Werk die Diakonie, zu der auch die Hilfswerke „Brot für die Welt“ und Diako-nie Katastrophenhilfe gehören, und den Evangelischen Entwicklungsdienst zu-sammengeführt. Bundesentwicklungs-minister Dirk Niebel sagte auf dem Fest-akt, es sei richtig Sozialpolitik und Ent-wicklungspolitik unter einem Dach zu bündeln. Das neue Zentrum sei „Aus-druck gelebter Globalisierung“. Die Präsi-dentin von „Brot für die Welt“, Cornelia Füllkrug-Weitzel, betonte, die Aufgaben des neuen Werks könnten nur mit welt-weiter Perspektive und nah am Men-schen gelöst werden. Füllkrug-Weitzel hob zudem die politische Bedeutung der Arbeit des Werks hervor. Der Ratsvorsit-

zende der EKD, Nikolaus Schneider, sagte, das neue Zentrum sei eine „Basisstation“, in der die Mitarbeiter sich für ihre Einsätze im In- und Ausland stärken könnten. (ell).

Cornelia Füllkrug-Weitzel, Brot für die Welt.epd-bild / andReas sChoelZel

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Journal KIRCHE | GLOBAL LOKAL

GLOBAL LOKAL

Papiertiger oder Wegweiser?Das Eine Welt Netz Nordrhein-Westfalen diskutiert über neue Entwicklungsziele

2015 endet die Laufzeit der Ent-wicklungsziele der Vereinten Nati-onen. Die Debatte um ihre Nachfol-ge hat begonnen – auch auf der Landeskonferenz des Eine Welt Netzes Nordrhein-Westfalen im März in Münster. Hilfsorganisatio-nen wie „terre des hommes“ drän-gen darauf, die Industrieländer künftig stärker in die Pflicht zu neh-men.

Für das Eine Welt Netz, den Dach-verband von rund 1000 Gruppen, Organisationen und Einzelmit-glieder im Bundesland, diente die Landeskonferenz vor allem der Positionsfindung zu einem The-ma, das die entwicklungspoliti-sche Debatte in den kommenden zwei Jahren bestimmen wird. „Die Entwicklungsziele geben einen wichtigen Rahmen für unsere Ar-beit ab“, sagt Jens Elmer vom Eine Welt Netz, „und sie sind wichtig

für die Vermittlung unserer The-men in die Öffentlichkeit“.

Den im Jahr 2000 von den UN verabschiedeten Entwicklungszie-

len liegt noch die Vorstellung ei-nes „entwickelten“ Nordens und eines „unterentwickelten“ Südens zugrunde. Sie richten sich in ih-

rem wichtigsten Anliegen, dem Abbau der extremen Armut, vor allem an die Regierungen der Ent-wicklungsländer. Die Armutsbe-kämpfung dort war nicht zuletzt für viele Hilfswerke aber auch gut in der Öffentlichkeit vermittelbar.

Diese Vorstellung ist durch den wirtschaftlichen Erfolg der Schwellenländer, aber auch durch steigende Ressourcenknappheit und den Klimawandel längst überholt. Es wird immer deutli-cher, dass der Entwicklungsweg der Industrieländer kein Vorbild sein kann. Dem sollen die neuen Ziele Rechnung tragen – sie wer-den unter der Bezeichnung „Sus-tainable Development Goals“ (Nachhaltigkeitsziele) diskutiert. In der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit spielen Fragen nach Lebensstilen und Konsum-mustern schon seit geraumer Zeit eine zentrale Rolle.

Armut in einem reichen Land: Ein Obdachloser in der Berliner U-Bahn.

piCTuRe allianCe/dpa

KIRCHE UND ÖKUMENE

Kirchen sollen ihre Marktmacht nutzen Hilfswerke starten ökumenische Kampagne „Glaubhaft fair“

Für bis zu 80 Milliarden Euro kau-fen die Kirchen in Deutschland je-des Jahr Waren und Dienstleistun-gen. Nur ein geringer Teil davon wird „fair“ eingekauft. Evangeli-sche und katholische Hilfswerke wollen das ändern.

Seit Jahren fordern Hilfswerke, dass Gemeinden und kirchliche Einrichtungen fair gehandelte und ökologisch produzierte Le-bensmittel einkaufen. Ihre Appel-le sind bisher allerdings vielfach verhallt, wie eine Studie von „Brot für die Welt“ und dem Evangeli-schen Entwicklungsdienst für den evangelischen Bereich Ende 2011 gezeigt hat (siehe weltsichten 12/2011). Demnach blieben kirchli-

che Einrichtungen wie Kranken-häuser, Akademien, Tagungsstät-ten oder Kindergärten in ihrem Einkaufsverhalten weit hinter dem zurück, was sozial und ökolo-gisch für eine zukunftsfähige Kir-che und eine gerechtere Weltwirt-schaft notwendig wäre. Nicht ein-mal zehn Prozent der in evangeli-schen Kirchen und diakonischen Einrichtungen verwendeten Pro-dukte würden nach sozialverant-wortlichen Kriterien eingekauft.

Das muss sich ändern, finden die Christliche Initiative Romero, Misereor, Brot für die Welt – Evan-gelischer Entwicklungsdienst so-wie das Projekt „Zukunft einkau-fen – Glaubwürdig Wirtschaften in den Kirchen“. Mit ihrer gemeinsa-

men Kampagne wollen sie den Kirchen helfen, ihre Markmacht besser zu nutzen und mit Werten wie Solidarität, Gerechtigkeit und Nächstenliebe in Einklang zu brin-gen. Nach Schätzungen der Initia-toren kaufen evangelische und katholische Einrichtungen jedes Jahr Waren und Dienstleistungen im Wert von 40 bis 80 Milliarden Euro. „Würde diese Summe gezielt sozialverantwortlich eingesetzt, könnte sie einen wichtigen Beitrag zur Einhaltung globaler Arbeits- und Menschenrechte sowie zum Klima- und Umweltschutz leisten“, heißt es in einer Erklärung zum Start der Kampagne.

Die Hilfswerke bringen ihre je-weilige Expertise in die Kampagne

ein. Brot für die Welt und Evangeli-scher Entwicklungsdienst hatten sich in den vergangenen Jahren auf das Konsumgut Kaffee spezia-lisiert; die Christliche Initiative Romero ist im Bereich Kleidung besonders erfahren. Material der Kampagne kann bei den Hilfswer-ken angefordert oder im Internet heruntergeladen werden. Eine 32-seitige Werkmappe mit dem Ti-tel „Wie fair kauft meine Kirche?“ gibt es bei der Christlichen Initiati-ve Romero. Sie enthält Informatio-nen über die Arbeitsbedingungen bei der Herstellung von Produkten wie Kaffee oder Schokolade, Ar-beitskleidung oder Informations-technologie und zeigt Alternati-ven auf. Katja Dorothea Buck

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Organisationen der Zivilge-sellschaft wollen ihre Anliegen in den Entwicklungszielen nach 2015 verankert sehen. Für Danuta Sa-cher vom Kinderhilfswerk „terre des hommes“ knüpft die Debatte an eine Grundsatzdiskussion an, die die Organisation schon seit Längerem führt. Es ist die Frage nach dem Ziel von Entwicklung.

„Die Scheidelinie verläuft nicht mehr zwischen Nord und Süd“, sagt Sacher. Sie verlaufe mitten durch die einzelnen Länder. „Heu-te lautet die entscheidende Frage: Wer lebt auf wessen Kosten?“ Bei Spendern und in der Öffentlich-keit sieht Sacher ein Interesse an globaler Gerechtigkeit jenseits der klassischen Hilfe für Bedürftige.

Die Debatte um die neuen Entwicklungsziele vermischt sich mit der zunehmenden Kritik am

westlichen Wachstumsmodell, die von der Finanzkrise befeuert wird. Für Jens Elmer ist wichtig, dass sich das Drängen nach einem glo-balen Umsteuern in künftigen Zie-len niederschlägt. „Wir wollen die Verantwortung des Nordens stär-ker betonen“, unterstreicht er.

Allerdings stehen Wachstums-kritik und Nachhaltigkeit in einer Spannung zur Armutsbekämp-fung, die nach wie vor für viele Projektpartner im Süden oberste Priorität hat. Partner vor allem in Lateinamerika befürchteten eine neue Bevormundung, berichtet Danuta Sacher von „terre des hommes“. „Ihr könnt uns nicht sa-gen, ihr dürft jetzt nicht mehr wachsen“, zitiert sie diese Besorg-nis. Im Gegensatz zu den Indus-trienationen müssen in weiten Teilen Afrikas, Lateinamerikas

und sogar in einigen Ländern Asi-ens erst einmal die Grundbedürf-nisse einer breiten Bevölkerungs-schicht erfüllt werden.

„Sie werden Wachstum brau-chen für eine bessere Infrastruk-

tur, für Schulen und ein gute Ge-sundheitsvorsorge“, sagt Danuta Sacher. Die Lösung könne deshalb nur in einer Bekämpfung der Ar-mut „in Respekt vor den Grenzen der Natur“ liegen. Claudia Mende

GLOBAL LOKAL | PERSONALIA Journal

PERSONALIA

Auswärtiges AmtErstmals seit 1989 hat Deutschland wieder eine dip-lomatische Ver-tretung für So-malia: Ende Feb-

ruar wurde Margit Hellwig-Bötte in Mogadischu als deutsche Bot-schafterin akkreditiert. Die 54-Jährige ist zugleich Botschafte-rin in Kenia und war in dieser Funktion auch bisher schon für das Nachbarland Somalia diplo-matisch zuständig. Ihre Amtsge-schäfte für Somalia wird sie vor-erst von Nairobi aus führen, weil die Lage in Mogadischu noch zu unsicher ist.

Exposure- und Dialogprogramme e.V.Bundestagspräsident Norbert Lammert ist neuer Schirmherr des Vereins Exposure- und Dia-logprogramme. Der Verein orga-nisiert gemeinsam mit Partneror-ganisationen seit mehr als 20 Jahren Exposure-Reisen in Ent-wicklungsländer. Die Teilnehmer – Entscheidungsträger aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft – er-

halten auf diesen Reisen Eindrü-cke vom Leben in ärmeren Län-dern.

Internationales Konversions-zentrum Bonn (BICC)Conrad Schetter ist seit März neu-er Wissenschaftlicher Direktor des Friedensforschungsinstituts BICC. Der 46-Jährige war bisher Direktor am Zentrum für Ent-wicklungsforschung in Bonn. Er

teilt sich die Leitung des BIC mit Michael Dedek, der für kaufmän-nische Angelegenheiten verant-wortlich ist.

ÖSTERREICH

Südwind Werner Hörtner, langjähriger Re-dakteur des entwicklungspoliti-schen Magazins „Südwind“, geht

in Pension. Der Journalist war Mitgründer des Österreichischen Informationsdiensts für Entwick-lungspolitik (ÖIE), der Vorgänger-organisation des Herausgeber-vereins von „Südwind“. Nach eh-renamtlicher Tätigkeit für den ÖIE übernahm er 1990 als ange-stellter Redakteur die Ressorts La-teinamerika und Asien bei „Süd-wind“. Derzeit arbeitet er an ei-nem Buch über Kolumbien.

AusgezeichnetDer südsudanesische Bischof Paride Taban hat den diesjährigen Sergio Vieira de Mello-Frie-denspreis der Vereinten Nationen erhalten. Die UN zeichnen Bischof

Taban für seine Bemühungen um Frieden und Versöhnung zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen und Religionen im Südsudan aus. Der Friedenspreis ist nach dem früheren UN-Hochkommissar für Menschenrechte benannt, der 2003 bei einem Terroranschlag im Irak getötet wurde.

Der Journalist Felix Ehring hat den zweiten Platz des diesjährigen Journalistenpreises „Welt- bevölkerung“ erlangt. Ehring wird für einen Beitrag über das Schick-

sal von AIDS-kranken Frauen in Malawi ausgezeichnet, der bei „Zeit online“ er-schienen ist. Der 31-Jährige arbeitet als freier Journalist und Redakteur und hat von 2008 bis 2010 ein Volontariat bei „welt-sichten“ absolviert. Der Preis wird jährlich von der Deutschen Stiftung Welt-bevölkerung vergeben.

GLOBAL LOKAL – KURZ NOTIERT

Ein neues Internetportal informiert über die Entwick-lungspolitik der Bundesländer. Verantwortlich dafür zeichnet das Deutsche Komitee des World University Service im Auftrag der Bundesländer. Die Plattform ist mit den für die Entwicklungszusammenarbeit verant-wortlichen Ministerien in den 16 Ländern verlinkt und bietet eine Liste der Ansprechpartner für Eine-Welt-The-men. Außerdem finden sich auf der Seite umfangreiche Informationen zu Themen der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit sowie Links zu zentralen Dokumenten, darunter entwicklungspolitische Leitlinien und offiziel-le Stellungnahmen zur Entwicklungspolitik. (cm)www.entwicklungspolitik-deutsche-laender.de

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FILMKRITIK

Stimmen des WandelsDer Dokumentarfilmer Nils Aguilar setzt den gegen-wärtigen Krisen um Klima, Ernährung und Geld alter-native Produktions- und Konsumweisen entgegen. Er ist dafür nach Frankreich, Großbritannien und Kuba gereist und liefert reichlich Denkanstöße.

Wie können wir dem Klimawandel, den knapper wer-denden Ressourcen und drohenden Hungersnöten entgegentreten? Wie gestalten wir den Übergang in eine postfossile, lokal verankerte Wirtschaft? Es sind keine kleine Fragen, mit denen sich Nils Aguilar in seinem ersten Dokumentarfilm „Voices of Transition“ befasst. Parallel zu seinem Soziologie- und Philoso-phiestudium in Paris hat er vier Jahre an dem Low Budget-Projekt gearbeitet, das er nur mit Hilfe von Stipendien, Crowdfunding und vielen Freiwilligen fertigstellen konnte. Der Film lässt Landwirte, Agrar-ingenieure, Umweltaktivisten und Bürger zu Wort kommen und liefert reichlich Denkanstöße – auch dank anschaulicher Beispiele des ökonomischen und sozialen Wandels.

Schauplätze sind Frankreich, Großbritannien und Kuba. Der erste Teil zeigt anhand der Düngerpro-duktion und der globalen Handelsketten rund um den riesigen Lebensmittelmarkt im französischen Rungis auf, wie stark die industrielle Agrarwirtschaft vom Erdöl abhängig ist. Als mögliche Auswege wer-den Konzepte der Agroforstwirtschaft und der Per-makultur vorgestellt, die wie traditionelle bretoni-sche Waldgärten auf Biodiversität statt Monokultu-ren setzen. Der Mittelteil dreht sich um das Waldgar-tenkonzept und die Bewegung der Transition Towns, deren Einwohner Strukturen aufbauen, die eine hö-here Widerstandskraft gegen die Abhängigkeit vom Öl, den Klimawandel und Wirtschaftskrisen entwi-ckeln sollen. Als Wortführer fungiert der Permakul-turexperte Rob Hopkins, der im irischen Kinsale die Transition Town-Bewegung mitgegründet hat, der inzwischen etwa 1000 Städte in 35 Ländern angehö-

ren. Der letzte Strang schildert die Erfolge Kubas bei der Umstellung auf Agrarökologie und städtische Biolandwirtschaft. Kuba wurde dazu quasi gezwun-gen, als die Sowjetunion Anfang der 1990er Jahre zusammenbrach und der kommunistische Insel-staat damit von der Erdölversorgung abgeschnitten war. „Wir haben uns einreden lassen, dass es ohne Chemie nicht geht“, sagt die Ingenieurin Samura Torres. „Mit dieser Mentalität müssen wir brechen.“ Das ist offenbar gelungen: In der kubanischen Hauptstadt Havanna liefern heute Kooperativen etwa 70 Prozent des konsumierten Obstes und Ge-müses, laut Aguilar sogar in Bioqualität. Deutlich wird aber auch, dass die Dezentralisierung ein lang-wieriger Prozess ist und noch immer 40 Prozent der nutzbaren Agrarflächen brachliegen.

Als zentrales Prinzip arbeitet Aguilar die Resili-enz, also die Widerstandsfähigkeit gegen Krisen und ökonomische Schocks, heraus. Der erste Schritt sei, die Nahrungsmittelproduktion wieder stärker auf die lokale Ebene zu verlagern. Auch andere Ebenen des Zusammenlebens müssten umgestaltet werden, damit Kreisläufe ineinandergreifen können. „Die Schlüsselbegriffe heißen Dezentralisierung, Diversi-tät, Kooperation und freie Wissensverbreitung“, sagt der 31-Jährige. „Zentral ist, dass durch neue Lebens-praktiken auch ein Wertewandel angestoßen wird.“

Bei aller Kritik an bestehenden Missständen möchte der Regisseur – auch im Kontrast zu anderen anklagenden Filmen – vor allem „positive Lösungs-wege aufzeigen“ und so „zum Handeln inspirieren“. Sein engagierter Thesenfilm, der zuweilen unter zu vielen „redenden Köpfen“ leidet, erhebt aber nicht den Anspruch, für alle möglichen Fragen maßge-schneiderte Antworten zu liefern, oder die Entschei-dungsbefugnis der Politik zu ersetzen. So lässt sich das Problem des globalen Hungers oder der Massen-arbeitslosigkeit auf die Schnelle sicher nicht von ei-ner Graswurzelbewegung lösen. Reinhard Kleber

REZENSIONEN

Landreform unter der LupeDer Entwicklungsexperte Prosper Matondi ordnet die Folgen der Landreform in Simbabwe ein – kenntnis-reich und mit vielen Fakten. So entsteht ein differen-ziertes Bild der umstrittenen Reform, die als eine zent-rale Ursache für den Niedergang der Wirtschaft gilt.

Land ist ein politisches Kampfthema in Simbabwe. Das gilt nicht nur für die Wahlkämpfe im vergange-nen Jahrzehnt, vielmehr zieht sich die Politisierung der Landfrage durch die Auseinandersetzungen über

das koloniale Erbe. Als Simbabwe 1980 unabhängig wurde, kam die Regierung unter Robert Mugabe den weißen Großfarmern entgegen: Sie konnten ihren Besitz zunächst behalten oder freiwillig verkaufen. Schließlich sorgten die Exporterlöse der Tabakpro-duzenten für hohe Deviseneinnahmen. In politi-schen Krisenzeiten wurde die Landfrage zum Streit-punkt, insbesondere im Zuge der Kontroversen über eine neue Verfassung im Jahr 2000. Mit der Enteig-nung der weißen Farmer und illegalen Farmbeset-

Zimbabwe’s Fast Track Land ReformZed books, london 2012286 seiten, ca. 29 euro

„Voices of Transition“frankreich/deutschland 2012Regie: nils aguilar, 65 Minutenaufführungstermine: ab 27. april 2013 auf Kino-Tour in deutschland, www.voicesoftransition.org

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REZENSIONEN service

zungen begann der wirtschaftliche Niedergang. In-zwischen sind die enteigneten Farmen neu verteilt und es ist ein Streit darüber entbrannt, wie die Land-reform einzuschätzen ist. Auch Agrarwissenschaftler nutzen ihre Forschungen, um deren Erfolge oder De-fizite zu unterstreichen. Hier ist das Buch von Pros-per Matondi einzuordnen. Der Experte für ländliche Entwicklung beschreibt in seiner faktenreichen Stu-die die politischen und rechtlichen Rahmenbedin-gungen, die den Landreformprozess kennzeichnen. Ferner erläutert er die ökonomischen, infrastruktu-rellen und gesellschaftlichen Faktoren, die den Land-zugang und die Produktivität der neuen Farmbesit-zer prägen. Seine Untersuchung konzentriert sich weitgehend auf den Mazowe-Distrikt, ein fruchtba-res Gebiet nördlich von Harare.

Die geographische Nähe der Ländereien zur Hauptstadt ist vor allem für Staatsdiener attraktiv, die an den Wochenenden gern auf ihren neuen Be-sitztümern verweilen. Matondi beschreibt ihre man-gelnden Kenntnisse und die Konflikte mit Farmarbei-tern, die schon für die weißen Vorbesitzer tätig waren. Anordnungen zur Aussaat von Saatgut zum falschen Zeitpunkt oder zur Verwendung des falschen Dün-gers belegen exemplarisch, wie Macht unter neuen Vorzeichen etabliert wird und warum die Erträge so

gering sind. Auch die Agrarberater haben oft einen schweren Stand gegenüber den neuen Eigentümern, die ihre Farmen vor allem als Prestigeobjekte sehen.

Kleinbauern, die über parteipolitische Patronage oder Zugehörigkeit zu einem Chief an ihr neues Land gekommen sind, praktizieren dagegen ganz unterschiedliche Strategien: Sie reichen von der An-lage kleiner Felder oder Gärten bis hin zur weiteren Verpachtung an Verwandte oder Bekannte. Anhand von Statistiken weist Matondi nach, dass vor allem etablierte Männer mittleren Alters als neue Besitzer registriert sind. Junge, arme Männer erhalten eben-so wenig wie Witwen oder allein erziehende Mütter Landrechte, auf die sie aber existentiell angewiesen wären. Manche neue Besitzer haben ihr Land schon wieder verlassen, weil die erwartete technische, fi-nanzielle und logistische Unterstützung durch die Regierung ausblieb. Die früheren Großfarmen sind vor allem bei der Bildung und bei der medizinischen Versorgung schlechter ausgestattet als die Dörfer, aus denen die Kleinbauern kommen.

Das Buch bietet viele interessante Detailinfor-mationen für alle, die sich für die Situation vor Ort interessieren und politische Reden zur Landreform im anstehenden Wahlkampf kritisch hinterfragen wollen. Rita Schäfer

Ein neuer Blick auf die UngleichheitDer US-amerikanische Ökonom James K. Galbraith hat einen lesenswerten Beitrag zur Debatte über die wachsende soziale Ungleichheit geschrieben. Manche Formeln und Datenreihen sind allerdings nur etwas für Spezialisten.

Die soziale Ungleichheit ist in den vergangenen Jahr-zehnten in den meisten Ländern gewachsen; darin sind sich mehrere internationale Organisationen in neuen Berichten einig. Der US-amerikanische Öko-nom James K. Galbraith macht den politisch geför-derten Aufstieg des Finanzsektors seit 1980 dafür verantwortlich – ebenso wie für die Instabilität der globalen Wirtschaft. Die meisten Ökonomen, klagt Galbraith, hätten Ungleichheit entweder ignoriert oder nur auf Armut und einzelne Haushalte ge-schaut. Dagegen fragt er nach dem Zusammenhang mit Veränderungen der Wirtschaft insgesamt.

Er greift auf die alte These von Simon Kuznets zu-rück, nach der soziale Ungleichheit im Industrialisie-rungsprozess erst zu- und dann wieder abnimmt. Die entscheidende Einsicht dahinter sei, dass der Strukturwandel von der Agrar- zur Industrie- und dann zur Dienstleistungsgesellschaft die Einkom-mensunterschiede zwischen den Sektoren verän-dert, und die sei der wichtigste Bestimmungsfaktor von Ungleichheit.

Leider sind Daten zu Ungleichheit – die meist auf Umfragen beruhen – lückenhaft und schwer zwi-schen Ländern und über die Zeit vergleichbar. Galb-

raith bietet dafür eine verblüffende Lösung: Er er-zeugt neue Daten, indem er nicht die Ungleichheit zwischen einzelnen Haushalten, sondern zwischen größeren sozialen Gruppen betrachtet. Aus den meisten Ländern gibt es recht verlässliche Datenrei-hen zu Gehältern in einzelnen Industriezweigen und zu Einkommensunterschieden zwischen Landestei-len, etwa Provinzen.

Daraus errechnet Galbraith, wie sich jeweils Ein-kommensunterschiede zwischen Sektoren und Regi-onen verändert haben. Der informelle Sektor und die Kapitaleinkommen werden dabei weitgehend vernachlässigt und große Firmen besser als kleine erfasst. Dennoch ergibt das laut Galbraith einen gu-ten Indikator für soziale Ungleichheit; das zeige der Vergleich mit anderen Daten. Und man könne so er-mitteln, welche Sektoren wie stark zur Ungleichheit beitragen.

Galbraith bestätigt die These von Kuznets in mo-difizierter Form: Ungleichheit wachse am Beginn der Industrialisierung, sinke dann, um aber dann in „reifen“ Industriegesellschaften wieder zuzuneh-men. Dies liege nicht, wie oft behauptet, in erster Linie an wachsenden Lohnunterschieden zwischen gelernten und ungelernten Berufen, sondern am Aufstieg der Finanzwirtschaft seit 1980. Plausibel macht Galbraith das am Beispiel der USA: Verände-rungen in der Ungleichheit seit 1980 führt er gro-ßenteils auf riesige Gehälter für kleine, an wenigen Orten konzentrierte Gruppen zurück. Dies seien Fi-

James K. galbraithInequality and InstabilityA Study of the World Economy just before the Great Crisisoxford university press, oxford und new york 2012, 324 seiten, ca. 22 euro

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service REZENSIONEN

Gender-Kenntnisse fördern FriedensarbeitFriedensforscherinnen erläutern in diesem Sammel-band, warum die differenzierte Auseinandersetzung mit Gender ein besseres Verständnis für die Ursachen und Folgen von Kriegen ermöglicht.

Für viele Friedensfachkräfte und Entwicklungsex-perten ist die Auseinandersetzung mit Gender eine lästige Pflicht in Projektanträgen, Monitoring- und Evaluierungsberichten. Häufig handeln sie Gender-Themen mit einigen Sätzen über Frauenförderung ab. Wie notwendig es ist, diese Fehleinschätzung grundlegend zu ändern, illustriert der gut lesbare Sammelband von Carol Cohn. In insgesamt zehn Ka-pitel erläutern namhafte Friedensforscherinnen, wa-rum die differenzierte Auseinandersetzung mit Gen-der ein besseres Verständnis für die Ursachen, Ge-waltdynamiken und Folgen von Kriegen und bewaff-neten Konflikten ermöglicht.

Auch wenn der Titel suggeriert, es ginge vorran-gig um Kriegserfahrungen von Frauen, reichen die Erklärungen der Autorinnen weit darüber hinaus. Sie zeigen auf, wie Politik und Wirtschaft in vielen Ländern soziale Ungleichheiten und Geschlechter-hierarchien vor Ausbruch eines Krieges drastisch verschärfen, und soziale Spannungen und ge-schlechtsspezifische sowie andere Gewalt eskalieren lassen.

Die schwierige Lage der Zivilbevölkerung wäh-rend und nach Kriegen wird am Beispiel der maro-den Gesundheitsversorgung und der Flüchtlingsla-ger veranschaulicht, die meist nach völlig verzerrten Vorstellungen von Familienstrukturen geplant wer-den – so werden etwa von Frauen geleitete Haushal-te nicht berücksichtigt, in denen auch weitläufig Ver-wandte versorgt werden müssen. Das hat keineswegs nur für Frauen schädliche Folgen, sondern auch für Männer, zumal sie zu passiven Empfängern von Hilfsgütern herabgestuft werden, was viele als de-

mütigend wahrnehmen. Vor allem jungen Männern bietet das oft jahrelange Leben in den Camps keine Perspektiven – mit fatalen Folgen für die Fortset-zung von Gewalt nach einem offiziellen Kriegsende.

Umso notwendiger ist es, mit jungen Männern als Zielgruppe von Programmen zur Gewaltpräventi-on in Flüchtlingslagern zu arbeiten, schließlich sind humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenar-beit in der Praxis immer mehr verwoben. Ein besse-res Verständnis von Gender-Dynamiken ist für die Mitarbeiter von Entwicklungsorganisationen hilf-reich oder gar entscheidend. Die Autorinnen weisen darauf hin, dass männliche Täter und Gewaltopfer Beratung brauchen, die sie bei den meisten Pro-grammen nicht erhalten.

Frauen sind keineswegs nur Opfer. Die Friedens-forscherinnen legen dar, wie Frauen Kriegsherren unterstützen, aber auch in Friedensorganisationen mitwirken. Ferner gehen sie auf die Situation von Guerillakämpferinnen ein, die vielfach von ihren Fa-milien und von der Gesellschaft als Täterinnen stig-matisiert werden. Die Mehrheit der Demobilisie-rungsprogramme ist auf junge Männer ausgerichtet. Umso wichtiger wäre es, mit spezifischen Ansätzen den widersprüchlichen Kriegserfahrungen und Be-dürfnissen der Ex-Kämpferinnen und -kämpfer ge-recht zu werden.

An Beispielen aus Afrika, Asien und Zentralame-rika zeigt der erkenntnisreiche Sammelband, wie sich Gewaltmuster nach einem offiziellen Friedens-schluss fortsetzen, wenn Geschlechterungleichhei-ten ignoriert werden. Darüber hinaus werden Wie-deraufbauprogramme in Nachkriegsländern vorge-stellt, die Gender-Themen systematisch berücksich-tigen. Auch für die notwendige Transformation der Kriegswirtschaft und für Gender-Ansätze in Refor-men des Sicherheitssektors bietet der Sammelband praktische Hinweise. Rita Schäfer

Carol Cohn (hg.)Women and Warspolity press, Cambridge 2013296 seiten, ca. 22,80 euro

nanzdienstleister und spezialisierte IT-Firmen. Fi-nanzblasen hätten die Ungleichheit wachsen und ihr Zusammenbruch sie zeitweise schrumpfen las-sen.

Problematischer ist eine zweite These: Die Dere-gulierung seit 1980 hat laut Galbraith mit dem Auf-stieg der Finanzwirtschaft einen weltweiten Trend zu mehr Ungleichheit in Gang gesetzt. Diesem glo-balen Druck könnten sich die einzelnen Staaten nicht entziehen. Das steht jedoch in einer gewissen Spannung zur dritten These: Bei der Suche nach Kor-relationen zwischen sozialer Ungleichheit und dem politischen System findet Galbraith, dass nicht alle Demokratien, wohl aber langfristig stabile „Sozialde-mokratien“ wie in West- und Nordeuropa zu mehr Gleichheit neigen – ebenso wie kommunistische Re-gime und „islamische Republiken“. Dies spricht da-für, dass nationale Faktoren eine Rolle spielen.

Hier und in weiteren Kapiteln – etwa über Kuba, China und Europa – ist der Zusammenhang mit der Kernthese des Buches nicht ganz klar. Und manch-mal treibt Galbraith die Methode zu weit. Zum Bei-spiel behauptet er, die Arbeitslosigkeit in Europa sei nicht das Ergebnis zu kleiner, sondern zu großer Lohnspreizung, weil Europa als ein Wirtschaftsraum auch ein Arbeitsmarkt sei. Da vergisst er die Sprach-unterschiede; sie sorgen dafür, dass der Arbeits-markt in Europa nicht so integriert ist wie etwa in Nordamerika.

Manche Formeln und Datenreihen – die meisten zum Glück in Anhänge ausgegliedert – sind nur et-was für Spezialisten. Die werden über den Ansatz von Galbraith sicher streiten. Viele Kernthesen aber sind verständlich dargestellt, plausibel begründet und haben eine breite Debatte verdient.

Bernd Ludermann

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TERMINE – VERANSTALTUNGEN

Ammersbek27. bis 28. April 2013Footprint, CO2-Bilanz und neue Lebensstile – Instrumente für den notwendigen Wandel?Haus am SchübergKontakt: Tel. 040-6051014www.haus-am-schueberg.de

Bad Herrenalb26. bis 28. April 2013„… so werdet ihr leben“Warum wir eine große Trans-formation brauchenEvangelische Akademie BadenKontakt: Tel. 0721-9175361www.ev-akademie-baden.de

Bonn3. bis 5. Mai 2013Goldenes MyanmarGelingt der Weg zur Demokratie?Evangelische Akademie im RheinlandKontakt: Tel. 0228-9523205www.ev-akademien-rheinland.de

Hofgeismar11. bis 12. April 2013Grüner und gerechter?EU-Agrarreform und hei-mische LandwirtschaftEvangelische Akademie HofgeismarKontakt: Tel. 05671-881-0www.ev-akademie-hofgeismar.de

Kochel am See15. bis 19. April 2013Klimawandel und Klimapolitik22. bis 26. April 2013Gentechnik 2050: „Grüne Gen-technik“ als Markt der Zukunft?3. bis 5. Mai 2013Deutsch-türkische KonferenzGeorg-Vollmar-AkademieKontakt: Tel. 08851-780www.vollmar-akademie.de

Münster2. bis 4. Mai 2013Gespaltene Gesellschaften?Soziale Frage und soziale Sicherung in LateinamerikaFranz-Hitze-HausKontakt: Tel. 0251-98180www.franz-hitze-haus.de

Wittenberg26. bis 28. April 2013Wahlprüfstein: RüstungsexporteEvangelische Akademie Sachsen-AnhaltKontakt: Tel. 03491-49880www.ev-akademie-wittenberg.de

Würzburg22. bis 24. April 2013Afghanistan nach dem Abzug – was nun?Akademie FrankenwarteKontakt: Tel. 0931-804640www.frankenwarte.de

SCHWEIZ

Luzern26. bis 27. April 20139. Internationales Menschen-rechtsforumKontakt: Tel. 0041(0)41228-4734www.humanrightsforum.ch 12.-13.04.13

Welt-Uni 2013

Im CPH, Königstr. 64, Nürnberg

Informationen unter: www.cfgl.de und [email protected]

Anmeldung unter 0911/2346-0 oder [email protected]

Unternehmens-verantwortung -

zwischen Greenwashing und politischem Druck

03-04.05.13Neue Wirtschaft

braucht das Land!

Welche ökonomische Bildung brauchen wir?

MARKTPLATZ

TV-TIPPS

Montag, 8. April23:30-00:15 ARDTod für die Welt. Waffen aus Deutschland. Gerne lassen sich Industriemanager für ihre wirtschaftlichen Erfolge öffentlich feiern. Doch wenn es um den Waffen-Export geht, herrscht eigentümliche Ver-schwiegenheit. Film von Jule Sommer und Udo Kilimann.

Freitag, 26. April18:15-19:10, ARTE Uganda - Geister, Wilderer und Theater. Dokumentation von Lucian Muntean, Natasa Muntean. Die 16-jährige Mbambu

lebt in einem Bergdorf am Fuße des Mondgebirges in Uganda. Um sich ihren Wunsch nach einer guten Schulausbildung zu erfüllen, muss sie Geld verdienen.

RADIO-TIPP

Sonntag, 7. April11:05-12:00, NDRinfo Das Feature. Ägypten verrückt. Vom Geist der Revolution. Feature von Thilo Guschas. Der politische Kampf ist nur das äußere Gehäuse. Die ägyp-tische Revolution reicht viel tiefer. Die Frage, was „normal“ ist, wird in der Gesellschaft neu verhandelt. Der Geist der Revolution rumort auch in der Abbasseya-Klinik, Ägyp-tens größter Psychiatrie.

weitere TV- und hörfunk-Tipps unter www.welt-sichten.org

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/Rbb

Impressum www.welt-sichten.org

Redaktion: Bernd Ludermann (bl, verantw.), Tillmann Elliesen (ell), Gesine Kauffmann (gka), Sebastian Drescher (sdr, Volontär), Tanja Kokoska (osk, online)

Emil-von-Behring-Straße 3, 60439 Frankfurt/Main; Postfach/POB 50 05 50, 60394 Frankfurt/Main Telefon: 069-580 98 138; Telefax: 069-580 98 162 E-Mail: [email protected]

Ständige Mitarbeitende: Kathrin Ammann (kam), Bern; Katja Dorothea Buck (kb), Tübingen; Heimo Claasen (hc), Brüssel; Ralf Leonhard (rld), Wien; Claudia Mende (cm), München; Johannes Schradi (di), Berlin; Rebecca Vermot (ver), Bern.

Ansprechpartner in Österreich: Gottfried Mernyi, Kindernot-hilfe Österreich, 1010 Wien, Dorotheergasse 18

Herausgeber: Verein zur Förderung der entwicklungspoliti-schen Publizistik e.V. (VFEP), Hans Spitzeck (Vorsitzender), Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst, Caroline-Michaelis-Straße 1, 10115 Berlin

Mitglieder im VFEP: Brot für alle (Bern), Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst (Berlin), Christoffel-Blin-denmission (Bensheim), Fastenopfer (Luzern), Kindernothilfe (Duisburg), Misereor (Aachen)

Die Rubrik „Global-lokal“ erscheint in Kooperation mit der Servicestelle Kommunen in der Einen Welt/Engagement Global gGmbH.

Anzeigenleitung: Yvonne Christoph, m-public Medien Services GmbH, Georgenkirchstraße 69/70, 10249 Berlin, Telefon: 030-28874833, www.m-public.de

Grafische Gestaltung: Angelika Fritsch, Silke Jarick

Druck: Strube Druck&Medien OHG, Stimmerswiesen 3, 34587 Felsberg

Verlegerischer Dienstleister: Gemeinschaftswerk der Evangeli-schen Publizistik gGmbH, Frankfurt am Main

Preis der Einzel-Nr.: 4,80 Euro / 6,90 sFr zuzügl. VersandkostenPreis im Jahresabonnement: 42,00 Euro, ermäßigt 31,50 Euro

ist die Nachfolgezeitschrift von „der überblick“ und „eins Entwicklungspolitik“.

ISSN 1865-7966 „welt-sichten“

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TERMINE – KULTURTIPPS

Von Größenwahn und bösen Frauen

„Exzess!“ lautet das Motto des diesjährigen Frauenfilmfestivals, das vom 9. bis 14. April in Dort-mund stattfindet. Das Spektrum

reicht vom frühen Stummfilm über Raritäten der 1960er und 1980er Jahre bis zu aktuellen Do-kumentationen, die sich mit Gen-trifizierung und dem entfesselten Verhältnis zum Geld befassen – etwa dem Abstieg einer amerika-nischen Milliardärsfamilie, die beim Bau des größten privaten Hauses in den USA in den Strudel der Finanzkrise gerät, oder dem Fall eines Buchhalters, der sich mit 16 Millionen Euro aus einer niederländischen Kulturförde-rung aus dem Staub macht.

Zentrale Themen sind zudem das Altern und die ständige Opti-mierung des weiblichen Körpers. So ist aus dem Jahr 1915 der Stummfilm „Rapsodia Satanica“ zu sehen, in dem eine junge Frau einen Teufelspakt für ewige

Schönheit eingeht. Das Interesse zahlreicher Filmemacherinnen gilt der gesellschaftlichen Aus-grenzung, sei es mit Hilfe der Psy-chiatrie oder der Asylgesetze. Anja Salomonowitz erzählt von bi-nationalen Liebespaaren – Menschen aus Österreich, die eine Frau oder einen Mann aus Afghanistan, China oder Nigeria heiraten möchten, und ihrem Kampf mit der Bürokratie. Der fe-ministische Klassiker „Dialogues with Madwomen“ von 1993 lässt sieben Frauen über ihren „Wahn-sinn“ sprechen.

DortmundInternationales Frauenfilm- festival 2013Kontakt: Tel. 0231-5025162 www.frauenfilmfestival.eu

Berlinbis 26. Mai 2013Samarra – Zentrum der WeltZum 100-jährigen Grabungs-Jubiläum zeigt das Museum für Islamische Kunst eine Aus-stellung zur legendären, rund 120 Kilometer nördlich von Bagdad am Tigris gelegenen Residenzstadt Samarra. Sie war von 836 bis 892 Regierungssitz des mächtigen abbasidischen Kalifenreiches und eine der aufwendigsten Stadtanlagen der Welt. Mit ihren Palästen, Mosche-en, Jagdgehegen, Polospielfeldern und Pferderennbahnen erreichte sie eine Ausdehnung von fast 50 Kilometern Länge. Die Ruine wurde zwischen 1911 und 1913 von dem deutschen Archäologen und Orientalisten Ernst Herzfeld ausgegraben. Zu sehen sind die wichtigsten Funde, darunter Reste von Wandmalereien und Holzvertäfelungen, Porzellan, Keramiken und Glas. Sie belegen innovatives Handwerk und weit-reichende Handelsbeziehungen. PergamonmuseumKontakt: Tel. 030-266424242www.smb.museum/smb

Düsseldorfbis 22. Mai 2013Bryan Adams – ExposedDer kanadische Rockstar Bryan Adams hat sich in den vergan-genen Jahren zunehmend einen Namen als Fotograf gemacht. Die Ausstellung zeigt etwa 150 Port-räts, die der Musiker und Kompo-nist von berühmten Kolleginnen und Kollegen gemacht hat. Amy Winehouse, Mick Jagger, Mickey Rourke – und auch Königin Elisa-beth hatte Adams schon vor der Kamera. Zu sehen ist aber auch eine neue Serie von Arbeiten: Por-traits von britischen Soldaten die verletzt aus Auslandseinsätzen in Afghanistan und im Irak nach Hause gekommen sind. Die Bilder sind direkt und provokativ. Aber unabhängig von den Verwundun-gen, die diese Soldaten erlitten haben, zeigen die Aufnahmen auch ein Leben, das einfach weitergeht. Adams hält in seinen Portraits den Willen der Soldaten, ihren Trotz, ihren Stolz und ihren Humor für die Nachwelt fest.NRW-Forum Kultur und WirtschaftKontakt: Tel. 0211–8926690www.nrw-forum.de

Karlsruhebis 4. August 2013Move on AsiaVideokunst in Asien 2002 bis 2012. Künstlerinnen und Künstler aus 13 asiatischen Ländern bestreiten die umfangreiche Schau im Zentrum für Kultur und Medientechnologie, mit der das Museum die zunehmende Bedeutung Asiens in der zeitge-nössischen Kunst herausstellen will. Die Ausstellung gibt rund 50 Jahre nach der Entstehung der Videokunst einen Einblick in die jüngsten Entwicklungen dieses Mediums im asiatischen Raum. Zu sehen ist zudem die interak-tive Installation „Global Fire“ des in Paris lebenden chinesischen Künstlers Du Zhenjun, der zu-gleich in einer Einzelausstellung sein jüngstes Werk präsentiert. In einer Serie von großformatigen, digital bearbeiteten Fotografien zeigt er anhand babylonischer Ar-chitekturen die von Kapitalismus und Globalisierung geprägte Welt.Zentrum für Kultur und MedientechnologieKontakt: Tel. 0721-8100-0 www.zkm.de

Paderbornbis 12. Mai 2013Die Zeit und Der Müll.Trash-Kunst und KonsumkritikDie „Trash Poeple“ von HA Schult standen schon vor den Pyrami-den von Gizeh, in Rom und auf der chinesischen Mauer – mit diesen und anderen sozial- und umweltkritischen Installationen hat der Aktionskünstler weltweit Aufsehen erregt. Die Retrospek-tive vereint Arbeiten aus seinen Schaffensphasen der vergan-genen 45 Jahre, frühe Arbeiten wie „Picture Boxes“ ebenso wie einige der weit gereisten „Trash People“. Die rund 100 Exponate zeigen die Bandbreite des Werks von HA Schult, das angesichts der fortschreitenden Zerstörung der Natur nichts von seiner Aktualität und Brisanz verloren hat. Das Diözesanmuseum hat den Arbeiten historische Stücke aus eigenen Beständen zur Seite gestellt, um einen „spannungs-reichen Dialog“ zu ermöglichen. Diözesanmuseum PaderbornKontakt: Tel. 0228-184967-24www.dioezesanmuseum-pader-born.de

Kreativer Umgang mit Grenzen: der Dokumentarfilm „Borrando la Frontera“.fRauenfilMfesTiVal

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im nächsten Heft

meHrerlei recHt In vielen Ländern gelten das moderne Recht und traditionel-le oder religiöse Rechtsnormen nebeneinander – oft für verschie-dene Bereiche wie das Strafrecht, die Ehe oder das Geschäftsleben. Welche Streitigkeiten regelt man in Afghanistan eher nach dem paschtunischen Ehrenkodex als vor Gericht? Was ist eigentlich das islamische Recht? Wie bedeutsam sind Normen der Maya für indige-ne Gruppen in Guatemala? Und wie geht ein Chief in Westafrika mit Streitfällen um?

baKaSSi Nigeria hat seine Ansprüche auf die Halbinsel Bakassi nach einem Urteil des Internationalen Gerichtshofs aufgegeben. Nun kontrolliert Kamerun das Gebiet. Was heißt das für die Einwohner?

unser Dankeschön:Sie machen mit einem -Abon-nement jemandem eine Freude – wir bedan-ken uns dafür mit einem Buch. Sie haben die Wahl: Lesen Sie einen Roman über die Spannung zwischen städtischer Justiz und Dorfleben in Ghana („Die Spur des Bienen-fressers“) oder einen aufrüttelnden Bericht über die Haft in einem iranischen Gefängnis („Erwachen aus dem Alptraum“).

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