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SIMONETTA GREGGIO Der Zauber gestohlener Stunden

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SIMONETTA GREGGIO

Der Zauber gestohlener Stunden

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Buch

»Mein ganzes Leben lang habe ich geliebt, getrunken, geraucht, gelacht, geschlafen, gelesen. Und zwar so ausgiebig, dass man mir vorwarf, ich hätte des Guten zu viel getan. Ich habe mich über sechzig Jahre lang mit Männern herumgeschlagen. Ich habe sie geliebt, geheiratet, verflucht und verlassen. Ich habe sie angebe-tet und verabscheut, aber ich habe nie auf sie verzichten können. Aber nach all ihrer Wärme, die mich so schützend umhüllt hat, erscheint mir die große Kälte, die mich erwartet, nur umso ab-scheulicher. Kein Arm ist stark genug, um mich in der Nacht, die

da kommt, vor ihr bewahren zu können.«Beim Lesen dieses letzten Briefes erinnert sich Constance an Fosca, diese charmante, alte Dame, der sie drei Jahre zuvor in Ve-nedig zufällig begegnet war, und an ihre gemeinsame, letzte Reise. Ein paar Tage vor Foscas Tod haben die zwei Frauen eine Art Pil-gerfahrt zur Serenissima unternommen. In Foscas Rolls fuhren sie von Paris nach Venedig. Mit einem Glas exquisitem Wein in der Hand teilten sie Geheimnisse und Lachanfälle. Offenherzig und schamlos erzählte Fosca von ihrer Kindheit, ihren ersten se-xuellen Erfahrungen und vor allem von ihren Männern. Doch wer war diese freizügige Frau wirklich, die die Welt stets mit den Augen der Liebe sah und die Dramen ihres Lebens charmant zu

retuschieren wusste?

Autorin

Simonetta Greggio, 1961 in Padua geboren, lebt seit mehr als zwanzig Jahren in Frankreich. Als Journalistin und Autorin hat sie u.a. für die Kultzeitschrift City gearbeitet sowie diverse Reporta-

gen, Porträts, Gastrokritiken und Reiseführer verfasst.

Von Simonetta Greggio bereits erschienen:

Die Sterne der Provence (37172)

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Simonetta Greggio

Der Zauber gestohlener Stunden

Roman

Aus dem Französischen von Michaela Meßner

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Die französische Originalausgabe erschien 2005 unter dem Titel »La douceur des hommes« bei Editions Stock, Paris

Verlagsgruppe Random House FSC-DEU-0100Das FSC-zertifizierte Papier Holmen Book Cream für dieses Buch

liefert Holmen Paper, Hallstavik, Schweden.

1. AuflageDeutsche Erstveröffentlichung Oktober 2010 bei Blanvalet,

einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH, München.Copyright © 2005 by Editions Stock

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2010 by Verlagsgruppe Random House GmbH, München

Umschlaggestaltung: © HildenDesign, MünchenRedaktion: Ingola Lammers

ED Herstellung: samSatz: Uhl + Massopust, Aalen

Druck und Einband: GGP Media GmbH, PößneckPrinted in Germany

ISBN: 978-3-442-37467-0

www.blanvalet.de

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Seelchen, freundliches, wanderlustiges Seelchen, Gefährtin meines Leibes, der dir Gastfreund-schaft bot, jetzt geht es hinab in jene bleichen herben, kahlen Gefilde, wo du den Spielen ent-sagen musst, die du liebtest. Verweile noch einen Augenblick, betrachten wir einmal noch die ver-trauten Ufer und die Dinge, die wir wohl nie wiedersehen werden … Wir wollen versuchen, se-henden Auges in den Tod einzugehn.

Publius Aelius Hadrianus, Kaiser (Marguerite Yourcenar: Ich zähmte die Wölfin,

Die Erinnerungen des Kaisers Hadrian)

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… ma quante braccia ti hanno stretto tu lo sai per diventar quel che sei (… In wie vielen Armen hast du gelegen? Haben sie dich verändert?)

Lucio Battisti, Sänger

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Mein Herz,in der Blüte meiner Jugend bin ich eine Frau gewesen, für die man andere verlassen hat. Jetzt bin ich schon seit langem in dem Alter, in dem ich verlassen werde, und mein damaliges Verhalten erscheint mir von einer solchen Schamlosigkeit, von einer solchen Kaltblütigkeit, dass eigentlich nur Einfalt dahinter stecken kann. Ich sterbe, meine Constance. Du brauchst dich nicht dagegen aufzulehnen, es bleibt keine Zeit mehr.Aber zwei oder drei Dinge muss ich dir noch sagen.

There was an old womanAnd nothing she hadAnd so this old womanWas said to be madShe’d nothing to loseShe’d nothing to fearShe’s nothing to askShe’d nothing to giveAnd when she did dieShe’d nothing to leave

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So sang Marie mit ihrer wundervoll zarten Sopranstimme, nachdem sie dreißig Jahre zuvor der Bühne den Rücken gekehrt hatte. Dieses Wiegenlied hatte Großmutter sich für ihre Beerdigung ausgesucht. Sie hatte sich gewünscht, dass Marie, ihre letzte noch lebende Jugendfreundin, die-ses Lied für sie singt.

Die Zeremonie war bis ins Detail geplant; Fosca nimmt es – nahm es – mit solchen Inszenierungen recht genau.

Ich vermag immer noch nicht in der Vergangenheit von ihr zu sprechen. Das wird schon noch kommen, ich habe meine Lektion über die Zeit gut gelernt, eine Lek-tion, die so alt ist wie die Welt: Die Zeit ist grausam – und gütig.

»Nur die ersten Tränen sind bitter, die anderen mildern bloß den Schmerz«, sagte sie.

Seit Fosca von mir gegangen ist, habe ich nur noch ge-schlafen. Vor allem in den letzten Tagen. Ich bin gerade noch rechtzeitig aufgestanden, um ihr Lebwohl zu sagen, zusammen mit den anderen. Ich hatte gar nicht gemerkt, wie erschöpft ich war.

In meiner Tasche hielt ich ihren zusammengeknüllten Brief.

Mein ganzes Leben lang habe ich geliebt, getrunken, geraucht, gelacht, geschlafen, gelesen. Und zwar so ausgiebig, dass man mir vorwarf, ich hätte des Guten zu viel getan.

Ich zaudere noch – aus Schüchternheit, aus unange-brachter Eitelkeit? – dir einzugestehen, dass dieses Ende, an das ich immer noch nicht zu glauben vermag, gar

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nicht so furchtbar bitter ist, weil ich voller Zufriedenheit auf ein sehr bewegtes Leben zurückblicken kann. Daran habe ich eine diebische Freude, als hätte ich dem Teufel eine Nase gedreht; nicht Gott will uns verbieten zu sün-digen, sondern der Teufel möchte, dass wir das glauben, denn er will uns von uns selbst entfernen, uns vom Leben fernhalten. Leben, das hieß für mich immer, ihm seinen rachitischen Hintern zu versohlen …

Letztlich erscheint mir diese vorgebliche Verschwen-dung von Jugend als die einzig annehmbare Art zu leben. Das ist der Vorteil, wenn man die Liebe und die köstliche Fata Morgana, die sie uns vorspiegelt, erst im vorgerück-ten Alter erlebt.

Ich habe mich über sechzig Jahre lang mit Männern herumgeschlagen. Ich habe sie geliebt, geheiratet, verflucht und verlassen. Ich habe sie angebetet und verabscheut, aber ich habe nie auf sie verzichten können.

Ich dachte, mit der Zeit würde ich schon von ihnen loskommen: Dabei hatte ich die Rechnung ohne dieses Herz gemacht, denn es ging immer schon alles nach seinem Kopf. Ich war immer nur dann bis ins Mark erschüttert, habe immer nur dann wirklich meine Seele verloren, wenn ich das Spiel der Liebe gespielt habe. Hingabe ist das Einzige, worauf es ankommt: Wozu sollte man sich vor diesem Liebesdelirium in Acht nehmen, warum sollte man sich überhaupt in Acht nehmen? Aus der körperlichen Liebe wurde oft eine geistige – manchmal ging ich auch den umgekehrten Weg.

Die Liebe – denn es geht hier um Liebe, und nicht um das Aneinanderreiben zweier Körper – war meine Art, die

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Welt zu verstehen. In der Liebe treffen das Geheimnis und das Heilige aufeinander.

Aber nach all der Wärme der Männer, die mich so schützend umhüllt hat, erscheint mir die große Kälte, die mich erwartet, nur umso abscheulicher. Kein Arm ist stark genug, um mich in der Nacht, die da kommt, vor ihr bewahren zu können.

Noch ein Wiegenlied – diesmal ein japanisches; zu einer seltsamen Klangfolge, die einem Saiteninstrument entlockt wurde und sich anhörte wie das Rascheln verdörrter Mais-blätter in der Sonne, erhob sich eine brüchige, atemlose Stimme. Ich kannte die Frau, die da sang und sich auf der Koto begleitete: Es war Junko, die zweite Frau von Foscas zweitem Ehemann.

Junko sah aus wie eine alte Puppe mit dem Gesicht ei-nes Apfels, den man zu lange im Ofen gelassen hat. Sie trug ein langes, staubschwarzes, aschegraues Kleid, eine Farbe, die sie zu verkörpern schien.

Eyo eyo edirioya eyo eyo a datako seraé.Das Wiegenlied war monoton; ihre Stimme erstarb,

dann begann sie von neuem und endete mit einem Schluchzer. Die Maiskörner rieselten noch ein bisschen weiter, flochten echohafte Rosenkränze, dann verstumm-ten auch sie.

In dem Raum nebenan wurde Gelächter laut. Arbei-ter reinigten mit einem Schlauch den angrenzenden Saal, ohne daran zu denken, was sich gerade unmittelbar hinter den Wänden abspielte. Ich hätte mich jetzt unwohl fühlen können, aber letztlich musste ich insgeheim lächeln.

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Das Leben ging weiter. Man konnte ja nicht gerade be-haupten, Fosca sei zu früh von uns gegangen, das nun doch nicht, oder man habe nicht damit rechnen können. Sie war ziemlich alt. Siebenundachtzig Jahre, das ist fast ein Jahr-hundert.

Letztens passierte mir etwas … In der Konditorei, die ich betreten hatte, weil ein Stück Erdbeerkuchen mich unwi-derstehlich angezogen hatte, machte der Konditor mir ein Kompliment über mein Lächeln. Mit einem Schlag waren meine Rückenschmerzen und meine tausend Wehweh-chen vergessen. Ich richtete mich auf wie eine beiß wütige Schlange. Der junge Mann setzte noch hinzu: »Wissen Sie, wenn ich das sage, dann ist das keine Anmache, Sie könnten ja meine Großmutter sein …«

Ach, Constance … Männer sind grausam, wenn sie zärtlich sind.

Sie waren meine große Schwäche. Meine einzige, denn sonst habe ich nicht viel gesündigt. Mein Gewissen wirft mir nur ein paar Feigheiten und Nachlässigkeiten vor, aber kaum sündhafte Vergnügungen.

Und das war’s dann auch schon, ehrwürdige alte Damen gibt es wirklich.

Die samtene Stimme von Marylin Monroe sang »Bye bye baby.«

Du weißt ja schon, dass ich dir das Haus, das Auto und mein ganzes Hab und Gut hinterlassen habe. Mein Notar wird sich darum kümmern, sobald ich unter der Erde

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bin. Ich lasse dir auch im Kühlschrank die Wachteln mit Gänseleber, ein paar gebratene Kapaune und ganze Mahl-zeiten, die ich mir für dich ausgedacht habe. Für jedes dieser Abendessen findest du in der Küche einen Zettel mit Weinvorschlägen, auf dem auch draufsteht, wo genau sie im Keller lagern.

Wahrscheinlich wirst du auch ein Auge auf meine Habseligkeiten werfen, und sei es auch nur, um sie zu ord-nen – und sie dann loszuwerden. Du wirst einen wüsten Haufen von Dingen finden, die nur für mich eine Bedeu-tung haben. Vielleicht wirst du auf einen Ring stoßen, der aus einem Bierdosenverschluss gemacht ist, er war eine Stunde lang mein Verlobungsring, und auf die Herzens-geheimnisse einer Lolita …

Ich habe dir viel erzählt, aber nicht alles. Du hast viele Dinge verstanden, aber nicht alle.

Als Marilyns Stimme verstummte, wollte ich Foscas Reise-decke und ihren Spazierstock mit dem Silberknauf auf den Sarg legen. Damit sie nicht frieren musste und dort, wo sie hinging, laufen konnte, ohne zu ermüden.

Hinten in der Halle tat sich eine Tür weit auf, die schlichte Kiste aus hellem Holz glitt langsam in ihren schwarzen Schlund. Eine weiße Blume fiel herunter.

Ich sah niemanden an, als ich aus dem Friedhof kam. Es hatte angefangen zu regnen. Ich hätte mir so gewünscht, dass mich jemand draußen mit einem großen Regenschirm erwartet, mich in die Arme nimmt und ganz, ganz fest drückt.

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Objects in the mirror are closer than they appear

Bei meiner ersten Begegnung mit Fosca war es Liebe auf den ersten Blick gewesen. An einem späten Frühlingsmor-gen vor genau drei Jahren war ich in Venedig; der Gui-decca-Kanal war so von Licht durchflutet, dass meine Au-gen schmerzten. Die ersten Schwalben tanzten hoch oben am Himmel.

Ich saß auf der Terrasse des Calle del Vento, eines sehr einfachen Restaurants. Vor mir stand eine Flasche Weiß-wein, auf dem Tisch lag ein Stapel Zeitungen. Ich war-tete auf meine gebratenen Fische, das Tischtuch flatterte in der kühlen Brise, das Haar fiel mir ins Gesicht. Ich war schweigsam und müde.

Eine alte Dame mit hellem Haar setzte sich in meine Nähe, ein Glas Weißwein in der Hand, vor sich einen Sta-pel Zeitungen. Sie bestellte gebratene Fische.

Sie sah mich an, ich sah sie an.Wir redeten lange miteinander, bis wir kalte Hände

und Füße bekamen. Das Alter ist nur eine Facette des Lebens. Das hat sie mir damals beigebracht. Es wurde Abend, und wir blieben sitzen, zusammengekauert auf den Steinstufen zwischen der Stadt und dem Hafen, auf

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der Grenze zwischen dem festen Erdboden und der Was-serstadt.

Unser Gedächtnis bewahrt ganze Dialoge auf, zeigt uns den lebendigen Ausdruck eines toten Gesichts, dabei er-innert man sich oft nicht einmal daran, was man am Vor-abend gegessen hat. Bei dieser ersten Begegnung sagte sie fast wortwörtlich zu mir:

»Lieben Sie sie, Ihre Freunde, Ihre Geliebten, lieben Sie sie mit aller Kraft, geben Sie das Schönste, das Sie in sich tragen. Wenn Sie so alt sind wie ich, sind Sie verloren, denn nur wenige werden Sie als junge und schöne Frau gekannt haben, Sie werden für alle eine alte Frau sein. Das Schlimme am Alter ist nicht der Verlust der Kraft, sondern der Verlust derer, die man liebt.«

Fosca gestand mir, dass sie nach Venedig gekommen war, weil sie dort ein letztes Rendezvous hatte.

Vor etwa zehn Tagen machten wir uns zu dieser Reise auf den Weg, der Frühling hatte gerade begonnen.

Wir luden geschwind mein Kleinmädchengepäck und Foscas Herzoginnenkoffer in ihren Wagen, einen gebraucht gekauften Silver Shadow Baujahr 1974, der letztlich billiger war als ein neuer Mercedes, ein Auto, das aus recht un-erfindlichen Gründen plötzlich kaputtging und dann aus ebenso unerfindlichen Gründen plötzlich wieder fuhr. Ganz ähnlich wie bei uns, bei Fosca und mir.

Diesen Rolls hatte Fosca ganz spontan gekauft, zehn Minuten nachdem sie ihn im Schaufenster eines Vertrags-händlers gesehen hatte, wo er seit tausend Jahren Staub ansetzte, wechselte ein Scheck den Besitzer. »Weißt du,

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meine Liebe, in meinem Alter ist es erlaubt, dass man sei-nen Spleen als Liebhaberei bezeichnet.«

Fosca erzählte mir, sie treibe einen »wahren fetischisti-schen Kult« um die kleine Spirit-of-Ecstasy-Figur, »sie ist mein Wächter, mein Schutzengel«.

Wir legten die Straßenkarten bereit und tankten den Wagen voll. Im Rückspiegel entfernte sich der Eiffelturm in strahlender Abendrobe. Der Leuchtturm blieb lange un-sere Eskorte am Himmel, von der Porte d’Italie bis zum Ring, bei der Ausfahrt auf die Autobahn Richtung Süden. Ich saß am Steuer, sie erzählte mir was.

Sie zündete sich mit einem alten Zippo, das sie aus der Tasche geholt hatte, eine Zigarette an. Ich hatte Fosca nie zuvor rauchen sehen. Sie klappte geräuschvoll den Ver-schluss zu, als wollte sie ihrer Geste Nachdruck verleihen. Ich fand sie lustig, manchmal war sie richtig kindisch. Sie wirkte oft sehr viel jugendlicher als ich, weil ich mir das nicht gestatte.

Ich bin nicht wie die jungen Frauen meiner Altersklasse. Ich habe oft den Eindruck, einer anderen Zeit anzugehö-ren, einer anderen Generation. Ich fühle mich älter und zugleich kindlicher. Ich wuchs ohne Freunde auf, in der Schule hatte ich keine Kameraden. Großmutter machte sich über mich lustig, indem sie sagte, ich sei »ein klassi-sches junges Mädchen«.

Sie zog mich in ihren Bann, dabei habe ich nie einem Menschen vertraut. Sie beobachtete mich ganz unauffällig. Mit großer Zärtlichkeit, das schon, aber sie beobachtete mich. War Fosca falsch? Ich denke eher, sie war vorsichtig, hatte einen geheimen Plan.

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Ich gab einen Teil meiner Unabhängigkeit auf, als ich beschloss, bei ihr zu wohnen, nachdem sie mir vor weni-gen Monaten ihr Leid gestanden hatte. Es lenkte mich von meiner eigenen Unrast ab, von meinen Ängsten, meinen schlaflosen Nächten. Ich beglückwünschte mich täglich zu diesem Entschluss.

Fosca stieß eine kleine Rauchsäule aus. Als sie weitersprach, klang ihre Stimme heiser.

»Ich habe an dem Tag mit dem Rauchen aufgehört, als ich merkte, dass ich mit einer brennenden Zigarette zwi-schen den Lippen unter der Dusche stand, und eine zweite zwischen den Fingern hielt … Das war ganz bestimmt der rechte Moment. Natürlich geschah das nicht aus heiterem Himmel, ein paar Vorzeichen hat es schon gegeben. Ich bekam zum Beispiel Lust auf eine Zigarette, während ich bereits eine rauchte. Ich muss immer bis zum Äußersten gehen, um herauszufinden, ob ich wirklich von etwas las-sen will.«

Sie nahm noch einen Zug, dann drückte sie die Kippe in dem sauberen Aschenbecher aus. Wir waren noch nicht über die letzten Vorstadtsiedlungen des Großraums Paris hinausgekommen, als Fosca mir schon ihre Geschichten zu erzählen begann. Ich hörte ihr sehr gerne zu, das wusste sie … Und sie nutzte es aus.

»Ich bin am Ende meines Lebens angekommen. Das ist nicht lustig, glaub mir: Was habe ich es geliebt, dieses Le-ben, aus dem ich nun scheiden muss!«

»Wenn ich sage, dass meine Tage gezählt sind, so heißt das gar nichts. Unser aller Tage sind gezählt. Doch wäh-

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rend man gewöhnlich das Ufer nicht sehen kann, weil es im Schatten der Zeit und der Umstände verborgen liegt, so bringen Alter und Krankheit mir dieses Ende in Sicht. Ich lasse diesem Körper, den ich so geliebt habe und der mir so gute Dienste geleistet hat, die letzte Pflege angedeihen. Ich bin auf eine lüsterne Art enthaltsam – und auf eine artige Weise lüstern gewesen. Ich habe einer Philosophie angehangen, die dem Körper seine Freiheit lässt und dem Geist seine Reinheit; ich habe mich im Bett des Epikureis-mus geaalt. Das schmal ist, aber sauber.«

Großmutter liebte schöne Formulierungen. Ich mochte es, wenn sie im Stil von Marguerite Yourcenar oder Barbey d’Aurevilly sprach, um mich mit ihrer großen Belesenheit zu beeindrucken und mir dabei ganz nebenbei ihre Sicht des Lebens aufs Auge zu drücken.

Aber ich ging ihren großen Phrasen nicht auf den Leim. Und sie auch nicht.

»Ich bin in der Klemme, Constanze: Ich hatte gedacht, es wäre einfach, dir alles zu erzählen! Ohne etwas auszulas-sen! Ich werde unanständig sein müssen. Ich werde dich zum Erröten bringen. Zumindest hoffe ich das.

Alles in meinem Leben ist so sinnlich gewesen: eine Oran-genblüte am Morgen, das Streicheln einer Straßenkatze, das frisch geschnittene Heu des Sommers. Auf einer von der Sonne gewärmten Steintreppe sitzen und Kaffee trinken, an einem Morgen, der die kühle Nachtluft vertreibt.«

Sie verstummte für ein paar Minuten, dann fügte sie hinzu:

»Ich habe all meine Kraft aus den Männern gezogen. Sie haben mir den Takt vorgegeben. Mit ihrer Sanftheit.

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Man muss ihnen nur die Möglichkeit lassen, weißt du, das Recht zu sein. Es ist hart, ein Mann zu werden: Da-her müssen sie diese Sanftheit verbergen. Ein sanfter Mann trägt das Kind in sich, das er einmal war, und den Greis, der er einmal sein wird, seine Gewalttätigkeit und den Stolz, zu wissen und zu verzichten. Er ist sanfter als ein Vater und eine Mutter, süßer als ein Schluck Wasser für einen, der am Verdursten ist. Ein zärtlicher Mann, das ist die Zartheit der ganzen Welt. Das ist die Spucke auf einem aufgeschlagenen Knie und die letzte Dezemberrose und die Schnauze deines Hundes, der dir bei deinem ersten Kum-mer das Gesicht ableckt.«

Noch ein Schweigen. Noch ein Seufzer.»Die Stärke eines Mannes ist seine Sanftheit.«

In Fontainebleau bekam ich Lust, die Autobahn zu verlas-sen. Ringsum duftete es nach Wald und Moos, nach grü-ner Natur und frischen Blättern. Die Luft war mild, am Himmel stand ein Halbmond. Ich war hungrig, Fosca tat so, als wäre sie das auch.

»Na, dann lass uns mal was zwischen die Kiemen schie-ben. Mir bleibt keine Zeit mehr, für gar nichts, also hab ich für alles Zeit.«

Großmutter kippte eine dreiviertel Flasche Meursault hinunter, aber ihre Morchelpoularde blieb unangetastet. Ich trank nur ein Glas von diesem Wein, den ich nicht so recht mochte, er war ölig, mit Tränen am Glasrand und einem sehr dichten Bukett. Fosca trank ihren Weißwein gerne zu kalt. Die Widersprüche einer Kennerin. Bevor ich sie kennen lernte, ernährte ich mich von Haribo-Erdbee-

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ren, Cola und Cornflakes. Von zähen Sandwiches, Schin-ken, Kartoffelbrei, Hörnchennudeln, Dosenmilch und Nutella. Ich bin immer dünn gewesen. Es war wirklich ein Zufall, dass ich mir an dem Tag, an dem wir uns in dieser Trattoria in Venedig begegneten, eine ordentliche Portion bestellt hatte.

Nach dem Abendessen wollte ich weiterfahren. Außer-dem wollte ich, dass Fosca schläft, dass sie sich ausruht und wieder zu Kräften kommt. Ich hatte einfach Lust zu-zuschauen, wie sich vor mir das Asphaltband entrollt, wie die Bäume vorbeiziehen, wollte das Schauspiel der Straße genießen.

Genau dieser Augenblick ist für mich immer der Inbe-griff des Reisens gewesen: wenn alles brüchig wird, wenn man die Dinge aus einem anderen Blickwinkel betrachten kann, wenn der persönliche Tagesrhythmus gestört wird, wenn man auf der Hut sein muss, weil nichts von vorn he-rein bekannt ist, und man sich in Acht nehmen muss.

Ich übe – oder übte, denn jetzt ist alles auf Stand-by ge-schaltet – einen seltsamen Beruf aus: Ich hielt Ausschau nach »touristischen Produkten« für Reiseveranstalter, die ich dann testete. Ganz selten tat ich einen Glücksgriff, aber meistens war es der reine Horror, lauter komfortable Hüh-nerställe von äußerst zweifelhaftem Geschmack. Es gab auch Regionen, in denen die Kriege Spuren des Elends hinterlassen hatten – ein neues Marktsegment –, sehr ge-fragt beim so genannten Nischentourismus. Ich reiste an Orte, an denen es absolut nichts zu sehen gab – das war unglaublich erholsam. Ich bewegte mich zwischen Luxus und Elend, im Taumel einer Einsamkeit, die ihre eigenen

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Grenzen zu erweitern sucht. Doch das Fantastische und Perverse an der Einsamkeit ist ja gerade das Grenzenlose.

Als ich Fosca in Venedig begegnete, kam ich gerade aus Casablanca. Eine Reise wie viele andere auch und doch in-sofern besonders, als ich dort extrem isoliert war und diese chaotische Stadt überaus ermüdend fand.

Marrakesch – Casa

Der Zug von Marrakesch nach Casablanca braucht drei-einhalb Stunden für eine Strecke von etwas mehr als zwei-hundert Kilometern.

Als ich in Casablanca ankam, waren die Straßen leerge-fegt, weil gerade ein Fußballspiel stattfand – das Endspiel gegen Tunesien. Kein Taxi am Bahnhof, oder wenn, dann ohne Fahrer, Motor abgeschaltet. Keine Menschenseele weit und breit, weder am Fahrkartenschalter noch am Zeitungs-kiosk. Ich wartete, das Gepäck zu meinen Füßen, während die Stille um mich herum beunruhigend wurde. Schließlich hielt ein kleines Taxi. Ich musste selbst die Koffer auf das Dach des Fiat Panda hieven und grummelte dabei: »Was für ein Service!«, aber der Fahrer tat so, als höre er nichts. Dann düsten wir hupend und in einem Höllentempo in die leere Stadt. Bei den roten Ampeln, die wir überfuhren, ohne das Tempo zu drosseln, schloss ich die Augen und krallte mich an der klebrigen Tür fest. Als wir im Hotel ankamen, hatte der Fahrer rote Augen, als habe er Crack geraucht. Er for-derte einen Zuschlag »fürs Gepäck«. Da habe ich an die-

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sem Tag zum ersten Mal so richtig von Herzen gelacht. Das Hotel, ein Dritte-Welt-Vier-Sterne-Hotel, sah erbärmlich aus: Goldverzierungen, Teppiche, die stanken wie alte Putz-lumpen, eingestaubte künstliche Blumen.

Die beiden dicken Empfangsdamen sahen ziemlich nut-tig aus, eingezwängt in unsaubere Jacken. Ihre schweren Brüste brachten ihre Blusen schier zum Bersten. Der Nagel-lack war abgeplatzt, außerdem hatten sie sehr lange Nägel und eine angeknabberte Nagelhaut.

Sie hatten Hände wie Pornostars. Sie hätten Schwestern sein können, dabei sahen sie sich gar nicht ähnlich.

Vom Fenster meines Zimmers aus sah ich unten ein Dä-chermeer funkeln, das mich an andere elende Städte erin-nerte, Tirana, Mexico City, Priština; an der Wand gegenüber prangte ein zehn Meter hohes Foto über einem Parkplatz. Es war eine Nescafé-Werbung. Ein junger Typ mit weichen Zü-gen und kunstvoll zerzauster Mähne hält eine rote Tasse in der Hand. Bekleidet mit einem nicht allzu tief ausgeschnit-tenen, ärmellosen Unterhemd und einer blassblauen Pyja-mahose betrachtet er den Horizont. Die junge Frau neben ihm ist rätselhafter. Schwarze Locken umrahmen ein ver-krampft lächelndes Gesicht. Man könnte meinen, die junge Frau habe soeben in der Hochzeitsnacht entdeckt, dass ihr Gatte einen Pimmel von drei Zentimetern hat. Sie stellt sich mutig dieser Entdeckung, die eine Hand umschließt eine Tasse Nescafé, die andere hält vorsichtig ein Stück Baguette, das sie ihm jeden Moment um die Ohren hauen könnte. Der Ausschnitt des Pyjamas ist ein bisschen groß, aber das war wahrscheinlich Absicht, sollte nach Kuschelmorgen aus-sehen, bei ihm unten, bei ihr oben.

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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Simonetta Greggio

Der Zauber gestohlener StundenRoman

DEUTSCHE ERSTAUSGABE

Taschenbuch, Broschur, 160 Seiten, 11,5 x 18,3 cmISBN: 978-3-442-37467-0

Blanvalet

Erscheinungstermin: September 2010

Wenn französischer Stil auf italienische Sinnlichkeit trifft – eine Ode an die Amour fou vollerLebenslust Die Vollblutitalienerin Fosca hat ein turbulentes und bewegtes Leben hinter sich. Sie hat Männergeliebt, geheiratet, verflucht und verlassen. Die einst wohlbehütete Tochter aus gutem Hausewurde zu einer unbändigen und freiheitsliebenden Frau, die das Leben in vollen Zügen genoss.Doch nun, an ihrem Lebensabend, ist es für Fosca an der Zeit, dem letzten Menschen, der ihrgeblieben ist, die Wahrheit zu erzählen und zu gestehen, was sie aus Liebe getan hat …