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Sind wir bald entbehrlich? Sie sequenzieren DNA. Sie verkaufen Briefmarken. Oder Fahrscheine. Viele spielen Schach, manche lieber Fußball. Sie bauen Autos, kochen Kaffee oder zahlen Bargeld aus. Und sie schicken mir jeden Tag etwa 300 E-Mails. Nach diesen Botschaften zu schließen, scheinen sie ein unerklärliches und obsessives Interesse an einem bestimmten Körperteil zu haben. Die Rede ist natürlich von Auto- maten, seelenlosen Robotern (mechanischer, elektronischer oder gemischter Art), die sich klamm- heimlich im Alltagsleben breitge- macht haben – so sehr, dass man manchmal gar nicht mehr mit Sicherheit sagen kann, ob eine Nachricht von einem Menschen oder einer Maschine verfasst wurde, oder ob ein in Folie eingeschweißtes Produkt jemals von einer mensch- lichen Hand berührt wurde. Vor kurzem eroberten die Maschinenwesen einen weiteren Bereich des menschlichen Lebens. Sie können jetzt nicht nur Kaffee kochen, sondern ihn sogar verkosten und sein Geschmacksprofil beurtei- len. Das berichteten Forscher des Nestlé-Forschungszentrums in Lau- sanne im Januar. Ein System, das automatisierte Gaschromatographie mit KI verbindet – also mit künst- licher Intelligenz, mit Computerpro- grammen, die aus Erfahrung lernen –, erwies sich als ebenso erfolgreicher Kaffeetester wie gut ausgebildete menschliche Profischlürfer. Im Gegensatz zum menschlichen Äquivalent lässt sich das automati- sche System leicht auf Parallelana- lysen von Tausenden von Proben ausbauen [diese Nachrichten, S. 685]. Die ganze Welt des Kaffees und alle Kaffees dieser Welt inner- halb von Sekunden getestet. Kaffee- koster sollten sich langsam um ihre Berufsperspektiven Sorgen machen und die Weintester werden wahr- scheinlich auch nicht mehr lange in dionysischen Freuden schwelgen. Aber ich und die anderen Auto- ren dieser Zeitschrift – wir müssen uns doch keine derartigen Sorgen machen? Denkste. Vor kurzem las ich in der Zeitung, dass ein gewisser Philip M. Parker ein Verfahren zur automatischen Erzeugung, Produkti- on und Vermarktung von Büchern zum Patent angemeldet habe. Das hielt ich zunächst für einen Witz, bis ich den Namen in ein Suchfenster bei Amazon eingab und der Auto- mat auf der anderen Seite des Fens- ters eine Liste mit 85 864 Einträgen ausspuckte. Parkers Bestseller trägt den ver- führerischen Titel: „The 2007 – 2012 outlook for lemon-flavored bottled water in Japan“ (Paperback, Septem- ber 2006), gefolgt von „The 2007 import and export market for house- „Sie können Ihren Arbeitsplatz gegen CHEM-7 verteidigen, wenn Sie wie er toxische Substanzen blitzschnell am Ge- schmack erkennen.“ (Cartoon: Roland Wengenmayr, Frankfurt) hold refrigerators in Czech Repu- blic“ (November 2006). An den Titeln lässt sich Parkers Rezept (oder das seiner Automaten) erkennen: Marktberichte, welche auf im Internet verfügbaren (und deshalb automa- tisch sammel- und auswertbaren) Informationen über begrenzte Wirt- schaftsthemen beruhen. Dem Ver- nehmen nach erscheinen unter Par- kers Namen auch Lexika für seltene Sprachen, Bücher mit Kreuzworträt- seln und anderes. Zum Glück bisher noch keine Wissenschaft, aber das kann ja noch auf uns zukommen. Wenn Roboter dann eines Tages alle analytischen und synthetischen Funktionen des Menschen übernom- men haben, bleibt uns nur noch das Zwischenmenschliche. Doch halt, auch daran wird schon gearbeitet. David Levy, der Autor des ersten Sachbuchs über sexuelle Beziehun- gen zwischen Menschen und Robo- tern, ist jedenfalls überzeugt, dass Roboter uns auch in diesem Lebens- bereich innerhalb der nächsten 40 Jahre überflügeln werden. Bereits 2005 stellte der Japaner Hiroshi Ishi- guro eine auf den ersten Blick über- zeugend menschlich wirkende Robo- terfrau vor. Die mechanischen Funktionen der Sexualität können sowieso schon in Produkten implementiert werden und wenn die chemische Forschung erst einmal die Sache mit den Pheromonen geklärt hat, wer- den gefühlsechte Androiden zum Verlieben nicht mehr lange auf sich warten lassen. Damit dürften sich alle unsere Probleme von Überbevölkerung bis Klimakatastrophe von selbst lösen – sobald die Menschen RoboterInnen als Partner dem traditionellen Modell vorziehen, beginnt unsere Art sozusagen automatisch, sich aus der Evolutionsgeschichte zu verabschieden. Ist aber gar nicht schlimm, denn wenn Roboter sowieso alles besser können als wir, wird die Erde dann in ihren Händen auch besser aufgehoben sein. Michael Groß www.michaelgross.co.uk NotizenForschung und Bildung 634 Nachrichten aus der Chemie | 56 | Juni 2008 | www.gdch.de/nachrichten AUSGEFORSCHT

Sind wir bald entbehrlich?

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Sind wir bald entbehrlich?

� Sie sequenzieren DNA. Sie verkaufen Briefmarken. Oder Fahrscheine. Viele spielen Schach, manche lieber Fußball. Sie bauen Autos, kochen Kaffee oder zahlen Bargeld aus. Und sie schicken mir jeden Tag etwa 300 E-Mails. Nach diesen Botschaften zu schließen, scheinen sie ein unerklärliches und obsessives Interesse an einem bestimmten Körperteil zu haben.

Die Rede ist natürlich von Auto-maten, seelenlosen Robotern (mechanischer, elektronischer oder gemischter Art), die sich klamm-heimlich im Alltagsleben breitge-macht haben – so sehr, dass man manchmal gar nicht mehr mit Sicherheit sagen kann, ob eine Nachricht von einem Menschen oder einer Maschine verfasst wurde, oder ob ein in Folie eingeschweißtes Produkt jemals von einer mensch-lichen Hand berührt wurde.

Vor kurzem eroberten die Maschinenwesen einen weiteren Bereich des menschlichen Lebens. Sie können jetzt nicht nur Kaffee kochen, sondern ihn sogar verkosten und sein Geschmacksprofil beurtei-len. Das berichteten Forscher des Nestlé-Forschungszentrums in Lau-sanne im Januar. Ein System, das automatisierte Gaschromatographie mit KI verbindet – also mit künst-licher Intelligenz, mit Computerpro-grammen, die aus Erfahrung lernen –,

erwies sich als ebenso erfolgreicher Kaffeetester wie gut ausgebildete menschliche Profischlürfer.

Im Gegensatz zum menschlichen Äquivalent lässt sich das automati-sche System leicht auf Parallelana-lysen von Tausenden von Proben ausbauen [diese Nachrichten, S. 685]. Die ganze Welt des Kaffees und alle Kaffees dieser Welt inner-halb von Sekunden getestet. Kaffee-koster sollten sich langsam um ihre Berufsperspektiven Sorgen machen und die Weintester werden wahr-scheinlich auch nicht mehr lange in dionysischen Freuden schwelgen.

Aber ich und die anderen Auto-ren dieser Zeitschrift – wir müssen uns doch keine derartigen Sorgen machen? Denkste. Vor kurzem las ich in der Zeitung, dass ein gewisser Philip M. Parker ein Verfahren zur automatischen Erzeugung, Produkti-on und Vermarktung von Büchern zum Patent angemeldet habe. Das hielt ich zunächst für einen Witz, bis ich den Namen in ein Suchfenster bei Amazon eingab und der Auto-mat auf der anderen Seite des Fens-ters eine Liste mit 85 864 Einträgen ausspuckte.

Parkers Bestseller trägt den ver-führerischen Titel: „The 2007 – 2012 outlook for lemon-flavored bottled water in Japan“ (Paperback, Septem-ber 2006), gefolgt von „The 2007 import and export market for house-

„Sie können Ihren

Arbeitsplatz gegen

CHEM-7 verteidigen,

wenn Sie wie er

toxische Substanzen

blitzschnell am Ge-

schmack erkennen.“

(Cartoon: Roland

Wengenmayr,

Frankfurt)

hold refrigerators in Czech Repu-blic“ (November 2006). An den Titeln lässt sich Parkers Rezept (oder das seiner Automaten) erkennen: Marktberichte, welche auf im Internet verfügbaren (und deshalb automa -tisch sammel- und auswertbaren) Informationen über begrenzte Wirt-schaftsthemen beruhen. Dem Ver-nehmen nach erscheinen unter Par-kers Namen auch Lexika für seltene Sprachen, Bücher mit Kreuzworträt-seln und anderes. Zum Glück bisher noch keine Wissenschaft, aber das kann ja noch auf uns zukommen.

Wenn Roboter dann eines Tages alle analytischen und synthetischen Funktionen des Menschen übernom-men haben, bleibt uns nur noch das Zwischenmenschliche. Doch halt, auch daran wird schon gearbeitet. David Levy, der Autor des ersten Sachbuchs über sexuelle Beziehun-gen zwischen Menschen und Robo-tern, ist jedenfalls überzeugt, dass Roboter uns auch in diesem Lebens-bereich innerhalb der nächsten 40 Jahre überflügeln werden. Bereits 2005 stellte der Japaner Hiroshi Ishi-guro eine auf den ersten Blick über-zeugend menschlich wirkende Robo-terfrau vor.

Die mechanischen Funktionen der Sexualität können sowieso schon in Produkten implementiert werden und wenn die chemische Forschung erst einmal die Sache mit den Pheromonen geklärt hat, wer-den gefühlsechte Androiden zum Verlieben nicht mehr lange auf sich warten lassen.

Damit dürften sich alle unsere Probleme von Überbevölkerung bis Klimakatastrophe von selbst lösen – sobald die Menschen RoboterInnen als Partner dem traditionellen Modell vorziehen, beginnt unsere Art sozusagen automatisch, sich aus der Evolutionsgeschichte zu verabschieden. Ist aber gar nicht schlimm, denn wenn Roboter sowieso alles besser können als wir, wird die Erde dann in ihren Händen auch besser aufgehoben sein.

Michael Groß

www.michaelgross.co.uk

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Nachrichten aus der Chemie | 56 | Juni 2008 | www.gdch.de/nachrichten

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