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Arch. orthop. Unfall-Chir. 85, 87--99 (1976) Archiv for orthop~idische und UnfalI-Chirurgie © by J. F. Bergmann-Verlag 1976 Skoliose, Stoffwechsel und Wirbels~iulenwachstum H. Neugebauer* Orthop~die und orthop~dische Chirurgie, JSrgerstra]e 35, A-1170 Wien Scoliosis, Metabolism and Growth of the Vertebral Column Summary. Modern investigators incline to the opinion, that more biochemical than biomechanieal disorders take part in cause of the "idiopathic" scolioses. It seems, however, that there is not only one cause but more in some subgroups. Idiopathic sco]ioses, which have symptomes of arachnodactyly, seem to be a big one of these subgroups. These eases allow to state a hypothesis, in which kind a disordered metabolism leads to a deviation of the spine. This hypothesis is basing on the fact, that the enchondral growth in the length and the periostal growth in the width of "long bones" are not regulated in the same endoerinological kind and that the enchondral growth of the vertebral-bodies-column happens in cranio-eaudal direction, the enchondral growth of the vertebral-archies-column, however, in anterior-posterior direc- tion. If the balance between enchondral and periostal growth is disturbed, you can see typical chances on the long bones, which resemble either an "arachno- dactyly" or a "chondrodysplasy". The same disturbance will cause a "kyphosis" respectively a "lordosis" (or scoliosis) on the vertebral spine; either the bodies-column or the arehies- column will become longer (higher). The results of metabolism research are suitable to these facts. If the bal- ance between enchondral and periostal growth,--basing on a dysbolism,--is disturbed in such a kind, that the vertebral-bodies-column is growing faster than the vertebral-archies-column, the vertebral spine is forced to change into a lordosis respectively into a seoliosis. If you want to cure an idiopathic scoliosis, you first have to remove or to paralyse the dysbolism. The aim of all research has to be to find an effective chemotherapeutical treatment of mindst a part of all idiopathic scolioses. Zusammenfassung. Die moderne Forsehung neigt immer mehr zu der Ansicht, da[3 bei den sog. ,,idiopathisehen" Skoliosen weniger biomechanische als viel- mehr biochemisehe St6rungen ursitchlich beteiligt sind. Allerdings diirfte es * tterrn Prof. Ph. Erlacher zum 90. Geburtstag gewidmet.

Skoliose, Stoffwechsel und Wirbelsäulenwachstum

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Arch. orthop. Unfall-Chir. 85, 87--99 (1976) Archiv for orthop~idische und UnfalI-Chirurgie © by J. F. Bergmann-Verlag 1976

Skoliose, Stoffwechsel und Wirbels~iulenwachstum

H. Neugebauer*

Orthop~die und orthop~dische Chirurgie, JSrgerstra]e 35, A-1170 Wien

Scoliosis, Metabolism and Growth of the Vertebral Column

Summary. Modern investigators incline to the opinion, that more biochemical than biomechanieal disorders take part in cause of the "idiopathic" scolioses. I t seems, however, that there is not only one cause but more in some subgroups.

Idiopathic sco]ioses, which have symptomes of arachnodactyly, seem to be a big one of these subgroups. These eases allow to state a hypothesis, in which kind a disordered metabolism leads to a deviation of the spine.

This hypothesis is basing on the fact, that the enchondral growth in the length and the periostal growth in the width of "long bones" are not regulated in the same endoerinological kind and that the enchondral growth of the vertebral-bodies-column happens in cranio-eaudal direction, the enchondral growth of the vertebral-archies-column, however, in anterior-posterior direc- tion.

I f the balance between enchondral and periostal growth is disturbed, you can see typical chances on the long bones, which resemble either an "arachno- dactyly" or a "chondrodysplasy".

The same disturbance will cause a "kyphosis" respectively a "lordosis" (or scoliosis) on the vertebral spine; either the bodies-column or the arehies- column will become longer (higher).

The results of metabolism research are suitable to these facts. I f the bal- ance between enchondral and periostal growth,--basing on a dysbolism,--is disturbed in such a kind, that the vertebral-bodies-column is growing faster than the vertebral-archies-column, the vertebral spine is forced to change into a lordosis respectively into a seoliosis.

I f you want to cure an idiopathic scoliosis, you first have to remove or to paralyse the dysbolism. The aim of all research has to be to find an effective chemotherapeutical treatment of mindst a part of all idiopathic scolioses.

Zusammenfassung. Die moderne Forsehung neigt immer mehr zu der Ansicht, da[3 bei den sog. ,,idiopathisehen" Skoliosen weniger biomechanische als viel- mehr biochemisehe St6rungen ursitchlich beteiligt sind. Allerdings diirfte es

* tterrn Prof. Ph. Erlacher zum 90. Geburtstag gewidmet.

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sich dabei nicht um eine einheitliche Ursache handeln, sondern es scheinen sich mehrere ,,Untergruppen" herauszukristallisieren.

Eine prozentmi~Big recht deutlich vertretene Untergruppe betrifft jene idiopathischen Skoliosen, die arachnodaktyle Symptome aufweisen. Anhand dieser F~lle li~Bt sich ein ,,Denkmodell" aufstellen, durch welche Zusammen- h~nge StoffwechselstSrungen zu Wirbels~ulenverkriimmungen ffihren kSnnen bzw. fiihren miissen.

Basis dieser Hypothese ist die Tatsache, dab das enchondrale L~ngen- wachstum und das periostale Dickenwachstum yon l~Shrenknochen humoral nicht g]eichartig gesteuert sind und dab das enehondrale Wachstum der Wirbel- kSrperreihe in cranio-caudaler, das der Wirbelbogenreihe aber in anterior- posteriorer Richtung erfolgt.

Ist das Gleichgewicht zwischen enchondralem und periostalem Wachstum gestSrt, kommt es zu typischen Ver~nderungen an den R6hrenknochen ent- weder im Sinn einer Arachnodaktylie oder im Sinn einer Chondrodystrophie.

Bei der Wirbelsi~ule muB eine entsprechende St6rung entweder zu einer relativ ,,l~ngeren" (also hSheren Wirbelbogenreihe, d. h. zu einer Kyphose) oder zu einer relativ hSheren WirbelkSrperreihe (d. h. zu einer Lordose bzw. Skoliose) fiihren.

Die Ergebnisse der bisherigen Stoffwechseluntersuchungen passen gut in dieses Bild. Ist n~mlich aufgrnnd bestimmter StoffweehselstSrungen das Gleich- gewicht zwischen chondralem und periostalem Wachstum zugunsten des erste- ten gestSrt, muff die wachsende Wirbels~ule aufgrund der gegeniiber der Bogen- reihe starker in cranio-candaler Richtung wachsende KSrperreihe in die Sko- liose ausweichen.

Will man die idiopathische Skoliose ursi~chlich in den Griff bekommen, muB man in erster Linie die entsprechenden StoffwechselstSrungen beseitigen oder paralysieren. Fernziel aller Uberlegungen wi~re demnach eine effektvolle chemo- therapeutische Behandlung der idiopathischen Skoliose.

I. Einleitung

Die Genese der idiopathischen Skoliose ist, wie die Bezeichnung bereits ausdrfickt, nicht bekannt. Die Therapie beruht haupts~chlich auf ,,biomechanischen" Uber- legungen. Seit Hibbs (1914) erstmals eine skoliotische Wirbels£ule einer Spondy- lodese unterzogen hatte, wurde die Methode der ,,Fusion" immer welter ausgebaut und verfeinert und stellt heute neben der Miederbehandlung das wesentliche thera- peutische Riistzeug der Orthopi~die dar.

Die operativen Methoden folgen dabei entweder mechanisch-statischen Grunds~tzen, wie die Fusion mit oder ohne vorherige Extension bzw. Umkrfim- mung, mit oder ohne innerer Korrektur und Fixation (z. B. Harrington), oder mechanisch-dynamischen Uberlegungen, wie z. B. das alloplastisehe Korrektur- verfahren nach Grucu, das sich metallischer Spannfedern bedient, die an der Kon- vexit~t der Kriimmung an den Querforts~tzen verankert werden, oder der Methode nach Dwyer, der ein korrigierendes Zugspannkabel aus Titanium verwendet, das

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an der Konvexseite der Kri immung an den Wirbelk6rpern mit I-Iilfe sugittal ver- ankerter Schruubenk6pfe befestigt wird.

DaB auch die Korsettbehandlung physikalisohen Uberlegungen folgt, liegt in der Methode. Zu unterscheiden sind hier Mieder, die die skoliotische Verkrfimmung mehr ,pussiv" dutch Druck und Zug beeinflussen sollen, und solohe, die , a k t i v " wirken, indem sie den P~tienten zur Streekung und Aufrichtung anregen. Die mei- sten Konstruktionen vereinen wohl beide Komponenten, wenn auch die passiv- korrigierenden Vorstellungen bei dem 1958 yon l~isser entwiekelten ,,Lokalizer- Cast" und dem 1964 yon Cotrel angegebenen EDF-Korse t t sowie beim ,,Lyon- Korse t t" yon Stugnara (1963) mehr im Vordergrund stehen, wghrend das 1953 von Blount u. Schmidt angegebene ,,Milwaukee-Mieder" in erster Linie eine aktive Aufriehtung foreieren sell, dubd aber ~uoh nicht ~uf p~ssiv korrigierende Pelotten verziehten kann.

Die zweifellos bedeutenden Erfolge, die soleher~rt mit ,physikalischen" Me- thoden erzielt werden konnten, lieBen nicht nur die Forschung nach anderen Ms mechanischen Ursuchen der idiopathischen 8koliose in den Hintergrund treten, sondern lenkten auch die Aufmerksamkeit in erster Linie ~uf etwaige ,mechu- nische" Ursaehen, seien diese in einem ,,Muskelungleiehgewieht:' oder einer st~- tiseh-dynamisehen Verursachung gelegen.

Gegen die meohanisohen Probleme traten bioehemisehe und Stoffwechsel- frugen lunge Zeit v6llig in den Hintergrund. Wohl wurden schon yon Schede (1924) und spgter aueh anderen Autoren allgemeine unspezifische Mafinahmen zur Stoff- wechselanregung empfohlen, wohl sehlug ~uch R~thke (1965) vor, stoffweehsel- unregende MuBnahmen anzustreben, um den Reifungsprozel3 zu besehleunigen und das Wirbelwaehstum sehneller zum AbsehluB zu bringen, doch systemutisehe labor- ehemisehe Untersuehungen fehlten lunge Zeit oder guben, soweit doeh vorhanden, kein einheitliehes, noeh viel weniger ein verstgndliehes Bild.

Erst in den letzten Juhren kam es zu teilweise grogartgelegten Untersuehungen, die die Genese der idioputhisehen Skoliose zwar uueh noeh nieht klgren konnten, aber doeh bereits ein beaehtenswertes Material zutuge f6rderten.

Diese lubordiugnostisehen Untersuehungen, die in ihrer Summe nur einen er- sten Sehritt durstellen, haben u. u. auf St6rungen im gormonhaushult , im Amino- sgurenstoffweehsel und in der Megabolie der Mueopolysaeehuride hingewiesen. Heute steht uns eine verwirrende Fiille yon Einzelergebnissen zur Verfiigung, die wie Steinehen in einem groBen Mosaik wirken, dus ein noeh keineswegs tibersieht- liehes Bild erkennen lgl3t.

Dariiber hinaus aber erhebt 8ich die entscheidende Frage, au/ welcher physiologi- 8chen Basis St6rungen im Hormonhaushalt und in den Sto~wechselvorgiingen zu einer Verlcriimmung der Wirbels~iule im Sinn einer S]coliose /iihren kSnnen ?

Diese Frage uls ,,Denkmodell" hypothetiseh zu beantworten soll Aufgabe vor- liegender Untersuchung sein, wenn auch der Zeitpunkt als sehr friih bezeiehnet werden muB, da die Ergebnisse der Stoffweehseluntersuchungen rtoeh keineswegs als klar bezeiehnet werden k5nnen; man k6nnte sich jedoch vorstellen, dug es durch eine Art ,,Riickkoppelung" gelingt, die Stoffwechseluntersuehungen etwus zu ,,ordnen", ,,Prioritgten" festzustellen und wenigstens einen Tell der sog. idio- pathisehen Skoliose Ms eigene genetisch erful3bare Gruppe aus der grol~en Anzahl versehiedener osteopathischer Skoliosen herauszul6sen.

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II. Die Stoffwechselst~rungen

Es kann und soil an dieser Stelle keine zusammenfassende l~bersieht fiber die di- versen Untersuchungen gegeben werden, die in zunehmender Anzahl auf Stoff- weehselstSrungen bei sog. idioputhischen Skoliosen hinweisen. Ausffihrliche Zu- summenstellungen finden sich bei Scheier und in letzter Zeit bei Mfihlbach. Be- senders hingewiesen werden sell auf die Arbeiten yon Bulaba und uuf die Unter- suchungen yon Kuzmin.

Zum besseren Verst/~ndnis des sp~ter vorgestellten Denkmodells fiber den Zu- sammenhang zwischen den StoffwechselverSmderungen und der Verformung der Wirbels/~ule seien jedoch schlagwortartig und ohne Anspruch auf Vollst~ndigkeit einige Fakten ungeffihrt.

Der Zusummenhang zwischen pubertulem Wuehstumssehub und Progredienz der Skoliose ist heute unbestritten. Darfiber hinaus ist festzustellen, daft im Ver- h/~ltnis yon ca. l :10 bevorzugt M~dchen betroffen sind und daft in ca. 25% der F/~lle Skoliosen famili/~r geh/~uft uuftreten.

Wenn Nugura waiter darauf hingewiesen hat, dab die Ineidenz der Skoliose mit dem Breitengrad zunimmt, so scheint auch bier ein Zusammenhang mit der kSrperliehen Entwicklung insofern zu besteben, als die Mensehen, die unter hSheren Breitengruden leben, sp/~ter die gesehlechtliche Vollreife er]ungen, dementspre- chend durch 1/tngere Zeit wachsen und uueh eine hShere EndgrSBe erreiehen Ms die dem ~quator n£her lebenden Altersgenossen (Neugebuuer). Die Untersuehun- gen yon Fait u. Kotulan ergaben wichtige Hinweise zum Somattoyp yon M/~dehen mit Wirbels/iulenver~nderungen im Sinn einer fiberwiegenden Ektomorphie, ein Befund, der vom Autor ffir viele, uber nieht ffir alle F/~lle yon idiopathiseher Sko- liose best/itigt werden kunn.

Stearns et M. haben den MinerMstoffwechsel und den N-Stoffwechsel bei idiopathischen Skoliosen untersueht. WS~hrend ersterer keine St6rungen aufwies, konnte insbesondere w/~hrend der Verschlechterungsphasen eine deutliche St6rung des Eiweifiabbuues mit einer erheblichen N-Ausscheidung durch den Urin nuch- gewiesen warden, wobei die N-Bilanz mitnnter negativ war.

Risser beobachtete eine Erniedrigung des Grundumsutzes sowie eine Erh5hung des Cho]esteringehaltes im Blut. Er nennt die idiopathisehe Skoliose offenbar nieht ohne Grund ,,metabolic curve".

Interessunt sind auch die Ergebnisse yon Edelmann u. Gupta, die feststellen konnten, dab bei M/~dchen mit idiopathischen Skoliosen hohe Testosteron- und Dihydrotestosteronwerte in der 1. Gesehlechtsreifegruppe (Tanner) vorlagen. Noeh bemerkenswerter waren jedocb die Dehydroepianstrosteronwerte (DHEA), die bei den Skoliosen auf mehr als das Doppelte der Norm erh5ht waren. Die Autoren /~ugern deshulb die Vermutung, daft zwischen den HormonwerterhShungen nnd dem geh/~uften Vorkommen der idiopathischen Skoliose bei lVf/tdchen ein Zusam- menhang bestehe 1.

1 DHEA ist das mengenmgBig wichtigste Steroid im mensehlichen glut. Es stellt eine Vor- stufe sowohl der Androgene als auch der t)strogene dar nnd greift in den Gleichgewiehts- meehanismus dieser beiden Gruppen ein. Ein positiver WachstnmseinfluB yon DHEA auf die Wirbelsgule wird derzeit diskutiert.

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Kyselka (1965) konnte bei Kindern mit progredienter Skoliose eine signifikant niedrige Globalausseheidung an sauren Mucopolysaeehariden feststellen, Glauber (1962) und Mfihlbaeh (1965) konnten eine Vermehrung der Alpha-Globulin-Frak- tion finden, die auf einer Glykoproteidvermehrung beruht.

Besonders bedeutsam seheint das Ergebnis yon Balaba zu sein, der 1971 eine Vermehrung der tIyalurons//ure und Steigerung des Chondroitin-4-Sulfat- gehaltes im Serum fand. Eine Erh6hung der Mkalisehen Phosphatase, die B6hmer und aueh Kyselka beobaehtet hatten, konnte Balaba nieht best//tigen.

Kazmin konnte 1971 zeigen, daG bei Patienten mit Skoliose der Austauseh der Glueosaminglykane gest6rt ist, wobei die Senkung des Hyalurons~urespiegels dureh eine Vermehrung des Chondroitinsulfates A begleitet wurde. Kazmin nimmt an, dab die metabolisehen St6rungen seitens der Glueosaminoglykane dutch eine VerS~nderung der tIormonregulierung ihrer Synthese hervorgerufen werden k6n- hen, besonders dutch Gesehleehtshormone in der I~eifungsperiode des Organismus. (Sasaki u. Keekar hatten bereits 1968 in einer experimentellen Arbeit an Mgusen gezeigt, dag eine Dysfunktion der Gesehleehtshormone, besonders yon Testosteron und Ostradiol, die Biosynthese der Glueosaminglykane bei MS~nnehen und Weib- ehen nicht gleiehbedeutend beeinflugt.)

Auf einen hormonellen Einflug dureh die Gesehleehtshormone weist aueh die Beobaehtung yon Neugebauer hin, der unter der Behandlung mit 0strogen-Ge- stagen-Kombinationspr/iparaten bei idiopathisehen Skoliosen nieht nut - - wie angestrebt - - eine Verlangsamung des Waehstums erreiehte, sondern aueh eine (vorfibergehende) Besserungstendenz der Skoliosen feststellen konnte. Diese Ten- denzSmderung dauerte jeweils ca. ~ Jahr und war parallel zu der beobaehteten Besehleunigung der Knoehenreifung, die sieh bei unver/~nderter I-Iormondosis naeh ca. der gleiehen Zeit wieder ,,normalisierte".

Mfihlbaeh fand 1974, dab die Oxyprolinausseheidung und die It6he der alkali- sehen Serumphosphatase im 24 h-Ham bei F/~llen mit geringer Knoehenreife signifikant fiber den Werten der Patienten mit entwiekelter Darmbeinkamm- apophyse lagen. Es konnte dabei jedoeh nieht gekl~rt werden, ob diese Erh6hung auf die Waehstumsphase an und fiir sieh oder auf bzw. auch auf das Vorhanden- sein der Skoliose zuriiekzufiihren war. Eine ErhShung der alkalisehen Serum- phosphatase w/thrend des p uberalen Waehstumssehubes ist an und fiir sieh be- kannt, doeh liegen keine entspreehenden Untersuehungen fiber ,,Normwerte" vor.

I)amit erhebt sieh grunds/~tzlieh die Frage, wieweit gefundene Stoffweehsel- abweiehungen auf den ,,Waehstumssehub" oder auf eine St6rung desselben bei Vorliegen einer Skoliose zurfiekzufiihren sind. Es wird daher notwendig sein, die Ergebnisse der versehiedenen Untersuehungen in dieser Hinsieht sorgf/~ltig zu analysieren.

Wesentliehe Hinweise in dieser Riehtung geben einerseits die versehiedenen ,,Kombinationen" mehr oder minder stoffweehselm/~13ig abgekl~rter Krankheits- bilder mit Skoliosen, andererseits experimentelle Un~ersuehungen, wobei Skoliosen dutch bestimmte ,,Intoxikationen" hervorgerufen werden konnten.

So hat Sehreiber (1963) bei 100 Patienten mit ,,Hiiftkopfepiphysenl6sung" in 16 F/illen eine Kombination mit Skoliosen festgestellt, yon denen 6 sehwere Grade aufwiesen. Da die Ineidenz der Skoliose im allgemeinen um 2% liegt (Shands u. Eisberg; Nagura; u. a.), kann aus der 8mal grSl?eren HSmfigkeit des Zusammen-

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treffens beider Erkrankungen gesehlossen werden, dab ein und diese]be St6rung, die die Festigkeit der Femurkopfepiphyse herabsetzt, auch die Entstehung der Skoliose begfinstigt.

Auf die H~ufigkeit hormonaler StSrungen bei Epiphysiolysis capitis femoris haben in erster Linie Taillard und Taillard et al. sowie in letzter Zeit Reiter hin- gewiesen, wenn auch fiber Art und Ausmal~ der hormonalen St6rungen die An- sichten noch divergieren.

Die genannten Autoren wiesen dabei auf eine Labilit~t des Gleiehgewichtes zwisehen Wachstums- und Sexualhormon hin. Tierversuehe haben ergeben, dub das Waehstumshormon gegenfiber den Sexualhormonen das Ubergewicht be- kommt, wodurch die Epiphysenfuge mechanischen Beanspruchungen nicht mehr voll gewachsen ist. (Man weist in diesem Zusammenhang auf zwei Typen hin: Uberwiegen des Waehstumshormones bei gro[ten, mageren Patienten und Mangel an Sexualhormonen bei kleinen, dicken Kindern.)

Rfither fund bei l l0 Fallen in 20% einen Pubert~tseunuchoidismus; in der fibrigen Literatur wird meist auf hypopituit~re diencephale St6rungen im Sinn einer (Pseudo)Dystrophia adiposogenitalis hingewiesen. Bedeutungsvoll sind je- denfalls die Beobaehtungen yon Tandler u. Groin, die eindrueksvoll auf den Einflul3 der Keimdrfisenunterfunktion bei der Epiphyseolyse der Skopzen hinweisen, bei welchen aus rituellen Grfinden kastriert wird. Bemerkenswert ist noch, dab bei der Epiphyseolysis cap. fern. eine Aminoaeidurie gefunden werden konnte, wobei in erster Linie Taurin ausgeschieden wurde.

Auf den Zusammenhang zwisehen Skoliose und Epiphysiolysis bzw. auf eine eventueIle ,,gemeinsame Ursaehe" weisen auch tierexperimentelle Untersuchun- gen hin, bei welchen Lathyrus odoratus-Samen oder BAPN (Beta-amino-proprio- nitril) verffittert wurde und wobei regelm~l~ig sowohl Skoliosen als aueh Epi- physenl6sungen zu beobachten waren (¥1i-Pojka et al.). Diese Skoliose bei Osteo- lathyrismus wurde morphologiseh, r6ntgenologiseh und bioehemiseh mit den ju- venilen und Adoleszenteskoliosen verglichen (Balaba), ist jedoch als Modell nieht ffir alle Skolioseformen geeignet (Mfihlbaeh). Von Interesse ist jedoeh die Tat- saehe, dal3 sich dabei sowohl symptomatiseh als aueh fiber den Chondroitin- Sehwefels£ure-Stoffwechsel ein Zusammenhang mit der Arachnoda]ctylie zeigt.

Nun hat Seheier bereits darauf hingewiesen, dab ,ein groBer Teil der idio- pathischen Skoliosen auf der Grundlage einer Arachnodaktylie" besteht und dal~ man bei jeder Skoliose auf eine evtl. ,,forme fruste" einer Araehnodaktylie aehten solle.

Auch beim Marfan-Syndrom wurde eine erh6hte Hydroxyprolinausscheidung im Ha m beobachtet, eine Verminderung der Serummueoproteine und eine Er- h6hung der sauren Mueopolysaecharide als Hinweis ffir die Stoffweehselst6rung im Bindegewebe gefunden (Sehindler). Wesentlieh erseheint aber, dab aueh bei Araehnodaktylie ein Uberwiegen von STH (HGH) angenommen wird.

Zu bemerken ist noch, dal~ Patienten mit Homoeystinurie ausgepr£gte Kypho- skoliosen aufweisen.

Faint man die Beobachtungen bei diesen kombiniert vorkommenden Erkran- kungen - - idiopathisehe Skoliose, Hfiftkopfepiphysenl6sung, Araehnodaktylie und Homocystinurie - - zusammen, so kann man den Eindruck gewinnen, dab die beobaehteten Endokrinopathien auf der einen Seite und Enzymopathien auf der

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anderen Seite sieh i rgendwie mi t dem STH(HGH)-Stof fweehse l (fiber die Chon- droitinschwefels/~ure) treffen. Was aber den L a t h y r i s m u s betriff t , so is t zu bemer- ken, daft in L a t h y r u s odor~tus-S~men Homoser in in grSfterer Menge gefunden wurde, das als Zwisehenproduk t des Methionin-Cystein-Stoffweehsels fungiert .

III. Das Wirbels~iulenwaehstum

A. Das Wachstum der RShrenlcnochen

W e n n m a n vom W a c h s t u m yon R6hrenknochen sprieht , me in t m a n im al]gemei- nen das L/ ingenwaehstum. Dieses bc ruh t auf dem in ters t i t ie l len W a c h s t u m des Ep iphysenknorpe l s , der die Ep iphyse mi t der Diaphyse ve rb inde t und die Epi- physenfuge bi ldet . Die eigentl iehe Waehs tumszone , in der sieh die Mitosen finden, is t die sog. Zone des SSmlenknorpels. Die mi to t i sehe Aktivit i~t wird humora l ge- s teuer t und ist gegen exogene oder endogene Sch~digungen rech t empfindl ieh. Sie k a n n z. B. durch schwere E r k r a n k u n g e n deut l ieh herabgese tz t sein, so daft das L~ngenwachs tum ver ]angsamt wird. Ff i r die VerknSeherung in der Wachs- tumszone ist in ers ter Linie V i t amin D veran twor t l i ch .

RShrenknochen waehsen jedoeh n ieh t nur in die Li~nge, sondern aueh in die Brei te . Das Diekenwachs tum spiel t sieh an der Diaphysenoberf l£ehe ab und be- s teh t in der Ablagerung neuen Knochens un te r der Cambiumseh ieh t des Per ios ts (Rauber -Kopseh) . Gleiehzei t ig wird Knoehen yon innen her abgebaut .

Wesen t l i eh fiir unsere Model l i iber legung ist jedoeh die Tatsaehe , dal3 das L~n- gen- und das Diekenwaehs tum humora l nicht die gleiehe S teuerung aufweisen. Haup t ang r i f f spunk t des STH (HGH) ist die Knorpe l -Knoehen-Grenze (Hepp u. Mat th iash) . Es regt e lek t iv die Chondrogenese (und d a m i t einseit ig das L/~ngen- waehs tum) an und wird deshalb aueh als Chondro t rop in bezeiehnet .

S tSrungen des Gleiehgewiehtes zwisehen Lgmgen- und Diekenwaehs tum der t~Shrenknoehen f i ihren zu eharak te r i s t i sehen Ver/ tnderungen derselben (Abb. 1).

Abb i ldung 1 zeigt die drei grunds/~tzliehen M6gl iehkei ten:

a) Ist Lgngen- und Dickenwachstum im Gleichgewicht, so entsteht ein RShrenknoehen VOII , ~ n o r m a l e r ~* F o r m .

b) i3berwiegt das L~ngenwaehstum (wobei das Diekenwachstum relativ oder absolut zu- r~ickbleiben kann), so entstehen lange, grazile RShrenknoehen, wie wir sie z.B. bei der Araehnodaktylie kennen. Da die Knorpelossifikation die Periostossifikation i~berwiegt, spricht man aueh yon einer ,,Hyperehondrodysplasie".

Es ist dabei sehwer, die Grenze zwischen normal, konstitutionell und pathologiseh zu zie- hen. Wir wissen heute, dab die Araehnodaktylie oft als forme fruste vorliegt und verwenden als Test den Versueh, ein Handgelenk mit dem 1. und 5. Finger der anderen Hand zu umgreifen (Bankl). Gelingt dies bis zur Beriihrung oder flberlappen sich gar die Finger, so besteht der Verdaeht auf eine mehr oder minder ausgepr~Lgte Arachnodaktylie.

e) Bleibt das L~ngenwaehstum gegeniiber dem Diekenwachstum zurfick, so entstehen kurze, plumpe R6hrenknoehen, wie wir dies bei ehondrodystrophisehen Zwergen zu sehen bekommen. Ftir diese StSrung haben franzSsisehe Autoren den Ausdruek ,,Achondrodysplasie" gepr~gt, der allerdings saehlich tibertrieben erseheint; man sollte nur yon einer ,,Hypoehondro- dysplasie" sprechen.

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Normal Hyperchondrodyslolasie, Hypo(A)chondrodysplasie, z. ]3. Araehnodaktylie z.B. Chondrodystrophie

Abb. 1. Um eine ,,normale" Konfiguration zu bekommen, mug zwisehen dem L~ngen- und dem Diekenwaehstum yon l~Shrenknoehen ein Gleiehgewieht herrschen. ]3estimmte Stoff- weehselstSrungen veriindern dieses Gleiehgewieht deshMb, well die humurale Steuerung des ehondralen Li~ngenwachstums und des periostalen Diekenwaehstums nieht die gleiche ist. Ein Uberschul~ yon STI-I (HGH) fiber die Keimdrfisenhormone ffihrt z. B. zu einem iibermgBigen L~ngenwaehstum der RShrenknochen, wie dies bei der Arachnodaktylie beobachtet werden kann. ]31eibt das Li~ngenwaehstum gegeniiber dem Diekenwaehstum zurfiek, so entstehen kurze, plumI0e RShrenknoehen, wie z. B. bei der Chondrodystrophie. Man sprieht deshalb von einer Hyper- und yon einer Hypoehondrodysplasie

B. Das Wachstum der WirbelsSule im speziellen

Wenn man yon der Wirbels~ule (und ihren pathologischen Ver~nderungen) spricht, denkt man in erster Linie immer an die WirbelkSrperreihe. Tatsgchlich besteht jedoch die Wirbels/~ule, wenn man schon den ungltickliehen signifikant ,,stati- schen" Ausdruck ,,Sgule" verwendet, aus zwei S/iulen: der S/~ule der WirbelkSrper und der S/iule der WirbelbSgen (mit Gelenks-, Quer- und Dornforts/ttzen). Weim auch die Zwischenwirbelscheiben und die Zwisehenwirbelgelenke eine weitgehende Beweglichkeit gestatten, so kann man doch simplifizierend sagen: Uberwiegt die Liinge (H6he) der Wirbelk6rperreihe wesentlich die Liinge (HShe) der Wirbelbogen- reihe, so entsteht eine Lordose, iiberwiegt die H6he der Wirbelb6gen wesentlich die der Wirbellc6rper, 80 entsteht eine Kyphose.

Das einfachste Beispiel dafiir ist der Gibbus, der z. B. bei einer Kompressions- f raktur eines oder mehrerer WirbelkSrper entsteht. Obige Feststellung ist deshalb yon Bedeutung, weil die Wachs tumsr ich tungen des chondralen (und auch des periostalen) Wachs tums der Wirbelk6rper einerseits und der WirbelbSgen anderer- seits im R a u m nicht parallel, sondern im rechten Winkel, d. h. zueinander normal sind (Abb. 2).

W~ihrend die Wirbellc6rper ein enchondrale8 H6hen- und periostales Dic]cenwachs- turn zeigen, [iihrt da8 enchondrale Wachstum der WirbelbSgen zu einer Verliingerung derselben, d. h. zu einer VergrS/3erung des ,,Ringes". Die WirbelbSgen sind dureh periostale Manschetten umgeben, so dab die H5he der Wirbelbogens/~ule letzten Endes durch das periostale Diekenwachstum verursacht wird.

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2 3a 3b 3c

Abb. 2. Die Wirbels~ule besteht aus zwei Si~ulen: der WirbelkSrpers~ule und der Wirbelbogen- s~ule. Das chondrale Wachstum der WirbelkSrperreihe erfolgt in cranio-caudaler Richtung, d.h., bei forciertem Wachstum wird die WirbelkSrperreihe l~nger (eigentlich hSher). Das chondrale Wachstum der WirbelbSgen aber erfolgt jeweils in anterior-posteriorer P~ichtung, d. h., bei forciertem Wachstum werden die BSgen grSl3er, der Wirbelkanal wird welter. Das HShenwachstum der Wirbelbogens~ule abet erfolgt durch periostale Manschetten, wird also endokrin anders gesteuert als das HShenwuchstum der WirbelkSrperreihe

Abb. 3. (a u. b) Bei der Hypochondrodysplasie bleiben die WirbelkSrper in ihrer HShe gegen- fiber den WirbelbSgen relativ zurfick. Sind die Bandscheiben ,,normal" hoch, so mul~ eine Kyphose entstehen, sind die Bandscheiben hSher als normal (bei zahlreichen :F~llen von Chondrodystrophie zu beobuchten), zeigt die Wirbels~ule ~uBerlich keine Verformung, im RSntgen aber ein typisches Bild. Da die WirbelbSgen horizontal nut wenig wachsen, bleibt der Bogenring klein, der Wirbelkanal ist eng, was zu einer Querschnittssymptomatik fiihren kann. (c) Bei der Hyperchondrodysplasie w~chst die WirbelkSrpers~ule starker als die Wirbel- bogensS~ule. Der Effekt ist eine Lordosierung sonst kyphosierter Abschnitte bzw. ein ,,Aus- weichen" in die Skoliose, da der weiteren Lordosierung anatomisch und konstitutionell Grenzen gesetzt sind

C. Das Denlcmodell

Wie mul~ sich n u n die Hyper- bzw. Hypochondrodysplas ie ~uf die wachsende Wirbels~ule auswirken:

Bei der Hypochondrodysplasie (Abb. 3~ u. b) sind die WirbelkSrper rel~tiv niedrig, die Wirbelbogenringe bleiben klein~ der Wirbelkan~l ist eng. Da die Wirbel- kSrper niedrig sind und die Ges~mthShe der KSrperreihe gegeniiber der HShe der

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Abb. 4. Idiopathische Skoliosen zeigen h/iufig einen ausgepriigten Flachriicken, manchmal auch sogar eine lordotische Komponente im Bereich der BWS. Je starker diese ausgepr/igt ist, um so schlechter ist die Prognose, weshalb sie auch als ,,maligne Skoliosen" bezeichnet werden. Verschiedene Autoren stehen auf dem Standpunkt, dab derart lordosierte Skoliosen operativ nicht angegangen werden sollen

ADD. g. Beim Ausweichen der relativ zu langen WirbelkSrperreihe in die Skoliose wird die Wirbelbogenreihe zwar ,,mitgenommen", da sie abet ktirzer ist, macht sie die Ausweich- bewegung weniger stark mit, was die Rotation der einzelnen Wirbel bedingt. Die Dornfortsatz- reihe zeigt die relativ geringste Seitverkriimmung

Bogenreihe zuriickbleibt, ents teht entweder eine Kyphose oder, wenn /~ul~erlich keine Kyphose zu sehen ist, zeigt sich im RSntgenbild die niedrige WirbelkSrper- hShe durch iiberm/~Big hohe Bandscheiben ausgeglichen.

Beide Bilder k5nnen wir bei der Chondrodystrophie sehen, far die die niedrigen WirbelkSrper und der enge Wirbelkanal, der mi tunter zu Kompress ionssyndromen fiihrt, geradezu typisch sind.

Bei der Hyperchondrodysplasie (Abb. 3c) entstehen iiberm/~Big hohe Wirbel- kSrper, die WirbelbSgen sind groB, der Wirbelkanal ist relativ weir, doch die HShe der Wirbelbogenreihe bleibt zuriick. So ents teht ein , ,Flachriicken" oder sogar in Bereichen, die physiologischerweise kyphosier t sind, eine lordotische Komponente (Abb. 4).

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Da die Lordosierung aus anatomischen Gegebenheiten au] Grenzen stSfft, muff die wachsende WirbelkSrperreihe zur Seite bin ausweichen, und es entsteht eine Slcoliose. Die Wirbelbogenreihe macht diesen ProzeB notgedrungen, aber in nur geringerem MaBe mit, was die Rotat ion bedingt (Abb. 5).

Mit dieser Modelliiberlegung haben sich seinerzeit auch schon andere Autoren besch&ftigt. So konnte Heuer experimentell zeigen, dab ,,nie eine Verkiirzung der Wirbelk6rperreihe, sondern nut eine Verli~ngerung der KSrperreihe gegeniiber der Bogenreihe zur Skoliose fiihren kann".

Somerville (1952) hut bei Versuchstieren wi~hrend deren Waehstum das Lig. interspinale durch Drahtschlingen verst~rkt, also die Wirbelb5gen am cranio- caudalen Wachstum gehindert und damit ebenfalls Skoliosen erzeugt. Roaf hat eine ,,lordotische Komponente" bei den meisten Skoliosen festgestellt.

Erlacher hat diese Feststellungen experimentell gesti~tzt und nachgewiesen, daft bei ]ci~nstlicher Quellung der Zwischenwirbelscheiben, wodurch eine Verl~ingerung der K6rperreihe erzeugt werden ]cann, bei gleichzeitiger Behinderung der Streckung der Wirbelsiiule, eine skoliotische Verkri~mmung er/olgen muff.

Erlacher hut diese These damals nicht weiterverfolgt, well er meinte, dag ,,Prozesse, die zu einer Verl~ngerung der KSrperreihe fiihren, unbekannt sind". Eine Feststellung, die damals zu Recht bestand, heute aber nicht mehr gilt.

Im Gegenteil: Die Tatsache der Querverbindungen zwischen einem Tell der idiopathischen Skoliosen, der Arachnodaktylie, der EpiphysenlSsung and dem Lathyrismus and der dabei his jetzt gefundenen StoffwechselstSrungen lassen diese Theorie yon Erlacher heute in einem neuen und wieder aktuellen Licht erscheinen.

Wenn nSmlich au/grund yon bestimmten Sto~wechselst6rungen das Gleichgewicht zwischen chondrcdem und periostalem Wachstum zugunsten des ersteren gest6rt ist~ muff die wachsende Wirbels~iule in die S]coliose ausweiehen /

Um kein MiBverst~ndnis aufkommen zu lassen, muB nochmals betont werden, dag nicht alle idiopathisehen Skoliosen in dieses Bild passen. Weder hut jede Araehnodaktylie eine Skoliose, noeh weist jede Skoliose araehnodaktylie Ziige auf. Doeh wir wissen, daS bei einem Grogteil der idiopathisehen Skoliosen Andeutungen yon Arachnodaktylie zu beobaehten sind und dab die Prognose z. B. bei extremen Flachriieken bzw. bei Brustwirbels£ulenlordose besonders sehleeht ist (maligne Skoliosen). Die eehten ,,Kyphoskoliosen" seheinen eher zur Gruppe der Neuro- fibromatose zu tendieren. JedenfMls ist die Tatsache, dag es auch Kyphoskoliosen gibt, kein ,,Gegenbeweis", da wir mit Grund annehmen, dag unter der Sammel- bezeiehnung ,,idiopathisehe Skoliose" mehrere, genetisch versehieden zu beurtei- lende Skoliosen zusammengefagt werden.

Natiirlieh sind die Grundlagenforsehungen noch keineswegs abgeschlossen, doeh sollte bei den idiopathischen Skoliosen unsere besondere Aufmerksamkeit dem STH(HGH)-Spiegel, dem Somatomedin, dem ,,sulfating factor", der Chon- droitinschwefels/~ure und dem Aminos/~urestoffweehsel gelten.

Wenn es in letzter Zeit gelungen ist, einen growth hormone releasing factor (GI tRF oder SRF) und auch einen growth hormone inhibiting factor (GIF oder SRIF) (Somatostatin) zu finden (letzterer allerdings ist sehr kurzlebig und hut nur eine Halbwertszeit yon ca. 4- -10 min !), so kSnnte man sieh wenigstens theoretiseh vorstellen, dag so, wie man die l%aehitis und ihre Knoehenverbiegungen mittels Vitamin D heilen kann, man eines Tages wenigstens auch einen Teil der sog. ,,idio-

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pathischen" Skoliosen chemotherapeut isch entsprechend beeinflussen kSnnen wird. An eine , ,chemotherapeutische" Hei lung der Skoliosen zu denken ist sicherlich noch verfriiht, doch sollte die Aufmerksamkei t yon der Biomechanik mehr auf die Biochemie gelenkt werden.

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