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Smart City Charta Digitale Transformation in den Kommunen nachhaltig gestalten

Smart City Charta · 2019-03-29 · „Smart Cities sind nachhaltiger und integrierter Stadtentwicklung verpflichtet.“ So formuliert es die Smart City Charta gleich zu Beginn und

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Smart City ChartaDigitale Transformation in den Kommunen nachhaltig gestalten

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IMPRESSUM

HerausgeberBundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR)im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR), BonnDeichmanns Aue 31–3753179 Bonn

Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB)Stresemannstraße 128 – 13010117 Berlin

Fachliche BegleitungBundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR)Referat I 5 – Digitale Stadt, Risikovorsorge und VerkehrStephan Günthner (Projektleitung)[email protected] [email protected]. Peter [email protected]

Begleitung im BundesministeriumBundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und ReaktorsicherheitReferat SW I 3 – Internationale Stadtentwicklungspolitik, Urbanisierungspartnerschaften, Smart CitiesRalf SchulzeDr. Margit Tünnemann

AuftragnehmerDIALOG BASIS Dr. Antje Grobe [email protected] Rissanen [email protected]

StandMai 2017

GestaltungSelbach Design, Lohmar

DruckRautenberg Verlag, Troisdorf

[email protected]; Stichwort: Smart City Charta

Titelbild: DIALOG BASIS / Max KloseBildnachweis befindet sich auf Seite 106 der Publikation.

Nachdruck und VervielfältigungAlle Rechte vorbehaltenNachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet. Bitte senden Sie uns zwei Belegexemplare zu.

Die vom Auftragnehmer vertretene Auffassung ist nicht unbedingt mit der des Herausgebers identisch.

ISBN 978-3-87994-203-9 Bonn 2017

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Smart City Charta

Digitale Transformation in den Kommunen nachhaltig gestalten

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Sehr geehrte Damen und Herren,

„Smart Cities sind nachhaltiger und integrierter Stadtentwicklung verpflichtet.“ Soformuliert es die Smart City Charta gleich zu Beginn und beschreibt ein normativesBild einer intelligenten, zukunftsorientierten Stadt. Damit knüpft sie nicht nur an dieLeipzig Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt, sondern auch an die New UrbanAgenda der Vereinten Nationen an, die als Ergebnis der Habitat-III-Konferenz zuWohnen und nachhaltiger Stadtentwicklung in Quito im Oktober 2016 weltweitMaßstäbe für die Stadtentwicklung der kommenden zwanzig Jahre setzt. Zwei Zieleder New Urban Agenda sind für uns besonders wichtig, nämlich zum einen lebens-werte Städte für Menschen zu schaffen und zum anderen Städte als Entwicklungsak-teure anzuerkennen und zu befähigen. Diese beiden Ziele werden vor dem Hinter-grund der weltweit zunehmenden Urbanisierung, Digitalisierung und Vernetzungkünftig von zentraler Bedeutung werden. Denn es geht darum, wie wir in Zukunftleben wollen und die dafür nötige Handlungsfähigkeit und Gestaltungskraft der Kom-munen sichern und stärken.

Damit die Digitalisierung in den Kommunen dauerhaft trägt, wird es entscheidend aufdie Akzeptanz durch die Nutzer und insbesondere durch die Menschen ankommen.Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass die Kommunen nicht nur Akteure der Stadt-entwicklung, sondern auch Akteure der Digitalisierung werden und bleiben, um dendigitalen Wandel im Sinne einer integrierten und nachhaltigen Stadtentwicklung mit-gestalten können. Die Smart City Charta gibt dafür eine wichtige Orientierung. Aller-dings ist auch sie nur ein erster Schritt auf dem Weg zu wirklich intelligenteren Städ-ten. Ihre Grundsätze, Leitlinien und Empfehlungen müssen mit Leben gefüllt, woimmer möglich umgesetzt und wo nötig weiter entwickelt werden.

Mein Dank gilt den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Dialogplattform SmartCities des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheitfür die Vorlage der Smart City Charta. Sie soll helfen, die Diskussionen zur Zukunft derStädte im digitalen Zeitalter zu fundieren und in die Breite zu tragen.

Gunther Adler

Staatssekretär im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit

Bundesregierung / Sandra Steins

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Liebe Leserin, lieber Leser,

die Smart City Charta wurde von der Dialogplattform Smart Cities erarbeitet. SeitMitte 2016 haben sich ihre Teilnehmerinnen und Teilnehmer in fünf Veranstaltungenmit den Chancen und Risiken der Digitalisierung für unsere Städte und Gemeindenauseinandergesetzt. 70 Expertinnen und Experten vertraten Kommunen sowie derenVerbände, Bundesressorts, für Stadtentwicklung zuständige Länderministerien,Organisationen der Wissenschaft, Fach-, Wirtschafts- und Sozialverbände sowie dieZivilgesellschaft. Sie erarbeiteten Szenarien und ließen Erfahrungen aus internatio-nalen Vorreiter-Städten wie Amsterdam, Kopenhagen und Barcelona in die Chartaeinfließen.

Mit der Smart City Charta fordert die Dialogplattform Smart Cities die Digitalisierungnicht einfach geschehen zu lassen, sondern sie aktiv im Sinne einer nachhaltigenund integrierten Stadtentwicklung zu gestalten. Die Digitalisierung wird nicht auto-matisch zu besserem Verwaltungshandeln, zu einem nachhaltigeren, zugänglicherenund preisgünstigeren Stadtverkehr oder zu höherer Energieeffizienz führen. Digitali-sierung wird nicht von allein die Wirtschaft in unseren Städten stärken, Innovationfördern, mehr Bildungschancen bieten oder Inklusion erleichtern. Um diese Belangeder Leipzig Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt auch im digitalen Zeitalter zuunterstützen, muss die Digitalisierung in den Städten zielgerichtet gestaltet werden.

Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre.

Ihr Harald Herrmann

Direktor und Professor des BBSR

Milena Schlösser

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Inhalt

Smart City ChartaDigitale Transformation in den Kommunen nachhaltig gestalten 9

Beispiele aus der Praxis 20

Dialogplattform Smart Cities: Der Dialogprozess 34

Digitalisierung zielorientiert gestalten 36

Im Fokus: Big Data 46

Im Fokus: Lokale Wirtschaft 56

Im Fokus: Governance 64

Im Fokus: Digitale Integration und Inklusion 72

Internationale Reflexionen 80

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I. PräambelSmart Cities sind nachhaltiger und integrierter Stadtentwicklung verpflichtet. Die digitale Transforma-tion bietet Städten, Kreisen und Gemeinden Chancen auf dem Weg der nachhaltigen Entwicklung undzielt auf die ressourcenschonende, bedarfsgerechte Lösung der zentralen Herausforderungen derStadtentwicklung ab. Diese Smart City Charta soll das Selbstverständnis der Städte, Kreise undGemeinden in Deutschland bei diesem Transformationsprozess spiegeln und sie unterstützen, die Chan-cen und Risiken einer zukunftsorientierten und verantwortungsvollen Stadtentwicklung frühzeitig zuerkennen und Fehlentwicklungen zu vermeiden. Sie soll auch die interkommunale Zusammenarbeitsowie die Verzahnung von Verdichtungsräumen und ländlichen Räumen im Sinne einer zukunftsorien-tierten Stadt- und Raumentwicklung fördern.

Die Smart City Charta wurde entwickelt in Anerkennung und aufbauend auf

• der Leipzig Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt, • der Nationalen Stadtentwicklungspolitik, • der Urban Agenda der EU (Pakt von Amsterdam) sowie • der New Urban Agenda der Vereinten Nationen.

Die Charta unterstützt die Umsetzung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie und die Verwirklichungder globalen Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 der Vereinten Nationen (Sustainable DevelopmentGoals).

Sie ist in einem breit angelegten Dialogprozess mit Vertretenden des Bundes, der Länder, der Kommunen und der kommunalen Spitzenverbände erarbeitet worden. Zusätzlich waren verschiedeneWissenschaftsorganisationen, Wirtschafts-, Sozial- und Fachverbände vertreten. Gemeinsam bilden siedie Dialogplattform Smart Cities beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB).

Mit der Charta wird auch der Auftrag des Staatssekretärsausschusses für nachhaltige Entwicklung er-füllt, im Rahmen des Interministeriellen Arbeitskreises „Nachhaltige Stadtentwicklung in nationaler undinternationaler Perspektive“ (IMA Stadt) eine solche Dialogplattform einzurichten. Das Ziel der Dialog-plattform war es,

• normative Leitlinien für eine nachhaltige digitale Transformation von Kommunen und• konkrete Handlungsempfehlungen zur Umsetzung dieser Leitlinien zu entwickeln.

Die Smart City Charta richtet sich an Städte, Kreise und Gemeinden (Kommunen). Sie richtet sich an Akteure aus Forschung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Im Hinblick auf die Ausgestaltung der politi-schen, rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen sind in erster Linie der Bund und die Länderangesprochen.

SMART CITY CHARTA – DIGITALE TRANSFORMATION IN DENKOMMUNEN NACHHALTIG GESTALTEN

9Digitale Transformation in den Kommunen nachhaltig gestalten

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II. Leitlinien für Smart Cities Digitalisierung ist inzwischen in vielen Lebensbereichen Realität geworden. Die Akteure der Stadtentwick-lung sollen aktiv die Möglichkeit nutzen, den aktuellen Veränderungs- und Anpassungsprozess zu begleitenund nachhaltig zu gestalten. Die Digitalisierung wird viele Bereiche von Verwaltung, Wirtschaft und Stadtge-sellschaft weiter verändern. Smart City nutzt Informations- und Kommunikationstechnologien, um auf derBasis von integrierten Entwicklungskonzepten kommunale Infrastrukturen, wie beispielsweise Energie,Gebäude, Verkehr, Wasser und Abwasser zu verknüpfen.

Digitale Transformation – den Wandel der Städte hin zu Smart Cities – nachhaltig gestalten bedeutet, mit denMitteln der Digitalisierung die Ziele einer nachhaltigen europäischen Stadt zu verfolgen. Hierzu sind die fol-genden vier Leitlinien zentral:

1. DIGITALE TRANSFORMATION BRAUCHT ZIELE, STRATEGIEN UND STRUKTUREN

2. DIGITALE TRANSFORMATION BRAUCHT TRANSPARENZ, TEILHABE UND MITGESTALTUNG

3. DIGITALE TRANSFORMATION BRAUCHT INFRASTRUKTUREN, DATEN UND DIENSTLEISTUNGEN

4. DIGITALE TRANSFORMATION BRAUCHT RESSOURCEN, KOMPETENZEN UND KOOPERATIONEN

Für die digitale Transformation brauchen Städte, Kreise und Gemeinden Offenheit gegenüber neuen Techno-logien und einen starken Werte- und Zielebezug, um sie mit Bedacht und Weitblick nutzen zu können. DieTeilnehmenden der Dialogplattform legen der Smart City Charta das normative Bild einer intelligenten,zukunftsorientierten Kommune zugrunde. Danach ist eine Smart City

• lebenswert und liebenswert – sie stellt die Bedarfe der Menschen in den Mittelpunkt des Handelns undunterstützt im Sinne des Allgemeinwohls lokale Initiativen, Eigenart, Kreativität und Selbstorganisation.

• vielfältig und offen – sie nutzt Digitalisierung, um Integrationskräfte zu stärken und demographischeHerausforderungen sowie soziale und ökonomische Ungleichgewichte und Ausgrenzung auszugleichenund demokratische Strukturen und Prozesse zu sichern.

• partizipativ und inklusiv – sie verwirklicht integrative Konzepte zur umfassenden und selbstbestimmtenTeilhabe aller Menschen am gesellschaftlichen Leben und macht ihnen barrierefreie digitale und analoge Angebote.

• klimaneutral und ressourceneffizient – sie fördert umweltfreundliche Mobilitäts-, Energie-, Wärme-,Wasser-, Abwasser- und Abfallkonzepte und trägt zu einer CO2-neutralen, grünen und gesunden Kommune bei.

• wettbewerbsfähig und florierend – sie setzt Digitalisierung gezielt ein, um die lokale Wirtschaft und neue Wertschöpfungsprozesse zu stärken und stellt passende Infrastrukturangebote zur Verfügung.

• aufgeschlossen und innovativ – sie entwickelt Lösungen zur Sicherung kommunaler Aufgaben, reagiertschnell auf Veränderungsprozesse und erarbeitet in Co-Produktion innovative, maßgeschneiderte Lösungen vor Ort.

• responsiv und sensitiv – sie nutzt Sensorik, Datengewinnung und -verarbeitung, neue Formen der Interaktion und des Lernens zur stetigen Verbesserung kommunaler Prozesse und Dienstleistungen.

• sicher und raumgebend – sie gibt ihren Bewohnerinnen und Bewohnern sichere private, öffentliche und digitale Räume, in denen sie sich bewegen und verwirklichen können, ohne Freiheitsrechte durchÜberwachung zu verletzen.

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1. DIGITALE TRANSFORMATION BRAUCHT ZIELE, STRATEGIEN UND STRUKTUREN

1.1 Digitalisierung in die Stadtentwicklung integrieren und Ziele der nachhaltigen Stadtentwicklung umsetzen

Die Digitalisierung von Kommunen ist kein Selbstzweck. Sie soll sowohl im sozialen, ökologischen wie auchökonomischen Sinne nachhaltigen Zielen dienen und darf diesen nicht entgegenwirken. Kommunen sollendie Digitalisierung dazu nutzen, ihre Entwicklung sozial verträglich, gerecht, energie- und ressourceneffizientzu gestalten. Eine solche, bewusst gesteuerte digitale Transformation sollte lokale Wertschöpfung, Kreislauf-wirtschaft und nachhaltige Lebensstile unterstützen. Die Smart City erweitert das Instrumentarium der nach-haltigen und integrierten Stadtentwicklung um technische Komponenten, sodass die Gesellschaft, derMensch und seine Lebensgrundlagen auch zukünftig im Mittelpunkt stehen.

Städte, Kreise und Gemeinden sollten die digitale Transformation im Sinne dieser Ziele aktiv gestalten undgemäß ihrer spezifischen Bedürfnislagen steuern. Die Unabhängigkeit und Selbstbestimmung der Kommu-nen sowie die dauerhafte Erfüllung der kommunalen Aufgaben müssen dabei sichergestellt werden.

1.2 Anwendungsfelder identifizieren, Wirkungen der Vernetzung prüfen, Strategien entwickeln

Kommunen sollten frühzeitig die strategischen Handlungsfelder der Smart City für sich identifizieren unddefinieren. Schwerpunkte können z. B. eine höhere Effizienz der Verwaltung, mehr Transparenz und Partizi-pation, das Erreichen konkreter Klimaziele, optimierte Mobilität und Verkehrsabläufe oder die regionale Innovations- und Wirtschaftsförderung sein. Bei der Strategieentwicklung sollten auch mögliche räumlicheWirkungen der Digitalisierung wie veränderter Verkehrsaufwand, andere Flächenbedarfe oder neue Stadt-umbaupotenziale berücksichtigt werden. Einzelne strategische Handlungsfelder und Initiativen sowie dieVernetzung von Infrastrukturen sollten daraufhin geprüft werden, ob sie den Zielen der nachhaltigen undintegrierten Stadtentwicklung dienen und welche Auswirkungen sie haben. Ein neuer Prüfstein für Maßnah-men und technische Lösungen ist ihre Skalierbarkeit, um sie von der Testanwendung auf die gesamte Kommune ausdehnen zu können.

1.3 Organisationsstrukturen in den Kommunen anpassen

Die Steuerung des Digitalisierungsprozesses sollte organisatorisch festgelegt sein. Um sektorale Smart-City-Initiativen zu bündeln und den Dialog mit Wirtschaft, Forschung und Zivilgesellschaft zu führen, sollten Kom-munen kooperative Strukturen mit klaren Rollen, Ressourcen und Kompetenzen schaffen. Hierfür benötigtdie Kommunalverwaltung von den politisch verantwortlichen Gremien einen klaren Auftrag, der die Aufgabenbereiche und Verantwortlichkeiten regelt.

Innerhalb der kommunalen Verwaltung sollten in den neuen Strukturen verschiedene Ressorts im Kontextder Digitalisierung zusammenwirken. Je nach örtlicher Ausgangslage kann dies beispielsweise in Form einerständigen Arbeitsgruppe (Smart City Board), eines Kompetenzzentrums oder einer Stabstelle (Chief Techno-logy Office), idealerweise bei der Verwaltungsspitze im Bürgermeisteramt geschehen. Sektorale Initiativensollten sich über ihre Erfahrungen z. B. in übergreifenden Workshops austauschen, um Lernen zwischen denRessorts zu ermöglichen. Die Steuerungseinheiten sollten einen strukturierten Innovationsprozess und inter-disziplinäre Netzwerke aufbauen, aktiv gestalten und weiterentwickeln können. In Kommunalverwaltungenund Kommunalpolitik sollten neue Arbeitsformen gestaltet und etabliert werden.

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2. DIGITALE TRANSFORMATION BRAUCHT TRANSPARENZ, TEILHABE UND MITGESTALTUNG

2.1 Transparenz und Demokratie stärken

Kommunen sollten die Digitalisierung dazu nutzen, politische Entscheidungen und ihre Hintergründe aktiv undtransparent zu kommunizieren, z. B. durch Ratsinformationssysteme oder die Publikation von Haushaltsdaten.Digitale Prozesse können Informationen besser verfügbar machen, die für demokratische Entscheidungenwichtig sind. Sie können zum politischen Diskurs vor Ort beitragen und die Zivilgesellschaft aktiver in Pla-nungs- und Entscheidungsprozesse einbinden. Ziel ist es, evidenzbasierte Politik und Demokratie zu stärkenund Entfremdung, Populismus und Polarisierung durch neue Technologien entgegenzuwirken.

Werden Foren oder andere Web-2.0-Angebote oder Aktivitäten in sozialen Netzwerken eingeführt, sollte der für schnelle Reaktion, Prüfung und Moderation fremder Beiträge erforderliche Aufwand berücksichtigtwerden.

2.2 Digitale Teilhabe, Integration und Inklusion sichern

Die digitale Transformation sollte die Teilhabe aller Menschen am gesellschaftlichen Leben fördern. Digitali-sierung darf nicht zum Ausschluss Einzelner oder ganzer Bevölkerungsgruppen führen. Dazu sollten die digitalen Angebote den unterschiedlichen Möglichkeiten der Menschen Rechnung tragen (Design for all).Dies gilt in besonderem Maße für Menschen mit Behinderung, für ältere Menschen ohne Erfahrungen mitdigitalen Medien oder Menschen, mit ungenügenden Sprachkenntnissen.

Ein aktivierender, integrativer und inklusiver Ansatz der Beteiligung ist wichtig, damit nicht ohnehin artikulati-onsstarke Teile der Bevölkerung Positionen vorbestimmen, sondern eine ausgewogene Meinungsbildungermöglicht wird. Entsprechend sollten an öffentlichen Orten nicht nur Zugang zu Geräten und Software, sondern auch zielgruppenspezifische Unterstützung durch z. B. Helferstrukturen, Paten- und Netzwerkeangeboten werden.

Niemand soll zur Nutzung digitaler Strukturen gezwungen werden. Kommunen müssen ihren Einwohnerinnenund Einwohnern und Unternehmen ermöglichen, auch auf nicht-digitalem Wege mit ihnen zu kommunizieren,und daher zusätzlich analoge Strukturen anbieten. Die Lebenswirklichkeit in Städten, Kreisen und Gemeindenwird in hohem Maße von Haltungen und Geschäftsbedingungen von Unternehmen geprägt. Kommunen soll-ten auf Unternehmen einwirken, zu Teilhabe, Integration und Inklusion in der Gesellschaft beizutragen, indemsie ihren Kunden ermöglichen, auch auf nicht-digitalem Wege mit ihnen zu kommunizieren.

2.3 Mitgestaltung fördern

Um eine breite Teilhabe und Mitgestaltung der Zivilgesellschaft an kommunalpolitischen Prozessen zuerleichtern, sollten digitale Technologien möglichst zielgruppenorientiert gestaltet und eingesetzt werden.Mitgestaltung braucht dabei grundlegende Kompetenzen im Umgang mit neuen Technologien. Digitale Platt-formen, auf denen man Informationen zu Beteiligungsprojekten, Begegnungsorten und Ansprechpartnern fin-det, können die Kommunikation zwischen den Akteuren deutlich verbessern und zur Mitgestaltung aktivieren.Tools, bei denen Menschen z. B. neuralgische Punkte der Verkehrsführung, Mängel oder interessante Orteauf einer Website sammeln und der Verwaltung übermitteln können, sollten weiterentwickelt und in Verwaltungsprozesse integriert werden.

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3. DIGITALE TRANSFORMATION BRAUCHT INFRASTRUKTUREN, DATEN UND DIENSTLEISTUNGEN

3.1 Zugang zu digitalen Infrastrukturen schaffen und sicherstellen

Ein sicherer Zugang zu einer hochleistungsfähigen Breitbandversorgung ist ein zentraler Standortfaktor. Erist die Grundvoraussetzung digitaler Kommunen mit wissens- und technologiebasierter Wirtschaft. Dies giltfür urbane Zentren genauso wie für den ländlichen Raum. Perspektivisch werden der Bedarf an Übertra-gungsgeschwindigkeit und Datendurchsatz weiterhin ansteigen. Daher ist ein kontinuierlicher Kapazitäts-ausbau durch Telekommunikationsunternehmen erforderlich und sollte, wo nötig, von Bund und Ländernfinanziell gefördert werden.

Die mit der Digitalisierung einhergehende Vernetzung von Infrastrukturen, Daten und Diensten erfordertklare Regelungen für Schnittstellen und Zuständigkeiten. Sowohl für Betrieb und Unterhalt als auch fürNeuinvestition und Haftung müssen Verantwortlichkeiten klar definiert werden.

3.2 Daten verantwortungsvoll generieren, Datenhoheit behalten

Kommunen sollten sich den Zugang zu Daten sichern, die für ihre Aufgabenerfüllung relevant sind, und dieHoheit über diese Daten behalten. Dafür sollten sie ihre Rolle als Datenproduzent, -bereitsteller oder -ver-werter regelmäßig prüfen. Große Teile der für Smart Cities wichtigen Daten haben Raumbezug (Geodaten)und sind wichtige Grundlagen für Smart-City-Konzepte. Geodaten sollten interoperabel und leistungsfähigfür alle Lebenslagen einer Kommune bereitgestellt werden (Smarte Geodaten). Anwendungsbeispiele sindinteraktive Stadt- und Landschaftsplanung, 3D-Modellierung und digitale Bauleitplanung.

Vernetzung und Digitalisierung schaffen wachsende Datensammlungen der öffentlichen Hand und bei Unter-nehmen, für die sich Fragen des Datenschutzes, der Datensicherheit sowie der Analyse und Interpretationstellen. Bei der Erhebung, Verarbeitung und Veröffentlichung von Daten ist von Anfang der Datenschutz, u. a.durch die Trennung personenbezogener Daten, zu berücksichtigen (Privacy by Design). Das Potenzial großerDatenbestände (Big Data) kann nach einer Anonymisierung genutzt werden. Bei personenbezogenen Datenist insbesondere dem Gebot der Datensparsamkeit zu folgen.

Geben Kommunen Daten an Dritte weiter, ist deren verantwortungsvoller Umgang mit den Daten einzufordern.

Es ist darauf zu achten, dass keine neuen Machtstrukturen entstehen, die sich demokratischer Kontrolle ent-ziehen und eine Gefahr für die Grundrechte, die Sicherheit und Privatsphäre jedes Einzelnen darstellen.Algorithmen dürfen weder demokratisch gewählte Gremien noch die Verantwortlichkeit natürlicher oderjuristischer Personen ablösen. Die Kriterien automatisierter Verwaltungsentscheidungen sind offenzulegen.

3.3 Dauerhafte Funktionsfähigkeit vernetzter Infrastrukturen und kommunaler Dienstleistungen sichern

Für die dauerhafte Funktionsfähigkeit und zur Umsetzung des Vorsorgeprinzips sollten neue Technologienund Anwendungen reversibel und abwärtskompatibel (d. h. mit älteren Geräten nutzbar) sowie mit offenenSchnittstellen und Standards ausgestattet sein. Dies trägt auch zur Vermeidung einseitiger Bindungen anHersteller oder Technologien bei.

Technische Basis der Smart City bilden neue hochgradig vernetzte IT-Systeme. Deshalb sind digitale Infra-strukturen – von der Verkehrsleitzentrale oder dem digitalen Rathaus bis zum Wasserwerk – neuen Bedro-hungen ausgesetzt. Die Zuverlässigkeit kommunaler Dienstleistungen und die Notfallvorsorge sind daherbereits in der Planung nach dem Prinzip „Security by Design“ zu gewährleisten. Dies bedeutet, ganzheitlicheSicherheitsmaßnahmen einzufordern, umzusetzen und zu aktualisieren. Bei energetischen und datentechni-schen Verknüpfungen muss garantiert werden, dass Teilsysteme bei Störungen funktionsfähig bleiben. Fürdie Kernkomponenten der technischen Infrastrukturen (Server, Router, Netzwerksteuerung) sind technischeRedundanzen vorzusehen. Für die Kommunikation der Rettungsdienste, die Trinkwasserversorgung, dasGesundheitswesen und weitere unverzichtbare Versorgungsdienste sind auch analoge Redundanzen vorzuhalten.

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4. DIGITALE TRANSFORMATION BRAUCHT RESSOURCEN, KOMPETENZEN UND KOOPERATIONEN

4.1 Notwendige Ressourcen in der Kommunalverwaltung und in kommunalen Unternehmenbereitstellen

Um in der digitalen Transformation eine aktive, steuernde Rolle ausfüllen zu können, müssen Bund, Länderund Kommunen in ihrer jeweiligen Zuständigkeit neben gesetzlichen Regelungen ausreichend personelle undfinanzielle Ressourcen bereitstellen. Ziel sollte ein systematischer Wissensaufbau, ein organisierter Aus-tausch, Aus- und Weiterbildung sowie Kompetenzzentren für Kommunen sein, um das Wissen in die Breite zutragen und den Anforderungen schneller Veränderungsprozesse gerecht zu werden.

4.2 Digitale Kompetenzen entwickeln, lebenslanges Lernen fördern

Im digitalen Umfeld werden Gestaltung und Moderation von Netzwerken und Kooperationen zwischen For-schung, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Verwaltung (intern und interkommunal) wichtiger. Technische undkommunikative Kompetenzen, die Fähigkeiten zum Managen von Netzwerken und Wissen über Potenzialeund Risiken von großen Datenmengen sowie IT-Sicherheit sollten entsprechend aufgebaut werden.

Bund, Länder und Kommunen sollten entsprechende Bildungsangebote ermöglichen sowie lebenslanges,generationen- und schichtenübergreifendes Lernen fördern. Bildungskooperationen zwischen öffentlicherHand, Forschung und regionaler Wirtschaft zur Vermittlung digitaler Kompetenzen müssen durch die Ländergefördert und vor Ort initiiert und vorangetrieben werden.

Hierbei gilt es, Medienkompetenzen durch zielgruppenspezifische, inklusive Bildungsangebote in Schule,Beruf und Alter zu stärken. Eine besondere Bedeutung kommt informellem Lernen, Lernen im Betrieb undAngeboten in öffentlichen Räumen im Quartier zu. Niederschwellige und aufsuchende Angebote wie Gaming-Projekte für Jugendliche oder der Einsatz von Senioren-Tablets sind bereits erfolgreich und sollten weiterentwickelt werden.

4.3 Kooperationen mit Wirtschaft und Wissenschaft ausbauen, Innovationsräume schaffen, lokale Wissens- und Wertschöpfung stärken

Die Digitalisierung ermöglicht eine Flexibilisierung der Arbeits- und Produktionsbedingungen und neueDienstleistungen (Smart Services). Ihre Möglichkeiten sind zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu nut-zen. Um im Standortwettbewerb zu bestehen, wird es für Kommunen entscheidend sein, dass Wissen undWertschöpfung vor Ort bleiben und dort wirksam werden. Die Kommunen sollten hier aktiv den Dialog mit derWirtschaft und der Wissenschaft suchen und Kooperationen aufbauen.

Lokale Sharing-Ansätze, neue Nachbarschaftsforen und nachhaltige Geschäftsmodelle, die sozialverträglichzu einer ressourceneffizienteren und CO2-freien Wirtschaft beitragen, sind zu stärken. Kreislaufwirtschaft,gemeinsames Nutzen oder Wiederverwerten von Materialien, Technologien und Produkten sollten gefördertwerden.

Kommunale Unternehmen und kommunale Zweckverbände betreiben wichtige Infrastrukturen, auf denenkünftige Smart-City-Lösungen aufsetzen können. Strukturelle Vorteile sollten genutzt werden, um solche Einrichtungen als zentrale Kompetenzträger für intelligente Vernetzung und neue Dienstleistungen zu positio-nieren. Für kleinere Kommunen sind regionale Allianzen empfehlenswert, um schneller entsprechende Kompetenzen aufzubauen und Synergieeffekte zu nutzen.

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15Digitale Transformation in den Kommunen nachhaltig gestalten

III. Akteursspezifische Handlungsempfehlungen

a) Smart-City-Strategien aufsetzen und gesellschaftliche Debatte dazu führen

Städte, Kreise und Gemeinden (Kommunen) gestalten aktiv den Dialog mit Wirtschaft, Forschung und Zivil-gesellschaft, um Potenziale und Herausforderungen der digitalen Transformation im Sinne nachhaltiger inte-grierter Stadtentwicklung frühzeitig zu erkennen und abzuwägen. Ziel ist die Entwicklung einer zukunftsori-entierten Smart-City-Strategie.

b) Digitale und analoge Beteiligungsprozesse verzahnen

Für Kommunen bleibt in Entscheidungsprozessen abzuwägen, wer in welcher Form eingebunden werden sollund wie diese aufgebaut werden. Informelle und formelle Beteiligungsprozesse sowie analoge und digitaleVerfahren sind zu nutzen, zu verzahnen und sollten aufeinander aufbauen. Einige Kommunen haben sichbereits Beteiligungssatzungen gegeben, in denen Kriterien und Regeln vorgegeben sind, nach denen dieVerwaltung prüfen sollte, ob Planungen und anstehende Entscheidungen beteiligungsrelevant sind.

c) Bedarfs-, Risiko- und Wirkungsanalysen durchführen

Vor der Investition in neue Projekte führen Kommunen zunächst eine Bestandsaufnahme durch, definierenihre Ziele und identifizieren den Bedarf. Projekte sollten in die Gesamtstrategie passen, nach einer Risikoab-schätzung priorisiert und in Maßnahmenplänen konkretisiert werden. Die Umsetzung wird durch Soll-Ist-Vergleiche überprüft. Ein laufendes Monitoring ist sinnvoll. Auch Datenerhebung, -haltung und -nutzung, IT-Sicherheit sowie vorhandene Kompetenzen und Ressourcen sollten systematisch analysiert werden.

Die Forschung evaluiert Digitalisierungsprojekte, führt Wirkungsanalysen durch und sammelt gute Beispiele,um die Kommunen bei der Bewertung solcher Projekte zu unterstützen. Sie soll zudem frühzeitig Bestands-aufnahmen, Bedarfs- und Risikoanalysen durchführen und hier den sich schnell wandelnden Herausforde-rungen wie z. B. bezüglich des Internets der Dinge, der Datenhoheit, des Datenschutzes oder der Barriere-freiheit nachgehen.

d) Möglichkeiten für Co-Creation in der Stadtentwicklung ausbauen, lokale Wirtschaft und Quartiere stärken

Kommunen, Wirtschaft, Forschung und Zivilgesellschaft entwickeln in enger Zusammenarbeit neue digitaleDienste (Co-Creation), nutzen die Digitalisierung im Sinne der nachhaltigen Stadtentwicklung und stärkenlokale Wirtschaft und zivilgesellschaftliches Engagement. Derzeit aktuelle Ansätze wie „Citizen Sensing“,„Sharing“ oder „Crowd-Mapping“ sollten geprüft werden, um z. B. neue Lösungen für Mobilität, Infrastrukturoder Ressourceneffizienz zu generieren. Formate wie offene Werkstätten (FabLabs), Hackathons, Ideenwett-bewerbe oder Think Tanks gilt es zu nutzen und weiterzuentwickeln.

Bund, Länder und Kommunen unterstützen neue Geschäfts-, Betreiber- und Finanzierungsmodelle, die aussolchen Partnerschaften entstehen und tragen so zu einer Verstetigung der Innovationskultur bei.

e) Geeigneten regulatorischen Rahmen schaffen

Bund und Länder sind im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeiten gefragt, Kommunen bei der Entwicklungund Umsetzung eigener Digitalisierungsstrategien zu unterstützen. Die Kooperation zwischen Bund, Ländernund Kommunen muss hierfür verbessert werden. Rechtliche Rahmenbedingungen, wie insbesondere dasVergaberecht oder das Gemeindewirtschaftsrecht werden oft als Hindernisse für neue Kooperationsformenund Geschäftslösungen genannt. Regulatorische Ausnahmen sollten geprüft werden. Kommunen werden beider Ausgestaltung und Weiterentwicklung der rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen frühzeitigeingebunden. Bund und Länder beraten bei neuen und komplexen Fragestellungen und greifen Anregungenaus den Kommunen auf. Experimentierräume und Reallabore mit aufgelockerter Regulierung werden ermög-licht. So können Smart-City-Ansätze getestet, Innovation gefördert und Technologien schneller zur Markt-reife gebracht werden.

Insbesondere der Bund sollte dazu auch auf europäischer Ebene Einfluss auf für Kommunen relevanteRechtsetzungsvorhaben nehmen.

Die Forschung unterstützt die Umsetzung und evtl. erforderliche Weiterentwicklung des rechtlichen Rah-mens durch geeignete Studien, um mögliche Hemmnisse zu identifizieren und Lösungswege aufzuzeigen.

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f) Smart-City-Lösungen pilotieren

Kommunen, Wirtschaft, Forschung und Zivilgesellschaft probieren gemeinsam in Pilotprojekten, Reallaborenoder Modellquartieren Konzepte und Technologien in einem überschaubaren, reversiblen Rahmen aus. Aus-wirkungen können geprüft und die Qualität verbessert werden. Wichtig dabei ist, in einem fest definiertenRahmen die Fehlertoleranz (Fail Fast) zu erhöhen und Möglichkeiten zu schaffen, die Kommunalverwaltungenbeim Management solcher Projekte zu unterstützen und zu entlasten. Dies trägt zu einer offeneren Innovati-onskultur bei und ermöglicht eine frühe Einbindung der Zivilgesellschaft.

Die Forschung begleitet gemeinsam mit den Kommunen Pilotprojekte durch ein systematisches Monitoring,evaluiert sie und fördert deren Vernetzung und Verwertung. Dies betrifft die Zielerreichung, Auswirkungenwie auch strukturelle Rahmenbedingungen, Ressourcen und Kompetenzen. Zur Begleitforschung gehört auchder Wissens- und Innovationstransfer in Praxis und Öffentlichkeit. Dafür sollten Projektbeschreibungen,Erfahrungs- und Evaluationsberichte auf einer gemeinsamen Plattform gesammelt und zugänglich gemachtwerden.

g) Freie Nutzung von Daten (Open Data) abwägen und weitgehend ermöglichen

Kommunen prüfen, wie sie ihre Daten entsprechend den Open-Data-Prinzipien allgemein freigeben können.Dabei ist abzuwägen zwischen dem Gemeinwohlinteresse an einem offenen Daten-Ökosystem, zuwiderlau-fenden Belangen des Gemeinwohls und den Rechten und Interessen betroffener Personen (u. a. Daten-schutz). Daten, die elektronisch verarbeitet werden können, sind eine wertvolle Ressource. Offene Dateneröffnen die Chance auf mehr Teilhabe, Transparenz und können Impulse für neue Geschäftsmodelle undInnovationen bedeuten. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sowie Belange der öffentlichen Sicherheit undlaufende Verwaltungsentscheidungen können dagegen sprechen. Einige Bundesländer regeln dies u. a. inInformationsfreiheits- und Transparenzgesetzen.

In den Ländern, in denen es solche Gesetze nicht gibt, können sich die Kommunen z. B. eigene Transparenz-satzungen geben und darin vorgeben, welche Daten in welcher Form zugänglich sind. Die Möglichkeit derOffenlegung von Verwaltungsdaten kann auch auf Basis geltender E-Government-Gesetze geschehen.

Zur Freigabe von Daten bestehen diverse Varianten. Empfehlenswert sind freie und offen zugängliche,maschinenlesbare Daten ohne lizenzrechtliche oder andere Einschränkungen bei der Nachnutzung (OpenData). Es kann mit Blick auf den Datenschutz sinnvoll sein, Auflagen oder andere Einschränkungen zumachen. Auch ist abzuwägen, ob eigene öffentliche oder privatwirtschaftliche Geschäftsmodelle oder offene Daten mehr Wertschöpfung zum Wohle der Stadtgesellschaft ermöglichen.

h) Aktivitäten zur digitalen Transformation als Qualitätsmerkmal kommunizieren

Kommunen nutzen die Potenziale der Smart City als Standortfaktor für Einwohnerinnen und Einwohner, Ideen-träger und Unternehmen. Indem Smart-City-Ansätze Quartiere für ihre Bewohnerinnen und Bewohner auf-werten, z. B. durch neue Mobilitätskonzepte, können sie deren Wertschätzung für ihre Stadt, ihren Kreis oderihre Gemeinde stärken. Einige Kommunen haben Smart City als Marke positioniert, stellen Informationsmate-rialien zur Verfügung und bieten Beteiligungsportale an, um ihren Ansatz einer zukunftsorientierten, integrati-ven und nachhaltigen Stadt zu verdeutlichen.

i) Bedarfsgerechte Finanzierung zur Gestaltung der digitalen Transformation sicherstellen

Kommunen müssen die erforderlichen Investitionen in die technische Infrastruktur und in die Bereitstellungvon qualifiziertem Personal zur Konzeption und zum Betrieb digitaler Anwendungen unter Bedingungen derRessourcenknappheit umsetzen. Dennoch ist es wichtig, dass Kommunen die für eine nachhaltige Gestaltungder digitalen Transformation notwendigen finanziellen Mittel und personellen Ressourcen zur Verfügung stel-len und gegebenenfalls gemeinsam mit den Menschen vor Ort Prioritäten neu überdenken. Hierzu müssenauch neue Finanzierungsinstrumente wie z. B. Datenüberlassung als Vergütung geprüft werden.

Bund und Länder sollten zur Schließung der Finanzierungbedarfe im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeitenbeitragen. Sie sollen stärker dazu beitragen, eine bedarfsgerechte ausreichende kommunale Finanzausstat-tung sicherzustellen, und ergänzende Förderprogramme zur Unterstützung integrierter und nachhaltigerSmart-City-(Pilot-)Ansätze abstimmen und verbreitern. Der Bund sollte sich auch auf europäischer Ebene füreine entsprechende Ausgestaltung von einschlägigen Förderprogrammen und Initiativen einsetzen.

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Die Forschung wertet Finanzierungs- und Betreibermodelle (Public-Private-Partnerships) für z. B. öffentlicheInfrastruktur konstruktiv-kritisch aus und gibt auf dieser Basis praxisorientierte Handlungshinweise. Hierzufehlen derzeit noch Bewertungs- und Abwägungskriterien, eine Folgenabschätzung sowie Handlungsemp-fehlungen für Kommunen.

j) Technisch notwendige Standardisierung vorantreiben und Nutzer enger einbinden

Nationale, europäische und internationale Normungs- und Regelsetzungsorganisationen entwickeln offeneSchnittstellen und Standards, um inter- und intrakommunale Kooperationen und Modularität von Systemenzu ermöglichen sowie technische Abhängigkeiten zu vermeiden.

Es ist zu prüfen, ob die unterschiedliche Nutzungsdauer von IT-Komponenten zu Kosten- und Sicherheitsrisi-ken führen kann. Zukünftig sollte die Komponenten- und Updateverfügbarkeit über die gesamte Nutzungs-dauer des Systems als Kernfrage in alle Betrachtungen einbezogen werden. Schon zum Zeitpunkt derBeschaffung müssen Betreiber und Lieferant die Versorgung mit Wartungsmöglichkeiten, Betriebsmittelnund Ersatzteilen planen. Für ein solches Obsoleszens-Management sind technologieoffene und den langfris-tigen Betrieb der eingesetzten Technik sichernde Standards zu beschreiben. Die hierfür notwendigen Regelsetzungsaktivitäten sollten international abgestimmt werden.

Normung und Standardisierung sollen sich ausschließlich auf den engeren Rahmen der technischen Systeme fokussieren. Standards müssen die Bedarfe und Anforderungen der Nachfrageseite (Kommunen)stärker in den Blick nehmen. Die Vertretung von Bund, Ländern und Kommunen in den Gremien sollte verbessert werden. Standards sollen Open-Source, Open-Access, Interoperabilität und Transparenz nichteinschränken und nicht zu Abhängigkeits-Effekten (Lock-In-Effekt) führen.

Für die IT-Zusammenarbeit der öffentlichen Verwaltung erfüllt der IT-Planungsrat die zentrale Koordinie-rungs- und Standardisierungsfunktion. Die Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen in diesemGremium sollte intensiviert werden, damit die Standards im Sinne des Allgemeinwohls ausgestaltet werdenund praktikabel anwendbar sind.

k) Räumliche und Sektor-übergreifende Auswirkungen begleiten

Die Forschung untersucht die Wirkungen der Vernetzung von Infrastrukturen vertieft Sektor-übergreifend.So kann deren Beitrag u. a. zu den Nachhaltigkeitszielen, zu Stabilität des Betriebs und IT-Sicherheit bewer-tet werden. Die Digitalisierung ist aktiv durch vielfältige Disziplinen zu begleiten, um ihre Wirkungen auf dieEigenart der Städte, die Zukunftsfähigkeit oder auf städtische und ländliche Lebensräume wie auch im Quar-tier zu untersuchen. Hierbei sind auch die Auswirkungen auf die Arbeits- und Lebenswelt unterschiedlicherBevölkerungsgruppen zu untersuchen.

Die Forschung untersucht neben den sozialen Aspekten die räumlichen und ökologischen Auswirkungen derDigitalisierung und Vernetzung. Ihre Wirkungen z. B. auf Flächenverbrauch, Flächennutzungen, Emissionen,Ressourcen- und Energieverbrauch u. a. durch Rebound-Effekte sind empirisch bisher kaum untersucht.Dies gilt es zu ändern.

l) Erfahrungsaustausch und Kooperationen zwischen Kommunen sowie Kompetenzaufbau fördern

Die Forschung und Kommunen bereiten ihre Ergebnisse praxisgerecht z. B. durch Checklisten, Leitfäden undPrüfraster auf. Insbesondere kleinere oder weniger finanzstarke Kommunen werden so unterstützt, die digitale Transformation voranzutreiben, Fehlentwicklungen zu vermeiden und erfolgreiche Projekte zu replizieren.

Bund, Länder sowie die Kommunalen Spitzenverbände, Forschungs- und Weiterbildungseinrichtungen stärken den Erfahrungsaustausch zwischen Kommunen. Der Erfahrungsaustausch wird durch gezielte Maßnahmen zum Kompetenzaufbau unterstützt, damit das voneinander Gelernte vor Ort besser in die Praxisübertragen werden kann.

17Digitale Transformation in den Kommunen nachhaltig gestalten

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IV. Der Dialogprozess Die Dialogplattform Smart Cities des Bundesministeriums für Umwelt, Bau, Naturschutz und Reaktorsi-cherheit (BMUB) setzt sich zusammen aus ca. 70 Vertreterinnen und Vertretern des Bundes, der Länder,der Kommunalen Spitzenverbände, der Städte, Kreise und Gemeinden, verschiedener Wissenschaftsor-ganisationen, von Wirtschafts-, Sozial- und Fachverbänden sowie der Zivilgesellschaft.

Die Arbeit der Dialogplattform Smart Cities wurde durch das BMUB/BBSR-Forschungscluster „SmartCities“ unterstützt und ergänzt. Im Forschungscluster werden in verschiedenen Studien des Experimen-tellen Wohnungs- und Städtebaus die Folgen des Megatrends „Digitalisierung“ für die Entwicklung derStädte untersucht, z. B. in Projekten zum Stadtverkehr von übermorgen, zur Digitalisierung des Einzel-handels, zu internationalen Smart-City-Trends und Scifi-Cities, zur digitalen Spaltung, zu neuem Wissenin Stadtentwicklung und Stadtforschung sowie zur Kommunikation über Stadt.

Die Dialogplattform hat darüber hinaus Kerngedanken des Urbanisierungsgutachtens „Der Umzug derMenschheit: Die transformative Kraft der Städte“ des Wissenschaftlichen Beirats der BundesregierungGlobale Umweltveränderungen (WBGU) aufgegriffen.

Beiträge zum Dialogprozess stammen u. a. aus dem Forschungsprojekt „Smart Cities – Entwicklungeines stadtentwicklungspolitischen Handlungsrahmens“. In diesem Projekt wurde untersucht, welcheAuswirkungen die Digitalisierung auf die künftige Stadtentwicklung haben kann, welche Chancen sichbieten und welche Risiken bestehen. Auf Basis von vier wissenschaftlichen Expertisen zu den ThemenGovernance, Big Data, digitale Spaltung und lokale Ökonomie und unter Einbindung eines interdiszipli-nären Arbeitskreises aus Wissenschaft, Wirtschaft und kommunaler Praxis wurden Leitplanken für diekünftige Entwicklung von „Smart Cities“ abgeleitet und Eckpunkte für eine „Smart City Charta fürDeutschland“ entwickelt.

Aufbauend auf diesen Beiträgen des BMUB/BBSR-Forschungsclusters Smart Cities erarbeitete die Dia-logplattform Smart Cities zwischen Juli 2016 und Mai 2017 in fünf Workshops Leitlinien, wie die Digitali-sierung in Städten zukunftsfähig und im Sinne des Gemeinwohls gestaltet werden kann. Darüber hinausentwickelte sie konkrete Empfehlungen für alle beteiligten Akteursgruppen, wie der Weg dorthin ebensointelligent wie nachhaltig gestaltet werden kann.

In zwei internationalen Workshops wurde ein intensiver Austausch mit der Europäischen Kommission,mit Vertretenden der nationalen Smart-City-Initiativen in Spanien und Frankreich, aus sechs europäi-schen Städten (Kopenhagen, Amsterdam, Bristol, Barcelona, Stockholm und Wien) sowie aus der Megacity Singapur ermöglicht. Der Austausch unter den Teilnehmenden der Dialogplattform hat dieinternationale Vernetzung gestärkt, die vorliegende Charta inspiriert und zu einer Fülle von praktischenAnregungen beigetragen.

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V. Teilnehmende Organisationen Bund: Bundeskanzleramt (BK-Amt), Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi), Bundes -ministerium des Innern (BMI), Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV), Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauenund Jugend (BMFSFJ), Bundesministerium für Gesundheit (BMG), Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI), Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit(BMUB), Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), Bundesinstitut für Bau-, Stadt- undRaumforschung (BBSR), Umweltbundesamt (UBA), Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik(BSI).

Länder und Kommunen, Kommunale Spitzenverbände: Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hamburg,Arnsberg, Augsburg, Betzdorf, Bottrop, Coburg, Freiburg im Breisgau, Gelsenkirchen, Hannover, Heidel-berg, Köln, Leipzig, Ludwigsburg, München, Nürnberg, Oldenburg, Solingen, Stuttgart, Ulm, Wiesbaden,Deutscher Städtetag, Deutscher Städte- und Gemeindebund, Deutscher Landkreistag.

Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Praxis: AWO Bundesverband e. V., Bund für Umwelt und Natur-schutz Deutschland e. V. (BUND), Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e. V. (GdW), Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen e. V. (BFW), Bundesver-band Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e. V. (Bitkom), Deutscher Gewerk-schaftsbund (DGB), Deutscher Industrie- und Handelskammertag e. V. (DIHK), Deutscher Verband fürWohnungswesen, Städtebau und Raumordnung e. V. (DV), Deutsches Institut für Normung e. V. (DIN),Deutsches Institut für Urbanistik (Difu), Deutsches Institut für Vertrauen und Sicherheit im Internet(DIVSI), Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) – Institut für Verkehrsforschung, Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO), KfW Bankengruppe, Open Knowledge FoundationDeutschland e. V. (OKFN), KJB-Kommunalberatung, Institut für Stadt- und Regionalplanung an der Technischen Universität Berlin (ISR/TU Berlin), Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE), RESET – SmartApproaches to Sustainability, Stiftung Digitale Chancen, stiftung neue verantwortung (snv), Verbandkommunaler Unternehmen e. V. (VKU), Verein Deutscher Ingenieure e. V. (VDI), Vereinigung für Stadt-,Regional- und Landesplanung e. V. (SRL), Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung GlobaleUmweltveränderungen (WBGU), Zentraler Immobilien Ausschuss e. V. (ZIA).

19Digitale Transformation in den Kommunen nachhaltig gestalten

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Beispiele aus der Praxis20

BEISPIELE AUS DER PRAXIS

Strategie Digitale Stadt der Freien und Hansestadt Hamburg

Mit seiner „Strategie Digitale Stadt“ geht der Hamburger Senat einen Schritt weiter als mit den bisheri-gen E-Government- und IT-Strategien, die eine Effizienzsteigerung der Verwaltung zum Ziel hatten. Dieressortübergreifende Digitalisierungsstrategie stellt einen gesamtstädtischen Ansatz dar und schafft

Voraussetzungen für die Nutzung digitaler Technologien, für die Entwicklungneuer digitaler Anwendungen und für eine bessere Vernetzung zwischenBehörden, städtischen Unternehmen und der Wirtschaft.

Die Strategie bildet den Schirm für Hamburgs inkrementellen Ansatz mit inno-vativen Pilotprojekten: Diese reichen von intelligenten Verkehrssystemen,vom Aufbau digitaler und interoperabler Geodaten, von interaktiver Bürgerbe-teiligung oder intelligenter Energienutzung bis zu Themen, die besonders fürHamburg wichtig sind, beispielsweise SmartPort – Effizienzsteigerung desHafens durch Vernetzung von Verkehrsinformationen. Dabei wird auf die Ver-bindung von technologischem und sozialem Fortschritt geachtet. Ein weiteresBeispiel ist die hochschulübergreifende Digitalisierungsstrategie von Senatund Hochschulen, die der Senat ebenfalls beschlossen hat. In ihrem Zentrumsteht die Hamburg Open Online University. Zur Koordination aller Aktivitätenhat Hamburg in der Senatskanzlei eine „Leitstelle Digitale Stadt“ aufgebaut

und sich auf den Weg gemacht, eine städtische Plattform zu entwickeln, die die digitalen Aktivitäten vonVerwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft verbindet und den Grundbaustein für die systematischeNutzung von Daten in der digitalen Stadt bildet.

Freie und Hansestadt Hamburg: Digitalisierung der großen Stadt. http://www.hamburg.de/digitalisierung/ Geoportal der Metropolregion Hamburg. http://geoportal.metropolregion.hamburg.de/Transparenzportal Hamburg. http://transparenz.hamburg.de/open-data/

Chief Technology Office der Stadt Amsterdam

Die Stadt Amsterdam koordiniert ihre Aktivitäten zur digitalen Transformation in einem „Chief Techno-logy Office” (CTO). Die städtische Koordinierungsstelle, die von einem Chief Technology Officer geleitet

wird, fungiert innerhalb der Stadtverwaltung als zentrale Anlauf-stelle, die die Digitalisierungskompetenzen der Stadt bündelt undverschiedene Akteure im Amsterdam-Smart-City-Netzwerkunterstützt.

Das CTO berät im Vorfeld, vernetzt und koordiniert Pilotprojekte,steuert die Kommunikation und den Wissenstransfer, stellt tech-nische Unterstützung zur Verfügung oder setzt diese konkret um,indem Datenportale zur Verfügung gestellt werden. Ziel ist es,durch die ressortübergreifende Koordinierung von Smart-City-Projekten verschiedene städtische Fachämter zu sensibilisieren,verwaltungsinterne Kompetenzen und Prozesse aufzubauen undallgemein Innovationsprozesse in der Stadt zu fördern. Das CTOsoll die Ämter zur Durchführung ihrer eigenen Digitalisierungs-projekte befähigen. Ein weiteres Pilotprojekt zwischen CTO undStart-ups in Amsterdam stellt das Start-up-in-Residence-Pro-

gramm dar: Ausgewählte lokale Start-ups werden für einen bestimmten Zeitraum in das Office aufge-nommen, um eine spätere Einführung ihrer Ideen zu fördern und ein wechselseitiges Verständnis fürGeschäftsideen, Produkte und Rahmenbedingungen wachsen zu lassen.

Stadt Amsterdam: Chief Technology Office. https://amsterdamsmartcity.com/network/chief-technology-office

Freie und Hansestadt Hamburg

Stadt Amsterdam

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21Beispiele aus der Praxis

München Transparent: Ein alternatives Ratsinformationssystem – und trotzdem von der Stadt unterstützt

Ratsinformationssysteme (RIS) sind Beispiele für Open Government auf kommunaler Ebene. In den Ratsinformationssystemen werdenTermine, öffentliche Beschlüsse und Ratsunterlagen automatisch veröffentlicht und allgemein zugänglich gemacht. Die Verwaltung wirdzudem von Routineabläufen entlastet. Viele Ratsinformationssysteme, vor allem der ersten Generation, sind jedoch unübersichtlich undwenig benutzerfreundlich und bieten nur begrenzte Suchoptionen.Deswegen hat Code for München, ein Projekt der Open KnowledgeFoundation, das alternative RIS „München Transparent“ aufgebaut. Die Seite bietet u.a. folgende Services:

• Einen virtuellen Kalender zu Stadtrats- und Ausschusssitzungen (inklusive Link zur Tagesordnung)

• Übersicht über die Personen, die im Stadtrat und in den Bezirksausschüssen sitzen

• Dokumente gegliedert nach Thema und Referat

• Verortung der Dokumente auf einer interaktiven München-Karte

• eine Möglichkeit zur E-Mail-Benachrichtigung, wenn man über neue Dokumente zu bestimmten Themen informiert werden möchte.

Dabei stützt München Transparent sich ausschließlich auf den öffentlichenTeil des offiziellen Ratsinformationssystems als Informationsquelle. Der Datenbestand wird etwa einmal täglich mit dem offiziellen RISabgeglichen: So erscheinen neue Dokumente aus dem offiziellen RIS binnen eines Tages auch auf München Transparent. Das Teamsteht in regelmäßigem Kontakt mit der Münchner Stadtverwaltung: Die Stabstelle für E- und Open-Government sieht in München Trans-parent keine Konkurrenz, sondern eine Bereicherung. Auch Mitarbeiter der Stadt loben die gute Usability des alternativen RIS, weil sieviele Dokumente dort schneller finden als im offiziellen RIS.

München Transparent stellt damit ein gelungenes Beispiel für eine Co-Creation auf Basis von Open Data. Es stärkt Transparenz und Bür-gerfreundlichkeit und ermöglicht selbst der eigenen Stadtverwaltung ihre Informationsbedürfnisse über eigene Vorgänge leichter zuerfüllen.

Open Knowledge Foundation Deutschland e.V.: München Transparent. https://www.muenchen-transparent.de/

Oldenburger Smart-City-Strategie: Der Mensch im Mittelpunkt

Oldenburg als mittlere Großstadt (166 000 Einwohner) geht eigene Wege. Zuerst wurde in Oldenburg eine Smart-City-Strategie als umfassen-der Prozess gemeinsam von Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft mit dem Leitgedanken „Der Mensch im Mittelpunkt“ erarbeitet. Hier-bei wurde in Bestandsaufnahmen ermittelt, wo die Stadtverwaltung bereits smart agiert und konkrete Ansätze in den Bereichen Versorgung,Verkehr, Verwaltung (Smart Governance und Smart City Plattform /Open Data) und Lebensqualität aufgezeigt. Die Umsetzung in Roadmapswird von einer Stabstelle Smart-City organisiert. Dabei werden die lokal und regional vorhandenen wissenschaftlichen Kompetenzen genutzt.So begleitet das OFFIS – Institut für Informatik die Stadt Oldenburg in der Umsetzung.

In einem partizipativen Masterplan-Prozess wurde für den ehemaligen Fliegerhorst ein reales Smart City Living Lab definiert und schließlichpolitisch beschlossen. Bürgerinnen und Bürger wurden damit frühzeitig in den Dialog über die Bedeutung der Smart City für ihre zukünftigeLebenswelt einbezogen. Im Living Lab werden Smart-City-Anwendungen in derPraxis ausprobiert, evaluiert und auf ihre Übertragbarkeit geprüft. Der Fokus liegtauf einer IT-gestützten Lebenswelt in den Bereichen gesundes Leben und Altern,hoher Lebensstandard, sicheres Zuhause, individuelle Bedürfnisse und nachhal-tige Versorgung. Seit 2014 ist Oldenburg auch im grenzüberschreitenden Netz-werk „Smart Regions North“, in Kooperation mit den Städten Groningen (NL),Assen (NL), Bremen und der Metropolregion Nordwest aktiv. Oldenburg möchtebeispielgebend dafür sein, wie zusammen mit lokal-regionalen Smart-City-Kom-petenzen eine am Wertekompass der Menschen orientierte Smart-City-Stadtent-wicklung gestaltet und erlebbar gemacht werden kann.

Hentschel, Roland, 2017: Der Mensch im Mittelpunkt. Oldenburg auf dem Weg zur Smart City. In: Informationen zur Raumentwicklung Heft (1), S. 42-49. Bonn.

Stadt Oldenburg: Smart Regions North. http://www.oldenburg.de/startseite/wirtschaft/netzwerke/smart-regions.html

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Stadt Oldenburg

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Beispiele aus der Praxis22

Planungsinformations- und Beteiligungsserver der Stadt Arnsberg

Die Stadt Arnsberg hat bereits Ende 2003 ihre sämtlichen Bauleitplanverfahren online gestellt. Auf demServer sind alle Informationen zum Flächennutzungsplan und seinen Änderungen, zu Bebauungsplänenund anderen Satzungen oder zu informellen Konzepten (wie dem Einzelhandels- und Zentrenkonzept)veröffentlicht. Das Informationsportal beinhaltet die Abgrenzungen und Inhalte sowie die Begründun-gen und Gutachten zu den einzelnen Plänen und Konzepten sowie die jeweiligen Verfahren.

Über die Information hinaus, erleichtert der Server die Beteiligung vonÖffentlichkeit und Behörden. Sie können ihre Hinweise und Anregungeneinfach elektronisch abgeben.

Ähnliche Beteiligungsserver werden inzwischen von mehreren Kommunenangeboten. Teilweise gibt es auch Schnittstellen für den automatisiertenZugriff. Sie sind konkrete Beispiele für Open Government Data: Die Veröf-fentlichung der Planinformationen und elektronische Übermittlung derAnregungen und Hinweise schafft Transparenz, erleichtert Interessiertendie Beteiligung und steigert die Effizienz der Planungsverwaltungen.

Technisch realisiert wird der Planungsinformations- und Beteiligungsser-ver durch die Fa. Tetraeder.com aus Dortmund. Die Stadt Arnsberg war eine der ersten Kommunen, diedieses System eingesetzt hat. Zwischenzeitlich nutzen rund 200 Städte und Gemeinden dieses Systemund über 2 300 Behörden sind integriert und beteiligen sich an laufenden Planverfahren.

Stadt Arnsberg: Planungsinformations- und Beteiligungsserver. http://www.o-sp.de/arnsberg

Integreat – kommunale App für Information und Integration

Integreat, eine App entwickelt von Tür an Tür – Digital Factory gGmbH und der TU München, machtkommunale Informationen für Asylsuchende in ihrer je eigenen Sprache zugänglich. Dabei versteht sichIntegreat als ein ganzheitliches Service-Ökosystem für Städte, Landkreise und Initiativen zur Integrationvon Menschen mit Flucht- oder Migrationshintergrund.

Da Geflüchtete häufig Smartphones besitzen, jedoch abseits öffentliches WLAN selten Internetzuganghaben, kann die App, die viele Informationen lokal auf dem Gerät speichert, die Kommunikation zwi-schen Asylsuchenden und Kommunalverwaltungen erleichtern. Zudem kann mittels der App effektiv

über lokale Veranstaltungen oder Änderungen im Asylsystem vorOrt informiert werden. Konkret wird von den Entwicklern eineGrundstruktur innerhalb der App angeboten, die mit kommunalspe-zifischen Informationen zu ergänzen und ggf. zu übersetzen ist –hierzu werden Gemeinden auch Workshops angeboten. Die App, diezuerst von der Stadt Augsburg eingesetzt wurde, wird mittlerweilevon 19 Städten und Landkreisen bundesweit genutzt.

Tür an Tür – Digital Factory gGmbH: Integreat. http://integreat-app.de/

Stadt Arnsberg

Integreat

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23Beispiele aus der Praxis

Bristol Approach – ein Bottom-up-Prozess

In der Stadt Bristol in Großbritannien wurden in einem mehrstufigen, kreativen Bottom-up-Ansatz zentrale Leitideenund Zukunftsthemen in Zusammenhang mit der digitalen Transformation entwickelt. Das Konzept für die Einbeziehunglokaler Bürgerinnen und Bürger wurde von Knowle West Media Centre, einer lokalen gemeinnützigen Organisation,gemeinsam mit einem Partnerbüro „Ideas for Change“ aus Barcelona entwickelt und in 2016 pilotiert. So wurden imersten Schritt gemeinsam mit den Einwohnern Herausforderungen für die Stadt identifiziert. Einen weiteren Beitragleisteten lokale Künstler, die in Bars und Cafés Zukunftsthemen mit Bürgerinnen und Bürgern diskutierten.

Im nächsten Schritt – in der Framing-Phase – wurden Workshopsorganisiert, in denen die identifizierten Fragestellungen auch mit Blickauf die Verfügbarkeit von benötigten Daten und Lösungspotenzialenpriorisiert wurden. In der nachfolgenden Design-Phase wurdengemeinsam mit Einwohnern, Stakeholdern und Künstlern Maßnahmenzu ausgewählten Problemen skizziert. Als Beispiel gilt das Pilotprojekt„Damp-Busters“: Workshops zur Nutzung der Digitalisierung für dieBekämpfung von Schimmel und Feuchtigkeit in den Gebäuden. Nachder gemeinsamen Datengenerierung – „Citizen Sensing“ – mittels andie Einwohner verteilter „Frosch-Sensoren“ und Analyse der einge-gangenen Daten, wurde ein abschließender Lösungsworkshop durch-geführt, um Probleme und mögliche Lösungen in die Breite zu kommu-nizieren. Im EU-Project REPLICATE arbeitet Bristol mit den Partnerstäd-ten San Sebastian und Florenz an der Frage, wie die Stadtgesellschaftvon Digitaltechnologien profitieren und an der digitalen Transformation beteiligt werden kann – aufbauend auch auf Bristols Bottom-up-Ansatz.

Knowle West Media Centre: The Bristol Approach. http://bristolapproach.tumblr.com/

Smarte und offene Geodaten als Grundlagen einer Smart City

Geoinformation sind ein wesentlicher Rohstoff einer digitalen Gesellschaft. Ohne smarte und offene raumbezogeneDaten (Geodaten) ist die Realisierung einer Smart City nicht möglich. Im Fokus steht der enorme Nutzen aus der Ver-knüpfung von Geoinformationen aus den verschiedenen Verwaltungsbereichen in Verbindung mit Geoinformationenaus Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung. Geodaten helfen zudem Bürgern, Fragenmit Ortsbezug schneller und besser zu beantworten.

Im Rahmen des Aufbaus einer Smart City sollen diese Daten, die zunächst in verschie-densten Formen an vielen unterschiedlichen Stellen vorliegen, verknüpft und zugänglichgemacht werden. Dies erfolgt z. B. über die Geodateninfrastruktur Deutschland (GDI-DE), ein Vorhaben von Bund, Ländern und Kommunen. Der Auftrag der GDI-DE zielt aufeine effiziente und innovative Bereitstellung öffentlicher Geodaten im Rahmen einerwebbasierten, vernetzten und auf Standards beruhenden Geodateninfrastruktur ab.

Dabei unterstützt die GDI-DE den Aufbau der lokalen Geodateninfrastruktur über dieDefinition von deutschlandweit einheitlichen Standards und Hilfestellungen. Die Broschüre „GEO-Dienste im Internet – ein Leitfaden“ informiert öffentliche Einrichtungen über Hintergründe, Vor-gehensweise und technische Grundlagen bei Aufbau und Betrieb von webbasierten Geo-Diensten. Sie enthält vielegrundlegende Basisinformationen für die Bereitstellung von Geodaten mittels webbasierter Standardtechnologien.Die GDI-Kontaktstellen in den Ländern, die auf dem Geoportal gelistet sind, unterstützen und beraten Kommunen beider Bereitstellung ihrer Geodaten in der GDI-DE.

Bundesamt für Kartographie und Geodäsie: Geoportal.de – Geodaten aus Deutschland. http://www.geoportal.de

Landesamt für Vermessung und Geoinformation Thüringen: Offene Geodaten Thüringen. http://www.geoportal-th.de/

Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen: Geobasisdaten des Landes. https://open.nrw/de/content/geobasisdaten-des-landes-nrw-gebuehrenfrei-als-open-data-verfuegbar

Koordinierungsstelle GDI-DE: GEODATENDIENSTE im Internet. http://www.geoportal.de/SharedDocs/Downloads/DE/GDI-DE/Flyer-Broschueren/Leitfaden-Geodienste-im%20Internet.pdf?__blob=publicationFile

Knowle West Media Centre

Lenkungsgremium Geodateninfrastruktur Deutschland

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Beispiele aus der Praxis24

Geoinformationsverarbeitung und Geoportal Wiesbaden

Mit dem Aufbau eines kommunalen Landinformationssystems hat die hessische LandeshauptstadtWiesbaden bereits zum Ende der 1980er Jahre einen digitalen Transformationsprozess initiiert. Leitge-danke des Landinformationssystems ist die integrierte Bereitstellung von Geobasisinformationen derStadtvermessung und themenbezogenen Geoinformationen der Fachämter. Die städtische Geodatenin-

frastruktur (GDI-WI) wird dabei als eine dezernatsübergreifende Querschnittsdomänebetrachtet, die Verwaltungsaufgaben und -abläufe, aber auch Beteiligungsverfahrender Bauleitplanung unterstützen soll.

Im Rahmen der kontinuierlichen Weiterentwicklung der Geodateninfrastruktur folgtenauch die Methoden zu deren Erfassung den neusten technologischen Entwicklungen.So werden heute Laserscanning-Befliegungen für die Generierung von 3D-Geobasis-informationen angewendet. Aus den Befliegungen, die um hochauflösende Luftbild-aufnahmen ergänzt werden, wird ein bildbasiertes Oberflächenmodell der Stadt ent-wickelt. Zusätzlich werden mittels mobilem Laserscanning ausgewählte Straßen-räume im Rahmen der Straßenzustandserfassung dreidimensional abgebildet. Pla-nungen im Rahmen der städtebaulichen Entwicklung und des Hochbaus sowieabwasser- und verkehrstechnische Infrastrukturplanungen basieren auf den 3D-Geo-

basisinformationen, die auch Planungs- und Ingenieurbüros zur Verfügung stehen. Aktuell baut dieStadt das Geoportal.wiesbaden.de auf, das neben den Geobasisinformationen und fachbezogenenDaten offene Geodaten (openWImap) in standardisierten OGC-Datenformaten bietet. Mit openWImappräsentiert die Stadtverwaltung ein Open-Data-Angebot zur Einbindung in die nutzereigenen GIS- undCAD-Umgebungen und öffnet seine Karten- und Luftbildarchive für alle Interessierten und potenziellenNutzer.

Landeshauptstadt Wiesbaden: Geoportal.Wiesbaden.de. http://geoportal.wiesbaden.de

STADTWERKE MALL – Innovations-Shopping für Stadtwerke

Aus vier Bundesländern heraus wurde die STADTWERKE MALL durch die Initiatoren Stadtwerke EutinGmbH, die Stadtwerke Peine GmbH, die Stadtwerke Speyer GmbH und die Südwestdeutsche Stromhan-dels GmbH gegründet.

In einer virtuellen Mall sollen Potenziale, Ideen und Angebote für kommu-nale Unternehmen dabei bundesweit gebündelt werden: Stadtwerke kön-nen sich über Angebote beispielsweise in den Bereichen dezentraleEnergieerzeugung, Energieeffizienz, IT-Dienste, öffentliches WLAN oderApps für die Kundenkommunikation informieren, Produkte und Dienstleis-tungen erwerben oder auch selbst anbieten. Die STADTWERKE MALLversteht sich als eine offene Plattform mit dem Ziel, Stadtwerke in einemimmer komplexeren Markt- und Regulierungsumfeld zu unterstützen undsie als Akteure zu stärken.

STADTWERKE MALL. www.stadtwerke-mall.de

Landeshauptstadt Wiesbaden

Heimkraft GmbH

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25Beispiele aus der Praxis

Amsterdam Smart City-Netzwerk – ein „Middle-Out”-Modell

Einen Mittelweg zwischen den Top-down- und Bottom-up-Ansätzen stellt das Netzwerkmodell das Amster-dam Smart City (ASC) dar. Neben der Stadt Amsterdam sind das Amsterdam Economic Board, die niederlän-

dischen Telekommunikations- und Postdienstanbieter KPN und PostNL,die Amsterdamer Hochschule, benachbarte Städte und Gemeinden sowieeine Vielzahl von Unternehmen und Akteure aus Wissenschaft und Zivil-gesellschaft miteinander verbunden.

Das Netzwerk fungiert als Innovationsplattform. Die Stadt Amsterdam hatdie Möglichkeit, ihre strategischen Ziele in das Netzwerk einzuspeisen.Zudem entwickelt die Stadt mit den Netzwerkpartnern sogenannte„Moonshots“ – zentrale städtische und regionale Herausforderungen –für die auf der Plattform Kooperationen, strategische Partnerschaftenund konkrete Projekte und Lösungsansätze mit den Netzwerkpartnern

entwickelt werden. An den über 175 Projekten der ASC waren bisher über 300 verschiedene Partner betei-ligt. Dabei wird das Netzwerk als eine öffentlich-private Partnerschaft koordiniert.

Economic Board Amsterdam: Amsterdam Smart City. https://amsterdamsmartcity.com/

Silver Infocomm Initiative – digitale Integration in einer globalen Smart City

Auch in Singapur gibt es viele ältere Menschen. Deshalbsetzt sich der Stadtstaat stark für den Aufbau digitaler Kom-petenzen von Senioren ein. Im Rahmen der Initiative werdenSenioren vor Ort in Schulen und NachbarschaftszentrenTrainingsworkshops mit zwei Schwerpunkten angeboten:Unter dem Motto „iBEGIN“ werden IT-Grundkenntnisse undunter „iLIVE“ verschiedene Dienstleistungen des Alltags wieOnline-Banking, Nutzung digitaler Dienstleistungen oderauch Blogging und soziale Netzwerke gelehrt. Des Weiterenwird im Rahmen der Initiative ein Helpdesk für Seniorenangeboten, das von anderen digital-affinen Senioren, sowiePaten- und Unterstützernetzwerken betrieben wird. Ein jährliches Silver IT-Fest bündelt die verschiedenenInitiativen, bietet Ausstellungen, Workshops und zusätzliche Möglichkeiten sich mit neuen digitalen Techno-logien zu befassen und zieht jährlich tausende Besucher an.

Infocomm Media Development Authority, Singapore Government: Silver Infocomm Initiative.https://www.imda.gov.sg/community/consumer-education/digital-inclusion/silver-infocomm-initiative

Metrolab Nürnberg: FabLabs für die Metropolregion Nürnberg

FabLabs, 2002 am Massachusetts Institute of Technology (MIT) erfunden, sind Werkstätten, die analoges unddigitales Schaffen vom Nähen bis zum 3D-Drucker ermöglichen.

Ein Beispiel ist das MetroLab in der Metropolregion Nürnberg. Dort wurde ein die Metropolregion umspan-nendes Netzwerk aus 14 FabLabs und Repair Cafés aufgebaut. In der Region bestehen bereits mehrerelokale FabLab-Initiativen. Im Mittelpunkt der Fablabs steht der Geist der offenen Gemeinschaft im Sinne von„Open Innovation“ und „Open Source“. Der erleichterte Zugang zu computergesteuerter Fertigungstechno-logie und Spezial-Wissen soll Unternehmensgründungen und Innovationsgeist vor Ort anregen, Fachkräften-achwuchs binden sowie die lokale Kultur- und Kreativwirtschaft durch neue Mittel und Methoden unterstüt-zen. Es gilt dabei ebenso, bürgerschaftliches Engagement für die Stadtentwicklung zu aktivieren wie auchneuartige Bildungsangebote für die Arbeit mit Schülern zu schaffen.

Nationale Stadtentwicklungspolitik: MetroLab in der Metropolregion Nürnberg. https://www.nationale-stadtentwicklungspolitik.de/NSP/SharedDocs/Projekte/NSPProjekte/Innovative_Stadt/Nuernberg_Metro_Lab.html

Urban Lab gemeinnützige UG: MetroLab. http://projekt-metrolab.de/

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Singapore University ofTechnology and Design

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Beispiele aus der Praxis26

Digitalisierung in der Zukunftsstadt Wolfsburg

Ende 2016 haben die Stadt Wolfsburg und die Volkswagen AG eine Vereinbarung unterzeichnet, Wolfs-burg zu einer Modellstadt der Digitalisierung zu entwickeln, zu #WolfsburgDigital. Die Vision umfasstvielfältige Aspekte von der digitalen Infrastruktur und E-Mobilität über digitales Lernen und Citizen-

Experience bis hin zur Wirtschaftsförderung und innovativen Stadt-planung. Kernelement ist eine offene digitale Plattform, auf der alleDienste zusammenlaufen und unkompliziert genutzt werden sollen.

In die Konzeptionierung und Umsetzung sind auch weitere Unter-nehmen, vor allem die Wohnungsbauunternehmen und städtischenVersorgungsunternehmen eingebunden. So wird eine integrierteQuartiersentwicklung gefördert, in der für die digitale Stadt dieSchnittstellen zwischen Gebäudeplanung, Städtebau/Infrastrukturund Mobilität thematisiert werden. Eines der Projekte, das sichnahtlos in die Vision von #WolfsburgDigital 2025 einfügt, ist das Pro-jekt „Visionen zum Wohnen in Wolfsburg 2030+: digital und vernetztin die Zukunft“. In der „Zukunftsstadt Wolfsburg“ sollen Konzeptevorbereitet und in Reallaboren erprobt werden. Die konzeptionelleVorbereitung der Reallabore leistet einen Beitrag zur digitalenTransformation innerhalb kommunaler Eckpfeiler und zur Bewälti-gung gesellschaftlicher Herausforderungen. Dabei wird nachdrück-lich auf kooperative Stadtentwicklung gesetzt, die das breite Spek-trum der Akteure der Stadt auf Augenhöhe zusammenführt und einThema in den Mittelpunkt stellt, das die Zukunft der Städte nachhal-

tig prägen wird: die Digitalisierung. Pilotraum ist die innere Stadt. Die Bearbeitung dieses Projekteserfolgt durch die Stadt Wolfsburg (Projektleitung) und die TU Berlin, FG Bestandsentwicklung (wissenschaftliche Unterstützung).

Stadt Wolfsburg: #WolfsburgDigital. http://www.wolfsburg.de/wolfsburgdigital

Aspern Smart City Research – Joint Venture

Die Aspern Smart City Research GmbH & Co KG (ASCR) ist das Joint Venture eines Netzbetreibers,eines Energieversorgers, eines Technologieunternehmens und der Stadt Wien. In der neu angelegten

Seestadt Aspern sollen im Rahmen der Kooperation technischeLösungen für eine energieeffiziente Stadt entwickelt und im realenLeben eines neuen Stadtquartiers mit seinen Anwohnern erprobtwerden. Das Konsortium mit verschiedenen Industriepartnern bietetzum einen hohe Umsetzungskraft und zum anderen sichert das AITAustrian Institute of Technology eine wissenschaftliche Begleitungder Vorhaben.

Neben der Energieeffizienz, den verschiedenen Formen von dezen-traler Energieerzeugung und Energiespeicherung, Smart Grid undintelligenten Gebäudesteuerungen steht das Nutzerverhalten imFokus der Forschungskooperation. Anhand einer intelligenten Mess-,Steuer- und Regelungstechnik, die es den Nutzern erlaubt, Tempera-tur und Luftqualität selbst zu regeln, erforscht die ASCR das Nutzer-verhalten in Energiefragen. Mittels Bewusstseinsbildung undAnreizsystemen soll kosten- und energieeffizientes Verhalten geför-

dert und mit Smart Meters gemessen werden. Anhand der Daten kann der Energiebedarf von Gebäudensimuliert und langfristig optimiert werden. Somit können auf diesem Weg Energiekosten dauerhaftgesenkt werden.

Aspern Smart City Research Gmbh & Co KG (ASCR). http://www.ascr.at/

Technische Universität Berlin

Magistrat der Stadt Wien

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27Beispiele aus der Praxis

Monitoring der Smart City Wien Rahmenstrategie

Der Wiener Gemeinderat hat in der 2014 beschlossenen Smart City Wien Rahmenstrategie quantitativeund qualitative Ziele für eine nachhaltige Entwicklung der Stadt gesetzt. 2017 wird erstmals überprüft,wie weit es bereits gelingt, diese Ziele zu erreichen.

Das Indikatoren- und Monitoringkonzept wurde 2015-2016 im ProjektSmart.Monitor entwickelt. Es greift die Komplexität einer Smart City auf,ermöglicht die Überprüfung der Zielerreichung und bildet eine maßgeblicheInformations- und Entscheidungsgrundlage für Politik und Verwaltung. Daraufaufbauend wird 2017, mit Unterstützung der Europäischen Fonds für regionaleEntwicklung (EFRE-IWB), das Monitoring der Smart City Wien Rahmenstrate-gie erstmals stadtweit durchgeführt. Das Monitoring legt Entwicklungsten-denzen in allen wichtigen Politikbereichen offen. So können Ressourcen undMaßnahmen besser gesteuert und koordiniert, Handlungsbedarfe festgestelltund Verbesserungsvorschläge erarbeitet werden.

Der Monitoring-Prozess hat zudem Dialogfunktion: Er dient gleichzeitig als Plattform, um die unter-schiedlichen Aktivitäten (in) der Stadt noch besser aufeinander abzustimmen und die Zusammenarbeitzwischen den einzelnen Einrichtungen der Stadt und seiner Unternehmen zu verbessern sowie dieInvolvierung der Unternehm(ung)en der Stadt Wien zu fördern.

Magistrat der Stadt Wien: Monitoring für eine Smarte Stadt. Ergebnisse Forschungsprojekt Smart.Monitor. https://www.wien.gv.at/stadtentwicklung/studien/pdf/b008486a.pdf

Smart City Wien Rahmenstrategie Monitoring: smartcitywien.at/scwrm

Citizen Sensing/Crowd Mapping: Maerker Brandenburg

Mit dem Brandenburgischen Maerker werden Ansätze des Open Government und des Crowdmappingkombiniert. Ähnlich Citizen-Sensing generieren die Bürgerinnen und Bürger partizipativ Daten. DerMaerker ermöglicht den Kommunalverwaltungen den Zustand ihrer Infrastruktur wirtschaftlicher zuüberwachen. Gleichzeitig erhöht er die Transparenz des Ver-waltungshandelns. Zudem kann das besondere Wissen derMenschen vor Ort einbezogen werden: Barrierefreiheit fürbehinderte Menschen oder die Instandhaltung von Fahrrad-wegen sind Beispiele, die häufig durch die Betroffenen selbstam besten geprüft werden können.

Im Projekt „Maerker Brandenburg“ können die EinwohnerMissstände und Hinweise zu Infrastrukturproblemen mit einerDialog-Plattform im Internet oder einer kartenbasierten Appeinreichen und somit zur zielgerichteten, zeit- und kosteneffi-zienten Wartung beitragen. Die vom Land Brandenburg initi-ierte Plattform und die App steht sowohl den beteiligten Kom-munen als auch der Bürgerschaft kostenfrei zur Verfügungund wird von den Einwohnern aktiv genutzt: Bereits über 60 000 Hinweise wurden über Maerker Brandenburg gemel-det – von Schlaglöchern und defekten Straßenlaternen bis zu grundsätzlichen Verbesserungswünschender kommunalen Infrastruktur. Einen wesentlichen Bestandteil stellt der Dialog mit den zuständigenBehörden dar: Mittels eines „Ampelsystems“ und Status-Meldungen können sie die Öffentlichkeit effektiv über die Instandsetzung informieren sowie den Bürgerinnen und Bürgern direkt antworten.

Ministerium des Innern und für Kommunales des Landes Brandenburg: Maerker Brandenburghttps://maerker.brandenburg.de/bb

Magistrat der Stadt Wien

Kommunales Anwendungs-zentrum Land Brandenburg

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Beispiele aus der Praxis28

Living Lab: Das Verschwörhaus Ulm

Um das Thema Digitalisierung in die Bürgerschaft zu tragen, hat die Stadt Ulm im Rahmen ihrer Digitali-sierungsinitiative Ulm 2.0 das sogenannte „Verschwörhaus“ eingerichtet. Dieses Living Lab gibt allenUlmern die Möglichkeit ihre digitalen Kompetenzen zu stärken.

Mitten in der Ulmer Altstadt lädt das Verschwörhaus mit seinenoffenen Werkstätten, „Open-Data-Days“ und 3D-Druckern zumExperimentieren ein. Unter dem Motto „digitaler Bolzplatz“ könnensich die Ulmer treffen, um gemeinsam an IT-Projekten zu arbeiten,Wissen auszutauschen und neue Ideen zu diskutieren. Insbeson-dere sollen im Verschwörhaus Ideen und Projekte entwickelt wer-den, die zu einer verbesserten Stadtentwicklung beitragen: Als Bei-spiel gelten selbst gebaute Feinstaubmessstationen. Mit der Zurver-fügungstellung der Räumlichkeiten und Anschubhilfe für Erstinvesti-tionen hat die Stadt Ulm Starthilfe für das Projekt geleistet, das aberkünftig gemeinsam von Stadt, Zivilgesellschaft, Wirtschaft sowieBildung und Wissenschaft getragen werden soll.

Stadt Ulm: Verschwörhaus. http://weinhof9.de/

Online-Beteiligungsplattform „Stuttgart-meine-Stadt“

Die Landeshauptstadt Stuttgart hat 2015 eine elektronische Partizipationsinfrastruktur als Web-Portal-Lösung aufgebaut. Auf dem Internetportal stuttgart-meine-stadt.de können sich die Stuttgarterinnenund Stuttgarter über ausgewählte Vorhaben der Landeshauptstadt informieren und sich mit ihren Anre-gungen und Ideen beteiligen. Sie erfahren, wo und wann Informationsveranstaltungen oder Workshopsfür die einzelnen Vorhaben stattfinden, sie können an Umfragen teilnehmen, in einem Forum ihre Ideenvorstellen und mit anderen Nutzern diskutieren oder ihre Anregungen in einer interaktiven Karte dar-stellen. Die Stadtverwaltung beantwortet die einzelnen Vorschläge und informiert kontinuierlich undtransparent über den Fortschritt der einzelnen Vorhaben.

Das Portal wurde als frei skalierbares Baukastensystem mit Partizi-pationsmodulen konzipiert. Die einzelnen Module können modifiziertwerden und sind so für alle städtischen Beteiligungsverfahrenanwendbar. Darüber hinaus wird das Portal kontinuierlich weiter-entwickelt und so die Funktionalität erweitert und verbessert.

Die Landeshauptstadt hat im Frühjahr 2017 eine Leitlinie für Bürger-beteiligung verabschiedet, die ab 1. Oktober 2017 in Kraft tritt. Sieregelt den gesamten Themenbereich der informellen Bürgerbeteili-gung, von der Anregung über die Gestaltung bis hin zur Entschei-dungsfindung. Eine umfangreiche Vorhabenliste informiert zukünftigtransparent über Projekte der Stadtverwaltung. Diese Vorhabenlistewird das zentrale Element des Portals stuttgart-meine-stadt.de. Hierkönnen sich die Nutzer dann über alle städtischen Projekte und diedabei bestehenden Beteiligungsmöglichkeiten informieren. Weiter-hin erhalten die Stuttgarter die Möglichkeit, selbst eine Bürgerbetei-

ligung anzuregen oder sich in einem neuen Gremium zu engagieren: dem Beteiligungsbeirat. Er wirdzukünftig die Verwaltung bei der konkreten Gestaltung von Beteiligungsverfahren beraten.

Landeshauptstadt Stuttgart: Stuttgart-meine-Stadt. https://www.stuttgart-meine-stadt.de/

Stadt Ulm

martinlorenz.net

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29Beispiele aus der Praxis

Willkommene Perspektiven – In Mannheim gestalten Migranten und Migrantinnendie nachhaltige Zukunftsstadt

Wie blicken hochqualifizierte Migranten und Migrantinnen auf die nachhaltige Stadt der Zukunft? Kom-men sie auf neue Ideen für eine nachhaltige Stadtentwicklung? Und wie attraktiv sind ihre Vorschlägefür Politik und Stadtgesellschaft?

Antworten auf diese Fragen suchen die Stadt Mannheim, die TU Berlin und dasBerliner inter 3 Institut für Ressourcenmanagement gemeinsam mit Migrantinnenund Migranten im Projekt „Willkommene Perspektiven – Migrants4Cities“. In neunWorkshops – sogenannte UrbanLabs – werden mithilfe der an der TU entwickeltenMethode des Urban Design Thinking bis 2019 Lösungen für die Bereiche Wohnen,Arbeiten, Mobilität, Zusammenleben und Mitmachen erarbeitet, die in Mannheimumsetzbar sind und von anderen Städten aufgegriffen werden können. Mit ihrenLösungen sollen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu einem klimafreundlichen,sozial ausgewogenen, wirtschaftlich prosperierenden und kulturell vielfältigen Mannheim beitragen.Digitalisierung steht bei den zu erarbeitenden Themen nicht im Mittelpunkt, in ihnen spiegeln sich aberAnforderungen und Perspektiven einer Digitalisierung – diese bildet gewissermaßen ein Querschnitts-thema. Dabei wird deutlich, dass eine smarte Stadt vor allem eine Stadt ist, in der Bewohnerinnen undBewohner gemeinsam mit städtischen Akteuren eine nachhaltige Stadtzukunft entwickeln.

inter 3 GmbH – Institut für Ressourcenmanagement: Migrants4Cities.http://www.migrants4cities.de/de/uber-das-projekt/

City Data Exchange Copenhagen

Die Stadt Kopenhagen hat gemeinsam mit Hitachi das „City Data Exchange Copenhagen“ aufgebaut,eine Austauschplattform für Datensätze aus der Stadt und Region. Das Portal bündelt öffentliche Daten-sätze z. B. zu Verkehr oder Wetter und erleichtert sowohl ihre kostenfreie Bereitstellung und Nutzung(Open Data) als auch den Verkauf und Erwerb privater Datensätze: Auch lokalangesiedelte Unternehmen werden angesprochen, ihre Daten auf dem Portalzur Verfügung zu stellen – ggf. gegen eine finanzielle Kompensation. Ziel istes, die Nutzung von Daten für die lokale Wirtschaft zu erleichtern und anhandder verfügbaren Daten neue Geschäftsmodelle entstehen zu lassen.

Über die Zusammenführung verschiedener Daten hinaus, kann ein zentralerDatenmarkt mit einer Standardisierung von Formaten und der Entwicklung vonAbonnement-Modellen einen wichtigen Beitrag zur Nutzbarkeit von Datenleisten. Zusätzlich werden Unternehmen Workshops zum Thema Preisfindungoder zur allgemeinen Nutzung des Datenmarktes angeboten.

Hitachi Consulting Denmark: City Data Exchange Copenhagen.https://www.citydataexchange.com/#/home

Technische Universität Berlin

Hitachi Insight Group

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Beispiele aus der Praxis30

Open Data – Daten für Innovation und Wertschöpfung

Open Data sind Daten, die ohne jedwede Einschränkung zur freien Nutzung, zur Weiterverbreitung undzur freien Weiterverwendung allgemein zugänglich gemacht werden. Sie können Impulse für neueAnwendungen, Innovation und Wertschöpfung geben. Daher gelten sie auch als das neue Gold. DreiBeispiele demonstrieren das vielfältige Potenzial:

Mit HusetsWeb (https://www.modstroem.dk/energiberegner/) bietet der dänische StromversorgerModstrøm eine kostenlose Energiesparberatung für Hauseigentümer an. Die Beratung basiert insbeson-dere auf offenen Daten des dänischen Bauregisters (Bygnings- og Boligregistret BBR), das seit 1977besteht. Die Daten beinhalten unter anderem das Alter der Häuser, die Größe, die Anzahl der Etagen,Bauarbeiten und Heizsysteme. Der Nutzer gibt zusätzliche individuelle Daten an. Auf dieser Basis kannHusetsWeb konkrete Empfehlungen für Energie- und Sanierungsmaßnahmen geben.

https://www.instavin.com/ ermöglicht Gebrauchtwagenkäufern die Wahrheit über das angeboteneFahrzeug heraus zu finden. Die Website nutzt u. a. Daten des seit 1992 aufgebauten nationalen Fahr-zeugregisters. Auf Basis der Fahrzeugnummer kann der Kaufinteressent herausfinden, ob das Fahrzeugin einen Unfall verwickelt oder gar als gestohlen gemeldet wurde.

http://farmerline.co/ sendet Landwirten per SMS und Instant Messaging Informationen, um ihnen dasWirtschaften zu erleichtern, beispielsweise basierend auf Wetterdaten. Farmerline wurde von Forbesals eines der 30 vielversprechendsten afrikanischen Start-Ups bezeichnet. Weitere Beispiele und mehrzu Open Data auf:

Open Knowledge Foundation Deutschland & Stiftung Neue Verantwortung: Offene Daten Wirken.http://datenwirken.de/

Open Data Impact Map: Use Cases. http://opendataimpactmap.org/usecases.html

European Data Portal: Use Cases. https://www.europeandataportal.eu/en/training-library/library/use-cases

Bundeszentrale für Politische Bildung: Open Data – Einführung.http://www.bpb.de/gesellschaft/medien/opendata/64053/einfuehrung

Open Geo Data und ihre Nutzung

In Deutschland sind bisher vor allem Geodaten als Open Data verfügbar. Hierzulande sind daher Lösun-gen unter Nutzung offener Geodaten dominant. Drei Beispiele:

Das bayerische Unternehmen VISTA-geo wertet offene Fernerkundungsdaten von Copernikus mit Algo-rithmen aus. So kann es Landwirten, der Umweltbeobachtung oder der Wasserwirtschaft zuverlässigeund genaue Informationsdienste bieten. Dazu gehören kleinräumig spezifische Düngeempfehlungen und Ertragskarten, das Monitoring von Landbedeckung und Landnutzung oder die Modellierung vonWasserhaushalten, Überflutungen und der Wasserkraftproduktion.

Parkpocket aus München kombiniert offene Parkplatzdaten von Städten und Parkhausbetreibern mitanderen Datenquellen (wie dem Kartendienst here) um Nutzern freie Parkplätze, die Parkgebühren undden Fahrtweg dorthin anzuzeigen.

Auf Basis des Open Data Portals der Deutschen Bahn sind bereits kleine und größere Ergebnisse ent-standen. So wurden beispielsweise über einen spielerischen Ansatz die Adressen der Bahnhöfe mitdenen auf einer Karte der Open Railway Map abgeglichen. Statische Daten wie zum Beispiel Bahnsteig-höhen oder Betriebsstellen-Bezeichnungen wurden in der Open Railway Map ergänzt, die dadurchwertvoller für die Community, aber auch für die Mitarbeiter/-innen der DB wird. Aufzugswächter.orginformiert die Nutzer mittels Open Data der DB über die Funktionsfähigkeit von Aufzügen.

VISTA-geo: http://www.vista-geo.de/

Parkpocket GmbH: Smart Parking Data. https://parkpocket.com/

Deutsche Bahn AG: Open-Data-Portal. http://data.deutschebahn.com/

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31Beispiele aus der Praxis

Digitales Dorf.Bayern – digitale Chancen für die Vernetzung kleiner Gemeinden

Im Projekt Digitales Dorf (vormals „e-Dorf“) des Bayerischen Wirtschaftsministeriums werden bis Mitte2018 Strategien entwickelt, wie mit Hilfe von digitalen Lösungen die Attraktivität ländlicher Regionen inZukunft nachhaltig gesteigert werden kann. Hierbei wird die Digitalisierung als eine Möglichkeit für dieSicherung gleichwertiger Lebensbedingungen in Stadt und Land begriffen: Beispielsweise könnendurch Internethandel und neue Liefermodelle eine höhere Verfügbarkeit vor Ort, verbesserte medizini-sche Versorgung über mobile und digitalisierte Angebote oder innovative Bildungsangebote ohne Präsenzanforderungen ermöglicht werden.

In einem zweistufigen Wettbewerb wurden die zwei Modellregionen Stein-wald-Allianz und Spiegelau-Frauenau ausgewählt, in denen digitale Kon-zepte für die Bereiche Mobilität, Wohnen, Einzelhandel, medizinische Ver-sorgung, Pflege- und sonstige Dienstleistungen oder auch Arbeits- und Bil-dungsangebote erprobt werden. Dabei sollen die Lösungen so entwickeltwerden, dass sie auch auf andere strukturschwache Räume übertragbarsind. Der Transfer dieser und weiterer Konzepte sowie der Praxiserfahrun-gen soll über eine Community ermöglicht werden, die sich derzeit im Auf-bau befindet. Wichtiger Bestandteil der Community wird ein Atlas digitaler Lösungen sein. Die beidenModellregionen werden dabei von den Forschungspartnern Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltun-gen IIS, Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering IESE und der Technischen Hochschule Deggendorf (THD) betreut.

Fraunhofer-Arbeitsgruppe für Supply Chain Services SCS des Fraunhofer-Instituts für Integrierte Schaltungen IIS: Digitales Dorf – Bayern Digital. http://digitales-dorf.bayern/

https://www.facebook.com/DigitalesDorfCommunity

Wie kommunales E-Government dennoch gelingt: Ein Kochbuch für Praktiker

Im Pilotvorhaben „Modellkommune E-Government“ wurden acht ausgewählte Kommunalverwaltungen– größere und kleinere Städte sowie drei Landkreise – zwei Jahre (2014–2016) bei ihren Bemühungenum IT-orientierte Verwaltungsentwicklung begleitet. Der Schwerpunkt der Initiative des Bundesministe-riums des Innern (BMI) lag auf praktischen Lösungen und Erfahrungen im kommunalen Kontext bei derKonzeptionierung und Umsetzung von E Government-Vorhaben, kurz gesagt: auf der Einrichtung einerbürgernahen Verwaltung mit vielfältigen Projekten.

Ergebnis ist ein auf den Erfahrungen der Modellkommunen aufbauenderLeitfaden, ein „Kochbuch für E-Government“, das allen Verantwortlichenauf kommunaler Ebene praktische und einfache Hilfestellungen geben soll.Gleich einem Kochbuch wird schrittweise erläutert, welche Aufgaben beider Digitalisierung der Verwaltungsarbeit und von Verwaltungsleistungenzu lösen sind. Die Publikation möchte die Verantwortlichen in den Kommu-nalverwaltungen ermutigen, E-Government umzusetzen. Des Weiteren stelltdie Webseite „Verwaltung Innovativ“ des BMI Praxisbeispiele rund um dasThema E-Government zusammen. Weitere Erfahrungsberichte werden auchin einer ausführlichen Projektdokumentation dargestellt: Idealerweise können die durchgeführten Projekte durch andere Kommunen erfolgreichübernommen und verwertet werden: Im Vordergrund steht der Transferpraktischer Erfahrungen im organisations- und projektbezogenen, rechtlichen sowie technischen Bereich.

Bundesministerium des Innern: Wie kommunales E-Government dennoch gelingt. Ein Kochbuch für Praktiker. http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Nachrichten/Pressemitteilungen/2016/09/e-government-kochbuch.pdf?__blob=publicationFile

Bundesministerium des Innern: Verwaltung innovativ. http://www.verwaltung-innovativ.de

Bayerisches Staatsministeriumfür Wirtschaft und Medien,

Energie und Technologie

Bundesministerium des Innern (BMI)

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Beispiele aus der Praxis32

DISTRIBUTE – Grüne Kiez-Lieferketten für die Stadt von Morgen

Im Projekt DISTRIBUTE werden auf der Basis integrierender IuK-Technologien innovative Logistik-dienstleistungen für Smart Cities entwickelt und in zwei Berliner Nachbarschaften praktisch erprobt.Durch die gezielte Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger als spätere Nutzer der Dienstleistungen,werden umsetzungsorientierte, wettbewerbs- und damit zukunftsfähige Lösungen entwickelt, die sichdirekt positiv auf die Lebensqualität in den Nachbarschaften auswirken. Mit den Handlungsfeld „UrbaneCo-Produktion und Co-Creation von Dienstleistung“ gestaltet das Projekt Konzepte und Lösungen einerzukunftsfähigen Warendistribution in Nachbarschaften.

Der Bezug von Waren über den Onlinehandel hat sehr hohe Zuwachsraten. Die herkömmlichen, dezen-tralen Verteilungsprozesse, mit oftmals geringen Tourenauslastungen und großen Teilstrecken, belastenden ohnehin stark wachsenden innerstädtischen Verkehr zusätzlich. Abhilfe können dabei nur hocheffi-ziente Logistiklösungen für die zeitnahe Anlieferung der Bestellungen und die bequeme Rücksendungmöglicher Retouren schaffen. Als Lösungsansatz wird im Forschungsprojekt DISTRIBUTE ein ganzheit -liches Kiez-Logistikkonzept entwickelt, in dessen Mittelpunkt die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger stehen. Ansatzpunkt ist dabei die Gestaltung und Erprobung eines lokalen, von Akteuren undBürgerinnen und Bürgern getragenen Güterverteilzentrums. Dabei sollen neue Ansätze, wie z. B. Las-tenfahrräder (Flex-Bikes) und erweiterte Bürgerintegration (Bürgerdienstleistungen), berücksichtigtwerden. Anhand zweier Berliner Fallstudien entwickelt DISTRIBUTE replizierbare Logistikdienstleistun-gen zur Reduzierung des alltäglichen Lieferverkehrsaufkommens und trägt so zur Emissionsreduktionund Verbesserung der Lebensqualität in den Quartieren bei. Das Projekt fügt sich direkt in die BerlinerSmart-City-Strategie zum Erhalt und der Weiterentwicklung sozial und demografisch gemischter Kieze ein. DISTRIBUTE wird im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf prototypisch für zwei Kieze unterschiedlicher Prägung entwickelt.

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33Beispiele aus der Praxis

Jürgen Weyrich Jürgen Weyrich

Jürgen Weyrich Jürgen Weyrich

Jürgen Weyrich Jürgen Weyrich

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Die Dialogplattform Smart Cities wurde vomBMUB im Auftrag des Staatssekretärsausschussfür nachhaltige Entwicklung eingerichtet.

Sinn und Zweck der Dialogplattform Smart Citieswar es, mithilfe eines breiten Teilnehmerkreisesaus Städten und Gemeinden, aus Bundesres-sorts, aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft undPraxis eine gesellschaftspolitische Debatte zurDigitalisierung anzustoßen. Im Dialog wurdengesellschaftliche Wirkungen von Smart Citiesbeleuchtet und Anforderungen identifiziert, diesich in diesem Zusammenhang für die Stadtent-wicklungspolitik ergeben. Im Zentrum stand alsodie Frage: Was ist eigentlich „smart“ für die Entwicklung unserer Städte?

Vor diesem Hintergrund hatte die Dialogplattformdrei zentrale Ziele:

• Die Entwicklung eines gemeinsamen Ziele- und Werteverständnisses,

• die Bewertung von Chancen und Risiken von Smart Cities und

• die Erarbeitung von Lösungsansätzen und Empfehlungen für eine nachhaltigeStadtentwicklung.

Die Dialogplattform Smart Cities erarbeitetediese Punkte von Juli 2016 bis Mai 2017 in fünfaufeinander aufbauenden Dialogveranstaltungenund zwei internationalen Workshops.

Orientierende Beiträge von Prof. Schneidewind(WBGU), Staatssekretär Adler (BMUB), Direktorund Professor Hermann (BBSR) und RoopeMokka (Demos Helsinki) ordneten die Digitalisie-rung vor dem Hintergrund der nachhaltigen undintegrierten Stadtentwicklung ein. Auf dieserBasis und bereits vorliegenden Ergebnissen deslaufenden BMUB/BBSR-Forschungsclusters„Smart Cities“ wurden vier Themen in den Fokusder Diskussion gestellt: Urbane Governance,Digitale Spaltung, Lokale Ökonomie und Big Data.

Die Teilnehmenden skizzierten diese Fokusthe-men mithilfe der Tag-Cloud-Methode. Anschlie-ßend diskutierten vier moderierte Kleingruppendie Ausgangspositionen, Potenziale und Heraus-forderungen der Themen für die Kommunen.Diese Diskussion wurde mittels Simultanprotokollvor den Augen der Teilnehmenden dokumentiertund gemeinsam ausformuliert.

In der Folge setzte sich die Dialogplattform ver-tieft mit diesen Fokusthemen auseinander. Aus-gehend von vier fachlichen Impulsen aus demBMUB/BBSR-Forschungscluster Smart Citiesentwickelten die Teilnehmenden für jedes derFocus-Themen Stegreif-Szenarien als Worst-Case und Best-Case für das Jahr 2040. Ziel wares, Entwicklungstendenzen im Sinne einer nach-haltigen, integrierten Stadtentwicklung kritischzu hinterfragen und handlungsleitende Visionenaufzuzeigen. Die Szenarien wurden vor Ort durchGraphic Recording visualisiert. Es entstanden acht Bilderwelten, die die möglichen Zukünfteveranschaulichen.

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DIALOGPLATTFORM SMART CITIES: DER DIALOGPROZESS

Jürgen Weyrich

Jürgen Weyrich

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In anschließenden Dialogmodulen entwickeltedie Dialogplattform daraus Handlungsoptionenfür Kommunen, Bund und Länder sowie für Wis-senschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Pola-risierende Thesen – insbesondere zum Umgangmit Daten – wurden in sogenannten Achsenmo-derationen erörtert. Bei diesem Dialogformatpositionieren sich die Teilnehmenden entspre-chend ihres jeweiligen Standpunktes auf einerAchse im Raum und stellen ihren jeweiligenStandpunkt zur Diskussion. So konnten vielfältigePositionen aufgegriffen und gemeinsam getra-gene Ansätze für die Leitlinien der Charta verdichtet werden.

Einen wichtigen Beitrag für die Entwicklung derSmart City Charta leisteten die beiden internatio-nalen Workshops der Dialogplattform. Hier wur-den Praxisbeispiele aus europäischen Partner-städten deutscher Smart Cities und aus Singapursowie strategische Ansätze der EuropäischenKommission und der nationalen RegierungenFrankreichs und Spaniens einbezogen. In interak-tiven Panel-Plenum-Diskussionen konnten dieTeilnehmenden der Dialogplattform Erfahrungendirekt mit den Vertretenden der jeweiligen Städteund Organisationen reflektieren.

Auf Basis der Szenarien, der Handlungsempfeh-lungen, der internationalen Erfahrungen und den– auch widerstreitenden Positionen – sowieErgebnissen des Forschungsclusters wurde einerster Entwurf einer Smart City Charta entwickelt.Diese „Textbaustelle“ sollte nun zu gemeinsamgetragenen Leitlinien weiterentwickelt werden.Die gesamte Textstruktur – Leitlinien und Hand-lungsempfehlungen – wurde im Raum mittels Sty-ropor-Elementen aufgebaut und von der Dialog-plattform umstrukturiert, präzisiert, verdichtet und ergänzt.

Ein zweiter Entwurf der Charta vollzog die Ergeb-nisse dieser intensiven Diskussion nach. Einezehnköpfige Redaktionsgruppe, die sich am Endeder vierten Veranstaltung gebildet hatte, kom-mentierte und konsolidierte diese Fassung, bevorsich alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen derDialogplattform in einer weiteren Konsolidie-rungsrunde beteiligen konnten. In einer abschlie-ßenden Plenumsdiskussion konzentrierte sich dieDialogplattform auf konkrete Handlungsempfeh-lungen und letzte offene Punkte in den Leitlinien.Der vorliegende Text der Charta wurde von denTeilnehmerinnen und Teilnehmern der Dialog-plattform in der Schlussveranstaltung Abschnittfür Abschnitt konsolidiert und wird von ihnenkonsolidiert und bestätigt.

35Dialogplattform Smart Cities: Der Dialogprozess

Jürgen Weyrich

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Prof. Dr. Uwe Schneidewind, Präsident und wis-senschaftlicher Geschäftsführer am WuppertalInstitut für Klima, Umwelt, Energie GmbH undMitglied des Wissenschaftlichen Beirats derBundesregierung Globale Umweltveränderun-gen (WBGU) betrachtete zum Auftakt der Dialog-plattform Digitalisierung im Kontext der globalenUrbanisierung.

Wie Digitalisierungspotenziale aufzugreifen sind,ohne dass sie zum Selbstzweck werden, ist eineder Kernfragen der aktuellen Diskussion zu SmartCities. Um diese Frage gemeinsam beantwortenzu können, bedarf es normativer Leitplanken, alsoeines gemeinsamen Werteverständnisses des-sen, was den zentralen Bezugsrahmen der Digi-talisierungsdebatte charakterisiert. Als eine derGrundlagen hierfür dient auch das Urbanisie-rungsgutachten des WBGU „Der Umzug derMenschheit: Die transformative Kraft der Städte“.

Formen, Kräfte und Werte der Urbanisierung

Das Gutachten ist im Hinblick auf die globale Perspektive der Urbanisierung im intensiven Aus-tausch mit internationalen sowie nationalenAkteuren der Stadtforschung entstanden. Hiersah der WBGU seine Rolle insbesondere darin,durch Formen der Kategorisierung und Begriffs-bildung zu einer gemeinsamen Gesprächsbasisbeizutragen. Um Klarheit in der Diskussion zuschaffen und den globalen Diskurs über die Wis-senschaft hinaus allen Akteursgruppen, auch aufnationaler Ebene, zugänglich zu machen, wurdedas Verständnis der komplexen Urbanisierungs-prozesse auf drei Kerndimensionen reduziert:Formen, Kräfte und Werte der Urbanisierung, die in der Abbildung dargestellt sind.

Der globale Megatrend der Urbanisierung wird inunterschiedlichen Formen vonstattengehen. Statteines strukturierten Wachstums werden Städtevor allem ungeordnet und rasant expandierend inForm von gänzlich neuen Städten und informellenSiedlungen wachsen. Auch in Deutschland wer-den Veränderungen in Form von neuen Stadttei-len auf ehemaligen Konversionsflächen oder anden Stadträndern bereits erlebt. Städte müssensich ihrer lokalspezifischen Charakteristika undFormen bewusst werden und verstehen, dassSmart-City Entwicklungen in unterschiedlichenFormen stattfinden werden. Maßnahmen für eineneu entstandene Smart City im asiatischen Raumsind nur bedingt übertragbar auf eine Smart Cityin Deutschland. Form und Eigenarten der Städteund Kommunen müssen allerorts im Kontext ihrerGeografie und lokaler Spezifika verstanden wer-den.

Neben dem Verständnis für die Diversität derStädte müssen die Kräfte der Urbanisierungbetrachtet werden. Die Kräfte der Urbanisierunglassen sich ebenfalls auf drei Schlüsselbegriffezurückführen: Macht, Not und Zeit. Unter Machtwird kristallisiert, dass technologisch geprägteurbane Transformationsprozesse in soziale sowiepolitische Prozessen eingebettet sind. Außerdemgreifen privatwirtschaftliche Modelle aufgrunddefizitärer städtischer Haushalte immer häufiger

Digitalisierung zielorientiert gestalten 36

Der Umzug der Menschheit – Die transformative Kraft der Städte

Prof. Dr. Uwe Schneidewind, WBGU

DIGITALISIERUNG ZIELORIENTIERT GESTALTEN

Jürgen Weyrich

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in das Machtgefüge der Stadt ein. Eine adäquateStadtentwicklung bedingt ein Verständnis für diedahinterliegende soziale und politische Texturder Urbanisierung. Not ist bei vielen Städten undKommunen ein Thema: Wie kann Stadtentwick-lung im Kontext von Armut nachhaltig gestaltetwerden? Zudem gilt es, auch den Faktor Zeit zubetrachten. Hiermit sind die Zeiträume gemeint,die es braucht, um Investitionen in Infrastruktu-ren umzusetzen und Verhaltensmuster mitzuge-stalten. Insbesondere gilt es, die visionären Inno-vationen mit dem Rhythmus der Stadtentwicklungzu koppeln. Der Dreiklang aus Not, Macht undZeit soll für die soziale Einbettung des Diskursessensibilisieren.

Zuletzt sind es auch Werte der Urbanisierung, dieden zentralen Bezugsrahmen charakterisieren.Ein komplexes und eng miteinander vernetztesFeld ergibt sich aus der Notwendigkeit desErhalts der natürlichen Lebensgrundlagen bei-spielsweise durch Klimaschutz und die Verringe-rung des Energie- und Ressourcenverbrauchs.Daran knüpfen Fragen der Teilhabe und derGovernance der neuen Stadtstrukturen an. DieOrganisation einer repräsentativen Teilhabe

durch neue Möglichkeiten der Digitalisierungwird angesichts der „Digital Divide“ eine derwichtigsten Herausforderungen. Über diese glo-balen Herausforderungen hinaus sollte Urbani-sierung auch die Eigenart, d. h. die unverwech-selbaren individuellen Ausprägungen, der vonStadtgesellschaften hervorgebrachten physi-schen und kulturellen Lebensumwelten nichtgefährden. So plädiert der WBGU mit der Beto-nung der Eigenart für eine neue Kultur des intelli-genten Experimentierens.

In diesem Sinne werden Städte ermuntert, überunterschiedliche Formen urbaner Muster zu ler-nen und eigene Lösungsansätze zu entwickeln.Anstelle von Copy-Paste-Lösungen sollten Expe-rimentierkultur und Tüfteln in der Einrichtung vonSmart Cities gestärkt werden. Hierbei kannDeutschland viel von globalen Pionierprozessenlernen. Zugleich haben Initiativen wie die „Dia-logplattform Smart Cities“ durchaus Potenzial,auch in den internationalen Kontext übertragenzu werden.

37Digitalisierung zielorientiert gestalten

Formen, Kräfte und Werte der Urbanisierung. WBGU (2016) Der Umzug der Menschheit: Die transformative Kraft der Städte. Quelle: Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU)

Zeit Macht Not

Reif Geplant Informell

Eigenart Teilhabe

NatürlicheLebens-

grundlagen

Kräfte

Formen

Werte

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Gunther Adler, Staatssekretär im Bundesministe-rium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-sicherheit (BMUB) forderte in der Dialogplatt-form einen handfesten Stadtentwicklungsbezugfür die Smart City-Diskussion.

In unseren Städten und Gemeinden vollzieht sichderzeit ein Wandel, der technologiegetrieben istund mit dem Begriff der Digitalisierung umschrie-ben wird. Smarte Systeme und Technologienwerden inzwischen weltweit in städtische Infra-strukturen implementiert. Sie sollen helfen, dasLeben lebenswerter zu machen und zu erleich-tern: Verkehr zu optimieren, den Schadstoffaus-stoß zu verringern, Ressourcen zu schonen, Kos-ten zu sparen und Wertschöpfung zu erzielen.Wertschöpfungsprozesse, Verwaltungsabläufeund viele Bereiche des öffentlichen und privatenLebens werden so digitalisiert und verändernsich.

Die Digitalisierung verändert auch die Stadtpoli-tik, indem sie neue Formen der urbanen Wissens-produktion und der Beteiligung schafft. Sie ver-ändert das Verhältnis von Stadtverwaltungen undBürgerschaft. Diese Veränderungen eröffnenviele neue Möglichkeiten und Chancen, deren

Potenzial wir in vielen Feldern gerade erst erah-nen. Sie bergen aber auch Risiken. Über beides,Risiken und Chancen, müssen wir uns bewusstwerden.

Digitale Agenda der Bundesregierung,Dialogplattform Smart Cities des BMUB

Mit der Digitalen Agenda 2014 – 2017 hat die Bun-desregierung die grundlegenden Leitplanken undkurzfristig umzusetzenden Schritte ihrer Digital-strategie für Deutschland festgelegt. Ziel ist es,den digitalen Wandel mitzugestalten. Einerseitswill die Bundesregierung sicherstellen, dassneue Entwicklungen und Innovationen nichtbehindert werden, und andererseits gewährleis-ten, dass möglichen Fehlentwicklungen entgegengesteuert wird.

Auch die Stadtentwicklungspolitik muss sich denHerausforderungen der Digitalisierung stellen.Denn neben Trends wie dem demographischenWandel, der Globalisierung und dem Klimawan-del wird die Digitalisierung die Zukunft unsererStädte maßgeblich prägen. Der Bund möchte dieChancen der Digitalisierung für eine zukunftsfä-hige Stadtentwicklung nutzbar machen. Das setztaber voraus, mit den Risiken adäquat umzugehen.Um eine breite Debatte dazu anzustoßen, hat dasBMUB im Rahmen des InterministeriellenArbeitskreises „Nachhaltige Stadtentwicklung innationaler und internationaler Perspektive“ dieDialogplattform Smart Cities eingerichtet.

Werte und Ziele für Smart Cities

Die Soziologin Saskia Sassen hat gefordert, dieneuen „Technologien zu urbanisieren“, sie also inden Dienst einer guten Stadtentwicklung zu stel-len. Das bedeutet, dass die Smart City-Diskus-sion, die derzeit technologiedominiert und ausdem Blickwinkel der Erschließung neuer Märktegeführt wird, einen handfesten Stadtentwick-lungsbezug benötigt. Ein Defizit der aktuellen Dis-kussionen – national wie international – ist, dassdie Zivilgesellschaft kaum vorkommt. So kann„smarte“ Stadtentwicklung nicht gelingen. Wirmüssen die Zielsetzungen einer integrierten undnachhaltigen Stadtentwicklungspolitik aktiv in dieDiskussion um Smart Cities einbringen und diedigitale Transformation in den Kommunen mitge-stalten. Wir brauchen Offenheit gegenüber technischen Entwicklungen und Visionen, aber

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Werte und Ziele für Smart Cities

Gunther Adler, Staatssekretär im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB)

Jürgen Weyrich

Page 39: Smart City Charta · 2019-03-29 · „Smart Cities sind nachhaltiger und integrierter Stadtentwicklung verpflichtet.“ So formuliert es die Smart City Charta gleich zu Beginn und

auch einen starken Werte- und Zielebezug, umneue Möglichkeiten mit Bedacht, Verstand undWeitblick nutzen zu können. Denn Digitalisierungist kein Wert an sich.

Ausrichtung auf nachhaltige Stadtentwicklung

Wenn wir dauerhaft tragfähige Lösungen für„Smart Cities“ wollen, muss die Digitalisierungder Städte strategisch im Sinne einer nachhalti-gen Stadtentwicklung ausgerichtet werden.Dafür sind folgende Aspekte zentral:

1. Wir müssen digitale Integration und Teilhabe sichern:

Die Stadt muss auch in Zukunft für alle da sein,und alle müssen zu ihr beitragen können. Eineweitere – digitale – Spaltung der Gesellschaftwollen und können wir uns nicht leisten. Teilhabeam gesellschaftlichen, politischen und wirt-schaftlichen Leben muss auch für Menschen, dieohne Smartphone leben wollen, möglich sein. DerEinstieg in die „smarte“ Zukunft darf nicht denAusschluss Einzelner oder ganzer Bevölkerungs-gruppen zur Folge haben.

2. Die massenhafte Erhebung und Nutzung von Daten müssen wir verantwortungsvoll gestalten:

Es wird neue Formen der urbanen Wissenspro-duktion geben, die neue Erkenntnisse und Inno-vationen ermöglichen. Dabei stellen sich aberauch Fragen des Datenschutzes und der Datensi-cherheit, der Datenhoheit und der Interpretati-onshoheit über die Daten sowie des Datenmana-gements. Hier gilt es, die Handlungsfähigkeit derKommunen zu wahren und Monopolisierungen zu vermeiden. Die Menschen wollen wissen, werdie Daten wie verwendet.

3. Wir müssen die lokale Wirtschaft unddie lokale Wissens- und Wertschöpfungstärken:

Die Digitalisierung von Arbeit, Dienstleistungenund Industrie wird neue Arbeits- und Produkti-onsformen ermöglichen. Dadurch verändern sichökonomische Strukturen der Städte. Neue wirt-schaftliche Akteure treten auf. Die Orte der Wis-sens- und Wertschöpfung – und damit auch derBesteuerung – ändern sich. Für eine gute Stadt-entwicklung ist es entscheidend, dass wir lokalangepasste und dezentrale Lösungen ermögli-chen, die auf die Gegebenheiten vor Ort und aufdie Bedürfnisse der Menschen zugeschnittensind.

Nur so können wir den Charakter und die „Eigen-art“ unserer Städte wahren und stärken, wie esder Wissenschaftliche Beirat für GlobaleUmweltfragen in seinem aktuellen Gutachten„Der Umzug der Menschheit: Die transformativeKraft der Städte“ in verschiedener Hinsicht for-dert und worauf Herr Professor Schneidewind inseinem Impulsvortrag zum Auftakt der Dialog-plattform Smart Cities eindrücklich hinwies.Gerade beim Thema Smart Cities darf es dahernicht um „Copy-Paste-Lösungen“ gehen. Auchwenn für den Einsatz digitaler Technologien eingewisses Maß an Standardisierung erforderlichist, müssen wir uns die stadtgesellschaftlichwünschenswerte Flexibilität und Offenheitbewahren und Abhängigkeiten vermeiden.

4. Wir müssen die Digitalisierung in unseren Städten dauerhaft tragfähig gestalten:

Das bedeutet zunächst, dass der Einsatz digitalerTechnologien auch im ökologischen Sinne nach-haltig sein muss. Wir haben in den letzten Jahrengemeinsam mit den Kommunen große Anstren-gungen unternommen, die Stadtentwicklung kli-magerecht, energie- und ressourceneffizient zugestalten. Selbstverständlich gibt es auch hierOptimierungsbedarf. Die Digitalisierung bietetdafür große Chancen. Allerdings ist noch offen,wie die Öko-Bilanz digitaler Technologien mitihren erwünschten oder unerwünschten Neben-und Rebound-Effekten wirklich aussieht.

Damit die Digitalisierung in Städten dauerhaftträgt, wird es entscheidend auch auf die Akzep-tanz durch die Nutzer und insbesondere durchdie Menschen ankommen. Der digitale Wandel indeutschen Kommunen muss im baulichen, sozio-strukturellen und institutionellen Bestand erfol-gen; wir können „Smart Cities“ nicht wie in Asientop-down und auf der grünen Wiese planen undbauen. Abgesicherte Test- und Erprobungspha-sen, breite Information und Beteiligung derBetroffenen, intensive Abstimmung mit allen rele-vanten Akteuren, Offenheit und Transparenz imUmgang mit Risiken sowie kritische Kosten-Nut-zen-Analysen sind wichtige Voraussetzungendafür, dass die Stadtgesellschaft das nötige Vertrauen in den Einsatz digitaler Technologienaufbringen wird. Es gilt auch anzuschauen, woSmart Cities in Smart Homes übergehen. Wirmüssen nicht das technisch Machbare, sonderndas technisch Wünschenswerte definieren.

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Harald Herrmann, Direktor und Professor desBundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumfor-schung (BBSR) betonte die Wichtigkeit des Dia-logs über Smart Cities, weil die Teilnehmendendarin den digitalen Wandel unter die Lupe neh-men: Sie bewerten die Chancen und Risiken derDigitalisierung und entwickeln Handlungsoptio-nen für die digitale Zukunft der Städte.

Auswirkungen des digitalen Wandels

Das BBSR untersucht seit jeher städtische Trans-formationen und unterstützt die Kommunen darin,beispielsweise mit dem Klimawandel und demdemografischen Wandel umzugehen. Mit anwen-dungsorientierten Forschungsprojekten entwi-ckelt, erprobt und verbreitet das BBSR neueIdeen für die Stadtentwicklung. Auch den digita-len Wandel hat das BBSR in den Fokus der Forschung gerückt. Auch er wirkt sich auf vieleHandlungsfelder der Stadtentwicklung aus:Darauf, wie wir den öffentlichen Raum nutzen,wie wir uns fortbewegen und wie wir Verwal-tungsabläufe und politisches Handeln gestalten.Der digitale Wandel wird sich darauf auswirken,wie wir wohnen, wie wir städtische Infrastrukturnutzen als auch darauf, wie wir arbeiten, wirt-schaften und produzieren.

Die Chancen und Risiken der Digitalisierungüberlagern sich und sind nur im interdisziplinärenDialog erkennbar. Das Bild, das sich die Teilneh-menden des Dialogs von diesen Auswirkungen inihren jeweiligen Feldern machen, hat sicher kla-rere Konturen als das anderer. Dennoch hat beialler Expertise jedes dieser Bilder auch dunkleFlecken.

Digitalen Wandel wertorientiert gestalten

Doch wir wissen sicher: Die Digitalisierung voll-zieht sich schneller und weniger vorhersagbarals der Klimawandel und der demografischeWandel. Wir wissen auch, dass vieles, das maleben smart genannt wird, nicht unbedingt so cle-ver und zukunftstauglich ist, wie es das Labelvermitteln will. Und uns beschleicht die Ahnung,dass nicht gleich alles besser wird, nur weil es

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Digitalen Wandel wertorientiert gestalten

Harald Herrmann, Direktor und Professor des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR)

Jürgen Weyrich

Page 41: Smart City Charta · 2019-03-29 · „Smart Cities sind nachhaltiger und integrierter Stadtentwicklung verpflichtet.“ So formuliert es die Smart City Charta gleich zu Beginn und

digital ist. Wir stehen noch immer am Anfang desdigitalen Wandels. Bei der Suche nach Konzep-ten, um diesen Wandel zu gestalten, bieten WerteOrientierung – Werte wie Nachhaltigkeit, Selbst-bestimmtheit, Dauerhaftigkeit und Verlässlichkeit.

Die Digitalisierung soll genutzt werden, um dieZiele der nachhaltigen Stadtentwicklung zuunterstützen. Die Säulen, auf denen Nachhaltig-keit ruht – Ökologie, Wirtschaft, Soziales – sindgleichgewichtig zu berücksichtigen. Wirtschafts-wachstum und Beschäftigung sollen gesichertund gefördert werden. Auf einem begrenzten Pla-neten müssen wir aber zugleich mit unseren Res-sourcen sparsam und effizient umgehen. DieAnsprüche der folgenden Generationen sind zubeachten und die ökologischen Systeme dürfennicht überlastet werden. Gerade in diesen Tagensollten wir auch nicht vergessen, dass wir denZusammenhalt in unserer Gesellschaft stärkenmüssen.

Zweitens sollten wir darauf achten, bei derGestaltung der Veränderungen selbstbestimmt zubleiben. Die Digitalisierung, der Besitz und dieVerwendung von Daten und Wissen können Frei-heit auch einschränken. Werte wie „informatio-nelle Autonomie“ des Einzelnen und „digitaleSouveränität“ der Gesellschaft spiegeln denAnspruch wider, die Hoheit über die Daten, überDateninfrastruktur und deren Administrationnicht sorglos abzugeben.

Drittens geht es auf dem Weg zu Smart Citiesauch um Dauerhaftigkeit und Verlässlichkeit. Dasgilt für gebaute Infrastrukturen wie Straßen oderVersorgungsleitungen, das gilt aber auch für dieInstitutionen, Normen und Verfahren, die städti-sches Zusammenleben erst ermöglichen. Wirverlassen uns darauf, dass dieses Grundgerüstda ist und dass es funktioniert. Und zwar auch inzehn, 20 und 50 Jahren. Können das auch digitaleAnwendungen leisten? Oder sind sie wie man-che App schon beim übernächsten System-Update „Out of Order“? Und wie schlau wäre es,alle Prozesse und Institutionen möglichst schnellund umfassend zu digitalisieren und ins Web 4.0zu verlagern? Kann „das Internet“ Verantwortungübernehmen?

Werte im Dialog abwägen und konkretisieren

Dabei stehen Werte jedoch nie absolut. Sie müs-sen ins Verhältnis gesetzt, abgewogen und kon-kretisiert werden. Und genau deshalb ist es sowichtig, dass die Teilnehmenden sich aktiv an derDialogplattform Smart Cities beteiligen, als Ver-treterinnen und Vertreter von Städten und Bun-desressorts, von wissenschaftlichen Einrichtun-gen, NGOs und der Wirtschaft. Denn nur zusam-men können Wege in die digitale Zukunft gefun-den werden, die zu unserer Gesellschaft passen.Auf diesem Weg brauchen wir gute Wegweiserund Leitplanken.

Die Zeit-Stiftung hat im Februar dieses Jahreseines ihrer Labs unter den Titel „KalifornischeHerausforderung“ gestellt. Wie verortet sich dieeuropäische Stadt in diesem Wettstreit der Kultu-ren und Ideen? Um ihren Platz darin zu finden,dürften europäische Städte die Digitalisierungnicht einfach geschehen lassen, sondern müssendie digitalen Wandel aktiv gestalten.

41Digitalisierung zielorientiert gestalten

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In seinem Impulsvortrag stellte Roope Mokka,Gründer des finnischen Think Tanks Demos Helsinki, die Frage, welche Auswirkungen dienächste Phase der Digitalisierung – „Internet of NO things“ – für Smart Cities haben wird.

Internet of NO things

Im Durchschnitt schauen wir alle sechs Minutenauf unsere Smartphones: Wir unterbrechen das,was wir gerade tun, alle sechs Minuten für Face-book, Snapchat, Instagram, Twitter und Reddit.Dieser Umstand ist natürlich verrückt – vielleichtaber nicht so verrückt, wie zu behaupten, dasswir in zehn Jahren gar nicht mehr auf unsereSmartphones schauen. Genau dies wird jedochder Fall sein. Und zwar deshalb, weil Smartpho-nes nicht mehr existieren werden: Ihre Funktio-nen werden in unsere Umwelt integriert sein –bereits in zehn Jahren.

Warum findet dieses „Internet of NO things“statt? Die dahinterliegenden Gründe und Treibersind einfach: Der stärkste langfristige Trend inder Technologieentwicklung ist in Reduzierungenbei Größe und Preis einer Technologie zu sehen.Die Endgeräte, mit welchen wir verschiedene

Technologien nutzen, werden immer kleiner undimmer günstiger. Gleichzeitig beinhalten dieseumso mehr Funktionen. So gibt es beispielsweisebereits heute Technologie im Wert von 100.000US-Dollar vereint in nur einem Smartphone:Taschenrechner, Kameras, Spiele, Musik- undVideoplayer, die allesamt zum Zeitpunkt ihrerMarkteinführung mehr gekostet haben, als dasiPhone zu Zeiten seiner Markteinführung. Außer-dem verfügt ein iPhone heute über Speicherka-pazität, die noch vor vergleichsweise kurzer ZeitTonnen gewogen hätte.

Wenn eine Technologie sich ausreichend entwi-ckelt hat, wird sie letztendlich verschwinden. Siewird nicht mehr als eine Technologie wahrge-nommen, sondern als Teil unseres Umfeldes. DasGebäude, in dem wir uns befinden, wurde früherals Technologie betrachtet, so auch die Kleider,die wir tragen oder das Essen auf dem Tisch. Mitder Ausnahme von Fachexperten, betrachtetheute kein Mensch Kleidung oder Essen alsTechnologien. Auf diese Weise werden auch digi-tale Technologien in unser Umfeld integriert sein.

Das Ineinandergreifen von materiellerund digitaler Welt

Im Forschungsprogramm „Naked Approach“beschäftigt sich Demos Helsinki mit einigen die-ser Technologien, beispielsweise mit „PrintableElectronics“, welche das Ausdrucken von Solar-zellen, Prozessoren und bald sogar Touchscreensermöglichen – alles mit Energy Harvesting. DieFähigkeit von Sensoren und Geräten, die benö-tigte Energie aus ihrer Umwelt selbst und kosten-günstig zu generieren, kann eine smarte Umweltim Sinne von Services und Dienstleistungen „ondemand“ ermöglichen – ohne dass man einenBlick auf sein Smartphone werfen muss.

Mit Energy Harvesting werden wir nahezu unbe-grenzte Kapazitäten für Datengenerierung und -verarbeitung haben. Hierdurch werden die mate-rielle und die digitale Welt ineinandergreifen:Digital wird materiell und Materiell digital. So wiebereits einige wichtige materielle Infrastrukturenins Internet eingetreten sind: Autos werden viaUber mitgenutzt, Häuser via AirBnB. Vor diesemHintergrund bleibt die Frage, wer das Internetkontrolliert, nicht nur eine des Datenschutzes.Heute sind wir darum besorgt, wer unsere Datenkontrolliert. Vielmehr sollten wir uns aber darüberGedanken machen, wer unser physisches Umfeldkontrolliert: unsere Straßen, Autos, Häuser, Türen

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Smart City in the era of Internet of NO things

Roope Mokka, Demos Helsinki

Jürgen Weyrich

Page 43: Smart City Charta · 2019-03-29 · „Smart Cities sind nachhaltiger und integrierter Stadtentwicklung verpflichtet.“ So formuliert es die Smart City Charta gleich zu Beginn und

und Schlösser. Wenn alle Internet-Suchen mitGoogle getätigt werden, ist das noch einigerma-ßen irrelevant. Aber wenn alle Autos von Uberund alle Häuser von AirBnB betrieben werden,stellt sich die Situation ganz anders dar. Dies sindFragen, mit denen wir uns beschäftigen müssen,wenn Materiell digital wird.

Visionen eines hypervernetzten Planeten

Wie könnte ein solcher hypervernetzter Planetdann aussehen? Wir können einige Visionen oderDisruptionen beschreiben, die das Internet of NOthings mit sich bringen kann:

1. Super resource-efficient society

Eine Gesellschaft, in der kein Gebäude leer steht,sondern die ganze Zeit optimal genutzt wird.Auch fahren keine Autos mehr leer. Neue Geräteund Maschinen generieren ihre eigene Energie.Für diejenigen, die an Energy Harvesting Senso-ren arbeiten, erscheint die Diskussion über zen-tralisierte, große Kraftwerke sinnlos.

2. Post-choice society

Künstliche Intelligenz ersetzt Wahl: Wir müssenuns nie entscheiden, einen bestimmten Bus oderZug zu nehmen, sondern bekommen denschnellsten Weg von A nach B. Wir werden auchnie unsere Schlüssel, Geldbeutel oder Uhren ver-gessen.

3. Post-ownership society

Dank der Information über verfügbare geteilteWaren und Ressourcen macht es weniger Sinn,etwas zu besitzen: Vielleicht wird Privateigentumin der Tat ein Luxus. Daten könnten Geld als Währung ergänzen oder ersetzen.

4. Post-market society

Im Grunde genommen sind Märkte Informations-systeme, die Ressourcen zuteilen. Als Informati-onssystem funktioniert ein Markt jedoch sehr ein-fach. Er übermittelt nur, dass eine Person diesoder das gekauft hat; wir wissen aber nichtwarum. Künftig können Sensoren uns bessereDaten als Märkte liefern.

5. Post-energy society

Um ubiquitär genutzt zu werden, müssen Senso-ren energieeffizient und energieautark sein.Wenn eine Datenrevolution stattfinden soll, mussEnergy Harvesting – die Fähigkeit, Energie aufMakro-, Mikro- oder Nanoskala zu generierenund zu speichern – Alltag werden.

6. Post-voting society

Da wir genau wissen, was Leute tun und möch-ten, gibt es weniger Bedarf an Wahlen, Mehr-heitsfindungen oder Abstimmungen. Verhaltens-bezogene Daten können Demokratie als das gesellschaftliche Feedbacksystem ersetzen.

43Digitalisierung zielorientiert gestalten

Smart City der nächsten Generation (Smart City 2.0) · Quelle: Demos Helsinki

Next generation of smart cities (Smart City 2.0)

TECHNICAL NORMATIVE

ENABLER OF SEAMLESS LIFE FOR CITIZENS ENABLER OF ACTIVITY OF CITIZENS

DATA DRIVEN MANAGEMENT RENEWING DEMOCRACY (PEOPLE-PUBLIC-PRIVATE-PARTNERSHIPS)

ICT-SYSTEMSDIGITAL SERVICES (ESPECIALLY IN HOUSING, TRANSPORTATION,FOOD, HEALTH AND EDUCATION)

EFFICIENCY AND CONTROL EMANCIPATION AND EMERGENCE

IMPROVING THE EFFICIENCY OF CURRENTSYSTEMS AND POLICIES

CREATING AND ENABLING NEW SYSTEMSAND POLICIES

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Was bedeutet Internet of NO things –die nächste Phase der Digitalisierung –für Smart Cities?

Heute gilt Smart City bereits als das neue Para-digma für die Stadtentwicklung. Dabei wird dieheutige Smart-City-Diskussion sowohl von Ran-kings, ICT-Dienstleistungen, komplexen Organisa-tionsmodellen als auch von globalen Projektenvon Südkorea bis Abu Dhabi charakterisiert. Vielen Smart-City-Visionen, so wie wir sie heutekennen, fehlt es jedoch sowohl an einer strategi-schen und einer Anwendungsebene: Die Lösun-gen, welche die IKT-Wirtschaft anbietet, konzen-trieren sich noch häufig auf die Optimierung unddas Management der Stadtverwaltung. Dabeistehen Städte in der Realität anderen Herausfor-derungen gegenüber: Sie müssen Millionen vonsanierungsbedürftigen Gebäudebeständen reno-vieren, bezahlbares Wohnen ermöglichen, derSegregation entgegenwirken und Klimazieleumsetzen.

Angesichts der globalen Herausforderungen, vordenen unsere Städte stehen und die in ersterLinie in den Städten gelöst werden müssen,sowie der bisher technologielastigen Herange-hensweise an die Smart City, müssten Städte undihre Entscheidungsträger einen stark normativenAnsatz verfolgen. Smart Cities sollten in ersterLinie für Klimaziele, gesunde Lebensstile, Autono-mie der Bürgerinnen und Bürger oder für dieDemokratie entwickelt werden.

So könnte die nächste Generation einer SmartCity – eine Smart City 2.0 – auf diesen normativenAnsatz gebaut werden. Anstatt einer Optimierungvon ICT-Systemen werden digitale Dienstleistun-gen zielorientiert für Wohnungswesen, Verkehr,Nahrung, Gesundheit und Bildung entwickelt.Nicht nur existierende Systeme sollen effektivergestaltet, sondern neue Ansätze anhand der Digi-talisierung kreiert werden. Durch „People-Public-Private-Partnerships“ kann in der Smart City 2.0eine neue Form von Politik und Entscheidungsfin-dung entstehen.

Dabei erfordert die Smart City 2.0 von den Städ-ten eine neue Art der Politikgestaltung, welchedie strategischen Zielsetzungen der Stadt undihrer Entscheidungsträger und Bottom-up-Initiati-ven aus der Bürgerschaft zusammenbringt. DasKonzept des Pilotierens, das längst in der Digital-wirtschaft erfolgreich zur Anwendung kommt,erlaubt es, Top-down- und Bottom-up-Ansätze zukombinieren. So können Programme und Maß-nahmen im kleinen Rahmen getestet werden,bevor sie in einer ganzen Stadt oder einem Landumgesetzt werden. Beispielsweise wird aktuell inFinnland mit einer begrenzten Bevölkerungs-gruppe erprobt, ob sich die Einführung desGrundeinkommens als tragfähiges Konzept zurExistenzsicherung im digitalen Zeitalter erweist.

Digitalisierung zielorientiert gestalten 44

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45Digitalisierung zielorientiert gestalten

BIG DATA

LOKALE ÖKONOMIE

GOVERNANCE

DIGITALE INTEGRATION UND INKLUSION

DATENINTEGRATION VERKNÜPFUNG

DATENZUGRIFF DATENINFRASTRUKTUR

DATENBEDARF

DATENGENERIERUNG

OPEN DATA

DATENEIGENTUM

DATENSCHUTZ

DATENKONTEXT

DATENMANAGEMENT

DATENQUALITÄT

TRANSPARENZ

BIG POLICY

INFRASTRUKTUR

KRITERIENKATALOG

ERLEBNIS STADT / REGION

SENSIBILISIERUNG

DATENREGISTER

PRIVATE & ÖFFENTLICHE DATENSTRÖME

VERLÄSSLICHKEIT

LEGITIMATION

DURCHMISCHUNG

ATTRAKTIVITÄT

LOGISTIK; ZULIEFERUNG

STIMULATION FÜR EINZELHANDEL

ÖKONOMIE AN DIE REGION BINDEN

ORT DER WERTSCHÖPFUNG

PARALLELPROZESSE

SMART CITY DENKEN

SCHNITTSTELLEN ZWISCHEN STADT / ÖKONOMIE GESTALTUNG DES ANALOGEN RAUMES

AUSSTATTUNG STEUERBARKEIT TEILHABE

WER STEUERT

AKZEPTANZ DER NICHT-NATIVES

JUNGE GENERATION

NACHBARSCHAFTEN

TECHNISCHER ZUGANG

GEOGRAFIE

WO FINDEN ENTSCHEIDUNGEN STATT

ZUGANG ZU DATEN

BILDUNG

ONLINE & OFFLINE

AKTIVIERUNG DER BÜRGERSCHAFT

USABILITY

MEHRKANALANSATZ

VISUALISIERUNGEN

TRANSPARENZ PARTIZIPATION

VERWALTUNGSKOMPETENZEN

ZIELGRUPPEN

MUSTERPROZESSE VERNETZUNG VON KOMMUNEN

GESELLSCHAFT ZUSAMMENFÜHREN

LOKALITÄTEN

VERPFLICHTENDE EMAIL-ADRESSE

QUALITÄT

GOVERNANCE INTERN

NUTZEN FÜR BÜRGERSCHAFT

MEHRWERT DER DATEN

KOMMUNALE PLATTFORM

GESCHÄFTSMODELLE

SIMULATIONEN; MODELLIERUNGEN

BARRIEREFREIHEIT

WEICHE STANDORTFAKTOREN

ENERGIE

Tag Cloud: Fokusthemen der Dialogplattform Smart Cities · Quelle: DIALOG BASIS

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Ausgangspositionen der Dialoggruppe

Private und öffentliche Datenströme

Entwicklungen in Sensorik, Informationstransferund -verarbeitung ermöglichen es, in Stadtgebie-ten Umwelt- und Infrastrukturdaten in Echtzeit zuerfassen. So verspricht Big Data – Nutzung vonprivaten und öffentlichen Datenströmen – Effi-zienzsteigerungen für Städte und Gemeinden,aber auch für Unternehmen und Privatpersonen.Am Beispiel der Verkehrslenkung können Ener-gieverbrauch, städtische Flächennutzung, Logis-tik und private Mobilität optimiert werden. Raum-beobachtung kann in Echtzeit erfolgen und städti-sche Ressourcen effizienter erfasst und verwal-tet werden. Die Umsetzung von datenbasiertenEmpfehlungen kann jedoch politisch schwierigsein. Beispielsweise zeigen die Erfahrungen mitdem Stuttgarter Feinstaubalarm, dass eine nor-mative Diskussion zu Anreizen und Verbotennicht vermieden werden kann: Daten könnenEmpfehlungen, jedoch keine Entscheidungengenerieren.

Thesen aus der Gruppe:

• Big Data kann, mittels Simulationen undModellierungen, für Entscheidungsträgerbessere Grundlagen zur Bewertung ver-schiedener Planungsoptionen schaffen.

• Weiterhin kann die Evaluation bisheriger Ent-scheidungen verbessert und insgesamt eineevidenzbasierte Politik in Städten gefördertwerden.

• Städte und Gemeinden sollten ihre generel-len und spezifischen Datenbedarfe systema-tisch ermitteln, um zukunftsweisende Ent-scheidungen im Aufbau von Datensystementreffen zu können.

• Hier sollten Städte und Gemeinden sich denAkteuren der Zivilgesellschaft öffnen unddas Wissen von Developern, Entwicklern,Programmierern und Crowds nutzen.

• Zuletzt sollen Städte ihrer BürgerschaftTransparenz gewährleisten und offen kom-munizieren, welche Daten in den Städtenerhoben und wie diese potenziell genutztwerden können.

Datengenerierung, -nutzung und -qualität

Städte und Gemeinden können in ihren Aufgabeneine Vielzahl von verschiedenen Daten nutzen:Öffentliche Erhebungen, prozessgenerierte Daten(Sensorik) sowie verschiedene private Daten-sätze. Viele Daten liegen bereits in verschiede-nen Behörden bereit. Für die Generierung vonneuen Daten kann öffentliche Infrastruktur vonStädten selbst genutzt oder vermietet werden.Um von Big Data profitieren zu können, müssenDaten aus unterschiedlichen Einheiten zusam-mengeführt werden. Verschiedene Datenformatemüssen integriert und Daten gepflegt, aktualisiertund synchronisiert werden, um eine einheitliche,digitale Datenbasis zu schaffen. Die Qualität,Aktualität und Validität der Daten als auch dierechtlichen Bedingungen für ihre Nutzung müs-sen jedoch häufig von Fall zu Fall geprüft werden.Somit bedeutet die Datenpflege auch zusätzlicheLasten für kommunale Haushalte. Vor allem erfor-dert Datennutzung jedoch Aufbau von Kompeten-zen im Umgang mit Daten: Es ist kritisch, welcheDaten von wem wie generiert, gespeichert undinterpretiert werden.

Thesen aus der Gruppe:

• Existierende Verbände auf kommunalerEbene oder neue Kooperationen könntenMöglichkeiten der Datengenerierung und -nutzung koordiniert untersuchen und Städteund Gemeinden rechtlich beraten.

• Beispielsweise sollen die rechtlichen Rah-menbedingungen für den Kauf privater, alsauch für den Verkauf oder die Öffnung städti-scher Daten systematisch geklärt werden.

• Ein Kriterienkatalog mit definierten Qualitäts-und Managementkriterien, Hinweise für Kos-tenanalysen und Musterverträge könnteStädten und Gemeinden helfen, Daten trans-parent aufzubauen und zu nutzen.

• In der Datengenerierung kann Crowdsour-cing Alternativen mit gutem Input-Output-Verhältnis bieten.

Im Fokus: Big Data 46

IM FOKUS: BIG DATA

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Open Data

Die Öffnung von städtischen Datensätzen – OpenData – kann nicht nur den Informationsaustauschund die politische Diskussion in den Städtenunterstützen, sondern auch die Wirtschaft ankur-beln. Auf die geöffneten Datensätze aufbauendkönnen lokale Unternehmen Innovationen undDienstleistungen kreieren. In der Nutzung vonVisualisierungen als Kommunikationsmittel kön-nen Städte und Gemeinden von Tüftlern undEnthusiasten lernen. Diese neue Art von Zusam-menarbeit mit der Zivilgesellschaft erfordertjedoch neue Kompetenzen in der Verwaltung.Dabei kann Open Data auch politischen Druckauf Entscheidungsträger erhöhen.

Thesen aus der Gruppe:

• Vorteile von Open Data sollten Städten undGemeinden besser vermittelt werden.

• Datensätze sollten gezielt für lokale odernationale Start-Ups geöffnet werden, umlokale Ökonomien und Wertschöpfung in derRegion zu unterstützen.

• Nach einer erstmaligen Öffnung von Daten-sätzen sollte Open Data automatisch gene-riert werden.

• Wirtschaftliche Möglichkeiten der OpenData und des Verkaufs öffentlicher Datensollten aus Sicht der kommunalen Haushaltegewertet werden.

• Mit Citizen Science können Enthusiasten mit-genommen und möglicherweise auch dieQualität der Projekte verbessert werden.

Datenschutz, Dateneigentum, Datenzugriff

Eine nachhaltige, transparente Nutzung von BigData erfordert eine kontextbezogene, effizienteSicherstellung des Datenschutzes. Dies betrifftden Zugang zu den Daten sowie die Rechte fürIhre Nutzung, möglichen Verkauf oder Öffnungder Datensätze. Hierbei muss der Regulierungs-bedarf von öffentlichen Institutionen kontinuier-lich analysiert werden. Für Städte und Gemein-den ist es eine weitere Herausforderung, dassdie Standardisierung zwischen Städten, ver-schiedenen Verwaltungsbereichen und Informa-tionssystemen schwierig zu realisieren ist. Zuletztist die Sicherstellung des Datenschutzes außer-dem abhängig von der IT-Sicherheit.

Thesen aus der Gruppe:

• Generell sollte das Prinzip der Datenspar-samkeit, Sensibilität und Transparenz bei derDatenerfassung sowohl im öffentlichen alsauch im privaten Sektor gestärkt werden.

• Hierbei sollte Datenschutz kontextbezogenangegangen werden: Es sollte koordiniertgeklärt werden, in welchen Situationen Ano-nymisierung oder Pseudonymisierung vonDaten sinnvoll sind.

• Es sollte gesichert werden, dass wichtigeDatenrechte nicht bei dritten Dienstleisternliegen.

• Es bedarf einer grundsätzlichen Diskussion,ob eine Gemeinde Anspruch auf Daten erhe-ben kann, die durch Dritte in der Gemeindegeneriert wurden und ob die Allgemeinheitein grundsätzliches Recht auf öffentlicherfasste Daten hat.

• Beim Aufbau von Informationssystemen soll-ten Städte und Gemeinden Redundanzen undAusfallsicherheit anstreben.

47Im Fokus: Big Data

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Im Bereich Big Data stellte Katharina Schüller,STAT-UP Statistical Consulting & Data Science,Fragestellungen und Erkenntnisse aus der vomBMUB/BBSR in Auftrag gegebenen Studie„Smart Cities – Gamification, Prognosemärkte,Wikis & Co: Neues Wissen für die Stadt“ vor.

Digitalisierung produziert Daten, das „Öl des 21.Jahrhunderts”, in ungeahntem Ausmaß. DieseDaten lassen sich heutzutage auf neuartigeWeise sammeln, verknüpfen und auswerten. Ver-fahren wie Gamification, Wikis, Prognosemärkteund Big-Data-Analysen stellen neue Möglichkei-ten zur Gewinnung von Wissen dar. Dennochkann man Daten als zugleich über- und unterbe-wertet betrachten. Sie sind unterbewertet, davon Daten generierenden Systemen scheinbarendlose Mengen von Bits und Bytes produziertwerden, die jedoch nicht verknüpft und organi-siert sind und deswegen nicht in Wissen undHandlungsmacht verwandelt werden können. Siesind überbewertet, weil alle Welt von der „Machtder Daten“ spricht, ohne sich im Klaren zu sein,wo die Grenzen des neu zu gewinnenden Wis-sens liegen.

Von Daten überwältigt: Voraussetzungen für ihre Nutzbarkeit

So ist die Voraussetzung für die Nutzbarkeit die-ses Wissens, dass die schier endlos wirkendenMengen an Informationen und Daten bereinigt,verknüpft, analysiert und interpretiert werdenkönnen. Herkömmliche statistische Verfahrenstoßen hier an ihre Grenzen sodass neue Wegeder Wissensgenerierung ergründet werden müs-sen. Hier setzt auch die genannte Studie an:Internationale Beispiele innovativer und techno-logiegestützter Verfahren zur Wissens- und Ent-scheidungsfindung werden erfasst, analysiertund bewertet im Hinblick auf ihre Transfermög-lichkeiten zur Lösung aktueller städtischer odergesellschaftlicher Herausforderungen.

Insgesamt ergeben sich in diesem Rahmen dreigroße Aufgaben:

Sammeln und Ordnen von Verfahren:

Wie lassen sich neue Formen der Wissensgewin-nung, Wissensorganisation und Entscheidungs-findung sinnvoll strukturieren? Wie können kom-munale Selbstverwaltung, Stadtentwicklung undStadtforschung geeignete Verfahren mit Hilfeeiner solchen Strukturierung identifizieren?

Bewerten von Verfahren:

Welche Kriterien eignen sich, um die Nutzbarkeitund Relevanz zu beurteilen? Wie lassen sich –entsprechend der eigenen Aufgabenstellung undBedarfssituation – die richtigen Kriterien findenund operationalisieren?

Auswählen von Verfahren:

Welche Ergebnisse zeigen sich in konkretenAnwendungssituationen? Wie lassen sich dieseErgebnisse von einzelnen Beispielen auf andereSituationen übertragen?

Chancen und Grenzen: Beispiel kooperativer Immobilienpreis-rechner

In vielen Bereichen der Stadtverwaltung kanndas durch neue Methoden gewonnene Wissenals Grundlage für komplexe Entscheidungengenutzt werden. Chancen und Grenzen lassensich illustrieren an der Idee eines kooperativenImmobilienpreisrechners: Einer transparentenOberfläche für die Entwicklung von Immobilien-

Im Fokus: Big Data 48

Daten, Daten, Daten: Neues Wissen für die Stadt?

Katharina Schüller, STAT-UP

Jürgen Weyrich

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preisen. In den Städten werden diese insbeson-dere durch die Lage bestimmt. Jedoch fließt hiernicht nur die räumliche Zuordnung, sondern viel-mehr die Gestaltung des Quartiers mit ein. Dasbedeutet, dass sich die Immobilienpreise denneuen Bedingungen entsprechend anpassen.

So können bereits einzelne Restrukturierungendie Preise stark beeinflussen. Beispielsweisesteigert der Bau eines Einkaufszentrums odereiner Sportanlage die Attraktivität des Quartiersinsbesondere für junge und aktive Personen. Nutzungs- und Zielgruppen können sich ändern.Über den kooperativen Immobilienpreisrechnerkann die Auswirkung einer Änderung für alleAkteure dargestellt und ein Prognosemarkt fürdie weitere Preisbildung entwickelt werden. Weiterhin wird eine gemeinsame Problemwahr-nehmung geschaffen, wodurch die Akteure zurKooperation angeregt werden, um die Immobi-lienlage aufzuwerten oder zu stabilisieren. Trotz-dem bleibt der tatsächliche Preis, der sich in derRealität herausbildet, mit Unsicherheit behaftet.Selbst wenn alle möglichen Beteiligten nach bes-tem Wissen am Prognosemarkt teilnehmen, kön-nen sich relevante Bedingungen ändern. Dasheißt nicht, dass das Modell falsch ist, aber eszeigt, dass Daten nicht zwangsweise einen Blickin die Zukunft erlauben.

Für Städte und Gemeinden liegt die Herausforde-rung darin, Chancen und Risiken der verschiede-

nen Ansätze realistisch abzuschätzen. Für eineStadt ist es schwierig, realistisch zu beurteilen,wie neue, digitale Verfahren der Wissensorgani-sation, Wissensgewinnung und Wissenskommu-nikation zur Verbesserung bestehender Prozesseund zur Bewältigung neuer Herausforderungengenutzt werden können. Im Zuge des BBSR-Pro-jektes „Smart Cities – Gamification, Prognose-märkte, Wikis und Co.: Neues Wissen für dieStadt“ wurde deshalb ein erstes Kriteriensystemzur Bewertung der Nutzbarkeit und Relevanz sol-cher neuen Verfahren entwickelt.

Herausforderungen bei der Umsetzung

Mit Big Data eröffnen sich Wege, an räumlichund zeitlich hoch aufgelöste Informationen zugelangen. Dabei bedeutet Big Data Daten, diedurch ein hohes Maß an Volumen, Geschwindig-keit und Vielfalt gekennzeichnet sind. Sie entste-hen (nahezu) in Echtzeit und können strukturiert(z. B. in Datenbanken), unstrukturiert oder semi-strukturiert sein. Ihre Analyse verfolgt grundsätz-lich vier aufeinander aufbauende Ziele. Erstensdie Deskription von Ereignissen, um die Frage„Was ist passiert?“ zu beantworten. Zweitens dieErklärung bzw. Diagnostik – als Antwort auf dieFrage „Warum ist es passiert?“. Drittens diePrognose „Was wird (wahrscheinlich) passie-ren?“, und viertens schließlich die Steuerung„Wie kann man ein zukünftiges Ereignis beein-flussen?“.

49Im Fokus: Big Data

Bewertung von Verfahren der Wissens- und Entscheidungsfindung · Quelle: Schüller / Förster in IzR (Informationen zur Raumentwicklung), Heft 1, 2017

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Von großem Interesse ist dabei die Prognose,auch „Predictive Analytics“ genannt. Sie erfor-dert jedoch neue Kompetenzen bei den Daten-analysten. Noch werden in der öffentlichen Ver-waltung üblicherweise Vergangenheitsdaten mitHilfe der deskriptiven Statistik ausgewertet, sel-ten werden Szenarioanalysen und Trendmodellegenutzt. Prognosen auf Basis großer Datenmen-gen erfordern aber nicht nur neue Analysever-fahren, sondern häufig auch spezielle Daten-strukturen. Beispielsweise müssen Daten auf derEbene des einzelnen Bürgers oder der einzelnenInteraktion abgebildet werden oder es werdenhistorische Datensichten benötigt. Diese sind inden aktuellen IT-Systemen in der Regel nichtabgebildet.

Die datenbasierte Steuerung („Prescriptive Ana-lytics“) muss zusätzlich noch Rückkopplungsef-fekte berücksichtigen. Solche Entscheidungspro-zesse 2.0 werfen neue Fragen auf: Wie sollenRückkopplungen integriert werden bzw. könnensie schon zu Beginn mitgedacht werden? Wiestark werden Nachhaltigkeit, Weitsichtigkeit undUnabhängigkeit planerischer Entscheidungengefördert, wenn unmittelbares Feedback laufendneue Perspektiven in die Planungsprozesse ein-bringt?

Herausforderungen an die Organisation

Datenbasiertes Entscheiden führt zu tiefgreifen-den organisationalen Veränderungen. Insbeson-dere stellen sich dabei Fragen zu Kooperations-und Umstrukturierungsbedarf und zum Koordina-tionsbedarf. Welche neuen Bedarfe entstehen andie Kooperation verschiedener kommunaler Ein-richtungen untereinander und ggf. mit verwal-tungsfremden Akteuren, etwa im Zuge von Open-Governance-Bestrebungen und übergreifendenInformationsportalen? Wie müssen ggf.Geschäftsprozesse in der Verwaltung angepasstwerden? Welche Vereinbarungen müssen getrof-fen werden? Welcher Aufwand entsteht für dasProjektmanagement und die Projektkommunika-tion? Wie kann die Akzeptanz der neuen Formenwie auch der mit ihrer Hilfe getroffenen Entschei-dungen sichergestellt werden, insbesondere,wenn Ergebnisse der datenbasierten Entschei-dungsfindung der bisherigen Praxis widerspre-chen?

Ein konkretes Beispiel stellt die Nutzung vonBewegungsdaten zur Überwachung und Steue-rung von Besucherströmen bei Großveranstal-tungen dar – ein Ansatz, der Bereits in Londonwährend der Olympiade und in Zürich und wäh-rend des Zürifestes zum Einsatz kam. Während

Im Fokus: Big Data 50

Daten-integration

Qualitäts-sicherung

Standardisierungund Analyse

Umsetzung, Wiss. Fortschritt

Organisatorische Einbindung und rechtliche Absicherung

• Technische Standards und Schnittstellen

• Frequenz der Integration

• Lizenzthematik• Wartung und Support

• Gültigkeit• Relevanz• Objektivität

Repräsentativität• Vollständigkeit• Aktualität und Präzision• Aggregationsbedarf

• Sachliche Standardisierung

• Räumliche Standardisierung

• Zeitliche Standardisierung

• Automatisierung

• Validierung• Benötigte Expertise• Ressourcenschonung

Gemeinwohleffekte• Wissenschaftlicher Fortschritt • Skalierbarkeit• Entscheidungsprozesse 2.0

• Datensicherheit und Datenschutz• Haftung• Schulungsbedarf

• Kooperations- undUmstrukturierungsbedarf

• Koordinationsbedarf

••

Kriteriensystem für die Bewertung der Nutzbarkeit von Datengenerierungsverfahren · Quelle: Schüller / Försterin IzR (Informationen zur Raumentwicklung), Heft 1, 2017

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großer Fußballspiele oder Feste wie dem Okto-berfest könnte durch die Nutzung solcher Datendie Sicherheit erhöht, der ÖPNV besser gesteuertund den Besuchern aktuelle Informationen mit-tels einer App mitgeteilt werden. Dazu müssenaber Experten aus dem Veranstaltungsreferat,aus dem Ordnungsamt, von den Verkehrsbetrie-ben usw. zusammenarbeiten, damit die Anforde-rungen an eine solche App klar definiert werdenkönnen und die einzelnen Referate mit denErgebnissen arbeiten können. Bürger müssenbefragt werden, damit die App auch akzeptiertwird und sie dem Besucher einen Mehrwert bie-tet. Datenmanager müssen die Daten so aufbe-reiten, dass die Bewegungsprofile analysiert undmögliche kritische Muster erkannt werden kön-nen.

So steht die Stadt im Bereich der Daten vor dem-selben Problem wie die Wirtschaft. Auf der einenSeite ist die Herausforderung, eine Vielfalt vonDatenquellen zusammenzuführen, um aus BigData Smart Data oder vielleicht sogar Open Datazu erzeugen – dabei sind u. a. technische, daten-schutzrechtliche und lizenzrechtliche Aufgabenzu bewältigen. Auf der anderen Seite steht derWunsch nach besserer Planung und Steuerung,nach einer effizienteren Durchführung von Ver-waltungsprozessen und vielleicht sogar nachneuen Datenprodukten, die die Stadt weiterenAkteuren zur Verfügung stellen kann.

Ein praxiserprobter Ansatz für die Bewältigungdieser Herausforderungen ist das Smart DataLab. Mit enger zeitlicher, sachlicher und räumli-cher Fokussierung arbeiten dort Experten ausden verschiedenen Fachbereichen wie auchDatenmanager und Datenanalysten zusammen,um ganz konkrete Fragestellungen aus den Fach-bereichen zu lösen. Beispielsweise könnte sichein Smart Data Lab die Aufgabe vornehmen, zuuntersuchen, wie Großveranstaltungen durchBewegungsprofile besser gesteuert werden können.

51Im Fokus: Big Data

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Im Fokus: Big Data 52

Imke Schmidt / 123comics

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53Im Fokus: Big Data

Stegreif-Szenario 2040 Worst Case

Private und öffentliche Datenströme

Daten sind auf machtvollen Plattformen in den USA und Asien gebündelt. Den dortigen Wertvorstellun-gen entsprechend werden die Daten durch Algorithmen nutzbar gemacht. Deutschland ist längst abge-hängt. Wir haben es versäumt eigene Expertise aufzubauen – sowohl in der Privatwirtschaft als auch inPolitik und Verwaltung.

Über einen Kontrollraum kann das Management weniger Unternehmen potenzielle Störungen des städ-tischen Systems, wie etwa Unfälle, Verbrechen und Demonstrationen, frühzeitig erkennen und verhin-dern. Dabei werden Daten zweckentfremdet: Z. B., um Verbrechen zu „vertuschen“ oder Geschäftsfel-der wie Energie, Gesundheit, Infrastruktur oder Wasserversorgung im Geschäftsinteresse der wenigenUnternehmen zu manipulieren. Wohlfahrt, Solidargemeinschaft und Daseinsvorsorge sind dahin.

Datengenerierung, Datennutzung & Datenqualität

Die Plattformen aus dem Ausland definieren die Art und Weise, wie und welche Daten erhoben werdenund zu welchen Zwecken sie verwendet werden. Ausschließlich ausgewählte Unternehmen habenZugang und Nutzungsrechte an den Daten. Mittels Big Data und Prämiengestaltung sind die Unterneh-men in der Lage, individuelles Handeln wie die Nutzung von Dienstleistungen, Gesundheitsvorsorgeoder Fahrverhalten zu steuern. Im Sinne einer Post-Choice-Society treffen die Bürger selbst immerweniger Entscheidungen.

So werden Entscheidungskompetenzen an Technologien abgegeben. Verpackt in ein Homogenisie-rungs- und Effizienzprogramm, werden Menschen nach Profilgruppen sortiert und in Stadtteile einge-wiesen. Die Segregation verstärkt sich. Wir unterwerfen uns Algorithmen, von denen keiner weiß, wosie herkommen.

Datenschutz, Dateneigentum & Datenzugriff

Wir merken nicht mehr, wenn Daten über uns und unser Verhalten erhoben werden. Als Bürger müssen wir der Datenerhebung auch nicht mehr zustimmen: Datensparsamkeit ist ein Postulat aus der Vergangenheit. Das neue Credo heißt: „Let the data flow! Free data – but not for all…“

Die politischen Prozesse werden auch über Statistiken gesteuert. Dabei werden öffentliche Meinungs-bildung, menschliche Experten und die politischen Prozesse, so wie wir sie kennen, überflüssig. Im Sinne einer datenbasierten Entscheidungsfindung werden Zielsetzungen durch Algorithmen vorgegeben.

IT-Sicherheit oder staatliche Kontrollmechanismen versagen aufgrund von fehlender staatlicher Kompetenz und Ressourcen sowie Outsourcing. Die städtischen Prozesse werden durch Wirtschafts-Hacking und Cyber-Terroristen systematisch angegriffen.

Open Data

Open Data würde den reibungslosen Ablauf des Wirtschaftssystems stören, da bürgerschaftlichesEngagement, Transparenz, Vielfalt und Meinungs- sowie Pressefreiheit Sand ins Getriebe streuen würden. Daher wird Open Data nicht mehr verfolgt. Für lokale Wertschöpfung bleibt nur das, was sichfür die Großen wirtschaftlich nicht lohnt. Visualisierungen von Datensätzen werden als Steuerungsin-strument manipulativ eingesetzt und arbeiten mit starken Vereinfachungen.

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Im Fokus: Big Data 54

Imke Schmidt / 123comics

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55Im Fokus: Big Data

Stegreif-Szenario 2040 Best Case

Private und öffentliche Datenströme

Die Stadt, ihre Wirtschaftsunternehmen und ihre Zivilgesellschaft haben vollumfänglichen Zugang zueinem konsolidierten und von allen akzeptierten gemeinsamen Datenbestand über eine Urbane Plattform.Die Plattform findet ihre Anwendung in diversen Prozessen und stellt den digitalen Puls der Stadt dar. InZusammenarbeit mit Universitäten und regionalen Kompetenzzentren sind Kommunen in der Lage, ihreeigenen selbstverwalteten Datenstrukturen aufzubauen und zu managen.

Insgesamt verbessert die Nutzung von Big Data die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger. Es ist inder Stadt definiert worden, welche Entscheidungsprozesse automatisiert sind: Die automatisiertenProzesse lassen die Verwaltung agiler und objektiver werden und demokratisieren Stadtentwicklung unddie Nutzung von gemeinsamen Ressourcen, da mit Hilfe von Daten Gemeinwünsche erkannt werden. Beider Erbringung von öffentlichen Dienstleistungen geht die Stadt aktiv auf die Bedürfnisse ihrer Bürgerinnenund Bürger in ihrer jeweiligen Lebenssituation ein.

Datengenerierung, Datennutzung & Datenqualität

Die Bürgerinnen und Bürger gestalten aktiv Stadtprozesse mit: Dies ist Grundlage sowohl für die Akzeptanzder Bevölkerung als auch für die Schaffung von Kompetenzen im Sinne von mündigen Bürgerinnen undBürgern. Zugleich hat die öffentliche Hand Fachkompetenzen aufgebaut und definiert die Spielregeln zurBereitstellung von Daten auf Augenhöhe mit Großkonzernen. So setzt die öffentliche Hand Standards fürdie Datengovernance und gewährleistet über einen kommunalen Datencontainer Zugriff auf Daten ausder Kommune oder von Datenspendern, unter bestimmten Spielregeln. Für das Datenmanagement gibtes einheitliche Datenmodelle und -lizenzen.

Bürgerinnen und Bürger unterstützen durch Crowdsourcing die Instandhaltung städtischer Infrastruktur.Dabei entsteht eine neue Fehlerkultur in den Städten: Stadtverwaltungen lernen, immer besser mit Anre-gungen aus der Bürgerschaft umzugehen. Durch Energy Harvesting sind Energie und Ressourcen keinelimitierenden Faktoren in der Datengenerierung mehr.

Datenschutz, Dateneigentum & Datenzugriff

Anstatt Datensparsamkeit wird Datenschutz durch verantwortungsvolles Handeln mit Daten definiert.Insbesondere herrschen Transparenz und Aufklärung über datenbasierte Entscheidungen und die genutztenAlgorithmen. Städte und Gemeinden nutzen modernste Technologien zur Datensicherheit.

Jedermann hat digitalen Zugang, Kompetenzen und Stellvertreter, die ihn bei Bedarf unterstützen können.Bürgerinnen und Bürger können zwischen Identitäten wählen.

Open Data

Daten werden grundsätzlich als Jedermannsrecht verstanden. Daten offenzulegen ist an vielen Stellender Stadtverwaltung Pflicht, sie verständlich aufzubereiten Kür. Dabei gibt es ein System der Risikoabwä-gung für die Veröffentlichung von Daten. Auch für Privatunternehmen gilt eine Datenveröffentlichungs-pflicht: Insbesondere hat die öffentliche Hand Zugriff auf die Daten, welche das Gemeinwohl betreffen.

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Schnittstellen zwischen Stadt und Ökonomie: Smart City denken

Die Digitalisierung bietet Möglichkeiten für dieStärkung lokaler Ökonomien. Mit neuen Informa-tions- und Produktionstechnologien können neueUnternehmen und Geschäftsformen entstehenoder die existierende Wirtschaft wettbewerbsfä-higer und effizienter werden. Hierfür entwickeltdie Wirtschaft bereits eine Bandbreite vonLösungen. Allerdings können die Zielvorstellun-gen zwischen Städten und Unternehmen unter-schiedlich sein: Während der Fokus der Techno-logieentwickler häufig auf der Ökonomie liegt,soll „smart“ auch nachhaltig, klimafreundlich undsozial ausgeglichen sein.

Thesen aus der Gruppe:

• Daseinsvorsorge bleibt auch in Zeit der Digi-talisierung die zentrale Aufgabe für Städteund Gemeinden.

• In einer globalen Ökonomie sind es häufiglokale Unternehmen, die den Bedürfnissender Bürgerinnen und Bürger entgegenkom-men und Impulse vor Ort umsetzen können.

• Auch kommunale Wirtschaftsunternehmenkönnen aktiv lokale Bedarfe aufgreifen, diedurch Digitalisierung entstehen.

• Zusammenarbeit zwischen Städten, Unter-nehmen, Forschung und der Bürgerschaftsoll gestärkt werden, um lokale Unterneh-men und die Entwicklung von Smart Citiesentlang lokaler Bedürfnisse zu unterstützen.

• Lösungen sollen in Reallaboren pilotiert und,wenn möglich, als Best Practices übertragenwerden.

Infrastruktur und weiche Standortfakto-ren für lokale Ökonomien: Vernetzungvon lokalen Akteuren

Smart Cities sollen Infrastrukturen für die Ent-wicklung lokaler Wirtschaft bieten. Somit ist dieUnterstützung von lokal ansässigen Unternehmeneine zentrale Aufgabe für Städte und Gemeinden.In einem sich schnell ändernden Umfeld ist esjedoch schwer vorauszusehen, welche Standort-voraussetzungen zu leisten sind. Außerdem sindlokale und globale Wirtschaft nicht immer trenn-bar. Die Ortsunabhängigkeit von Daten und ihrerAnalyse ist eine Herausforderung für die Stimula-tion lokaler Wirtschaft und Wertschöpfung vorOrt.

Thesen aus der Gruppe:

• Die Bedarfe der lokalen Wirtschaft solltenkontinuierlich mit lokalen Stakeholdern ana-lysiert und benötigte Infrastruktur in Zusam-menarbeit mit Wirtschaftsverbänden ausge-baut werden.

• Dies betrifft auch den Bildungssektor: Essollte systematisch analysiert werden, wel-che Fähigkeiten in Smart Cities gebrauchtwerden, Ausbildungsmöglichkeiten aufge-baut und gefördert werden.

• Branchenübergreifende Netzwerke sollteninitiiert werden, um die Potenziale von Städ-ten, Regionen und die Wettbewerbsfähigkeitihrer Unternehmen zu stärken.

Neue Produktionstechnologien: Industrie 4.0

Neue Informations- und Produktionstechnologienkönnen Industrie und ihre Liefer- und Produkti-onsketten stark verändern. Im Sinne von Indus-trie 4.0 können Produktionsprozesse und Logistik-ketten intelligent verzahnt und automatisiert wer-den. Dies kann die Wettbewerbsfähigkeit deut-scher Unternehmen stärken. Auf der lokalenEbene kann Produktion vor Ort neue Geschäfts-möglichkeiten für Kleinunternehmen öffnen,wobei für viele Unternehmen die Finanzierbarkeitder Digitalisierung zur Herausforderung wird.Dabei beeinflussen Änderungen in der industriel-len Welt zugleich die Arbeitswelt und die Lebens-qualität von Bürgerinnen und Bürgern. Da der

Im Fokus: Lokale Wirtschaft 56

Ausgangspositionen der Dialoggruppe

IM FOKUS: LOKALE WIRTSCHAFT

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Regulationsbedarf neuer Technologien häufigerst dann eingeschätzt werden kann, wenn dieseTechnologien bereits in Einsatz kommen, wird esfür die öffentliche Hand schwierig, Rahmen fürden rasanten Wandel zu setzen.

Thesen aus der Gruppe:

• Während im Zuge der digitalen Transforma-tion in Schlüsselbereichen der Wettbewerbum Arbeitskräfte steigt, stellt die Arbeits-platzsicherung vielerorts eine Herausforde-rung dar.

• Wohlstandssicherung bleibt eine zentraleAufgabe für Industrie 4.0.

• Städte und Gemeinden sollten anbieterneu-trale Infrastruktur nach dem Vorbild der E-Tankstellen bereitstellen.

• Für die Integration lokaler Wirtschaft undVerdichtung der Stadtgebiete sollten Städteund Gemeinden Mischgebiete und „urbaneGebiete“ stärker ausweisen.

Sharing Economy

Durch verschiedene Modelle von Sharing Eco-nomy können in Stadtgebieten Flächen, Gebäudeund Ressourcen effektiver genutzt werden. Wei-terhin können mittels Online-Plattformen individu-elle und Unternehmenskompetenzen leichtergebündelt werden. Um gemeinsame Werte undInteressen können neue Gemeinschaften undWirtschaftsstrukturen entstehen, durch die eineStadt sich profilieren kann. Neben der Ressour-ceneffizienz bietet Sharing Economy somit auchwirtschaftliche Vorteile. Mit Blick auf die globa-len Player, die den Wandel maßgeblich gestalten,sollte jedoch angestrebt werden, dass Wert-schöpfung in den Regionen bleibt.

Thesen aus der Gruppe:

• Städte und Gemeinden sollten lokale Formenund Plattformen der Sharing Economy unter-stützen.

• Für neue Unternehmen sollten Räume inForm von Co-Working-Spaces angebotenwerden.

• Es bedarf eines klaren Rahmens für Sozial-unternehmen – sodass Städte und Gemein-den diese gezielt fördern können.

Logistik/Zulieferung

Produktion vor Ort kann globale und lokale Logis-tik deutlich verändern. Zurzeit bleibt es jedochunklar, ob mit der Digitalisierung und den neuenProduktionstechnologien mehr oder wenigerWarenströme entstehen: Werden in der Zukunftvorwiegend Waren oder Produktionsmaterial bei-spielsweise für 3D-Drucker geliefert? DurchÄnderungen in der Logistik ändert sich auch derFlächen- und Raumbedarf der Wirtschaft und desHandels in den Städten.

Thesen aus der Gruppe:

• Grundsätzlich sollen kurze Lieferwege ange-strebt und Logistik ins Stadtbild integriertwerden.

• Es sollte koordiniert analysiert werden, obund wie Städte und Gemeinden Waren-ströme steuern und regulieren müssten.

• Sogenannte Mikrokonsolidierungszentrenkönnen eine potenzielle Lösung für die Koor-dination von Anlieferungen in Städten bieten.

57Im Fokus: Lokale Wirtschaft

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Gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Wandelvollzieht sich zuerst und am intensivsten in denStädten. In den Städten wird die Wertschöpfungerzielt, die ein Land im internationalen Wettbe-werb konkurrenzfähig macht. Darüber hinaussind in den Städten in erheblichem UmfangImmobilien- und Sachwerte akkumuliert. Die öko-nomische Bedeutung vitaler und prosperierenderStädte ist unumstritten. Zugleich führen der wirt-schaftliche und demografische Strukturwandelzu erheblichen Veränderungen bei Bevölkerungund Arbeitsplätzen, bei Kauf- und Realsteuer-kraft. Die Digitalisierung von Wirtschaft undGesellschaft stellt einen extrem starken Treiberdes Strukturwandels dar, der durch Automatisie-rung und Zentralisierung zum Wegfall einer Viel-zahl von Arbeitsplätzen bis hin zum Verschwin-den ganzer Berufsfelder führen wird. Zugleichwerden neue Geschäftsmodelle und Dienstleis-tungen entstehen. Zudem werden sich allerVoraussicht nach die Standortanforderungen fürProduktion und Wertschöpfung in den Städtenwandeln (Datenökonomie, Industrie 4.0 u. a. m.). 1

Stärkung der lokalen Wirtschaft alsAufgabe der Stadtentwicklung

Auch in Phasen gesamtwirtschaftlicher Prosperi-tät gehen Wirtschaftswachstum und Wohlstandhäufig an einigen Teilgebieten vorbei. Hier kon-zentrieren sich negative Symptome wie baulicheLeerstände, fehlende Nachfrage bis hin zu Van-dalismus und Kriminalität. Es entstehen oder ver-festigen sich sozialräumlich konzentrierte wirt-schaftliche Problemlagen, die auch negativeAuswirkungen auf die Gesamtstadt haben. Erfah-rungsgemäß sind diese Herausforderungenjedoch nicht mit herkömmlichen Instrumentender Wirtschafts- und Städtebaupolitik allein zulösen. Adressiert wird das Handlungsfeld „Stär-kung der lokalen Wirtschaft“ in Deutschland u. a.von den Programmen der „Sozialen Stadt“ oderdem EU-Programm BIWAQ. Auf der Maßnahme-nebene werden regelmäßig integrierte Projektegefördert, die u. a. Bildung sowie unternehmeri-sches Engagement mit städtebaulichen Maßnah-men zusammenführen. Denn nur eine sinkendeAbhängigkeit der Quartiers-Anwohner von Sozi-altransfers wirkt nachhaltig stabilisierend auf dieNachbarschaft und stärkt die lokale Ökonomie.Die Maßnahmen zeichnen sich dadurch aus,dass die Stadt als Akteur aktiv versucht, dieBedingungen für eine prosperierende Stadtöko-nomie zu verbessern (s. auch Leipzig Charta).

Stärkung der lokalen Wirtschaft imZuge der digitalen Transformation

Mit der Digitalisierung erhält die Aufgabe „Stär-kung der lokalen Wirtschaft“ eine neue Kompo-nente, die bislang kaum untersucht worden ist.Schlagworte wie Open-Data, Datenökonomie,Sharing-Economy oder Industrie 4.0. umschrei-ben den erwarteten Wandel sehr allgemein. Eswird behauptet, dass Digitalisierung quasi zueiner Entmaterialisierung von wichtigen Teilender Wertschöpfung führt, die i. d. R. mit geänder-ten Raumansprüchen (kleinere Produktionsstät-ten, weniger Emissionen, andere städtebaulicheEinbindung) und Standortanforderungen (R. Flori-das 3 T: Technologie, Talent und Toleranz u. a.m.)einhergeht. Dies führt zu der Frage, ob und inwelcher Form die Stadt diejenigen Anforderun-gen erfüllt, die Unternehmen der „digitalen Wert-schöpfung“ für eine Ansiedlung bzw. einen Ver-bleib am Ort erwarten.

Im Fokus: Lokale Wirtschaft 58

Stärkung lokaler Wirtschaft in der digitalen Transformation

Dr. Peter Jakubowski, Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR)

1 Vgl. auch BBSR (Hrsg.): Die neue Stadtökonomie – Strukturwandel in Zeiten der Digitalisierung, BBSR-Sonderpublikation, Bonn, 2017.

Jürgen Weyrich

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Aus dieser Sicht stehen zunächst zwei Fragen-komplexe im Mittelpunkt des Interesses:

• Welche Bereiche der lokalen Wirtschaftkönnen im Zuge der Digitalisierung (neueGeschäftsmodelle u. a. m.) künftig so starkunter Druck geraten, dass deutliche Negativ-effekte auf die Entwicklung der Gesamtstadtzu befürchten sind? Brauchen wir einenStresstest „digitaler Strukturwandel“? Wiekönnte dieser aussehen? Wie können Städteauf diesen Stress reagieren?

• Inwieweit können durch den digitalen Struk-turwandel und eine breite Datafizierung derStadt neue und tragfähige Säulen der Stadt-ökonomie entstehen? Und in welchem Maßekann die Stadt selbst solche Entwicklungenaktiv unterstützen? Wie kann sie mit vermut-lich immer schnelleren wirtschaftlichenInnovationszyklen und Prozessen des Struk-turwandels umgehen?

Beispiele zur Einordnung des Themenverständnisses

Chicago startete 2011 eine Initiative zum Aufbaueiner Open-Data-Ökonomie. Neben dem massi-ven Ausbau des schnellen Internet in allen Berei-chen des städtischen Lebens verfolgt Chicagodie Strategie, die eigenen kommunalen Dienst-leistungen u. a. dadurch zu verbessern, dass ausdem gesamten kommunalen Datenaufkommen soviel wie möglich als „Rohmaterial“ für Entwicklerund Entwicklungen zur Verfügung steht, um somitdie Daten-Ökonomie zum neuen Pfeiler der Stadt-wirtschaft zu machen. Hierzu werden u. a. umfas-send datensammelnde Sensoren im Stadtgebietverteilt, die in kurzen wiederkehrenden Interval-len große Datenmengen generieren und in Echt-zeit für Forschung und Entwicklung zur Verfügungstellen. Inputs mit Bezug zur Stadtentwicklungkönnten Sensordaten zum Stadtklima sein, aberauch Daten zu Leerstand oder generell zu Stadt-umbaupotenzialen und -anforderungen. ZurUnterstützung hat die Stadt einen Chief Techno-logy Officer in der Stadtverwaltung „installiert“(https://data.cityofchicago.org/). In Ansätzenkann man in London, aber auch in Hamburg oderBerlin (http://daten.berlin.de/, https://www.govdata.de/) ähnliche Ideen erkennen. Darüber

hinaus können weitere technikgetriebene Trendswie z. B. GIS-Anwendungen oder 3D-Druckberücksichtigt werden.

Entwicklung kommunaler Smart-City-Cluster: Bislang bietet die Daten- und IT-Wirtschaft nochzu wenige passfähige Lösungen auf dem Weg zuSmart Cities an, die die Städte – zumindest inDeutschland – überzeugen konnten. Da digitaleProdukte und Services für Smart Cities viele undkomplexe Anforderungen einer Vielzahl vonAkteuren erfüllen müssen, könnten sich Wirt-schaftspotenziale durch lokal organisierte F&E-Cluster heben lassen. Auf Initiative, zumindestaber mit aktiver Unterstützung der Kommune,könnten kleine und mittlere Unternehmen, lokalangesiedelte Forschungseinrichtungen ggf. auchlokale/regionale Energieversorger und Verkehrs-unternehmen gemeinsam mit der Stadtverwal-tung Produkte und Dienstleistungen entwickeln,die vor Ort eingesetzt und genutzt werden undüber diesen „Praxistest“ auch für eine weitereVermarktung interessant werden können (Bei-spiel: http://www.oldenburg.de/de/startseite/wirtschaft/netzwerke/smart-regions.html).

Unterstützung neuer Selbständigkeiten durchbetriebswirtschaftliche Weiterbildung in denBereichen Onlinevertrieb oder Nutzung neuerProduktionstechniken in FabLabs in den Berei-chen Kreativwirtschaft bzw. im Umfeld der„Maker-Bewegung“. Ausloten der Chancen wei-tergehender Sharing-Ansätze zur Stärkung derlokalen Wirtschaft.

Diese ersten Praxisbeispiele werfen u. a. folgende Fragen auf:

• Können sie wirtschaftlich nachhaltigeImpulse auslösen?

• Treten die positiven Effekte primär in der jeweiligen Stadt auf oder ist der Standortbezug Illusion?

• Wie häufig sind solche o. ä. Konzepte inanderen Städten reproduzierbar?

59Im Fokus: Lokale Wirtschaft

2 Die Umwandlung analoger Informationen in ein maschinenlesbares Format bezeichnet man als Digitalisieren (z. B. das Einscannen von Buchseiten). Datafizierung geht weiter, macht aus digitalen Abbildern analoger Datenmaschinenlesbare und durch Algorithmen analysierbare Datensätze.

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Im Fokus: Lokale Wirtschaft 60

Marianna Poppitz

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61Im Fokus: Lokale Wirtschaft

Stegreif-Szenario 2040 Worst Case

Neue Produktionstechnologien

Grundsätzlich findet Produktion da statt, wo es am günstigsten ist. Produkte, Dienstleistungen und Daten-zentren ballen sich an den kostengünstigsten Standorten und werden immer häufiger in andere Länderausgelagert. Bestimmende Faktoren sind nur noch die Verfügbarkeit von schnellem Internet und dieZugangsmöglichkeiten für Transportservices und Drohnen. Roboter nehmen Arbeitsplätze weg.

Nachhaltigkeit

Menschen kaufen immer weniger lokal ein. Amazon, Google und Co. lesen digital Wünsche aus und vor.Sie bestimmen, was konsumiert und produziert werden soll. Die wenigen Einkäufe werden online getätigt,viele Produkte und Güter werden selbst mit 3D-Druckern gefertigt. Der Antrieb, zu konsumieren fällt wegund Ladenräume in Stadtzentren stehen fortan leer. Vandalismus, Kriminalität und weitere sozialräumlicheProbleme nehmen zu. Die Gesellschaft spaltet sich weiter: Viele Gebiete verkommen zu Slums, währendandere wenige zu Gated Communities mit hohen Standards ausgebaut werden. Da Kommunikation onlinestattfindet, gibt es keine sozialen Treffpunkte „außer Haus“ mehr.

Städte verkommen zu analogen Wirtschafts-Simulationsplattformen, die aus den Netzwelten abgeleiteteMuster und Trends abbilden. Das gewohnte Bild der europäischen Stadt wird durch diese Spielart des„digitalen Frackings“ völlig überformt. Gewachsene städtische Standorte, Infrastrukturen und Entwick-lungsmuster werden in immer kürzeren Zyklen obsolet und sich selbst überlassen. Die Eigendynamiklässt sich nicht mehr von kommunaler Seite gestalten: Sämtliche Sozial- und Umweltstandards werdenaufgegeben, da Großkonzerne das Handeln bestimmen und die Politik und die Zivilgesellschaft an Einflussverlieren. Sogar die Daseinsvorsorge wird kommerzialisiert. Da die Alltagsmobilität eingeschränkt wird,sind Menschen, die nicht an der digitalen Entwicklung teilnehmen, isoliert und verkommen. Das Zusam-menleben existiert nicht mehr.

Datenökonomie

Wenige, oft global agierende Plattformen dominieren Handel, Dienstleitungen, Produktion und Informa-tionen. Einzelhandel, Wissen, Produktion und Wertschöpfung konzentrieren sich in den Händen dieserKonzerne, sodass lokale Unternehmen um ihr Überleben kämpfen müssen. Da es nur noch wenige globalagierende Firmen gibt, fallen Steuereinnahmen – die gesamte staatliche Finanzierungsgrundlage – weg.Der Staat kann die Daseinsvorsorge nicht mehr gewährleisten. Es entstehen informelle Wirtschaftsformen,die nicht mehr regulierbar sind. Soziale Marktwirtschaft existiert nicht mehr.

Arbeitsmarkt

Durch Digitalisierung und Automatisierung fallen viele Arbeitsplätze und Berufsfelder weg, sodass dieArbeitslosigkeit zunimmt. Es gibt nur noch zwei Berufsgruppen: Hoch spezialisierte Arbeitskräfte undungelernte Arbeitskräfte. Beim Letzteren führt die Monopolisierung der Wirtschaft, in Abwesenheit effek-tiver staatlicher Regulierung, zu Lohndumping. Ein neues Proletariat entsteht. Dabei wird die Trennungvon Arbeit und Privatem aufgelöst und physische Büro- und Produktionsstandorte aufgegeben: Mitarbei-tende sollen 24/7 ständig erreichbar sein, sich ständig umschulen und zusätzliche Qualifikationen einholen.Besondere Fähigkeiten, digitale Kompetenzen oder finanzielles Vermögen sind Grundvoraussetzungenfür Wohlhaben.

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Im Fokus: Lokale Wirtschaft 62

Marianna Poppitz

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63Im Fokus: Lokale Wirtschaft

Stegreif-Szenario 2040 Best Case

Neue Produktionstechnologien

Durch die Digitalisierung laufen Produktionsprozesse vernetzt ab und schaffen innovative Geschäftsmodelle.Kommunale Unternehmen entwickeln neue Dienstleistungen auf Grundlage selbstgenerierter Daten fürdie Gesellschaft. Wirtschaftliche Bestrebungen führen zu Gemeinwohl und gesellschaftlichem Mehrwert.Generell wird die Umwelt entlastet, insbesondere durch Effizienzgewinne bei der Energienutzung undbeim Materialverbrauch: Die Produktentwicklung erfolgt in der Kreislaufwirtschaft, die verschiedeneRessourcen optimal nutzt. Dabei bleibt der Ressourcenverbrauch für die Steuerungs- und Regelungstechnikdank neuer Energie- und Speichertechnologien gering.

Nachhaltigkeit

Die komplexen Auswirkungen der Digitalisierung auf die Umwelt sind durch ausreichende Forschungbekannt und werden entsprechend durch geeignete lokale Rahmensetzung geregelt. Durch ein gemein-sames Verständnis der Nachhaltigkeit werden die Rahmensetzungen vielerorts ergänzt oder sogar unnötiggemacht. Smartes Management unterstützt nachhaltige Zielsetzung in der Stadtentwicklung. Dabeiwerden die Potenziale der Digitalisierung für eine nachhaltige Stadtentwicklung ausgeschöpft und genutzt.

Der Verbraucher ist sich der Notwendigkeit des Umweltschutzes bewusst und konsumiert entsprechend.Es gibt ein direktes Feedback-System, das Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft aufzeigt. IntelligenteVernetzung sorgt für erhöhte Lebensqualität und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.

Mischnutzungen sind im Stadtbild möglich und planerisch im Sinne der urbanen Produktion vorgesehen.Dabei ermöglicht Digitalisierung es, Umweltprobleme wie Schadstoffe, Lichtverschmutzung oder Lärm,aber auch Verkehrsunfälle oder Wohnungsnot zu minimieren.

Datenökonomie

Es besteht ein Finanzierungsmodell aller öffentlichen Haushalte, das unabhängig vom Ort der Wertschöp-fung funktioniert. Die Finanzierung wird in einem ersten Schritt über Steuern geregelt, die nicht mehr aufArbeit basieren, sondern auf der Produktivität bzw. den Transaktionen der Unternehmen. Das Gold derZukunft sind die Daten selbst, dann können Steuern sogar eingestellt werden. Das öffentliche Wohl wirddurch den Verkauf von Daten gesichert, wobei Sozialunternehmen Daten zur Verfügung gestellt werden.

Arbeitsmarkt

Auf dem Arbeitsmarkt gibt es keine geregelten und dauerhaften Arbeitsverhältnisse mehr, denn Produk-tivitätssprünge der Digitalisierung sichern das Einkommen mit einem geregelten Grundeinkommen ab.Jeder kann deshalb seine Potenziale an jeder Stelle einbringen. Leistungen für die Gesellschaft werdendabei wertgeschätzt und Lohnarbeit wird völlig neu gedacht.

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Digitale Information und Kommunikation

Digitalisierung ändert die Generierung und Kom-munikation von Informationen in Städten undGemeinden. Die Analyse und Verknüpfung großerDatensätze ermöglichen neue Erkenntnisse undverbesserte Kommunikation und Informationsbe-reitstellung mittels Apps und Websites. Da Kos-ten für die Informationsweitergabe generell sin-ken, können Städte und Gemeinden die Verfüg-barkeit von Informationen durch verschiedeneMedien steigern. Dabei kann mithilfe von Visuali-sierungen die Komplexität von Informationengesenkt werden und diese besser von Fachspra-chen in allgemeinverständliche Darstellungenübersetzt werden. Es besteht jedoch die Gefahr,dass die Simplifizierung von Zusammenhängenfalsche Erwartungen weckt und zur Polarisierungder Meinungen führt. Eine steigende Informati-onsflut kann auch zur Ablehnung führen.

Thesen aus der Gruppe:

• Da Informationen umfassender, schnellerund durch neue Kanäle weitergegeben wer-den können, kann die Stadtgesellschaftdurch Digitalisierung insgesamt transparen-ter werden.

• Verhaltensmuster der Nutzer sollten identifi-ziert und die Information und Kommunikationauf dieser Basis optimiert werden. Redun-danzen sollten reduziert werden.

• Informationstools wie Visualisierungen soll-ten zunächst in kleineren Umfeldern getestetwerden und nach ihrer Veröffentlichunginteraktiv begleitet werden.

• Städte und Gemeinden sollten Transparenzbeim Einsatz von Analysetools sicherstellenund eine schnelle und einfache Identifizie-rung von Verantwortlichen gewährleisten.

Digitale Konsultation und Kooperation

Neben Information und Kommunikation beeinflus-sen digitale Bürgerbeteiligung und webbasiertesBürgerengagement „in Echtzeit“ Stadtpolitiksowie das Verhältnis zwischen Stadt und Ein-wohnerschaft. Im digitalen Raum können Mei-nungsbilder und Anregungen aus der Bevölke-rung schneller eingeholt werden. Dabei könnenBürgerinnen und Bürger ohne räumliche Anwe-senheit zu beliebiger Zeit zur Stadtpolitik beitra-gen: Sie können Verfahren beschleunigen, aberauch Vorhaben verzögern und ihre Steuerungund Umsetzung verändern.

Thesen aus der Gruppe:

• Digitalisierung kann Beteiligung und Partizi-pationsprozesse im Allgemeinen durchBeseitigung von zeitlichen und räumlichenEinschränkungen sowohl für die Kommunal-verwaltungen als auch für die Einwohnerleichter machen. Digitale Beteiligungsformenkönnen analoge Formate aber nicht ersetzen.

• Städte und Gemeinden sollen auch im digita-len Raum Transparenz bei der Beteiligunggewährleisten. Auf die demokratische Legiti-mierung und Repräsentativität ist im Rahmenkonsultativer Verfahren zu achten.

• Auch in digitalen Beteiligungsverfahrensollte die Qualität der Beteiligung im Vorder-grund stehen: Es genügt nicht, einfach nurmehr Menschen beteiligen zu wollen.

Im Fokus: Governance 64

Ausgangspositionen der Dialoggruppe

IM FOKUS: GOVERNANCE

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Aktivierung der Bürgerschaft

Durch die Aktivierung der Bürgerschaft kannDigitalisierung Demokratie stärken. Mit digitalenBeteiligungsverfahren kann das Wissen vor Orteingebunden und demokratischer Austausch inder Stadtgesellschaft gefördert werden. Dabeibesteht jedoch die Gefahr, dass die neuen Betei-ligungsmöglichkeiten vorwiegend von ohnehinartikulationsstarken und digital affinen Gruppengenutzt werden. Zudem kann ein sinnvoller Aus-tausch ohne einen ähnlichen Informationsstand,Hintergrund und gemeinsame Sprache zwischenden Beteiligten schwierig sein – eine aktiveBegleitung der Beteiligung und Moderation wirdauch im digitalen Raum erforderlich sein.

Thesen aus der Gruppe:

• Generell sollte die Bürgerschaft als Res-source für die Verbesserung der Qualität vonPolitik und Planung begriffen werden. Digita-lisierung stellt hier eine Möglichkeit, aberauch ein Risiko für die Verbesserung dergesellschaftlichen Teilhabe dar.

• Dabei sollte ein inklusives System angestrebtwerden. Unter anderem sollten aufsuchendeVerfahren für den digitalen Raum entwickeltwerden, um schwer zu erreichende Gruppenzu beteiligen.

• Die Aktivierung der Bürgerschaft sollte mög-lichst lokal erfolgen: beispielsweise durchpartizipative Begleitung von Stadt- und Quar-tiersentwicklungsprozessen.

• Bei der Entwicklung von digitalen Partizipati-onsmöglichkeiten sollten nutzergerechteAusgestaltung und zielgruppenspezifischeAnsprache angestrebt werden.

• Bei Kommunikation und Beteiligung solltenOnline- und Offline-Angebote immer kombi-niert werden.

Verwaltungskompetenzen: Governance intern

Digitale Beteiligung und die Zusammenarbeit mitder Bürgerschaft beeinflusst die Rolle der Stadt-verwaltung. In Städten und Gemeinden sollenentsprechende finanzielle und personelle Res-sourcen und Fähigkeiten aufgebaut werden. Beider Verteilung der Ressourcen besteht jedoch dieGefahr eines sektoralen oder räumlichenUngleichgewichts. Obwohl Best-Practice-Bei-spiele aus anderen Städten dabei hilfreich seinkönnen, ist ihre direkte Umsetzung häufigschwierig oder gar nicht zielführend. Zuletzt kön-nen Kooperationen mit zivilgesellschaftlichenGruppen oder Public-Private-Partnerships bei derEntwicklung von neuen Verwaltungskompeten-zen helfen.

Thesen aus der Gruppe:

• Selbst wenn Digitalisierung Effizienz fürStadtverwaltungen verspricht, sollte diesenicht auf Kosten von Kreativität und Vielfaltangestrebt werden.

• Beim Lernen von den Erfahrungen andererStädte sollten Städte und Gemeinden sicheher an Musterprozessen orientieren,anstatt zu versuchen, Best Practices 1:1 zukopieren.

• Die Erstellung von Checklisten für optimierteVerfahrensabläufe und modularer Aufbauvon Musterprozessen können den Wissens-transfer unterstützen.

• Nationale Institutionen, Verbände und Forenfür Zusammenarbeit können Rahmen in Formvon Empfehlungen oder Leitfäden setzen,sollten aber Individualität in den städtischenLösungen unterstützen.

65Im Fokus: Governance

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Michael Lobeck vom Geographischen Institutder Universität Bonn stellte in einem Impulsvor-trag zum Thema Governance vorläufige Ergeb-nisse des Forschungsprojektes „Smart Cities –Webbasierte Medien in der Stadtentwicklung:Bürgerbeteiligung und Bürgerengagement in derdigitalen Gesellschaft“ vor.

Das Projekt wird von der Arbeitsgruppe Stadt-und Regionalforschung des GeographischenInstituts der Universität Bonn gemeinsam mitdem Büro Zebralog durchgeführt. Es ist Teil desBBSR-Forschungsclusters Smart Cities. Im Pro-jekt wird anhand von Referenzbeispielen undFallstudien untersucht, wie und von wem digitaleMedien derzeit in der Stadtentwicklung (E Partizi-pation) genutzt werden.

Vielfalt an Akteuren, Vielfalt an Initiativen

Sowohl Städte und Gemeinden als auch Organi-sationen der Zivilgesellschaft oder Unternehmensetzen zunehmend webbasierte Medien für Parti-zipation und Teilhabe in der Stadtentwicklung ein.Zum einen nutzen Top-down-Akteure wie Stadt-verwaltungen digitale Medien, um mit Bürgerin-nen und Bürgern, aber auch mit Trägern öffentli-cher Belange ins Gespräch zu kommen. Zumanderen sind Bottom-up-Akteure, z. B. Einzelper-sonen, Bürgerinitiativen oder eingetragene Ver-eine oft stärker als institutionalisierte Akteure derStadtentwicklung darauf angewiesen, die ver-hältnismäßig kostengünstigen und reichweiten-starken digitalen Medien für sich einzusetzen. Sie nutzen webbasierte Medien für vielfältigeZwecke, z. B. um eigene Projekte und Aktionen zu initiieren, sich zu Vorhaben anderer zu positio-nieren oder um auf (stadt-)gesellschaftliche Probleme aufmerksam zu machen.

Online-Beteiligung ist vielfältig. Es gibt Info-Web-seiten, soziale Medien, Info-Karten und Crowd-Mapping, Petitionen und vieles mehr. Informationspielt ebenso eine Rolle wie Konsultation oderKollaboration. In der Regel stellen VerwaltungenInformationen zur Stadtentwicklung auf Websei-ten dar – textlich, bildlich und kartenbasiert – undbieten Bürgern die Möglichkeit der Kommentie-rung. Darüber hinaus gibt es explizite Online-Dia-loge, die zur Sammlung und Diskussion von Ideenzur Stadtentwicklung genutzt werden, z. B. fürLeitbilder, Masterpläne, bauliche Einzelprojekteoder Infrastrukturentwicklung, oder für einenDialog über den Haushalt der Stadt. Einige Ver-waltungen setzen zusätzlich zu Webseiten auchApps ein, die für die Nutzung mit mobilen Endge-räten entwickelt wurden.

Zivilgesellschaftliche Initiativen nutzen stärkerals Verwaltungen soziale Medien auf externenPlattformen (Facebook, Twitter, …). Sie nutzenauch die „Crowd“ – also ihre Mitglieder undmögliche Sympathisanten im Netz – z. B. um Kar-ten zu erstellen, Informationen zusammenzutra-gen oder Geld zu sammeln. Daten wie Leerständeoder gefährliche Verkehrssituationen können vonden Nutzern über eine einfache Schnittstelledirekt in eine Karte oder ein Wiki geschriebenwerden. Das Sammeln von Geld für die Finanzie-rung von Stadtentwicklungsvorhaben stecktjedoch noch in den Anfängen: Die gefundenenBeispiele sind entweder sehr kleinteilig oder bleiben im Ideenstadium.

Im Fokus: Governance 66

Governance und Webbasierte Medien in der Stadtentwicklung

Michael Lobeck, Geographisches Institut der Universität Bonn

Jürgen Weyrich

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Auswirkungen auf die Governance:Frage nach dem Zusatznutzen

Trotz vieler Referenzbeispiele ist digitale Bürger-beteiligung in den Kommunen noch Neuland:Obwohl Online-Tools zunehmend eingesetzt wer-den, wird vergleichsweise wenig reflektiert, wasdiese für Demokratie bedeuten. Eine genaueQuantifizierung zum Einsatz webbasierter Medienfür Teilhabeprozesse gibt es in der Forschungderzeit ebenso wenig wie eine vergleichendeempirische Betrachtung von Top-down- und Bot-tom-up-Projekten. Auch fehlt bisher eine syste-matische Analyse, wie sich die Nutzung webba-sierter Medien bei Teilhabeprozessen in derStadtentwicklung auf Governance-Strukturenauswirkt. Die aktuelle Forschungslandschaft istvon beschreibenden Arbeiten geprägt. Den oftvermuteten „Zusatznutzen“ des Einsatzes web-basierter Medien – etwa in Form von Demokrati-sierungseffekten, einer umfangreicheren Beteili-gung oder einer vielfältigen Zusammensetzungder sich Beteiligenden – kann sie bisher kaumbelegen. Einen ersten Überblick zum Einsatzwebbasierter Instrumente zur Partizipation aufkommunaler Ebene liefert für Nordrhein-Westfa-len das Portal „DIID Monitor Online-PartizipationNRW“ 1.

Festzustellen ist, dass Online-Beteiligung durchdie Dokumentation von Verfahren einen Beitragzur Transparenz leistet. Sie macht Beiträge Ein-zelner, Reaktionen von Verwaltung und andererBürgerinnen und Bürger sowie Ergebnisse füralle sichtbar – in Archivfassungen oft noch langenach Projektabschluss. Online-Instrumenteerleichtern der Bürgerschaft die Auseinanderset-zung mit städtischer Politik sowie den Kontakt mitder Verwaltung. Bürgerinnen und Bürger – insbe-sondere die netzaffinen 60–80 % der Bevölkerung– sind an der Nutzung von webbasierten Medienaus Beruf und Alltag gewöhnt und fordern ent-sprechende Möglichkeiten auch von ihrer Ver-waltung. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter derStädte betonen, dass die Beiträge aus der Bür-gerschaft auf Beteiligungsplattformen qualitativhochwertig seien und somit zur Weiterentwick-lung von Planungen beitragen. Auch der Modera-tionsaufwand ist überschaubar. Konzeption, Wer-bung, Pflege und Auswertung benötigen jedocheinen oft unterschätzten Ressourcenaufwand.

Änderungsdruck für Verwaltung undPolitik

Online-Beteiligung bedeutet Änderungsdruck fürVerwaltung und Politik. Je leichter MenschenInformationen über Sachverhalte und Prozessebekommen, desto mehr Fragen werden gestellt.Besonders soziale Medien multiplizieren den Auf-wand der Betreuung und sind für Kommunen oftschwer zu steuern. Eine angestrebte Einheitlich-keit der Verwaltungsmeinung und ein oft vertre-tener Neutralitätsgedanke gehen mit schnellen,pointierten Auseinandersetzungen auf Twitteroder Facebook nicht gut zusammen. Hier könnenBottom-up-Akteure aus der Zivilgesellschaft oftden Diskurs dominieren und somit ihre Machtpo-sition im politischen Streit verbessern. Mit sozia-len Medien wird politischer Handlungsdruckerzeugt, der dann besonders wirksam wird, wenner durch traditionelle Medien wie Lokalzeitungenverstärkt wird. Um mit der umfassenden Nutzungvon webbasierten Medien mithalten zu können,muss sich die Verwaltungskultur ändern. Die Ein-führung einer umfangreichen Strategie für denUmgang mit sozialen Medien als einem wichtigenInstrument der Beteiligung von Bürgerinnen undBürgern ist eine Ressourcenfrage.

Lokale Politik müsste Gelder bewilligen, derenEinsatz dazu führt, dass Bürgerinnen und Bürgerleichter als bisher auf mehr Informationen überSachverhalte und Entscheidungswege in derStadtentwicklung zugreifen und mit ihrer Verwal-tung ins Gespräch kommen können. Verwaltungund Politik könnten aus den daraus folgendenFragen und Diskussionen lernen, wie sie sichselbst und ihre Stadt weiterentwickeln können.Ein konstruktives Miteinander zwischen Verwal-tung, Politik und Zivilgesellschaft benötigt nichtzwangsläufig webbasierte Medien. Sie werdenaber wohl nicht mehr verschwinden.

67Im Fokus: Governance

1 http://www.monitor-online-partizipation.de/

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Im Fokus: Governance 68

Anna Fritsche

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69Im Fokus: Governance

Stegreif-Szenario 2040 Worst Case

Digitale Information und Kommunikation

Zu Beginn der Entwicklung konnten viele Städte die Welle der Digitalisierung nicht auf sich zukommensehen: Aufgrund von mangelnden finanziellen Ressourcen und unklaren Verantwortlichkeiten waren siehandlungsunfähig. Die Kommunen, die nicht gehandelt haben, wurden vom Digitalisierungs-Tsunami weg-gespült. Es sind entvölkerte Räume entstanden, weil Lebensqualität und wirtschaftliche Entwicklungendurch fehlende digitale Infrastruktur dramatisch zurückgegangen sind.

Digitale Konsultation und Kooperation

Es ist keine soziale Teilhabe mehr ohne digitale Teilhabe möglich. Die smarten Informations- und Kommu-nikationstechnologien führen zu absichtlichem und unabsichtlichem Missbrauch, zur Überforderung desEinzelnen und der Gesellschaft sowie zu Mehrkosten für die Stadt. In der postfaktischen Gesellschaft istein Informations-und Kommunikationsmachtmonopol der sozialen Netzwerke entstanden. Die Polarisiererwerden nicht mehr gestört durch differenzierte Meinungen und Fakten.

Dabei ist die Stadt ist eine kraftlose „lahme Ente“ geworden, es besteht keine Glaubwürdigkeit mehr. DaCo-Creation nicht umgesetzt wurde, ist die repräsentative Demokratie abgeschafft worden. Algorithmen,Konzerne und Interessensgruppen bestimmen die Meinungsbilder und das Handeln aller.

Aktivierung der Bürgerschaft

Die einst dem Gemeinwohl dienende Aktivierung der Bürgerschaft ist nicht mehr möglich. Es ist nichtgelungen, zielführende Formen der Bürgerbeteiligung zu etablieren. Aufgrund fehlender Zugänge undpartizipativer Möglichkeiten ist ein Demokratievakuum entstanden.

Es folgte ein vollständiger Rückzug in den privaten Cyberspace und digitales Cocooning – es besteht keinZusammenhalt der Stadtgesellschaft mehr. Zugleich sind datenarme Reservate entstanden, in denenanaloge Extremisten leben.

Governance in der Stadtverwaltung

Umfangreiche Nutzung von Public-Private-Partnerships hat dazu geführt, dass Ressourcen und Verwal-tungskompetenzen sukzessive abgebaut wurden: Privat regiert Public. Einsparen von Räumlichkeit undInfrastruktur in der Verwaltung verschmelzen Privates und Berufliches. Selbstabgrenzung ist nicht mehrmöglich, weil allzeitige Verfügbarkeit gefordert wird. Nach dem Verlust der Gestaltungsfunktion ist dieVerwaltung auf Pflichtaufgaben und Kontrollfunktionen reduziert.

Radikal digital durchgängige Prozesse haben die kommunale Selbstverwaltung auf einen unbedeutsamenRest von Funktionen reduziert. Die Städte haben ihre Identität und Eigenart verloren.

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Im Fokus: Governance 70

Anna Fritsche

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71Im Fokus: Governance

Stegreif-Szenario 2040 Best Case

Digitale Information und Kommunikation

Stadt ist Kommunikation. Digitalisierung und direkte Kommunikation machen Städte transparent, vernetztund offen.

Das Wechselspiel zwischen direkter Kommunikation und digitaler Kommunikation findet nach wie vorstatt. Der Grad der Betroffenheit bestimmt das Verfahren bzw. die Art des Wechselspiels. Die möglichenFolgen von Entscheidungen sind vorab durch Visualisierungen und Simulationen für alle sichtbar undnachvollziehbar. So werden Planungsvarianten mit Virtual-Reality mit allen Sinnen erlebbar gemacht. IT-basierte Planungsprozesse werden dabei ergänzt und verbessert.

Digitale Konsultation und Kooperation

Das soziale Kapital der Stadtgesellschaft ist eine Quelle für neue Ideen und neue Kooperationen. „Vernetzteuch!“ Beteiligung und Kommunikation finden in einem virtuellen Raum statt. Als Hologramme nehmenwir ortsungebunden an der Kommunikation teil. So werden Argumente deliberativ ausgetauscht.

Aktivierung der Bürgerschaft

Neue gemeinschaftliche Quartiersstrukturen in Form von Mikro-Gemeinschaften entstehen mit hoherSelbstverwaltung und -verpflichtung – unterstützt von sozialen Netzwerken und gemeinschaftlichenLebensmodellen. Dabei werden neue Formen von Governance, durch effektive Verzahnung von Online-und Offline-Methoden, entwickelt. Werthaltung wird on- und offline kommuniziert. Online- bzw. Mobile-Partizipationsverfahren generieren sehr schnell Werthaltungen, die dann in Offline-Diskussionen vertieftwerden können.

Die Bürgerschaft ist bereits aktiv und hat nach wie vor ein Recht auch auf Nichtbeteiligung. Die Zugangs-möglichkeiten zur Beteiligung – z. B. auch für mobilitätseingeschränkte Menschen – sind für alle da.Jeder, der will, kann – egal ob online oder offline – am Verfahren teilnehmen. Dabei bleiben der „face-to-face“-Kontakt, Zwischenmenschlichkeit und Sozialkompetenzen erhalten. Jeder Mensch darf sich weiteron- wie offline frei, unvernünftig und irrational verhalten.

Governance in der Stadtverwaltung

Gedanken der Creative-Commons-Bewegung setzen sich im öffentlichen Raum als frei programmierbaresGemeingut (Allmende) einer mündigen digitalen Gesellschaft fort. Städte haben die Ressourcen, denGovernance-Prozess digital und analog zu steuern. So kommt die öffentliche Verwaltung durch „Multi-Channel-Kommunikation“ auch ihrer spezifischen Verantwortung der Transparenz und Information derÖffentlichkeit nach. Ein transparentes „Archiv“ macht Beteiligungs- und Verwaltungsprozesse auch imNachhinein für alle nachvollziehbar. Die Digitalisierung von Verwaltungsprozessen, beispielsweise mittelsBlockchain-Technologie oder durch „Smart Contracts“, verbessert die Governance.

Es gibt klare Rollen, wo wer was zu entscheiden hat. Die Verwaltung hat gelernt, ressortübergreifendeProjektgruppen mit Entscheidungskompetenzen auszustatten. Die neue Generation der Verwaltungsmit-arbeitenden hat den Freiraum, in neuen Arbeitsformen hochvernetzt und mit einer hohen Flexibilitätinnovativ und kreativ tätig zu sein. Die hohe Flexibilität sowohl der Arbeitsplätze als auch der Arbeitspro-zesse trägt zur Effizienz bei.

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Digitale Integration und Inklusion

Wenn erfolgreich gestaltet, bietet die Digitalisie-rung Potenziale für Integration, Inklusion, Chan-cengerechtigkeit und Teilhabe. Zugleich birgtDigitalisierung aber auch die Gefahr, Teile derBevölkerung und ihren unterschiedlichen Anfor-derungen nicht gerecht zu werden, sodass einegesellschaftliche Spaltung zwischen „Onlinern“und „Offlinern“ mindestens möglich erscheint. Sonimmt beispielsweise mit zunehmendem Alterdas Interesse ab, sich den Umgang mit neuenTechnologien anzueignen. Nicht- und Wenig-Nut-zern fehlt häufig das Vertrauen in neue Technolo-gien, was wiederum zur Ablehnung neuer Partizi-pationsmöglichkeiten führen kann. Insbesondereältere Menschen, Menschen mit Behinderungund Menschen mit anderen Muttersprachen soll-ten daher unterstützt und befähigt werden, auchan digitalen Prozessen in der Gesellschaft teil-nehmen zu können.

Thesen aus der Gruppe:

• Unterschiedliche Nutzungsansprüche unddamit die Anwendbarkeit neuer Partizipati-onsinstrumente sollten systematisch ergrün-det und erfasst werden (z. B. mittels Umfra-gen).

• Bürgerinnen und Bürger sollten „analog“, inder ihnen bekannten Umgebung, angespro-chen werden, um sie in darauffolgendenSchritten mit neuen Technologien bekannt zumachen. Städte und Gemeinden sollten indiesem Zusammenhang physische Anlauf-punkte anbieten.

• Zielgruppenorientierte Initiativen wieGaming-Projekte für Jugendliche oder dieZusammenarbeit mit Seniorenheimen solltenentwickelt bzw. weitergeführt werden, umverschiedene Gruppen zu erreichen.

• Städte und Gemeinden sollten Paten- undUnterstützernetzwerke und zielgerichteteFormen der Unterstützung entwickeln, umlebenslanges Lernen für alle Zielgruppen zuentwickeln.

Bildung

Angesichts der Veränderungen, welche die Digi-talisierung in unserem Leben hervorruft, sindInvestitionen in Bildung nötig. Bildung kann –sowohl im Sinne der Schulbildung als auch derAus- und Weiterbildung von Erwachsenen –einen Schlüssel zur Befähigung Benachteiligterund damit auch zur Aufhebung der gesellschaftli-chen Spaltung darstellen. Sie ist auch Vorausset-zung für einen verantwortungsvollen und selbst-bestimmten Umgang mit digitalen Medien undkann zum sozialen Zusammenhalt der Gesell-schaft beitragen. Des Weiteren ermöglicht diefortschreitende Digitalisierung neue Lehrmetho-den und den Ausbau von Bildungsangebotenauch in dünn besiedelten Regionen.

Thesen aus der Gruppe:

• Städtische Bildungslandschaften sollten alsOrte der digitalen Bildung und Vernetzunggestärkt werden.

• Public-Private-Partnerships sollten alsErgänzung zu öffentlichen Finanzmitteln auf-gebaut werden.

• Für Fragestellungen des städtischen Zusam-menlebens sollten Städte und GemeindenRaum zum Experimentieren bieten, beispiels-weise Pilothäuser, -quartiere oder Realla-bore.

• Digitale Kompetenzen für den Arbeitsplatzsollten gestärkt werden, insbesondere anSchnittstellen zur lokalen Wirtschaft.

• Kompetenzen für einen verantwortungsvol-len Umgang mit digitalen Medien – z. B. auchim Rahmen kommunaler Meinungsbildungs-und Entscheidungsprozesse – solltengestärkt werden.

Im Fokus: Digitale Integration und Inklusion72

Ausgangspositionen der Dialoggruppe

IM FOKUS: DIGITALE INTEGRATION UND INKLUSION

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Nutzbarkeit (Usability)

Im Hinblick auf eine breite gesellschaftliche Teil-habe sollten digitale Angebote so gestaltet wer-den, dass sie allen Einwohnern zugänglich sind.Online-Angebote müssten an zentrale Portalegeknüpft werden und auf einen Blick zu verste-hen sein: Beispielsweise kann im öffentlichenNahverkehr die Integration von unterschiedli-chen Verkehrsmitteln, Tarifen und Fahrscheinenzur Optimierung sowohl auf der Ebene desgesamten Systems als auch der individuellenNutzung beitragen. Wenn die Benutzerfreund-lichkeit stimmt, können auch Stadtpolitik undDienstleistungen in verschiedenen Infrastruktur-bereichen den Bürgerinnen und Bürgern besserkommuniziert werden.

Thesen aus der Gruppe:

• Sowohl im digitalen als auch im analogenRaum sollten „One-Stop-Shops“ angestrebtwerden: Zentrale Orte und Portale, die zen-trale Informationen, Themen der Stadtpolitikund Dienstleistungen an einem Ort bündeln.

• Insbesondere die Dienstleistungen des all-täglichen Lebens (Bürgeramt, ÖPNV) solleneinfach, allgemeinverständlich und leichtnutzbar gestaltet werden.

• Beim Design von digitalen Angeboten, Porta-len und Apps können Städte und Gemeindenvon privaten Anbietern und „Tüftlern“ lernen.

Geografie und Nachbarschaften

Integration und Inklusion im digitalen Zeitaltergehen Hand in Hand mit Integration und Inklusionim analogen Leben. Die Durchmischung und Ver-netzung der Bevölkerung in der analogen Umweltunterstützt Teilhabe auch in der digitalen Welt. Sokönnen auf der Quartiersebene Sharing-Modelle,nachbarschaftliches Engagement, offene Werk-stätten (FabLabs) und Co-Creation im Sinne vongemeinsamer Gestaltung mit Bürgerinnen undBürger vor Ort für die digitale Integration genutztwerden. Zugleich bleibt die Verfügbarkeit vontechnischen Ressourcen in Form von schnellemInternet eine Voraussetzung für digitale Partizipa-tion. Dabei kommen jedoch auch die Risiken derDigitalisierung gebündelt daher: Durch Digitali-sierung des Handels, alternde Gesellschaftenund mangelnde digitale Ressourcen können dünnbesiedelte und strukturschwache Regionenmehrfach benachteiligt sein.

Thesen aus der Gruppe:

• In der Stadtplanung und beim Aufbau vonDienstleistungen sollten Städte und Gemein-den sektorenübergreifend die „Stadt der kur-zen Wege“ anstreben – für Integration undInklusion, aber auch Klimaschutz.

• Städte und Gemeinden sollten das Angebotan öffentlichen Räumen sichern und Raum-Sharing sowie Nutzungsdurchmischung för-dern, insbesondere bei der Nutzung vonöffentlichen Liegenschaften.

• Die gemeinsame Nutzung von technischenRessourcen in Form von Sharing-Modellensollte auf lokaler Ebene entwickelt undgestärkt werden.

• Möglichkeiten zur Selbstorganisation derBewohner sollten über Immobilien- undWohnungsbaugesellschaften entwickeltwerden.

73Im Fokus: Digitale Integration und Inklusion

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Zum Thema Digitale Integration und Inklusionpräsentierte Michael Jahn von Pricewaterhou-seCoopers WPG GmbH (PwC) mit seinem Impuls-vortrag „Mind the Gap – Digitale Spaltung undDigitale Integration“ die wesentlichen Schlüs-selaspekte der digitalen Spaltung unsererGesellschaft.

Im Rahmen des BMUB/BBSR-Forschungsclus-ters Smart Cities hat sich ein Team der PwC unddes Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft undOrganisation (IAO) mit den vier ThemenfeldernBürgerpräferenzen und Bürger-Know-how,Anpassung der Akteurskonstellationen in derStadtentwicklung (Einflüsse der Digitalisierungund Nutzung von Big-Data-Analysen aufAkteure), Stadtökonomie und Digitale Spaltungbeschäftigt.

Digitale Spaltung: Eine gesellschaftliche Gefahr

In den Städten und Gemeinden wird die Digitali-sierung zunehmend zur alltäglichen Praxis: Siewirkt auf alle städtischen Lebensbereiche wieWohnen und Umwelt, Arbeiten, Mobilität, Infra-struktur, Verwaltung sowie Kultur und Bildungund ist somit das Fundament smarter Städte. Dasich die technologischen Entwicklungen mitenormer Geschwindigkeit fortsetzen und disrup-tive Auswirkungen in den Handlungsfeldern derStadt nicht auszuschließen sind, steht unsereGesellschaft vor großen Herausforderungen. Dievoranschreitende digitale Transformation wird

die Funktionsweise der Städte und Gemeindengrundlegend verändern. Es gilt, den digitalenWandel gesellschaftlich nach unseren Werten zugestalten und dabei Chancen und Risiken sorgfäl-tig abzuwägen: Welche städtischen Akteure sindbeteiligt? Wie können Städte die Digitalisierungökonomisch nutzen? Inwiefern führt Digitalisie-rung zu einer Digitalen Spaltung?

Auch für die Bürgerinnen und Bürger liegt diebesondere Herausforderung der Digitalisierung inder enormen Geschwindigkeit, mit der die neuenTechnologien den Alltag durchdringen. Hierdurchsteigen die Anforderungen an den Zugang zudigitalen Infrastrukturen und Technologien sowiean die digitalen Kompetenzen der Bürgerinnenund Bürger innerhalb sehr kurzer Zeit, was zueinem Ausschluss bestimmter Bevölkerungs-gruppen führen kann. Selbst in einem technolo-gisch fortschrittlichen Land wie Deutschlandexistieren breite Bevölkerungsgruppen, die nichtan dieser Entwicklung teilhaben: So gibt es in derAltersgruppe der über Zehnjährigen mehr als 11Millionen Menschen in Deutschland, die die digi-talen Möglichkeiten des Internets nicht nutzen.Es besteht die Gefahr der digitalen Spaltungunserer Gesellschaft.

Merkmale und Ursachen der digitalenSpaltung

Auf der Ebene des Individuums sind die Ursacheneiner digitalen Spaltung auf sieben wesentlicheMerkmale zurückzuführen. Zunächst hat dasAlter einer Person einen entscheidenden Einflussauf die Nutzung digitaler Angebote. Das allge-meine und spezielle Technikverständnis, welchesnicht ausschließlich vom Alter abhängt, hat einengroßen Einfluss auf die Nutzung und Akzeptanzdigitaler Angebote. Des Weiteren haben Unter-schiede im Bildungsstand und des sozialenMilieus Auswirkungen zum einen auf die Inter-netnutzung und zum anderen auf einen einkom-mensbedingten Zugang zu Technik. Zusätzlichkönnen sprachliche und kulturelle Barrierensowie körperliche oder geistige Beeinträchtigun-gen Ursachen für eine mögliche technologischeAusgrenzung bestimmter Bevölkerungsgruppensein. Nicht zuletzt können auch divergierenderegionale Gegebenheiten zu einer geografischgeprägten digitalen Spaltung führen. Dabei spie-len häufig mehrere Faktoren zusammen: So kön-nen einzelne Personen aus verschiedenen Grün-den von der technologischen Entwicklung ausge-schlossen sein.

Im Fokus: Digitale Integration und Inklusion74

Mind the Gap – Digitale Spaltung und Digitale Integration

Michael Jahn, PricewaterhouseCoopers WPG GmbH (PwC)

Jürgen Weyrich

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75Im Fokus: Digitale Integration und Inklusion

Neben der personenbezogenen digitalen Spal-tung ist die Überwindung der regionalen digitalenSpaltung bereits heute in Deutschland eineHerausforderung. Hierbei ist die Breitbandverfüg-barkeit sowohl ein entscheidender Standortfaktorfür die Wirtschaft als auch Grundbaustein zurLösung struktureller und demokratischer Heraus-forderungen. Mit Telemedizin oder digitalen Bil-dungsangeboten kann Digitalisierung zur Sicher-stellung der Daseinsvorsorge auch in dünn besie-delten Regionen beitragen – vorausgesetzt, dassdie technischen Infrastrukturen vorhanden sind.Auch seitens der Bürgerinnen und Bürger stei-gen die Anforderungen an die Breitbandverfüg-barkeit durch neue Anwendungen und Unterhal-tungsmöglichkeiten wie Video- und Audio-Strea-ming, Virtual-Reality oder Smart-Home. Die Ran-king-Ergebnisse der PwC-Studie „DeutschlandsStädte werden digital“ (2015) zeigten deutlich,dass Digitalisierung und wirtschaftlicher Erfolg inForm von Gewerbeanmeldungen, Beschäftigten-zahlen oder demografischer Entwicklung Hand inHand gehen.

Handlungsfelder für die Stadtentwicklung

Technologiebasierte gesellschaftliche Spaltun-gen sind kein neues Phänomen. So durchliefenetwa der Buchdruck oder die Telekommunikationvergleichbare Entwicklungen wie dasSmartphone und das Internet. Die besondereHerausforderung bei der sich aktuell abzeichnen-den digitalen Spaltung ist die hohe Geschwindig-keit, mit der neue Technologien auf den Marktgelangen und aus heutiger Sicht den Kommuni-kationsstandort der Zukunft setzen. Die Kommu-nen müssen sich mit der Frage auseinanderset-zen, wie sie eine digitale Teilhabe für alle Bürge-rinnen und Bürger gewährleisten können und wogegebenenfalls übergangsweise Parallelstruktu-ren notwendig sind.

Da die Städte und Gemeinden einzelne Faktorender digitalen Spaltung direkt oder indirekt mitbeeinflussen können, ergeben sich daraus Hand-lungsfelder für die Stadtentwicklung. Dazu gehörtdie Sicherstellung eines barrierefreien Zugangszu digitalen Infrastrukturen, Technologien undBürger-Services. Wesentliche Handlungsfelderaus Sicht der Stadtentwicklung sind kompetenz-bildende Maßnahmen, wie beispielsweise dieBerücksichtigung der Digitalisierung im Bildungs-angebot, die Anwenderfreundlichkeit kommuna-ler digitaler Dienstleistungen, die Datensicherheitsowie auch wirtschaftsfördernder Maßnahmenzur Ansiedlung innovativer Unternehmen. Ebensosoll Big Data zur Identifikation und Analyse spezi-fischer Handlungsfelder genutzt werden, um

gezielte Maßnahmen zur Stadtentwicklung zuentwickeln. Dies soll zum Aufbau eines stabilenund bürgerfreundlichen Stadtsystems beitragenund sicherstellen, dass alle Bevölkerungsgrup-pen gleichermaßen von den Vorteilen und Chan-cen der Digitalisierung profitieren können.

Trotz der Herausforderungen der digitalen Spal-tung soll die Technologie dabei als Teil derLösung gesehen werden: Diese kann gänzlichneue Wege der Mensch-Maschine-Interaktionermöglichen, die einen Zugang zum digitalenLeistungsangebot der Städte möglich macht unddamit als Instrument für Inklusion und Integrationdient. Beispielsweise erleichtert die AppGuide4Blind der Stadt Soest Blinden den öffentli-chen Nahverkehr zu nutzen und sich in der Stadtzurechtzufinden. Das Beispiel zeigt, dass auchkleinere Gemeinden in der Lage sind, digitaleDienstleistungen anzubieten und ihr Servicean-gebot zu verbessern. Digitalisierung und techno-logische Entwicklungen leisten einen positivenBeitrag zur Einbindung breiter Bevölkerungs-schichten auf dem Weg zur Smart City.

Ursachen einer digitalenSpaltung Quelle: PwC / FraunhoferIAO: Mind the Gap. (Hg.)BBSR 2017

Einflussfaktoren der digitalenSpaltung Quelle: PwC / Fraunhofer IAO:Mind the Gap. (Hg.) BBSR 2017

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Im Fokus: Digitale Integration und Inklusion76

Marianna Poppitz

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77Im Fokus: Digitale Integration und Inklusion

Stegreif-Szenario 2040 Worst Case

Digitale Teilhabe

Es ist noch immer nicht gelungen, jedem gleichwertige Zugangsbedingungen zu schaffen. So fehlt bestimm-ten Personengruppen aus finanziellen Gründen der Zugang. Ebenfalls fehlt einem Anteil älterer Personendie Kompetenz und der Willen der neuesten Technologie zu folgen. Aus Ablehnung digitaler Integrationhalten sich „analoge Einsiedler“ aus dem digitalen Leben heraus und verlieren den Anschluss. Somiterhalten sie auch ein verringertes Angebot an Dienstleistungen.

Bildung

Die unterschiedliche digitale Teilhabe führt zu drastischer Ungleichheit in den Bildungsniveaus. Zugangzum Netz ist kein Teil der Daseinsvorsorge geworden, ebenso fehlen Beratungs- und Hilfsangebote. NurPublic-Private-Partnerships ermöglichen den Zugang zu aktuellen Medien und Medienkompetenzen, beidenen dann private Anbieter die Inhalte bestimmen. Digitales Wissen minimiert das analoge Wissen, diesozialen Kompetenzen, den Zusammenhalt und das ehrenamtliche Engagement im Analogen.

Nutzbarkeit/Usability

Sowohl in der Sicherung und in der Bedienbarkeit der einzelnen Dienstleistungen ist Barrierefreiheitnicht erreicht worden.

Geografie und Nachbarschaften

Nur die, die es sich leisten können, haben eine sozial geachtete digitale Doppelidentität. Wer sich nichtwehren kann, wird gebrandmarkt. Durch gezielte Falschmeldungen und Mobbing werden im Netz Wett-bewerbsvorteile geschaffen. Reale Nachbarschaft wird durch digitale Nachbarschaft nur unzureichendersetzt. Aufgrund individueller Einteilung des Tagesablaufs, flexibler Arbeitswelt und Online-Handel (mitdem man den stationären Einkauf und damit verbundene Sozialkontakte vermeiden kann) gibt es immerweniger physische Treffpunkte und lebensweltliche Begegnungen. Anonymität nimmt speziell im urbanenBereich zu.

Geografisch betrachtet ist es ist nicht gelungen, gleichwertige Infrastrukturen im Land zu schaffen:Bestimmte Regionen als auch einzelne Stadtquartiere auf der lokalen Ebene werden abgehängt. In diesenQuartieren verschärfen sich soziale Probleme. Darüber hinaus haben sich „digitale Problemquartiere“entwickelt, die abgehängt und unkontrollierbar sind.

Digitaler Overkill führt zu Realitätsverlust

Zusammenfassend herrscht eine drastische Spaltung und Trennung zwischen der analogen und digitalenWelt. Durch Macht über Informationen und Individualkenntnisse des Nutzerverhaltens werden Meinungenmanipuliert.

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Im Fokus: Digitale Integration und Inklusion78

Marianna Poppitz

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79Im Fokus: Digitale Integration und Inklusion

Stegreif-Szenario 2040 Best Case

Digitale Teilhabe

Es gibt ein Recht auf digitale Teilhabe. Dies wird beispielsweise mit Breitbandanschluss auf dem Landund Wissensvermittlung in der Schule umgesetzt. Es gibt jedoch keine Pflicht zur Digitalisierung imeigenen Leben: So gibt es für die Nicht-Nutzer sowie für benachteiligte Gruppen analoge Ersatz- unddigitale Helferstrukturen wie Paten- und Unterstützernetzwerke.

Digitale und autonome Systeme und Technologien helfen allen Menschen, aktiv und selbstbestimmt zuleben. Digitalisierung stellt auch für die Nicht-Nutzer eine Verbesserung der Lebensumstände dar, bei-spielsweise im Bereich Gesundheits- und Klimaschutz. Digitaltechnologien machen politisches Handelntransparenter: Sie tragen zum städtischen Diskurs und zu mehr demokratischer Teilhabe bei, da Hinter-gründe von politischen Entscheidungen und Verantwortlichkeiten klarer kommuniziert werden. So steigtVertrauen in Technologie, Politik und demokratische Prozesse. Bürger können Entscheidungsprozesseverstehen und nachvollziehen, egal wie sie ausgehen: Sie fühlen sich nicht entfremdet und nicht hingezogenzu populistischen Bewegungen.

Es gibt ein bedingungsloses Grundeinkommen. Arbeit kann von jedem Ort barrierefrei geleistet werden.

Bildung

Für Integration und Inklusion werden aufsuchende Verfahren grundsätzlich eingesetzt. Analytics werdengezielt eingesetzt, um passgenaue Bildungsangebote zu entwickeln und anzubieten. Reale Orte auf derQuartiersebene wie Nachbarschaftszentren, Altersheime und Bibliotheken werden als Orte für lebenslangesLernen gestärkt. Kritische Medienkompetenz wird in den Schulen als Schulfach erarbeitet. Neue Verfahrenfür die Integration verschiedener Gruppen wie Gamification – z. B. „Model United Nations für Kommunen“– werden eingesetzt.

Nutzbarkeit/Usability

Digitalisierung trägt zu einer nachhaltigen Entwicklung in den Städten bei. So ist beispielsweise Mobilitätvon allen nutzbar und weitreichend auf die individuellen Bedürfnisse zugeschnitten: Vielerorts durch einöffentliches On-Demand-Verkehrssystem und eine zentrale App. Bonus- und Anreizsysteme fördern nach-haltige Lebensgestaltung und individuelle Gesundheit.

Zentrale Informationsstellen bündeln Dienstleistungen für Bürgerinnen und Bürger – im digitalen undanalogen Raum. Im Ländlichen Raum verbessern Telemedizin und Telelernen die Daseinsvorsorge. Kon-trollsysteme sichern die Qualität der Dienstleistungen. Auf ähnliche Weise werden Förderinstrumente fürKommunen an zentralen Portalen gebündelt.

Geografie und Nachbarschaften

Zuletzt unterstützt Digitalisierung dabei, Menschen in der realen Welt zusammenzuführen. Es gibt öffentlicheRäume, die von Bürgerinnen und Bürgern belebt werden. Es gelingt auch im nicht-profitablen Bereich,digitale Infrastruktur zur Verfügung zu stellen, das Leitbild der gleichwertigen Lebensverhältnisse wirdbefolgt.

Digitalisierung unterstützt dabei, Menschen und lokale Wirtschaft vor Ort zusammenzubringen und ankonkreten Problemlösungen der nachhaltigen Stadtentwicklung zu arbeiten. Hierzu entstehen Gemein-schaften, beispielsweise nach dem Modell von „Time-Banking“. In den Städten und auf regionaler Ebeneunterstützt die Digitalisierung die Kreislaufwirtschaft und die nachhaltige Nutzung von Rohstoffen undMaterialien.

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Im Rahmen der Dialogplattform Smart Cities initiierte das Bundesministerium für Umwelt,Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB)einen internationalen Austausch zu Strategien,konkreten Ansätzen und Erfahrungen zur Digitalisierung in Städten.

In zwei Workshops wurden führende europäi-sche und internationale Smart Cities sowie Ver-treter der Europäischen Kommission und andererStaaten eingeladen, um ihre Herangehensweisemit den Teilnehmenden der Dialogplattform zudiskutieren.

Staatsekretär Gunther Adler (BMUB) begrüßtedie internationale Dimension bei der Diskussionder verschiedenen Ideen, Szenarien, Leitlinienund Handlungsempfehlungen:

Im Oktober 2016 wurde als Ergebnis der Habitat-III-Konferenz zu Wohnen und nachhaltiger Stadt-entwicklung die New Urban Agenda der Verein-ten Nationen verabschiedet. Sie setzt weltweitMaßstäbe für die Stadtentwicklung der kommen-den zwanzig Jahre. Zwei Ziele der New UrbanAgenda sind für uns besonders wichtig, nämlichStädte als Entwicklungsakteure anzuerkennenund zu befähigen, und lebenswerte Städte fürMenschen zu schaffen. Beide Ziele werdenangesichts der weltweit zunehmenden Urbanisie-rung, Digitalisierung und Vernetzung künftig vonzentraler Bedeutung sein. Denn die Digitalisie-rung betrifft wie der demografische Wandel, dieGlobalisierung und der Klimawandel weltweitviele Bereiche der Stadtentwicklung: Ihre Poten-ziale sollen für gesellschaftlichen Wohlstand, fürmehr Lebensqualität und zur Verbesserung desUmweltzustandes genutzt werden. Die großeHerausforderung ist allerdings, dass die techno-logischen Entwicklungen so rasant voranschrei-ten, dass es vielfach noch kaum absehbar ist,welche Auswirkungen der digitale Wandel insge-samt haben wird. Deshalb muss dafür gesorgtwerden, dass die Kommunen nicht nur alsAkteure der Stadtentwicklung, sondern auch als Akteure der Digitalisierung handlungsfähigwerden und bleiben.

Internationale Reflexionen 80

INTERNATIONALE REFLEXIONEN

Einführung in den internationalen ErfahrungsaustauschStaatssekretär Gunther Adler, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB)

Jürgen Weyrich

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Für diesen Ausbau städtischer Fähigkeiten sindVorreiter- und Pionierstädte wichtig, die dieChancen der Digitalisierung nutzen wollen. Per-sonelle und finanzielle Ressourcen sind aller-dings immer Voraussetzung, um solche neuenWege zu gehen. Deshalb ist es genauso wichtig,auch diejenigen Städte und Gemeinden mitzu-nehmen und zu unterstützen, die diese Kapazitä-ten nicht haben. Die Digitalisierung der Städtesoll organisatorisch, rechtlich aber auch finan-ziell abgesichert werden: In Form von digitalenKompetenzen in den Verwaltungen, von geeigne-ten rechtlichen Rahmenbedingungen für dieErprobung neuer Lösungswege sowie in Formvon Fördermaßnahmen für zukunftsweisendeProjekte und von Förderstrukturen, die in diebreite kommunale Praxis hineinwirken. Städtesollen von vielen starken Partnern unterstütztwerden, die die Digitalisierung in den Kommunenim Sinne des Gemeinwohls vorantreiben wollen.

Das Ziel der Dialogplattform Smart Cities ist des-halb zunächst, gemeinsam mit den Teilnehmen-den – einer Vielzahl von solchen starken Partnern– Leitlinien für Smart Cities und die Stadtentwick-lung im digitalen Zeitalter zu entwickeln. DiesesErgebnis der Dialogplattform mit klaren Arbeits-aufträgen und Empfehlungen an verschiedeneAkteure der Stadtentwicklung soll eine politischeDebatte über die Bedeutung der Digitalisierungfür die Städte und Gemeinden herausfordern undeine intensive Auseinandersetzung mit den Leitli-nien einfordern. Alle beteiligten Akteure solltenihr Bestes tun, um die digitale Transformation inden Kommunen nachhaltig zu gestalten. Dafürwollen wir uns auch im internationalen Kontexteinsetzen.

81Internationale Reflexionen

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Botschafterin Chan vom Lee Kuan Yew Centre forInnovative Cities, Singapore University of Tech-nology and Design präsentierte in der Dialog-plattform Smart Cities die bisherige EntwicklungSingapurs zu einer der weltweit führendenSmart Cities. Dabei benannte sie Erfolgsfaktorensowie Herausforderungen für die Zukunft.

Smart Nation Singapore

Singapur ist ein 5,5 Mio. Einwohner starker Stadt-staat und zentraler Knotenpunkt für Verkehr,Finanzen und Handel. Im November 2014 lan-cierte der Premierminister die dortige „SmartNation Initiative“: Der Stadtstaat dient als Experi-mentierfeld für die Implementierung von ver-schiedenen IKT-Anwendungen beispielsweise inden Themenbereichen Wasser- und Verkehrssys-teme, nachhaltiges Bauen, saubere Energiesowie City Management. Die Hauptanwendungenreichen vom „Behavioural Monitoring“, wie z. B.der Implementierung von Sensoren zur Kontrolleunautorisierten Rauchens oder unautorisierterAbfallentsorgung bis hin zu Smart Parking &Smart Lighting zum intelligenten Mobilitäts- und

Verkehrsmanagement (z. B. durch die täglicheSimulation individueller Bewegungsprofile).National werden Echtzeitdaten zu Klima, Demo-grafie und Topologie in eine virtuelle 3D-Karteübertragen, der „Virtual Singapore App“.

In der nationalen Plattform „Safe City Test Bed“arbeiten Regierungsbehörden mit Industriekon-sortien zusammen, um Lösungen für ein städti-sches Management sowie „Safety and Security“zu entwickeln und zu testen: Zu den Partnerngehören Konzerne wie Accenture, AGT Interna-tional, Airbus Defence and Space, NCS Groupsowie NEC Asia Pacific. Jedes Konsortium nutztDaten, Videoanalysen, Simulationen, Modellie-rungen und „Machine Learning“, um Lösungenfür das städtische Managementsystem zu entwi-ckeln. Als Ziele werden sowohl die Verbesserungder Lebensqualität der Bürger wie auch dasErproben industrieller Produkte und Dienste, umdiese später besser exportieren zu können,genannt. 2016 stellte die singapurische RegierungUSD 13,9 BN für Forschung und Entwicklung inSmart-City-Technologien bereit.

Smart City als Schlagwort und Rankings

Sowohl im Westen als auch in Asien strebenStädte an, „smart“ zu sein. Dabei sind verschie-dene Smart City Rankings und Kriterien so reich-lich vorhanden, dass man oft das Gefühl hat,Äpfel mit Orangen zu vergleichen. Als gemeinsa-mer Nenner gilt jedoch die Nutzung von Informa-tions- und Kommunikationstechnologien sowohlfür die Verbesserung der Lebensverhältnisse alsauch für die der Governance. So gelten SmartCities immer häufiger als ein neues Paradigmafür wettbewerbsfähige Städte.

Seitdem IBM 2008 die Diskussion um den „Smar-ten Planeten“ initiierte, ist smart ein globalesSchlagwort geworden. Der Begriff stellt eineÄnderung in unserem Weltbild dar: Wir sehenTechnologien als Schlüssel, um produktiver,effektiver und reaktionsfähiger zu sein. Vieleasiatische Länder führen diesen Wandel aktivdurch und nutzen Smart-City-Technologien, umihre Megastädte zu stärken. So gilt Singapurnach den USA, als die weltweit smarteste Nation– gemessen am aktuellen Huawei Global Con-nectivity Index (GCI) 2016. Anhand Indikatorenwie Breitband, Cloud Services, Big Data oder

Internationale Reflexionen 82

The making of a smart nation – the Singaporean perspective

Ambassador-at-Large Chan Heng Chee, Lee Kuan Yew Centre for Innovative Cities, SingaporeUniversity of Technology and Design

Jürgen Weyrich

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Internet of Things, wurden Nationen im GCI als„Starters“, „Adopters“ oder „Frontrunners“ kate-gorisiert. Dabei korreliert der GCI mit weiterenRankings, die sich auf die nationale Wettbe-werbsfähigkeit konzentrieren: dem Global Com-petitive Index und dem Global Innovation Index.So kann man feststellen, dass ein hohes Maß anKonnektivität zu einem innovativeren, produktive-ren und wettbewerbsfähigeren Umfeld führt.

Singapur: Die Entwicklung zu einerSmart City

In Singapur wurde die Entwicklung zu einerSmart City seit 1980 systematisch geplant. DieGeschichte und besondere Charakteristika desStadtstaats boten wesentliche Erfolgsfaktoren fürdas Singapurische Projekt: Aufgrund der Knapp-heit an natürlichen Ressourcen habe sich dieWirtschaft in Singapur immer stark an ihrer Bür-gerschaft, Bildung und sozialen Kohärenz orien-tiert. Aktuelle Bildungsstudien wie „The Interna-tional Trend“ in International Maths and ScienceStudy (2016) belegten den Erfolg dieses Ansatzes.Darüber hinaus erlaube die Stabilität des politi-schen Systems langfristige, kontinuierliche undstrategische Maßnahmen, ohne dabei jedochAspekte wie Offenheit, Toleranz und Rechtsstaat-lichkeit aus dem Blick zu verlieren. Vor allemgebe es im Stadtstaat aber nur eine Verwaltungs-ebene: Im Vergleich zu größeren Nationen odergar föderalistischen Strukturen können Reformenin Singapur agiler und schneller umgesetzt wer-den.

In Singapur durchlief die Entwicklung zur SmartCity sechs Phasen, jede basierend auf einerBestandsaufnahme und gemäß der nationalenFünf- bzw. Sieben-Jahres-Aktionsplänen, um Sin-gapur als Smart City weiterzuentwickeln. ZuBeginn standen die Computerisierung der Ver-waltung sowie digitale Aus- und Weiterbildungder Verwaltungsmitarbeitenden im Mittelpunkt.Erst in der Folge verbreitete sich die Digitalisie-rung in der lokalen Wirtschaft (Handel undDienstleistungen), im Bau-, Infrastruktur- undVerkehrssektor sowie im Gesundheitswesen.Zudem folgte der Aufbau von Datenplattformenwie „TradeNet“ für den Handels- und „Portnet“für den Hafenverkehr, „Medinet“ und „Lawnet“für das Gesundheitswesen und den Rechtsbe-reich sowie das „Integrated Land Use System“(ILUS) für Stadt- und Infrastrukturplanung. Wäh-

rend des gesamten Transformationsprozessesfand eine ständige Optimierung der umgesetztenMaßnahmen, des Wissenstransfers, der Aus-und Weiterbildungen, der Anpassung desRechtsrahmens sowie der kontinuierlichen,staatlichen Investitionen in Forschungen und Ent-wicklung statt.

Auf dem Weg zu einer digitalen Gesellschaft istes auch wichtig, diejenigen Bürgerinnen undBürger mitzunehmen, die üblicherweise keineInformations- und Kommunikationstechnologiennutzen – die älteren Generationen, einkommens-schwache Haushalte und Menschen mit Behin-derung. Für diese und weitere Gruppen bietetSingapur nach wie vor spezielle Aus- und Weiter-bildungsprogramme an. Mittlerweile verfügen 90 % der Menschen in Singapur über einen Breit-bandanschluss; 98 % reichen ihre Steuererklä-rung online ein. Bei dieser rasanten Entwicklungzur Smart City gibt es dennoch immer Optimie-rungspotenziale: So produziert die lokale Wirt-schaft derzeit noch wenig für den Weltmarkt.Zudem gilt es, die Start-Up-Szene und die Unter-nehmermentalität der Bürgerinnen und Bürger zustärken. Zuletzt soll die Regierung weiterhin eineFührungsrolle im Smart-City-Prozess einnehmen,die verschiedenen Initiativen demokratisierenund Bottom-up-Ideen aus der Bürgerschaft stärker auffangen.

Singapore´s Economic Development Board:https://www.edb.gov.sg/

Info-Communications Media DevelopmentAuthority of Singapore (IMDA):https://www.imda.gov.sg/

Government Technology Agency of Singapore(GovTech): https://www.tech.gov.sg/

Land Transport Authority: https://www.lta.gov.sg

Lee Kuan Yew Centre for Innovative Cities, Singapore University of Technology and Design:https://lkycic.sutd.edu.sg/

83Internationale Reflexionen

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Wie sieht eine Smart City im Jahr 2040 aus,fragte Direktor Poon King Wang von Lee KuanYew Centre for Innovative Cities, Singapore Uni-versity of Technology and Design, in seinem Bei-trag zum internationalen Workshop.

Bereits 1961 schrieb die Autorin und AktivistinJane Jacobs: „Städte haben die Kapazität fürjeden etwas anzubieten nur weil und nur, wennsie von jedem gestaltet werden“. Nach fünf Jahr-zehnten haben Smart Cities durch digitale Tech-nologien heute diese Kapazität erreicht: Wo frü-her nur Städte auf fortschrittliche Technologienund Innovationen zugreifen konnten, sind dieseheute auch für die Bürgerinnen und Bürger ver-fügbar, die somit aktiv zur Gestaltung ihrer Städtebeitragen können. So können Städte und ihreBürger gemeinsam Innovation schaffen und dieZukunft miteinander und füreinander gestalten.Diese Zukunft untersucht das Lee Kuan Yew Cen-tre for Innovative Cities im Forschungsprojekt„Living Digital 2040“.

Arbeit, Bildung und Gesundheitswesender Zukunft

Im Rahmen des Forschungsprojektes werdenAuswirkungen auf Arbeit, Bildung und Gesund-heitswesen anhand der Entwicklungen in denBereichen Robotik, digitale Organisationskulturenoder Design und Wearables untersucht. Dabeiwird die Stadt über die physikalische Dimensionder Infrastruktur hinaus als Interaktionenbetrachtet. Heute verbinden wir uns mit Hilfe vonDigitaltechnologien und interagieren auf eineneue Art und Weise. So verändern TechnologienInteraktion und letztendlich auch die physikali-sche Umgebung. Insbesondere die drei Hand-lungsfelder Arbeit, Bildung und Gesundheitswe-sen sollen als soziale Institutionen gesehen wer-den, in denen eine Vielzahl unserer Interaktionenstattfinden. Sie tragen wesentlich dazu bei, werwir sind und was wir in unseren Städten tun.

Dabei rufen die digitaltechnologischen Entwick-lungen in diesen Bereichen wichtige gesell-schaftliche Fragen hervor: Werden Arbeitsplätzegeschaffen oder abgebaut? Welche Auswirkun-gen wird die digitale Disruption auf die Bildungoder auf die medizinische Versorgung der Bür-gerschaft haben? Werden neue digitale Spaltun-gen entstehen? Diese und weitere Fragestellun-gen werden im Rahmen des Forschungsprojektesmit Szenarien zur Zukunft der Arbeit, Bildung undGesundheitswesen erarbeitet. So wird beispiels-weise im Bereich der Arbeit zwischen einerraschen und einer inkrementellen technologi-schen Disruption sowie zwischen einer Disrup-tion, von der die meisten Betroffenen profitierenund einer, worunter die meisten leiden, unter-schieden. Anhand dieser vier Szenarien werdenHandlungsempfehlungen sowohl für die städti-sche und unternehmerische als auch für dieEbene der Bürgerinnen und Bürger geleitet.

Die Datenanalyse stellt einen zentralen Bereichauch für die Beschäftigung in der Stadt dar.Anhand einer Datenbank wie dem amerikani-schen Occupational Information Network(O*NET) können alle einzelnen Aufgaben einerTätigkeit aufgelistet und verschiedene Tätigkei-ten anhand gemeinsamer Aufgaben miteinander

Internationale Reflexionen 84

Singaporean impulses for smart cities: Living smart in the future of cities

Poon King Wang, Lee Kuan Yew Centre for Innovative Cities, Singapore University of Technology and Design

Jürgen Weyrich

Page 85: Smart City Charta · 2019-03-29 · „Smart Cities sind nachhaltiger und integrierter Stadtentwicklung verpflichtet.“ So formuliert es die Smart City Charta gleich zu Beginn und

verknüpft werden. Im nächsten Schritt ist esdann möglich zu analysieren, wie die Digitalisie-rung verschiedene Aufgaben und Berufe beein-flusst: Welche werden beispielsweise von Auto-matisierung bedroht, wie verändern sich Aufga-ben in einer Stadt und wie sind bestimmte Aufga-ben in einer Stadt verbunden und räumlich ver-knüpft. Mit gezielten Aus- und Weiterbildung-sowie Umschulungsmaßnahmen kann Beschäfti-gung und Wachstum in der Stadt gefördert wer-den. Ebenso kann die Datenbank dafür genutztwerden, Kapazitäten und Fähigkeiten in der Stadtzu verknüpfen und Unternehmen, Bürgerinnenund Bürger zu befähigen.

Auf ähnliche Weise werden im Themenfeld Bil-dung Modelle dafür erarbeitet, wie das Bildungs-system die von der Gesellschaft benötigtenKenntnisse und Fähigkeiten produzieren undzugleich das Potenzial einzelner Studierende ent-falten kann. Für das Gesundheitswesen greifendie Szenarien und die Handlungsempfehlungendie Herausforderung auf, wie die Gesellschaftinsgesamt gesünder werden kann. Mit Blick aufdie Interaktion, die in diesen Handlungsfeldernstattfindet, sollen die Bürgerinnen und Bürgerauch beruhigt und ihnen die Ängste vor neuenTechnologien genommen werden.

Zusammenfassend können drei zentrale Fragengestellt werden, die für die Zukunft einer SmartCity prägend sind: Wie können Städte heute undmorgen smart sein? Welche kritischen Heraus-forderungen und Möglichkeiten wollen wir ange-hen? Was sind die Alleinstellungsmerkmaleunserer Smart Cities?

Living Digital 2040: https://livingdigital2040.com/

85Internationale Reflexionen

Living Digital 2040: Szenarien für die Arbeit der Zukunft Quelle: Singapore University of Technology and Design

Living Digital 2040: Szenarien für die Bildung der Zukunft Quelle: Singapore University of Technology and Design

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Von den europäischen Beispielen stellte PeterBjørn Larsen von der Hitachi Insight Group die CityData Exchange Copenhagen vor: Eine integrierteDatenplattform, die Hitachi im Auftrag der Stadtund der Region Kopenhagen aufgebaut hat. DiePlattform verfolgt das Ziel, öffentliche und privateDatensätze mit städtischem Bezug auf einem Portalzusammenzuführen und für ihre potenziellen Nutzerbereitzustellen.

In Kopenhagen steht der Klimawandel, neben einerstarken Ausrichtung auf die ökonomische Stärkungder Stadt, im Fokus der Stadtentwicklung. So sollKopenhagen bis zum Jahr 2025 eine CO2 neutraleStadt werden. Zur Erreichung der städtischen Ent-wicklungsziele wird stark in Initiativen wie SmartLighting, sensorbasierte Optimierung der Verkehrs-und Energiesysteme, intelligentes Gebäudemanage-ment sowie in große städtische Neubaugebieteinvestiert. Neue Technologien sollen dabei nicht nurzur Erreichung der städtischen Klimaziele, sondernauch zum ökonomischen Wachstum und zur Profi-lierung von Firmen aus dem „Green-Tech“- und IKT-Bereich beitragen. So ist der Kopenhagener Ansatzauch stark wachstums- und innovationsorientiert.

Datenmarkt für Wirtschaft, Verwaltungund Zivilgesellschaft

So dient auch die Datenplattform in erster Liniedazu, Ziele der Stadt Kopenhagen, insbesondere imKlimaschutz, zu erreichen. Für das Ziel Kopenha-gens, sogar als wachsende Stadt klimaneutral zuwerden und nachhaltige Mobilitäts-, Wohn- und

Arbeitskonzepte voranzutreiben, können Datenaus-tausch und die daraus generierten Dienstleistungeneine bedeutende Rolle spielen. Großes Potenzialbergen nicht nur offene städtischer Datensätze(Open Data), sondern auch die von privaten Unter-nehmen generierten Datensätze. Sie ermöglichenneue Erkenntnisse für die Stadt, Unternehmen undForschungsinstitutionen sowie die Möglichkeit,innovative, datenbasierte Lösungen zu entwickeln.Da Unternehmen für ihre Daten selbstverständlichbezahlt werden möchten, stellte die Stadt Kopenha-gen den Bedarf für einen Datenmarkt fest: Für einePlattform, die als ein Datenmarktplatz für Wirtschaft,Verwaltung und Zivilgesellschaft fungiert, den Aus-tausch der Daten zwischen den verschiedenen Sek-toren fördert, die Lebensqualität, den Klimaschutzund die Wirtschaft stärkt. In einer öffentlichen Aus-schreibung wurde Hitachi mit dem Aufbau undBetrieb der Plattform, der „City Data ExchangeCopenhagen“, beauftragt.

Im Rahmen eines Vorprojektes wurden zunächst dieNutzung und Wirkungen bereits bestehender Daten-portale analysiert. Der unterschiedliche Datenbe-darf der öffentlichen und privaten Akteure wurdemit Interviews erfasst. Im Rahmen der Vorstudiewurden somit sowohl spezifische, für die Akteureinteressante Datensätze als auch gewünschte Nut-zungsmodelle identifiziert, beispielsweise ein Abon-nement-Modell, das den laufenden Bezug aktuali-sierter Datensätze erlaubt. Darüber hinaus ist Hita-chi in den letzten Jahren mit über 500 Organisatio-nen in Dialog getreten, um das Ökosystem des CityData Exchange aufzubauen und zu verstehen. Dabeiwurden zentrale Hindernisse der Open-Data-Nut-zung wie Registrierung, Integration unterschiedli-cher Datenformate und Schnittstellen ermittelt. DerCity Data Exchange Copenhagen stellt somit einenneuartigen Ansatz in der Datenverfügbarkeit dar:Die Plattform ist als Software-as-a-Service-Lösungsowie als One-Stop-Shop gedacht, der für den Ver-kauf, Kauf und den Austausch einer Vielzahl vonDaten aus mehreren Quellen, allen Arten von Benut-zern einer Stadt – Bürgerschaft, Stadtverwaltung,Unternehmen und Start-Ups – bereitsteht.

Die aktuell auf der Plattform gegen Entgelt bereitge-stellten privaten Datensätze umfassen Daten überUmweltverschmutzung aus Satelliten, Daten ausSimulationen zur Klimaanpassung und zu Überflu-tungen, Verkehrsdaten der Metro oder der Stadt-fahrräder, Verbrauchereinsichten aus verschiede-nen Open-Data-Portalen sowie Daten über die digi-tale Vernetzung (über Wi-Fi- oder Niederfrequenz-netzwerke) und die Nutzung sozialer Medien. Dabei

Internationale Reflexionen 86

City Data Exchange & Big Data Platform Copenhagen

Peter Bjørn Larsen, Hitachi Insight Group

Jürgen Weyrich

Page 87: Smart City Charta · 2019-03-29 · „Smart Cities sind nachhaltiger und integrierter Stadtentwicklung verpflichtet.“ So formuliert es die Smart City Charta gleich zu Beginn und

werden die einzelnen Datensätze besonders inte-ressant, wenn man sie übereinanderlegt undZusammenhänge analysiert. So kann beispiels-weise ermittelt werden, welche Faktoren das Mobi-litätsverhalten von verschiedenen Bevölkerungs-gruppen wann und wie beeinflussen. Anhand die-ser Analyse können im nächsten Schritt gezieltDienstleistungen für die Bedürfnisse der Menschenentwickelt werden.

Vorteile eines städtischen Datenmarktes

Die City Data Exchange Plattform soll dem Problemder fehlenden Transparenz, der Unübersichtlichkeitund der erschwerten Einsicht in Daten durch stän-dig neu entstehende Datenportale Abhilfe schaffen.Es soll frei verfügbare Daten aus öffentlichenDatenportalen in Dänemark kombinieren und mitprivaten Daten von Unternehmen zusammenführen.Für Unternehmen stellt der Verkauf von Daten, diefinanzielle Kompensation und die Möglichkeitandere Daten zu erwerben, einen ersten Anreiz zurTeilnahme dar.

Ein weiterer Vorteil, den ein Datenportal wie derCity Data Exchange bietet, ist die Erschwinglichkeitvon Daten. Insbesondere für kleine und mittelstän-dische Unternehmen sowie Start-Ups, sind Eins-zu-Eins-Transaktionen zwischen Bereitstellenden undDatenkäufern häufig zu teuer. Ein Datenportalermöglicht es aber, zu identifizieren, welche vonden existierenden Daten genutzt werden oder fürwelche Daten es Nachfrage durch viele Käufergeben könnte. Das macht die Daten erschwingli-cher, wodurch auch wirtschaftliches Networking

gefördert, neue Märkte, Anreize und Initiativengeschaffen werden können. Dabei sieht Hitachisich in der Rolle eines „Brokers“ oder Plattform-Betreibers, z. T. vergleichbar mit Plattformen wieEbay (im Hinblick auf die Preisfindung der Daten)oder AirBnB (im Hinblick auf das Geschäftsmodell):Die Datensätze gehören dem Konzern nicht; er fun-giert als Vermittler zwischen den verschiedenenOrganisationen und Institutionen, die Daten gene-rieren und potenziell nutzen könnten. Weiterhinstellt Hitachi Analysetools und Visualisierungen zurVerfügung.

Zum Thema Preisfindung bietet die City DataExchange Copenhagen den Unternehmen zusätzli-che Workshops an, in denen gemeinsam analysiertwird, wie selten oder wertvoll ihre Daten sind: DenPreis ihrer Datensätze bestimmen letztendlich dieUnternehmen aber selbst. Mit Blick auf eine mög-lichst breite Nutzung der Plattform bestehen nochHerausforderungen in den Bereichen Datenverfüg-barkeit, Kompetenzen in der Datenbearbeitung(sowohl in Unternehmen als auch in dem öffentli-chen Sektor), finanzielle Herausforderungen sowieein genereller Mangel an Big-Data-Geschäftsmo-dellen. Hitachi arbeitet mit Unternehmen und derStadt Kopenhagen, um weitere Datenquellen zuidentifizieren sowie Erkenntnisse für neue Projekteund Geschäftsmodelle auf Basis des City DataExchange zu erzielen.

Copenhagen Solutions Lab: http://cphsolutionslab.dk/

City Data Exchange Kopenhagen: https://www.citydataexchange.com/#/home

87Internationale Reflexionen

Entwicklungsziele der StadtKopenhagenQuelle: Hitachi Insight Group

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Carolyn Hassan, Direktorin des Knowle WestMedia Centre (KWMC), einer lokal angesiedeltengemeinnützigen Organisation in Bristol, stellteeinen Bottom-up-Ansatz zur Datengenerierung und-nutzung für sozialen Mehrwert in der Stadt vor.

KWMC ist Mitglied im europäischen Netzwerk derLiving Labs (ENoLL). Im Bristols Living Lab arbeitetKWMC mit lokalen Gemeinschaften, Bürgerinnenund Bürgern, Unternehmen und Künstlern an derFrage, wie Digitaltechnologien zu lokalen Herausfor-derungen angewendet werden können.

Bristols Ansatz beruht auf sogenanntem „CitizenSensing“, einer Vorgehensweise, in der Bürgerin-nen und Bürger durchgehend, von der Projektkon-zeption über Datenerfassung bis zur gemeinsamenLösungsentwicklung, involviert sind.

Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger – ein Schwerpunkt für BristolsSmart-City-Ansatz

Bristol, das im Jahr 2016 zur führenden Smart City inGroßbritannien ausgezeichnet wurde, versucht dieZivilgesellschaft stark in die Ausgestaltung derSmart City einzubeziehen. Bereits im Rahmen desProjektes „Connecting Bristol“, das vom Bristol CityCouncil initiiert wurde und den Auftakt der dortigenSmart-City-Entwicklung darstellte, wurde die Bür-gerschaft in den Diskussionen beteiligt. Unter Einbe-

ziehung von Bürgerinnen, Bürgern und organisier-ten zivilgesellschaftlichen Gruppen wurde diskutiert,was Smart City für Bristol bedeuten könnte. Nochheute gilt die Beteiligung der Zivilgesellschaft alseine der Leitideen des Bristoler Ansatzes: sowohlhinsichtlich der Identifikation von Bedarfen undInteressensgemeinschaften wie auch der Gewin-nung und Nutzung von Daten.

Neben der starken Einbeziehung der Zivilgesell-schaft zeichnen Bristols Strategie zwei Schwer-punkte aus: Erstens ist das physische Netzwerk, dietechnische Infrastruktur, im Eigentum der Stadt undFundament der Smart City. Zweitens wird das ICT-Netzwerk auf eine „Software-Defined“ Art undWeise entwickelt: Die Stadt strebt aktiv an, Herstel-lerbindungen und Abhängigkeiten zu spezifischenDienstleistern zu vermeiden, um autark zu bleiben.Hierzu hat sich Bristol intensiv mit verschiedenenDatenformaten und Programmierschnittstellen(APIs) auseinandergesetzt sowie die Expertise derlokalen Universität eingebunden. Die Plattform„Bristol is Open“ – ein Joint Venture zwischen demBristol City Council und der Universität Bristol –stellt ein Testfeld für Forschung und Entwicklung derseitens der Stadt Bristol zur Verfügung gestelltenInfrastruktur dar. Dabei kooperiert auch Bristol mitgroßen, global agierenden Technologiekonzernenwie NEC und Nokia. Im fünfjährigen EU-ProjectREPLICATE arbeitet Bristol mit den PartnerstädtenSan Sebastian und Florenz an der Frage, wie dieStadtgesellschaft und verschiedene Gemeinschaf-ten vom Einsatz von Digitaltechnologien auf denStraßen und zu Hause profitieren könnten.

Konkrete Prozessschritte für eine co-creierte Smart City

Bristol ist eine relativ kleine britische Stadt mit etwa450 000 Einwohnerinnen und Einwohnern, die nachvielen Kriterien als erfolgreich bezeichnet werdenkann. Zugleich hat Bristol jedoch wie viele andereStädte auch Bereiche und Viertel, die mit langfristigenHerausforderungen von Arbeitslosigkeit und sozialerSpaltung kämpfen. Anstatt den Fokus auf „Early Adop-ters“ oder auf IKT-Unternehmen zu setzen, arbeitetdas Knowle West Media Centre im Rahmen derSmart-City-Strategie Bristols im Sinne eines aufsu-chenden Dialogs gerade mit diesen Gemeinschaftenund schwer zu erreichenden Gruppen.

Zentral für Bristols Smart-City-Ansatz ist der Einbezugder Bürgerschaft. Das Konzept, das KWMC gemein-sam mit dem Partnerbüro „Ideas for Change“ aus Bar-celona entwickelte, gliedert sich in sechs konkrete

Internationale Reflexionen 88

The Bristol Approach – Making a Contributive City

Carolyn Hassan, Knowle West Media Centre

Jürgen Weyrich

Page 89: Smart City Charta · 2019-03-29 · „Smart Cities sind nachhaltiger und integrierter Stadtentwicklung verpflichtet.“ So formuliert es die Smart City Charta gleich zu Beginn und

Prozessschritte, die eine effektive Zusammenarbeitzwischen verschiedenen Gruppen an der Identifizie-rung von lokalen Herausforderungen, an der Entwick-lung von technologischen Instrumenten und Lösungs-ansätzen, an der Datengenerierung, Umsetzung undEvaluation ermöglichen.

In 2016 wurde Bristols Ansatz von KWMC pilotiert. Sowurden in der ersten Phase – Identifikation – lokaleHerausforderungen gemeinsam mit Bürgerinnen undBürgern identifiziert. Die Herausforderungen solltenunterschiedliche Bevölkerungsgruppen, wenn nichtalle Einwohner, betreffen. Eine zentrale Rolle in dieserThemenfindungsphase wurde in Bristol lokalenKünstlern zuteil, die beispielsweise in Bars und Caféswichtige Zukunftsthemen an die Bürgerinnen undBürgern herangetragen haben. Ebenfalls wurdenNetzwerktreffen mit der örtlichen Öffentlichkeit undmit verschiedenen Interessens- und Bevölkerungs-gruppen organisiert, um ein repräsentatives Bild zuerhalten. In Bristol wurden dabei drei Themen beson-ders betont: Für selbständige Händler an den Haupt-einkaufsstraßen galt die Abschätzung von Kunden-zahlen als eine zentrale Herausforderung, Umwelt-schützer wollten Daten zur Biodiversität erfassen undPrivathaushalte berichteten über Schimmel undFeuchtigkeit in den Gebäuden.

In der Framing-Phase wurden Workshops zu dengenannten Fragestellungen organisiert, in denenThemen untersucht, anschließend eingegrenzt undbestehendes Wissen zusammengetragen wurde. Sokonnte man abschätzen, welche Daten zu dengenannten drei Problemen bereits vorhanden sind,welche Daten noch fehlen und wie diese generiertwerden könnten. Externe Stakeholder, wie bei-spielsweise Umweltorganisationen, wurden in dieWorkshops miteinbezogen.

In der nachfolgenden Design-Phase wurden in Co-Design-Workshops zunächst zum Problem „Schimmelund Feuchtigkeit“ gemeinsam mit Bürgerinnen undBürgern, Künstlern und Stakeholdern Maßnahmenentwickelt: Dies war die Fragestellung, die das größtelokale Interesse und Momentum weckte. KWMCunterstützte die Gruppe in der Entwicklung froschför-miger Sensoren für die Schimmelmessung im eigenenZuhause und eines Prototyps für eine Online-Platt-form für Dateneinreichung, die in der Deployment-Phase getestet wurden. Nach der Datengenerierungund -analyse wurde anschließend ein Lösungswork-shop durchgeführt, um Probleme und Lösungspoten-ziale breiter zu kommunizieren. Partizipative Budge-tierung und gemeinsame Nutzung eines Online-Kom-munikationstools trugen zur Transparenz unter denBeteiligten bei.

In diesem Pilotprozess wurden wichtige Erkennt-nisse gewonnen:

• Beteiligungsprozesse müssen iterativ gestaltetund alle Maßnahmen im Prozess Schritt fürSchritt entwickelt werden.

• Die verschiedenen Phasen im Bristols Ansatzmüssen im Hinblick auf die lokalen Gegeben-heiten angepasst werden, anstatt mit festge-legten Prototypen zu arbeiten. In dieser Hin-sicht sollte eine gemeinsam entwickelte SmartCity besonders Herausforderungen und The-men betrachten, die Relevanz für den Alltagihrer Bürgerinnen und Bürger haben: Nur,wenn sie die Interaktion mit dem Projektteam –oder mit der Stadtverwaltung – sowie die Akti-vität für ihr Leben und Gemeinschaften wichtighalten, investieren sie ihre Zeit und beteiligensich.

• Die Umsetzungsphase in Bristols Ansatz solltekreativ gestaltet sein, wo immer möglich: Dadie Arbeit mit den Froschsensoren den BürgernSpaß gemacht hat, waren sie engagiert, mitzu-machen und ihre Daten einzureichen.

• Letztendlich sind gute, kommunikationsfähigePartner wie lokal angesiedelte Organisationender Gemeinwesenarbeit nötig, um Projektegemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgernerfolgreich umzusetzen.

Positive Auswirkungen über das Pilotprojekt hinaus

Über das einzelne Projekt hinaus trug der Citizen-Sensing-Ansatz wesentlich zum Vertrauen zwi-schen der Bürgerschaft und den teilnehmendenAkteuren bei. Die Bürgerschaft konnte sehen, welche Auswirkungen eine Teilnahme an solchenProzessen in der Stadt haben könnte, womit Bereit-schaft für weiteres bürgerschaftliches Engagementgestärkt wurde.

Aus Sicht der Beteiligten bleibt es wichtig festzu-halten, dass es die Bürgerinnen und Bürger sind,die Veränderungen in einer digitalen Stadt herbei-führen und sie in dieser Aufgabe zu befähigen. Sokönnen Daten, Erkenntnisse und Fähigkeiten derBürgerinnen und Bürger, die im Rahmen solcher Ini-tiativen entstehen, als co-creierte „City Commons“,als städtische, gemeinschaftlich produzierteGemeingüter, betrachtet werden.

Knowle West Media Centre (KWMC):http://kwmc.org.uk/

Bristol City Council: https://www.bristol.gov.uk/

Connecting Bristol: https://www.connectingbristol.org/

Bristol is Open: https://www.bristolisopen.com/

89Internationale Reflexionen

Page 90: Smart City Charta · 2019-03-29 · „Smart Cities sind nachhaltiger und integrierter Stadtentwicklung verpflichtet.“ So formuliert es die Smart City Charta gleich zu Beginn und

Sladjana Mijatovic, Program Manager CircularEconomy & Urban Innovation in der Stadt Ams-terdam, präsentierte den kooperativen AnsatzesAmsterdams für Smart Cities.

Als Eckpfeiler gelten die Gründung des Postensund Büros eines Chief Technology Officers fürden stadtverwaltungsinternen Aufbau von Digita-lisierungskompetenzen sowie die Kooperation miteiner Vielzahl von Akteuren im Rahmen des Netz-werkes Amsterdam Smart City, einer öffentlich-privaten Partnerschaft.

Amsterdams Smart-City-Initiative begann 2009mit der Erneuerung der städtischen Infrastruktur.Da Amsterdam stark mit bis zu 11 000 Personenim Jahr wächst, bleibt es eine Herausforderung,den Zuwachs unterzubringen und dabei die CO2-Emissionen zu senken: Beispielsweise sollen dievielen alten Gebäude in der Stadt saniert werden,um nachhaltige Wohnflächen zu schaffen.Zugleich dienen große neue, urbane Bau- undEntwicklungsflächen als Experimentierflächen fürnachhaltiges Bauen und Planen sowie smarteGebäude-, Energie- und Verkehrssysteme. Darü-ber hinaus sollen sowohl die 180 Nationalitäten,die in Amsterdam leben als auch die vergleichs-weise dynamische, junge Einwohnerschaft

Amsterdams in die Stadt integriert werden. Einbesonderes Merkmal Amsterdams stellt zudemdie hohe Nutzung von Fahrrädern im Stadt- undArbeitsverkehr dar.

Um ihrer besonderen Bevölkerung als auch denheutigen und zukünftigen Herausforderungengerecht zu werden, hat die Stadt Amsterdameinen kooperativen Ansatz entwickelt, der aufOffenheit, Leadership und Infrastruktur beruht.Dabei sieht sich die Stadt Amsterdam als einender vielen Netzwerkpartner in der Smart-City-Ent-wicklung. So gehörten zu den Treibern der Smart-City-Initiativen in Amsterdam zunächst auch dieAlliander AG (Betreiber der niederländischenGas- und Stromnetze) sowie das „AmsterdamEconomic Board“ (AEB), eine öffentlich-privatePartnerschaft, deren Fokus auf der Wirtschafts-förderung sowie auf fünf zentralen Herausforde-rungen liegt: Gesundheit, Mobilität, digitale Ver-netzung, Kreislaufwirtschaft und Arbeit derZukunft. Zu den Mitgliedern des AEB gehörenneben den Städten Amsterdam, Almere, Zaans-tad und Haarlemmermeer und Vertretern derRegion Nord-Holland wissenschaftliche Instituteund Schlüsselakteure aus dem privaten Sektor,wie beispielsweise die Geschäftsführungen desFlughafens Schiphol, des AMS-IX (AmsterdamInternet Exchange) sowie der Amsterdam Arena.

Heute wird die Initiative „Amsterdam Smart City“(ASC) als eine öffentlich-private Partnerschaftaus dem Amsterdam Economic Board, der StadtAmsterdam, dem TelekommunikationsanbieterKPN, dem Postdienstanbieter PostNL, der Unter-nehmen Alliander und Engie, der Beratergesell-schaft Arcadis, der Amsterdamer Hochschule,der Amsterdam Arena und der Non-Profit-Organi-sationen Waag Society und Pakhuis de Zwinger,mit Fokus auf der Beteiligung der Bürgeschaft,koordiniert. An den über 175 Projekten der ASCwaren bisher über 300 verschiedene Partnerbeteiligt.

Im Amsterdam-Smart-City-Netzwerk ist die StadtAmsterdam somit nur einer der Partner unterweiteren öffentlichen, privaten und wissen-schaftlichen Akteuren. Im Netzwerk will die StadtAmsterdam ihrer Bürgerschaft und ihrer lokalenWirtschaft die für Innovation, Wachstum undnachhaltige Entwicklung benötigten Instrumenteund Infrastruktur zur Verfügung stellen. Hierzusucht die Stadt aktiv nach konkreten städtischenoder gesellschaftlichen Herausforderungen –„Moonshots“ – zu deren Lösung Smart-City-

Internationale Reflexionen 90

Amsterdam and Data-Driven City Management

Sladjana Mijatovic, City of Amsterdam

Jürgen Weyrich

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Initiativen einen Beitrag leisten können. Um dieseMoonshots werden wechselnde Kooperationenund strategische Partnerschaften gebaut undLösungen auf einer gemeinsamen Plattform desNetzwerkes www.amsterdamsmartcity.comausgetauscht.

Für den internen Aufbau von Kompetenzen hattedie Stadtverwaltung Amsterdams entschieden,ein städtisches Chief Technology Office (CTO)einzurichten. Das CTO hat die Aufgabe, als zen-traler Ansprechpartner sowohl für externeKooperationspartner als auch für die verschiede-nen Ämter der Stadt zu dienen. Die Themen, mitdem das CTO sich aktuell befasst, reichen vonder Kreislaufwirtschaft und Sharing Economy bishin zur Datennutzung, Smart Mobility, e-Healthund Future Governance. Durch Koordinierungund Umsetzung von Smart-City-Projekten in diesen Themenbereichen und Beteiligung derstädtischen Ämter in den jeweiligen Projektensoll Innovation in der Stadt gefördert und verwal-tungsinterne Kompetenzen aufgebaut werden.Letztendlich gilt es als Ziel, die Ämter in derDurchführung ihrer eigenen Digitalisierungs -projekte zu befähigen.

Das Circular Innovation Programm der StadtAmsterdam gilt als ein Beispielprojekt: Im Rah-men des Projektes werden zunächst anhand ver-schiedener Daten die Material- und Stoffflüsse inder Stadt, zwischen der Industrie, solche desHandels und der Haushalte untersucht, um imnächsten Schritt Ökosysteme zu identifizieren, indenen die Kreislaufwirtschaft weiterentwickeltund gefördert werden könnte. Mit Beteiligungvon relevanten Stakeholdern werden Maßnah-men beispielsweise für die Felder CircularEnergy, der Lebensmittelverwertung sowie fürden Baubereich entwickelt. Auf Quartiersebenewerden die verschiedenen Initiativen der Kreis-laufwirtschaft beispielsweise in dem aktuell neuentwickelten Stadtteil Buiksloterham pilotiert undevaluiert.

So kann der Amsterdamer Ansatz als ein„Middle-Out-Modell“ bezeichnet werden: FürAmsterdam ist es wichtig, seine strategische Orientierung zu stärken und umzusetzen undzugleich Raum für Bottom-up-Ideen und Experi-mente zu erlauben und Methoden der DesignThinking anzuwenden. Beispielsweise will dieStadt Plattformen wie AirBnB oder Uber nichtverbieten, sondern gemeinsam mit den Unterneh-men Wege zur Kooperation suchen. Im Hafen vonAmsterdam hat die Stadt eine „Freezone“ mitaufgelockerter Regulierung zum Pilotieren ver-schiedener Smart-City-Konzepte gegründet undunterstützt Start-Ups mit Ideenwettbewerben undeinem Smart Citizens Lab, in dem Technologien

und Ideen diskutiert und getestet werden können.Wissenschaftliche Kooperationen bestehendarüber hinaus mit dem Amsterdam Institute forAdvanced Metropolitan Solutions: Ein wissen-schaftliches Institut, das 2014 in Amsterdam nacheinem vom Gemeinderat initiierten Wettbewerbgegründet wurde und sich, unter Beteiligung vonWissenschaft, Bildung, Verwaltung und Unter-nehmenspartnern mit verschiedenen urbanenHerausforderungen befasst. Die UniversitätWageningen, das Massachusetts Institute ofTechnology (MIT) sowie die Technische Universi-tät Delft bilden den akademischen Kern der Initiative.

Auf internationaler Ebene ist Amsterdam von derEuropäischen Kommission zum European Capitalof Innovation 2016-2017 gewählt worden. DesWeiteren hat Amsterdam die „Global Smart City& Community Coalition“ (GSC3) ins Leben geru-fen, mit dem Ziel, Herausforderungen, Lösungenund Projekte internationaler Smart Cities bekanntzu machen und neben Wissenstransfer auch dieZusammenarbeit zwischen verschiedenen Städten zu erleichtern.

Amsterdam Economic Board: https://www.amsterdameconomicboard.com

Amsterdam Smart City: https://www.amsterdamsmartcity.com

Global Smart City & Community Coalition (GSC3):https://www.gsc3.city

91Internationale Reflexionen

Grafische Darstellung desSmart-City-Ansatzes der StadtAmsterdam Quelle: Stadt Amsterdam

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Kölns Partnerstadt Stockholm im EU-Projekt„GrowSmarter“ wurde von Gustaf Landahl,Abteilungsleiter für Planung und Umwelt imUmwelt- und Gesundheitsamt vertreten.

Er präsentierte Stockholms Smart-City-Ansatz,der wesentlich von vier Säulen der „Vision 2040 –ein Stockholm für Jedermann“ getrieben ist:Stockholm soll als eine sozial, klimatisch, finan-ziell und demokratisch nachhaltige Stadt entwi-ckelt werden.

Smart City als Mittel für städtischeNachhaltigkeitsziele

Mit über 930.000 Einwohnern ist Stockholm daspolitische und wirtschaftliche Zentrum Schwe-dens: Bis zum Jahr 2022 werden eine Million inder schwedischen Hauptstadt und über zwei Mil-lion Menschen in der Großregion Stockholmleben. Aktuell wächst Stockholm von den euro-päischen Hauptstadtregionen am schnellsten. Soliegen langfristige Herausforderungen für dieStadt in der Schaffung von bezahlbarem Wohn-raum sowie in der Erfüllung ihrer ehrgeizigen Kli-maziele: Die Stadt Stockholm will bis 2040 frei vonfossilen Brennstoffen sein. So wurde Stockholmim Jahr 2010 als „Umwelthauptstadt Europas“

ausgezeichnet und hat den Anspruch, bis 2030die „Umwelthauptstadt der Welt“ zu werden undeinen nachhaltigen Lebensstil ihrer Bewohnerfördern. In der Ausgestaltung ihrer Vision will dieStadt darüber hinaus offen, innovativ und verbun-den sein und die gesellschaftliche Teilhabe ihrerEinwohner verbessern.

Da neue Technologien helfen können, diese Zielezu erreichen, betrachtet Stockholm sie mit Inte-resse – jedoch als Mittel zum Zweck und nichtals Ziele an sich selbst. Die Voraussetzungen fürden Einsatz von neuen Digitaltechnologien sind inStockholm denkbar günstig: Als der SchwedischeStaat in den 1990er Jahren das Telekommunikati-onsnetz privatisieren wollte, kaufte die Stadt die-ses. Seitdem wurde das Stokab-Netz zum welt-weit größten offenen Glasfasernetz ausgebaut,die Breitband-Abdeckung beträgt 100 %. Ein Bei-spiel für heutige Aktivitäten Stockholms auf derSuche nach Innovationen stellen die jährlichenStockholm Open Awards, ein Open-Data-Wettbe-werb zur Generierung von digitalen Lösungen fürein nachhaltiges Stockholm, dar. Darüber hinausbietet Stockholm städtische Dienstleistungendigital in Form von E-Services an und fördertApps wie beispielsweise „Tyck till“ – einen Stö-rungsmelder, der bereits über 100 000 Maleheruntergeladen wurde.

Bis vor kurzem hatte die Stadt noch keine defi-nierte Smart-City-Organisationsstruktur. Nunwurde die bisherige IKT-Abteilung der Stadt zueinem „Digitalisation Renewal Office“ ausgebaut,das von einem Chief Information Officer (CIO)geleitet wird. Die Zuständigkeiten des Amtesumfassen die stadtinterne Koordination der digi-talen Transformation, darunter die technologi-sche Entwicklung, die Beschaffung von Dienst-leistungen, die Digitalisierung der Verwaltungsowie die Entwicklung von E-Services. Auch dieE-Service- und Green-IT-Strategien Stockholmstragen zu einer effizienten Kooperation zwischender Stadtverwaltung, der lokalen Wirtschaft, Wis-senschaft und Zivilgesellschaft bei. Dabei wer-den viele Digitalisierungsprojekte auch von ver-schiedenen Fachverwaltungen der Stadt Stock-holm koordiniert.

EU-Projekt GrowSmarter: Entwicklungvon replizierbaren Lösungen

Aktuell ist Stockholm neben Köln und Barcelonaeine der Leuchtturmstädte im EU-Projekt„GrowSmarter“ (2015-2019). Dem Ansatz des Pro-

Internationale Reflexionen 92

Sustainable Stockholm

Gustaf Landahl, City of Stockholm

Jürgen Weyrich

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jekts liegt die Annahme zugrunde, dass jedeStadt trotz ihrer Unterschiede grundsätzlich vorden gleichen Herausforderungen steht: Bei-spielsweise der Bedarf an mehr und besserenWohngebäuden, die Verbesserung der Energieef-fizienz, das Management von Abfall, Wärme,Strom und Kommunikation sowie der Transportvon Menschen und Gütern. Seit 2015 haben dieProjektpartner 12 „smarte“, untereinander ver-netzte Lösungen in drei Kategorien entwickelt,die von der großen Mehrheit der Städte ange-wendet werden können.

Die erste Kategorie der Lösungen stellen Niedrig-energiequartiere dar. Hier steht die energieeffi-ziente Sanierung, unter Berücksichtigung wirt-schaftlicher, finanzieller, ökologischer und sozia-ler Gesichtspunkte im Fokus. In Stockholm wur-den v. a. Gebäude in städtischem Besitz durchden Austausch von Fenstern, der Verbesserungder Isolierung und die Installation von Lichtsen-soren in Fahrstühlen saniert. Zugleich wurde dieBaustellenlogistik verbessert: z. B. werden Bau-materialien anstelle sie individuell durch diegesamte Stadt zu fahren und an den Baustellenzu lagern über gemeinsame Logistikzentren in derStadt verkehrssparend und bedarfsgerecht gelie-fert. Darüber hinaus werden Energiesparmaß-nahmen in Haushalten in Form von Informations-kampagnen für Mieter oder von Energiesparwett-bewerben in Hauseinheiten bzw. Quartierengefördert. Für die Energieproduktion vor Ort wer-den Möglichkeiten zur Einspeisung in das lokaleStromnetz oder in Elektrofahrzeugen entwickelt.

In der zweiten Hauptkategorie des Projektes, imBereich der integrierten Infrastruktur, werdenLaternen- und Ampelmasten als Kommunikati-ons-Knotenpunkte betrachtet. Neben einer durchSensoren gesteuerten Beleuchtung, können hierSynergien zu anderen (städtischen) Dienstleis-tungen entstehen. Des Weiteren wird untersucht,wie mithilfe von neuen GeschäftsmodellenAbwärme besser in das Nahwärmenetz integriertund wie Abfall effektiver in Strom, Wärme oderBiokraftstoffe für Fahrzeuge umgewandelt wer-den kann. Zuletzt soll Big Data eingesetzt wer-den, um Energie zu sparen und Lebensqualität zuverbessern, etwa durch die anonymisierte Nut-zung von Standortinformationen von Smartpho-nes, um die Verkehrssteuerung zu verbessern.

Nachhaltige Mobilität bildet den dritten Schwer-punkt des Projektes. Die nachhaltige Lieferungvon Gütern soll etwa durch Nutzung von ver-

schlüsselten Paketboxen in den Hauseingängenerreicht werden und Verkehrsmanagement durchdie Verlagerung der Priorität auf Bus- und Güter-verkehr in der Stadt optimiert werden. Um Trans-portprozesse zu dekarbonisieren und die Luftqua-lität in den Städten zu verbessern, soll die Nut-zung alternativer Antriebe erleichtert und Bike-und Carsharing-Angebote in der Stadt verbreitetwerden. In Stockholm werden entsprechendeMaßnahmen aus den drei Themenbereichen in dem schnell wachsenden Stadtteil Årstagetestet.

Dabei geht es für die Leuchtturm-Städte von„GrowSmarter“, Stockholm, Barcelona und Köln,nicht darum, die verschiedenen Ansätze zu tes-ten, sondern deren wirklichen Mehrwert sowohlfür die Städte als auch für die beteiligten Indus-triepartner und deren Kunden zu demonstrieren.Dieser wird anschließend durch Forschungspart-ner des Projektes verifiziert.

Stockholms stad | City of Stockholm: http://international.stockholm.se/

Vision 2030 – A guide to the future: http://international.stockholm.se/globalassets/ovriga-bilder-och-filer/framtidsguiden_eng.pdf

e-sthlm – The city of Stockholm’s strategy for e-services and the technology for the future:http://international.stockholm.se/globalassets/ovriga-bilder-och-filer/e-strategy-city-of-stock-holm.pdf

EU-Projekt GrowSmarter: http://www.grow-smarter.eu/home/

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Für Münchens Partner-Stadt Wien im EU-Projekt„Smarter Together“ trug dessen dortige Manage-rin Julia Girardi-Hoog sowohl den grundsätzli-chen Ansatz der Stadt Wien zu Smart Cities,aktuelle Erkenntnisse aus dem Projekt sowieErfahrungen aus der Seestadt Aspern – einemder bekanntesten europäischen Smart-City-Stadtentwicklungsprojekte – vor.

Wien, die Hauptstadt Österreichs mit 1,8 Millio-nen Einwohnern, zählt zu einer der lebenswertes-ten Städte der Welt. Die Stadt Wien ist für ihrensozialen Wohnungsbau weltweit bekannt undsetzt auch im Bereich Smart Cities verstärkt aufnachhaltige Entwicklung und soziale Inklusion.

Ein umfangreicher Smart-City-Strategieprozess

In Wien wurde 2011 zuerst ein Dialogprozess zuder Smart-City-Strategie und zur Ausrichtung derStadt Wiens initiiert. Neben den anfangs im Vor-dergrund stehenden IT-Themen, waren der Stadtund ihrer Stakeholder die Integration und dieLebensqualität besonders wichtig. So wurden amEnde die drei Themen Lebensqualität, Ressour-cen und Innovationen als Schwerpunkte einerlangfristigen Rahmenstrategie festgelegt, die imJuni 2014 vom Gemeinderat beschlossen wurdeund bis 2050 ausgerichtet ist.

Sowohl in der Strategie als auch in den verschie-denen anderen Aktivitäten Wiens wird „smart“zunächst als nachhaltige Stadtentwicklung ver-standen. So soll die Rahmenstrategie sowohl dieEuropäischen Klima- und Energieziele als auchverschiedene sektorale Programme integrieren.Angestrebt wird eine hohe, sozial ausgeglicheneLebensqualität und radikale Ressourcenscho-nung durch Entwicklung und produktiven Einsatzvon Innovationen und neuen Technologien: Digi-talisierung und der Einsatz neuer Informations-und Kommunikationstechnologien werden alsInstrumente zur Zielerreichung betrachtet.

Für Wien und ihre Stadtverwaltung entstanddabei Bedarf für neue Organisationsstrukturenund Wege der Entscheidungsfindung. Um dieStrategie auf höchster Ebene der Stadtverwal-tung zu verankern, wurde eine SteuerungsgruppeSmart City Wien gegründet, die direkt unter demBürgermeister angesiedelt ist und betroffeneRessorts, öffentliche Unternehmen und Stadt-werke zusammenbringt. Auf der Arbeitsebenewird zudem eine Arbeitsgruppe Smart City Wienvom Planungsdirektor der Stadt geleitet. Einedritte Organisationsebene stellt die TINA Vienna,die Smart City Agentur der Stadt Wien dar. Nebender Arbeitsgruppe Smart City fungiert TINAVienna als Bindeglied zwischen verschiedenenInitiativen und Programmen sowie zwischeninternen und externen Stakeholdern. Sie nimmtzudem internationale Aufgaben, wie z. B. die Ver-mittlung Wiener Best Practices, wahr. Zum Auf-bau neuer Organisationsstrukturen kommt nochdas Monitoring der Strategie: Die Rahmenstrate-gie und ihre 52 verschiedenen Ziele werden kon-tinuierlich ausgewertet, um die Strategie beiBedarf anpassen zu können.

EU-Projekt Smarter Together: Smart-City-Lösungen mit den Einwohnern auf Quartiersebene

Im Rahmen des EU-Projektes Smarter Togetherwerden Smart-City-Lösungen nun seit einem Jahrim Stadtteil Simmering auf Quartiersebeneerprobt. Ein besonderes Merkmal des Projektesstellt der Ansatz dar, Konzepte für nachhaltigeMobilität oder für energieeffiziente Quartiere ineinem bestehenden Stadtteil, der als klassischerArbeiterbezirk gilt und einen hohen Anteil vonsozialem Wohnungsbau besitzt, zu entwickelnund zu testen. Die Teilprojekte reichen von derenergetischen Sanierung von Wohnblöcken bishin zum ersten Mobilitätszentrum Wiens mit

Internationale Reflexionen 94

Smarter together – gemeinsam g’scheiter

Julia Girardi-Hoog, Stadt Wien

Jürgen Weyrich

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Carsharing, E-Bike-Testing, elektrisch betriebe-nen Gabelstaplern und E-Mobilen für die Postzu-stellung – alles Maßnahmen, die auf großes Inte-resse der Einwohner stoßen. Dabei werden dieErgebnisse des Projektes genau gemessen: Dankeines integrierten Evaluationskonzeptes kann dieStadt zum ersten Mal den realen Energiever-brauch einbeziehen, wo bisher nur theoretischeDaten vorhanden waren.

Insbesondere in einem sozial schwächerenStadtteil ist die Kommunikation mit den Einwoh-nern zentral für das Gelingen der Initiativen. Wiekann man Menschen mit geringerem Bildungs-stand und häufig geringerer sozialer Teilhabeüberzeugen, Energie zu sparen oder seltener dasAuto zu nutzen? Da bereits bei der Sanierung vonWohnblöcken viele Ängste und Fragen seitensder Einwohner aufkamen, mussten Konzepte fürVertrauensbildung und Beteiligung entwickeltwerden. Durch an die Menschen angepasstenund verständlichen Dialog konnte letztendlicheine Zusammenarbeit erreicht werden. Zu dieserVertrauensbildung trug wesentlich die Beteili-gung bei: So entschieden die Einwohner z. B., wiesie die Fassaden streichen wollen oder wasgepflanzt werden soll. Zudem war es wichtig, dieEinwohner zum Umgang mit neuen Technologienwie mit dem Energiesparsystem zu schulen:Sodass sie Fenster nicht wie gewohnt öffnen unddie Heizung nicht wie gewohnt aufdrehen – umerfolgreich zu sein, braucht Smart Metering auchsmarte Mieter.

Ein ganz anderes Beispiel ist Aspern, ein europa-weit bekanntes Stadtentwicklungsprojekt. Im 22.Bezirk Wiens entsteht ein neuer Stadtteil für über20 000 Menschen, der als Labor für eine SmartCity von Morgen dient. Begleitet wird das Projektdurch die Forschungsgesellschaft ASCR (AspernSmart City Research GmbH & Co KG), einerKooperation zwischen Siemens, der Stadt Wien,Wien Energie, Wiener Netze und der Wirtschafts-agentur Wien. Da der Stadtteil größtenteils aufeinem ehemaligen Flugfeld gebaut wird, sind diestädtebaulichen Konzepte relativ einfach umsetz-bar gewesen. Interessanterweise weisen dieProjekte in Simmering und in Aspern jedochGemeinsamkeiten auf, was die Anpassung zuneuen Lebensstilen und Mobilitätskonzeptenangeht: Auch in Aspern wurde gegen die ehrgei-zigen Mobilitätspläne ohne Parkplätze im Stra-ßenraum protestiert. Und auch in Aspern muss-ten die Einwohner von den Vorteilen der neuenMobilitätsstationen und der parkplatzfreien Wegeüberzeugt werden.

Smart City Initiative Wien:https://smartcity.wien.gv.at/site/en/

TINA Vienna, Smart City Wien Agentur:http://www.tinavienna.at/de

Aspern Smart City Research GmbH & Co KG:http://www.ascr.at/ueber-ascr/ EU-Projekt

Smarter Together: http://smartertogether.at

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Schwerpunktdimensionen der WIener Smart-City-Strategie. Quelle: Magistrat der Stadt Wien

Co-Creation im Rahmen des Projektes „Smarter Together“ Quelle: Magistrat der Stadt Wien

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Joan Batlle, Digital Transformation ProgrammeDirector der Stadt Barcelona, präsentierte in derDialogplattform den „Digital City Plan“ von Bar-celona.

Barcelona, die europäische Innovationshaupt-stadt 2014, blickt auf eine lange Industrie- undUnternehmergeschichte zurück. Heute setzt Bar-celona auf die Entwicklung von Technologien, dieDigitalisierung in unterschiedlichen Bereichen(Common City, Democratic City, Circular City undCreative City) vorantreiben. Mit einer demokrati-schen Nutzung von Digitaltechnologien sollenverschiedene Herausforderungen in der Stadtgelöst, eine pluralistische lokale Digitalwirtschaftsowie soziale und ökologische Nachhaltigkeitgefördert und die Einwohner gestärkt werden.

Barcelona Digital City Plan

Hierzu wurde der Barcelona Digital City Plan2017-2020 entworfen. Dieser zielt darauf ab, tech-nische Infrastrukturen und finanzielle Ressour-cen stadtweit so zu entwickeln, dass Digitaltech-nologien für bessere öffentliche Dienstleistun-gen, in allen Stadtteilen und für alle Bürger,genutzt werden können. Der Barcelona DigitalCity Plan geht somit über eine technologieorien-

tierte Smart City hinaus und gilt als ein Weg fürdie Stadt, die „technologische Souveränität“ derBürger zu erweitern: Digitale Tools sollen dieaktive Teilnahme an den politischen Diskussionenin der Stadt erleichtern, Bildungsangebote sollenihre digitale Integration stärken und digitaleRechte der Einwohner sollen aufgebaut werden,um sie als Akteure zu befähigen. So soll Barce-lona eine offenere, gerechtere und demokrati-schere Stadt werden. Des Weiteren zielt der Plandarauf auf, sozioökonomische digitale Strukturenin der Stadt zu gestalten und lokale Innovations-Ökosysteme zu schaffen. Dieses soll auf derTransformation und der digitalen Innovation desöffentlichen Sektors sowie auf der Einbindungvon der Verwaltung, der Wissenschaft, der Wirt-schaft und der Bürgerschaft nach dem „Quad-Helix-Modell“ beruhen.

Barcelonas Digital City Plan basiert auf der Prä-misse „Digital First“ und weist in ihrer Umsetzungdrei strategische Schwerpunkte auf. Im Bereich„Verwaltung und die Stadt“ sollen die Technolo-gien zunächst für eine offenere, agilere undeffektivere Stadtverwaltung eingesetzt werden.Die digitale Transformation und die Nutzung vonDaten sollen hierbei Dienstleistungen in denBereichen Wohnen, Gesundheit, Energie undMobilität optimieren. Eine offene öffentlicheDatenstruktur, die nach dem Leitbild „City DataCommons“ aufgebaut wird, soll Unternehmenund die Zivilgesellschaft ermutigen, neue, daten-basierte Ansätze zu entwickeln. Hier strebt Bar-celona an, in einer zentralen Datenplattform städ-tische Datensätze, Daten aus der Wirtschaftsowie Sensordaten aus der Umwelt – aus Barce-lonas Internet of Things-Netzwerk „SentiloBCN“– bereitzustellen: Seit 2012 hat Barcelona Inter-net of Things (IoT) in der Stadt aktiv vorangetrie-ben und mithilfe eines umfassenden Glasfaser-netzes Sensortechnologien in verschiedeneurbane Systeme integriert, darunter in den öffent-lichen Nahverkehr, in Parkanlagen, Straßenbe-leuchtung und Abfallmanagement. Datenmana-gement soll mithilfe von Blockchain-Technolo-gien realisiert werden.

Im Bereich von „Unternehmen und sozialenOrganisationen“ sollen Digitaltechnologien in daslokale Innovations-Ökosystem eingebettet wer-den. Insbesondere möchte Barcelona denZugang von kleinen und mittelständischen Unter-nehmen (KMU) zur öffentlichen Auftragsvergabe

Internationale Reflexionen 96

Barcelona Digital City Plan – Transition to Technological Sovereignty

Joan Batlle, City of Barcelona

Jürgen Weyrich

Page 97: Smart City Charta · 2019-03-29 · „Smart Cities sind nachhaltiger und integrierter Stadtentwicklung verpflichtet.“ So formuliert es die Smart City Charta gleich zu Beginn und

erleichtern und damit qualitativ hochwertigeArbeitsplätze schaffen. Als dritte Säule des Digi-tal City Plan werden Bürgerinnen und Bürgerwahrgenommen. Mit zielgruppenspezifischen Bil-dungsangeboten sowie mit dem Ausbau desöffentlichen WLAN möchte Barcelona die digita-len Kompetenzen seiner Einwohner aufbauen unddie digitale Spaltung reduzieren, aber auch eineoffene und partizipative Demokratie fördern.Somit soll die „technologische Souveränität“nicht nur für die Stadt Barcelona, sondern auchfür ihre Einwohner gelten.

Für die Umsetzung des Digital City Plan hat Bar-celona bereits verschiedene Organisationsstruk-turen und Strukturen für das Datenmanagementaufgebaut. In der Stadtverwaltung wird der Digi-talisierungsprozess von einem Chief Technologyand Digital Innovation Officer koordiniert. DieZusammenarbeit zwischen den Ressorts erfolgtin einem Komitee für digitale Transformation, indem alle städtischen Ämter vertreten sind. Nebenden Organisationsstrukturen in der Stadtverwal-tung hat Barcelona auch seine Infrastruktur imBereich des Datenmanagements weitgehenddefiniert. Eine zentrale Plattform (CityOS) soll dieverschiedenen Datensätze bündeln und Analyse-tools für Verwaltungsmitarbeitende bereitstellen.Insbesondere für die Führungsebene soll eineÜbersichtsapplikation („Dashboard“) entwickeltwerden, die verschiedene Entwicklungen in derStadt in Echtzeit zusammenführt. In einem nächs-ten Schritt möchte Barcelona die analytischenFähigkeiten und Tools der CityOS-Plattform wei-

ter ausbauen. Über die Zusammenführung aktuel-ler Datensätze und Indikatoren hinaus sollen prä-diktive Modellierung, Simulationen und System-optimierung in der Stadtverwaltung verbreitetwerden.

Neben der Digitalisierung innerhalb der Stadtarbeitet Barcelona auf internationaler Ebene. DieStadt setzt erstens auf die internationale Wahr-nehmbarkeit Barcelonas bspw. im Rahmen derSmart-City-Expo-Weltkongress, der im Herbst2017 in Barcelona stattfindet. Darüber hinausbeteiligt sich Barcelona an verschiedenen inter-nationalen Netzwerken und Standardisierungs-prozessen, um Kooperationen zwischen Stadtver-waltungen, Wissenschaft und Wirtschaft auf glo-baler Ebene aufzubauen. Neben Stockholm undKöln ist Barcelona aktuell auch eine der dreiLeuchtturmstädte des EU-Projekts GrowSmarter.

Barcelona Digital City: http://ajuntament.barcelona.cat/estrategiadigi-tal/en

Smart City Expo:http://www.smartcityexpo.com/en/

EU-Projekt GrowSmarter: http://www.grow-smarter.eu/lighthouse-cities/barcelona/

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Stadt Barcelona Stadt Barcelona

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Mathias Reddmann, Politik- und Projektreferentbei der GD CONNECT der Europäischen Kommis-sion, präsentierte im internationalen Workshopzwei Programme der Kommission, mit denen sieeuropäische Städte und die Entwicklung nach-haltiger urbaner Lösungen unterstützt: Die Europäische Innovationspartnerschaft fürIntelligente Städte und Gemeinschaften (Euro-pean Innovation Partnership on Smart Cities and Communities, EIP SCC) sowie die „UrbanAgenda for the EU“ mit ihrer Partnerschaft zurdigitalen Transition.

Europäische Innovationspartnerschaftfür Intelligente Städte und Gemein-schaften

Die Europäische Innovationspartnerschaft wurdevon der EU-Kommission im Jahr 2012 ins Lebengerufen. Sie verfolgt sowohl quantitative als auchqualitative Ziele: Zum einen soll sie die Entwick-lung integrierter Energie-, Transport- und IKT-Lösungen auf lokaler Ebene beschleunigen, umdie Zielsetzungen der EU im Bereich Klima undEnergie zu erfüllen sowie Arbeitsplätze undWachstum zu schaffen. Zum anderen sollen Iden-tifizierung und Austausch von Best Practicesgefördert und hierdurch konkrete Tools und Leitli-nien entwickelt werden.

In der Praxis ist die Innovationspartnerschaft umsechs Aktionscluster strukturiert, die sich mitverschiedenen Fragestellungen von Smart Citiesbefassen: Mit Geschäftsmodellen, Finanzierungund Auftragsvergabe; mit Bürgerbeteiligung; mitintegrierten Infrastrukturen und Prozessen; mitPolicy und Regulierung; mit nachhaltigen Stadt-teilen und bebauter Umgebung sowie mit nach-haltiger urbanen Mobilität. Die Arbeit in den Akti-onsclustern basiert auf Selbstverpflichtungen(Commitments): auf konkreten, messbaren Smart-City-Initiativen von öffentlichen und von privatenPartnern. Die Projekte bringen heute bereits 5 000Partner aus 32 Ländern zusammen.

Eine Arbeitsgruppe in der Innovationspartner-schaft beschäftigt sich mit den sogenanntenUrbanen Plattformen als ein wichtiger Ausgangs-

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Supporting cities in getting smarter

Mathias Reddmann, GD CONNECT, Europäische Kommission

Jürgen Weyrich

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punkt von Smart Cities. Diese Plattformen ermög-lichen es Städten, Daten aus verschiedenenBereichen wie Transport oder Energie besser zusammeln, zu verwalten und zu analysieren, umdamit ihren Einwohnern bessere Dienste anbie-ten zu können. Im ersten Arbeitsschritt habenbeteiligte Städte Leistungsmuster und Kriterienfür öffentliche Beschaffungen von Urbanen Platt-formen entwickelt. Diese sollen helfen, dieUmsetzung von digitalen Technologien in denStädten zu beschleunigen und die EuropäischeIndustrie dazu bringen, sich für offene, skalier-bare und anschlussfähige Lösungen zu verpflich-ten, um beispielsweise „Lock-in-Effekte“ (Abhän-gigkeiten von einzelnen Anbietern) zu vermeiden.Hierfür fördert die Kommission die Zusammenar-beit der Städte auf der Nachfrageseite: Unter Lei-tung der Stadt London entwickeln 30 EuropäischeStädte ihre gemeinsamen Kriterien. Auf derAnbieterseite arbeiten IKT-Unternehmen wieSAP, Microsoft oder GE, aber auch KMU anLösungen, die die Kriterien der Städte erfüllen.Die Ergebnisse sollen als internationale Stan-dards formalisiert werden.

Zu weiteren Initiativen der Innovationspartner-schaft gehört beispielsweise die „Humble Lamp-post“ (Intelligente Straßenlampe). Hier wird dieZusammenarbeit zwischen Städten und Finan-ziers bei der Integration von digitalen Technolo-gien, der Datengenerierung oder Wi-Fi in Stra-ßenlaternen der Städte gefördert. Des Weiterenarbeitet eine Arbeitsgruppe an einer Finanzie-rungsplattform, die bereits einen Finanzierungs-führer entwickelt hat (Funding Guide), der dieverschiedenen Förderinstrumente der Kommis-sion bündelt und Nutzer wie Städte und Gemein-den in vier kurzen Schritten zu thematisch undorganisatorisch passenden Finanzierungsmög-lichketen führt. Die Plattform ist bereits aktiv,wird jedoch anhand der Rückmeldungen der Nut-zer weiterentwickelt.

Urban Agenda for the EU

Die „Urban Agenda for the EU“, die unter der nie-derländischen EU-Präsidentschaft im Jahr 2016verabschiedet wurde, stellt den wesentlichenGrundstein der Aktivitäten der EU im Bereich derUrbanisierung dar. Sie zielt einerseits auf die Ent-wicklung und Effektivität der Europäischen Regu-lierung, andererseits auf Finanzierungsinstru-mente und eine stärkere gemeinsame Wissens-basis ab. Die Agenda umfasst 12 Schwerpunkt-themen, zu denen beispielsweise die urbaneMobilität, Energie oder die digitale Transition,aber auch soziale Aspekte gehören. Umgesetztwird sie durch thematische Partnerschaften: Bei-spielsweise mit der Partnerschaft zur digitalenTransition, die 2017 unter Koordination von Est-land sowie von den Städten Oulu (FI) und Sofia(BG) startete und danach strebt, bessere öffentli-che Dienstleistungen für Bürgerinnen und Bürgersowie Geschäftsmodelle aufzubauen und Innova-tion zu ermöglichen. Thematische Schwerpunkteliegen dabei auf Datengenerierung und Datenei-gentum, auf eine bessere Nutzung von OpenData, auf Datenmanagement (inkl. Kompetenzender Städte sowie Fragen des Datenschutzes)sowie auf digitale Dienstleistungen.

European Innovation Partnership on Smart Citiesand Communities: http://ec.europa.eu/eip/smartcities/

Urban Agenda for the EU:https://ec.europa.eu/futurium/en/urban-agenda

99Internationale Reflexionen

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Marta Córdoba Sánchez präsentierte im internationalen Workshop nationale AktivitätenSpaniens und definierte „Smart City“ zunächstals einen ganzheitlichen Ansatz der Stadtent-wicklung.

Dessen Ziel sei es, die Lebensqualität der Bürge-rinnen und Bürger sowie die wirtschaftliche,soziale und ökologische Entwicklung nachhaltigdurch die Nutzung von IKT zu verbessern. Somitsoll eine Smart City eine effektive Interaktion zwi-schen Bürgerinnen und Bürgern und den Stadt-verwaltungen ermöglichen. Dadurch kann denBedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger inEchtzeit qualitativ und kosteneffizient entspro-chen werden.

Zugleich zeigt die Smart City auch großes Markt-potenzial. Der Zuzug in die Städte wird weiterzunehmen, sodass bis 2050 70 % der Weltbevöl-kerung in Städten leben wird. Bereits bis 2025wird das BIP der Städte 65 % des globalenWachstums ausmachen. Entsprechend wird dasWachstum des globalen Smart-City-Markts auf22,5 % jährlich eingeschätzt, wodurch das Markt-potenzial der Smart Cities bis 2020 bereits 1 500Milliarden US Dollar betragen könnte. Angesichtsdes gesellschaftlichen und wirtschaftlichenPotenzials von Smart Cities befasst sich auchSpanien aktiv mit deren Entwicklung. Auf Euro-päischer Ebene beteiligen sich spanische Städteund Industrieakteure aktiv in verschiedenen Pro-jekten und Kooperationen: Beispielsweise kom-men 54 % der bisherigen „Verpflichtungen“ zumEIP SCC aus Spanien. Die Metropolregionen Bar-celona und Madrid sowie andere Großstädte wieMálaga und Valencia werden häufig als Vorrei-terstädte betrachtet.

Nationaler Plan für Smart Cities

In Spanien stellt der Nationale Plan für SmartCities mit einem Budget von 188 Millionen Euroein zentrales Koordinationsinstrument auf dernationalen Ebene dar. Der nationale Plan hat dasZiel, die Industrie, Kommunen sowie lokaleAkteure in der Übergangsphase zur Digitalisie-rung bzw. zur Smart City zu unterstützen, dieAnwendung und Übertragbarkeit von Standardszu fördern und den IKT-Sektor zu einem Treibervon Effizienzsteigerungen weiterzuentwickeln.

Internationale Reflexionen 100

The Spanish Smart City Model

Marta Córdoba Sánchez, Office of the Secretary of State for Information Society and DigitalAgenda, Government of Spain

Jürgen Weyrich

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Auf Basis einer Analyse der Ausgangssituationund aktueller Herausforderungen fokussiert sichdie spanische Regierung in ihren Aktivitäten aufdrei Hauptsäulen: Regulierung und Standardisie-rung, Strategische Planung und Governancedurch Zusammenarbeit zwischen der zentralenVerwaltung, der Industrie und den Lokalverwal-tungen sowie Aufbau von Geschäftsmodellen,Wissen und Ressourcen in der Industrie.

Spanien fördert Initiativen und Projekte durchverschiedene Ministerien und öffentliche Institu-tionen, um Städte, Inseln und die Industrie inihren Transformationsprozessen zu unterstützen.Im Rahmen der Förderprogramme „Smart CitiesI”, “Smart Cities II” sowie “Smart Islands I” vonRed.Es, einem öffentlichen Unternehmen desSpanischen Ministeriums für Energie, Tourismusund digitale Agenda, wurden bislang 28 Projekteseit Juni 2014 und Juli 2015 mit 108 Millionen Eurogefördert. Zugleich wurden mit dem Programm“DUSI” des Ministeriums für Steuern und öffentli-che Verwaltung in den letzten Jahren 83 Projekte,unter Kofinanzierung des Europäischen Fonds fürregionale Entwicklung (EFRE), mit ca. 160 Millio-nen Euro gefördert. Zwei weitere Ausschreibun-gen (“DUSI II” mit 280 Millionen Euro und “DUSIIII”) sind noch für 2017 geplant.

Standardisierungs- und Normungsaktivitäten

Zur Standardisierung und Normung koordiniertdie Spanische StandardisierungsorganisationAENOR das technische Komitee (CTN) 178, dasanstrebt, Standards für relevante Bereiche vonSmart Cities zu entwickeln: Für IKT- und Manage-ment-Infrastrukturen, für Leistungsindikatoren,für Verwaltung und Mobilität, Umwelt und Ener-gie, für smarte Tourismusstandorte sowie füröffentliche Dienstleistungen 4.0. In Spanien wur-den bereits 20 Standards erarbeitet und veröf-fentlicht, etwa die gleiche Zahl befindet sichnoch im Abstimmungsprozess zwischen Stake-holdern aus dem privaten und dem öffentlichenSektor sowie aus den Städten. Vier von den spanischen Standards wurden zudem als Vorla-gen in der Internationalen Fernmeldeunion (ITU)präsentiert.

Der Standardisierungsprozess beinhaltet in Spa-nien auch öffentliche Anhörungen, an denen sichjeder beteiligen kann. Im Rahmen der ITU betei-ligt sich Spanien auf internationaler Ebene an derStandardisierung zur Übertragbarkeit bzw. Inter-operabilität von Plattformen und Schnittstellen,Open Data, Tourismus sowie zur Entwicklungländlicher Räume. Spanien hat den stellvertreten-den Vorsitz in der Arbeitsgruppe SG20 „Internetof Things“ sowie in der Initiative „U4SSC“ (Unitedfor Smart Sustainable Cities), zusammen mitSaudi-Arabien. Dank der internationalen Zusam-menarbeit wird das spanische Smart-City-Modellauch in Lateinamerika mit Interesse verfolgt undeingesetzt.

Zum Schluss schilderte Frau Córdoba Sánchezdas spanische Modell für die Entwicklung undGovernance von Smart Cities. Mit dem Gover-nance-Modell versucht Spanien die Bedürfnisseund die verschiedenen Expertisen aus 87 Städ-ten, aus fünf betroffenen Ministerien sowie ausder Industrie – durch Vertretung der Verbände –zusammenzubringen. Das sektorale Forum fürSmart Cities dient dabei als die zentrale Plattformfür Austausch und Vernetzung zwischen denMinisterien, den Verbänden und den Städten:Hier möchte Spanien Leitlinien für seine Städteund Institutionen entwickeln, wie diese zumeinen Best Practices verbreiten und zum anderenfür das spanische Modell und die spanischeIndustrie international werben sollen.

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Anne Charreyron-Perchet vom FranzösischenMinisterium für Umwelt, Energie und Meeresan-gelegenheiten präsentierte einen strukturiertenAnsatz, mit dem Frankreich seine Schwerpunkteim Bereich Smart Cities setzen möchte.

Ein strategischer Rahmen für nachhaltige Smart Cities

Angesichts der lokalen und globalen Auswirkun-gen der Digitalisierung hat das Umweltministe-rium Frankreichs einen gemeinschaftlichen Dia-logprozess initiiert, mit dem Ziel einen strategi-schen Rahmen für nachhaltige Smart Cities zuentwickeln. Dabei wird die Digitalisierung nichtals ein Ziel an sich, sondern als Mittel für nach-haltige Stadtentwicklung betrachtet. In einerAdvisory Group mit Teilnehmenden aus französi-schen Städten, betroffenen Ministerien, derIndustrie und der Zivilgesellschaft wurden im ers-ten Schritt vier Aktionslinien identifiziert.

Was digitale Kompetenzen angeht, ist der aktu-elle Stand in Frankreich auf lokaler Ebene sehrunterschiedlich: Während Städte wie Lyon oderNizza als Pionierstädte gelten und seit einigerZeit ambitionierte Projekte durchführen, gibt eseine klare Kluft zwischen größeren und kleinerenStädten. Immer mehr Städte zeigen jedoch gro-ßes Interesse an den Potenzialen der Digitalisie-rung und entwickeln ihre eigenen Smart-City-Strategien. Dabei haben einige Pionierstädtebereits ihren Fokus von technologieorientiertenKooperationen mit IKT-Unternehmen auf einwoh-nerorientierte Anwendungen verändert.

Auf der nationalen Ebene hat die RegierungFrankreichs die wirtschaftlichen Potenziale vonSmart Cities – sowohl national als auch interna-tional – frühzeitig erkannt. Obwohl sich vieleMinisterien und Ämter mit dem Thema aktivbefassen, fehlt es noch an Koordination zwischenden verschiedenen Behörden und Programmen.Anhand dieser Bestandsaufnahme wurden dieerwähnten vier Aktionslinien identifiziert, die imnächsten Schritt den Kern einer nationalen fran-zösischen Smart-City-Strategie bilden könnten.

Internationale Reflexionen 102

Smart Cities – Towards a French Strategy

Anne Charreyron-Perchet, Französisches Ministerium für Umwelt, Energie und Meeresangelegenheiten

Jürgen Weyrich

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Vier Aktionslinien für eine französischeSmart-City-Strategie

Erstens möchte Frankreich die Verbreitung vonInnovationen beschleunigen. Auf der nationalenEbene soll die Replizierbarkeit als Schlüsselkrite-rium in Projektausschreibungen aufgenommenund quantitative und qualitative Kriterien für Pro-jektevaluation und Verbreitung der Ergebnisseentwickelt werden. Zudem sollen innovative Pro-jekte durch Befreiung von regulatorischen Vorga-ben und Anpassung der Regulation unterstütztwerden. Auf nationaler und lokaler Ebene sollenNetzwerke für Informations- und Erfahrungsaus-tausch entwickelt werden.

Zweitens sollen digitale Ansätze besser in dieStadtplanung integriert werden, um Städte agilerund benutzerorientierter zu machen. Stadtplanersollen mit neuen digitalen Tools wie Visualisie-rungen, Simulationen und prädiktiven Modellenvertraut gemacht werden. Anstatt Stadtplanunganhand bewährter Kennzahlen z. B. für Wohn-raum oder Parkplätze zu betreiben, sollten siedienstleistungsorientierter denken und überle-gen, wie nachhaltige Mobilität im Stadtteil reali-siert werden kann. Darüber hinaus soll die Stadt-planung partizipativer werden und Einwohner,Stakeholder sowie die Wirtschaft in den Pla-nungsprozessen beteiligt werden.

Die Verbreitung digitaler Möglichkeiten betrifftauch die Daten, deren Nutzung in Form vonneuen Governance-Strukturen in die Stadtver-waltung integriert werden soll. Über die Optimie-rung von Verwaltungsabläufen hinaus soll derFokus dabei auf einer „kollaborativen Stadt“ lie-gen: Open Data und Hackathons sollen eingesetztwerden, um die Nutzung von Daten in der Stadt-gesellschaft zu stimulieren. Auch die regulatori-schen Rahmenbedingungen für Datennutzungund Open Data sollen auf nationaler Ebenegestärkt werden. Kommunalverwaltungen sollenals vertraute Partner der lokalen Ebene mit Res-sourcen und Expertise unterstützt werden: Insbe-sondere wird für Kommunen die Einrichtungeines „Chief Data Officers“ mit strategischenAufgaben empfohlen.

Viertens möchte Frankreich im Ausland für diefranzösische Expertise im Bereich der SmartCities werben. Unter der gemeinsamen Marke„VIVAPOLIS“ sollen französische Initiativensowohl aus dem öffentlichen als auch aus demprivaten Sektor international kommuniziert wer-den. Darüber hinaus nimmt Frankreich an Stan-dardisierungsprozessen auf Europäischer undinternationaler Ebene (ISO) teil und möchte dieTeilnahme von französischen Akteuren in Euro-päischen Initiativen und Programmen (Horizon2020, EIP SCC) stärken. Dies soll u. a. mit einempermanenten französischen Parallel-Netzwerk„Smart cities and Communities“, das für die Ver-breitung der Initiativen der EU-Kommission aufnationaler Ebene dient und bereits bis zu 200 Ver-treter aus Kommunalverwaltungen und aus derIndustrie umfasst, gelingen.

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Im Rückblick auf die unterschiedlichen Ansätzeder Städte und Länder sind Digitalisierung undVernetzung zur Smart City für alle kein Ziel ansich.

Beide sind Mittel, um prosperierende, lebens-werte, soziale und umweltfreundliche Städte zugestalten. Selbst in Singapur, wo in der Anfangs-phase der Smart City noch die technischen Mög-lichkeiten hervorgehoben wurden, stehen heuteMenschen, ihre Bedürfnisse, Hoffnungen undTeilhabe zunehmend im Mittelpunkt, da die Gren-zen rein technisch gedachter Lösungen – ohnedie Perspektive der Nutzer – erkannt wurden.

Die Sicherung von Diversität und Inklusion wirdin der Smart City immer wichtiger: Alle sehen dieGefahr, dass die Kluft zwischen denjenigen, dieTeil der Smart-City-Entwicklung sind, und denje-nigen, die keinen Anschluss zu ihr finden,wächst. Daher sollte kontinuierlich in lebens-lange Bildung und in Dialog mit den Menschen

investiert werden. Im In- und Ausland gibt esbereits viele gute Ansätze und Erkenntnisse, die nun grenzüberschreitend genutzt werdenkönnen.

Für den Umgang mit Daten lehren die europäi-schen Beispiele unterschiedliche Lektionen: Barcelona empfiehlt öffentliche Verträge so zugestalten, dass das Dateneigentum bei der Stadtbleibt. Nur so konnte Barcelona seine eigenestädtische Datenplattform aufbauen. Diese, nachdem Leitbild „City Data Commons“ aufgebaute,öffentliche Dateninfrastruktur soll Unternehmenund Zivilgesellschaft ermutigen, neue, datenba-sierte Ansätze zu entwickeln. Bezüglich der Öff-nung von Daten plädiert Wien für einen differen-zierten Umgang. Der Datenschutz spielt im Ver-fahren Stockholms bei der Erhebung der City-Maut eine besondere Rolle: Nachdem Sensorendie Kennzeichen der Fahrzeuge registrieren, wer-den diese Informationen an die Server einesbeauftragten Dienstleisters in Kopenhagen über-

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Erfahrungen aus dem internationalen Austausch

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mittelt. Von dort aus werden über die nationaleVerkehrsbehörde Schwedens die Halter undGebühren ermittelt und an die zuständige Steuer-behörde weitergeleitet. Diese erhebt die Gebüh-ren. Danach werden bis auf die Gebühreninfor-mation alle Daten von allen Servern gelöscht.

Trotz unterschiedlicher Smart-City-Ansätze verfü-gen die europäischen Städte unter den genann-ten Beispielen meist über eine Abteilung, die fürdie Smart City zuständig ist. Oft wird sie als ChiefInformation Office bezeichnet. In Wien undStockholm wird zudem angestrebt, die IKT-Kom-petenzen der Stadtverwaltung in die Facheinhei-ten zu integrieren. Jenseits solcher Strukturenmüssen auch die Prozesse angepasst werden:Horizontale Arbeitsgruppen über Fachbereichehinweg und Austausch auf unterschiedlichenHierarchie-Ebenen erscheinen nötig, um Quer-schnittsaufgaben wie die Digitalisierung anzuge-hen. Zunehmend wird das Change-Managementals Aufgabe erkannt: Über die Schaffung geeig-neter Organisationsstrukturen und Arbeitspro-zesse hinaus gilt es, die Einstellungen, das Den-ken und das Verhalten in den Verwaltungen zuberücksichtigen. Dafür ist auch ein Lernprozessnötig, in dem alle Beteiligten innerhalb der Ver-waltung – die Zentral- und Fachämter, die Füh-rungskräfte und Mitarbeitenden – aber auch diePolitik, die Bewohner und die Unternehmen –zuerst die „Sprache“ der anderen lernen müssen.Anschließend kann konstruktiver gemeinsamgearbeitet werden. Dies ist nötig, um sich schnel-

ler wechselnden Anforderungen auch an dieStadtverwaltungen zu stellen, um responsiver,reaktionsfähiger und auch resilienter zu werden.

Die Vorteile eines Austauschs zu diesen Fragenauch auf nationaler wie internationaler Ebenemachten die Beiträge der EU-Kommission undder nationalen Initiativen Frankreichs und Spa-niens deutlich. Ein (inter-)nationaler Erfahrungs-austausch bringt nicht nur Inspiration für neueAnsätze, sondern auch wichtige Erkenntnisse zurGestaltung der rechtlichen und finanziellen Rah-menbedingungen. Außerdem gibt er die Möglich-keit des Austauschs zwischen den Kommunensowie der Vernetzung mit Partnern, sei es inlosen Netzwerken oder Interessengemeinschaf-ten bis hin zu festen Verbünden.

Insgesamt wurde deutlich, dass die EU-Kommis-sion, die nationalen Initiativen Frankreichs undSpaniens wie auch die europäischen Städte anden drei Säulen der Nachhaltigkeit, an der inte-grierten Stadtentwicklung und an der Stärkungdemokratischer Strukturen festhalten und dieDigitalisierung in diesem Sinne gestalten wollen.Sie alle teilten ein werte- und zielgebundenes,am Allgemeinwohl orientiertes Grundverständnisvon Smart Cities.

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Abbildungsverzeichnis

Bayerisches Staatsministerium für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie (31a);

Bundesministerium des Innern (BMI) (31b);

Bundesregierung / Sandra Steins (4);

DIALOG BASIS (45);

DIALOG BASIS / Max Klose (1);

Demos Helsinki (43);

Freie und Hansestadt Hamburg (20a);

Fritsche, Anna (68, 70)

Heimkraft GmbH (24b);

Hitachi Insight Group (29b, 87);

Integreat (22b);

Knowle West Media Centre (23a);

Kommunales Anwendungszentrum Land Brandenburg (27b);

Landeshauptstadt Wiesbaden (24a);

Lenkungsgremium Geodateninfrastruktur Deutschland (23b);

Magistrat der Stadt Wien (26b, 27a, 95a, 95b);

martinlorenz.net (28b);

Open Knowledge Foundation Deutschland e.V. (21a);

Poppitz, Marianna (60, 62, 76, 78);

PwC / Fraunhofer IAO: Mind the Gap. (Hg.) BBSR 2017 (75a, 75b);

Schlösser, Milena (5);

Schmidt, Imke / 123comics (52, 54);

Schüller / Förster in IzR (Informationen zur Raumentwicklung), Heft 1, 2017 (49, 50);

Singapore University of Technology and Design (25b, 85a, 85b);

Stadt Amsterdam (20b, 25a, 91);

Stadt Arnsberg (22a);

Stadt Barcelona (97a, 97b);

Stadt Oldenburg (21b);

Stadt Ulm (28a);

Technische Universität Berlin (26a, 29a, 32);

Weyrich, Jürgen (33a-f, 34a-b, 35, 36, 38, 40, 42, 48, 58, 66, 74, 80, 82, 84, 86, 88, 90, 92, 94, 96, 98, 100, 102, 104, 105);

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) (37).

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