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So geht antonius Mit dem Namen GestaltenWerk haben wir nicht nur eine bildhafte Bezeichnung für die handwerk- lich-kreativen Bereiche geschaffen. Der Ausdruck steht für die schrittweise Umwandlung von Orten der Beschäftigung hin zu regulären Betrieben: Die effiziente Herstellung von hochwertigen Produkten soll klar in den Vordergrund rücken. GestaltenWerk steht aber auch für einen grundlegenden Pers- pektivenwechsel. Von der Überzeugung getragen, dass jeder Mensch Talente hat, suchen wir perma- nent nach Möglichkeiten, schlummernde Potenzi- ale freizusetzen. Auch Menschen mit starken Leis- tungsbeeinträchtigungen werden an echte Arbeit herangeführt. Obwohl wir vielfach Arbeitsabläufe sehr stark vereinfachen müssen, versuchen wir auf der anderen Seite auch, industrielle Verfahren und Maschinenarbeit einzubauen. Unser Ziel ist, die Unterschiede zu den Partnerbetrieben mög- So geht es nicht mehr Warum gibt es in fast jeder größeren Stadt beson- dere Werkstätten, in denen ausschließlich Menschen mit Behinderungen arbeiten? Warum wird deren Tätigkeit von der normalen Produktion abgetrennt? Viele werden antworten: „Man muss diese Menschen vor der rauen Arbeitswelt beschützen!“ Das ist gut gemeint, aber vielleicht kurzsichtig gedacht. In Wirk- lichkeit traut man ihnen nicht zu, mit gezielter För- derung einen Beruf in einem normalen Umfeld aus- üben zu können. Weil wir auf die Behinderung eines Menschen starren und uns sogleich ausmalen, was dieser Mensch alles nicht kann, vergessen wir zu fragen, was er mit seinen Fähigkeiten alles erreichen könnte. So sind wir für seine Unselbstständigkeit und sein mangelndes Selbstvertrauen mitverantwortlich. „Beschützende Werkstätten“ sind durch eine unna- türliche Entmischung von Menschen mit und ohne antonius GestaltenWerk ist ein kreativ-handwerklich-technischer Produk- tionsbetrieb mit den Bereichen Textil, Keramik und Tischlerei sowie Floristik und Flechterei. arbeitet als Produzent und Dienstleister für antonius – Netzwerk Mensch sowie für externe gewerbliche und private Kunden. ging aus den kunsthandwerklichen Bereichen des Antoniusheims (seit 1904) hervor und wurde weiterentwickelt zu Holz-, Textil- und Tonwerk- stätten als Beschäftigungs- und Therapiefelder mit einem eigenen Verkaufsladen in der Fuldaer Innenstadt. wurde in 2004 als kunsthandwerklich-kreativer Wirtschaftsbetrieb unter dem Namen Gestalten- Werk zusammengefasst und seitdem zunehmend nach den Kriterien für Inklusion umstrukturiert. hat ein Siegel entwickelt für Waren, die nach sozialen, nachhaltigen und ökologischen Kriterien hergestellt werden. Alle hergestellten Produkte tragen dieses Siegel „Handgemacht im Gestalten- Werk“. ist inklusive Ausbildungs- und Arbeitsstelle für 75 Personen, nämlich für 56 Vollzeit- und 13 Teil- zeitkräfte (verteilt auf 62,5 Vollzeitstellen) und 2 Auszubildende der Fachrichtungen Holzbear- beitung und Heilerziehungspflege sowie für 4 Mitarbeitende im antonius Jahr. Hinzu kommen 5 privat Engagierte. Behinderung gekennzeichnet. Auch wenn es nicht gewollt ist, steht das Behindert-Sein unnatürlich im Vordergrund: Es prägt Arbeitsatmosphäre und sozia- les Klima. Darüber hinaus entsteht mit der Zeit eine künstliche Betriebswirklichkeit, die den Anschluss an moderne Herstellungsverfahren verliert: Gerin- ger Maschineneinsatz, ineffektive Produktionswei- sen und mangelnde betriebswirtschaftliche Ausrich- tung führen dazu, dass die Ausbildungsbemühungen ins Leere laufen. Nur selten erwirbt ein Mitarbeiter die geforderten Kompetenzen für die Arbeit in einem normalen technischen Betrieb. Und wenn dieser Übergang einigen leistungsstarken „Werkstattgän- gern“ dennoch gelingt, reißen diese durch ihren Weggang große Lücken. Zurück bleiben die leis- tungsschwächeren Mitarbeiter, wodurch das Ziel der betrieblichen Normalisierung in unerreichbare Fer- ne rückt. Keine Sonderwelt: Abläufe und Ausstattung in der Tischlerei orientieren sich an Partnerbetrieben

So geht es nicht mehr So geht antonius aus... · 5 privat Engagierte. Behinderung gekennzeichnet. ... les Klima. Darüber hinaus entsteht mit der Zeit eine künstliche Betriebswirklichkeit,

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So geht antonius

Mit dem Namen GestaltenWerk haben wir nicht nur eine bildhafte Bezeichnung für die handwerk-lich-kreativen Bereiche geschaffen. Der Ausdruck steht für die schrittweise Umwandlung von Orten der Beschäftigung hin zu regulären Betrieben: Die effiziente Herstellung von hochwertigen Produkten soll klar in den Vordergrund rücken. GestaltenWerk steht aber auch für einen grundlegenden Pers-pektivenwechsel. Von der Überzeugung getragen, dass jeder Mensch Talente hat, suchen wir perma-nent nach Möglichkeiten, schlummernde Potenzi-ale freizusetzen. Auch Menschen mit starken Leis-tungsbeeinträchtigungen werden an echte Arbeit herangeführt. Obwohl wir vielfach Arbeitsabläufe sehr stark vereinfachen müssen, versuchen wir auf der anderen Seite auch, industrielle Verfahren und Maschinenarbeit einzubauen. Unser Ziel ist, die Unterschiede zu den Partnerbetrieben mög-

So geht es nicht mehr

Warum gibt es in fast jeder größeren Stadt beson-dere Werkstätten, in denen ausschließlich Menschen mit Behinderungen arbeiten? Warum wird deren Tätigkeit von der normalen Produktion abgetrennt? Viele werden antworten: „Man muss diese Menschen vor der rauen Arbeitswelt beschützen!“ Das ist gut gemeint, aber vielleicht kurzsichtig gedacht. In Wirk-lichkeit traut man ihnen nicht zu, mit gezielter För-derung einen Beruf in einem normalen Umfeld aus-üben zu können. Weil wir auf die Behinderung eines Menschen starren und uns sogleich ausmalen, was dieser Mensch alles nicht kann, vergessen wir zu fragen, was er mit seinen Fähigkeiten alles erreichen könnte. So sind wir für seine Unselbstständigkeit und sein mangelndes Selbstvertrauen mitverantwortlich.

„Beschützende Werkstätten“ sind durch eine unna-türliche Entmischung von Menschen mit und ohne

antonius GestaltenWerk

► ist ein kreativ-handwerklich-technischer Produk-tionsbetrieb mit den Bereichen Textil, Keramik und Tischlerei sowie Floristik und Flechterei.

► arbeitet als Produzent und Dienstleister für antonius – Netzwerk Mensch sowie für externe gewerbliche und private Kunden.

► ging aus den kunsthandwerklichen Bereichen des Antoniusheims (seit 1904) hervor und wurde weiterentwickelt zu Holz-, Textil- und Tonwerk-stätten als Beschäftigungs- und Therapiefelder mit einem eigenen Verkaufsladen in der Fuldaer Innenstadt.

► wurde in 2004 als kunsthandwerklich-kreativer Wirtschaftsbetrieb unter dem Namen Gestalten-Werk zusammengefasst und seitdem zunehmend nach den Kriterien für Inklusion umstrukturiert.

► hat ein Siegel entwickelt für Waren, die nach sozialen, nachhaltigen und ökologischen Kriterien hergestellt werden. Alle hergestellten Produkte tragen dieses Siegel „Handgemacht im Gestalten-Werk“.

► ist inklusive Ausbildungs- und Arbeitsstelle für 75 Personen, nämlich für 56 Vollzeit- und 13 Teil-zeitkräfte (verteilt auf 62,5 Vollzeitstellen) und 2 Auszubildende der Fachrichtungen Holzbear-beitung und Heilerziehungspflege sowie für 4 Mitarbeitende im antonius Jahr. Hinzu kommen 5 privat Engagierte.

Behinderung gekennzeichnet. Auch wenn es nicht gewollt ist, steht das Behindert-Sein unnatürlich im Vordergrund: Es prägt Arbeitsatmosphäre und sozia-les Klima. Darüber hinaus entsteht mit der Zeit eine künstliche Betriebswirklichkeit, die den Anschluss an moderne Herstellungsverfahren verliert: Gerin-ger Maschineneinsatz, ineffektive Produktionswei-sen und mangelnde betriebswirtschaftliche Ausrich-tung führen dazu, dass die Ausbildungsbemühungen ins Leere laufen. Nur selten erwirbt ein Mitarbeiter die geforderten Kompetenzen für die Arbeit in einem normalen technischen Betrieb. Und wenn dieser Übergang einigen leistungsstarken „Werkstattgän-gern“ dennoch gelingt, reißen diese durch ihren Weggang große Lücken. Zurück bleiben die leis-tungsschwächeren Mitarbeiter, wodurch das Ziel der betrieblichen Normalisierung in unerreichbare Fer-ne rückt.

Keine Sonderwelt: Abläufe und Ausstattung in der Tischlerei orientieren sich an Partnerbetrieben

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gulären Arbeitsmarkt der Normalfall wird. Um Defizite im Selbstvertrauen und in der Selbststän-digkeit von Mitarbeitern aufzufangen, beziehen wir deren nahes Umfeld mit ein und stärken es (z. B. Eltern, gesetzliche Betreuer). Insgesamt steht der Name GestaltenWerk für eine Vielzahl von Lösun-gen an verschiedenen Orten und in verschiedenen Formaten – immer mit Blick auf die Situation der einzelnen Menschen.

Was war uns im Berichtsjahr wichtig?

Im Vordergrund stand das Bestreben, die aus dem TagWerk übernommenen Mitarbeiter mit teils sehr hohem Einschränkungsgrad vollgültig an den Ar-beitsabläufen teilhaben zu lassen. Hierzu wurden sehr einfache Arbeitsschritte weiterentwickelt wie etwa das Befüllen von Körnerkissen. Der neue Name GestaltenWerk und das neue Siegel mussten unse-ren Kunden, aber auch unseren Mitarbeitern be-kannt gemacht werden. Neue Betriebs- und damit zusammenhängend neue Förderkonzepte wurden erarbeitet.

Wo gibt es Schwierigkeiten?

Insbesondere in den Bereichen Textil und Keramik gestaltet sich die Umwandlung in reguläre Wirt-schaftsbetriebe schwierig, da die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter geringer ist als in anderen Berei-chen. Problematisch ist die bisherige Fokussierung auf handwerkliches Arbeiten, da einfache manuel-le Tätigkeiten immer seltener auf dem zunehmend technisierten Arbeitsmarkt nachgefragt werden. Ins-gesamt ist die Bereitschaft der Betriebe, Mitarbeiter aus dem GestaltenWerk zu übernehmen, zu gering. Wenn die Übernahme in Einzelfällen dennoch ge-lingt, empfinden Mitarbeiter den Wechsel zunächst als Rückschritt. Sie müssen sich vor Ort ihr Zutrau-en neu erarbeiten. Die vollständige Überführung des GestaltenWerks in ein wirtschaftliches Betriebs-gefüge bereitet auch deshalb noch Probleme, weil die Herstellung von individuellen Produkten (etwa im Bereich Möbel) zu viele Energien in der Planung und der anschließenden Anleitung der Mitarbeiter bindet. Es fehlen effiziente Produktionszweige mit einem größeren Anteil an Routinen und größeren Stückzahlen.

lichst gering zu halten und unsere Ausbildungskon-zepte an den Erfordernissen des Arbeitsmarktes auszurichten. Das beinhaltet die Öffnung unserer Betriebsstätten für Menschen ohne Handicap, ent-sprechende räumliche Erweiterungen und die Ver-lagerung einzelner Produktionsstandorte in Gewer-begebiete. Zugleich sollen mehr Firmen gewonnen werden, die sich für Menschen mit Behinderungen öffnen, damit eine (assistierte) Arbeit auf dem re-

Unsere nächsten Schritte

Die Frage danach, welche Berufsfelder geeignet sind, um Menschen erfolgreich für den Arbeitsmarkt zu qualifizieren, stellen wir neu. Für jeden Bereich überlegen wir, wie man das technische Niveau heben und Fertigungsformen entwickeln kann, die größere Stückzahlen ermöglichen und zu mehr „industrieller Kompetenz“ bei den Mitarbeitern führen (z. B. durch Herstellung von Holzbierkisten, Einführung von Gieß-keramik). Bei einigen Mitarbeitern beobachten wir eine „angelernte Unselbstständigkeit“, welche auch aus zu viel Behütung und der vorschnellen Abnahme von Verantwortung herrührt. Mit gezielten Projekten soll deren Selbstständigkeit gefördert werden, etwa durch eine selbstverantwortlich betriebene Fahrrad-werkstatt auf dem Campus.

Langfristige Ziele

Um der räumlichen Enge, aber auch der sozialen Entmischung zu entgehen, wollen wir versuchen, mit ganzen Arbeitsgruppen in einen externen Betrieb zu gehen. Der erhoffte Vorteil liegt darin, dass eine Durchmischung vor Ort stattfindet und viele Norma-lisierungsprozesse in Gang kommen. Mit einer sol-chen Gruppenlösung würde zudem vermieden, dass

ängstliche Menschen oder Menschen mit höherem Assistenzbedarf zurückbleiben und einen „Rest“ auf dem Campus bilden. Sie könnten den Schritt in einen externen Betrieb mitgehen, weil sie vor Ort Rückhalt in der Gruppe hätten.

Manche Veränderungen können nur durch klare Schnitte herbeigeführt werden. So kann es nötig werden, einen Betrieb außerhalb des Campus ganz neu aufzubauen, weil vom Bestehenden aus zu viele Sachzwänge eine Neuausrichtung verhindern. Eine Lösung kann darin bestehen, in einem Gewerbege-biet eine Halle anzumieten und z. B. die Schreinerei völlig neu auszurichten.

Eines unserer Standbeine: das Kunsthandwerk

KontaktGestaltenWerk, An St. Kathrin 4, 36041 Fulda

Marek SaalfeldLeiter GestaltenWerkZimmermannTel.: 0661 – 1097-444Fax: 0661 – [email protected]

… beginnt mit der freien Berufswahl

Selbstbestimmte Arbeit …