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Ausgabe Februar 1/2014 Das Magazin von THEMA Alte Menschen PHILIPPINEN Wiederaufbau nach dem Taifun

Solidarität 1/2014

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Magazin von Solidar Suisse

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Ausgabe Februar 1/2014

Das Magazin von

themaAlte MenschenPhILIPPINeNWiederaufbaunach dem Taifun

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Esther MaurerGeschäftsleiterin Solidar Suisse

2 EDITORIAL

MEDIEnschAu

Liebe Leserin, lieber Leser, «I have a dream» – es gibt kaum ein berühmteres Zitat als dieses von Martin Luther King, anlässlich seiner Rede am 28. August 1963, beim «March on Washington for Jobs and Freedom».

Als unsere Kommunikationschefin Eva Geel und ich anfangs Oktober in Moçam-bique die Projekte von Solidar Suisse be-suchten, haben wir für eine welsche Zeit-schrift einige Interviews durchgeführt: Weltweit sollten älteren Ehepaaren Fra-gen zu ihrer Lebensweise, ihren täglichen Gewohnheiten und Herausforderungen gestellt werden. Die Antworten waren so interessant, dass wir daraus einen Schwer-punkt in der Solidarität gemacht haben.

Eine der Fragen, die Eva Geel drei mo-sambikanischen Ehepaaren zwischen 65 und 78 stellte, war: Wovon träumen Sie noch? Da ich die Aufgabe übernommen hatte, das Gespräch fotografisch festzuhalten, konnte ich die Gesichter der Interview-ten genau beobachten, ihre Regungen und Reaktionen: Das Er-staunen über die Frage nach dem verbleibenden Traum, das Nachfragen, das Nachdenken, das gegenseitige Abwarten, was

nun die/der EhepartnerIn dazu sagen würde – all das sehe ich noch vor mir. Und ich höre die Stimmen, sehe die leuchtenden Augen oder den Ausdruck erloschener Lebensfreude. Die sechs älteren Leute gaben fünf fast analoge Antworten: Man wolle die

Enkelkinder durchbringen, deren Eltern zum Teil an Aids gestorben seien; man wolle für sie ein besseres Leben. Ein Mann aber, der vor einem kleinen Haus aus selbstgebrannten Ziegelsteinen sass, re-agierte anders. Er hatte früher eine An-stellung bei einer Firma, die dann Konkurs ging. Damals habe seine Familie ein gutes Leben gehabt. Nun sei er alt, aber er träu-me noch davon, in seinem Haus Strom zu haben: Strom!

Solidar will nicht einfach träumen. Wir wis-sen, dass es möglich ist, mit gemeinsamen Anstrengungen etwas zu verändern. Und

dass jeder Mensch ein Recht hat auf ein gutes Leben. Träume sind vielleicht der erste Schritt zu solchen Veränderungen.

Let’s make dreams come true! Esther Maurer

14.11.2013Zürich ist die solidarischste stadtSolidar Suisse verteilt Zürich Bestnoten. In ihrem zweiten Gemeinderating erreicht die Stadt die höchste Punktzahl. Hoch-bauvorstand André Odermatt nahm ges-tern den Preis entgegen. Die Auszeich-nung sei Bestätigung und zugleich Aufforderung, weiterhin in die überregio-nale Solidarität zu investieren, sagte er. Das «Solidar-Gemeinderating» bewertet, wie verantwortungsbewusst Schweizer Gemeinden im Alltag handeln. Im Mittel-punkt stehen entwicklungspolitisches Engagement und Beschaffungspraxis.

13.11.2013«Rasch erkennen, wo hilfe am meisten gebraucht wird»Bei der Bewältigung einer Naturkatastro-phe sei die Koordination zwischen den Hilfsorganisationen enorm wichtig, sagt Roland Hürlimann, Projektleiter des Hilfswerks Solidar Suisse. (…) Hürli-mann fliegt heute Mittwoch auf die Phi-lippinen, wo er auf der Insel Cebu die Hilfsaktivitäten von Solidar Suisse leiten wird. «Die Lage ist sehr schwierig und un-übersichtlich», sagt Hürlimann. «Aber wir wissen, dass wir wenigstens punktuell schnell konkrete Hilfe leisten können.

22.11.2013Fifa für die schweiz nicht mehr tragbarSeit Wochen wird in den Medien über die unmenschliche Ausbeutung und Skla-venhaltung der ausländischen Arbeiter in Qatar, einem der reichsten arabischen Länder und Austragungsstätte der Fuss-ball-WM 2022, berichtet. (…) Dabei ha-ben die schweizerischen Gewerkschaf-ten und Solidar Suisse schon vor Monaten gegen die Situation in Qatar protestiert und die Fifa-Verantwortlichen zum Handeln aufgefordert. Passiert ist bisher noch nichts.

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herausgeber: Solidar Suisse, Quellenstrasse 31, Postfach 2228, 8031 Zürich, Tel. 044 444 19 19, E-Mail: [email protected], www.solidar.ch, Postkonto 80-188-1 Mitglied des europäischen Netzwerks SolidarRedaktion: Katja Schurter (verantwortliche Redaktorin), Rosanna Clarelli, Eva Geel, Alexandre Mariéthoz, Cyrill Rogger

Layout: Binkert Partner, www.binkertpartner.ch / Spinas Civil VoicesÜbersetzungen: Milena Hrdina, Interserv SA Lausanne, Jean-François ZurbriggenKorrektorat: Jeannine Horni, Milena HrdinaDruck und Versand: Unionsdruckerei/subito AG, Platz 8, 8201 SchaffhausenErscheint vierteljährlich, Auflage: 37 000

Der Abonnementspreis ist im Mitgliederbeitrag inbegriffen (Einzelmitglieder mindestens Fr. 50.–,Organisationen mindestens Fr. 250.– pro Jahr).Gedruckt auf umweltfreundlichem Recycling-Papier.

Titelbild: Alte Menschen in Moçambique kennen keinen Ruhestand. Foto: Esther Maurer. Rückseite: Herzlichen Dank für Ihre Solidarität! Foto: Roland Hürlimann.

AKTuELL Taifun Haiyan hat fast 90 Prozent der Häuser auf der philippinischen Insel Panay zerstört. Roland Hürlimann erzählt, wie er vor Ort die Nothilfe von Solidar Suisse koordiniert. 15

EInBLIcKThabang Mohlala kennt die Realität temporär Beschäftigter in Südafrika aus Erfahrung. 18

KuLTuRELL Eine Fotoausstellung erinnert an Marikana, das schlimmste Blutvergiessen seit Ende der Apartheid in Südafrika.

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ThEMAWie leben alte Menschen in verschiedenen Ländern, in denen Solidar tätig ist? Porträts älterer Paare beleuchten eine häufig übersehene Realität. 4

IMPREssuM

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ThEMA Alte Menschen 4 Moçambique: Das Feld bestellen und die Enkelkinder versorgen 6 Sri Lanka: Körbe flechten und alte sri-lankische Filmsongs hören 8 Serbien: Reisen, spazieren und sich an der Enkelin freuen 9 Nicaragua: Früh aufs Feld und in Telenovelas schwelgen 10 Bolivien: Von der Rentenreform profitieren 12 sTAnDPunKT Luca Cirigliano: Social Protection Floor für ein würdiges Leben im Alter weltweit 13 AKTuELL Massive Zerstörung nach dem Taifun auf den Philippinen: Solidar leistet Nothilfe 15 KOLuMnE 11 PInGPOnG 16 nETZWERK News aus den SAH-Vereinen 16 KuLTuRELL Eine Solidar-Partnerorganisation dokumentiert das Massaker von Marikana 17 EInBLIcK Thabang Mohlala engagiert sich für die Rechte von temporär Beschäftigten in Südafrika 18

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Wie leben alte Menschen in verschiedenen Ländern der Welt? Wie bestreiten sie ihren Unterhalt, was beschäftigt sie, wie sieht ihr Tagesablauf aus? Um einen Einblick in ihr Leben zu geben, porträtieren wir ältere Paare aus Moçambique, Serbien, Nicaragua und Sri Lanka, stellen die Rentenreform in Bolivien vor und wollen von einem Gewerkschaftsvertreter wissen, wie ein würdiges Leben im Alter weltweit garantiert werden kann.Foto: Esther Maurer

aLte meNscheN

Trotz ihres Alters betreuen Mariana und Seveni Zeca aus Moçambique 15 Grosskinder und pflanzen Mais an, um ihre Familie zu versorgen.

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ThEMA

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44-Jährige hält sich mit Gelegenheitsar-beiten über Wasser. Doch diese sind rar, und eine regelmässige Erwerbsarbeit ist kaum zu finden in Moçambique. Die Kon-kurrenz unter den Arbeitssuchenden ist gross. Rosita Zeca ist deshalb auf die Unterstützung ihrer Eltern angewiesen.

Arbeitslosigkeit und AidsKinder, so wird hierzulande häufig kol-portiert, sind die Altersversorgung vieler afrikanischer Familien. Zumindest in Mo-çambique ist es jedoch gerade umge-kehrt. Denn die Jungen finden kaum Ar-beit, viele sterben an Aids und hin- terlassen Waisenkinder, um die sich die Grosseltern kümmern müssen. Die alten Menschen wiederum haben häufig selbst kaum das Nötigste zum Leben. Die Ren-ten sind knapp bemessen: BäuerInnen und informell Beschäftigte erhalten vom

Der Nachmittag in Chimoio, einer Stadt rund 1000 Kilometer nördlich der mo-sambikanischen Hauptstadt Maputo, ist drückend heiss. Rosita Zeca liegt auf ei-nem dünnen Tuch auf dem festgestampf-ten Boden vor ihrer Kochhütte und schläft, ein Kleinkind an ihrer Seite. Die

Staat eine Art minimale Sozialhilfe. Et-was besser gestellt sind ehemalige An-gestellte: Sie bekommen eine ihrem Lohn entsprechende Pension. Doch auch diese reicht kaum zum Überleben.Die Eltern von Rosita beispielsweise er-halten als BäuerInnen gerade mal 300 Meticais (zehn US-Dollar) monatlich. Das muss für 17 Personen reichen, denn Se-veni (68) und Mariana (63) leben mit ih-ren 15 Grosskindern auf engstem Raum. Sie ernähren sie, schicken sie zur Schule und spielen mit ihnen. Die Enkelkinder befinden sich in ihrer Obhut, weil die El-tern nicht für sie sorgen können – sie le-ben wie Rosita von schlecht bezahlten Gelegenheitsjobs und Arbeit auf Abruf. Seveni und Mariana Zeca bebauen noch ein kleines Stück Land, rund 40 Minuten Fussmarsch von ihrem Haus entfernt. Dort pflanzen sie Mais an – zur Selbst-

In Moçambique sind nicht die Kinder die Altersver-sorgung, sondern die Alten unter stützen ihre Töchter und Söhne und kümmern sich um die Enkelkinder.Text: Eva Geel, Fotos: Esther Maurer

aLte versorgeNJuNge

Solidar Suisse unterstützt die Beteili-gung der BürgerInnen in den Quartie-ren Chimoios, bei der Verbesserung ihrer prekären Lebensverhältnisse. Mit Ihrem Beitrag von 70 Franken können zwei Personen an einer zweitägigen Weiterbildung teilnehmen, damit sie ihre Anliegen in die Planungsprozesse der Gemeinde einbringen können. www.solidar.ch/chimoio

Ihre spende wirkt

Mariana (Mitte) und Seveni (2. von rechts) Zeca müssen

ihre Tochter Rosita (2. von links) unterstützen, da sie keine

Arbeit findet.

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versorgung und zum Weiterverkauf auf dem lokalen Markt. Damit sichern sie sich ein Zubrot. Aber das Leben der Ze-cas ist weit entfernt vom Ruhestand, wie ihn Schweizer RentnerInnen geniessen.

Rente reicht nicht zum ÜberlebenEin paar Schritte weiter wohnen die 68-jährige Joana Fanita Faustino und ihr 73-jähriger Ehemann Adriano Armando Reis. Auch sie sorgen für ihre Enkelkin-der. Bei ihnen sind es sieben – die Kin-der ihrer verstorbenen zwei Söhne. Und das sind längst nicht alle Grosskinder. «Wir haben viele, alle wohnen in der Nähe», meinen sie lachend und beginnen gar nicht erst mit dem Aufzählen. Der Fa-milie Reis geht es besser als den Zecas. Adriano Reis hat in einer Textilfabrik ge-arbeitet und erhält eine monatliche Ren-te von rund 70 US-Dollars. Aber auch er

sagt: «Das reicht nicht. Wir überleben nur dank des Maisfeldes und weil meine Frau Tontöpfe herstellt und verkauft.» Wie die Zecas unterstützen auch Joana und Adriano Reis ihre Kinder mit selbst angebautem Mais und Gemü-se. Unterstützung von ihren Kindern bekommen sie nicht: «Was unsere Kinder verdie-nen, reicht kaum für ihre eige-ne Familie.»Gerne hätten sie etwas Geld, um ein kleines Geschäft zu eröffnen und Bier und Gemüse zu verkaufen. Aber das können sie sich nicht leisten. So sind sie weiterhin auf die Feldarbeit angewiesen, die ihnen immer schwerer fällt: «Wir sind alt und haben keine Maschinen, sondern nur unsere Hände. Damit hacken wir, pflügen wir und bebauen den Boden.» Doch sie wollen nicht klagen, schliesslich

«Was immer wir tun, dient dem Ziel, den Enkelkindern weiterzuhelfen.»

haben sie ihre Familie bei sich: «Was im-mer wir tun, dient einem Ziel – den En-kelkindern weiterzuhelfen, ihnen Schul-bücher, Essen und Kleidung zu kaufen.» Alle Grosskinder gehen zur Schule. «Aber nicht alle gern», fügt Adriano Reis hinzu, und die Kinder lachen.

harte Feldarbeit Bei der Familie Zambezi auf der anderen Seite der Naturstrasse, die quer durchs Quartier führt, herrscht ein ständiges Kommen und Gehen. Die elf Enkel und Urenkelinnen bewegen sich frei zwi-schen den Hütten der Grosseltern und Eltern, die nah beieinander stehen. «Sie schlafen, wo sie gerade wollen», erklärt Grossvater Felipe Charles Zambezi. Der 70-Jährige und seine 50-jährige Frau Costanzia leben in ärmlichen Verhältnis-sen. Eine Rente bekommt der ehemalige Busmechaniker nicht, weil er die Min-destanforderungen nicht erfüllt. Zumin-dest habe man ihm das so gesagt. Er und seine Frau erhalten umgerechnet rund acht US-Dollar Sozialhilfe. Costanzia Zambezi bewirtschaftet das Feld. Er sei zu alt dafür, meint der 70-Jährige, «ich kann nicht mehr». Die beiden werden von ihren Kindern unterstützt – diese bringen Maisbrei und Sauce und kochen Reis für Costanzia, die abends müde von der Feldarbeit kommt. Die Verbitterung ist beiden ins Gesicht geschrieben – sie ha-ben bessere Zeiten erlebt, als Felipe noch Arbeit hatte. Der Abstieg in die Ar-

mut ist schwer zu verkraften. Nur wenn sie von den EnkelInnen erzählen, werden sie wieder lebhaft: Felipe Zambezi küm-mert sich tagsüber um die Kinder und spielt mit ihnen. Abends erzählen die Grosseltern Geschichten und Witze. In einem sind sich die sechs alten Leute ei-nig: «Die Kinder», sagen sie alle, «die Kin-der sind das Wichtigste.»

Adriano (links) und Joana (rechts) Reis leben von Adrianos Rente, Joanas Tontöpfen und dem gemeinsamen Maisfeld, mit dem sie auch ihre Kinder unterstützen.

Felipe und Costanzia Zambezi (Mitte) halten sich mit Sozialhilfe, den Früchten ihres Feldes und der Unterstützung ihrer Kinder über Wasser.

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«Ich bin froh, dass wir unseren Kindern nicht zur Last fallen müssen.»

Die Körbe von Theivanai und Rathinam Suppaiya werden für die Aufbewahrung und den Transport von Gemüse und an-deren Lebensmitteln oder als Hühnerkä-

fige verwendet. Auch mit ihren 60 res-pektive 71 Jahren arbeiten sie weiter als KorbflechterInnen: «Wir erhalten keine Rente», erzählt Theivanai Suppaiya, «aber unsere Kinder helfen uns, wenn wir et-was brauchen.»

Ein voller ArbeitstagNach einem Frühstück aus Tee und ein paar Süssigkeiten beginnen sie mit dem Flechten. Kurz vor dem Mittag geht

Theivanai Suppaiya auf den lokalen Markt, um Reis und Gemüse für das Mit-tagessen einzukaufen. Für Rathinam Suppaiya ist der Weg zu weit: «Ich kann

nicht mehr so gut gehen», meint er. Er kümmert sich da-für tagsüber um drei seiner 30 Enkelkinder. Nach dem Mittagessen arbeiten die bei-den weiter an ihren Körben. «Früher fing ich manchmal im

nahen Teich Fische für uns», erzählt Rathinam weiter. Nun fischt Theivanai an seiner Stelle. Sie besorgt auch die Roh-materialien aus Bambus für die Körbe. Ihre Produkte verkauft Theivanai Suppai-ya auf dem lokalen Markt. Inzwischen ge-hen sie kaum mehr zum grösseren Markt, der 60 Kilometer entfernt ist und nur mit dem Bus erreicht werden kann. Was sie von dort brauchen, bringen ihre Töchter und Söhne. Diese kommen manchmal

mit ihren Kindern zu Besuch, Theivanai und Rathinam Suppaiya verlassen ihr Haus nicht mehr häufig. «Nur wenn je-mand krank ist, gehen wir sie oder ihn besuchen», erzählt Theivanai Suppaiya. Und wenn sie selber krank werden, neh-men sie den Bus in die 15 Kilometer weit entfernte nächste Arztpraxis.

sechs Kinder und 30 EnkelInnenInsgesamt hat das Paar 30 EnkelInnen – das wissen sie genau. Ihr Heiratsdatum haben die beiden jedoch vergessen. «Wahrscheinlich sind wir 50 Jahre ver-heiratet», meint Rathinam. «30 davon ha-ben wir im Krieg verbracht», ergänzt Theivanai. Wie die meisten der etwa 300 EinwohnerInnen ihres Heimatdorfs Panikkaiyadi, das etwa 350 Kilometer von Colombo entfernt liegt, mussten sie vor dem Bürgerkrieg fliehen. Als sie 2010 zurückkehrten, lag kein Stein mehr auf dem anderen. Nun leben sie in einer temporären Unterkunft. Mit einem Start-beitrag von Solidar Suisse konnten sie sich Bambus, Werkzeuge und ein Fahr-rad für die Fahrt zum Markt kaufen. «Ich bin sehr froh, dass wir unser eigenes Ein-kommen haben und nicht unseren Kin-dern zur Last fallen müssen», meint Theivanai Suppaiya. Theivanai und Rathinam Suppaiya arbei-ten bis etwa um sechs Uhr, wenn es dun-kel wird. Dann ist es Zeit, auf ihrem Tran-sistorradio Lieder aus alten sri-lankischen Filmen zu hören – ihre Leidenschaft ne-ben dem Korbmachen.

Trotz ihres hohen Alters flechten Theivanai und Rathinam Suppaiya weiterhin täglich Körbe. Denn eine Rente erhalten die meisten TamilInnen im Norden Sri Lankas nicht. Text und Foto: Daniel Bronkal, Solidar Suisse

Theivanai und Rathinam Suppaiya flechten Körbe und betreuen ihren Enkel.

Solidar Suisse hilft intern Vertriebenen, die nach dem Bürgerkrieg in Sri Lanka in ihre zerstörten Dörfer zurückgekehrt sind, ihre Häuser wieder aufzubauen und sich eine Existenzgrundlage zu schaffen. www.solidar.ch/vertriebene

solidar in sri Lanka

«wIr habeN 30 Jahre Im KrIeg geLebt»

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Als Jugosla wien noch sozialistisch war, lebten Anka und Momcilo Djurovic als GymnasiallehrerInnen in Novi Pazar, ei-ner Stadt im Südwesten Serbiens. Die heute 69-jährige Anka unterrichtete Bio-logie, der 80-jährige Momcilo Franzö-

sisch. Seit sie pensioniert sind, erhalten sie eine staatliche Rente. «Die Pension könnte höher sein, aber ich beklage mich nicht», meint Momcilo Djurovic. «Ich habe mein Arbeitsleben damit verbracht, Kin-der zu überzeugen, dass sie das Erlernen von Fremdsprachen bereichert.» Für die beiden, die zweimal pro Jahr andere Län-der bereisten, eine Selbstverständlich-keit. Auch heute noch reisen sie viel: Sie

besuchen zweimal jährlich ihre Tochter Svetlana, die mit ihrem Ehemann in Frankreich lebt, und kümmern sich um ihre Enkelin Lena. Ausserdem verbringen sie zwei Sommermonate in Bar, einer Küstenstadt in Montenegro.

Weniger GeselligkeitSeit 35 Jahren sind Anka und Momcilo Djurovic verhei-ratet. Sie wohnen in einer Dreizimmerwohung, zusam-

men mit ihrer zweiten Tochter Gordana, die Forst wissenschaften studiert hat. Weil sie in Belgrad keine Anstellung ge-funden hat, ist die 34-Jährige nach Novi Pazar zurückgekehrt. Um neun Uhr stehen die beiden auf und trinken ihren ersten Morgenkaffee. «Es ist ja nicht nötig, früher aufzustehen», meint Anka Djurovic. «Nach dem Früh-stück geht Momcilo auf den Markt, um

frisches Obst und Gemüse einzukaufen. Oft begleite ich ihn. Wir gehen so häufig wie möglich zu Fuss, das tut uns gut.» Anschliessend kocht Anka, denn «wir mögen kein Fastfood. Und hier ist es nicht üblich, ins Restaurant zu gehen». Den Nachmittag verbringen die beiden zuhause oder sie besuchen FreundInnen und Verwandte. Anka Djurovic ist täglich im Kontakt mit ihrer Schwester, die eben-falls in Novi Pazar lebt. «Bei schlechtem Wetter kommen FreundInnen zu Besuch und wir spielen Karten», erzählt sie wei-ter. «Doch die Besuche sind seltener ge-worden, die Menschen leben heute mehr für sich alleine.» Momcilo Djurovic, der aus Montenegro stammt, hat keine Ver-wandten in Novi Pazar: «Ich verbringe meine Freizeit mit einem Buch in der Hand und kaufe jeden Tag die Zeitung, denn ich lese nicht gerne am Bildschirm.»

schlechte GesundheitsversorgungAusserdem geht Momcilo Djurovic gerne schwimmen. «Ich fühle mich jünger, als ich bin, und sitze nicht gerne rum», meint er. Wegen seiner Gehörprobleme muss er dennoch manchmal ins Krankenhaus: «Ich muss das Taxi nehmen oder unsere Tochter bitten, mich hinzufahren. Die Ge-sundheitsversorgung ist nicht gut. Ob-wohl die Termine im Voraus abgemacht werden müssen, sind die Wartezeiten lang, und man kann nicht einmal sicher sein, aufgenommen zu werden», beklagt er sich. Anka Djurovic muss bis Belgrad fahren, um ihre Blutkrankheit zu behan-deln, da es in Novi Pazar nicht die nöti-gen FachärztInnen gibt.Wehmütig erinnern sich die beiden an das Leben im sozialistischen Jugoslawi-en. Nie hätten sie gedacht, dass sich al-les von einem Augenblick auf den ande-ren verändern könnte. «Ich wünschte, ich könnte die Kriege im ehemaligen Jugos-lawien ungeschehen machen. Auch die ständige Sorge ums Überleben der letz-ten zwanzig Jahren war hart», meint Anka Djurovic. «Doch nun freue ich mich an unserer Enkelin Lena, die unser Leben verschönert und uns jünger macht.»www.solidar.ch/serbien

«Die Pension könnte höher sein.»

LebeNumgeKremPeLtDie pensionierten LehrerInnen Anka und Momcilo Djurovic erinnern sich mit Wehmut an das Leben im ehemaligen Jugoslawien.Text und Foto: Katarina Jovanovic

Anka und Momcilo Djurovicfreuen sich an ihrer

Enkelin Lena.

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«Zu meINer ZeIt gINgeN dIe FraueN NIcht Zur schuLe»Die Geschichte von Flora Peralta Escobar und Úrsulo López Montenegro zeigt, wie sich das Leben in Nicaragua in den letzten Jahrzehnten verändert hat.Text: Nelly Miranda, Foto: Andreas Schwaiger

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Doña Flora und Don Úrsulo in ihrem Haus, das sie selbst gebaut haben.

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Flora Peralta Escobar steht um vier Uhr morgens auf und wäscht sich mit eiskal-tem Wasser – und das zu jeder Jahres-zeit. «Deshalb haben wir infarktsichere Herzen», meint die 70-Jährige lachend. Um fünf Uhr erwacht auch ihr Ehemann Úrsulo López Montenegro, 71. Die beiden trinken Kaffee und essen die Tortillas, die

Doña Flora zubereitet hat. Dann schleift Don Úrsulo die Machete, nimmt Hacke und Schaufel und geht aufs Feld. Die bei-den sind seit 31 Jahren Mitglieder der Kaffeekooperative Ramón Raudales, die von Solidar unterstützt wird. «Von der Ko-operative haben wir Weiterbildung, tech-nische Hilfe und Saatgut er halten. Und wir unterstützen uns gegenseitig», erzählt Doña Flora.

nachrichten und TelenovelasManchmal begleitet Doña Flora ihren Mann zur Feldarbeit. Vor dem Mittag kehrt sie zurück, um zu kochen. «Wir ha-ben das Glück, zusammen mit unseren Söhnen, Schwiegertöchtern und EnkelIn-nen zu essen», meint Don Úrsulo. «Weil wir arm sind, gibt es meist Reis und Boh-nen – in schlechten Zeiten nur das eine oder das andere», ergänzt Doña Flora. Am Nachmittag bleiben sie zuhause und schauen fern, vor allem Nachrichten: «Wir möchten wissen, was in Nicaragua und auf der Welt geschieht», meint sie. «Wir schauen auch gerne Serien mit Liebes-geschichten, am schönsten sind die bra-silianischen Telenovelas.» Seit 48 Jahren sind die beiden ein Paar: «Nach drei Jah-ren heirateten wir katholisch und schwo-ren uns ewige Liebe», erinnert sich Don Úrsulo «Sie hat Armut und Schicksals-schläge wie den Tod von zwei unserer elf Kinder überdauert.»

Zwei söhne verlorenEin Sohn starb mit 15 Jahren im Krieg Anfang der 1980er Jahre, der andere

Hans-Jürg FehrPräsident Solidar Suisse

Die öffentliche Hand hat viel Ein-kaufsmacht. Allein Kantone und Ge-meinden kaufen jährlich für ungefähr 40 Milliarden Franken Waren und Dienstleistungen ein, vieles davon in Entwicklungsländern: Steine, Textilien, Sportartikel, Computer. Der Staat be-findet sich als Konsument in der glei-chen Situation wie wir als Privatperso-nen: Er kann wählen, ob er das billigste Produkt kaufen will, das beste oder das am fairsten produzierte. Wenn ihm Fairness ein wichtiger Wert ist, fragt er nach den Arbeitsbedin-gungen bei der Herstellung einer Ware. Er will sie nicht denen abkaufen, die Hungerlöhne bezahlen oder de-nen Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz egal sind, und schon gar nicht jenen, die Kinder oder Zwangs-arbeiterInnen für sich schuften lassen. Er will den fairen Marktteilnehmenden einen Konkurrenzvorteil verschaffen, nicht den unfairen. Weil die staatlichen Einkäuferinnen nicht selber beurteilen können, wie die Arbeitsbedingungen in fernen Ländern sind, stützen sie sich auf Zertifikate von spezialisierten Organisationen ab, die ihnen die not-wendigen Garantien liefern. Mit dem Solidar-Gemeinderating greifen wir in die Einkaufspraxis der öffentlichen Hand ein. Wir bewerten sie und erstel-len eine Fairness-Rangliste, die zeigt, wer verantwortlich handelt und wer nicht. Das Rating ist ein Werkzeug für unsere Mitglieder, die in unfairen Ge-meinden wohnen und Einfluss auf die Behörden nehmen möchten, um dies zu ändern. Nutzen Sie es, wir helfen Ihnen gerne dabei.

KOLUMNE

Einkaufsmacht nutzen«Wir möchten wissen, was in nicaragua und auf der Welt geschieht.»

war sieben, als er eine Magen-Darm-Grippe bekam. «Damals waren die Dis-tanzen zu medizinischer Hilfe sehr weit und die Wege schwierig zu passieren», erzählt Doña Flora. «Unser Sohn dehyd-rierte innerhalb von vier Stunden. Ich wusste nicht, dass man so schnell an Durchfall sterben kann.»

Dies würde heute nicht mehr passieren. Das nächste Ge-sundheitszentrum ist drei Kilometer entfernt – auch wenn der Weg während der Regenzeit mühsam ist. Von

dort gibt es nun eine Strasse zum Kran-kenhaus in La Dalia. Doch in Zeiten, in denen Schädlinge ihre Felder heimsu-chen – wie aktuell der Kaffeerost-Pilz – haben sie kein Geld für Medikamente. So kann Doña Flora auch ihre kaputte Lese-brille nicht ersetzen.

Bessere schulbildungWährend Don Úrsulo nur bis zur zweiten Klasse und Doña Flora gar nicht zur Schule ging – «zu meiner Zeit besuchten die Frauen keine Schule, sondern berei-teten sich auf die Heirat vor» –, haben ihre fünf Töchter und vier Söhne alle eine weiterführende Schule besucht. Auf die-se Errungenschaft ist Don Úrsulo stolz: «Früher konnten die Armen nicht zur Schule. Seit der Revolution ist sie gratis, und unsere heutige Regierung hilft den Armen. Ich bin in der Somoza-Diktatur aufgewachsen: Wenn wir von Problemen sprachen, wurden wir umgebracht.» Die beiden leben mit zwei Söhnen, deren Ehefrauen und drei ihrer 31 Enkelkinder in ihrem Haus aus Holzlatten, Wellblech-dach und Lehmboden, das sie selbst ge-baut haben.Wenn sie nicht vor dem Fernseher sitzen, spielt Don Úrsulo nachmittags Fussball oder trainiert Jugendliche dabei. Doña Flora besucht ihre Nachbarinnen für ei-nen Schwatz. Glücksspiele hingegen mö-gen sie ebenso wenig wie den Gang zur Kirche: «Wir sind alt und erschöpft von der vielen Arbeit, nun widmen wir uns der Erholung», meint Doña Flora. www.solidar.ch/nicaragua projekte

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Gegen den globalen Trend verbessert die Regierung von Evo Morales mit weitge-henden Reformen die Lebenssituation älterer Menschen in Bolivien und senkt das Rentenalter auf 58 Jahre. Das ist nachvollziehbar in einem Land, in dem die Lebenserwartung bei lediglich 67 Jahren liegt. Frauen mit drei oder mehr Kindern können sich sogar bereits mit 55 Jahren pensionieren lassen.

höhere Renten Zudem wurde eine Mindestrente einge-führt, für die es staatliche Zuschüsse gibt. Dafür muss man mindestens zehn Jahre in die Rentenkasse eingezahlt ha-ben. Die Höhe der Mindestrente hängt vom Einkommen und den geleisteten Beiträgen ab. Wer 20 Jahre Beiträge einbezahlt hat, erhält eine Rente zwi-schen 130 und 220 Franken pro Monat, 35 Jahre Beitragsdauer – was kaum je-

mand erzielt – ergeben zwischen 200 und 450 Franken. Wer die gesetzlich festgelegte Summe aus eigenen Beiträ-gen nicht erreicht, erhält die erwähnten Zuschüsse. Diese Neuerung ist für viele Menschen essenziell, da sich ihre Rente dadurch erhöht. Die allgemeine Alters-rente wiederum, die bereits von den Vor-gängerregierungen eingeführt wurde, ist beitragsunabhängig. Unter der aktuellen Regierung stieg die so genannte Renta dig nidad, die allen ab 60 ausbezahlt wird, von 27 auf 35 Franken pro Monat.Für den Staat anfallende Kosten der Rentenreform werden grösstenteils aus den Einnahmen der Erdgasexporte finanziert. Auch die ArbeitnehmerInnen und Arbeitgebenden werden zur Kasse gebeten: Sie müssen zusätzlich zu den regulären Beitragszahlungen einen Soli-daritätsbeitrag leisten, der für Besserver-dienende höher ausfällt

Die Armutsraten in Bolivien sind in den letzten Jahren stetig zurückgegangen. Der UN-Wirtschaftskommission für La-teinamerika und die Karibik (CEPAL) zu-folge ist die relative Armut zwischen 2002 und 2009 von 62,4 auf 54 Prozent gesunken, die absolute Armut von 37,1 auf 31,2 Prozent. Hauptgrund dafür ist die gute wirtschaftliche Konjunktur mit hohen Rohstoffpreisen. Die von der Re-gierung Morales initiierten sozialpoliti-schen Reformen – neben der Rentenre-form auch staatliche Zuschüsse für Schulkinder und für junge Mütter – wer-den diese Tendenz wohl verstärken.

Keine langfristige FinanzierungTrotzdem bleiben grundlegende Fragen offen. Nur 15 Prozent der wirtschaftlich aktiven Bevölkerung Boliviens bezahlt Beiträge an die sozialen Sicherungssys-teme. Wenig im Vergleich zum lateiname-rikanischen Durchschnitt von 45 Prozent. Grund dafür ist, dass die grosse Mehrheit der BolivianerInnen informell beschäftigt ist und daher nicht einzahlt. Dieser Trend wurde in den letzten Jahren nicht ge-stoppt und zehrt an der Nachhaltigkeit des sozialen Systems. Um die Vorausset-zungen für die Schaffung neuer Arbeits-stellen zu verbessern, unterstützt Solidar den sozialen Dialog zwischen Regierung, Arbeitgebenden und Gewerkschaften. Die Zukunft der Renten in Bolivien ist unklar. Offiziellen Berechnungen zufolge ist ihre Finanzierung für rund 30 Jahre gesichert – zu wenig für zukünftige Ge-nerationen. Und: Wer nie in die Renten-kasse eingezahlt hat – sprich die grosse Mehrheit der BolivianerInnen – erhält le-diglich die 35 Franken der Renta digni-dad. So auch die 64-jährige María Elena Quispe: «Die Renta dignidad reicht hin-ten und vorne nicht. Ich brauche die Un-terstützung meiner Kinder, um einiger-massen in Würde altern zu können.» www.solidar.ch/bolivien

In Bolivien tragen Rentenreformen zur Ver- sorgung alter Menschen bei, doch informelle Beschäftigung gefährdet die Finanzierung.Text: Joachim Merz, Foto: Barbara Klitzke

tIeFeres reNteN­aLter uNd mINdestreNte

Trotz Reformen können alte Menschen in Bolivien von ihrer Rente kaum leben.12

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gLobaLer KomPass Für eIN würdIges aLterEin menschenwürdiges Leben für alle ist das erklärte Ziel des Social Protection Floor, der eine Basis für die Existenzsicherung alter Menschen darstellt.Text: Luca Cirigliano, SGB-Zentralsekretär

Social Protection Floor (SPF) soll ein menschenwürdiges Leben und die Teil-nahme am gesellschaftlichen Leben für alle ermöglichen. Er wird durch Überein-kommen der Internationalen Arbeitsor-ganisation IAO und die Uno-Menschen-rechtsdeklaration garantiert. Konkret ist damit neben dem Zugang zu Dienstleis-tungen wie Gesundheit, Bildung, Woh-nen und Hygiene auch Mobilität, Freizeit und politische Partizipation gemeint. Auch die Existenzsicherung für alle, die – sei es aufgrund von Alter, Gesund-

heitszustand oder Arbeitslosigkeit – kei-ner Erwerbsarbeit nachgehen können, gehört dazu. Die konkrete Ausgestaltung dieses menschenrechtlichen Minimums unterscheidet sich von Land zu Land. Die Sozialwerke, die den SPF ermöglichen, können über staatliche Zahlungen wie Renten oder Sozialtransfers gespiesen werden. Oder es werden Dienstleistun-gen und Produkte – verbilligte oder kos-tenlose Nahrungsmittel, Einkaufsgut-

scheine, Wegfall von Versicherungs- franchisen, vergünstigte Bahn- oder Ein-trittskarten in Museen etc. – zur Verfü-gung gestellt.

sPF als Garantin für ein würdiges Leben im AlterZiel des Social Protection Floor ist, be-sonders verletzliche und von prekären Verhältnissen bedrohte Menschen zu schützen. So ist ein garantiertes Min-desteinkommen für alte Menschen zent-ral, um ihnen ein würdiges Leben zu ga-

rantieren. In Zeiten, in denen erfreuli-cherweise immer mehr Men-schen ein hohes Alter errei-chen, muss intensiv über die Ausgestaltung des SPF für all jene nachgedacht werden,

die aus Altersgründen aus dem Arbeits-prozess ausscheiden. Die Schaffung von Sozialwerken, die älteren Menschen ein menschenwürdiges Leben ermöglichen, ist also nicht nur ein Gebot der Men-schenrechte. Sie entspricht auch den wirtschaftlichen Erfordernissen einer vom technologischen Wandel geprägten Arbeitswelt und den Bedürfnissen einer über die Generationen hinweg solidari-schen und dynamischen Gesellschaft.

Länderspezifische Ausgestaltung Wie erwähnt, kann und muss nicht jedes Land die gleichen Lösungen anstreben. Während ein Versicherungssystem mit Beitragszahlungen in der Schweiz gut funktioniert, ist ein solches für Entwick-lungs- und Schwellenländer mit einer ausgeprägten informellen Wirtschaft, wo die Arbeitenden weder registriert sind noch Beiträge leisten, nicht umsetzbar. In Ländern des Südens mit einem grossen Anteil an jungen Menschen beinhaltet die Alters-Demographie andere Proble-me als in Osteuropa oder in gewissen Regionen Asiens, wo Staat und Hilfsor-ganisationen durch eine ausgeprägte «Überalterung» herausgefordert sind. Gerade in Afrika, Südamerika oder Süd-ostasien ist die niederschwellige und kostenlose Versorgung mit Dienstleis-tungen und Gütern eine wichtige Aufga-be eines menschenwürdig gestalteten SPF. Hier sollte die Schweiz eine Rolle spielen, indem sie Erfahrungen mit be-währten Modellen der Existenzsicherung im Alter zugänglich macht und sich in ih-rer Entwicklungspolitik für eine auf die Realität des Südens angepasste Umset-zung einsetzt.

«Ein garantiertes Mindest­einkommen für alte Menschen ist zentral»

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Bedrohter Frieden in MoçambiqueEnde Oktober 2013 kündigte die Oppo-sitionspartei Renamo das seit 1992 gül-tige Friedensabkommen auf, nachdem Regierungstruppen das Dschungelcamp des Renamo-Präsidenten Dhlakama nahe Gorongosa gestürmt hatten. Vor-ausgegangen waren gewalttätige Über-griffe bewaffneter Renamo-Kämpfer auf Polizeieinheiten und ZivilistInnen in der Provinz Sofala. Seither geht die Angst vor einem neuen bewaffneten Konflikt um. Die gewalttätigen Auseinanderset-zungen beeinträchtigen auch Solidar-Projekte in mehreren Distrikten der Pro-vinz Sofala. Die Projektaktivitäten sind weitestgehend sistiert, bis sich die Si-cherheitslage bessert.Das Friedensabkommen hatte 1992 einen 16-jährigen blutigen Bürgerkrieg zwischen der Regierungspartei Frelimo und der Renamo beendet. Seit Mitte 2013 sind die Spannungen zwischen den beiden Parteien aber wieder angewach-sen. Die Renamo, die in den vier Präsi-dentschaftswahlen der letzten 20 Jahre unterlag und kontinuierlich an politi-schem Gewicht eingebüsst hat, fühlt sich politisch wie wirtschaftlich marginali-siert. Die Uno, die katholische Kirche und Regierungen von Geberstaaten äus-serten sich besorgt und forderten die Konfliktparteien zu Verhandlungen auf. Beide Seiten zeigen sich prinzipiell zum Dialog bereit, doch fordert die Renamo internationale BeobachterInnen bei den Verhandlungen.

nOTIZEn

BWI feiert Welttag für menschenwürdige Arbeit Am Treffen der internationalen Bau- und Holzarbeitergewerkschaft BWI in Johan-nesburg war Aufbruchstimmung zu spü-ren. Immerhin feierte man am 7. Oktober 2013 den Welttag für menschenwürdige

Qualitätssicherung bei solidar suisseSolidar Suisse führt das Qualitätsma-nagement-System «Qualität als Prozess» (QaP) ein. QaP ist eine auf die Entwick-lungszusammenarbeit zugeschnittene Version des EFQM-Modells (European Foundation for Quality Management) und wird von der Schweizerischen Verei-nigung für Qualitäts- und Management-Systeme SQS zertifiziert. Unterstützt

wird Solidar dabei von der Firma proEval. Wir nutzen die nächsten zwei Jahre dazu, nachhaltige interne Lern- und Entwick-lungsprozesse einzuleiten sowie eine konsequente Wirkungsorientierung zu verankern. Zurzeit werden drei Mitarbei-tende ausgebildet, die künftig diese Pro-zesse intern anleiten und moderieren. Dies garantiert, dass QaP nach der Pha-se der externen Begleitung selbständig weitergeführt werden kann.

Winterhilfe für syrische Flüchtlinge im LibanonIm November 2013 hat Solidar Suisse in Nabatyie ein Büro eröffnet, um die Nothil-fe für syrische Flüchtlinge im Süden des Libanon zu koordinieren. Solidar ist neu Implementierungspartner des Flüchtlings-hilfswerks UNHCR bei der Verteilung von Hilfsgütern. Im Dezember lief die Winterhilfe auf Hoch-touren. 1300 Familien, d.h. etwa 10 000 Personen, haben Decken, Heizöl und Hei-zungen erhalten. Ausserdem wurde Bau- und Isoliermaterial verteilt, damit die Men-schen ihre Unterkünfte winterfest machen können. Die Hilfe wird dringend benötigt,

denn die Temperaturen können im Liba-non tief sinken. So brachte Mitte Dezem-ber ein Sturm Schnee und Temperaturen unter Null bis auf 500 Meter. Es kam zu lebensbedrohlichen Zuständen, wobei Klein kinder erfroren sind.

Arbeit. Obwohl die Arbeitsbedingungen im südlichen Afrika prekär sind und keine Besserung in Sicht ist, erhielten die Red-nerInnen viel Beifall, nach südafrikani-scher Sitte ausgedrückt in Applaus, Tanz und Gesang. So auch Regionalkoordina-torin Crecentia Mofokeng, die erklärte: «Die BWI muss wieder an die Basis, näher zu den Leuten.» Die enge Zusam-menarbeit mit der südafrikanischen Re-gierung und dem ANC habe die eigen-ständige Position der gewerkschaftlichen Bewegung geschwächt. Unterstützt wur-de Mofokeng durch Grussadressen von Solidar-Geschäftsleiterin Esther Maurer und dem Programmverantwortlichen für das südliche Afrika, Joachim Merz, die anlässlich ihres Süd afrika-Besuch aufs BWI-Podium geladen waren.

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Wie ist die gegenwärtige Situation auf den Philippinen? Es gibt weiterhin ei-nen enormen Be-darf nach Nothilfe.

Die Zerstörungen sind massiv. Im Norden von Panay, wo Solidar Suisse tätig ist, sind 80 bis 90 Prozent der Häuser und 90 Prozent der Fischerboote zerstört. Der Grossteil der Bäume liegt am Boden, die Ernte an Mais, Bananen oder Kokos-nüssen wurde vernichtet.

Haben die meisten Betroffenen inzwischen Hilfe erhalten?Essen wird genügend verteilt, das braucht es auch weiterhin, weil die Leute ihre Ein-kommensmöglichkeiten verloren haben. Am schlimmsten ist, dass es nach wie vor an Unterkünften fehlt, denn im Moment

regnet es dauernd. Gegenwärtig leben die Menschen zwischen Bauschutt. Es gibt viel Selbstinitiative und gegensei-tige Solidarität auf den Philippinen. Im Gegensatz zu anderen Krisengebieten hatte ich nie den Eindruck, dass die Men-schen untätig auf uns warten. Was tut Solidar konkret auf Panay?Wir haben Anfang Januar in 17 Dörfern so genannte Shelter Emergency Repair Kits an 2500 arme Familien verteilt, wo-von gut 12 000 Menschen profitieren. Wir geben ihnen Wellbleche für das Dach sowie Nägel und Werkzeuge ab, damit sie ihre Häuser reparieren können. Für die Wände verwenden sie das Holz ihrer zerstörten Behausungen.

Warum wurde erst so spät verteilt?In der Krisensituation brauchte es einige Zeit, um das notwendige Material zu orga-

nisieren. Doch wir haben sie genutzt, um die Verteilung seriös vorzubereiten. Mit Erfolg: Es kam zu keinerlei Zwischen-fällen.

Wie wurde eruiert, wer Hilfe braucht?Wir haben mit der Gemeindeverwaltung gesprochen, welche die Ärmsten regis- triert. Wir fragten sie, wo sie den gröss-ten Bedarf sieht. Denn wir wollen nicht dort tätig werden, wo bereits Hilfe geleis-tet wird. Sie hat uns sehr unterstützt.In den Barangays (Dörfern) haben wir mit den von der Bevölkerung gewählten Captains gesprochen – ausschliesslich Männer. Deren Frauen haben jedoch an den Sitzungen auch Inputs gegeben. Wir erhielten Listen und verifizierten vor Ort, ob die Familien wirklich arm sind, kein Haus mehr haben und sich nicht selbst helfen können. Anschliessend hängten wir eine Liste der Begünstigten öffentlich aus und gaben den Menschen ein paar Tage Zeit, um sich zu melden, wenn sie nicht einver-standen sind – was niemand tat. Dann luden wir alle DorfbewohnerInnen zu ei-nem Treffen ein, an dem wir erklärten, wer warum was erhält. Dieses basisnahe Vorgehen ist wichtig: Denn nur wer die Kriterien kennt, kann die Entscheide nachvollziehen.

Was ist für 2014 weiter geplant?Familien, die mit dem verteilten Material nicht fachgerecht umgehen können, er-halten Zimmerleute zur Verfügung ge-stellt. Diese bilden wir weiter, damit sie in Zukunft sturmresistent bauen können. Dann wollen wir vier bis fünf Primar-schulhäuser wieder aufbauen. In einer nächsten Phase werden die Leute unter-stützt, permanente Häuser zu bauen und sich wieder eine Existenzgrundlage zu schaffen. www.solidar.ch/philippinen

AKTuELL 15

Roland Hürlimann koordiniert die Solidar-Nothilfe nach dem Taifun im November 2013 auf den Philippinen. Er ist beeindruckt von der grossen Solidarität der Bevölkerung.Interview: Katja Schurter, Foto: Roland Hürlimann

massIve ZerstöruNg

Der Taifun Haiyan hat zerstörte Häuser und Ernten hinterlassen.

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Lösungswort

sOLIDAR­suDOKu spielregelnFüllen Sie die leeren Felder mit den Zahlen von 1 bis 9. Dabei darf jede Zahl in jeder Zeile, jeder Spalte und in jedem der neun 3x3-Blöcke nur ein Mal vorkommen. Das Lösungswort ergibt sich aus den grauen Feldern waagrecht fortlaufend, nach folgendem Schlüssel: 1 = N, 2 = T, 3 = S, 4 = D, 5 = E, 6 = P, 7 = C, 8 = O, 9 = I

Schicken Sie das Lösungswort an Solidar Suisse, per Post karte oder per E-Mail an: [email protected], Betreff «Rätsel». 1. Preis Gutschein für ein Mittagessen für zwei Personen im Restaurant Sahltimbocca 2. und 3. Preis Je ein Säckchen Schokoladenmandeln Die Preise werden vom Sahltimbocca des SAH Zürich zur Verfügung gestellt.

Einsendeschluss ist der 21. März 2014. Die Namen der GewinnerInnen werden in der Solidarität 2/2014 veröffentlicht. Über den Wettbewerb wird keine Korrespondenz geführt. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Von der Teilnahme ausgeschlossen sind Mitarbeitende von Solidar Suisse.Das Lösungswort des Rätsels in Solidarität 4/2013 lautete «Eine andere Welt». 52 Personen haben die richtige Lösung eingeschickt, alle erhalten ein Buchzeichen aus Bolivien. Wir danken den Mitspielenden für ihre Teilnahme.

sAh beteiligt sich am Zürcher Testzentrum für AsylsuchendeDie Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) übernimmt zusammen mit dem Netzwerk der regionalen SAH-Vereine und weiteren Organisationen die Bera-tung und Rechtsvertretung im Zürcher Testzentrum für das neue Asylverfahren. Der Bund will das Asylverfahren be-schleunigen und erprobt die rascheren Verfahren in einer Testphase. Dazu ge-hört ein ausgebauter Rechtsschutz: Asylsuchende, deren Gesuch in der Testphase behandelt wird, haben An-spruch auf unentgeltliche Beratung und Rechtsvertretung. Im Testzentrum sollen bis Ende September 2015 jährlich bis zu 1400 Asylgesuche bearbeitet werden.

nETZWERK

sAh­PersonaltagAm 15. und 16. November 2013 fand der Personaltag der regionalen SAH-Vereine und von Solidar Suisse in Luzern statt.Am Freitagnachmittag gab es verschie-dene Stadtführungen in Luzern. An-schliessend genossen rund 130 Mitar-beitende das Abendessen im Hotel Schweizerhof und nutzten die Gelegen-heit, um sich SAH-übergreifend auszu-tauschen und die Mitarbeitenden der

verschiedenen Vereine persönlich ken-nen zu lernen. Der Samstag war ganz dem Thema «Partizipative Führung» ge-widmet. Referate, Arbeitsgruppen und ein Podiumsgespräch, moderiert von Felix Föhn, dem ehemaligen Geschäfts-leiter des SAH Zentralschweiz, boten Inputs und Diskussionsmöglichkeiten. Zwischendurch liessen sich die Teilneh-menden mit kulinarischen Köstlichkei-ten aus Sri Lanka, Marokko, Bosnien und Herzegowina verwöhnen.

Wir haben unsere LeserInnen gefragt, ob es Themen gibt, über die sie in der Solida-rität gerne mehr erfahren würden. Folgende Vorschläge haben wir erhalten: Das Le-ben bestimmen, soziales Bodenrecht, Solidarität mit MigrantInnen, Kunst für die Welt, Empfängnisverhütung in armen Ländern, Respekt der Armen und die Verfünffa-chung des Preises von Quinoa wegen der grossen Nachfrage in den Industrielän-dern. Herzlichen Dank für die Inputs. Wir werden uns bemühen, sie aufzunehmen.

Themenvorschläge für die solidarität

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Am 16. August 2012 starben im südafrikanischen Marikana 34 Mineure des Bergbauunternehmens Lonmin im Kugelhagel der Polizei, als diese eine Ver-sammlung von Streikenden brutal auflöste. Weitere 78 wurden verletzt. Das Massaker von Marikana ist das schlimmste Blutvergiessen seit dem Ende der Apartheid 1994 und markiert nach Ansicht vieler Be-obachterInnen einen politischen Einschnitt in der jun-gen südafrikanischen Demokratie: die augenscheinli-che Wende hin zu einem Staat, der mit Repression und Gewalt gegen die Anliegen kritischer BürgerInnen und sozialer Bewegungen vorgeht.

Die Solidar-Partnerorganisation Khanya College in Johannesburg hat zusammen mit weiteren Basisorga-nisationen die Kampagne «We Are All Marikana» initi-iert, um sich gegen Polizeigewalt und die Kriminalisie-rung sozialer Proteste zu wehren. Khanya College hat ausserdem die Wanderausstellung «Remember Mari-kana» mit rund 40 Aufnahmen der südafrikanischen Fotografen Greg Marinovich, Leon Sadiki und Seba-batso Mosamo konzipiert. Sie dokumentiert die Ereig-nisse vor, während und nach dem verhängnisvollen 16. August 2012 und wurde an verschiedenen Orten in Südafrika gezeigt, um an den tragischen Vorfall zu erinnern. www.solidar.ch/suedafrika

KuLTuRELL

remember marIKaNa

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Fotos vom ersten Jahrestag erinnern an das Massaker im südafrikanischen Marikana.Text: Joachim Merz, Fotos: Khanya College

Am ersten Jahrestag versammelten sich die Menschen in Marikana, um

an das Massaker zu erinnern, bei dem 34 Streikende getötet wurden.

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«er schLug mIr mIt der vIeh­PeItsche INs gesIcht»Thabang Mohlala setzt sich für die Rechte der vielen temporär Beschäftigten in Südafrika ein. Ihre Arbeits- bedingungen kennt er aus eigener Erfahrung.Text: Eva Geel, Foto: Esther Maurer

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Thabang Mohlala hat schon einige Schi-kanen am Arbeitsplatz erlebt, doch was am 15. Oktober 2012 geschah, hatte er nicht erwartet: «Als ich dem Arbeitgeber sagte, er mache sich strafbar, wenn er unserem Beratungsteam mit Prügeln drohe, schlug er mich mit seiner Viehpeit-sche* ins Gesicht.» Mohlala musste ins Spital, um die Wunde nähen zu lassen.Grund für die Attacke des Arbeitgebers: Er wollte eine Gruppe streikender Stras-senkehrerInnen davon abhalten, bei der Beratungsstelle Casual Workers Advice Office CWAO (siehe Kasten) Unterstüt-zung zu holen. Denn seine Firma hatte Auflagen der Gemeinde für die Übernah-me der Strassenreinigung nicht einge-halten und die Löhne widerrechtlich ge-senkt. Statt dem bisherigen Monatslohn von 6000 Rand (600 Franken) zahlte

das Unternehmen, das pikanterweise dem African National Congress ANC ge-hört, den StrassenwischerInnen nur noch 1700 Rand (170 Franken). Solche Fälle sind Alltag in Südafrika. Die Arbeitslosigkeit steigt, immer mehr Men-schen leben von Gelegenheitsjobs und Arbeit auf Abruf, Festangestellte werden durch TemporärarbeiterInnen ersetzt. Doch die Gewerkschaften kümmern sich vor allem um die Festangestellten.

Rechtlose TemporärarbeiterInnenAuch Thabang Mohlala war Temporärar-beiter. Er begann 2002 beim Chemieun-ternehmen Reckitt Benckiser. Als All-roundarbeiter bekam er pro Stunde 13 Rand (1.30 Franken), die Beförderung zum Maschinisten brachte gerade mal fünf Rappen mehr. «Bei Vertragsab-schluss hiess es: Unterschreib, unter-schreib, unterschreib», erinnert er sich. Eine Kopie des Vertrags erhielt Thabang Mohlala jedoch nicht. Das ist gängige Praxis: Befristete Arbeitsverträge wer-den den Arbeitnehmenden nicht ausge-händigt, denn meist steht darin kein End-datum. So können die Arbeitgebenden die Angestellten unter Druck setzen. Wenn jemand nicht spurt, wird das Da-tum nach Belieben eingesetzt. Trotzdem arbeitete Thabang Mohlala vie-le Jahre bei Reckitt Benckiser in Johan-nesburg, fast 500 Kilometer weit von sei-ner Familie entfernt. Seine Frau lebt mit der 13-jährigen Tochter und dem acht-jährigen Sohn in Mpumalanga. Dort fin-det er aber keine Arbeit. «Alle zwei Mo-nate kann ich sie besuchen.»

Entlassen wegen Arbeitskampf2011 beteiligte sich Thabang Mohlala an einem Streik der ChemiearbeiterInnen: «Die Festangestellten streikten für höhe-re Löhne. Wir streikten aus Solidarität mit.» Die GelegenheitsarbeiterInnen for-derten einen Mindestlohn, der Sozialleis-tungen und Ausfall bei Krankheit bein-haltet. Der Streik nützte den Fest- angestellten – doch die Temporärarbei-terInnen gingen leer aus: «Daraufhin tra-ten 480 von uns erneut in Streik», berich-

Die Narbe vom Angriff eines Arbeitgebers auf Thabang Mohlala ist ein Jahr später immer noch zu sehen.

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Die Beratungsstelle für Temporärar-beiterInnen unterstützt seit 2011 die wachsende Zahl prekär Beschäftigter in Südafrika. Die Solidar-Partnerorga-nisation bietet kostenlose Beratung und rechtliche Unterstützung, z.B. über einen Free cellphone service: Bei Pro-blemen können Arbeitende ein SMS schicken und CWAO ruft zurück. www.solidar.ch/suedafrika

Office cWAO

casual Workers Advice

tet Mohlala. Eine herbe Enttäuschung war, dass die Festangestellten nun nichts mehr von Solidarität wissen wollten. Und es kam, wie es kommen musste: Das Un-ternehmen ging nicht auf die Forderun-gen der prekär Beschäftigten ein. Als sie schliesslich zur Arbeit zurückkehren woll-ten, wurden 216 von ihnen entlassen. Die Entlassenen – unter ihnen Thabang Mohlala – verklagten Reckitt Benckiser wegen missbräuchlicher Kündigung. Das Unternehmen wurde zu einer Entschädi-gung von sechs Monatslöhnen verurteilt. «Bis jetzt ignoriert das Unternehmen die Urteile», meint Mohlala. Zurzeit ist Thabang Mohlala befristet bei CWAO angestellt und informiert die Ar-beiterInnen über ihre Rechte. «Ich wünschte, ich könnte diese Arbeit weiter machen, aber CWAO fehlt das Geld», er-zählt er. Das bedauert auch CWAO, denn Mohlalas Erfahrung ist wertvoll für die Organisation – er kennt die Arbeitsbe-dingungen und Probleme der temporär Beschäftigten und möchte sie unterstüt-zen: «Die ArbeiterInnen sollen ihre Rech-te kennen.» Wie schwierig der Kampf ist, weiss Thabang Mohlala aus eigener Er-fahrung: Nach dem Peitschenhieb zeigte er den gewalttätigen Unternehmer an: «Ich wurde nicht einmal von einem Staatsanwalt angehört. Korruption ist all-täglich in diesem Land.»

* Die traditionelle Viehpeitsche, Sjambok genannt, wird heute als Plastikpeitsche verkauft und häufig in Kämpfen verwendet.

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daNKe !Bis Ende 2013 sind über 560 000 Franken für die Opfer des Taifuns auf den Philippinen bei uns eingetroffen. Wir danken Ihnen herzlich für Ihre Solidarität.Dank Ihres Beitrags konnte Solidar Suisse Nothilfe leisten und die Betroffenen beim Aufbau ihrer zerstörten Häuser unterstützen. Ausserdem helfen wir ihnen dabei, sich wieder eine Existenzgrundlage zu schaffen.

Für den Wiederaufbau nehmen wir weiter Spenden entgegen:

www.solidar.ch/spenden oder PC 80-188-1