20
Ausgabe Februar 1/2015 Das Magazin von THEMA Mit Medien mobilisieren PAKISTAN Frauen verschaffen sich Respekt

Solidarität 1/2015

Embed Size (px)

DESCRIPTION

Magazin von Solidar Suisse

Citation preview

Ausgabe Februar 1/2015

Das Magazin von

THEMAMit MedienmobilisierenPAKISTAN PAKISTAN Frauen verschaffen sich

Respekt

Esther MaurerDirektorin Solidar Suisse

2 EDITORIAL

MEDIENSCHAU

Liebe Leserin, lieber Leser,

Das Thema Medien bewegt. In der Schweiz sprechen wir von einer Monopolisierung der Medien durch wenige Verlagshäuser und dem damit verbundenen Risiko der medialen Manipulation sowie vom Gegentrend durch Social Me-dia, die natürlich wiederum mani pulativ eingesetzt werden können. Wir sprechen von medialer Schnelllebigkeit und be-dauern die damit oftmals verbundene Oberflächlichkeit bei der Themenwahl und -aufbereitung, die dazu führt, dass beispielsweise das Solidar-Thema «Faire Arbeit» kaum in der erforderlichen Diffe-renziert abgebildet werden kann. In unseren Schwerpunktländern bewegt das Thema Medien unter anderen Vor-zeichen: An der Medienfreiheit misst sich die generelle Meinungsfreiheit, gewis-sermassen als «Nagel probe der Demokratie». Und oftmals kommt den Medien ein wichtiger Aufklärungs- und Bildungs-auftrag zu. Das gilt besonders für das Radio, das in mehreren

unserer Länderprogramme ein wichtiges Instrument ist, sei es, um die Arbeitsrechte bekannt zu machen oder die Ansteckung mit HIV/Aids und die Gewalt gegen Frauen mittels Sensibilisie-

rungsarbeit zu bekämpfen. Unsere Mitar-beitenden nutzen Radio, Social Media und andere Kanäle gekonnt, gezielt und mit einem hohen Bewusstsein.

Beim Schreiben dieses Editorials erreicht mich die Schreckensnachricht, dass in Paris zwölf Menschen beim Angriff auf die Redaktion des Satiremagazins «Char-lie Hebdo» brutal von Terroristen getötet wurden. Dies macht traurig und wütend, unendlich wütend! Und es bestärkt mich darin, dass das Engagement für Men-schenrechte und Demokratie auf der ganzen Welt wichtig und zwingend ist

und vielleicht die wirkungsvollste Antwort überhaupt, um solche Terrorakte künftig zu vermeiden. Esther Maurer

6.11.2014Ein Jahr nach dem Taifun «Haiyan» (…) Beispielhaft für den Einsatz einer Reihe von Schweizer Hilfswerken, die sich infolge von «Haiyan» auf den Philip-pinen engagiert haben, ist, dass sie mehrheitlich abseits des Zentrums der Katastrophe aktiv waren und weiterhin sind, um in periphereren und oft schwer zugänglichen und medial vernachlässig-ten Gegenden die Folgen des Sturms bewältigen zu helfen. So hat sich etwa Solidar Suisse auf der abgelegenen Insel Panay in der Nothilfe betätigt und führt dort nun ein Programm zum Wiederauf-bau von soliden Häusern durch. (…)In Manila ziehen auch kritische Geister eine positive Bilanz der Nothilfe während der ersten sechs Monate.

7.12.2014Hilfswerke gegen BlocherChristoph Blochers SVP attackiert mit ih-rer Initiative «Landesrecht vor Völker-recht» einen Grundpfeiler der hiesigen Werteordnung. (…) Die wichtigsten Schweizer Hilfswerke sowie Verbände und Persönlichkeiten sagen dem rechts-konservativen Angriff den Kampf an. (…) «Menschenrechte sind Schweizer Rech-te» nennt sich die Gruppierung. Ihre Stel-lungnahme ist klar: «Die Rechte der Zivil-gesellschaft dürfen nicht durch die Politik geschwächt werden.» Man wolle mit der Kampagne «die Schweizer Errungen-schaft der Ratifizierung der Menschen-rechtskonvention bewahren». (…) Mit dabei sind Heks, Helvetas, Terre des Hommes (…) Solidar Suisse.

31.10.2014Kreuzlingen beschafft sozialerErfolg für die beiden SP-Gemeinderätin-nen Charis Kuntzemüller und Nina Schläfli: Ab sofort müssen die von der Stadt Kreuzlingen beauftragten Unter-nehmen und Lieferanten ausserhalb der Schweiz und des EWR die Kernüberein-kommen der Internationalen Arbeitsor-ganisation (ILO) einhalten und entspre-chende Zertifikate vorlegen. (…)Die beiden Gemeinderätinnen begründe-ten das Postulat mit der Auswertung der Organisation Solidar Suisse, die in ihrem Bericht aus dem Jahr 2013 das Be-schaffungswesen und die Leistungsver-einbarungen der Stadt Kreuzlingen auf-grund fehlender sozialer Nachhaltigkeit bemängelte.

Herausgeber: Solidar Suisse, Quellenstrasse 31, Postfach 2228, 8031 Zürich, Tel. 044 444 19 19, E-Mail: [email protected], www.solidar.ch, Postkonto 80-188-1 Mitglied des europäischen Netzwerks SolidarRedaktion: Katja Schurter (verantwortliche Redaktorin), Rosanna Clarelli, Eva Geel, Lionel Frei, Cyrill Rogger

Layout: Binkert Partner, www.binkertpartner.ch / Spinas Civil VoicesÜbersetzungen: Ursula Gaillard, Interserv SA Lausanne, Jean-François ZurbriggenKorrektorat: Jeannine Horni, Milena HrdinaDruck und Versand: Unionsdruckerei AG, Platz 8, 8201 SchaffhausenErscheint vierteljährlich, Auflage: 37 000

Der Abonnementspreis ist im Mitgliederbeitrag inbegriffen (Einzelmitglieder mindestens Fr. 70.–,Organisationen mindestens Fr. 250.– pro Jahr).Gedruckt auf umweltfreundlichem Recycling-Papier.

Titelbild: Ein Junge liest auf der Strasse eines Slums von Lahore die Zeitung. Foto: Usman Ghani. Rückseite: Unterschreiben Sie die Petition für eine gerechte Klimapolitik. Foto: Spinas Civil Voices.

AKTUELL Nach der Jahrhundertflut in Pakistan fassen die Betroffenen langsam wieder Tritt. Solidar unterstützt Frauen mit Weiter bildungen dabei, sich ein Ein-kommen zu erwirtschaften.

15

THEMAMedien können zu Armutsbekämpfung, Partizipation und würdiger Arbeit beitragen. Beispiele aus der Arbeit von Solidar Suisse.

4

IMPRESSUM

3

THEMA Medien als Mittel der Entwicklungs-zusammenarbeit 4 Zu Besuch bei Radio Stereo Mulukukú in Nicaragua 6 Bolivien: Im Jugendknast setzen sich die Insassen mittels Theater und Film mit ihrer Situation auseinander 8 Die Kunstfigur Doctora Edilicia berät die BürgerInnen Boliviens 10 STANDPUNKT Die Journalistin Jasna Bastic zur Rolle der Medien während und nach dem Krieg in Ex-Jugoslawien 11 KULTURELL Die nicaraguanische Fernsehserie «Loma Verde» thematisiert aktuelle soziale Probleme 12 AKTUELL Solidar Suisse ist für die Qualität seiner Arbeit zertifiziert worden 13 In Pakistan bauen sich junge Frauen eine Existenz auf und verschaffen sich Respekt 15 EINBLICK Paul Ilboudo hat die zweisprachige Bildung in Burkina Faso initiiert. Eine Würdigung 18 KOLUMNE 9 PINGPONG 16 NOTIZEN 14+17

4Eine Reporterin der nicaraguanischen Landarbeite-rInnengewerkschaft ATC informiert die HörerInnen über ihre Arbeitsrechte.

Medien sind ein Mittel der Entwicklungszusammenarbeit. Sie können zum Beispiel zu Armutsbekämpfung, würdiger Arbeit und Partizipation beitragen. Auf den nächsten Seiten stellen wir Solidar-Projekte vor, die Menschen via Medien über ihre Rechte informieren und den Benachteiligten eine Stimme geben. Sei es über das in verschiedenen Ländern nach wie vor am meisten verbreitete Medium Radio, per Online-Beratung oder mit einer Telenovela, die Gewalt gegen Frauen thematisiert. Dass Medien gerade auch in Umbruchzeiten nicht nur eine positive Rolle spielen, zeigt das Beispiel Ex-Jugoslawien. Foto: Désirée Good

MEDIEN

THEMA

5

fragt die Frau am anderen Ende. «Ich möchte eure Ratschläge zur Gesund-heitsvorsorge unbedingt weiterverfolgen, aber mein Mann versteckt das Radio, damit ich mir diese ‹unanständigen, wert-losen› Dinge nicht anhören kann. Und am Morgen ist er auf dem Feld.» Diesem Wunsch kann Jazmina Jarquín nicht ent-sprechen, stattdessen diskutiert sie mit der Frau, wie sie die Sendung trotzdem weiter hören und vielleicht sogar bei ihrem Mann Interesse fürs Radio wecken könnte. Fasziniert beobachten wir, wie kompetent und konstruktiv Jazmina die Fragen von HörerInnen beantwortet. Be-reits als Mädchen träumte sie davon, Radioreporterin zu werden. «Ich wünschte mir, die Stimme derjenigen zu sein, die ihre Gedanken und Nöte aus Scheu nicht selber vorbringen können, sich aber über

Fröhliche Musik erklingt aus dem kleinen Bauernhof, der im hügeligen Norden Nicaraguas liegt. Dann die Ansage: «Hier sind wir wieder und laden euch ein, eine ‹Stunde für die Frau› mit uns zu teilen ...» Die Stimme gehört Jazmina Jarquín, Sprecherin von Radio Stereo Mulukukú, das bis in diesen versteckten Bauern hof empfangen wird. Im kleinen, aber gut eingerichteten Studio des Radios, das in der Gemeinde Mulukukú vom Frauen-Netzwerk Ana Lucila betrieben wird, empfangen uns Jazmina Jarquín und Norma Valdéz. Die zwei jungen Frauen bereiten die nächste «Stunde für die Frau» vor. Eine halbe Stunde später sind sie auf Sendung, und es dauert keine fünf Minuten, bis das Telefon im Studio das erste Mal blinkt. «Könntet ihr die Sendung nicht am Vormittag ausstrahlen»,

das anonyme Radio Gehör verschaffen wollen.»

Bildung und SensibilisierungVor allem in abgelegenen Gebieten, wo die Menschen noch auf offenem Feuer kochen und ihre Häuser mit Öllampen beleuchten, ist das Radio eine wichtige Verbindung zur «weiten Welt». Fast jede Bäuerin, jeder Bauer hört während der täglichen Arbeit Radio. Aber auch in den Dörfern ist und bleibt es das meistgenutz-te Kommunikationsmittel. Deshalb setzen engagierte Frauen und Männer das Radio ein, um mit ihren Kampagnen die Bewoh-nerInnen entlegener Gebiete zu erreichen. So ist dieses Medium in Waslala, La Dalia, Mulukukú und vielen anderen Orten, in denen Solidar Suisse tätig ist, ein fester Bestandteil der Öffentlichkeits arbeit.

6

BIS IN DEN HINTERSTEN WINKELCommunity-Radio öffnet der ländlichen Bevölkerung in Nicaragua eine Türe zur Welt. Engagierte Frauen und Männer beleuchten aktuelle Themen und klären über Rechte auf. Text: Veronica Pfranger, Fotos: albafilms und Veronica Pfranger

Jazmina Jarquín am Mikrofon im Studio von Radio Stereo Mulukukú.

THEMA 7

«Ich habe mich einfach ans Mikrophon gesetzt und von den letzten Workshops erzählt oder aus dem Bulletin von Ana Lucila vorgelesen», erinnert sich Norma Valdéz an den Beginn ihrer Radiotätig-keit. Später wurde die technische und journalistische Weiterbildung ein fester Bestandteil des Projekts. Heute bieten die Radiostationen eine grosse Auswahl an Bildungsprogrammen, abgestimmt auf Alter, Geschlecht oder Beschäfti-gung. Besondere Beachtung schenken die Radioschaffenden dem Umfeld, in dem die HörerInnen leben. «Ob die Bot-schaft ankommt, hängt auch davon ab, dass wir ihre Sprache sprechen», weiss Norma Valdéz. Die Themenpalette der Beiträge reicht von Gewaltprävention, Sexualität und Gleichberechtigung über Bürgerrechte und -pflichten, Arbeitsrecht und Umwelt-schutz bis zu verbesserten landwirt-

schaftlichen Produktionsmethoden. Um die Sensibilisierung zu unterstützen, wer-den auch bei der Musikwahl vulgäre oder gewaltverherr lichende Songtexte be-wusst vermieden. «Wichtig ist, dass auch Männer mitarbeiten», betont Norma Valdéz. «So hört das männliche Publikum bei Tabu themen, über die Männer sonst nicht disku-tieren, wenigstens zu, ohne sich da-rüber lustig zu machen, weil eine Frau sie aufklären will.» In den Community-Radiosendern arbeiten deshalb gemischte Teams, die sich die Themen aufteilen.

Beteiligung der HörerInnenLucía Herrera, Radiomacherin aus La Dalia, spielt uns eine der «Cuñas» vor –

Jingles, die Ana Lucila in eigener Sache ausstrahlt, und die meist ein besonders gutes Echo erhalten: «La basura en su lugar y la violencia a la basura» – «Müll gehört in die Tonne, Gewalt gehört in den Müll». Besonders beliebt sind Sendun-gen mit aktiver Beteiligung der HörerIn-

nen, ob nun per Telefon oder als Studio-gästInnen. Oft erfahren die Radioschaf- fenden auch über andere Wege, dass ihre Sendungen gehört und Ratschläge befolgt werden. So erklärte eine miss-handelte Frau, die bei der Polizei Anzeige erstattete, dass sie diesen Schritt nur gewagt habe, weil ihr eine Radiosendung zum Thema Mut gemacht hatte. «Solche Rückmeldungen und die vielen Anrufe der Hörenden motivieren uns sehr», freut sich Lucía Herrera, die auch persönlich von ihrem Radioengagement profitiert. «Ich habe weniger Angst, Themen anzu-sprechen, die mir wichtig sind, und auch meine Familie wird durch mein Verhalten sensibilisiert.»www.solidar.ch/nicaragua_projekte

«Ich möchte die Stimme der jenigen sein, die ihre Gedanken und Nöte nicht selber vorbringen können.»

Norma Valdéz, Arelis Gaitán Arauz, Lucía Herrera, und Jazmina Jarquín möchten mit ihren Sendungen die Situation der Frauen verbessern.

Verschiedene Solidar-Projekte leisten über Radiosendungen Sensibilisierungs-arbeit. So informieren neben Radio Stereo Mulukukú (siehe Artikel) die Gewerk-schaften der Hausangestellten und der ZuckerrohrschneiderInnen in Bolivien, die Gewerkschaften des Service public in El Salvador oder das Africa Labour Media Project (ALMP) im südlichen Afrika die HörerInnen über ihre Arbeitsrechte. ALMP produziert in zehn Ländern des südlichen Afrikas wöchentliche Sendungen zu einer breiten Palette von Themen, die ArbeiterInnen betreffen, wie Mindest löhne, multinationale Unternehmen in Afrika, Klimawandel oder HIV/Aids. www.solidar.ch/ALMP

Radioprojekte von Solidar Suisse

8

JEDES GEFÄNGNIS HAT SEIN FENSTERHinter den Mauern des Gefängnisses Fortaleza in Bolivien gibt Solidar Suisse jungen Menschen die Möglichkeit, sich künstlerisch auszudrücken und so Anerkennung zu erhalten. Text: Stéphane Cusin, Fotos: Désirée Good und Stéphane Cusin

dass die jungen Leute mit den eigenen schlimmen Erfahrungen umzugehen ler-nen, um nach dem Gefängnis die Chance für ein neues Leben ergreifen zu können.

Theater- und FilmproduktionenIn Fortaleza bietet LanzArte den Jugend-lichen die Möglichkeit, unterstützt von Regisseuren und Filmemacherinnen ihre eigenen Produktionen auf die Beine zu stellen. Einer der Theaterpädagogen ist Chico: ein Mann in den 60ern mit weissem Bart und kleiner Brille. Die Ju-gendlichen mögen ihn: «Er ist toll! Er ermutigt uns, hört uns zu und vertraut uns. Bei ihm lernen wir, Ge-schichten zu schreiben, Rollen zu inter-pretieren, Filme zu drehen.» Das ist für sie neu – Respekt scheint keine übliche

Das Centro Fortaleza San Guillermo de Malavalle in Santa Cruz in Bolivien ist kein gemütlicher Ort: In spartanischen Zellen mit jeweils fünf Betten sitzen 14- bis 16-jährige Jungen ein, häufig für mehrere Jahre. Durchschnittlich verbringen die Insassen des Jugendgefängnisses zwei Jahre im Centro Fortaleza, auf einem Areal, das von einer hohen Mauer umgeben ist und auf dem mehrere Pavillons aus rotem Backstein einen Komplex bilden. Die jun-gen Gefangenen werden hier auch auf das Leben nach der Haft vorbereitet: Sie besuchen die Schule und berufsvorberei-tende Kurse, zum Beispiel für Informatik oder Elektrotechnik. Auch Hausarbeiten und Kochen gehören zu ihren Aufgaben. Psychologisch jedoch werden sie kaum betreut. Das Solidar-Projekt LanzArte (siehe Kasten) möchte dazu beitragen,

Erfahrung im Leben dieser Jungen zu sein. Und was denkt Chico über sie? «Das sind junge Menschen mit grossem Potenzial und viel Energie. Es gibt zwar Tage, an denen ich sie aus ihren Zellen holen und sie davon überzeugen muss, am Workshop mitzumachen. Aber sie alle verdienen es, dass ich mich für sie ein-setze.»

Aus dem Leben gegriffenHeute ist ein besonderer Tag in Fortale-za. Die Jugendlichen präsentieren ihren Mitgefangenen die Früchte ihrer künstle-rischen Arbeit. Vier von ihnen spielen

«Das sind junge Menschen mit grossem Potenzial und viel Energie.»

In einem Workshop von LanzArte entwickeln Jugendliche ihr eigenes Theaterstück.

THEMA 9THEMA 9

Hans-Jürg FehrPräsident Solidar Suisse

Bis vor kurzem hätte man sich das nicht einmal im schlimmsten Albtraum vorstellen können: Ein Mitglied des Bundesrates stellt den sechs Kollegin-nen und Kollegen den Antrag, die Schweiz solle aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) austreten. Die Begleitmusik dazu spielt seine Partei, die SVP, mit der Volksini-tiative «Landesrecht über Völkerrecht». Die stärkste Partei will, dass die Schweiz einem der wichtigsten Werte-bündnisse der Welt den Rücken kehrt. Sie distanziert sich von der zivilisatori-schen Kernsubstanz Europas, ja der ganzen Welt. Sie distanziert sich auch von der Quintessenz der bürgerlich-demokratischen Gesellschaftsauffas-sung. Nichts ist dieser wichtiger als der Schutz des Individuums vor dem Staat, auch vor dem demokratisch verfassten Staat. Diesen Schutz garantieren drei-fach die in der Bundesverfassung ver-ankerten Grundrechte, die EMRK und die für alle Mitgliedsländer verbindliche Menschenrechtserklärung der Uno. Die Menschenrechte sind nicht nur universell gültig, sondern entziehen sich auch Mehrheitsentscheiden des Stimmvolkes, die mal so und mal an-ders ausfallen können. Sie stehen ganz einfach nicht zur Disposition, nir-gends, auch nicht in der Schweiz. Sie definieren das Menschsein als solches. Und sie setzen, anders als Ueli Maurer und die SVP es darstellen, der Demo-kratie nicht Grenzen; sie sind vielmehr Teil einer demokratischen Grundord-nung, die nicht nur Mehrheiten, son-dern auch Minderheiten und Individuen kennt und schützt.

KOLUMNE

Im Abseits

Rollen, die das Publikum nur allzu gut kennt: Richter, Ankläger und zwei Ange-klagte. Die Szene wird mehrmals ge-spielt, jedes Mal verhalten sich die vier Darsteller anders. Die Zuschauer leben mit und klatschen. Dieses Theater ist Teil ihres eigenen Lebens. Später wird ein Film gezeigt, der im Gefängnis gedreht wurde. Er erzählt eine Familiengeschich-te, die ebenfalls vielen vertraut ist: gewalt-

tätiger Vater, misshandelte Mutter, orien-tierungsloser Sohn und ein paar zwielichtige Kollegen. Der Sohn versucht, aus der familiären Realität zu fliehen, und so beginnt sein «Abstieg». Die Jungen folgen der Geschichte gebannt.Weitere ProtagonistInnen treten auf: das Kind einer armen ländlichen Familie, eine Studentin an der Universität Sucre, ein in Fortaleza internierter Junge … Die Ge-schichten der Jugendlichen erzählen vom Leben in Bolivien, sie handeln von Liebe, Respekt, Gewalt, einer guten Ar-beit, der Gründung einer Familie – und von den Träumen dieser jungen Bolivia-ner, die sich ganz ähnliche Dinge wün-schen wie Jugendliche weltweit.

Ein Diplom als AnerkennungDie Lichter gehen an. Die Jugendlichen applaudieren und Chico rollt die Leinwand ein. Mit dieser Vorführung wurde ein Zyk-lus abgeschlossen. Der Gefängnisdirektor bittet um Ruhe: «Heute werde ich den Teil-nehmern der LanzArte-Workshops ein Di-plom überreichen!» Nacheinander bittet er die jungen Schauspieler zu sich auf die Bühne. «Pedro!»* Pedro kommt nach vor-ne, holt sein Diplom und schüttelt die Hand des Direktors. «Eduardo!», «Luis!, Luis!!, Luis!!!» Diesen ruft er allerdings ver-geblich auf. Luis hat seine Strafe abge-sessen und ist wieder in Freiheit.*Vornamen geändert

LanzArte gibt Jugendlichen die Mög-lichkeit, mit Theater, Tanz oder Filmpro-duktionen aus ihrem alltäglichen Leben zu erzählen. Das Projekt, das vor acht Jahren ins Leben gerufen wurde, hat unterdessen eine grosse Ausweitung erfahren – von La Paz über Santa Cruz, Sucre und Cochabamba bis El Alto und Huanuni. In den verschiedensten Regi-onen Boliviens finden Workshops und Vorstellungen statt, in denen Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene ihre Ideen und persönlichen Gedan- ken zum Ausdruck bringen. So fördert das Projekt die Auseinandersetzung der Jugendlichen mit aktuellen gesell-schaftlichen Themen und trägt zu einer demokratischen politischen Kultur bei. www. solidar.ch/bolivien

LanzArte

Tor und Aussenmauern der Jugendstrafanstalt Centro Fortaleza im bolivianischen Santa Cruz.

In Bolivien erfreut sich eine von Solidar geschaffene Medienfi gur grosser Beliebtheit: Doctora Edilicia. Text und Fotos: Joachim Merz

Mit PADEM (Unterstützungsprogramm für Gemeindedemokratie) setzt sich Solidar Suisse in Bolivien aktiv für die Gemeindeautonomie ein, denn geleb-te Demokratie von unten ist die beste Voraussetzung dafür, dass die Men-schen einen besseren Service Public erhalten. www.solidar.ch/bolivien_demokratie

PADEM

Wie beteiligt eine Gemeinde ihre Bürge-rInnen am Entscheid über Investitionen? Was können BürgerInnen tun, wenn sie einen begründeten Verdacht auf Korrup-tion in der Gemeindeverwaltung haben? In Bolivien weiss Doctora Edilicia seit zehn Jahren Antworten auf diese und andere Fragen. Es ist die einmalige Er-folgsgeschichte einer Person, die es ei-gentlich gar nicht gibt. Doctora Edilicia ist ein Kommunikationsprodukt des Soli-dar-Projekts PADEM (siehe Kasten). Diefiktive Persönlichkeit wurde 2004 bei der Einrichtung einer Gratis-Hotline zur Kommunalpolitik geschaffen. Seither leiht die damalige

PADEM-Koordinatorin Marlene Berríos Doctora Edilicia Stimme und Aussehen. «Wir haben diese Hotline zum richtigen Zeitpunkt eingerichtet. Die Leute hatten viele Fragen», erzählt Marlene Berríos. «Und mit Doctora Edilicia haben wir eine kreative und witzige Art gefunden, auf die Sorgen der Leute zu reagieren.»

Populäre Kunstfigur Heute ist Doctora Edilicia eine nationale Berühmtheit. Marlene Berríos tritt bei Buchmessen auf und signiert Bücher. Fast wie ein Medienstar. Wie geht es ihr mit diesem Alter Ego? «Manche Leute auf der Strasse sprechen mich als Doctora Edilicia an. Mir macht das nichts aus. Im Gegenteil: Es zeigt, wie erfolgreich unsere Kampagne war. Die Gemeindeebene ist sehr wichtig für die politische Beteiligung der Menschen, denn sie ist ihnen am nächsten.»Der Bürgermeister von La Paz hat sich schon scherzhaft beklagt, dass die Ein-wohnerInnen seiner Stadt ihm das Leben schwer machen, weil sie auf die Ratschlä-ge von Doctora Edilicia hören. Und der Kandidat der Opposition bei den Präsi-dentschaftswahlen 2014, der Zement-magnat Samuel Doria Medina, kritisierte Doctora Edilicia, weil sie darauf pocht, dass zur Verbesserung des Service public

nicht nur Investitionen in die Infrastruktur nötig sind, sondern eine qualitative Ver-besserung des Bildungs- und Gesund-heitswesens. Das bedeutet vor allem Investitionen in Menschen: ihre Qualifika-tion, ihre Motivation und ihre Fähigkeit, mit Schülerinnen oder Patienten umzugehen. Ausserdem müssen alle Interessengrup-pen in die Prozesse der Entscheidungs-findung einbezogen werden.

Von der Hotline zu FacebookDie Gratis-Hotline wird heute aus Res-sourcengründen nicht mehr aktiv betrie-ben. Via Radio und soziale Medien wie Facebook, Twitter und Youtube ist Docto-ra Edilicia aber nach wie vor für die Bür-gerInnen da. So beleuchten 30-Sekun-den-Kurzprogramme im Radio aktuelle Fragen der Kommunalpolitik. Dann wer-den sie auf www.doctoraedilicia.com aufgeschaltet. Und weiterhin gehen über die sozialen Medien monatlich rund 100 Anfragen an Doctora Edilicia ein.«2015 wird ein entscheidendes Jahr für die Kommunalpolitik und für die Gemein-den, die mit Korruption und Effizienzprob-lemen kämpfen. Dann wird sich entschei-den, ob der Prozess der Re-Zentralisierung zunimmt – das heisst die Kompetenzen wieder vermehrt bei der Zentralregie -rung liegen – oder ob die Gemeinden ihre Autonomie stärken können», meint Marlene Berríos. Die Stimme von Doctora Edilicia wird weiterhin gebraucht.

Comic-Abbild von Doctora Edilicia, an die sich viele BolivianerInnen mit ihren Fragen zur Politik wenden.

Kultfigur Doctora Edilicia und Original Marlene Berríos.

10 THEMA

DOCTORA EDILICIA WEISS RAT

KOMMERZ GEFÄHRDET UNABHÄNGIGKEITNach ethnischen Säuberungen und Krieg – welche Rolle spielen die Medien im ehe maligen Jugoslawien für einen Wandel?Text: Jasna Bastic, Journalistin, ehemals Medienhilfe Ex-Jugoslawien

Im Haus, in dem ich aufwuchs, lagen überall Zeitungen herum, die es wert wa-ren, gelesen zu werden. Jeden Tag fand sich die ganze Familie um 20 Uhr vor dem Fernseher ein, um zu erfahren, was auf der Welt geschehen war. Wenn ich heute meine Heimatstadt Sa-rajevo besuche, informiere ich mich kaum über die lokalen Medien, die Tageszei-tung «Oslobodjenje» kaufe ich nur noch aus Nostalgie. Was ich sehe, ist eine

Überflutung an Tabloid-Zeitungen und kommerziellen TV-Sendern mit Reality-Shows als Programm-Highlight.Die unzähligen Zeitungen, Magazine und Fernsehsender fallen weit hinter die un-abhängigen Medien zurück, wie wir sie in den 1990er Jahren kannten. Viele mei-ner FreundInnen flüchten sich in die Cyberwelt und informieren sich über in-ternationale Medien oder lokale Blogs und Portale. Aber diese ungeregelten so-zialen Plattformen können professionelle Medien und Qualitätsjournalismus nicht ersetzen, trotz ihrer Mobilisierungskraft und Geschwindigkeit.

Unabhängige Medien im KriegEs ist paradox, aber in Zeiten des Kriegs und autoritärer Regimes gab es unab-hängige Medien, die mehr journalistische Qualität boten als die heutigen Medien. In Kroatien, Bosnien, Serbien und Koso-vo erhoben unglaublich mutige, fähige und professionelle Journalisten und Re-daktorinnen ihre Stimme gegen ethni-sche und religiöse Spaltung und Krieg, auch unter repressiven nationalistischen

Regimes. Diese Medien wur-den von internationalen Insti-tutionen anerkannt und er-hielten politische und finanzielle Unterstützung – zum Beispiel von der schwei-zerischen NGO «Medienhilfe

Ex-Jugoslawien» –, ohne die sie jene schwierigen Zeiten nicht überlebt hätten. Und auch wenn sie nicht die breiten Massen erreichten, so setzten sie der Staatspropaganda doch etwas entgegen, und ihre Enthüllungen über Kriegsver-brechen fanden grosse Resonanz.

Ausverkauf danachDer grosse Kollaps der Medien kam nach dem Krieg. Reiche Geschäftsleute und KriegsprofiteurInnen kauften die gros-sen Print- und elektronischen Medien oder etablierten neue, die sie vollständig kontrollieren. Sie sehen die Medien als

ein Geschäft wie jedes andere; ein Pro-dukt auf dem Markt, das Werbung anzie-hen und Profit machen muss – und das können Tabloid-Zeitungen. Diese neuen KapitalistInnen sind eng mit ihren ethni-schen Eliten verbunden, mit denen sie politische Macht und ökonomische Inte-ressen teilen. Die Medien sind ihr verlän-gerter Arm, was bei Wahlen äusserst praktisch ist. Unter diesen Umständen hatten die unabhängigen Medien keine Überlebenschance. Doch ohne unabhängige und verantwor-tungsvolle Medien, die so fundamental sind für jede funktionierende Demo-kratie, ist eine progressive Veränderung schwierig.

STANDPUNKT 11

Solidar Suisse unterstützt in Südost-europa länderübergreifend Jugend-liche. Sie sind beim Berufseinstieg von der grassierenden Arbeitslosigkeit be-sonders betroffen. Damit trägt Solidar auch zur Verständigung zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen bei. www.solidar.ch/jugend

Solidar unterstützt

Jugendliche

Die Medien sind der ver längerte Arm der ethnischen Eliten.

Filmstills von «Loma Verde» (von links nach rechts): Merche, Pause am Drehort, Jessica Maria und Zoraida, Silverio El Brujo.SENSIBILISIERUNG

PER SOAP Die nicaraguanische Fernsehserie «Loma Verde» möchte das Publikum für soziale Probleme sensibilisieren. Mit Erfolg. Text: Carmen Ayón, Fotos: Fundación Luciérnaga

Loma Verde ist ein fiktives kleines Dorf im ländlichen Norden Nicaraguas, wo das Leben scheinbar in ruhigen Bahnen ver-läuft. Die gleichnamige Fernsehserie bringt jedoch die aktuellen sozialen Prob-leme ans Licht. Ein Novum ist, dass die Realität der Menschen auf dem Land, die ein Drittel der Bevölkerung ausmachen, im Zentrum steht. Die TV-Serie «Loma Verde» spricht ihre Sprache, spielt ihre Musik und behandelt ihre Themen. Was sie beschäftigt, zeigt ein Blick auf die ProtagonistInnen:Da ist die Hauptfigur Merche, dargestellt von Elizabeth Torrez, die eigene Erleb-nisse in die Geschichte einfliessen lässt. Merche wird von ihrem Partner Chico psy-

chisch und physisch misshandelt. Er droht sogar, sie umzubringen. Schlussendlich verlässt Merche Chico, zeigt ihn an und flüchtet mit ihren drei Kindern ins Frauen-haus. Dabei wird sie von ihrer Freundin Carmen, Ärztin und Psychologin, unter-stützt. Nach und nach steigt Merche aus dem Kreislauf der Gewalt aus. Die zwei Jugendlichen Jessica Maria und Zoraida werden mit falschen Ver-sprechungen nach Chinandega gelockt. Die Stadt liegt nahe der Grenze zu El Salvador auf der Hauptroute der Men-schenhändlerringe. Von Chi nandega aus werden Jessica und Zoraida gegen ihren Willen nach Guatemala gebracht und dort sexuell ausgebeutet.

Die 16-jährige Yulisa wird von ihrem Onkel sexuell ausgebeutet. Als sie fest-stellt, dass sie schwanger ist, vertraut sie sich ihrer Tante an. Statt sie zu schützen, gibt ihr die Tante die Schuld. Yulisa will die unerwünschte Schwangerschaft ab-brechen – kein leichtes Unterfangen in Nicaragua, wo eine Abtreibung nicht ein-mal dann legal ist, wenn das Leben der Mutter bedroht ist. Weder ihre Familie noch ihr Freund unterstützen sie, einzig ihre Freundinnen stehen ihr bei. Silverio El Brujo wiederum hat sich in die Berge zurückgezogen, um der Diskriminie rung als Schwuler zu entge-hen. In seiner «Sprechstunde» empfängt er viele Männer, die ihr Verhalten ver-ändern möchten. Er erweitert ihr Vor-stellungsvermögen über Rollen und Hand-lungsmöglichkeiten von Männern jenseits traditioneller Stereotypen.

Die erste Staffel von «Loma Verde» wurde drei Monate lang wöchentlich mit grossem Erfolg im nationalen nicaraguanischen Fernsehen und in 22 lokalen Sendern ge-zeigt. Die Ausstrahlung der zweiten Staffel ist für dieses Jahr geplant.

Solidar Suisse unterstützt die von Felix Zurita und der Stiftung Luciérnaga produ-zierte Serie. Unsere Partnerorganisationen verbreiten «Loma Verde» über lokale Sender. Ausserdem organisieren sie Veranstaltungen und Workshops mit Jugendli-chen sowie VertreterInnen von Kirche oder Institutionen, an denen sie anhand einzel-ner Folgen über aktuelle Probleme diskutieren. Dabei werden Lösungen gesucht, um die Bildung zu verbessern, und Aktionen initiiert, um Gewalt zur Anzeige zu bringen. www.fundacionluciernaga.org (in Spanisch)

Aktiv gegen Gewalt

12 KULTURELL

AKTUELL 13

zertifiziert worden ist. Aber abgesehen davon verpflichten wir uns für einen kon-tinuierlichen Lernprozess: Bis Ende Feb-ruar müssen wir Massnahmen definieren, die innerhalb eines Jahres umgesetzt werden. Der Zertifizierungsprozess hat auch wichtige betriebliche Prozesse vor-angetrieben: So ist der Aufbau des Per-sonalwesens ein Ziel der neuen Strate-gie. Zwar war das Problem bereits vorher bekannt, aber weil es in der Zertifizierung

explizit als Schwäche aufgeführt wurde, nehmen wir das Thema nun vordringlich an die Hand.

Wie wird sichergestellt, dass der Prozess nach der Zertifizierung weitergeht? Das jährliche Audit und die dreijährliche Re-Zertifizierung verpflichten uns, dran-zubleiben. Für mich ist ausschlaggebend, dass einerseits jemand für das Qualitäts-management verantwortlich ist und dafür personelle Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, und dass es andererseits ein strategisches Schwerpunktthema und damit in der Gesamtorganisation und auf Führungsebene verankert ist.

* Schweizerische Vereinigung für Qualitäts-

und Managementsysteme

Solidar Suisse wurde von SQS* für die Qualität der Arbeit zertifiziert. Was dies bedeutet, erklärt Barbara Burri, Solidar-Qualitäts verantwortliche und Stabs leiterin. Interview: Katja Schurter, Foto: Andreas Schwaiger

GÜTESIEGEL FÜR SOLIDAR

Barbara Burri

13

Der Zertifizierungsprozess hat wichtige betriebliche Prozesse vorangetrieben.

Was beinhaltet die Zertifizierung, die Solidar letzten Dezember erhalten hat, konkret?Es handelt sich um eine QaP-Zertifizie-rung, QaP steht für «Qualität als Pro-zess». Führende internationale Organisa-tionen der Entwicklungszusammenarbeit haben für die European Foundation for Quality Management (EFQM) Standards und eine Best Practice entwickelt, an de-nen eine Organisation gemessen wird. EFQM ist neben ISO das zweite führen-de Qualitätsmanagementsystem, funkti-oniert aber völlig anders als ISO.

Wieso hat sich Solidar für dieses System entschieden?QaP bildet nicht nur Prozesse ab, son-dern erfasst vor allem ihre Wirkung. Da-mit ist es auch die Basis für eine lernende Organisation, die sich systematisch zu verbessern sucht. Dabei werden auch die Bedürfnisse von Mitarbeitenden und von Anspruchsgruppen wie Begünstigten und Geldgebenden berücksichtigt. Die Zertifi-zierung geschah aufgrund eines Assess-

ments, das auch gezeigt hat, wie Solidar im Vergleich zu anderen Organisationen unserer Branche im internationalen Um-feld dasteht.

Und was war das Resultat? Wo hat Solidar Stärken und Schwächen?Die Solidar-Mitarbeitenden haben inner-halb eines vorgegebenen Rahmens viel Gestaltungsspielraum. Das wirkt sich po-sitiv auf ihre Motivation und ihr Engage-ment aus. Als herausra-gend bewertet wurde ausserdem, wie wir unsere Projekte und Kampagnen entwickeln und verbreiten, sowie unser Umgang mit Begünstigten und Geldge-benden. Im Januar 2014, als wir den Zertifizie-rungsprozess starteten, wurden noch stra-tegische Schwächen diagnostiziert. Diese haben wir jedoch beseitigt mittels eines intensiven Strategieprozesses, der breit abgestützt war und der Organisation eine klare Ausrichtung für die nächsten Jahre gibt. Unter dem Branchendurchschnitt lagen wir beim Wissensmanagement und bei der Personalentwicklung. Letzteres liegt daran, dass wir keine spezifische Personalabteilung haben, hier stossen wir als mittlere Organisation an Grenzen.

Was bedeutet die erfolgreiche Zertifizierung für Solidar?Grosse Freude! Besonders freut uns na-türlich, dass wir die erste Schweizer Ent-wicklungsorganisation sind, die nach QaP

14 NOTIZEN

El Salvador: Immer mehr Minderjährige migrieren in die USASeit Oktober 2013 haben die US-Behör-den mehr als 60 000 unbegleitete Min-derjährige beim illegalen Grenzübertritt abgefangen. Die Mehrheit stammte aus Honduras (29 Prozent), El Salvador (23 Prozent), Guatemala (24 Prozent) und Mexiko (22 Prozent). Laut US-Immigrati-onsbehörde hat die Zahl der aus El Sal-vador immigrierten Kinder zwischen 2011 und 2014 um 197 Prozent zugenommen. Grund für die massive Zunahme sind ne-ben Gewalt, organisiertem Verbrechen und Armut die guten Geschäfte, die SchlepperInnen damit machen: 6000 bis 7000 Dollar verlangen die «Coyotes» ge-nannten MenschenhändlerInnen pro Per-son. Zugenommen hat das Phänomen, seit die mexikanischen Drogenkartelle nach El Salvador, Honduras und Gua-temala expandiert haben. Ausserdem verbreiten die Coyotes das Gerücht, Min-derjährige würden nicht deportiert, wenn sie die Grenze einmal überquert hätten, sondern würden mit bereits anwesenden Familienmitgliedern vereint. Präsident Obama stellte klar, dass dies nicht stimmt – untermauert mit Ausschaffungen. Die salvadorianische Regierung hat mit ei-ner Kampagne reagiert, die auf die Gefah-ren für unbegleitete migrierende Kinder aufmerksam macht, und verhandelt mit den USA, damit Jugendliche mit bereits im Land anwesenden Familienmitgliedern vereint werden. Auch die Solidar-Partner-organisationen in El Salvador führen eine Informationskampagne zu den Migrations-gefahren und dem Menschenrecht auf Fa-milienvereinigung und Asyl durch.

Gründung des Vereins Solidar Suisse Genève

Am 24. November 2014 wurde der Verein Solidar Suisse Genève gegründet. Ziel ist eine bessere Verankerung der Organisa-tion in Genf und der Romandie. Solidar Suisse Genève wird öffentliche Veranstal-tungen organisieren und über die Projekte von Solidar im Ausland informieren. Damit soll die Genfer Bevölkerung für Ent-wicklungspolitik und Entwicklungsfragen sensibilisiert werden. Solidar Suisse hofft, dass das Engagement in Genf auf die ganze Romandie ausstrahlen wird. Präsidentin des neuen Vereins ist Olga Baranova, als Geschäftsführer amtet Sté-phane Cusin, Mitarbeiter der seit längerer Zeit existierenden Geschäftsstelle von Solidar Suisse in Lausanne.

Unterstützen Sie Solidar regelmässig Sinnvolle Entwicklungszusammenarbeit braucht einen langen Atem. Sie ist nicht auf schnelle Ergebnisse, sondern auf dauer-hafte Erfolge ausgerichtet. Nur mit verläss-lichen Partnerschaften und längerfristigem Engagement können gesellschaftliche und politische Veränderungen greifen. Bitte unterstützen Sie uns deshalb per Lastschriftverfahren. Ihre Beiträge werden gemäss Ihren Wünschen automatisch ab-gebucht. Sie behalten die Kontrolle, denn jede Buchung kann innert 30 Tagen wider-rufen werden, und Sie können Ihren Last-schriftauftrag jederzeit ändern oder ein-stellen. So werden Ihre Beiträge unserem Spendenkonto kostenlos gutgeschrieben und alles kommt den Projekten zugute – im Gegensatz zu gebührenpflichtigen Überweisungen am Schalter. Bitte beach-ten Sie dazu den beiliegenden Prospekt.

Pflicht zu nehmen. Im Zentrum der geplan-ten Konzernverantwortungsinitiative ste-hen der Schutz der Menschenrechte welt-weit – gemäss den Prinzipien der Uno – und die Einführung einer entsprechen-den Sorgfaltsprüfungspflicht für grosse Konzerne. Die Details werden gegenwär-tig ausgearbeitet und voraussichtlich im April bekannt gegeben. Die Stossrichtung der Initiative entspricht etlichen Vorstös-sen auf internationaler Ebene. So verab-schieden immer mehr Staaten nationale Aktionspläne oder Richtlinien, mit denen sichergestellt werden soll, dass die Unter-nehmen ihr Handeln punkto Menschen-rechte überprüfen und kontrollieren.

Menschenrechte: Initiative für KonzernverantwortungIm Frühling 2015 lanciert Solidar Suisse zusammen mit anderen Organisationen der Allianz «Recht ohne Grenzen» eine Ini-tiative, um die Wirtschaft in Bezug auf Menschenrechte und Umweltschutz in die

AKTUELL 15

«Früher habe ich nur einfache Kinderklei-der genäht, für 50 Rupien (ca. 50 Rap-pen) pro Stück», erzählt die 24-jährige Soni Gul aus Charsadda im Nordwesten Pakistans. «Seit der Weiterbildung durch Solidar Suisse mache ich komplizierte Designs und erhalte 350 Rupies für ein Kleid.» Und nicht nur das: «Mittlerweile geben besser gestellte Leute, die jeweils zum Schneider in die Stadt fuhren, bei mir Kleider in Auftrag.»

Grössere Bewegungsfreiheit Seit der Jahrhundertflut in Pakistan im Jahr 2010 unterstützt Solidar Suisse die Betroffenen dabei, sich wieder eine Exis-tenz aufzubauen. Das Haus der Familie von Soni Gul war von den Fluten zerstört worden, ausserdem fiel das Einkommen weg, weil ihr Vater nach einem Herzin-farkt nicht mehr arbeiten konnte.Seit ihrer Nähausbildung trägt Soni Gul entscheidend zum Familieneinkommen bei. Ihre Bewegungsfreiheit hat sich da-durch erhöht. «Ich gehe auf den Markt,

um Stoff einzukaufen und zu sehen, was Mode ist.» Keine Selbstverständlichkeit im ländlichen Pakistan, wo viele Frauen das Haus ohne Begleitung nicht verlas-sen dürfen. Da sie sich als talentierte Schneiderin erwiesen hat, gibt sie ihr Wissen nun auch an andere Frauen weiter.Zwar gibt es Stimmen im Dorf, die kriti-sieren, dass Soni Gul alleine auf den Markt fährt, doch davon lässt sie sich nicht beeindrucken. Sie wird von ihrem Vater unterstützt und freut sich, dass sich ihre Position in der Familie verändert hat: «Alle finden mich wichtig, weil ich die Fa-milie versorge. Da ich die Studien meiner Brüder finanziere, werde ich respektiert.»

In Entscheidungen einbezogenAuch die 18-jährige Sobia Dilbar aus dem Nachbardorf Nowshera konnte sich weiterbilden, sie entschied sich für Sti-ckerei. Als Tagelöhner hat ihr Vater kein regelmässiges Einkommen und kann die achtköpfige Familie kaum durchbringen. Diese lebt in ärmlichsten Verhältnissen,

seit der Flut sogar nur noch in einem Raum. Sobia hat auch ihren zwei Schwes-tern das Sticken beigebracht, gemein-sam verdienen sie etwa 6000 bis 7000 Rupies pro Monat (60 bis 70 Franken). «Damit kommen wir für Essen, Medika-mente und die Miete auf. Für Kleider reicht es jedoch meist nicht», erzählt sie. «Auf dem Markt erhalte ich Aufträge. Ich weiss nun, wie ich mit den Verkäufern umgehen muss, was ankommt und wie hoch die Preise sind. Zusammen mit mei-ner Mutter verhandle ich mit ihnen.» Zur Schule gehen durfte Sobia Dilbar hinge-gen nie, dies war ihren drei Brüdern vor-behalten. Zunächst wollte ihr Vater auch nicht, dass sie eine Weiterbildung be-sucht. «Als er sah, dass ich hart arbeite und die Arbeit Geld einbringt, begann er mich zu unterstützen», erzählt sie, die nun auch in Entscheidungen einbezogen wird. «Vor ein paar Jahren hat mein Vater Land verkauft, wir haben von Leuten aus dem Dorf davon erfahren. Jetzt diskutiert er solche Dinge vorher mit uns.»www.solidar.ch/pakistan_existenz

Dank Weiterbildung können sich junge Frauen in Pakistan eine Existenzgrundlage aufbauen und Respekt verschaffen.Text: Katja Schurter, Foto: Usman Ghani

«ALLE FINDEN MICH WICHTIG»

Soni Gul aus Charsadda trägt mit dem Nähen von Kleidern entscheidend zum Unterhalt ihrer Familie bei.

15

Mit Ihrem Beitrag von 70 Franken erhält eine Frau, die eine Weiterbildung als Nä-herin besucht hat, die Grundausrüstung – Nähmaschine, Schere, Bügeleisen, Messband, Nadeln und Faden – um ihr Geschäft zu starten.

Ihre Spende wirkt

16 PINGPONG

Lösungswort

SOLIDAR-SUDOKU

6

12

7 5 8

5

6 3 5 4

3 7 59

3

4 6

1 3 9

9

7 83

87

1

Generalversammlung Solidar Suisse 2015Am Dienstag, 5. Mai, um 16.30 Uhr im Volkshaus, Blauer Saal, Stauffacherstr. 60, 8004 Zürich

Programm16.30 Uhr: Statutarische Geschäfte Eingeladen sind die Mitglieder von Solidar Suisse. Bitte melden Sie sich mit dem beiliegenden Service-Talon, per E-Mail ([email protected]) oder Telefon (044 444 19 19) bis zum 1. April 2015 an.Anschliessend Apéro

18.30 Uhr: Öffentliche Veranstaltung zu Burkina Faso mit Paul Ilboudo Der Initiator der zweisprachigen Bildung und langjährige Solidar-Länderkoordinator in Burkina Faso geht dieses Jahr in Rente. Zu diesem Anlass berichtet Paul Ilboudo über seine reichen Erfahrungen, das 25-jährige Engagement von Solidar Suisse in Burkina Faso, die Erfolge und die Herausforderungen angesichts der aktuellen politischen Entwicklungen in Burkina Faso (siehe auch Artikel auf Seite 18).

Weitere Informationen unter: www.solidar.ch/agenda

Einladung

SpielregelnFüllen Sie die leeren Felder mit den Zahlen von 1 bis 9. Dabei darf jede Zahl in jeder Zeile, jeder Spalte und in jedem der neun 3x3-Blöcke nur einmal vorkommen.

Das Lösungswort ergibt sich aus den grauen Feldern waag-recht fortlaufend, nach folgendem Schlüssel:1=D, 2=L, 3=C, 4=A, 5=S, 6=M, 7=E, 8=O, 9=I

Schicken Sie das Lösungswort an Solidar Suisse – mit einer Postkarte oder per E-Mail an: [email protected], Betreff «Rätsel».

1. Preis Ein Rucksack von LanzArte2. Preis Ein T-Shirt von LanzArte3. Preis Doctora-Edilicia-Schlüsselanhänger

Die Preise wurden von Solidar Bolivien hergestellt.

Einsendeschluss ist der 16. März 2015. Die Namen der GewinnerIn-nen werden in der Solidarität 2/2015 veröffentlicht. Über den Wettbewerb wird keine Korrespondenz geführt. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Von der Teilnahme ausgeschlossen sind Mitarbeitende von Solidar Suisse.

Das Lösungswort des Rätsels in Solidarität 4/2014 lautete «Katastrophe». Jean-Marc Fasmeyer aus Bramois hat einen Abfallkorb, Roswitha Muoth aus Rickenbach eine Dokumentenmappe und Gertrud Eberhard aus Bibe-rist einen Früchtekorb gewonnen. Wir danken den sri-lankischen Palmyra-ProduzentInnen für die Preise und den Mitspielenden für die Teil nahme.

17NOTIZEN

Positive Wirkung derTsunamiprojekte Eine unabhängige Wirkungsanalyse der Nothilfeprojekte nach dem Tsunami, wel-che die Glückskette in Auftrag gegeben hat, kommt zu einem positiven Resultat. Gemäss der Mitte Dezember 2014 ver-öffentlichten Analyse, die auch Projekte von Solidar Suisse untersuchte, können knapp 90 Prozent der Begünstigten heute ihre Grundbedürfnisse wieder gut abdecken. Etwas mehr als zehn Prozent bekunden hingegen noch erhebliche Schwierigkeiten. Solidar engagierte sich in Sri Lanka nach dem Tsunami in der Nothilfe und nach dem Bürgerkrieg im langfristigen Wie-deraufbau. Mittlerweile unterstützt Soli-dar Suisse Gruppen von Bäuerinnen und Fischern in der Produktion von Erdnüs-sen, Seetang, Chili, Besen und Bürsten. Die Arbeit von Solidar in Sri Lanka belegt eine Kernthese der Wirkungsanalyse: Die Unterstützung zur Einkommensför-derung war vor allem dann erfolgreich, wenn auf bestehenden Strukturen, Fä-higkeiten und Möglichkeiten aufgebaut werden konnte. www.solidar.ch/news

El Salvador: Zivilschutz übernimmt Solidar-Leitfaden Solidar-Projekte für Katastrophenprä-vention haben zur Etablierung eines Frühwarnsystems und zu einem besseren Katastrophenschutz in den Gemeinden im Einzugsgebiet des Rio Lempa, des grössten Flusses in El Salvador, geführt. Im Oktober 2014 wurde nun ein von

Solidar entwickelter Leitfaden zum Schutz von Hab und Gut im Falle von Katastro-phen vom nationalen Zivilschutz landes-weit übernommen. Darin sind diverse Massnahmen verankert: z.B. sichere Ställe und höher gelegene, gemeinschaftlich bewachte Weideplätze für Vieh bei Über-schwemmungen oder auf Stelzen gebaute Lagerplätze für Saatgut und Ernte. Der Leitfaden wurde in Simulationsübungen mit der lokalen Bevölkerung getestet. Damit hat das Solidar-Projekt einen wert-vollen Beitrag zur nachhaltigen Verbes-serung der Katastrophenvorsorge und -reaktion in El Salvador geleistet.www.solidar.ch/ katastrophenvorsorge

Nicaragua: neuer Film zu Frauenkooperative Letzten Oktober hat Solidar Suisse in Zusammenarbeit mit Espace Femmes International (EFI) in Genf den Doku-mentarfilm «Soñando Despiertas» ge-zeigt, der engagierte Frauen im nicaragu-anischen Mulukukú porträtiert (siehe auch Artikel auf Seite 6). 1988, mitten im Bürgerkrieg, haben sie nach den Zerstö-rungen durch Hurrikan Joana die Ko-operative Maria Luisa Ortiz gegründet, um die Häuser wieder aufzubauen und gegen die grassierende Gewalt gegen Frauen vorzugehen. Heute bietet die Gemeinde der ganzen Bevölkerung eine Grundversorgung, und die Töchter der Pionierinnen übernehmen das Ruder. Der Dokumentarfilm von Felix Zurita in Spanisch mit französischen Untertiteln ist hier zu sehen: www.solidar.ch/mediatheque

Serbien: Kein Ausverkauf des Service publicIn den vergangenen Jahren wurden in Serbien viele staatseigene Betriebe pri-vatisiert. Die erhofften Investitionen blie-ben jedoch in vielen Fällen aus. Stattdes-sen wurden die Betriebe von den Käufern regelrecht ausgeweidet und die Beleg-schaften ohne Sozialplan entlassen. In den kommenden Jahren steht in Ser-bien die Restrukturierung der öffentli-chen Versorgungsbetriebe an. Das Ziel: Wasserversorgung, Abfallentsorgung oder lokale Verkehrsbetriebe effizienter zu machen. Diesmal sollen Steuerzah-lerinnen, Konsumenten und Belegschaf-ten jedoch nicht auf der Strecke bleiben. So fordern zwei Gewerkschaften die Mit sprache der Bevölkerung und der Belegschaften. Ihre Forderungen haben sie jüngst in einem Positionspapier for-muliert. Solidar Suisse unterstützt die beiden Gewerkschaften dabei, diese durchzusetzen. Denn die Bevölkerung muss sich eine Meinung bilden und mit-reden können, damit die anstehende Restrukturierung nicht zum sozialen Fiasko wird. www.solidar.ch/serbien

18

Paul Ilboudo, umtriebiger Initiator der zweisprachigen Bildung in Burkina Faso und langjähriger Solidar- Länderkoordinator, geht dieses Jahr in Rente. Zeit für ein Portrait. Text: Lionel Frei, Foto: Solidar

VOM UTOPISTEN ZUM WÜRDEN-TRÄGER

derkoordinator – Linguist, Lehrer und In-tellektueller – setzt sich seit vielen Jah-ren für die lokalen Sprachen ein.

Kohlepapier und TonbandPaul Ilboudo wurde 1949 als Sohn einer armen Familie im damaligen Obervolta geboren. Der brillante Schüler konnte die Sekundarschule besuchen. Um seine Fa-milie finanziell nicht zu belasten, arbeite-te er zunächst als Grundschullehrer, pa-rallel dazu schrieb er sich aber auch an der Universität in Ouagadougou ein. Da er die Vorlesungen nicht besuchen konn-te, weil er arbeiten musste, bat er einen Kollegen, seine Notizen mit Kohlepapier durchzupausen und die Vorlesungen aufzunehmen, um sie abends nachzuho-len. «Ich habe mein Lizen-ziat nach drei Jahren ge-schafft, mein Freund leider nicht», schmunzelt er. Mit zwei Diplomen und einer unvollendeten Doktorarbeit in der Tasche wurde Paul Il-boudo schliesslich vom Institut Internati-onal d’Al phabétisation angestellt. Dort entwickelte er eine Alphabetisierungs-methode, mit der junge Erwachsene in 48 Tagen lesen und schreiben lernen soll-ten, und später eine Methode für einen von den Landessprachen ausgehenden Französisch unterricht.

Der Alleskönner von SolidarEnde der 1980er Jahre eröffnete Paul Ilboudo das erste Büro von Solidar in Ouagadougou. «Chauffeur, Buchhalter, Sekretär ... Ich war am Anfang ein Ein-Mann-Betrieb», erinnert er sich. «Ich woll-te zeigen, dass mit afrikanischen Spra-chen sehr wohl rationales Wissen vermittelt werden kann!» So begann er in zwei Pilotschulen mit der Entwicklung ei-nes zweisprachigen Bildungskonzepts. Der Unterricht fand in der lokalen Spra-che statt, während Französisch nach und nach eingeführt wurde. «Die Kinder un-serer Schulen schnitten deutlich besser ab als solche von herkömmlichen Schu-len. Das ermutigte uns, trotz aller Vorur-teile weiterzumachen. Schliesslich liess

Paul Ilboudo wird für seinen Beitrag zur

Entwicklung der Bildung in Burkina Faso zum «Ritter

der akademischen Palme» ernannt.

Er wird an einer Solidar-Veranstaltung über seine

Tätigkeit erzählen (siehe Einladung Seite 16).

EINBLICK 19

Im Februar 2015 tritt Dieudonné Zaon-go, Ökonom und Inhaber eines Masters in Projektmanagement, die Nachfolge von Paul Ilboudo als Länderkoordinator von Burkina Faso an. Der 44-Jährige ist seit 1999 in verschiedenen Funkti-onen für Solidar tätig. «Meine neue Funktion erfüllt mich mit Freude und Stolz, sie ist mit viel Verantwortung verbunden», so Dieudonné Zaongo.

Neuer Länderkoordinator

sich die Regierung von unserer Methode überzeugen und übernahm 2007 das Konzept als nationales Bildungsmodell.»

Partizipativer AnsatzHeute gibt es in allen 13 Regionen des Landes mindestens eine zweisprachige Schule, insgesamt über 200 von der Pri-mar- bis zur Gymnasialstufe. «Dabei set-zen wir auf das Bottom-up-Prinzip: Letzt-lich müssen die lokalen Akteurinnen und Akteure Interesse zeigen. Zwang würde nicht funktionieren», erzählt Ilboudo.Dieser Einsatz für die Landessprachen hat Früchte getragen. «Am Anfang galt ich als Verrückter, als Utopist. Heute

setzt sich unser Konzept nicht nur in Bur-kina Faso, sondern auch international langsam durch.» Die afrikanischen Bil-dungsministerInnen anerkennen, dass es wichtig ist, Kinder in ihrer Muttersprache zu unterrichten. Ein Erfolg, auf den Paul Ilboudo stolz sein kann. Zu Beginn die-ses Jahres tritt er in den wohlverdienten Ruhestand: «Ich werde endlich etwas mehr Zeit für meine Familie haben – und meine Doktorarbeit abschliessen!»wwww.solidar.ch/burkinafaso

In Burkina Faso ist die koloniale Vergan-genheit noch immer spürbar. Zum Bei-spiel bei den Sprachen: Mooré, Dioula oder Fulfulde, um nur drei der 49 Landes-sprachen zu nennen, sind in der Schule nicht gern gesehen. Burkinische Kinder lernen Mathe und Geografie in Franzö-sisch – einer Sprache, die nur elf Prozent der Bevölkerung beherrschen. Seit einigen Jahren jedoch werden im-mer mehr Schulen zweisprachig geführt. Dies ist nicht nur ein Zeichen für den wiedergefundenen Stolz auf die eigene Sprache, sondern auch eine Erfolgsge-schichte, die Solidar Suisse in Burkina Faso berühmt gemacht hat. Vor allem aber ist die zweisprachige Bildung eng mit Paul Taryam Ilboudo verbunden, der das Projekt initiiert hat. Der Solidar-Län-

«Mit afrikanischen Sprachen kann sehr wohl Wissen vermittelt werden.»

Der Klimawandel fordert bereits heute unzählige Opfer und verursacht dramatische Umwelt-

schäden und Kosten. Die armen Regionen der Welt trifft es am stärksten, obwohl sie am

wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben.

Unterschreiben Sie die Petition an Bundesrätin Doris Leuthard, damit sich die

Schweiz für einen besseren Klimaschutz einsetzt: action.solidar.ch

FÜR EINE GERECHTE KLIMAPOLITIK!