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Institut Entwerfen von Stadt und Landschaft Fachgebiet Regionalplanung und Bauen im ländlichen Raum Prof. Kerstin Gothe Dipl. Ing. Philipp Dechow Städtebau-Institut Fachgebiet Grundlagen der Orts- und Regionalplanung in Kooperation mit Prof. Dr. Johann Jessen Dipl. Ing. Luigi Pantisano Institut für Landschaftsplanung und Ökologie Prof. Antje Stokman Dipl. Ing. Johannes Jörg
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WALD
UPDATE SCHWARZ
SOMMERUNI 2012 IN BERNAU UND MENZENSCHWAND
WALD
UPDATE SCHWARZ
SOMMERUNI 2012 vOM 8.8. – 17.8.2012 IN BERNAU UND MENZENSCHWAND
4
Die Sommeruniversität wurde organisiert und durchgeführt von:
Hui-Yen Chen
Lisa Deipenbrock
Vera Dohmen
Katrin Jülg
Alper Kazokoglu
Johanna Kolb
Julia Kolk
Laura Kälberer
Kathrin Köhler
Antonio Landsberger
Buyuan Liu
Kerstin Mayer
Thomas Moder
Alexander Naumer
Sarah Nietiedt
Philipp Perock
Verena Schoissengeyr
Julia Schütz
Oskar Walburg
Leonie Weber
Andreas Ziemann
Claudia Zimmermann
Institut Entwerfen von Stadt und LandschaftFachgebiet Regionalplanung und Bauen im ländlichen RaumProf. Kerstin Gothe
Dipl. Ing. Philipp Dechow
In Kooperation mit:
Städtebau-InstitutFachgebiet Grundlagen der Orts- und RegionalplanungProf. Dr. Johann Jessen
Dipl. Ing. Luigi Pantisano
Institut für Landschaftsplanung und Ökologie
Prof. Antje Stokman
Dipl. Ing. Johannes Jörg
An der Sommeruniversität haben folgende Studierende teilgenommen:
Arbeitsgruppe Architektur und SiedlungsentwicklungRegina Korzen
Dipl. Ing. Florian Rauch
Dipl. Ing. Gerhard Zickenheiner
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vORWORTENaturpark Südschwarzwald Roland Schöttle
Gemeinde Bernau und die Stadt St. Blasien Rolf Schmidt, Rainer Fritz
EINfüHRUNgUPDATE SCHWARZWALD Impulsgeber für den Ländlichen Raum
Bernau und Menzenschwand
vORTRägE Schwarzwald, woher kommst du, wohin gehst du? Hansjörg Küster
Südschwarzwälder Architektur – Kontinuität im Wandel Florian Rauch
Schwarzwald – Ein „Rundumschlag“ Gerhard Zickenheiner
Learning from Switzerland Christian Wagner
Ferne Nähe – Kunst als Faktor der regionalen Entwicklung Hermann Voesgen
MELAP PLUS – Landesprogramm BW Kerstin Gothe
Baukultur Schwarzwald Regina Korzen
EINBLICk
DER WETTBEWERBAufgabenstellung und Preisgericht1. Preis Werkraum Schwarzwald: Entwicklungen jenseits des Tourismus
2. Preis Stadthunger + Landlust 2. Preis Mix & Menz Sonderpreis Im Zeichen der Ananas
Anerkennungen
RESüMEEVielfalt, Haltung und Flughöhe Köbi Gantenbein
Wandel gestalten – 10 Thesen Kerstin Gothe, Johann Jessen, Antje Stokman
ANHANgPresse und ÖffentlichkeitsarbeitQuellen und AbbildungenDankImpressum
S. 07
S. 09
S. 11
S. 13
S. 17
S. 25
S. 39
S. 49
S. 55
S. 61
S. 69
S. 72
S. 77
S. 81
S. 89
S. 97
S. 103
S. 106
S. 119
S. 121
S. 125
S. 128
S. 130
S. 131
SOMMERUNI 2012
UPDATESCHWARZWALD
vORWORT
7
NATURPARk SüDSCHWARZWALD
Naturparke sind Modelllandschaften für einen nachhaltigen Umgang mit unseren Le- bensgrundlagen. Sie zeigen Wege auf, wie wirtschaftliche Nutzung, Naturschutz und Er- holung in Einklang gebracht werden können.
Im Naturpark Südschwarzwald haben sich 103
Dörfer und Städte mit vielen Vereinen und Ver-
bänden zusammengeschlossen, um die Zukunft
unserer Region aktiv zu gestalten.
Ich freue mich, dass die Gemeinden St.Blasien und
Bernau zusammen mit dem Karlsruher Institut für
Technologie (KIT) und der Arbeitsgruppe Architek-
tur des Naturparks Südschwarzwald neue Wege
in der Auseinandersetzung mit den brennenden
Themen des ländlichen Raumes gegangen sind.
Die unter der perfekten Leitung von Frau Prof.
Kerstin Gothe durchgeführte erste internationale
Sommeruniversität „UPDATE Schwarzwald“ hat
Bürgerschaft und Wissenschaft näher zusammen-
gebracht und eine Aufbruchstimmung erzeugt.
In den Ergebnissen der studentischen Arbeiten
wurde deutlich, dass die Fragen der Lebens-,
Arbeits- und Wohnmöglichkeiten sowie der Mo-
bilität von grundlegender Bedeutung für die
Attraktivität des ländlichen Raumes sind. Nur
wenn diese Fragen geklärt werden können, wer-
den Menschen hier Zukunft und Heimat finden.
Aufgaben für die Baukultur und Architektur erge-
ben sich in einem zweiten Schritt aus dem Bedarf
heraus.
Dass das universitäre Projekt in der Dorfgemein-
schaft Impulse und Wirkungen gezeigt hat, wird
in einem ganz konkreten Ergebnis wunderbar
deutlich: die jungen Studenten haben es zusam-
men mit den Jugendlichen von Menzenschwand
in kürzester Zeit geschafft, sowohl ein Konzept
für einen Jugendraum zu erarbeiten als auch ein
konkretes Gebäude zu finden und es zur Verfü-
gung gestellt zu bekommen.
Der Dank gilt allen Beteiligten, die sich auf dieses
Experiment eingelassen und mit ihrem Engage-
ment zu dessen Erfolg beigetragen haben.
Wir freuen uns auf weitere Sommeruniversitäten
im Naturpark Südschwarzwald.
Roland SchöttleGeschäftsführer Naturpark Südschwarzwald
Abb. 1:
Naturpark
Südschwarz-
wald,
Gemeinde
Bernau
Abb. 2:
Besucher
beim Vortrag
von Prof.
Hermann
Voesgen
vORWORT
9
gEMEINDE BERNAU UND DIE STADT ST. BLASIEN
Es ist überaus erfreulich, wenn sich Studie-
rende mit einem Professoren-Team außerhalb
ihrer Universität mit den tatsächlich vorhandenen
Problemen beschäftigen. Insofern war es für un-
sere beiden Schwarzwaldgemeinden Bernau und
Menzenschwand (Ortsteil der Stadt St. Blasien)
klar, bei solch einem Vorhaben mitzuwirken.
An dieser Internationalen Sommeruniversität
„UPDATE SCHWARZWALD“ vom 8.8. bis 17.8.12
haben sich Studentinnen und Studenten aus
mehreren Ländern beteiligt. Aus unserer Sicht
hat der freundliche und offene Umgang der Teil-
nehmerinnen und Teilnehmer mit der Bevölkerung
erheblich dazu beigetragen, dass die eigentlichen
Problemfelder wie Leerstände, Baukultur, schlech-
te Erreichbarkeit und die negativen Auswirkungen
der demographischen Entwicklung von Anfang an
offen diskutiert werden konnten. Ursächlich hier-
für war letztlich auch die hervorragende Leitung
und Organisation durch die Verantwortlichen des
Karlsruher Instituts für Technologie (KIT); allen
voran Frau Prof. Kerstin Gothe und Herrn Dipl. Ing.
Philipp Dechow.
Die von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern
entwickelten Projektideen sind grundsätzlich auf
positive Resonanz gestoßen. Besonders vielver-
sprechende Ideen (Werkraum Schwarzwald,
Stadthunger – Landlust u. a.) wurden zu recht
honoriert. Was hiervon weiterverfolgt werden
kann bzw. umsetzbar ist, wird in den kommuna-
len Gremien unter Berücksichtigung der finanziel-
len Ressourcen zu entscheiden sein.
Für uns alle sehr interessant und gut besucht
waren die im Rahmen der Sommeruni angebote-
nen Vorträge. Die personelle und finanzielle Un-
terstützung seitens der beiden Kommunen hat
sich gelohnt. Wir danken der Bevölkerung für das
„offene Ohr“ und den Verantwortlichen des KIT
für die sehr gute Organisation. Wir hoffen, dass alle
Beteiligten gute Erinnerungen vom Südschwarz-
wald mitgenommen haben und wir sie alle wieder
einmal in Menzenschwand und Bernau begrüßen
können.
Rolf SchmidtBürgermeister der Gemeinde Bernau
Rainer FritzBürgermeister der Stadt St. Blasien
Abb. 3:
Begrüßung
der Bürger-
meister an
Studierenden
Abb. 4:
Vorlesung
von Prof.
Kerstin
Gothe zum
Programm
Melap Plus
EINfüHRUNg
11
EINfüHRUNg UPDATE SCHWARZWALD IMPULSgEBER füR DEN LäNDLICHEN RAUM
Die beiden Orte Bernau und Menzenschwand
liegen in benachbarten Tälern umrahmt von einer
idyllischen Landschaft im Naturpark Südschwarz-
wald. Aufgrund der Gesundheitsreformen in den
1990er Jahren ist der bis dato für die lokale Wirt-
schaft wichtige Kurtourismus dramatisch einge-
brochen. Viele baukulturell wertvolle Schwarz-
waldhöfe stehen leer. Gemeinsam wollen die
Gemeinden Bernau und Menzenschwand auf
den Strukturwandel im ländlichen Raum mit der
Stärkung und Weiterentwicklung ihrer Potenziale
reagieren.
In der 10-tägigen internationalen Sommeruniver-
sität vor Ort haben sich 22 Studierende der Archi-
tektur und Stadtplanung aus Stuttgart, Karlsruhe,
Hamburg, Tübingen, Darmstadt, Berlin, Linz und
Wageningen (Niederlande) intensiv mit den Orten
beschäftigt und konzeptionelle sowie planerische
Vorschläge erarbeitet.
Die beiden Gemeinden leiden unter dem Verlust
ihrer Touristenmagnete und dem Mangel an Ar-
beitgebern. Die Leerstände in alten Schwarzwald-
häusern, Schwarzwaldkliniken in der Insolvenz,
sterbende Gasthöfe, eine alternde Bevölkerung
und fehlende Fachkräfte führen zu mehreren Fra-
gen: Warum stehen Gebäude in so einer schönen
Umgebung teilweise schon jahrelang leer und
werden nicht genutzt? Wer könnte eine aktive
Rolle in den Orten übernehmen? Welchen Beitrag
können dabei die vorhandenen Gebäude leisten?
Können temporäre Nutzungen ein Ausweg sein?
STUDIERENDE vOR ORTIn fünf begleitenden öffentlichen Abendveran-
staltungen haben sich externe Experten in Fach-
vorträgen mit den Herausforderungen auseinan-
dergesetzt und Beispielprojekte aus ihrem Land /
ihrer Profession vorgestellt. Die Impulse führten
zu lebhaften Gesprächen im Anschluss an die
Veranstaltungen. Im Kapitel „Vorträge“ sind die
Fachbeiträge nachzulesen.
Die Studierenden haben ihre Ideen und Konzepte
in zwei Workshops mit den Verantwortlichen
diskutiert und diese im Dialog weiterentwickelt.
Sie erkundeten die Dörfer auch individuell und
führten Gespräche mit den Dorfbewohnern,
Vereinen, Hotelbetreibern und Initiativen. Sie be-
Abb. 5:
Studierende
bei der Arbeit
im Alten
Schulhaus in
Menzen-
schwand
12
fragten wichtige Akteure, fotografierten und
filmten. Die Impulse aus diesen Dorferkundungen
sind in die einzelnen Arbeiten eingeflossen.
Am letzten Tag wurden die Arbeiten von den Mit-
gliedern einer Jury aus Fachpersonen und lokalen
Akteuren gründlich diskutiert und von den Jury-
mitgliedern dann öffentlich den 200 interessierten
Gästen präsentiert: sie erläuterten die Arbeiten,
würdigten deren Potenziale, benannten Schwä-
chen und begründeten die Auszeichnungen an
die Preisträger. Die vier besten Arbeiten wurden
mit Sach- und Geldpreisen ausgezeichnet.
Die Sommeruniversität UPDATE SCHWARZWALD
wurde vom Naturpark Südschwarzwald und den
beiden Gemeinden Bernau und St. Blasien unter-
stützt – nicht nur finanziell sondern auch ideell
und organisatorisch. Dieses Zusammenspiel war
wesentlich für ihren Erfolg. Die Sommeruni UP-
DATE SCHWARZWALD war für alle direkt Beteilig-
ten, die Studierenden, Lehrpersonen, die Aktiven
aus den Gemeinden und die Bewohner eine sehr
intensive Zeit des gemeinsamen Lernens und der
Auseinandersetzung mit der Situation vor Ort.
Das Konzept der Sommeruniversität erhielt viel
positives Feedback von den Besuchern der Vor-
träge, Workshops und Abendveranstaltungen. Es
entstand in vielen Bereichen Bewegung in den Or-
ten. Örtliche Akteure mit ähnlichen Ideen sahen
sich plötzlich von außen bestätigt und ermutigt.
Die Studierenden waren während der gesamten
Zeit sehr motiviert, denn sie hatten den Eindruck,
dass ihre Arbeit zählt. Der direkte Kontakt zur
Dorfbevölkerung hat ihnen einen besonderen
Anreiz gegeben.
Mit dieser Dokumentation möchten wir einen
ausführlichen Eindruck des fachlichen Diskurses
und der Ergebnisse des studentischen Wettbe-
werbs vermitteln.
Weitere Informationen und einen Trailer mit Ein-
drücken der gesamten Woche finden sich auf:
www.facebook.com/UpdateSchwarzwald
Abb. 6:
Publikum bei
Fachvortrag
von Architekt
Florian Rauch
13
Die Gemeinde Menzenschwand kämpft mit
dem Niedergang seines Kurbetriebs, die Gemein-
de Bernau, sonnig und in einem weiten Tal weit-
räumig ausgebreitet, hat sich von seiner letzten
Krise bereits wieder halbwegs erholt. Und doch
sind die Schwierigkeiten, mit denen die beiden
Orte umgehen müssen, im Detail sehr ähnlich:
die Suche nach Antworten auf den Strukturwan-
del, nach neuen Nutzungen der zum Teil leer
stehenden Schwarzwaldhöfe und nicht zuletzt
nach der eigenen Identität in einer veränderten
Welt. Gemeinsam wollen sich Bernau und Men-
zenschwand deshalb auf neue Wege begeben
und dabei ihre Nachbarschaft, ihre Ähnlichkeiten,
aber auch die Unterschiede zwischen den Dörfern
thematisieren und nutzen. Die Stärken und die
Schwächen sind in beiden Orten eng miteinander
verkettet – das macht die Ausgangslage schwie-
rig, doch bietet sie gleichzeitig viele Potenziale für
Innovationen, die modellhaft für den Naturpark
Südschwarzwald sein könnten.
DAS ENDE DES „kUR-TOURISMUS“Mit den Einsparungen im Gesundheitssystem
in den 1990er Jahren, die in besonderem Maße
das Kurwesen betrafen, endete die goldene Zeit
der auf diese Sparte des Tourismus spezialisierten
Orte. Besonders Menzenschwand hat sich davon
bis heute nicht erholen können. Generationen von
Kurgästen aus ganz Deutschland waren hier zur
Kur gewesen, hatten Bäder genommen, das Kli-
ma und die Landschaft genossen – heute steht die
größte Klinik des Ortes mit etwa 130 Betten leer,
ebenso wie kleinere Kliniken und Gasthöfe. Die
Klinik war nicht nur ein wichtiger Arbeitgeber, son-
dern auch Zugpferd für den Tourismus des Ortes,
der nicht zuletzt von den die Kurgäste begleiten-
den Angehörigen lebte. Hotels und Fremdenzim-
mer sind seit der Insolvenz der Kliniken nicht mehr
ausgelastet oder sogar geschlossen, Geschäfte in
der Hauptstraße stehen leer, viele Höfe und Häuser
Abb. 7:
Leerstehende
Schwarz-
waldklinik
in Menzen-
schwand
Abb. 8:
Therapieraum
in leerstehen-
der Schwarz-
waldklinik
sind verwaist.
Dennoch strahlt Menzenschwand nach wie vor
die Atmosphäre eines gastfreundlichen Ortes aus.
Die Infrastruktur ist zwar etwas in die Jahre ge-
kommen, aber immer noch vorhanden, die Be-
wohner sind weltoffen und auf Fremdenverkehr
eingestellt. Das Radonbad ist ein wichtiger neu-
er Anziehungspunkt. Große Baukomplexe wie
die Klinik oder ein großes Hotel in zentraler Lage
stehen für neue Nutzungen bereit. Mit welchen
BERNAU UND MENZENSCHWANDDEfIZITE, POTENTIALE UND fRAgEN
14
Ideen lassen sie sich füllen? Lassen sich hier neue
Formen von Tourismus etablieren oder können die
bestehende Infrastruktur und die Gebäude auch
für andere Konzepte genutzt werden?
…und trotzdem WachstumBernau hingegen hat inzwischen wieder Nachnut-
zer für seine großen Gebäude und das Schulland-
heim gefunden, hier denken einige erneut über
Wachstum nach: Ist dies möglich, ohne sein wich-
tigstes Gut, das Landschafts- und Ortsbild zu zer-
stören? Neue Bauflächen im Außenbereich sind
weitgehend ausgeschlossen. Und sie sind auch
nicht nötig, da im Ort genügend Baulücken für
eine Innenentwicklung bereit stehen – nur sind
diese innerörtlichen Freiflächen auch prägend für
das dörfliche Erscheinungsbild.
Wo liegt hier das richtige Maß für eine Nachver-
dichtung? Und wie verändert sich das Ortsbild
durch die Neubauten? Sollen sich die Neubauten
in Stil und Gestaltung anpassen oder sollen sie
dem Ort ein neues, moderneres Gesicht geben?
DIE gROSSEN HöfESowohl in Bernau als auch in Menzenschwand
werden die meisten der alten Schwarzwaldhöfe
nicht mehr für die Landwirtschaft genutzt, der
große Wirtschaftsteil steht meist leer. Nicht selten
ist gleich der ganze Hof verlassen, denn so gemüt-
lich die Höfe mit ihren charakteristischen, weit
heruntergezogenen Dächern von außen auch
wirken – innen bieten sie kaum Komfort. Nach
heutigen Standards kaum gedämmt, mit Holz-
ofen, veralteten Sanitäranlagen, wenigen kleinen
Fenstern und nicht zuletzt mit Deckenhöhen von
zum Teil weniger als zwei Metern entsprechen die
Gebäude nicht den heutigen Wohnbedürfnissen.
Hinzu kommt eine Besonderheit, das sogenannte
„Badische Stockwerkseigentum“: Viele Höfe sind
teilweise abenteuerlich im Wohn- wie im Wirt-
schaftsteil an verschiedene Eigentümer aufgeteilt,
was für jede Form von Modernisierung oder Um-
nutzung weitere Hürden bedeutet.
Lassen sich die Schwarzwaldhöfe angesichts sol-
cher Schwierigkeiten überhaupt modernisieren,
ohne sie zu zerstören? Oder müssen neue Nut-
zungen gefunden werden, die mit der bestehen-
den Substanz auskommen, beispielsweise reine
Ferien- oder Sommernutzungen? Wozu können
die großen Wirtschaftsteile heute dienen? Wie
kann auch nach außen signalisiert werden, dass
das Gebäude zwar respektiert wird, es aber im 21.
Jahrhundert angekommen ist?
Neue Bilder für Ort und Landschaft?Ein wichtiges Potenzial der beiden Orte ist das
noch relativ geschlossene Dorfbild mit den großen
Schwarzwaldhöfen, den offenen Freiräumen zwi-
schen den Höfen und den verbindenden baumbe-
Abb. 9:
Jugend-
herberge
in einem
historischen
Schwarz-
waldhaus
15
Abb. 10:
Menzen-
schwand im
Naturpark
Südschwarz-
wald
standenen Straßen, alles eingebettet in die idylli-
sche Landschaft des Naturparks Südschwarzwald.
Der drastische Rückgang der landwirtschaftlichen
Betriebe führt nun nicht nur zum Leerstand der
Höfe, er verändert auch das bekannte Bild der
Schwarzwaldlandschaft.
Fragestellungen Aus den genannten Defiziten und Potenziale erge-
ben sich folgende Fragestellungen, denen sowohl
in den Vorträgen als auch in den studentischen
Projekten nachgegangen wurde:
• Wie kann das regionale Bauen gepflegt werden
und wie können neue Gebäude in die Landschaft
und die Hofensembles eingebunden werden?
• Sind Museumslandschaften und Museumsdörfer
die Lösung? Ist dieser Aufwand gerechtfertigt und
verträgt er sich mit den notwendigen Modernisie-
rungsschritten?
• Sind auch andere Szenarien denkbar, die das
• Sind auch andere Szenarien denkbar, die das
typische Schwarzwaldklischee hinter sich las-
sen und dem Strukturwandel positiv begegnen?
Oder liegt doch gerade in der Musealisierung eine
Chance?
• Sind aus der Kooperation von Gastronomie,
Hotellerie, Architekten und handwerklichen Ver-
arbeitungsbetrieben Impulse für eine innovative
Ferien-Architektur möglich?
• Welche Chancen ergeben sich aus der Zusam-
menarbeit der beiden Dörfer?
Die Sommeruniversität knüpft an Aktivitäten der
Architektenkammer Baden-Württenberg, Kammer-
bezirk Freiburg, des Naturparks Südschwarzwald
und des Regierungspräsidiums aus den vergan-
genen beiden Jahre an, mit denen die Baukultur
des Schwarzwaldes zeitgemäß weiter entwickelt
werden soll.
16
vORTRägE
17
Die Landschaftswissenschaft sammelt Grundlagen für die Ermittlung der Potentia-le einer Landschaft. Jede Landschaft ist ma-teriell durch Natur, fast jede auch durch eine Gestaltung im weitesten Sinne geprägt. Hin-zu kommt in jedem Fall eine immaterielle Idee oder Interpretation, die Menschen mit einer bestimmten Landschaft verbinden. Die Sammlung dieser Grundlagen ist eine Basis für die Planung von Landschaft. (Küster 2012) Dies soll am Beispiel des Schwarzwaldes ins-gesamt und speziell am Ort Menzenschwand gezeigt werden. (Wilmanns 2001)
ENTSTEHUNg DES SCHWARZWALDESGroße Teile des Schwarzwaldes bestehen aus alten
Gesteinen, die an der Oberfläche der Erde erstarr-
ten, als der Planet allmählich abkühlte: Granit und
daraus umgewandelter Gneis. Nach ihrer Entste-
hung bildeten die Gesteinsschichten des Schwarz-
waldes noch kein Gebirge. Im Gegenteil: An der
Stelle des Schwarzwaldes befand sich eine Senke, in
der Sand abgelagert wurde. Immer wieder drangen
Meere in diese Senke ein: In flachen Meeresbuchten
fiel Kalk aus. Die zunächst lockeren Ablagerungen
wurden im Lauf der Jahrmillionen immer mächtiger;
die unteren Sedimente wurden von den darüber lie-
genden zusammengepresst und zu Gesteinen ver-
festigt. Schließlich lagen mächtige Schichtpakete
von Buntsandstein und Kalk auf dem Granit und
Gneis des Schwarzwaldes.
Im Zeitalter des Tertiär, das vor etwa 65 Millionen
Jahren begann, wurde Mitteleuropa völlig verän-
dert. Die Alpen entstanden, und der Oberrhein-
graben brach ein. Seitlich des Grabens wurden die
Gesteinsschichten kilometerweit in die Höhe ge-
drückt: Westlich des Grabens entstanden die Voge-
sen, östlich der Schwarzwald. Dort befindet sich der
am weitesten aufragende Mittelgebirgsgipfel der
Bundesrepublik Deutschland: der 1493 Meter hohe
Feldberg. Auf ihm lag einst noch viel mehr Gestein.
In den letzten Jahrmillionen wurden aber die am
weitesten aufragenden Berggipfel sukzessive wie-
der abgetragen: Kalk verschwand völlig, vielerorts
auch der Buntsandstein, so dass der Gebirgssockel
aus Granit oder Gneis zu Tage trat. Auch diese Ge-
steine sind im Lauf der Zeit verwittert, und es bilde-
ten sich die runden Kuppen der Schwarzwaldberge:
Feldberg und Seebuck, Herzogenhorn, Belchen,
Kandel, Schauinsland und Blauen.
Der Westabhang des Schwarzwaldes und – spie-
gelbildlich dazu – der Ostabhang der Vogesen sind
steil. Die Höhenunterschiede zwischen Orten in der
Niederung und den Bergen, die nur einige Kilometer
voneinander entfernt sind, betragen oft über 1000
Meter. Der Osthang des Schwarzwaldes fällt dage-
gen so sanft ab, dass man dort den Rand des Ge-
birges kaum erkennt. Dort stößt man auch auf die
jüngeren Gesteinsschichten, die Granit und Gneis
überdecken: Auf Buntsandstein liegen Ebenen oder
leicht geneigte Flächen mit unfruchtbaren Böden.
Sie enthalten kaum etwas anderes als mineralstoff-
armen Sand. Weiter östlich entstand durch Erosion
SCHWARZWALD, WOHER kOMMST DU, WOHIN gEHST DU?HANSjöRg küSTER
Abb. 11:
Blick vom
Feldberg
auf die
Kuppen des
Hochschwarz-
waldes
18
eine Schichtstufenlandschaft mit Steilhängen im
Westen und sanft abfallenden Osthängen auf Mu-
schelkalk, Keupersandstein, Schwarz-, Braun- und
Weißjura.
gEWäSSER UND TäLERIn den Bergen gibt es mehr Niederschlag als im Um-
land. Man spricht vom Steigungsregen, den man an
Gebirgshängen beobachten kann, die sich heranzie-
henden Wolken in den Weg stellen. Besonders viel
Niederschlag fällt in den Vogesen. Die Oberrheine-
bene liegt im Windschatten; dort regnet es selte-
ner. Am Westhang des Schwarzwaldes regnet und
schneit es oft, aber nicht ganz so viel wie in den
Vogesen. Nach Osten hin gehen die Niederschlags-
mengen wieder zurück. Vor allem nach starken Re-
genfällen und bei der Schneeschmelze – häufig fal-
len beide Ereignisse zusammen – fließt eine Menge
Wasser ab. Immer wieder droht dann Hochwasser.
Durch den Schwarzwald verläuft die Europäische
Hauptwasserscheide zwischen Gewässern, die zum
Rhein und dann zur Nordsee fließen, und dem Do-
naueinzugsbereich. Die Entfernung zwischen dem
Schwarzwald und der Nordsee auf dem Rhein
beträgt rund 1000 km, die über die Donau zum
Schwarzen Meer rund 3000 km. Daher ist das Ge-
fälle des Rheins und seiner Nebenflüsse größer. Der
Rhein ist außerdem viel jünger als die Donau. Er zapft
der Donau einen Zufluss nach dem anderen ab. Im
Schwarzwald verlaufen viele Täler zunächst einmal
in östlicher Richtung, sie geben sich damit als ur-
sprüngliche Zuflüsse der Donau zu erkennen. Dann
knicken sie um, weil der Rhein oder einer seiner Ne-
benflüsse sie anzapften. Das ist zum Beispiel bei der
Wutach oder auch der Alb gut zu erkennen, die bis
Sankt Blasien nach Osten fließt und dann zum Hoch-
rhein nach Süden umknickt. Die zur Donau fließen-
den Gewässer, etwa deren beide Quellflüsse Brigach
und Breg, haben sanft eingeschnittene Täler. Täler
von Flüssen, die vom hohen Schwarzwald aus zum
Rhein verlaufen, sind tiefer eingekerbt, beispielswei-
se die Täler von Schlücht, Wehra, Wiese oder Murg,
auch das bekannte Höllental. Die wasserreichen
Bäche eignen sich sehr gut zum Betrieb von Müh-
len, die zu den weit bekannten Charakteristika des
Schwarzwaldes gehören.
Andere Formen von Tälern entstanden im Quartär,
dem Eiszeitalter, das vor etwa zweieinhalb Millionen
Jahren begann. Die höchsten Gipfel des Schwarz-
waldes waren in den Kaltphasen des Quartärs ver-
gletschert. Auf den Schattenhängen der Berge sam-
melten sich Jahr für Jahr mehr Schnee und Eis an.
Das Eis schuf an jedem der vergletscherten Berge ein
Kar mit einem beinahe senkrechten Abhang. Unter
etlichen Karwänden befindet sich ein Karsee, zum
Beispiel der Feldsee unter dem Feldberg. Wenn es
längere Zeit kalt blieb, schob sich vom Kar aus eine
Gletscherzunge ins Umland. Die scharfkantigen und
schweren Eismassen hobelten ein U-förmiges Trog-
tal aus dem Gestein heraus. Ein solches Gletscher-
zungenbecken bekam einen breiten Talboden und
steile Hänge. Das ausgeschürfte Gesteinsmaterial
wurde an der Gletscherfront als eine Endmoräne ab-
Abb. 12:
Vom Gletscher
geformtes
Trogtal in Men-
zenschwand
19
gelagert, hinter der sich Wasser staute: So entstand
der Titisee. Auch Menzenschwand liegt in einem
Trogtal aus der Eiszeit. Es wurde von dem Gletscher
geschaffen, der vom Herzogenhorn aus nach Osten
verlief.
WäLDERNur in den Warmzeiten des Eiszeitalters und
dann wieder in der Nacheiszeit gab es Wälder
im Schwarzwald. Nach der letzten Eiszeit war
der Schwarzwald zunächst von Kiefernwäldern
überzogen, später breiteten sich verschiedene
Laubbäume aus, unter anderem Eichen. Dann erst
wurden Tannen und Buchen häufiger, sehr spät
und nur an wenigen Stellen auch Fichten. Tannen,
die wegen der weißen Streifen an der Unterseite
der Nadeln auch Weißtannen genannt werden,
sind charakteristisch für den Schwarzwald. Seinen
Namen erhielt er wohl wegen des vorherrschen-
den Schwarzholzes; das ist ein anderer Ausdruck
für Nadelholz. Am regenreichen Westhang wuch-
sen Buchen besser, im Osten Tannen. Dort gibt es
nämlich immer wieder Spätfrost im Mai. Wenn
die Buchen gerade dann ihr Laub austreiben, er-
frieren die zarten jungen Blätter. Fichten sind in
den Mischwäldern heute häufiger vertreten als
von Natur aus, denn sie wurde forstlich geför-
dert. Reine Fichtenwälder gehen auf Pflanzungen
oder Aussaaten zurück. Die höchsten Berggipfel
des Schwarzwaldes, vor allem der Feldberg, wur-
den nie völlig von Wäldern überzogen. Der Name
„Feldberg“ bezieht sich auf dessen Waldfreiheit.
Oberhalb der Waldgrenze findet man dort zahl-
reiche Kräuter, die auch für die Alpen charakteris-
tisch sind. Diese Gewächse kamen in der Eiszeit in
unvergletscherten Gebieten vor; danach wurden
sie dort verdrängt, wo sich Wälder etablierten.
Die Wälder des Schwarzwaldes haben seit Jahr-
hunderten eine erhebliche wirtschaftliche Bedeu-
tung. An die Schwarzwaldtannen knüpfen sich
zahlreiche Legenden. Die höchsten von ihnen
heißen heute noch Holländertannen, weil sie auf
dem Rhein bis ins Rheinmündungsgebiet, nach
Holland, geflößt wurden. Die Niederlande sind ein
holzarmes, aber dicht besiedeltes Gebiet, in dem
man das Floßholz aus dem Schwarzwald zum Bau
von Häusern und Schiffen brauchte. Tannenholz
benötigte man nicht nur für städtische oder reprä-
sentative Gebäude wie das Schloss in Amsterdam,
sondern auch für Bauernhäuser. Zum Bau der
Gulfhäuser in den baumfreien Nordseemarschen
war nur eine relativ geringe Zahl an Baumstäm-
men notwendig. Sie mussten aber besonders lang
und gerade gewachsen sein. Nadelholz war dafür
ideal. Tannenstämme dienten ferner als Schiffs-
masten. Tannenholz ist leichter als andere Holz-
arten. Schiffe mit Masten aus Tannenholz ließen
sich leichter navigieren als andere mit eichenen
Masten. (Küster 2008)
LANDNUTZUNgIn der Senke der Oberrheinebene wurde im Eiszeit-
alter mineralreicher Löss abgelagert, der vom Wind
Abb. 13:
Montaner
Mischwald
oberhalb vom
Höllental
20
aus den Gletschervorfeldern ausgeblasen worden
war. Löss bot stets exzellente Voraussetzungen für
eine intensive Landnutzung. Böden auf Löss sind
ferner arm an Steinen, so dass sich das Gerät, das
bei der Bodenbearbeitung verwendet wurde, nicht
so schnell abnutzte. Die Oberrheinebene ist zudem
klimatisch begünstigt. Man kann dort Wein, Obst,
Zuckermais und Tabak kultivieren.
Im Schwarzwald sind die Voraussetzungen für die
Landwirtschaft erheblich schlechter. In den ver-
gangenen Jahrhunderten wurde vor allem Sub-
sistenzwirtschaft betrieben, bei der es lediglich
darauf ankam, dass sich die Bauern selbst mit
Nahrung versorgten. Subsistenzwirtschaft ohne
eine Einbindung in Handelsnetze zu betreiben ist
riskant; nach Missernten musste die Möglichkeit
bestehen, Nahrung auf dem Markt zu erwer-
ben. Um nicht zu hungern oder auf Almosen
angewiesen zu sein, brauchten die Bewohner
des Schwarzwaldes Güter, die sie auf die Märkte
bringen konnten. Der Verkauf von Erz aus Mine-
raladern von Granit und Gneis sowie von Holz
war daher wichtig.
Wenn man Rohprodukte weiter verarbeitete, be-
kam man mehr Geld: Aus Roherzen wurden ein-
zelne Metalle gewonnen. Das erzführende Gestein
wurde in Pochwerken zerkleinert, die von Mühl-
rädern angetrieben wurden. Auch Blasebälge,
die man zum Erzeugen hoher Temperaturen in
Schmelzwerken brauchte, wurden mit Wasser-
kraft angetrieben. Es gab zahlreiche Glashütten im
Schwarzwald: Rohstoff dafür war Quarz, ein wich-
tiger Bestandteil von Granit, Gneis und Buntsand-
stein. Mit Pottasche, die man aus Holz herstellte,
konnte man die hohen Schmelztemperaturen von
Quarzsand senken und auf diese Weise leichter
Glas machen. Später entwickelte sich das gerade
in Menzenschwand oder im benachbarten Bernau-
er Tal besonders charakteristische häusliche Hand-
werk der Schnitzer und Schindelmacher, andern-
orts die Uhrmacherei. Vor allem im 19. Jahrhundert
trugen wandernde Händler die Produkte aus dem
Schwarzwald in das Umland.
Auch wenn Landwirtschaft nicht immer große
Bedeutung hatte, so wurden Dörfer und Einzel-
höfe doch so angelegt, dass man sie optimal da-
für nutzen konnte. Die Bauernhäuser wurden in
Ökotopengrenzlage zwischen Grünland im Tal und
Ackerland auf den Höhen errichtet. Das Schwarz-
waldhaus gehört zu den an seine Umgebung am
besten angepassten ländlichen Gebäudetypen: Das
Erntegut kommt vom Acker durch die „Einfahrt“
oder „Ifahr“ ins Dachgeschoss der Bauernhäuser
mit dem Speicherraum. Futter wird von oben in
den Stall geworfen. Die Tiere laufen von dort aus
auf das unterhalb gelegene Grünland, und Gülle
mit ihren vielfältigen düngenden Mineralstoffen
kann auf die unterhalb des Hofes gelegenen Wie-
sen geleitet werden. Das breit überstehende Dach
verhindert, dass die hoch am Himmel stehende
Sommersonne die unteren Geschosse des Schwarz-
waldhauses erreicht. Die tief stehende Sonne aber
scheint auf die Wohn- und Stallgeschosse des
Abb. 14:
Schwarz-
waldhaus in
Ökotopen-
grenzlage
am Ortsrand
von Menzen-
schwand
21
Hauses und erwärmt sie im Winter. Alle Teile des
Schwarzwaldhauses liegen unter einem Dach.
Bei ungünstiger Witterung, vor allem bei hohem
Schnee, braucht man nicht über den Hof zu ge-
hen, wenn man vom Wohnhaus den Stall oder die
Scheune erreichen will. Nur die Hofkapelle befindet
sich oft außerhalb der einzeln stehenden Schwarz-
waldhöfe. Die Bauern mussten aber nicht den be-
schwerlichen Weg zur Dorfkirche auf sich nehmen,
um regelmäßig zu beten. Wo das Gelände ober-
halb des Dorfes relativ eben oder nur sanft geneigt
ist, vor allem im östlichen Schwarzwald, wurde oft
Feld-Gras-Wirtschaft betrieben. Man ließ überall
Gras wachsen und brach innerhalb des Grünlands
so viel Ackerfläche um, wie man brauchte, um
genug Roggen, Hafer, Bohnen oder Kartoffeln zu
kultivieren. In den tief eingeschnittenen Kerbtälern
und in den Trogtälern, die von den Gletschern ge-
formt worden waren, musste man Ackerland auf
andere Weise schaffen. Auf den Steilhängen legte
man Weidfelder, Reuten (mundartlich: Rütten) oder
Schwenden an. Dort betrieb man eine Wechsel-
wirtschaft, bei der Holz-, Feld- und Weidenutzung
im Zyklus aufeinander folgten. Zunächst wurde der
Wald gerodet. Stammholz wurde entfernt und zum
Bauen genutzt, Kleinholz blieb liegen. Man ver-
brannte es auf dem Feld; mit der Asche, die ja aus
vielfältigen Mineralstoffen besteht, düngte man
den Boden. Nur steile Hänge konnte man abbren-
nen, denn man schob eine Rolle aus brennendem
Brombeergestrüpp den Hang hinunter oder zog es
aufwärts. Dabei wurde weiteres Kleinholz in Brand
gesetzt. Nach dem Brennen säte man Korn oder
andere Kulturpflanzen ein. Einige Jahre später ließ
man Tiere auf dem Steilhang weiden. Doch man
ließ auch Gehölz in die Höhe wachsen, das man
nach einigen Jahrzehnten rodete. Nach erneutem
Brennen konnte man wieder Getreide anbauen.
Die einzelnen Reuten, die verschiedenen Bauern
gehörten, lagen als schmale Landstreifen ne-
beneinander. Auch wenn sie heute nicht mehr
als Reuten bewirtschaftet werden, kann man sie
noch gut erkennen, denn der Bewuchs verschie-
dener Streifen unterscheidet sich. Viele ehemalige
Reuten wurden später zu reinen Weideflächen.
Dort entwickelte sich Heideland mit Ginster, Arni-
ka, Bärwurz und Kuckucksblume. Wo die Bewei-
dung aufgegeben wird, verschwinden die Heide-
pflanzen. Viele Reuten wurden aufgeforstet. Man
erkennt sie dann immer noch, und zwar an den
Parzellengrenzen. Die Streifenstruktur der Rütten
kann eventuell erhalten bleiben, wenn man Ski-
Abb. 15:
Schwarz-
waldhaus mit
Hofkapelle
Abb. 16:
Ehemalige
Rütte
oberhalb von
Menzen-
schwand
22
pisten in geeigneter Form auf ihnen anlegt. Als
die Reuten noch betrieben wurden, sammelten
sich abgeschwemmte Aschepartikel und andere
Mineralstoffe im Talgrund. Dort betrieb man Wie-
senwirtschaft. Weil man mit jeder Mahd nicht nur
Grünmasse, sondern auch Mineralstoffe von den
Standorten entfernt, müssen Wiesen grundsätz-
lich gedüngt werden. Mit Wasser wurden Mine-
ralstoffe zur Düngung auf das gesamte Grünland
geleitet. Wo man Grünland bewässerte, schmolz
der Schnee früher und die Pflanzen begannen
eher mit ihrem Wachstum.
Vielerorts leitete man Wasser aus den Bächen ab
und ließ es in einem sogenannten Wuhr auf dem
Hang entlang laufen. Man verwendete Deichel,
ausgehöhlte Baumstämme, um Wasser über Sen-
ken zu leiten. Von den Hängen aus rieselte Wasser
auf das darunter liegende Grünland. Auf den ebe-
nen Flächen am Grund der Trogtäler musste man
das Land aufwendiger präparieren: Man formte
Landrücken, auf deren Scheiteln kleine Kanäle
verliefen. Von ihnen aus rieselte Wasser über die
Flanken der Wiesenrücken zu weiteren Kanälen
in den Senken zwischen den Rücken. Das Wasser
sammelte sich im Bach in der Mitte des Tales.
Durch Wiesenbewässerung kamen zwar genügen-
de Mengen an Dünger auf das Grünland, aber
diese Düngung war weniger intensiv als die heute
übliche Mineraldüngung. Man konnte die Wiesen
ein- bis zweimal pro Jahr mähen, nicht häufiger.
Trollblume, Sumpfdotterblume und zahlreiche
Orchideen hatten genug Zeit, um sich auf diesen
farbenfrohen Wiesen zu entwickeln. Die Wiesen-
bewässerung hatte noch einen weiteren Effekt.
Sämtliche Mineralstoffe, die im Wasser transpor-
tiert wurden, blieben auf den Wiesen zurück. Das
Wasser wurde auf diese Weise gereinigt – wie in ei-
ner großen Pflanzenkläranlage. (Krause 1956) Mit
heutiger Mineraldüngung kommen größere Men-
gen an Mineralstoffen auf die Wiesen. Die Pflanzen
wachsen rascher und können früher gemäht wer-
den. Pflanzen mit einer langen Entwicklungsdauer
aber verschwinden, beispielsweise die Trollblume.
Die Hochlagen der Berge wurden beweidet. Man
trieb die Tiere einerseits in die Wälder, andererseits
auf die Gipfel der Berge. Vor allem am Feldberg gibt
es noch eine ganze Reihe von Hütten, die man ur-
sprünglich vor allem für die sommerliche Almwirt-
schaft nutzte. Heute sind sie aber mehr und mehr
zu Raststationen für Bergwanderer geworden.
ZUkUNfTDie Landschaftsplanung kann und soll auf den Er-
gebnissen der landschaftswissenschaftlichen Ana-
lysen aufbauen. Probleme in der heutigen Land-
schaft bestehen einerseits durch Intensivierung,
andererseits durch Extensivierung. (Dannebeck
2009) Letzteres ist gerade im Schwarzwald noch
entscheidender, weil die Landnutzung nur an we-
nigen Stellen intensiviert wird: Ehemalige Nutzflä-
chen wuchern zu. Viele Pflanzen- und Tierarten
verschwinden, weil es zu einer Wiederbewaldung
kommt. Weil die Wiesenbewässerung aufgege-
Abb. 17:
Überreste
einer Wie-
senbewässe-
rungsanlage
am Feldberg
23
ben wurde, gibt es mehr Stickstoffverbindungen
in den Fließgewässern. An Bachufern breiten sich
Stickstoffzeigerpflanzen aus, darunter Brennnes-
sel und Drüsiges Springkraut.
Durch neue Formen von Nutzungen könnte man
Landschaft in einem Zustand bewahren, den Be-
sucher des Schwarzwaldes dort sehen wollen: Sie
wünschen sich Wälder, Heiden und Viehweiden,
Mühlen und Schwarzwaldhäuser. Die Tourismus-
werbung zeigt diese Ideale, aber in der Realität
verschwinden sie, weil man sich zu wenig Gedan-
ken über sie macht. Chancen für eine Bewahrung
der Schwarzwaldlandschaft können sich daraus
ergeben, dass man ihre Potentiale nutzt, um Roh-
stoffe für die Erzeugung von Energie zu gewin-
nen. In den Wäldern rings um Schwarzwalddörfer
gibt es genug Holz, das sich zu Hackschnitzeln
verarbeiten lässt. Man kann dieses Heizmaterial in
den großen Dachräumen der Schwarzwaldhäuser
lagern; dort könnte man auch Hackschnitzelhei-
zungen betreiben, mit denen man das Haus selbst
und eventuell Nachbarhäuser versorgen kann.
Biogasanlagen könnte man mit Grünmaterial von
verwildernden Hochstaudenfluren betreiben, mit
Greiskraut, Weidenröschen, Brennnesseln und
Drüsigem Springkraut. Auch aus Abfällen oder
dem Gras von einer bewässerten Wiese, das man
als Viehfutter nicht mehr benötigt, könnte man
Biogas herstellen. Der Wasserreichtum lässt sich
zur Gewinnung von Wasserkraft besser nutzen.
Turbinen könnten in die Mühlengebäude einge-
baut werden. Allerdings muss darauf geachtet
werden, dass die in der Europäischen Wasser-
rahmenrichtlinie geforderte Durchlässigkeit der
Gewässer gewährleistet ist. Insgesamt könnten
auf diese Weise Teile eines früher hervorragend
funktionierenden Landnutzungssystems für neue
Formen von Nutzung übernommen werden. Im
Schwarzwald war es immer wieder notwendig,
neue Wege der Landnutzung zu beschreiten. Der
Erfindungsgeist der Bewohner führte zur Entwick-
lung des sehr gut an seine Umgebung angepassten
Schwarzwaldhauses. Sein Dachraum kann nicht
nur als Lager für Hackschnitzel dienen, sondern es
könnte zu zahlreichen Zwecken umgebaut werden,
zum Konzertsaal, Proberaum für Laienmusiker oder
Atelier eines Malers, zur Kunstgalerie oder Biblio-
thek, zum Raum einer Sommerakademie oder für
die Anlage eines Rechenzentrums.
Insgesamt sollte versucht werden, Traditionen der
Nutzung aufzugreifen, wenn Neues entwickelt
wird. Dabei sind originelle Ideen notwendig; jeder
Ort braucht andere. Man braucht vielfältige Netz-
werke, in denen Menschen ihre Sache selbst in die
Hand nehmen. Dabei sind Patchwork-Existenzen
zu fördern: von Menschen, die mehreren Berufen
nachgehen. Zahlreiche Tätigkeitsbereiche lassen
sich denken: Gewinnung von Energie, Kleinhandel,
Verwaltungsaufgaben, Nachbarschaftshilfe, Alten-
und Kinderbetreuung, Betreuung von Feriengästen
in und außerhalb ihrer Unterkünfte, Bildungsar-
beit für Kinder und Erwachsene, auch für Gäste,
Gewährung von Mobilität durch Fahrdienste, die
öffentlichen Personennahverkehr ersetzen. Die Zu-
kunft von ländlichen Gebieten liegt also wohl am
ehesten darin, einerseits bewährte Strukturen von
Siedlung und Landschaft zu bewahren, anderer-
seits neue Systeme des Zusammenlebens und der
Versorgung von Menschen zu entwickeln.
Prof. Dr. Hansjörg KüsterInstitut für Geobotanik
Leibniz-Universität Hannover
25
Was hat die Schwarzwälder Architektur geformt? Die klassischen Schwarzwälder Holzbauten sind hervorragende Studienob-jekte, was die Prinzipien des zweckgebun-denen Bauens in einer gebirgigen, klein-strukturierten, landwirtschaftlich geprägten Kulturlandschaft anbelangt. Aber welche genau sind diese Prinzipien, die uns als ty-pisch schwarzwälderisch ansprechen? Gibt es Merkmale, die heute noch Inspirations-quelle für das zeitgenössische bauliche Schaffen in einer sich derart im Wandel be-findlichen Kulturlandschaft sein können?
Zunächst einmal sind die überlieferten Bauten der
Schwarzwälder Hauslandschaft, unabhängig von
regional und entstehungszeitlich ausgeprägten
Merkmalen, nach streng funktionalen Gesichts-
punkten konzipiert und gestaltet worden. Die
schwierige Aufgabe des Bauens am geneigten
Hang hat meistens zu einer kompakten Bauweise
und zur Stapelung der Funktionen geführt. Durch
eine geschickte Anordnung der Funktionen im
Inneren des Schwarzwaldhauses können die Ge-
bäude mittels eines Abwurfprinzips von Futter,
Brennholz, Mist, etc. bewirtschaftet werden. Dies
erspart lange Wege, Zeit und Energie.
Der Grund für die großen, geneigten Dächer ist
wohl in der Notwendigkeit zu suchen, Lagerraum
für die immensen Mengen von Heu als Winter-
futtervorrat für die Tiere zu schaffen. So wurde
auch Platz zum Trocknen und Dreschen von Ge-
treide sowie zum Unterstellen von Arbeitsgeräten
und Fahrzeugen gewonnen. Walmt man ein sol-
ches Dach an den Schmalseiten des Baukörpers
ab, so entstehen stabile statische Dreiecke in der
Dachfläche. Die aerodynamischen Eigenschaften
sind gegenüber dem Dach mit senkrechten Gie-
beln wesentlich besser, verbunden mit größerer
Stabilität – ein Gebot des Bauens in gebirgigen
Höhenlagen mit erhöhten Windlasten. Das tiefe
Herunterziehen der Traufe sowie ein großer Dach-
überstand ermöglichen nicht nur bei Schlechtwet-
ter oder Schnee weiterhin den Aufenthalt im Frei-
en in unmittelbarer Hausnähe, sondern gewähren
auch konstruktiven Schutz für die hölzernen Bau-
glieder im unteren Gebäudeteil. Die relativ steile
Dachneigung von etwa 45 Grad resultiert aus der
Art der vor Ort verfügbaren Dachdeckungsmateri-
alien, nämlich Stroh oder Holzschindel. Beide sind
umso haltbarer, je schneller das Wasser abfließen
und die Dachhaut wieder trocknen kann.
Vor allem bei älteren Gebäuden sind noch soge-
nannte Firstständer zu finden. Sie stehen so senk-
recht wie der Baum im Wald in der Mittelachse der
Häuser und tragen den Firstbalken. Die Gebäude
sind nicht nur aus dem am Ort unmittelbar zur
Verfügung stehenden Rohmaterial Baum errichtet
worden, sondern sie haben auch in ihrer Höhenent-
wicklung die Dimension des Waldes beibehalten.
Die Gebäude treten also in Beziehung zu ihrem
Platz und reagieren auf ihn in vielfältiger und spe-
zifischer Art und Weise. Dabei führt die Berück-
SüDSCHWARZWäLDER ARCHITEkTUR- kONTINUITäT IM WANDELfLORIAN RAUCH
Abb. 18:
Längsschnitt
durch ein
Schwarz-
waldhaus des
Dreisamtals
26
sichtigung des Nutzungsprogramms und der Um-
weltfaktoren zu einer prägnanten Gestalt.
LANDSCHAfT – BAUWERkLandschaft und Gebäude stehen in enger Wech-
selwirkung zueinander und bilden den Vorgang
der Landbewirtschaftung ab. Das Landschafts-
element Haus beziehungsweise Dorf ist ohne das
Element der bewirtschafteten Landschaft rings-
herum nicht denkbar – und umgekehrt – beides
bedingt sich gegenseitig. Meistens sind die Plätze,
an denen überlieferte Siedlungen zu finden sind,
sorgfältig nach einer Reihe von Kriterien ausge-
wählt: kleinklimatische Aspekte wie die vorherr-
schende Windrichtung, Trinkwasservorkommen,
Baugrundverhältnisse, Exposition (Blitzschlag!),
Besonnung, Verfügbarkeit von Baumaterial, ver-
kehrstechnische Erschließung. Im Schwarzwald
speziell haben bewirtschaftungslogistische As-
pekte auf den zu bearbeitenden Flächen und die
Eigentumsverhältnisse der Flächen zu den spezifi-
schen Siedlungsmustern Streifenflur oder Haufen-
dorf geführt. Der Außenraum eines Gebäudes
hat mindestens eine ebenso große Bedeutung
wie das Haus selbst. Historischen Häusern im
Museumsdorf fehlt oft dieser Aspekt. Wenn der
Zusammenhang mit der Umgebung nicht mehr
spürbar ist, befinden wir uns dem Empfinden
nach in der Vorstadtsiedlung, in der die Bezie-
hung von Haus und Landschaft verloren gegan-
gen ist. Ein Haus im Schwarzwald steht also in
Beziehung zur Landschaft und bildet diese Be-
ziehung ab.
Die Faszination am Bild des Schwarzwaldhau-
ses rührt sicher auch von seiner archaischen
Erscheinung her: kompakte, geschlossene Bau-
körper mit tiefen Traufen, Verwendung von na-
türlichen Materialien wie Holz sowie Bruch- und
Lesestein. Solche Bauensemble begegnen uns
auf Kinderzeichungen: Haus, Baum, lachende
Sonne und Blumenwiese. Oft sind historische
Hofstellen auch landschaftlich markante Plätze.
Diese werden durch Hausbäume noch zusätz-
lich akzentuiert. Solche Hausbäume stärken
die Verankerung des Hauses in der Landschaft,
bieten natürlichen Blitz- und Windschutz und
haben eine positive Auswirkung auf die Regu-
lierung des Feuchtigkeitshaushalts in Kellerge-
schoss und Baugrund. Im Sommer spenden sie
Schatten, im Winter gewähren sie dem Licht
Durchlass.
Die Platzierung von Gebautem in der Landschaft
kann grundsätzlich zwei unterschiedlichen Hal-
tungen folgen: Der eingliedernde Ansatz führt
zu Bauten, die nicht auffallen. Sie zeichnen be-
wusst die Formen und Farben der umgebenden
Landschaften nach mit dem Ziel, zu einem ruhi-
gen Gesamtbild beizutragen – zum Beispiel die
klassischen Schwarzwaldhöfe. Der eigenständi-
ge Ansatz führt hingegen zu Bauten, die einen
Ort besonders auszeichnen. Diese Gebäude
haben eine besondere Präsenz im Landschafts-
bild. Sie setzen sich bewusst mit der Landschaft
auseinander, indem sie ihr einen neuen Akzent
verleihen. Ein wohlüberlegt gesetztes Zeichen
muss daher nicht unbedingt eine Beeinträchti-
gung des Landschaftsbildes sein, sondern kann
diesem im Gegenteil noch einen zusätzlichen
Reiz verleihen – sozusagen eine Akupunkturna-
del in der Landschaft.
Die klassischen Schwarzwälder Holzbauten
sind in Ständer-Bohlen-Holzbauweise konstru-
27
iert: eine Art Fachwerkbausystem aus tragen-
den stabförmigen Holzbaugliedern wie etwa
Schwellen, Ständern und Streben, die nicht –
wie im Fachwerkbau üblich – mit Mauer- oder
Flechtwerk ausgefacht sind, sondern mit ge-
sägten Holzbohlen. Mit diesem Holzbausystem
lässt sich nahezu jede Bauaufgabe lösen: vom
Miniaturhaus in Form eines Milchhäusles zum
Kühlen von Essensvorräten am Brunnentrog
über Kleinbauten wie Speicher und Mühle bis
hin zur Großstruktur eines Schwarzwaldhofes.
Klassische Schwarzwälder Architektur wurde
also unter Anwendung heimischen Materials
handwerklich meisterhaft umgesetzt.
DAS SCHWARZWALDHAUS STIRBT AUSInfolge der touristischen Erschließung des
Schwarzwaldes im 19. Jahrhundert hat sich der
Eindachhof zum Markenzeichen für die gan-
ze Region entwickelt. Dazu haben natürlich
auch Nachkriegsfilme in Farbe wie „Schwarz-
waldmädel“ aus dem Jahr 1950 beigetragen.
Das Schwarzwaldhaus ist aber im Aussterben
begriffen. Heutzutage werden nahezu keine
Schwarzwaldhäuser mehr neu gebaut und die
historisch überlieferten Exemplare verschwin-
den schleichend, aber kontinuierlich und spür-
bar. Weshalb? Schwarzwaldhäuser haben sich
als hochoptimierte Funktionsgebäude für die
Feld-Gras-Wirtschaft herausgebildet. Heute
haben sich sowohl die landwirtschaftlichen
Bewirtschaftungsmethoden als auch die An-
sprüche z.B. an das Stallklima oder das Woh-
nen stark verändert. Die Tendenz heute geht zu
immer weniger und größeren landwirtschaft-
lichen Betrieben. Für eine Nutzung im Rah-
men von solchen landwirtschaftlichen Groß-
strukturen sind diese Häuser nicht geeignet.
Historisch gesehen war die Landwirtschaft im
Schwarzwald, je nach Landstrich, oftmals nur
ein wirtschaftliches Standbein neben anderen
Erwerbszweigen. Sie diente der Selbstversor-
gung mit Nahrungsmitteln und hatte nur ein
begrenztes Potential zu monetärer Wertschöp-
Abb. 19:
Ensemble ei-
nes Schwarz-
waldhofs im
Urachtal
28
fung. Außerdem lassen sich viele Bauaufgaben
mit dem Programm und der Konstruktion eines
klassischen Schwarzwaldhauses gar nicht erfül-
len: Schule, Turnhalle, Hallenbad, Rathaus etc...
BAULICHE gESTALTUNg – gESTERN UND HEUTEDie sogenannte Heimatstilbewegung um 1900
war Ausdruck einer das Landleben und die Na-
tur idealisierenden Sehnsucht in Folge der indus-
triellen Revolution. Sie griff traditionelle regionale
Architekturformen aus der bäuerlich - profanen
Architektur auf. Diese flossen bei Neubauten
wie etwa Schulhäusern gestalterisch ein, aller-
dings meistens ohne Bezug zu ihrer eigentlichen
ursprünglichen Funktion. Dennoch verstanden
es die Architekten dieser Zeit, solche aus dem
Zusammenhang genommenen Formen gekonnt
und ästhetisch spannungsvoll neu zu arrangieren.
Vor allem nach dem 2. Weltkrieg ging die Sicher-
heit in der Gestaltung und im Umgang mit der
regionalen Architektur zusehends verloren. Dies
führte beispielsweise dazu, dass Wohnhäuser mit
Walmdächern versehen wurden, um einen regio-
nalen Bezug herzustellen. Bei bewohnten Dach-
geschossen hatte dies jedoch zur Folge, dass die
geschlossenen Dachflächen mit großen Gauben
unterbrochen werden mussten, und die beim
Schwarzwaldhaus so tiefen Traufen immer höher
rutschten. So ging die ruhig lagernde Erschei-
nung der Häuser, ein markantes Charakteristikum
der historischen Höfe, verloren. Zusätzlich hielten
auch formale Versatzstücke aus der bäuerlichen
Architektur des alpenländischen Raums Einzug,
wie etwa gewaltige Holzverkleidungen an beto-
nierten Balkonplatten, Erker und Ecktürme sowie
Skraffitoimitatbemalung. Bauten dieser Genera-
tion fehlt spürbar das authentische Element. Sie
wirken kitschig. Irgendwie spürt man, dass etwas
nicht stimmt, auch wenn es dem Betrachter oft
schwer fällt, die Gründe hierfür zu benennen.
Welche Schlüsse lassen sich aus diesen Zusam-
menhängen für unsere heutige Baukultur ziehen?
Solange es uns nicht gelingt, ein vergleichbares
“Markenzeichen“ wie das Schwarzwaldhaus als
Symbol für die Region neu zu erfinden, muss un-
sere ganze Energie der Erhaltung der noch vorhan-
denen gewachsenen Exemplare am angestamm-
Abb. 20:
Spielweg-
schule in
Münstertal,
erbaut
1911–1913
Abb. 21:
Apartment-
haus im
Schwarzwald
29
ten Ort gelten; je näher an der ursprünglichen
(Vielzweck-) Nutzung, desto besser.
Die zu Beginn erläuterten Gestaltungsprinzipien,
die das historische Schwarzwaldhaus in seiner
jeweiligen regionalen Ausprägung und auf dem
Hintergrund der Neuerungen seiner jeweiligen
Entstehungszeit geformt haben, können auch
heute Inspirationsquelle für das zeitgenössische
Bauen in dieser sich in starkem Wandel befindli-
chen Kulturlandschaft sein. Es gilt auszuloten, in
welcher Form diese Prinzipien heute anwendbar
sind. Sicher ist aber, dass Formen, die unreflektiert
anderen Kontexten entnommen werden, in eine
Sackgasse führen. Oder mit den 100 Jahre alten
Worten des Architekten Adolf Loos ausgedrückt:
„Achte auf die Formen, in denen der Bauer baut.
Denn sie sind der Urväterweisheit geronnene Sub-
stanz. Aber suche den Grund der Form auf. Haben
die Fortschritte der Technik es möglich gemacht,
die Form zu verbessern, so ist immer diese Verbes-
serung zu verwenden. Der Dreschflegel wird von
der Dreschmaschine abgelöst. ... Fürchte nicht,
unmodern gescholten zu werden. Veränderungen
der alten Bauweise sind nur erlaubt, wenn sie eine
Verbesserung bedeuten, sonst aber bleibe beim al-
ten. Denn die Wahrheit, und sei sie hunderte von
Jahren alt, hat mit uns mehr inneren Zusammen-
hang als die Lüge, die neben uns schreitet.“ (Loos
1913: 13)
Die Enttäuschung über die Zerstörung prägen-
der Elemente der Kulturlandschaft und die min-
derwertige Gestaltqualität des Neugebauten
hat immer wieder dazu geführt, gewisse Ge-
staltungsprinzipien in Beispielfibeln oder Gestal-
tungssatzungen festzuschreiben. Meistens sind
diese Werke Sammlungen formaler architekto-
nischer Versatzstücke oder gebauter Beispiele.
Die Entstehung historischer Architektur und ge-
bauter Ensemble wird in der Regel nicht erklärt.
Damit fehlt aber das Verständnis für eine Fügung
der Formen, die ihrem Wesen auch tatsächlich
entspricht, geschweige denn, deren Weiterent-
wicklung ermöglicht. Eine große Ratlosigkeit ist
im Umgang mit neuen Bauaufgaben spürbar,
dieses Thema wird in solchen Schriften jedoch
meist komplett ausgeblendet.
Ein positives Beispiel für eine Gestaltungshilfe
wurde im Jahr 2008 vom Innerschweizer Heimat-
schutz (IHS) herausgegeben (siehe nächste Seite).
Die zentrale Botschaft ist in Form von acht Fragen
und einem jeweils dazugehörenden Grundsatz
gegliedert. Zu jedem der acht Kapitel gehört eine
Reihe weitergehender, differenzierender Fragen.
Hier wird nicht auf einer formalen, sondern auf
einer inhaltlichen Ebene operiert. Dies soll helfen,
eine kritische Auseinandersetzung im Zusammen-
hang mit dem Bauvorhaben in der Landschaft zu
führen und sich seiner architektonischen und kul-
turellen Bedeutung bewusst zu werden.
Stellt man sich als Bauwilliger, Planer oder Politi-
ker diesem Schweizer Fragenkatalog, so zeigt sich
darin eine verantwortungsvolle Haltung bei bauli-
chen Eingriffen in die Landschaft. Dies ist wichtig,
denn solche Veränderungen prägen unseren
Lebensraum nachhaltig. Das hat Auswirkungen
auf das Wohlbefinden der dort siedelnden Men-
schen. Und jede gute Gestaltung ist ein Beitrag
zur Erhaltung der Attraktivität und Eigenart un-
serer Region – und damit auch wichtig für das
Wertschöpfungspotenzial einer Tourismusregion.
30
1. REELLE NOTWENDIgkEIT?Grundsatz: Für einen Neubau muss ein zwingendes Bedürfnis vorliegen.• Was ist das Problem? Ist es unumgänglich, an
diesem Ort zu bauen?
• Können die räumlichen Bedürfnisse mit einem
Neubau, einem Anbau oder einem Umbau an
diesem Ort langfristig befriedigt werden?
• Stehen allenfalls andere Möglichkeiten für die
Lösung des Problems zur Verfügung?
• Sind am dafür vorgesehenen Standort Terrain-
veränderungen notwendig?
2. NEUBAU ODER UMNUTZUNg?Der Erhalt und die Umnutzung eines beste-henden Gebäudes wird angestrebt, umso zwingender, wenn dieses die Landschaft positiv prägt.• Wurde eine sorgfältige Umbaustudie
ausgearbeitet?
• Welchen Stellenwert, welche Bedeutung hat
das Gebäude im Landschaftsbild?
• Wie beeinflusst das bestehende Gebäude das
Landschaftsbild?
• Welche Bedeutung hat die bestehende
Umgebung innerhalb des Landschaftsbildes?
• Werden das neue Gebäude und die neue Um-
gebungsgestaltung dieser Bedeutung gerecht?
3. ADäQUATE NUTZUNg?Die Nutzung muss sich mit der Umgebung ergänzen.• Verträgt sich die vorgesehene Nutzung mit
dem Ort und dem Umfeld oder stören sie sich
gegenseitig?
• Ist die vorgesehene Nutzung am vorgesehenen
Ort sinnvoll und nachhaltig?
• Welche Auswirkungen hat die beabsichtigte
Nutzung auf die Umgebung und auf die
Eigenart der Landschaft?
• Gibt die vorgesehene Nutzung einen positiven
Impuls für eine allfällige Entwicklung in der
Landschaft?
• Hält die beabsichtigte Nutzung die geltenden
Gesetze ein?
4. RICHTIgE LAgE?Die Stellung der Neubauten wirkt selbstver-ständlich. Der Neubau gliedert sich in die Landschaft ein.• Orientiert sich die Stellung des Gebäudes an
Mustern der Umgebung? Berücksichtigt sie die
Gegebenheiten der Topografie? Lässt sie sich
von historischen Vorbildern ableiten?
• Fügt sich das neue Gebäude sorgfältig in seine
Umgebung ein? Leistet es einen wertvollen
Beitrag zur Weiterentwicklung der örtlichen
Baukultur?
• Werden bestehende Bauten und Landschaft-
selemente im näheren Umfeld in das Projekt
miteinbezogen?
• Entsteht ein harmonisches oder ein
spannungsvolles Ensemble?
• Wird das gewachsene Terrain um das Gebäude
verändert und aus welchem Grund?
31
5. QUALITäTvOLL gESTALTETER gEBäUDEköRPER MIT UMgEBUNg?Das Gebäude bildet mit seiner Umgebung eine Einheit.• Leiten sich die Größe des Gebäudes sowie
seine Proportionen von ortsüblichen Bauten ab?
• Fügen sich die Teile des Gebäudes, deren
Ausrichtung und seine neue Umgebung zu
einem harmonisch wirkenden Ganzen zusam-
men? Beeinträchtigen sie das Landschaftsbild?
• Handelt es sich um einen einfachen, ruhig
wirkenden Baukörper?
• Stellen der neue Gebäudekörper und seine
Umgebungsgestaltung eine neue, interessante
Interpretation der Örtlichkeit dar?
6. SORgfäLTIgE MATERIALISIERUNg UND kONSTRUkTION?Materialisierung und Konstruktion leiten sich aus dem Bestand ab.• Werden einfache und wenige Materialien für
die Gestaltung gewählt?
• Berücksichtigt die gewählte Materialisierung
des Objekts die bestehende Umgebung? In
welcher Art und Weise?
• Leiten sich die Konstruktionswahl und die
Umgebungsgestaltung aus dem Kontext des
Bestandes ab?
• Wird eine bewährte Materialisierung und
Konstruktion gewählt?
• Warum wird auf eine ortsübliche Materialisie-
rung und Konstruktion verzichtet? Wie ist die
neue Wirkung?
7. WOHLPROPORTIONIERTE fASSADE?Die Gestaltungsidee prägt das Gebäude.• Besteht die Gestaltung aus wenigen, klaren
und gut proportionierten architektonischen
Elementen?
• Sind die einzelnen gestalterischen Elemente
aufeinander abgestimmt? Integriert sich die
Gestaltung des Gebäudes durch ihre materielle
und künstlerische Qualität?
• Wirken die Fassaden ruhig und ausgewogen?
Integrieren sich Dachausbauten, Fassadenvor-
sprünge und Fassadeneinteilung des geplanten
Gebäudes in die bestehende Umgebung?
• Ist eine gut gestaltete und strukturierte
Gesamtidee ersichtlich?
• Eignen sich die gewählten gestalterischen
Mittel, um einem privilegierten Ort in der
Landschaft seinen einmaligen Charakter zu
bewahren oder gar zu verstärken?
8. ANgEMESSENE fARBgEBUNg?Das Gebäude erscheint im Landschaftsbild entsprechend seiner Farbgebung.• Hat die Farbgebung eine beruhigende
Wirkung auf das Landschaftsbild?
• Mit welchen Farben der Landschaft hat die
neue Farbgebung etwas zu tun? Wurde die
Farbgebung auf die Umgebung abgestimmt?
• Besteht bezüglich der Farbe eine Beziehung
der Bauten untereinander?
• Stellt die neue, expressive Farbgebung eine
interessante Interpretation der Örtlichkeit dar?
• Ist die Wirkung des Gebäudes im Landschafts-
bild seiner Bedeutung angemessen?
Gestaltungs-
hilfe Inner-
schweizer
Heimatschutz
Abgedruckt
mit freundli-
cher Genehmi-
gung des
Innerschweizer
Heimatschutz
32
Abb. 22:
Findling,
Baum und
Mähwiese
zwischen
Geschwend
und Präg
BAUEN IN DER LANDSCHAfT: DER fINDLINg UND DER BAUMDas Leben im Schwarzwald wurde seit dem 19.
Jahrhundert immer stärker romantisch verklärt.
Eigentlich war die Existenz in hohem Maße von der
Natur geprägt, sehr stark auch durch deren Unwirt-
lichkeit. In der Architektur hat sich dies als Kargheit
niedergeschlagen und so wurde dieses damalige
Leben unmittelbar baulich abgebildet. Die Fähig-
keit, die begrenzten Mittel geschickt zu nutzen, hat
aber gleichzeitig auch einen unglaublichen Reich-
tum der Formen hervorgebracht.
Findling, Bäume und eine Mähwiese – eine Situ-
ation, wie man sie in der Landschaft immer wie-
der antrifft. Hier haben Menschen wahrscheinlich
über mehrere Generationen hinweg immer wie-
der Steine weggesammelt und sind so zu einer im-
mer größeren bewirtschaftbaren Fläche gelangt.
Viel Schweiß und Muskelkraft waren nötig, um zu
diesem Ergebnis zu gelangen. Der große Findling
aber blieb liegen, weil der Aufwand, ihn mit den
damals zur Verfügung stehenden Mitteln zu ent-
fernen, in keinem Verhältnis zum Nutzen stand.
Bemerkenswert ist, dass uns solche landschaftli-
chen Elemente heute tief berühren und irgendwie
vertraut sind. Und vielleicht spricht uns ein histo-
rischer Schwarzwaldhof mit großem Hausbaum
deshalb so stark an, weil dieses Ensemble eine so
starke Analogie zu uns vertrauten Landschafts-
elementen aufweist. Kneift man beim Betrachten
die Augen zu, so könnten Haus und Baum auch
Findling und Baum sein. Auf jeden Fall tragen die
Eingriffe des Menschen aus früheren Zeiten immer
auch seinen menschlichen Maßstab.
Heute sind wir im Besitz einer Unzahl von techni-
schen Möglichkeiten, und wir sind imstande, beim
Bauen nahezu jedes Problem zu lösen. Aber die
uns berührende, zurückhaltende, stimmige bauli-
che Intervention in und mit der Landschaft gelingt
uns heute nur noch selten. Sie entsteht nicht mehr
automatisch und unbewusst, so wie damals, als
Menschen mit ihren aus heutiger Sicht begrenzten
Mitteln in die Natur eingegriffen haben. Im Gegen-
teil: sie muss heute ganz bewusst gesucht und ge-
staltet werden. Im Folgenden werden drei neuere
Beispiele des ländlichen Bauens aus der Schweiz
vorgestellt, die ganz bewusst gestaltet worden
sind und die so auch vor der Gebietskulisse des
Abb. 23:
Hof mit
Hausbaum in
Bernau
33
Abb. 24:
Schulhaus
Paspels
(Schweiz),
1998, Arch.
Valerio Olgiati
Naturparks Südschwarzwald denkbar wären. Zwei
Beispiele stammen aus dem Bereich des landwirt-
schaftlichen Bauens, obwohl diese Bauaufgaben
heute im Schwarzwald nur noch einen kleinen Teil
von Baumaßnahmen ausmachen. Dennoch lässt
sich anhand von solchen Bauvorhaben die geglück-
te Anwendung und Neuinterpretation von Gestal-
tungsprinzipien anschaulich erklären.
Beispiel 1: Schulhaus PaspelsHeute gibt es neuzeitliche, aus Beton gebaute
Häuser, die in ihrer Erscheinung wie ein Findling
gestaltet sind wie etwa das Schulhaus in Paspels
von Architekt Valerio Olgiati. Wir vermissen zwar
einen dazugehörenden Hausbaum, aber wieso
bauen wir im Schwarzwald nicht auch lieber Find-
linge anstatt schlecht geratener, nicht verstande-
ner Kopien von Schwarzwälder Bauernhäusern,
die eigentlich eine Schule sein möchten?
Beispiel 2: Ziegenalp PuzzetaDie Gebäude der Alp Puzzetta am Lukmanierpass
stehen hier keck, und doch gleichzeitig zurück-
haltend und integriert in der Landschaft. Bewirt-
schaftet werden sie gemeinsam durch das „Berg-
waldprojekt“ und die örtliche Alpkorporation. Hier
werden in den Sommermonaten Ziegenkäse, Ziger
und Alpbutter produziert, und gleichzeitig wird
ein Beitrag zur Biodiversität und zur Erhaltung der
alpinen Kulturlandschaft geleistet. Die Baukörper
sind sowohl innen als auch außen abgetreppt und
reagieren so in ihrer Form und Bewirtschaftungwei-
se auf den geneigten Hang. Außen das schützende,
unterhaltsarme Blech, innen eine Auskleidung aus
heimischem Holz – für die Ziegen als auch für den
Menschen. Die roten Blechtafeln wecken eine Erin-
nerung an rostiges Blech, wie wir es von alpin gele-
genen Alpsiedlungen kennen. Mit der Farbgebung
wurde ein Alterungsprozess auf eine künstlerische
Art schon vorweggenommen. Die Aneinanderrei-
hung von einzelnen Hauskörpern suggeriert, dass
hier immer mal wieder angebaut worden ist. Dies
alles führt dazu, dass wir das Gefühl haben, die-
ses Gebäude sei sukzessive gewachsen und stünde
schon viel länger an diesem Ort als dies tatsächlich
der Fall ist.
Abb. 25:
Ziegenalp
Puzzetta,
(Graubünden
Schweiz),
2003–2005,
Arch. Gujan
und Pally
34
Beispiel 3: Laufstall, Ligniéres, Kanton Neuenburg Das Beispiel aus dem Neuenburger Jura ist eine
gelungene zeitgemäße Interpretation des Themas
Scheune. Sie wurde vornehmlich mit Holz aus
dem Wald des Bauherrn gebaut. Ein einfacher,
klarer Gebäudekörper mit neuartiger Fassade und
einem Minimum an architektonischen Gestal-
tungselementen führt zu einer ruhigen Gesamter-
scheinung. Dies trägt zur guten Integration in das
Landschaftsbild bei.
UMBAU DES BESTANDES: ZWISCHEN TRADITION UND INNOvATIONGenauso wie eine bauliche Intervention in der
Landschaft ein hohes Maß an Einfühlungsvermö-
gen erfordert, so verhält es sich auch bei Eingrif-
fen in bestehende, überlieferte Gebäude. Zwei
Beispiele:
Beispiel 1: Brehehuus in MittelheubronnEin Beispiel für einen zeitgemäßen architekto-
nischen Umgang mit wertvoller traditioneller
Bausubstanz auf dem Land ist die behutsame
Restaurierung des Brehehuus, eines historischen
Eindachhofs von 1809 im Weiler Mittelheubronn
am Fuße des Schwarzwälder Belchens. Die Trag-
struktur dieses Hauses war, gemessen an ihrem
Alter, in einem relativ guten Zustand. Wie so
oft, standen hier aber Modernisierungsmaßnah-
men im Bereich Heizung, Sanitär, Elektro und
Wärmeschutz an. Zunächst wurde von dem zum
Großteil in Ständer–Bohlen–Holzbauweise erbau-
ten und stellenweise recht verformten Haus eine
genaue Bestandsaufnahme angefertigt. Dies war
die Grundlage für speziell auf dieses Gebäude
zugeschneiderte Sanierungslösungen, die in den
Jahren 1999 – 2003 umgesetzt wurden.
An der ursprünglich als Schauseite zur Straße hin
ausgebildeten Fassade wurden bauliche Eingrif-
fe, die in der Vergangenheit eine Zerstörung der
Ständer-Bohlen-Struktur zur Folge hatten, zurück-
gebaut und die Bohlengefachstruktur wieder repa-
riert und hergestellt. Die Belichtung erfolgt nach
vollendeter Sanierung nun wieder über Kopien
von Holz-Schiebefenstern, gefertigt nach histori-
schem Befund und ausgebildet als Kastenfenster
mit besseren Wärmedämmeigenschaften. Solche
historischen Schiebefenster sind nicht nur wichtige,
Abb. 26:
Laufstall
Ligniéres,
(Kanton
Neuenburg
Schweiz),
2005, Arch.
Local
architecture
Lausanne
Abb. 27:
Schiebe-
fenster, Süd-
schwarzwald,
vermutlich
19. Jh.
35
Abb. 28:
Ständer-
Bohlen-Wand
mit tranparen-
ter Bohle, Mit-
telheubronn,
1999 – 2003,
Arch. Florian
Rauch
gestaltbestimmende Bauteile für ein Gebäude, son-
dern sie faszinieren auch durch ihre Konstruktion.
Sie wiederholen das Prinzip von Ständer und Bohle,
also von Tragwerk und Ausfachung, in verkleiner-
ter Dimension. Die Rahmenhölzer und die Sprossen
des Fensters entsprechen bei diesem Vergleich dem
Tragwerk des Hauses, die Glasscheiben der Bohlen-
ausfachung. Die fügende Verbindung funktioniert
im Großen wie im Kleinen durch Schlitz und Zap-
fen, Holznägel sowie Nut und Feder – ganz ohne
Metall geschweige denn Klebstoff.
Warum dieses Prinzip der eingenuteten Glasschei-
be eigentlich nicht auch umgekehrt im größeren
Maßstab der Ständer-Bohlen-Wand anwenden,
zumal wir ja heutzutage in der Lage sind, großflä-
chige, wärmedämmende Isolierglasscheiben her-
zustellen? An den Längsseiten des Hauses wurde
auf dieses Prinzip zurückgegriffen und jeweils die
oberste Wandbohle eines jeden Bohlengefaches
durch eine Isolierverglasung in der gleichen Di-
mension ersetzt. In der Folge gelangt so viel mehr
Licht unter dem weiten Dachvorsprung in die
Kammern – ein nahe liegendes Bedürfnis, wenn
man eine Kammer, die zum Lagern von Material
und Vorräten bestimmt war, heute zum Wohn-
raum umfunktioniert. Und trotzdem fügt sich die-
ses neue Detail des „transparenten Bretts“ ganz
unauffällig in die alte Bohlenwand ein. Darüber
hinaus ist so eine rahmenlose, als Festverglasung
ausgebildete Belichtungslösung sehr wirtschaft-
lich, weil auf komplizierte Beschläge verzichtet
werden kann – ein Schwarzwälder Bauprinzip!
Beispiel 2: Haus des Gastes in Höchen-schwandIn den 1990er Jahren geriet der Höhenkurort
Höchenschwand, durch die Gesundheitsreform,
in eine tiefgreifende Strukturkrise. Damit einher
gingen wirtschaftliche und soziale Probleme.
Von den in den 1980er Jahren betriebenen fünf
Kur- und Rehakliniken sind heute noch drei
übrig geblieben. Höchenschwand steht nun vor
der großen Herausforderung, sein Image vom
Höhenkurort hin zu einem zeitgemäßen, identi-
tätsstarken Schwarzwälder Tourismusziel zu ver-
ändern.
Das neue Selbstverständnis des Dorfes konnte nun
anlässlich einer anstehenden Innenrenovation des
„Haus des Gastes“ architektonisch abgebildet und
dadurch nach außen getragen werden. Im Entwurf
des 1979 – 81 erbauten Mehrzweckbaus ist eine
starke Auseinandersetzung des Waldshuter Archi-
tekten Otto Thoss (1922 – 2009) mit dem Thema
des Bauens in den Höhenlagen des Schwarzwal-
des spürbar: ausladende Dachüberstände, weite
Zelt- und Pultdächer, die sich mit ihren Dachflä-
chen schützend über den Baukörpern erheben.
Die ganze bauliche Anlage ist geschickt in den
Hang des abfallenden Grundstücks integriert, so-
dass das gewaltige Gebäudevolumen sich in die
36
Maßstäblichkeit von Dorf und Landschaft einfügt.
Das Foyer entpuppte sich nach einer intensiven
Gebäudeanalyse als Bereich mit dem größten und
dringendsten Eingriffsbedarf. Über die Jahre hat-
te sich dort allerlei den Blick Verstellendes ange-
sammelt und die Oberflächen wirkten verbraucht.
Im Gegensatz zu den anderen Bereichen im Haus
spürte man hier am wenigsten einen Bezug zu ei-
nem Schwarzwaldort auf 1000 Metern über dem
Meer. Überspitzt ausgedrückt: Dieser Raum hät-
te Teil auch einer Autobahnraststätte oder einer
Sparkassenschalterhalle sein können. Dabei ist
dies eine der bedeutendsten Adressen im Dorf,
denn hier gewinnt ein von Ferne angereister Be-
sucher einen ersten wichtigen Eindruck von Hö-
chenschwand.
Wie nun einen Ortsbezug herstellen? Die Heraus-
forderung bestand darin, einen Raum zu schaf-
fen, der Geborgenheit wie eine Schwarzwälder
Stube gibt und andererseits so öffentlich ist wie
ein Marktplatz. Die Überlagerung dieser beiden
Themen bildete das Entwurfskonzept für die Um-
gestaltung. Die neue Wandverkleidung wurde
aus Schwarzwälder Weißtanne gefertigt. Dieser
Baustoff ist über Jahrhunderte wegen seiner Ver-
fügbarkeit und seiner Robustheit für das Trag-
werk, aber auch für die Innenausstattung bei den
hiesigen traditionellen Holzbauten verwendet
worden. Was lag also näher, als bei dieser Bau-
aufgabe diese Bautradition wieder aufleben zu
lassen und dadurch an den Ort, seine Geschichte
und Baukultur anzuknüpfen? Sowohl eine groß-
zügige Eckbank als auch die Wandverkleidung ist
dem Motiv der Schwarzwälder Stube entlehnt.
Durch die senkrechte, feinjährige Maserung der
Schicht Platten aus dem Holz der Weißtanne er-
hält der von seiner Baustruktur her recht niedrige
Raum eine vertikale nach oben strebende Dimen-
sion. Diese räumliche Absicht wird von den kegel-
stumpfförmigen Lichtkuppeln in der Decke noch
verstärkt. Diese sind Teil der neuen geweißelten
Gipsdecke. Diese Decke ist lebhaft, und trotzdem
trägt sie zur ruhigen, konzentrierten Atmosphäre
im Foyer bei. Der beruhigte Raum kann nun
Marktplatz sein, aber auch Bühnenhintergrund
für Veranstaltungen und Ausstellungen.
Das Beschriftungskonzept steht in der Tradition
der Schwarzwälder Holzschnefler und Schnitzer:
Abb. 29/30:
Haus des
Gastes in
Höchen-
schwand.
Foyer vor und
nach dem
Umbau.
Arch. Axel
Dietrich und
Florian Rauch
37
Buchstaben und Schriftzüge wurden direkt mittels
neuzeitlicher CNC-Frästechnik in die Weißtannen-
dreischichtplatten „geschnefelt“. Der Imagewan-
del ist auch in der Umbenennung von „Kursaal“
in „Großer Saal“ vollzogen. Im Haus des Gastes
offenbart sich dem Besucher nach dem Umbau
ein Schwarzwald zwischen Tradition und Innova-
tion. Bleibt zu hoffen, dass die Gemeinde bei der
Einrichtung und Bespielung dieses umgestalteten
Raumes die neue Idee mit Mut aufgreift. Dies gilt
auch für den unmittelbaren Aussenraum vor dem
Haus des Gastes: Hier liegt eine fertige Planung
für eine zeitgemässe Umgestaltung in der Schub-
lade, die noch ihrer Ausführung harrt. Aber auch
über den unmittelbaren Aussenraum hinaus: Die
Landschaft ist im Selbstverständnis des Ortes das
stärkste Identifikationsmerkmal. Eine Analyse hat
aber gezeigt, dass das starke Wachstum vom
bäuerlich geprägten Haufendorf hin zum prospe-
rierenden Kurort auch dazu geführt hat, dass die
Landschaft im Dorf selber kaum mehr spürbar ist.
Die Bauten aus der Frühzeit des Kurbetriebs füg-
ten sich noch harmonisch ins Dorfbild ein. In der
zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aber entstan-
den grosse Kurklinikkomplexe, die den Massstab
sprengten und den Bezug zur Landschaft verstell-
ten.
Warum also nicht den Mut zeigen, und die
zwei seit Jahren leer stehenden Kurkliniken zu-
gunsten der Wiederherstellung eines grösseren
Landschaftsbezugs einfach abreissen? Dieser
Vorschlag mag im ersten Moment vielleicht er-
schrecken. Wer soll das bezahlen? Doch könnte
diese Strukturkrise nicht der Anlass sein, das im
Grunde viel zu schnell und einseitig gewachsene
Dorfbild im Sinne einer verbessernden Korrektur
wieder zu reparieren? Im Osten Deutschlands
wurde so etwas unter dem Motto „gestaltender
Rückbau“ bereits erfolgreich erprobt.
RESüMEENur wer sich traut, einen Entwicklungsschritt
selbst zu gehen, wird am Ende dafür auch belohnt
werden. Das ist überall so auf der Welt, auch im
Schwarzwald. Wir sollen und dürfen unserem
heutigen Leben in dieser Raumschaft einen eige-
nen zeitgemäß gestalteten Ausdruck verleihen.
Wie schön, wenn später einmal gesagt werden
kann: Ein reicher, wertvoller Fundus tut sich dem
auf, der sich mit den gewachsenen Landschafts-
und Baustrukturen des Schwarzwaldes beschäf-
tigt. Hier ist Kontinuität im Wandel spürbar.
Dipl.-Ing. Florian Rauch Bauforscher und Architekt TH SIA
bau kultur landschaft
39
An den Anfang meines Textes stelle ich einige Schlüsselthemen, die die Situation der Menschen „auf dem Wald“, so sagt man hier, beleuchten. Nach ein paar Worten zur Regionalpolitik der letzten Jahrzehnte und der damit einhergehenden konservativen Be-handlung der Kulturlandschaft geht es zum Schluss um „Baukultur“ oder die Wechselwir-kung von Architektur und Sehgewohnheiten.
DöRfERViele Dörfer sind soziokulturell noch intakt, es
gibt gut funktionierende Dorfgemeinschaften
und Vereine. Man sagt, dass der Schwarzwälder
durchschnittlich in sieben Vereinen tätig sei. Die
im städtischen Raum oft vermisste Nachbar-
schaftshilfe ist auf dem Land noch gelebte Selbst-
verständlichkeit. Hier wird schon ein Ungleichge-
wicht sichtbar: Sorgen in der Stadt oft jede Menge
hochsubventionierte soziale und kulturelle Einrich-
tungen für einen Rest an Miteinander, ist im Dorf
das unbezahlte Ehrenamt oft Leistungsbringer für
alles Mögliche. Trotzdem oder gerade deshalb:
die intakte Gemeinschaft ist für Neubürger (ja, es
gibt ein paar) und für die, die bleiben, das stärkste
Argument, auf dem Wald zu leben.
MARkE “SCHWARZWALD“Jeder Werber muss vor Neid erblassen, wenn er
sieht, dass die Marke “Schwarzwald“ auch ohne
irgendeine Werbestrategie weltweit ein posi-
tiv belegter Begriff ist. Vielleicht liegt es an der
guten Übersetzbarkeit des Namens, der in vie-
len Sprachen gut klingt und eine gewisse Mys-
tik mitschwimmen lässt: Black Forest, Forêt Noir,
Silva Negra, Foresta Nera. Sicher tragen auch die
wenigen bis über die Schmerzgrenze hinaus repe-
tierten Motive wie Kuckucksuhr und Bollenhut mit
ihrer hohen Wiedererkennbarkeit dazu bei. Man
kennt den Schwarzwald also weltweit, er gehört
zu den „nice to have“ welttourender Amerikaner,
Japaner und Chinesen. Daneben wird der Tages-
tourismus aus dem näheren Umfeld immer wichti-
ger, weil die 3-Wochen-Ferienfamilien immer rarer
werden. Das gastronomische Angebot hat seine
Höhepunkte, zur übrigen Gastronomie ausführli-
cher unter den folgenden Punkten, die beschrei-
ben, was im Schwarzwald schlecht läuft.
LANDWIRTSCHAfTDie Landwirtschaft ist hier permanente Subven-
tionswirtschaft. Für die Betreiber lohnt sie meist
nicht, 98% der landwirtschaftlichen Betriebe sind
Nebenerwerbsbetriebe. Trotz aller möglichen Sub-
ventionen schaffen es nur ganz wenige, meist
sehr große Betriebe, ohne zusätzliche Einkünfte
durchzukommen. Bei den anderen läuft es so: Man
kommt nach acht Stunden Arbeit abends zurück
auf den Hof und macht dort weiter, wo man am
Morgen vor der Arbeit aufgehört hat. 14-Stun-
dentage sind keine Ausnahme. Die nachfolgende
Generation der meisten Nebenerwerbslandwir-
te hat dazu kaum Lust, und so kommt es zum
Höfesterben. Dabei werden im Schwarzwald Spit-
zenprodukte erzeugt wie das Hinterwälder Rind-
fleisch. Man kauft es grob zerlegt für ca. 8 €/kg,
so billig wie das Discounterfleisch aus Massentier-
haltung. Das gleiche gilt für Geißenfleisch, Milch,
Käse und so weiter. Aber die Erzeuger können ihre
Produkte nur schwer vermarkten. Am besten lässt
sich das bei den Geißen zeigen: Da zogen in den
letzten zwei Dekaden die Landwirtschaftsberater
und Naturschützer durch die Dörfer und priesen die
Geißen als die Könige der Offenhaltung, man erin-
SCHWARZWALD - EIN “RUNDUMSCHLAg”gERHARD ZICkENHEINER
40
nerte an alte Zeiten, in denen die Geiß zu jedem
Hof gehörte, und ermunterte jeden, sich diese wie-
der anzuschaffen. Der brave Landwirt folgte dem
Rat, viele Dörfer gründeten eigens Geißenvereine
und erzielten ein paar Erfolge in der Offenhaltung.
Kein Mensch hatte sich jedoch Gedanken
gemacht, wohin mit dem Geißenfleisch oder
wie man mit ihm gar etwas verdienen könnte.
Um ein Produkt zu vermarkten, das auf unse-
rem Speiseplan nicht mehr vorkommt, bedarf
es jedoch einer Strategie, die sämtliche an der
Wertschöpfungskette Beteiligten einschließt,
in diesem Fall neben dem Landwirt die Metz-
gereien, die Restaurants, die Tagespresse und
die Gastrojournalisten, die Rezepte publizieren.
Mit einer besseren Logistik und guter Werbung
würden sich dann auch höhere Preise erzielen
lassen. Die Schweiz macht es vor. Gitzischul-
ter kostet dort mehr als das Dreifache wie
im Schwarzwald und gilt als Delikatesse. Im
Schwarzwald geben die ersten frustrierten Gei-
ßenvereine dagegen wieder auf.
OffENHALTEN DER LANDSCHAfTDie Landwirte werden zum „Erhalt der Kul-
turlandschaft“ dafür bezahlt, dass sie den
Wald zurückhalten. Diese aufwendige Arbeit,
das „Enthursten“ wird ein bisschen subven-
tioniert. Für wen hält der Landwirt die Land-
schaft eigentlich offen? Wächst alles zu, sieht
man keine Kulturlandschaft mehr, dann bleiben
die Touristen daheim, sagen Tourismusexperten.
Allerdings verwundert es, dass der Tourismus
und die Städte, die vom Naherholungsgebiet
Südschwarzwald profitieren, außer dem biss-
chen Geld für die Offenhaltung keinerlei Trans-
ferleistungen für diese Attraktivitätssicherung
an die Landwirtschaft leisten.
TOURISMUSViele sehen in Tourismus und Naherholung die ein-
zige Chance, den Schwarzwald wirtschaftlich am
Leben zu halten. Tatsächlich gab es große Zeiten,
in denen Orte wie Hinterzarten, Menzenschwand
die Prominenz der Republik zu Gast hatten und
Tourismusgeschichte schrieben. Stolze Häuser er-
zählen heute noch die Geschichte dieser Epoche,
Abb. 31:
Geißen im
Südschwarz-
wald
Abb. 32:
Blick auf den
Südschwarz-
wald, offen
gehaltene Kul-
turlandschaft
41
sie haben sich oft bis heute nicht verändert. Der-
selbe Spannteppich und das Spinnrad in der Ecke
müffeln dem meist älteren Publikum entgegen,
das oft schon Jahrzehnte kommt und Verände-
rungen gar nicht mag. Trotz Inflation sind die Prei-
se jahrzehntelang fast gleich. “Trading-Down“-
Prozess nennt man das in den Innenstädten. Es
gibt zum Glück Ausnahmen, moderne Hotels und
Gästehäuser mit hochwertiger Gastronomie und
einer Speisekarte, die regionale Produkte zeitge-
mäß anbietet. Für die jüngeren Touristen ist das
Angebot mager: Sportler haben es außerhalb
der Wintersaison, die öfter fast ausfällt, schwer.
Mountainbiker sind vielen Stammgästen eher ein
Dorn im Auge und das kulinarische Angebot um
die Wintersportzentren ist oft fatal: der Friteusen-
nebel um den Feldbergpass ist schon Legende.
Nichtsdestotrotz bewegen sich die Übernach-
tungszahlen auf akzeptablem Niveau, auch wenn
sich die durchschnittliche Aufenthaltsdauer extrem
verkürzt hat.
ERREICHBARkEITNeben der schönen Landschaft profitiert der
Schwarzwald von seiner geografischen Situati-
on. Im Zentrum Europas liegend finden sich in
seinem 200 km-Umkreis gleich mehrere Metro-
politanräume. Das bedeutet nicht nur, dass viele
Tages-, Wochenend- und Ferientouristen schnellen
Zugriff auf ihn haben, sondern auch, dass man
im Schwarzwald leben und außerhalb arbei-
ten kann. Man ist nicht ganz „ab vom Schuss“.
Wer jedoch versucht mit dem öffentlichen Per-
sonenverkehr von Bernau aus in das 50 km
entfernte Lörrach zu kommen und am gleichen Tag
zurück, der hat es nicht leicht, wenn er dazwi-
schen noch etwas in Lörrach erledigen will. Wir
reden über eine Distanz von Luftlinie 32 km. Von
Lörrach komme ich problemlos mit dem Snow-
board unterm Arm in drei Stunden nach Grindel-
wald in der Schweiz. Ich steige aus dem Zug in
200 m Entfernung vom Skigebiet aus und schaffe
es abends zur Tagesschau wieder zuhause zu sein.
Die schlechte Erreichbarkeit der Schwarzwalddör-
fer ist gerade für junge Menschen oft nicht akzep-
tabel. So im „off“ zu leben wollen sie nicht, also
gehen viele.
HANDWERk Eine der ersten Assoziationen, die man beim
Begriff Schwarzwald hat, sind die Produkte des
Kunsthandwerks, meist gnadenlos verkitscht,
wenige hochwertig. Einige Familienbetriebe er-
reichen auch heute noch mit ihren Produkten
internationales Renommee, es sind wenige und
oft ist die Nachfolge klar geregelt: sie fällt aus und
der Betrieb wird in absehbarer Zeit verschwinden.
War der Schwarzwald früher eine Hochburg des
Handwerks und später der Feinmechanik, so erlei-
det er gegenwärtig das Schicksal aller dezentralen
Räume mit schwacher Infrastruktur: Gewerbe und
Industrie ziehen sich zurück in die Täler, möglichst
nahe an die logistischen Synapsen in den Agglo-
merationen. Nur die verhältnismäßig günstigen
Arbeitsplätze und das immer noch hohe hand-
werkliche Niveau bewirken, dass sich ganz wenige
Firmen wie der Meßgerätehersteller Testo in Lenz-
kirch gut halten und einige wenige Gewerbege-
biete wie das in Bernau florieren.
REgIONALE gESCHICHTEUm das alles einordnen zu können, hilft ein kurzer
Blick in die Geschichte: Der Schwarzwald südlich
des Feldbergs unterstand dem Kloster St. Blasien.
42
Das Kloster schickte Bauern und Waldarbeiter, den
Schwarzwald zu erschließen. Man betrieb Berg-
bau und nutzte das Holz zur Erz- und vor allem
Glasherstellung oder verkaufte es. Die Erschlie-
ßung des Südschwarzwalds war kein schlechtes
Geschäft, das Kloster war reich. Im Bereich des
Klosters war die Erbteilung üblich. In der Folge
wurden die immer wieder geteilten Höfe zu klein,
um ihre Bewohner zu ernähren, sie hungerten. So
erfand man im Kloster eine Möglichkeit, zusätzli-
che Einnahmen zu generieren: das „Schnefeln“,
das Produzieren aller möglichen Gebrauchsgegen-
stände aus Holz in Heimarbeit. Das Kloster baute
ein gut organisiertes Vertriebssystem auf, das halb
Europa bediente. Diesen humanen Akt ließ sich
das Kloster mit 25% der Einnahmen aus den vor-
industriellen Produktionsformen vergolden, und
die Bevölkerung konnte weiter wachsen.
Im Schwarzwald hatte man sich an die Heimarbeit
neben der Landwirtschaft gewöhnt, ein prächti-
ger Nährboden für die aufkommende dezentrale
Textilproduktion. Am Spinnrad wurde gesponnen
und an Heimwebstühlen wurde gewoben. Abends
und im Winter musste jeder mithelfen, dem die
Finger noch nicht abgefroren waren. Die Indust-
rialisierung konzentrierte die Arbeitsplätze im Tal
und die Leute folgten. Nun wurde tagsüber in
Schichten produziert und die Landwirtschaft blieb
am Rest der Familie hängen oder wurde morgens
und abends verrichtet. Das ist heute noch so. Die
Besitzer der Fabriken saßen nicht mehr im Kloster,
das 1806 säkularisiert wurde, sondern in Basel.
Diese Betriebe bildeten die Vorläufer der heuti-
gen chemischen und Life-Science Industrie. Im
Schwarzwald blieb von der Wertschöpfung in bei-
den Fällen nicht viel hängen.
WIRTSCHAfTLICHE POTENZIALEEine Chance für die Zukunft des Schwarzwal-
des liegt in der Energiewirtschaft. Energie wird
teurer und auch heute ist schon klar, dass viele
kleine Energieproduktionen vorteilhaft für die
Versorgungssicherheit sind. Dazu müssen zwei
Bedingungen erfüllt sein: Zum einen müssen alle
vorkommenden Energiearten optimal genutzt
werden. Schließlich gibt es im Schwarzwald neben
Wind auch schnell fließendes Wasser, Sonne, Holz
für Hackschnitzel und alles Mögliche für Biogas.
Die zweite Bedingung ist fast schon Grundlage für
die Erfüllung der ersten, aber auch sozio-ökono-
misch von fundamentaler Bedeutung: Die Energie
und ihr Ertrag müssen in die Hände der Menschen
im Schwarzwald gelangen. Es ist ihr Land, das
ihnen diese Ernte ermöglicht. Das ist aktuell von
vorrangiger Bedeutung bei der Zuteilung von
Standorten zur Gewinnung von Windenergie. Die
Erträge können helfen, andere Energieträgerpro-
duktionen wie Turbinen und Hackschnitzelerzeu-
gungsanlagen zu finanzieren. Man muss aufpas-
sen, dass es nicht wieder die großen Konzerne
sind, die sich die Erträge holen und den Schwarz-
wald mit Almosen abspeisen.
Potenziale stecken in den Bereichen des Tourismus,
die man bisher ein bisschen verschlafen hat: z.B.
Mountain Bike, Downhill, Freeclimbing, Paragliden
und andere Trendsportarten. Verschiedene Alters-
gruppen betreiben sie und der Schwarzwald ist
prädestinierter Ausübungsort für alle diese Sport-
arten. In Kombination mit guten Wellnessangebo-
ten und einer zeitgemäßen Gastronomie könnten
hier neue Marktsegmente erschlossen werden, die
zukunftssicherer sind als die Generation 70plus,
die das heutige Bild des Tourismus prägen.
43
Chancen bieten auch die Regionalprodukte,
deren Vermarktung bisher eher „pragmatisch“
von statten geht. Hier kann man sich überall im
angrenzenden Ausland anschauen, wie Qualität in
Wert gesetzt werden kann.
REgIONALENTWICkLUNg UND föRDERPOLITIkWenn man untersucht, warum das alles nicht
längst passiert ist, dann stößt man darauf, dass
im Schwarzwald meist punktuell und unkoordi-
niert investiert wird. Gezielte, strukturierte und
flächig wirksame Regionalentwicklung ist die
Ausnahme. Die bestehenden Förder- und Ent-
wicklungswerkzeuge sind außerdem mit zu wenig
Mitteln ausgestattet. Man fühlt sich manchmal an
Entwicklungshilfeformen der 1960er Jahre in Dritte-
Welt-Länder erinnert: Es wird punktuell Geld
gegeben, um den Mangel zu lindern, und dabei
verkannt, dass bei ausreichender Mittelausstat-
tung erfolgversprechender Projekte auch Erfolg
resultiert.
LANDSCHAfT UND NACHHALTIgkEITEines der meistgenannten Schlagworte, das unre-
flektiert seit Jahren genannt wird, ist der “Erhalt
der Schwarzwälder Kulturlandschaft“. Gemeint
ist damit, dass möglichst alles beim Alten bleiben
soll: Das Land soll offen bleiben, nicht vom Wald
überwuchert werden. Man tut so, wie wenn es
schon immer nur grüne Wiesen im Wechsel mit
Waldflächen gegeben hätte, und übersieht dabei,
dass 50 Jahre früher Wiesen im Wechsel mit klein-
teiligen Getreide- und Gemüsefeldern neben dem
Wald das Bild dominierten.
So erhält man eine unwirtschaftliche, unwirkliche
Form der Kulturlandschaft, die sich in ihrer heuti-
gen Form ohne Subventionen kaum erhalten lie-
ße. Dabei weisen die Flächen der Graswirtschaft
sogar nur eine sehr geringe Biodiversität auf. Das
ist in sich wenig schlüssig. Durch die heutigen
Subventionsformen zum „Erhalt der Kulturland-
schaft“ wird die Entwicklung neuer, unter gegen-
wärtigen Gesichtspunkten wirtschaftlicher Kul-
turlandschaften verhindert. Dieser Widerspruch
ist schon lange bekannt. So schrieb Lucius
Burckhardt 1994 schon: „Kulturlandschaft ist die
Landschaft, in der man zu spät kommt, deren
Reiz darin besteht, dass man darin gerade noch
lesen kann, wie es einmal war (...) Und doch ist
das Ganze paradox: „Kultur ist Tätigkeit, ist Er-
findung, Fortschritt. Die Kulturlandschaft ist also
gerade nicht ewig, sondern entspricht einer his-
torischen Momentaufnahme.“ (Burckhardt 2007)
Hansjörg Küster empfiehlt 2005: „Die Bewahrung
von Landschaft soll eine Entwicklung unter Aspek-
ten der Nachhaltigkeit zulassen.“ (Küster 2005)
Der Soziologe und der Biologe sind sich also ei-
nig. Ich ergänze aus tagespolitischem Anlass ein
Zitat von Nils Schmid, dem SPD-Finanzminister
von Baden-Württemberg, der gerade verlau-
ten ließ, dass im Schwarzwald auch mal ein Tal
zuwachsen könne. Diese Aussagen möchte ich
Abb. 33:
Schwarzwald
– Wiesen und
Wälder im
Wechsel
44
wie folgt zusammenfassen und behaupte: „Wir
halten an einem Landschaftsbild fest, das weder
dem ökonomischen noch dem ökologischen, auch
nicht dem sozialen Bedarf entspricht. Das wird
die Gesellschaft nicht dauerhaft mitmachen. Die
Kulturlandschaft muss sich weiterentwickeln,
sonst wird sie aufgegeben.“
BAUkULTURZum Thema „Baukultur“ möchte ich erläutern,
wie unsere Sehgewohnheiten die Bilder inter-
pretieren oder wie Bilder, die wir von einer Land-
schaft, einem Ort oder Objekt haben, zum einen
unsere Sehgewohnheiten konditionieren, zum
anderen aber die Baukultur manipulieren. Mit
der Zeit übernehmen parallel dazu unsere Sehge-
wohnheiten diese Veränderungen, wir gewöhnen
uns an sie. Dieser kulturelle Prozess der gleichzeiti-
gen Veränderung von Seh- und Baugewohnheiten
ist ein schleichender.
Der große Bernauer Künstler Hans Thoma (1839–
1924) wollte das Ideal des bäuerlichen Lebens
hochhalten und auch den Städtern in Karlsruhe
näherbringen. Dabei zeigt er uns eine Mischung
aus dem, was er sah, und dem, von dem er wusste,
dass man es in Karlsruhe erwartete. Wir sehen ein
frisch gedecktes Haus und erkennen, dass nicht
nur die Stube, sondern auch die Nebenräume,
befenstert sind. Der Bauer und die Bäuerin stehen
im Sonntagsstaat erwartungsvoll vor dem Haus.
Nicht, dass man es sehen könnte, aber man ahnt,
dass sie lächeln.
Felix Faller (1835–1887) zeigt uns etwa zur glei-
chen Zeit ein ganz anderes Bild. Die Details
deuten auf die ärmlichen Verhältnisse hin: die
unregelmäßige Dachform, fast ein Flickenteppich
unterschiedlicher Materialien, Löcher, Durchbrü-
che und die fensterlosen Nebenräume, in denen
die Knechte im Winter unterm Strohsack froren.
Es ist mehr die Differenz der Darstellungen als
die verklärenden Darstellungen selbst, die uns
erlaubt zu lesen: Die Faller´sche Hofdarstellung
will das primitive Leben auf dem Wald zeigen;
fast exotisch muss es auf die inzwischen kom-
fortverwöhnten Städter gewirkt haben. Thoma
wählt den Ausnahmezustand: nur am Sonntag
war man so gekleidet. Auch er erklärt, unwillent-
lich vielleicht: Der Hof ist klein, der Ökonomieteil
winzig. Es wird schwer gewesen sein, mit dieser
Abb. 34:
Gemälde von
Hans Thoma,
Künstler aus
Bernau
Abb. 35:
Gemälde von
Felix Faller
45
Abb. 36:
Franz Seppe,
Hof in
Menzen-
schwand
Größe auskömmlich zu wirtschaften. Die Beschei-
denheit und Zufriedenheit auch im einfachen
Leben wurden in beiden Fällen gern als hohes Gut
gepriesen, sie passte auch ins politische Konzept.
Der hohe Anteil an Interpretation lässt sich bei
der Restaurierung unserer Baudenkmäler genauso
feststellen. Schauen wir uns zwei Paradebeispiele
in Menzenschwand und Bernau an. In Menzen-
schwand wurde der Franz-Seppe-Hof (Bj. 1748)
nach seiner aufwendigen Restaurierung schon
mehrfach der Fachwelt und interessierten Laien
als Vorbild präsentiert. Doch was zeigt er uns?
Ein Dach, 1970 neu eingedeckt, makellos aus-
gebessert. Der Ökonomieteil ist ungenutzt. Hier
zeugt kein Misthaufen, keine Kuh, kein Huhn vom
Leben in dem großen Baukörper, der sicher zum
ersten Mal in seiner langen Geschichte so kom-
plett durchgestylt dasteht mit rundum frisch
lackierten Fenstern. Und der Lattenzaun darum
herum hält nicht die Geißen vom Gemüse ab, er
grenzt den Ziergarten vom Umfeld ab.
Ähnliches sieht man am Naglerhof (Bj. 1538)
in Bernau-Hof. Alles Holz strahlt in einheitlich
abgestimmter Patina. Selbst der erst um 1900
dazugekommene Anbau scheint schon immer
dazu zugehören. Fenster sind frisch gestrichen.
Regenrinnen künden vom neuen Komfortbe-
wusstsein. Aber auch hier gibt es nur noch einen
sehr schönen Ziergarten und die sieben Hüh-
ner, die den gigantischen Ökonomieteil nicht
ganz ausfüllen, bringen auch keinen Misthaufen
zustande. Dafür wurden innen alle Register des
Innenausbaus gezogen: Designerbäder (und ich
sage das mit ehrlichem Respekt vor der Leistung
der Innenarchitektin) und offene Einbauküche
bringen ganz andere Raumerlebnisse zustande als
es die alten Bauernstuben je vermochten.
Kann diese „denkmalgerechte Sanierung“ dem
Denkmal gerecht werden? Ich bin mir sicher, ein
wenig Bauchschmerzen haben die Denkmalschüt-
zer selbst, wenn sie in der Designerküche stehen.
Wenn man sich heute in einem um 1970 restau-
rierten Schwarzwaldhaus umschaut, dann merkt
man schnell: jede Zeit hatte ihre eigene deformie-
rende Interpretation der Historie. Können diese
Objekte überhaupt noch ihren soziokulturellen
Beitrag im Dorf leisten? Wie oft nutzen die neu-
en Besitzer, die fernab wohnen, das Haus? Was
denken sich die Nebenerwerbslandwirte, die
Abb. 37:
Naglerhof,
Bernau-Hof
46
täglich 14 Stunden rackern müssen, wenn sie
neben dem eigenen verfallenden Haus den Edel-
leerstand sehen? Wenn einer von ihnen sein Haus
mit seinen bescheidenen Mitteln umbauen will,
wird ihm anhand eben dieser teuren Edelsanie-
rungen gezeigt, wie dies unter den „Aspekten des
Erhaltes des Kulturdenkmals“ zu geschehen hat.
Und die Baugenehmigung steht in Frage, wenn er
nicht spurt. Dabei will er nur wie seine Vorbewoh-
ner das Haus an den Bedarf seiner Zeit anpassen.
Es gibt genügend Beispiele, wo der alte Hof ein-
fach verlassen und am Ortsrand ein Fertighaus be-
zogen wird.
Auch die Abstände zwischen den alten Höfen sind
den Bauämtern und Denkmalschützern oft heilig,
die „Körnung“ soll erhalten bleiben. Es fehlt oft
der Mut, neue Dichten und Formen zuzulassen.
Das ist ein Teil der Gründe, warum die Innenent-
wicklung in den Dörfern nicht gelingt. Eigentums-
fragen und Mentalität tun das Ihre dazu und am
Schluss entsteht um die sterbenden Dorfmitten
eine Art „rural sprawl“.
Zum Schluss schauen wir noch auf den erwähnten
kulturellen Prozess der Veränderung von Seh- und
Baugewohnheiten. Wir betrachten dazu das Zu-
fallsbild eines heutigen „Schwarzwaldhaus-Gara-
gen–Ensembles“.
Formal ist es immer noch der Eindachhof, den
man darstellen will. Das Dach ist aufgelöst in
Fläche und Dachgauben. Manchmal tauchen
beide sogar mehrfach übereinander auf. Die
Balkonbrüstungen laufen so oft ums Haus
wie sie nur können und sind aus PVC oder aus
Holz, das so lange mit irgendetwas behandelt
wurde, dass es aussieht wie PVC. Formal dem
Schwarzwalddach angepasst präsentiert sich der
gedeckte Aufgang, der sicherstellt, dass man
trockenen Fußes von der Garage ins Haus kommt.
An all diese Elemente haben wir uns gewöhnt. Es
sind immer wieder replizierte und weiter entwi-
ckelte Teile der heutigen Schwarzwaldkulisse. Sie
sind Geschichtenerzähler, sagt doch das Dach:
„Ich bin ein Schwarzwaldhof“. Die mit Geranien
behangenen Balkone erzählen vom Leben auf den
Höfen, vom Geraniengießen im Dirndl mit Bollen-
hut und laden uns ein, im Urlaub an diesem Glück
auf dem Balkon teilzuhaben. Das Bild enthält auch
Störfaktoren: Elemente, die noch nicht dazuge-
hören, wie die Solarzellen und die Fertiggarage
mit Flachdach, die allzu sehr an die Hinterhöfe
der Städte erinnern, wo wir gerade herkommen.
Darauf zeigt man dann mit dem Finger.
Nun haben wir uns prächtig über ein Profanbei-
spiel amüsiert und wissen im Hinterkopf, dass es
zum Glück die Paradebeispiele hoher und zeit-
gemäßer Baukunst gibt. Diese erscheinen häufig
allerdings auch nur auf den ersten Blick gelungen.
Die letzten beiden Bilder zeigen ein derartiges viel-
gerühmtes Beispiel. Es handelt sich um ein großes
Abb. 38:
Schwarz-
waldhaus mit
Garage
47
Hotel, mit ausgezeichneter Gastronomie und Spa.
Erkennen wir auf dem ersten Bild noch eine große,
durchgängige Dachfläche, so zeigt das zweite Bild
die vielen Fenster, die der Architekt unterbringen
musste: im Dach, in der Fassade, an Stellen und
in Größen, wie sie am Schwarzwaldhof nie vor-
kamen. Hier schafft es der Architekt, das Objekt
zum Schwarzwaldhaus zu machen, indem er über
alles - Dach, Fassade, Balkon - mit einem Materi-
al tapeziert, das zwar fast überall in Europa ver-
wendet wurde, im Schwarzwald aber sofort auch
„Schwarzwald“ verheißt: mit der Holzschindel.
Die Holzschindel funktioniert immer.
Wenn wir Gestaltung im Südschwarzwald beur-
teilen oder dort selbst gestalten, müssen wir uns
dieser Wahrnehmungsprozesse und ihrer Wech-
selwirkung mit der Gestaltung bewusst sein. Wir
dürfen mutig sein, wir dürfen und müssen verän-
dern. Es bleibt, wie wir gesehen haben, sowieso
nichts wie es war. Wir müssen auch verstehen,
dass die Probleme hier oben nicht durch Architek-
tur behoben werden, sondern durch Konzepte,
die ökologisch, sozial, kulturell und ökonomisch
zukunftsfähig sind. Projekte, die darauf aufbauen,
haben ihre ureigene Ästhetik. Diese wird mit der
Zeit auf ihre Weise den Einstieg in unser formaläs-
thetisches Repertoire schaffen. So ging es schon
den Windmühlen, welche die Holländer, nachdem
sie sich an sie gewöhnt haben, sogar auf ihre Kü-
chenkacheln pinselten. Und so werden wir uns
auch mit den Windrädern arrangieren und bald
auch die starke ästhetische Kraft sehen, die sie im
Kontext mit der Landschaft innehaben können.
Gerhard Zickenheiner, ArchitektMAS Gemeinde-, Stadt- und Regionalentwicklung
Zickenheiner Architekten GmbH
Mitglied der AG Siedlungsentwicklung und
Architektur Naturpark Südschwarzwald
Abb. 39/40:
Dachfläche
und Fassade
eines
Hotels mit
Gastronomie
und Wellness-
bereich
49
Die Veränderung unserer gebauten Um- welt hat sich in den letzten 50 Jahren dramatisch beschleunigt. In der Wahrneh-mung eines Großteils der Bevölkerung wird der Wandel unserer Dorfbilder als Verlust empfunden; das Gefühl von Heimat, Ver-trautheit und Identität nimmt in diesem schnellen, globalen und komplexen Bauum-feld kontinuierlich ab.
Sind nun Werte wie Vertrautheit und Identität
eventuell nicht mehr zeitgemäß oder müssen
sie neu generiert werden? Ein Abstecher in die
Wahrnehmungspsychologie kann bei dieser Frage
möglicherweise hilfreiche Erkenntnisse liefern:
• Vertraute Bilder werden erkannt und im Gehirn
ergänzt, selbst wenn nur Fragmente davon vorhan-
den sind.
• Einfache, klare Bilder, Volumen und Geome-
trien werden in Form von „Superzeichen“ im
Gehirn gespeichert und können blitzschnell wie-
der erkannt werden. Eine nuancierte Wiederho-
lung einzelner Bilder hilft der Wiedererkennung
und schafft Identität.
• Ein Schönheitsempfinden (und damit Vertraut-
heit) setzt dann ein, wenn die Gegenpole
„Ordnung, Ruhe“ und „Komplexität, Aktion“
in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander
stehen.
Während früher Baumaterialien begrenzt und
vorwiegend ortsgebunden waren sowie Baufor-
men klaren konstruktiven und gesellschaftlichen
Vorgaben zu folgen hatten, ist heute die Vielfalt,
die unbegrenzte konstruktive und materialtechni-
sche Bauweise und eine globalisierte Ausdrucks-
form die Regel. Vereinfacht ausgedrückt: Früher
herrschte „Ordnung“ vor, heute „Komplexität“.
Wenn es nicht in der Umsetzung so schwierig und
so selten anzutreffen wäre, würde es völlig banal
tönen: In der exponentiell zunehmenden Komple-
xität unserer Dörfer braucht es in erster Linie den
Gegenpol zum globalisierten Bauen: einfache Ord-
nungsprinzipien, bestimmte sich wiederholende
Elemente sowie authentische Bilder, um trotz des
rasanten Wandels Vertrautheit und Identität zu
bewahren und - immer öfters auch notwendig -
neu generieren zu können.
NEUE ORTSPLANUNg füR fLäSCHAls nördlichstes Dorf im Kanton Graubünden liegt
Fläsch zwar direkt neben den großen Verkehrs-
achsen des Bündner Rheintals, ohne Brücke über
den Rhein fristete der Ort jedoch bis in die 1970er
Jahre des 20. Jahrhunderts ein Schattendasein.
Erst in den letzten Jahrzehnten hat sich Fläsch vom
damaligen Bauerndorf zum heutigen Winzerdorf
gewandelt. Im Leitbild 2004 setzte sich die klei-
ne Gemeinde ein ambitiöses Ziel: „Weinbaudorf
Fläsch – Schmuckstück der Bündner Herrschaft.“
Doch trotz Baureglementen und Zonenplänen
gelang es auch in Fläsch kaum, eine den früheren
Zeiten gleichwertige zeitgemäße Baukultur auf
dem Lande zu entwickeln. So hatte sich in den
letzten Jahren um das alte Dorf herum ein immer
dichterer Neubaugürtel gelegt. Die „globalisier-
te“ Häuschenarchitektur drohte den typischen
Charakter des Weinbaudorfes mit seinen bis in
den Dorfkern hineinreichenden Weinbergen zu
ersticken.
LEARNINg fROM SWITZERLAND CHRISTIAN WAgNER
50
Ein erneutes größeres Baugesuch mitten in einem
der Weinberge im Dorf löste heftige Kontrover-
sen aus. Dies verhalf der Idee zum Durchbruch,
die Fläscher Ortsplanung und das Baugesetz zum
Thema eines Forschungsprojekts am Studiengang
Bau und Gestaltung der Hochschule HTW Chur
zu machen. Rund sechzig Studierende und vier
Dozenten arbeiteten unter der Federführung des
Referenten an verschiedenen Fragestellungen:
Wie können die Rebberge im Herzen des Dorfes
von Bebauung freigehalten werden, damit Fläsch
als Weinbaudorf das „Schmuckstück der Bündner
Herrschaft“ bleiben und diese Position ausbauen
kann? Wo kann Bauland als Kompensation an
anderer Stelle geschaffen werden? Wie kann der
Wandel vom Bauern- zum Weinbaudorf erfol-
gen? Was soll mit den zahlreichen leeren Ställen
geschehen? Kann die Bauordnung Lösungen für
die leeren Ställe und die Rebberge generieren?
Wie kann trotz der Komplexität der jüngeren
Bauentwicklung nachhaltige Ordnung geschaffen
werden?
Für den Umgang mit den leeren Ställen untersuch-
ten die Architektur-Studierenden der HTW Chur drei
Ansätze: den konservierenden Umbau innerhalb der
bestehenden Hülle, das Umstrukturieren, bei dem
lediglich wichtige Elemente der Fassade beibehalten
werden, und den Ersatz durch einen Neubau. Dabei
zeigte sich, dass die beiden ersten Möglichkeiten
nur in Ausnahmefällen praktikabel sind; zu unter-
schiedlich sind die Anforderungen an einen Stall
und an ein Wohnhaus. Am meisten Potential birgt
die Variante Abbruch und Neubau, doch kann ein
Baugesetz allein kaum dafür sorgen, dass qualitativ
gute, in den Ort passende neue Wohnhäuser entste-
hen. Gängige Baureglemente und Zonenpläne be-
rücksichtigen nämlich Aspekte wie „Straßenraum,
Abb. 41:
Entwicklungs-
plan für die
Gemeinde
Fläsch Jahr
2005
Siedlungserweiterung
UnterdorfHinterdorf
Oberdorf
Kernbereich
Sant LuzziUsserdorf
51
Abb. 42:
Wohnhaus
Gemeinde
Fläsch
Abb. 43:
Weinberge
der Gemein-
de Fläsch
Mauern, Plätze“, „Dorfcharakter“, „Ortsbild“ oder
eben „Authentizität“ kaum und beschränken sich
im Wesentlichen auf das Fixieren von einzuhalten-
den Maßzahlen wie Abstände, Längen, Höhen, Aus-
nützungsziffern, etc. Aus dieser Erkenntnis heraus
stehen nun im neuen Baugesetz von Fläsch nicht
die Masse und Vorschriften im Vordergrund. Eine
Bauberatung prüft und begleitet das Engagement
jedes einzelnen Bauvorhabens in Hinblick auf des-
sen Potential, das Weinbaudorf und die Erhaltung
und Weiterentwicklung von historisch, kulturell und
ortstypisch wertvollen Bauten und Außenräumen zu
unterstützen.
Wie für dörfliche Strukturen typisch, hat sich in
Fläsch entlang der Haupterschließungsstraßen eine
dichte Bebauungsstruktur entwickelt. Zwischen die-
sen Achsen sind Grünflächen entstanden, welche
als Obstbaumgärten oder als Weinberge genutzt
werden. Im Sinne der inneren Verdichtung als zu-
künftiges Bauland vorgesehen, drohten diese cha-
rakteristischen, bis ins Zentrum des Dorfes hinein-
wachsenden Weinberge langsam zu verschwinden.
Da diese Rebflächen für das Bild des Winzerdor-
fes aber eine große Bedeutung haben, wurde ein
konträres Ordnungsprinzip entwickelt, bei dem die
Verdichtung und die Bebauungsstruktur der „Quar-
tier“- und „Freiraumlogik“ folgen.
Um dies zu ermöglichen, wurde die Revision der
Ortsplanung mit einer umfassenden Landumlegung
verbunden. Zwei periphere Gebiete wurden neu der
Bauzone zugeordnet, während die Grünflächen,
welche bis Dorf hinein fließen, neu einer Reb- und
Obstbaumzone zugewiesen wurden. Das maßgeb-
liche neue Gestaltungsprinzip für das Winzerdorf
wurde so das überall wahrnehmbare Wechselspiel
zwischen hoher baulicher Dichte und grünem Frei-
raum sowie die Weiterentwicklung der Bebauungs-
struktur in Quartierform. Im Lauf von dreißig bis
fünfzig Jahren lässt das Konzept eine Verdreifa-
chung der Bevölkerungszahl zu, ohne den Charakter
des Dorfes wesentlich zu verändern. Das Vorgehen
hat Pioniercharakter und ist ein Versuch, Siedlungs-
entwicklung und Identität mittels Landumlegungen
und gezielter Gestaltungsmaßnahmen zu steuern.
52
BAUMEMORANDUM DISENTISDie Schweizer Direkte Demokratie und das Miliz-
system der Gemeinden fördern hinsichtlich einer
konstanten und nachhaltigen Siedlungsentwick-
lung zunehmend Schwierigkeiten zutage, auf
die es kaum Antworten bzw. schlüssige Instru-
mente zur Bewältigung gibt. Kürzer werdende
Amtszeiten von Gemeindebehörden, wechselnde
Bau-Kommissionen, fehlendes Fachwissen, unter-
schiedliches Architekturverständnis („Nachhaltig-
keit“ einer Baukultur), schwierige Nachvollzieh-
barkeit von Bauentscheiden, juristische Auslegung
von „Präzedenzfällen“, unklare Gewichtung der
Gestaltungsfrage in stark heterogenen Gemein-
den, politische statt inhaltliche Argumentation –
nur um die wichtigsten Punkte zu nennen – sind
Problemkreise, die jede Baubehörde mit Seufzen
bestätigen wird.
In der Gemeinde Disentis im Schweizer Kanton
Graubünden mit ihren zahlreichen Fraktionen und
Weilern kamen diese Fragen umso stärker zum Vor-
schein, als es galt, einer zeitgemäßen städtischen
Zentrumsfunktion, einem traditionsreichen Kloster,
zahlreichen touristischen Bauten und Anlagen,
dem Zweitwohnungsbau, zentralen Gewerbe-
funktionen bis hin zu weitgehend intakten, ver-
träumten historischen Ortsbildern gerecht zu wer-
den und dies mit den wenigen immer gleichen
einschlägigen Baugesetzparagraphen.
Das Disentiser Baumemorandum, das ebenfalls am
Institut für Bauen im alpinen Raum für die Gemein-
de erarbeitet wurde, besteht aus einem 1m x 3m
großem Gemeindeplan im Maßstab 1:2000 und
einem dazugehörigen Ordnerwerk. Markante,
baulich zusammengehörende Gebiete – seien sie
eine Häusergruppe, ein Dorfquartier oder ein Orts-
kern – werden mit einem Fadenkreuz fokussiert
(dadurch ist der jeweilige Perimeter fließend) und
mit Fotos, einem Beschrieb des Bestandes und ei-
ner Zielsetzung versehen. Veränderungen werden
dokumentiert und im Ordnerwerk nachgeführt.
Bauentscheide – und insbesondere der Prozess der
Bauberatung sowie die Interpretation des Gestal-
tungsparagraphen – werden dokumentiert, sind
jederzeit nachvollziehbar und können auch als
vorbereitende Planungsgrundlage für zukünftige
Bauvorhaben konsultiert werden. Das Memo-
randum ist der rote Faden des Bauens in Disen-
tis – unabhängig von der Zusammensetzung der
Baukommission, politischer Einflussnahme und ju-
ristischer Interpretation der Baugesetzparagraphen.
Auch in Gebieten, die nicht als „geschützter Sied-
lungsbereich“ klassiert sind und oftmals wenig
gestalterische Beachtung finden (also z.B. Gewer-
bezonen, Vororte, Mehrfamilienhausgebiete, etc.)
sind immer Ansätze städtebaulicher Qualitäten
vorhanden, die aktiv gefördert werden könnten,
sofern sie erkannt, formuliert und über Jahre
hinweg gezielt entwickelt werden. Bestehende
Instrumente wie z.B. Siedlungsinventare sind oft
stark denkmalpflegerisch orientiert, starr, schnell
veraltet und werden von Bauinteressenten wenig
beachtet.
Das Baumemorandum ist verständlich und jeder-
zeit für jedermann einsehbar. Es ist kein Gesetz und
keine Vorschrift, lediglich ein Anhaltspunkt und
erhält seine gesetzliche Kraft allein über die konti-
nuierliche Anwendung. Es ist als Langzeitwerkzeug
konzipiert, mit wenig Aufwand und Kosten aufzu-
stellen und lässt sich stetig weiterentwickeln. Es ist
53
Orientierungspunkt und Leitfaden bei verschiede-
nen Baubehörden und wertvolle Grundlage bei der
Begründung von Gestaltungsentscheiden in Streit-
fällen und demokratischen Prozessen.
fAZIT• Baukultur, Tradition und lokale Werte stellen in
einem globalisierten Umfeld ein wirtschaftliches
Potential dar und lohnen sich, gepflegt zu werden.
• Eine qualitätsvolle, nuancierte Wiederholung
von vertrauten Bildern schafft Ordnung und trägt
damit zur Identität bei.
• Der Fokus darf nicht nur auf das Einzelobjekt,
sondern muss auch auf die Zwischenräume/
Außenräume gelegt werden.
• Nur durch die aktive und langfristige Sensibi-
lisierung eines breiten Publikums und die Gene-
rierung eines starken Gefühls von persönlichem
individuellem Nutzen des Einzelnen sind bauliche
Visionen umsetzbar.
• Identität und Authentizität sind oft keine vor-
handenen Werte mehr, sondern müssen bewusst
neu geschaffen werden.
Prof. Christian WagnerDipl. Architekt ETH/SIA
Hochschule für Technik und Wirtschaft HTW Chur
55
Ein Begrüßungsscherz: Kommt einer mit dem Auto nach Jever und fragt zwei alte Männer, die auf einer Bank sitzen: „Wo geht es denn bitte nach Wittmund?“. Keine Ant-wort. Dann versucht er es auf Englisch, keine Reaktion. Auch der Versuch mit Französisch führt zu keinem Erfolg. Wütend fährt der Fremde weiter. Sagt der eine Alte zum ande-ren: „Wat helpt ihm nu all sien afkennen“.
Mit diesem Witz wurden wir 1989 bei der Eröff-
nungstagung eines Modellprojektes zur Förde-
rung der ländlichen Kultur in Jever konfrontiert.
Wir waren eine Projektgruppe der Universität
Oldenburg, die sich in das geografisch sehr nahe
Ostfriesland wagte, um dort die ländliche Kultur
zu fördern. Wir hatten hochkarätige Referenten
aus dem ganzen Bundesgebiet eingeladen, um
über kollektive Identitäten, Regionalbewusst-
sein, endogene Potentiale und einiges mehr zu
berichten. Einige der eingeladenen ostfriesischen
Kulturakteure waren erbost darüber, dass ihnen
die angereisten Akademiker zwei Tage die Welt
erklärten, und so kam es zum Schluss der Tagung
zu dem Witz. Er hat zwei Botschaften:
• Im Gegensatz zur städtischen Lebensweise, in
der das Fremde zum Alltag gehört, braucht man
auf dem Lande als Neuling lange Zeit, um akzep-
tiert zu werden.
• Die pädagogische Botschaft: Man muss einfühl-
sam sein, erst viel zuhören und sich behutsam ein-
bringen und auch ein Stück anpassen.
Der Witz ist aber nur noch ein Witz, der tiefgrei-
fende kulturelle Wandel hat auch die ländlichen
Gebiete erfasst. Das Bild der beiden Alten, die
zum Feierabend auf ihrer Bank sitzen, weil ihre
Welt in einer geordneten Bahn verläuft, hat selbst
als Klischee ausgedient. Wenn, dann sitzen sie zu
Hause vor dem Fernseher. Der Wandel der länd-
lichen Lebenswelten hat auch Folgen für die Kul-
turarbeit.
„In der heutigen spätmodernen Transformations-
gesellschaft sieht man sich zunehmend konfron-
tiert mit in ihren Ungleichzeitigkeiten verschiede-
nen, im chronologischen Sinne aber gleichzeitigen
Geschichten und Entwicklungszeiten“ (Schäfter
2006: 21). Die Spannung zwischen Vergange-
nem und Zukünftigem ist nicht als Kontinuität
erfahrbar. Veränderungen brechen überraschend,
unvermittelt in Lebenswelten ein und sind nur be-
grenzt antizipierbar. Auf gesicherte Erfahrungsbe-
stände kann man immer weniger zurückgreifen,
Wissensvorgaben und soziale Zusammenhänge
werden brüchig, unzuverlässig.
Auch Kultureinrichtungen können sich nicht mehr
auf die Kontinuität von Werten und ästhetischen
Maßstäben berufen. Diesem Verlust stehen vielfäl-
tige Möglichkeiten gegenüber, neue Austragungs-
orte und Kontexte für die Künste zu schaffen.
Einige Künstler ergreifen die Chancen und verlas-
sen die traditionellen Kunstorte.
Die folgenden Beispiele zeigen, dass mit künstle-
rischen Interventionen ein sehr differenziertes In-
strumentarium zur Verfügung steht - von spektaku-
lären Aktionen, die eine ganze Stadt in Bewegung
setzen, bis zu punktuellen Injektionen, die ein spe-
zifisches Problem bearbeiten. Die Künstler in den
vorgestellten Projekten richten sich nicht in einem
von den Lebenswelten abgeschirmten Kunstbe-
trieb ein, sondern lassen sich auf ein fortwähren-
des Spiel der Distanz und Nähe mit den örtlichen
Gegebenheiten ein. Es ist ein „work in progress“,
in dem die Spielregeln immer wieder neu justiert
fERNE NäHE - kULTUR ALS fAkTOR DER REgIONALENTWICkLUNgHERMANN vOESgEN
56
werden, riskante Versuche unternommen werden,
aber auch nach einem verlässlichen Rahmen ge-
sucht wird. Die Rolle des Künstlers und seine so-
ziale Einbindung werden dabei in wechselnden
Varianten durchgespielt. Sie bewegen sich in
einem Spannungsfeld aus freien künstlerischen
Experimenten und verantwortlichen Interventio-
nen in und mit sozialen Situationen.
Ich schlage vor, zwei Ausgangspunkte für Inter-
ventionen zu unterscheiden:
• Krisen / Probleme, denen die Region nicht aus-
weichen sollte und für die Möglichkeitsräume
eröffnet werden.
• Gemeinschaftserlebnisse, in denen die Verbin-
dungen, Zusammengehörigkeitsgefühle und Ko-
operationswünsche/Kooperationsgewinne erprobt
werden.
Im Lauf der Prozesse überschneiden sich Themen-
felder häufig. Die Unterteilung soll nicht als stabile
Kästen verstanden werden, vielmehr als flexible
Einkaufsnetze, in denen man Ideen für regionale
Perspektiven sammelt.
kRISEN Die Stadt Wittenberge hat in der Zeit nach der
Wende fast die Hälfte ihrer Bevölkerung verloren.
Wittenberge war bekannt als die Nähmaschinen-
stadt. Die Produktionsgebäude sind inzwischen
Industriedenkmale und stehen leer. Wenn ein
Fernsehteam das Thema schrumpfende Städte
bebildern soll, fährt es nach Wittenberge. Die
Krise ist dramatisch und die Aussichten trübe. Eine
Forschungsgruppe der Fachhochschule Potsdam
erhielt den Auftrag, ein Kulturentwicklungs-
konzept für den Wachstumskern Wittenberge,
Perleberg, Karstätt (eine von der Landesregierung
festgelegte Region) zu verfassen. In dem daraus
resultierenden Gutachten (Föhl /Neisener 2009)
werden zahlreiche Vorschläge zur kooperativen
Vielfalt, der besseren Vernetzung der Akteure
und Kommunen gemacht. All diese Vorschläge
ändern jedoch nichts an dem zentralen Prob-
lem der ökonomischen und mentalen Krise. Wir
schlagen daher vor, die Krise direkt zum Thema
zu machen und die vielen leerstehenden Arbeits-
und Wohnräume als Stärke zu nutzen. Die Stadt
solle junge Modedesigner einladen, im Rahmen
eines Stipendiatenprogramms, für einen bestimm-
ten Zeitraum in Wittenberge kostenlos zu woh-
nen und zu arbeiten. Das Programm würde sich
besonders an Designer richten, die mit der
aktuellen „do it yourself“ Bewegung im Mode-
bereich arbeiten. Somit könnte man an die Näh-
maschinentradition anknüpfen und ehemalige
Mitarbeiterinnen des Nähmaschinenwerkes inspi-
rieren. Es könnten dann auch Modenschauen und
„Nähfestivals“ organisiert werden, um Wittenber-
ge als das deutsche Zentrum einer jungen Mode-
und Nähszene bekannt zu machen. Wichtig ist die
Offenheit des Projektes, die jungen Leute kommen
auf Zeit. Man löst sich von der krampfhaften
Suche nach dauerhaften Arbeitsplätzen und
Bewohnern. Man gewinnt dafür das Bild
einer Stadt, die sich aus der Starre löst, wieder in
Bewegung kommt und immer für neue Ide-
en und Menschen offen ist. Dieser Vor-
schlag wurde bisher von der Stadt nicht auf-
gegriffen, im Unterschied zu dem übrigen
Gutachten. Es wäre ein radikales Umsteuern
notwendig. Zunächst einmal müsste die Krise der
Stadt angenommen werden. Kultur würde im
folgenden Schritt nicht mehr kompensatorische
Überzüge liefern, sondern fröhlich die Nischen in
57
den Leerständen bespielen. Das ist eine Strategie,
die in vielen Städten erfolgreich praktiziert wird.
Für die von der Krise in ihrer Identität getroffenen
Menschen ist es jedoch oft eine Zumutung, noch
dazu mit offenem Ausgang.
Das Projekt KunstKur (Mörsch 2002) war dagegen
von Beginn an Teil eines Vorhabens zur Wirt-
schaftsförderung von Klein- und Mikrounter-
nehmen im Mecklenburgischen Lohmen. Der
Ausgangspunkt: Die dramatischen Arbeitsplatz-
verluste in ländlichen Gebieten Ostdeutschlands
erfordern neue Wege der Generierung von
Einkommen und sinnvollen Tätigkeiten. Das
Dorf Lohmen versucht seit einigen Jahren, sich
touristisch zu einem Gesundheitsdorf zu
entwickeln. „Die Idee ist, dabei möglichst viele
EinwohnerInnen der Gemeinde zu beteiligen. Das
bedeutet, dass die Leute, die mitmachen wollen,
gemeinsam Wissen und Fähigkeiten entwickeln,
die für einen ökologisch nachhaltigen Tourismus,
der auf Gesundheit und Rehabilitation gerich-
tet ist, notwendig sind“ (ebenda: 1). In diesem
Prozess der Suche, der Neuorientierung und des
Lernens wurden Künstler zu einem Kuraufenthalt
eingeladen. Als Gegenleistung sollten sie einen
künstlerischen Beitrag für das Dorf leisten. Die
Bewohner hatten die Möglichkeit, bei der Aus-
wahl der Künstler und Projekte mitzuwirken. Es
entstanden ganz unterschiedliche Interventionen:
von kleinen Fensterskulpturen einer Holzschnit-
zerin, mit denen die ausstellenden Bewohner
etwas über sich mitteilten, der Produktion einer
Sitzgruppe aus sekundär genutzten Kunststoffen
von Jugendlichen, bis zu einer „CampingAkade-
mie“, in der Urlauber, Dauercamper und Einheimi-
sche sich medial mit der umgebenden Landschaft
auseinander setzen konnten. Es gab zahlreiche
partizipatorische Anteile in Form von Workshops
und Informationsabenden, mit differenzierten
Angeboten für unterschiedliche Interessen und
Lebenswelten. Damit gelang es zumindest Teile
des Projektes in den Alltag und die Dorfentwick-
lung zu integrieren. Hinzu kommt, dass KunstKur
Teil eines Forschungs- und Anwendungsvorha-
bens zur Verbesserung der wirtschaftlichen und
sozialen Bedingungen war. Kultur ist in diesem Fall
also integriert in ein Wissens- und Lernmanage-
ment. Dabei bewahrten die Kulturbeiträge ihren
Eigensinn, sie wurden nicht instrumentalisiert und
konnten so ihre Nützlichkeit entfalten.
Im Unterschied zu den Künstlern der KunstKur
wohnen die Mitglieder des Brandenburgischen
Netzwerkes Kunstumordnung (www.raumumord-
nung.net) auch in der Region ihrer künstlerischen
Interventionen. Die Künstler sind mit ihrer Lebens-
weise präsent. Sie sind im besten Sinne „Local
Heroes“ (Voesgen 2010: 132). Im Unterschied zu
dem vorgeschlagenen Großprojekt in Wittenber-
ge arbeiten die Künstler beharrlich und selbstver-
antwortlich in kleinen Projekten der Verknüpfung
von Kunst und Alltag. Besonders deutlich wird
diese Haltung in den beiden Gruppen iku Baruth
(Institut zur Entwicklung des ländlichen Kultur-
raumes e.V.) und LandKunstLeben in Steinhövel.
In beiden Projekten wird Land kultiviert. Das iku
betreibt seit zwei Jahren einen Weinberg und
möchte damit an die örtliche Weinbautradition an-
knüpfen. Im Mittelpunkt des Vereins LandKunstLe-
ben steht seit 2001 ein großer Zier- und Nutzgarten.
Die Landnahmen stehen für ein langfristiges Enga-
gement, ein sich auf die natürlichen Bedingungen
des Klimas, Bodens und der Jahreszeiten Einlassen.
Künstler greifen das einst Selbstverständliche,
Alltägliche auf und machen es in Form von Kunst-
58
projekten wieder verfügbar. Sich um alte Gemü-
sesorten zu kümmern, damit zu kochen und ein
Fest zu inszenieren wird zu einem ungewöhnlichen
Ereignis. Es geht um eine Kultivierung des Lebens,
die Verfeinerung der sinnlichen Genüsse. In Stein-
hövel werden Kochkurse angeboten, im fliegenden
Wechsel von regionalen Küchen, mit Produkten
aus dem örtlichen Garten, mediterranen Einflüssen,
vegetarisch und fleischlich, mit unterschiedlichen
Temperamenten der Köche. Dazu werden Feste
inszeniert, anknüpfend an örtliche Traditionen,
vermischt mit anderen Spezialitäten und aufge-
mischt mit dem, was die Akteure erfinden. In dem
Garten von Steinhövel kann man einen wunder-
baren Sonntag auf dem Lande genießen. Der
Garten lädt aber auch zu Denk- und Erfahrungs-
arbeit ein. Die Kuratorin Christine Hoffmann ver-
steht das Ensemble als das Modell eines Oikos,
eines Haushalts, in dem Ökonomie und Ökologie
noch nicht bzw. nicht mehr getrennt sind. Es geht
um Experimente jenseits der Verwertungsgesell-
schaft, ein Gegenentwurf zum „Konsumismus“.
Die Kunst lässt die Möglichkeit aufscheinen,
Teile unserer modularisierten Gesellschaft wieder
miteinander zu verschränken. Der preußische
Gartenarchitekt Joseph Lenné hatte sich im 19.
Jahrhundert als Ziel gesetzt, das Nützliche und das
Schöne zu verbinden. Daran knüpfen die vorge-
stellten Künstler an. Es sind, mit einem Begriff aus
der Pädagogik, niedrigschwellige Angebote. Sie
bringen Menschen der Region zusammen und
regen sie an (wenn sie wollen), an einem besseren
Leben mitzuwirken.
ZUSAMMENHäNgEDie Ausdünnung der ökonomischen, lebenswelt-
lichen und institutionellen Zusammenhänge ist in
vielen Gebieten Ostdeutschlands zu beobachten.
Verlässliche Beschäftigungsverhältnisse, berufliche
Orientierungen, religiöse Gemeinschaftsformen,
familiäre Verbindlichkeiten, Brauchtum und Rituale
stehen zur Disposition. Die Verbundenheit und
Auseinandersetzung mit der Vergangenheit des
näheren und weiteren Umfeldes sind nicht selbst-
verständlich und oft gestört. Hinzu kommen die
administrativen Veränderungen durch die Zusam-
menlegung von Gemeinden und Veränderungen
von Verwaltungseinheiten, die lebensweltlich nicht
nachvollzogen werden können. Künstler können
durch unkonventionelle und sinnlich direkte
Aktionen zur Auflockerung und Aufmischung
verstockter Beziehungen beitragen. Dazu zwei
Beispiele aus Ost- und Westdeutschland.
Die Künstlergruppe Atelier Havelblick (www.havel-
blick.de) in Strodehne (Landkreis Havelland) macht
sich um das Gedächtnis und die Genussfähigkeit
der Region verdient. Die beiden Dokumentarfilmer
fördern die Laienfilmarbeit, haben ein Amateur-
filmarchiv (u. a. mit Filmen aus dem LPG Alltag)
angelegt, veranstalten Film- und Medientage, in
einer Mischung aus Laien- und Profifilmen, und
sie organisieren Feste. So geht auf ihre Initiative
eine Kampagne zur Rettung des Weißfisches
zurück und ein kollektives Suppenfest “Schluss mit
Soljanka“. In dem Format Erlebniskino werden
Filme aus der regionalen Umwelt wie auch inter-
nationale Filme gezeigt, an besonderen Orten als
Gemeinschaftserlebnis und nicht anonym im Kino-
sessel. Die Freude an der Schönheit, an der Verfei-
nerung der Sinne, dem Wissen und dem eigenen
Vermögen könnte man als den Humus bezeichnen,
den die Künstler brauchen, um mit ihren Inter-
ventionen wirken zu können. Denn sie sind auch
Weltverbesserer, sie wollen es nicht beim „Schönen
59
und Guten“ belassen, vielmehr geht es ihnen auch
um das „Wahre“. Dafür steht z. B. der Umgang
mit dem kulturellen Erbe. Sie belassen es nicht bei
der Pflege und Rekonstruktion des Vergangenen,
sondern spüren den Brüchen, dem Verdräng-
ten nach und geben den Machtlosen Stimmen
und Bilder. Das Amateurfilmarchiv, die öffentliche
Präsentation von DDR-Amateurfilmen und die
Bearbeitung dieses Filmmaterials sind Beispiele
für regionale Medienarbeit. Noch deutlicher wird
dieser Zusammenhang zu aktueller Kulturarbeit
bei dem Projekt „Parallelwelten“ (2007). In der
Brillenstadt Rathenow wurde die Produktion opti-
scher Geräte nach der Wende in stark reduziertem
Umfang fortgesetzt. Im Rahmen des Projektes
wurde ein Dokumentarfilm des DDR–Fernsehens
aus den Optischen Werken gezeigt und parallel
dazu ein neuer Film zu den aktuellen Arbeitsbe-
dingungen in dem verbliebenen Werk. Bei den
Diskussionen dazu ging es um Arbeitsbedingun-
gen, Veränderungen in den Arbeitshaltungen,
Disziplin, Identifizierung mit der Arbeit etc.
Zum Schluss ein Beispiel für die spielerische Eröff-
nung von Gemeinschaftsphantasien. In Vaihingen
an der Enz, einer Kleinstadt nordwestlich von Stutt-
gart, wurde im Frühsommer 2001 vier Wochen
lang mit öffentlichen Räumen gespielt: temporäre
Umnutzungen wie die Aufschüttung eines Sand-
strandes auf dem Marktplatz, Kurzfilme und private
Dias, die an verschiedene Wände der verdunkelten
Stadt projiziert wurden, ein Campingplatz auf dem
Parkdeck, öffentliches Frühstück usw. Initiiert von
drei Architekten, wurden die Nutzungen öffent-
licher Orte problematisiert: „Der Marktplatz, der
nach Ladenschluss tot und leer in der Stadtmitte
liegt; die Grabenstraße, ein zentraler Busbahnhof,
in dessen Nischen sich bereits eine gewisse Klein-
kriminalität etabliert hatte; schließlich das Areal
Köpfwiesen an der Enz, das den Zugang zum Fluss
mehr verhindert denn ermöglicht“ (Richert 2005:
239). Das Projekt sollte als Katalysator für die Bele-
bung der Problemräume wirken. Bei der Sammlung
von Nutzungsideen wurden die Bewohner von An-
fang an einbezogen und es entstand ein vielfältiger
Mix an Interventionen, ausgelöst durch die künstle-
rischen Leiter wie auch von Bürgern. Aus der Kritik
entstanden Freiräume, wie schon der Titel deutlich
macht: „Nigihaven na der Zen – eine Stadt spielt
Stadt“. Die Spielräume wurden genutzt, die „Akti-
onen haben die Vaihinger nicht nur aus der Reserve
gelockt, sondern sie haben ihnen obendrein das
Gefühl vermittelt: Mein Leben kann sich auch ganz
anders anfühlen“ (ebenda: 234).
AUSBLICkIn den letzten Jahren wurde der von Ulf Matthie-
sen (2004: 378) geprägte Begriff Raumpioniere zu
einem oft benutzen Schlagwort. Der Reiz dieser
Wortschöpfung liegt in der sie auslösenden Asso-
ziationskette. Zunächst verweist der Begriff auf ein
Defizit: Das in den 1980er Jahren populäre Plädo-
yer für die Förderung endogener Potentiale braucht
die Ergänzung durch tatendurstige Zuwanderer.
Für Pioniere gibt es in den Regionen Freiräume,
weil so vieles nicht mehr in Ordnung ist. Wie es in
Ordnung gebracht werden könnte und wer das am
besten kann, weiß man nicht. Also brauchen wir
ganz unterschiedlich verrückte Menschen wie z. B.
Künstler, die sich auf die Krisenregionen einlassen
und sie für sich mit anderen nutzen.
Prof. Hermann VoesgenLehrgebiet Kultur und Projektarbeit
Fachhochschule Potsdam
61
Was hat das Modellprojekt zur Aktivie-rung innerörtlicher Potenziale mit der Som-meruni zu tun? Das baden-württembergische Modellvorhaben MELAP PLUS (2010–2015) setzt bei dem Thema der Leerstände und untergenutzter Gebäude in Ortskernen des ländlichen Raums an und erprobt konkrete Maßnahmen zur Innenentwicklung. MELAP PLUS ist ein Investitionsprogramm des Lan-des Baden-Württemberg.
MELAP PLUS verfolgt unter dem Motto „Neue
Qualität im Ortskern“ das Ziel:
• Ortskerne städtebaulich zu entwickeln,
• bestehende Gebäude zu erhalten (Modernisie-
rung, An-/Umbauten, energetische Sanierung),
• leer stehende Gebäude umzunutzen,
• Brachflächen zu reaktivieren,
• und gegebenenfalls Baulücken aufzufüllen.
Die Orte sollen zum einen im ländlichen Raum
ihren inneren Zusammenhalt und ihre kulturelle
Identität bewahren, indem sie ihre Unverwechsel-
barkeit und ihre Attraktivität für die nachfolgen-
den Generationen erhalten und weiter entwickeln;
zum zweiten sollen in Zeiten eines globalen Klima-
wandels und bei weltweit abnehmender Biodiver-
sität landwirtschaftlich nutzbare Böden oder für
Natur- und Landschaftsschutz wichtige Flächen
unbebaut bleiben; zum dritten soll erreicht wer-
den, dass den Gemeinden durch die Ausweisung
weiterer Baugebiete keine Folgekosten für neue
Infrastrukturmaßnahmen entstehen.
vORgEHEN 14 von über 40 Gemeinden, die sich 2010 um
die Teilnahme am MELAP PLUS – Programm mit
Konzepten beworben hatten, wurden aufgrund
vielversprechender Ansätze vom Ministerium und
der wissenschaftlichen Begleitung (Projektträger
PFEiL, Prof. Kerstin Gothe, Dr. Barbara Malburg-
Graf, www.melap-plus.de) ausgewählt, darunter
als einziger interkommunaler Verbund die Ge-
meinde Bernau und der Ortsteil Menzenschwand
der Gemeinde St. Blasien. Bis Juni 2012 wurden
insgesamt knapp 100 MELAP PLUS Projektanträ-
ge gestellt, die meisten Anträge sind bewilligt und
eine Reihe von Projekten befindet sich bereits in
der Umsetzung oder ist fertig gestellt. In vielen
Gemeinden werden neben zahlreichen kleineren
privaten Projekten größere Vorhaben vorbereitet,
die einen längeren Vorlauf benötigen.
In den meisten Modellorten wurde ein Projektbe-
gleitgremium gebildet, das den MELAP PLUS Pro-
zess steuert. In manchen Orten sind zusätzlich zu
Bürgermeistern, Ortsvorstehern, Ortschaftsräten
und Planern einzelne aktive Bürger in dieses Gre-
mium eingebunden, in anderen wurden offene
Ortschaftsratssitzungen, Runde Tische oder ME-
LAP PLUS-Stammtische eingeführt, um die interes-
sierten Bürger für das Thema zu gewinnen.
Die Projektanträge der Gemeinden werden in den
zuständigen Regierungspräsidien geprüft und
durch die wissenschaftliche Begleitung begut-
achtet. Die wissenschaftliche Begleitung speist
darüberhinaus fachliche Impulse in Form von Ex-
pertenbeiträgen, Workshops, Tagungen, Diskussi-
onsrunden, Literaturhinweisen, Newslettern und
Dokumentationen in den MELAP PLUS Prozess
ein und organisiert den Austausch der Gemein-
den untereinander. Durch diesen Austausch sowie
durch die entstehenden Projekte und investiven
Maßnahmen sollen für andere Gemeinden und
MELAP PLUS, NEUE QUALITäT IM ORTSkERNkERSTIN gOTHE
62
die Fachdiskussion interessante Lösungsansätze
entwickelt werden.
MELAP PLUS THEMENSCHWERPUNkTEIm MELAP PLUS-Programm werden insgesamt sie-
ben Themenschwerpunkte bearbeitet:
(1) Gemeinden vorausschauend entwickeln, den
demographischen Wandel gestalten und die lokale
Wirtschaft fördern: Wie können sich ländliche
Gemeinden auf den demographischen Wandel
einstellen? Welche Wohnformen sind denkbar?
Welche Aktivierungsstrategien führen dazu, dass
es für Bürger attraktiv wird, Potenziale im Ortskern
zu nutzen? Wie fügen sie sich in das Leitbild der
Gemeinde ein?
(2) Hindernisse bei der Nutzung von Gebäuden
und Flächen im Ortskern überwinden: Welche
Möglichkeiten gibt es für Gemeinden, unge-
nutzte Gebäude und Flächen in privatem Eigen-
tum einer neuen Nutzung zugänglich zu ma-
chen? Welche Nutzungskonzepte sind geeignet
für großvolumige leer stehende Gebäude, die
ihre ursprüngliche Funktion verloren haben (z.B.
Bauernhöfe, Gasthäuser, Kurkliniken)? Wann ist
Zwischenerwerb durch die Gemeinde sinnvoll?
Welche Zwischennutzungen sind denkbar? Las-
sen sich über zeitlich begrenzte Aktionen Ge-
bäudebestände reaktivieren?
(3) Baukultur und Freiraumkultur weiter entwi-
ckeln und dabei auch die umgebende Landschaft
in den Blick nehmen: Wie können Baukultur und
Freiraumkultur die Unverwechselbarkeit eines Or-
tes und die Identifikation der Bürger mit ihrem Ort
stärken? Welche Flächen sollten von Bebauung
freigehalten und als Freiraum gestaltet werden?
(4) Verantwortungsgemeinschaften für den Orts-
kern stärken und beispielhafte Bürgerbeteiligung
erproben: Wie können die engagierten und interes-
sierten Bürger in den Prozess integriert werden? Wel-
che Voraussetzungen müssen erfüllt sein, um neue
Konzepte von Verantwortungsgemeinschaften
aus städtischen Gebieten (z.B. Baugemeinschaf-
ten, Eigentümer-Standortgemeinschaften, Zwi-
schennutzungs-Agenturen) auf den ländlichen
Raum zu übertragen?
Abb. 44/45:
Erneuerung
eines
Gebäudes
in Bernau
63
(5) Ökonomische Maßstäbe bei der Siedlungsent-
wicklung anlegen: Wie kann die Gebäudeaktivie-
rung für den Eigentümer ökonomisch interessant
werden? Wie kann das Problem der von Eigentü-
mern und potenziellen Käufern meist unterschied-
lich eingeschätzten Immobilienpreise im Sinne
der Gebäudeaktivierung gelöst werden? Welche
beispielhaften Lösungen gibt es für die qualitäts-
bewusste und kostengünstige Entwicklung von
Bestandsobjekten?
(6) Energieeffiziente Bauweisen und regenerative
Energieformen anwenden: Wie lassen sich Ener-
gieeffizienz und Nutzung regenerativer Energien
erreichen bei der Sanierung von Bestandsgebäu-
den und ggf. mit Denkmalschutzauflagen verein-
baren?
(7) Überörtliche und interkommunale Zusammen-
arbeit erproben: Welche gemeinsamen Strategien
von Gemeinden unterstützen die Reduzierung des
Flächenverbrauchs und die Stärkung der Ortsker-
ne? Wie kann ein interkommunales Flächenmana-
gement oder die gemeinsame Nutzung von Infra-
struktureinrichtungen organisiert werden?
ERSTE ERkENNTNISSE Das Projekt steht noch am Anfang. Es zeichnen
sich einige Hindernisse und Probleme ab, die
überwunden werden müssen, wenn man die In-
nenbereiche reaktivieren möchte. Bei den folgen-
den Handlungsfeldern bestehen Konflikte und ein
Diskussionsbedarf über mögliche neue Lösungs-
wege.
(1) Kohärenz der kommunalen Bauland-Strategi-
en: Der Abschied von den bisherigen Formen der
Baulandbereitstellung, nämlich der Ausweisung
neuer Baugebiete, fällt schwer. Die Modellorte
sind in der Regel Teile von größeren Gemeinden.
Die Notwendigkeit einer noch stärkeren Konzen-
tration auf die Innenentwicklung – erst recht die
einer interkommunalen Abstimmung – wird nicht
von allen Gemeindeverantwortlichen gesehen. So
werden in einigen Gemeinden zwar keine neuen
Wohngebiete, aber noch neue Mischgebiete im
Außenbereich ausgewiesen. Oder die Innenent-
wicklung wird zunächst auf den Modellort be-
schränkt und die Gemeinde macht sich mit der
Werbung für Bauplätze in den Neubau-Wohnge-
bieten in anderen Ortsteilen selbst Konkurrenz.
Viele Bürgermeister befürworten Innenentwick-
lung und gleichzeitig Außenentwicklung – aus
unterschiedlichen Gründen: Innenentwicklung ist
schwieriger als Außenentwicklung. Häufig äußern
sie, dass junge Bürger einen bestimmten Bauplatz
für ein neues Wohnhaus haben möchten und sie
diesen Bedarf befriedigen müssen. Außerdem
sehen sie finanzielle Hindernisse bei der Aktivie-
rung von leerstehenden Gebäuden (Kosten für
Abbruch oder schwer kalkulierbare Kosten für die
Sanierung, oftmals zu hohe Verkaufspreise). In
Bernau und Menzenschwand ist wegen des ho-
hen Wertes der Siedlungsstruktur auch für den
Tourismus die Bedeutung der bestehenden Ge-
bäude nur noch selten umstritten. Hier ist man so-
gar bezogen auf Nachverdichtung des Bestandes
sehr sensibel – wegen des Bezuges der Siedlung
zum Landschaftsraum.
(2) Zwischenerwerb oder Umlegung? Bei der Ent-
wicklung von Flächen und Gebäuden im Innenbe-
reich beschreiten viele Gemeinden den klassischen
Weg des Zwischenerwerbs: Sie sehen die Notwen-
64
digkeit, im Innenbereich einen Ersatz für fehlen-
des Bauland im Außenbereich anzubieten. In der
Regel sind die innerörtlichen Flächenpotenziale in
Privatbesitz, die Gemeinde sieht sich ohne Hand-
lungsspielraum. Mit dem Grunderwerb kann die
Gemeinde Veränderungen anschieben und selbst
Akteur am Grundstücksmarkt werden. Aber sie
bindet damit dauerhaft Kapital, das sie vielleicht
später für andere Zwecke braucht und übernimmt
(insbesondere bei sinkenden Preisen) teilweise ein
hohes Vermarktungsrisiko.
(3) Umgang mit den innerörtlichen Gebäuden:
Der Leerstand von Bauten hat unterschiedliche
Gründe. In vielen Gemeinden stehen zu hohe
Preiserwartungen der Verkäufer der Reaktivierung
eines Leerstands im Wege. Manche Eigentümer
möchten sich nicht entscheiden, was mit dem
alten Haus geschehen soll, zumal wenn sie hof-
fen, dass Kinder oder Enkel es irgendwann doch
übernehmen. Teilweise verhindern auch persön-
liche oder soziale Konflikte eine Lösung. In an-
deren Fällen stehen Eigentümergemeinschaften
mit sehr verschiedenen Interessen (etwa bei Insol-
venzen) oder im Ausland wohnende Eigentümer
bzw. Erben einer Lösung im Weg. Ein Problem in
den durch die Landwirtschaft geprägten Modell-
orten sind große untergenutzte Ökonomiegebäu-
de. Sie sind oft durch die vorherige Nutzung be-
lastet, energetisch schlecht gerüstet, ohne Fens-
ter – die ganzjährige Nutzung würde erhebliche
Investitionen erfordern. Welche Nachnutzungen
sind hier denkbar? Lohnt es sich, hier Zwischen-
nutzungen unterzubringen oder Sommernutzun-
gen? Unter welchen Voraussetzungen können
sie für Wohnnutzungen umfunktioniert werden?
In Bernau verhindert das sogenannte „Badische
Stockwerkseigentum“ langfristige Lösungen, die-
se Regelung führte bereits seit vielen Jahren zu
einer Aufteilung der Höfe auf mehrere Teileigen-
tümer und blockierte oft ein gemeinsames Vorge-
hen im Sinne des Gesamtgebäudes. In manchen
Gemeinden fallen die Grundstückspreise stark
und es droht eine soziale Erosion im Ortskern:
einzelne Gebäude mit baulich-technischen Män-
geln, unterlassener Instandhaltung oder Lage-
nachteilen (fehlende Freiflächen o.ä.) sinken im
Preis soweit, dass ihr Wert gegen Null geht. Die
Abbruchkosten werden bei der Wertermittlung
mit dem Grundstückswert verrechnet. Es zeigen
Abb. 46/47:
Ausbau des
Stalls im
Gebäude
in Bernau
65
sich teilweise Entwicklungen, die bedrohliche Ab-
wärtsspiralen für die Ortskerne einleiten. Immer
häufiger sind Bauruinen in den Orten zu beob-
achten. Gerade in Bernau und Menzenschwand
sind nicht zuletzt durch die intensive Beratung
durch den Ortsplaner bereits eine Reihe von Er-
neuerungsmaßnahmen an Gebäuden gefördert
und durchgeführt worden. Auch hier sind jedoch
zahlreiche leerstehende Gebäude zu finden, die
in der Summe das Ortsbild belasten.
(4) Bau- und Freiraumkultur: Wie lässt sich Bau-
kultur im ländlichen Raum sichern, wo vieler-
orts die Fertighaus-Industrie die Vorstellungen
über den Eigenheimbau bestimmt? Ein positi-
ves Beispiel ist die Aktivität des Kammerbezirks
Freiburg der Architektenkammer Baden-Würt-
temberg mit dem Auszeichnungsverfahren „Bau-
kultur Schwarzwald Architekturpreis 2010“ (vgl.
Beitrag Regina Korzen). Sie hat das MELAP PLUS
Projekt in Bernau und Menzenschwand inspiriert,
zur Förderung der Baukultur eine zeitgemäße,
baukulturell qualifizierte, energieeffiziente und
kostengünstige Planung für die Umnutzung und
Modernisierung der großen Schwarzwaldhöfe
an vier Beispielgebäuden anzustoßen: Für diese
vier Höfe wurden von verschiedenen Architekten
je ein Vorschlag für Umbau und Sanierung erar-
beitet. Die Ergebnisse wurden mit den Eigentü-
mern sowie mit Vertretern des Denkmalschutzes
und des Netzwerks der Hofeigentümer in einem
gemeinsamen Kolloquium diskutiert und in einer
öffentlichen Veranstaltung präsentiert.
Ist auch in schrumpfenden Orten die Freiflächen-
gestaltung im Ortskern eine sinnvolle Vorleis-
tung? Ist die Gestaltung eines Dorfplatzes, eines
Kristallisationspunktes für die Bürger am Ort der
adäquate Impuls? Als einem klassischen Instru-
ment der Ortskernsanierung ist damit die Hoff-
nung verknüpft, private Investitionen auszulösen.
Offen ist die Frage, ob dies auch in schrumpfen-
den Orten funktioniert. Lassen sich private Inves-
titionen durch Investitionen in den öffentlichen
Raum aktivieren oder sollten sie nur flankierend
eingesetzt werden, wenn diese absehbar sind?
Geht die Freiflächengestaltung also im Prozess
vorweg oder folgt sie nach?
(5) Verantwortungsgemeinschaften und Bürger-
beteiligung: Viele Gemeinden im ländlichen
Raum verfügen im Vergleich mit städtisch gepräg-
ten Räumen über eine entscheidende Stärke: das
soziale Miteinander scheint häufig noch eine
Selbstverständlichkeit zu sein. Man kennt sich
und ist in Vereinen organisiert. Dennoch ist auch
in den Dörfern die Zeit nicht stehen geblieben,
Singularisierung und Pluralität der Lebensstile
sind auch im ländlichen Raum angekommen. Au-
ßerdem müssen viele Bürger vom Sinn der Innen-
entwicklung noch überzeugt werden. In MELAP
PLUS sollen beispielhafte Vorgehensweisen und
Abb. 48:
Anbau an
Gebäude
in Bernau
66
Prozesse einer professionellen Beteiligung der
Bürger am Prozess der Innenentwicklung beson-
ders unterstützt und gefördert werden. Gerade
für Bürgermeisterinnen und Bürgermeister und
Verwaltungen kleiner Gemeinden ist es wich-
tig, Mitstreiter zu finden, strategische Allianzen
zu bilden und Bürgern selbst Verantwortung zu
überlassen. Die meisten MELAP PLUS-Modellorte
setzen auf die Beteiligung von Bürgern; hier ent-
stehen ganz unterschiedliche Konzepte, je nach
Ort, Zielsetzungen und beteiligten Akteuren.
(6) Neue Bauherren? Im Laufe des Projektes wur-
den Ideen entwickelt, wie Innovationen über neue
Bauherren zu erreichen sind, etwa über Bürger-
genossenschaften als Träger der Erneuerung oder
über Baugemeinschaften. Große, leerstehende
ortsbildprägende Gebäude wie Gasthäuser, Kli-
niken oder Schulgebäude stellen die Gemeinden
vor besondere Probleme. Welche Möglichkei-
ten der Projektentwicklung gibt es? Auf einem
MELAP PLUS-Treffen wurde gemeinsam an einem
Beispiel gearbeitet: Es entstand der Vorschlag, an
dieser zentralen Stelle im Dorf Versorgungs- und
Gemeinschaftsfunktionen anzusiedeln. Es wurde
die Idee einer Bürgergenossenschaft als Trägerin
der Maßnahme durchgespielt. Unter den zah-
lungskräftigen und investitionswilligen Bürgern
sollte für eine Beteiligung an der Genossenschaft
geworben werden, und das Gebäude sollte dann
schrittweise modernisiert werden können.
Der zu investierende Betrag sollte auf eine realisti-
sche Summe begrenzt werden und die Standards
(z.B. Sicherheits- und energetische Standards)
könnten zunächst auf Mindestanforderungen re-
duziert werden. Nach einiger Zeit wird überprüft,
wie erfolgreich das Modell ist. Je nach Ergebnis
könnten weitere Sanierungs- und Ausbaumaß-
nahmen folgen oder es könnte nur noch eine
Restnutzung stattfinden. Einen Teil dieses Betrags
sollte nach diesem Modell die Bürgergenossen-
schaft einbringen, für den größeren Rest sollte
ein Kredit bei einer ortsansässigen Bank aufge-
nommen werden. Diese Empfehlung ist vor Ort
bislang nicht weiter verfolgt worden, stellt jedoch
eine interessante Überlegung dar. Auf diese Wei-
se könnten neue Formen bürgerschaftlichen En-
gagements für die Ortsentwicklung unmittelbar
produktiv genutzt werden.
In den Modellorten gibt es häufiger den Fall,
dass Flächen in Straßengevierten der Ortskerne
neu geordnet werden sollen, um ein Angebot
an Bauplätzen für junge Familien zu schaffen.
Dies gestaltet sich häufig als schwierig, weil die
Eigentümer nur schwer zu bewegen sind, ihre
Grundstück(steil)e einzubringen. Hier könnte die
Bildung von Baugemeinschaften die blockierende
Haltung der Eigentümer ändern, sei es, weil sie
die Aufwertung ihrer eigenen Grundstücke durch
die Bebauung erkennen, sei es, weil sie mit dem
Verkauf der Grundstücke an junge Familien ihre
Grundstücke zum Wohl des Ortes als Ganzes bei-
tragen wollen, oder sei es, weil Planung und Be-
bauung in einem Zug realisiert werden können.
Das Besondere der Baugemeinschaft wäre hier,
dass gemeinsam geplant wird, aber trotzdem
individuelle Bauten entstehen können. Das ge-
meinschaftliche Wohnen hätte das Ziel der wech-
selseitigen Unterstützung im Alltag etwa durch
Hol- und Bring-Gemeinschaften oder sonstige
Arrangements, die die Vereinbarkeit von Kinder-
oder Altenbetreuung und Beruf ermöglichen.
67
(7) Art und Umfang der Räume für die Daseinsvor-
sorge: Die Entwicklungschancen der Orte im länd-
lichen Raum entscheiden sich über die Zukunft
der öffentlichen und gemeinschaftlich genutz-
ten Infrastruktur. In Zeiten des demographischen
Wandels muss die Pflege und Qualifizierung des
Bestands Vorrang haben. Einige Modellorte wol-
len gemeinschaftliche Nutzungen in der Ortsmitte
konzentrieren und dabei kommunale, vereins-
bezogene und privatwirtschaftliche Nutzungen
verknüpfen, beispielsweise Bibliothek, Versamm-
lungssaal, Begegnungsstätte und Café unter
einem Dach zusammenführen. Dies kann sehr
sinnvoll sein, wenn dabei alte Gebäude im Orts-
kern erhalten und insgesamt effizienter genutzt
werden und der Umbau mit einer thermischen Sa-
nierung und qualitativen Aufwertung (z.B. Barrie-
refreiheit, Mehrfachnutzung etc.) verbunden wird.
Es sollte dabei aber sicher gestellt werden, dass
durch zusätzliche infrastrukturelle Angebote nicht
die Brachen von morgen subventioniert werden,
weil die für ähnliche Nutzungen vorhandenen
Räume dann aus der Nutzung fallen.
MELAP PLUS UND DIE SOMMERUNIInnenentwicklung erfordert Überzeugungskraft,
Mut, Phantasie, strategisches Vorgehen und langen
Atem von Gemeindeverantwortlichen und Bürgern
gleichermaßen. Das Modellvorhaben MELAP PLUS
hat deshalb eine zentrale Aufgabe in der Bewusst-
seinsbildung: die ökonomischen, ökologischen,
baukulturellen und sozialen Vorteile der Innenent-
wicklung müssen den politisch Verantwortlichen
und den Bürgern deutlich werden.
Die Sommeruni ist ein Beitrag dazu. Sie setzt an
den Fragen an, die der MELAP PLUS–Prozess aufge-
worfen hat, und ermutigt die Studierenden, sich in-
tensiv mit den Orten und ihren Problemen ausein-
anderzusetzen – insbesondere mit den schwierigen
Fragen – und auch scheinbar utopische Lösungen
ins Gespräch zu bringen. Sie lädt bewusst die Ak-
teure von MELAP PLUS, das Ministerium für Ländli-
chen Raum, die wissenschaftliche Begleitung, den
Ortsplaner, die Denkmalpflege und natürlich die
Bürgerinnen und Bürger vor Ort, sowie die Bürger-
meister und die Akteure des Naturparks zu Gesprä-
chen und zur Endpräsentation ein und leistet damit
auch einen Beitrag zum Programm MELAP PLUS.
Prof. Kerstin GotheInstitut Entwerfen von Stadt und Landschaft
Karlsruher Institut für Technologie KIT
Melap Plus ist ein Investitionsprogramm des Lan-
des Baden-Württemberg gefördert aus Mitteln des
Kommunalen Investitionsfonds (KIF) im Rahmen
des Entwicklungsprogramms Ländlicher Raum
(ELR). Projektträger ist das Ministerium für Ländli-
chen Raum und Verbraucherschutz.
69
Der Schwarzwald lebt von den Bildern der schönen Landschaft, der Schwarzwaldhö-fe, der historischen Stadtbilder, der Kirchen und Klöster. Dafür wirbt die Schwarzwald Tourismus GmbH weltweit – in Verbindung mit Kuckucksuhr, Bollenhut und Schwarz-wälder Kirschtorte. Bilder einer heilen Welt, denen auch im Schwarzwald die Realität eines demografischen und wirtschaftlichen Wandels gegenüber steht.
Mit dem Begriff „Baukultur“ zu werben, kann den ländlichen Raum fördern und als Chance für das einheimische Handwerk, die Wirtschaft, die Landwirtschaft und den Tou-rismus begriffen werden. Dies ist das Anlie-gen der Initiative des Regierungspräsidiums Freiburg und der Architektenkammer Baden-Württemberg im Kammerbezirk Südbaden.
Die Auftaktveranstaltung der Initiative „Baukultur
Schwarzwald“ fand unter der Schirmherrschaft
des damaligen Freiburger Regierungspräsidenten
Julian Würtenberger im Juni 2009 mit einer er-
freulich großen Beteiligung im Regierungspräsi-
dium Freiburg statt. In Zusammenarbeit mit Part-
nern aus den Bereichen Tourismus, Landwirtschaft
und Wirtschaft, mit Verbänden, Kammern, Ge-
meinden und Hochschulen soll ein Bewusstsein
entstehen, das die Bedeutung von Architektur in
Verbindung von regionaler Identität und zeitge-
mäßem Bauen in die Öffentlichkeit bringt und die
Qualität des Bauens fördert.
Die Zielgruppen vor Ort sind die Gemeinden, Bau-
genehmigungsbehörden, Bauherren und Architek-
ten, daneben die übergeordneten Instanzen der
Aufsichtsbehörden, Berater und Zuschussgeber
und als Bündnispartner die schon einbezogenen
Institutionen Schwarzwaldverein, der Naturpark
Südschwarzwald mit der AG Siedlungsentwick-
lung und Mitte/Nord, Badische Heimat, Gemeinde-
und Landkreistag, Vertreter der Forstwirtschaft
und des Bauernverbands sowie der Tourismus-,
Wirtschafts- und Regionalverbände.
BAUkULTUR SCHWARZWALD, ARCHITEkTURPREIS 2010REgINA kORZEN
Abb. 49:
Cover
Publikation
Architektur-
preis 2010,
Baukultur
Schwarzwald
70
Der „Architekturpreis 2010“ wurde im Anschluss
daran von der Architektenkammer Baden-Würt-
temberg und dem Regierungspräsidium Freiburg
zum ersten Mal unter dem Motto „Neues Bauen
im Schwarzwald“ ausgelobt. Mit dem Verfahren
sollten öffentliche und private Bauherren und
Architekten zeigen, wie sie die regionale, tradier-
te Bauweise durch zeitgemäße Formensprache
zum Ausdruck bringen und damit zur Attrakti-
vität des Schwarzwaldes beitragen. Ziel ist eine
qualitätvolle landschaftsgerechte Architektur, die
auf örtliche Bezüge, Flächensparen, Energieeffizi-
enz und die einst großen Handwerkstraditionen
Rücksicht nimmt, – so Regierungspräsident Julian
Würtenberger.
„Den Blick in die Zukunft wagen“ Es gelte neben
dem Bewusstsein für die Bewahrung der traditi-
onellen, schwarzwaldtypischen Bauernhöfe eine
Baukultur auszubilden, die abhängig von der
Funktion der Gebäude und den örtlichen Gege-
benheiten sehr unterschiedliche Baustile hervor-
bringen kann, so der Wunsch von Eckhard Bull,
Vorsitzender im Kammerbezirk Südbaden der
Architektenkammer Baden-Württemberg.
Der „Architekturpreis 2010 – Neues Bauen im
Schwarzwald“ wurde mit einem Auszeichnungs-
verfahren, dem folgenden Kriterien zugrunde
lagen, ausgelobt:
• standorttypische Lösungen in zeitgemäßer Achi-
tektur für Landschaft und Siedlungsstruktur
• funktionsbegründete Gestaltung nach heutigen
Nutzungsbedingungen
• energie- und ressourcenbewusste Konzepte
und Ausführungen
• Beachtung regionaltypischer Materialien und
Handwerkskunst
• Einsatz innovativer und intelligenter Techniken
• kulturelle Kontinuität in zeitgemäßer Transfor-
mation
Teilnahmeberechtigt waren private und öffentliche
Bauherren und Architekten aller Fachrichtungen,
deren Projekte im Bereich des Naturpark
Südschwarzwald und Mitte/Nord in den Grenzen
des Kammer- und Regierungsbezirks Südbaden
von 2000–2010 realisiert wurden.
In einem zweistufigen Verfahren beschäftigte sich
das dreißigköpfige Auswahlgremium, bestehend
aus Architekten, Vertretern des Regierungspräsidi-
ums Freiburg, der Schwarzwaldinstitutionen, der
Hochschulen und Personen des öffentlichen Le-
bens aus Presse, Kunst und Kultur, eingehend mit
den eingereichten 167 Arbeiten aus den Bereichen
Städtebau und Siedlungsentwicklung, Öffentliche
Einrichtungen, Tourismus, Landwirtschaft und
Landschaftspflege, Gewerbe und Industrie sowie
Wohnen. Ihre Vorauswahl war Grundlage für das
zehnköpfige Auswahlgremium der zweiten Stufe
unter Vorsitz des Präsidenten der Architektenkam-
Abb. 50:
Forum Erleb-
nis Holz in
Bernau, Aus-
gezeichnet
für „Neues
Bauen im
Schwarz-
wald.“
71
mer Baden-Württemberg Wolfgang Riehle und
des Regierungspräsidenten Julian Würtenberger.
Es wurden 45 Projekte ausgewählt, von denen 32
eine Auszeichnung und 13 eine Würdigung erhiel-
ten. Das Spektrum der prämierten Arbeiten reich-
te von Neubauten und Erweiterungen im öffent-
lichen und privaten Bereich bis zu Umnutzungen
und Sanierungen denkmalgeschützter ehemaliger
Bauernhöfe. Die Auszeichnungen wurden für eine
intelligente und architektonisch beispielgebende
Erfüllung der angesetzten Kriterien vergeben, die
Würdigungen erhielten Projekte in erster Linie für
ein gemeinschaftliches Engagement von Bauher-
ren, Architekten, Planern und Handwerksfirmen.
Zusätzlich bekamen drei Projekte als beispielge-
bende Initiativen von Bauherren und Architekten
einen Sonderpreis des Wirtschaftsministeriums
Baden-Württemberg verliehen, der ihren Beitrag
zur Stärkung der Infrastruktur in der Region ho-
noriert. Überreicht werden die Preise von Frau Mi-
nisterialdirigentin Kristin Keßler vom Baden-Würt-
tembergischen Wirtschaftsministerium.
Nach Abschluss des Verfahrens wurden die prä-
mierten Projekte in einer umfangreichen Broschüre
und in einer sehenswerten Ausstellung präsentiert,
die bis heute in 30 Gemeinden, Ministerien, Ban-
ken und Fachmessen zu sehen war und die wei-
terhin ausgeliehen werden kann. Äußerst erfreulich
war außerdem die Resonanz in der örtlichen und
überregionalen Presse mit über 100 Presseartikeln.
Sechs „Themengruppen“ aus den Bereichen Tou-
ristik, Landwirtschaft, Innenentwicklung, Land-
schaft, Energie- und Ressourcen sowie Umnutzung
historischen Kulturguts wurden inzwischen gebil-
det, um die „Baukultur Schwarzwald“ auch mit
der neuen Regierungspräsidentin, Bärbel Schäfer,
den Vertretern aus dem Kammerbezirk Freiburg
und dem Regierungspräsidium Freiburg weiter be-
arbeiten zu können. Geplant sind unter anderem
Fortbildungsveranstaltungen, Vorträge, Infobro-
schüren, Teilnahme an Veranstaltungen, weitere
themenbezogene Auszeichnungsverfahren, Beteili-
gung bei politischen Auseinandersetzungen.
Ziel ist eine vitale Bewegung zur Stärkung der
regionalen Baukultur. Die Initiativen sollen das
Bewusstsein für eine zeitgemäße Entwicklung
und ein unverwechselbares Erscheinungsbild des
Schwarzwalds wecken und im Dialog mit allen
Beteiligten voranbringen. In der Folge der „Bau-
kultur Schwarzwald“ sind viele weiteren Aktivitä-
ten mit der gleichen Zielsetzung entstanden, die
zusammengeführt und vernetzt werden sollen.
Überdies diskutiert die Architektenkammer mit
dem Naturpark Südschwarzwald nach dem Vor-
bild des Vorarlberger Architekturinstituts VAI,
mithilfe des Engagements aller Beteiligten ein
Schwarzwälder Architekturinstitut SAI als Forum
zwischen Bürgern und Planern zu gründen.
Regina KorzenBezirksgeschäftsstelle Freiburg
Architektenkammer Baden-Württemberg
72
EINBLICk
Abb. 51–54:
Studierende
erkunden die
beiden Ge-
meinden und
beginnen mit
der Arbeit an
ihren Kon-
zepten und
Entwürfen.
73
Abb. 55–58:
In kurzen
Open-Air-
Vorlesungen
werden
Themen wie
der Leerstand
und das Pro-
gramm ME-
LAP+ an die
Studierenden
vermittelt.
74
Abb. 59–62:
Bei den
Fachvorträgen
haben die Stu-
dierenden die
Chance zum
Austausch mit
Bürgern und
ortansässigen
Akteuren. Die
Presse ist mit
dabei. Der
tradionelle
Hans-Thoma-
Tag in Bernau
rundet das
Programm ab.
75
Abb. 63–66:
Am letzten
Tag präsen-
tieren die
Studierenden
ihre Projekte
vor einer
Jury. Abends
wird zum
Abschluss
gespeist und
gefeiert.
76
DER WETTBEWERB
77
DER WETTBEWERB
ABLAUf DES WETTBEWERBSPROgRAMM UND AkTEURE
Die teilnehmenden Studierenden aus ver-
schiedenen nationalen und internationalen Hoch-
schulen sollten die Gemeinden Bernau und
Menzenschwanz analysieren, die Defizite und
Potenziale definieren und Szenarien für die
Zukunft entwerfen.
In hochschulübergreifenden und interdisziplinä-
ren Dreier-Gruppen erarbeiteten die Studierenden
in engem Austausch mit den Akteuren und Be-
wohnern vor Ort erste Ideen und arbeiteten diese
anhand von Plänen, Modellen und Videos in der
10-tägigen Sommeruniversität aus.
ABLAUf
Mittwoch, 08.08.2012Anreise, Begrüßung und Vorstellung der Auf-
gabe. Präsentation erster Ideen der Studieren-
den mit Pecha Kucha Technik. Begrüßung durch
Bürgermeister und Vertreter des Naturpark Süd-
schwarzwald. Ortsbegehung Gemeinde Bernau.
Donnerstag, 09.08.2012Individuelle Erarbeitung einer ersten Vision in Ein-
zelarbeit. Präsentation und Besprechung der ers-
ten Ideen. Bildung der Arbeitsgruppen.
Vortrag: „Südschwarzwälder Architektur - Kon-
tinuität im Wandel“ von Florian Rauch, Baufor-
scher und Architekt, Lörrach.
Freitag, 10.08.2012Individuelle Ortserkundung und Analyse, Ausar-
beitung der ersten Vision in Gruppenarbeit.
Vortrag: „Ferne Nähe - Kunst als Faktor der re-
gionalen Entwicklung“ von Prof. Hermann Voes-
gen, Fachhochschule Potsdam.
Samstag, 11.08.2012Ausarbeitung der ersten Ideen. Ortsbegehung und
Gespräche mit Bewohnern in Menzenschwand.
Feedbackrunde: Vorstellung und Diskussion der
Visionen vor und mit örtlichen Akteuren. Weitere
Einzelgespräche nach Bedarf.
Vortrag: „Schwarzwald, woher kommst du,
wohin gehst du?“ von Prof. Dr. Hansjörg Küster,
Leibniz Universität Hannover.
Sonntag, 12.08.2012Erarbeitung des räumlichen, funktionalen und
strategischen Konzepts in Gruppenarbeit. Vor-
bereitung Gesprächsleitfaden für Interviews.
Dorffest: Besuch des Hans-Thoma-Tags in der
Gemeinde Bernau mit Trachten-Umzug.
Montag, 13.08.2012Exkursion: Mit dem Bus zu ausgewählten Bei-
spielprojekten im Südschwarzwald. Fortsetzung
der Konzeptbearbeitung und Befragungen.
Vortrag: „Learning from Switzerland“ von Prof.
Christian Wagner, Hochschule für Technik und
Wirtschaft in Chur.
Dienstag, 14.08.2012Erarbeitung des räumlichen, funktionalen und
strategischen Konzepts. Vertiefung der Ideen.
Gemeinsame Betreuung der Lehrenden in einem
Rundgang.
Mittwoch, 15.08.2012Ausarbeitung des räumlichen, funktionalen und
strategischen Konzepts und der Vertiefung.
Vortrag: „Der Reigen - Bregenzerwälder Bau-
kunst im Spiegel der Zeit“ von Marina Hämmerle,
Direktorin Vorarlberger Architektur Institut.
78
Donnerstag, 16.08.2012Ausarbeitung der Wettbewerbspläne und der
Präsentation.
Freitag, 17.08.2012Abgabe der Pläne und Präsentationen und vorbe-
reitung der öffentlichen Ausstellung.
Präsentation: Vorstellung der Arbeiten vor der
Jury. Beratung des Preisgerichts.
Ausstellung: Öffentliche Vorstellung der Arbeiten
vor der Bevölkerung und Preisverleihung durch
das Preisgericht.
Abschlussfest und Ausklang mit einem gemeinsa-
men Abendessen.
TEILNEHMENDE STUDIERENDEHui-Yen Chen
Lisa Deipenbrock
Vera Dohmen
Katrin Jülg
Alper Kazokoglu
Johanna Kolb
Julia Kolk
Laura Kälberer
Kathrin Köhler
Antonio Landsberger
Buyuan Liu
Kerstin Mayer
Thomas Moder
Alexander Naumer
Sarah Nietiedt
Philipp Perock
Verena Schoissengeyr
Julia Schütz
Oskar Walburg
Leonie Weber
Andreas Ziemann
Claudia Zimmermann
Abb. 67:
Gruppen-
bild der
Studierenden
und der
Lehrenden
79
In einer aus Sach- und Fachpreisrichtern besetz-
ten Jury wurden die Ergebnisse der einzelnen
Gruppen am letzten Tag der Sommeruniversität
bewertet und in einer öffentlichen Veranstaltung
prämiert.
PREISRICHTER (STIMMBERECHTIgT)
Philipp Dechow,KIT Karlsruhe Institut für Technologie
Rainer Fritz, Bürgermeister Gemeinde St. Blasien
Köbi Gantenbein, Chefredakteur Hochparterre
Prof. Kerstin Gothe, KIT Karlsruhe Institut für Technologie
Marina Hämmerle, Vorarlberger Architektur Institut
Prof. Johann Jessen,Universität Stuttgart
Prof. Mark Michaeli,Technische Universität München
Florian Rauch,Bauforscher und Architekt
Rolf Schmidt, Bürgermeister Gemeinde Bernau
Prof. Antje Stokman,Universität Stuttgart
Prof. Christian Wagner, Hochschule für Technik und Wirtschaft HTW Chur
gäSTE DES PREISgERICHTS
Martin Baumgartner,Leitender Ministerialrat Ministerium für
Ländlichen Raum und Verbraucherschutz
Joachim Gfrörer,Ortsvorsteher Menzenschwand
Sylvia Huber,Hauptamtsleiterin Gemeinde St. Blasien
Sebastian Selbmann,KIT Karlsruhe Institut für Technologie
Barbara Malburg-Graf, Geografin (Projektteam PFEiL)
Daniela Walz,KIT Karlsruhe Institut für Technologie
Martin Wypior,Architekt (Melap)
Abb. 68:
Preisgericht
während den
Präsentati-
onen
80
1. PREIS
Wir meinen: ...es gibt Bedarf!
SYNERGIE-EFFEKTE
+
LAURA KÄLBER KATHRIN KÖHLER VERA DOHMEN
SUMMERSCHOOL UPDATE SCHWARZWALD 2012
Men
zen
sch
wan
d +
Reg
ion
Neues ZENTRUM für das Vorderdorf
WirtschaftsfaktorRäumlichkeiten für lokales Gewerbe
Weiterentwicklung der örtlichen Baukultur
neue Arbeitsplätze
Studenten als Touristen
VORREITERPROJEKTals Herausstellungsmerkmal
Un
ivers
ität
Karl
sru
heLehre PRAXISORIENT
Ort des Austausches + Treffpunkt
Wissen ortsansässiger Handwerker
PRESTIGEOBJEKT und Werbung im internationalen Wettbewerb
Ort der Ruhe + Konzentrationz.B. für Abschlussarbeiten
Cornelia KladnicaninSchneiderin/ Hausfrau
Menzenschwand
Bruno KaiserZimmermannsmeisterBruno Kaiser GmbHBernau
Anja Keller
HeimatSinn/ Zum KuckuckMenzenschwand
Lorenz DietscheDachdeckermeisterRentnerMenzenschwand
„Den Laden gibt´s seit drei Jahren... wenn es weiter so läuft, müssen wir wieder schließen.“
„Ein Zentrum zur Entwicklung der heimischen Baukultur.... das hätte es schon vor 20 Jahren geben müs-sen!“
„Ich muss mit meinem Laden bald umziehen und brauche einen neuen Raum... Freunde von mir, Produkt- und Schmuckdesigner, suchen auch Büroräume. Bisher haben wir nichts gefunden“
„Ist das für euch ein Planspiel oder ist es euch ernst?“
NEUE ÖKONOMISCHE AUSRICHTUNG der Gemeinde zusammen mit dem Partner.
Ideenaustausch
und Nutzung von Synergieeffekten
In- und ausländische Universitäten, Unternehmen, Verbände etc.
Perspektiven für das Leben und Bleiben im Dorf
Belebung des Ortes!
ZIELSETZUNG
PARTNER
Einrichtung eines THINK TANK in Menzenschwand, zur praxis- und
lösungsorientierten Forschung und Lehre und interdisziplinären Arbeiten:
Architekten + Handwerk + Bauherren + Wissenschaft
BAUKULTUR IM SCHWARZWALDEs entsteht ein Forum zur Begegnung und zum Austausch zwischen Planern, Handwerkern und Bevölkerung, das es sich zum Thema
macht die Baukultur im Schwarzwald nachhaltig zu stärken und zu entwickeln.
+ MENZENSCHWAND
Als langfristigen Partner für Menzenschwand stellen wir uns die Fa-
kultät für Architektur des Karlsruher Instituts für Technologie vor.
Als ersten Schritt zur Zusammenarbeit sehen wir dabei die Sommerschool:
Update Schwarzwald 2012, sie ist die Initialzündung. Unsere Konzepte
im Ideenwettbewerb sollen nicht im Sande verlaufen, sondern ernst zu neh-
men sein.
Summerschool - und wie geht‘s weiter?
FAKULTÄT FÜR ARCHITEKTUR
FINANZIERUNG€
€Wirtschaftsförderungsprojekt / Finanzpartner:
Regionalverband, Gemeinde, Banken.
Unterstützt durch Stiftungen wie z.B. die Wüsten-
roth-Stiftung oder die Leipniz-Gesellschaft.
Durch die Universität und ihren Wirtschafts-partnern.
1970
1975
1980
1985
1990
1995
2000
2005
2010
2015
1012Kinder <15
450Kinder <15
175.000Übernachtungen
316.000Übernachtungen
1970 -65%
2015515Alte >85
+90%
1970
980Alte >85
2015
-45%1985
2015+1%
1987 2015
BevölkerungMenzenschwand
BevölkerungMenzenschwand
+15%1987
2015
Bevölkerung WT
Bevölkerung WT
Auffällig ist, dass eine einseitige ökonomische und bauliche
Fokussierung auf den Tourismus vorherrscht.
Der Rückgang des Tourismus ist Ursache für eine Reihe weite-
rer Probleme, wie ABWANDERUNG v.a. der arbeitenden
Generation und hohem LEERSTAND.
Perspektivlosigkeit und Lähmung des Ortes sind die Folge.
Quelle:
Statistisches Landesamt Baden-Württemberg 2012
SITUATION
Vorderdorf
Hinterdorf
Leerstand
Touristisch
ausgerichtet
Vorderdorf
Hinterdorf
RAUM S C H W A R Z W A L D
ENTWICKLUNGEN JENSEITS VON TOURISMUS
PARTNERSCHAFT
Menzenschwand gewinnt einen PARTNER
für eine LANGFRISTIG ANGELEGTE KOOPERATION.
Es entstehen SYNERGIEEFFEKTE zwi-
schen dem Partner und der Gemeinde, beide
Es wird eine VERMITTLUNGSSTELLE
im Dorf eingerichtet mit einem Koordinator, der
die Zusammenarbeit beratend begleitet.
DorfKoordinatorPartner
Ateliers & Werkstätten Gemeinschaftsgarten
Laden “HeimatSinn”Gründercafé Büros
Tagungsraum
PROZESS
05
SOMMERSCHOOL UPDATE SCHWARZWALD 2012:
10-tägiger Aufenthalt von Studenten in Menzen-
schwand mit Veranstaltung eines Ideenwettbewerbs
und abendlicher Vortragsreihe, Gespräche mit der Be-
völkerung und den Entscheidungsträgern, ERSTES
KENNENLERNEN
Regelmäßige Aufenthalte von Studentengruppen
in Menzenschwand
SEMINARARBEITEN UND ENTWÜRFE des Insti-
tuts für Baukonstruktion vor Ort: Entwicklung und
Planung kleinerer TEMPORÄRER PROJEKTE
Bauaufnahmen einzelner Gebäude/ Vermessungs-
übungen/ Photogrammetrieübungen/ etc. vor Ort
GEMEINSAME GESPRÄCHE der Vertreter von
Universität, Gemeinde und Handwerk, moderiert
und beraten vom Koordinator
FINDEN EINES GEEIGNETEN ORTES
für ein erstes gemeinsames Projekt
VORSCHLAG: KLINIK PIEPER
Verhandlungen mit den beteiligten Parteien und
Ausarbeitung des FINANZIERUNGSKONZEPTS
ANALYSE, ENTWURF UND UMBAU der Pieper-
klinik durch Studierende und Lehrlinge unter An-
leitung von Professoren und Handwerksmeistern,
unterstützt durch engagierte Bürger und Vereine
vor Ort.
RÜCKBAU UND UMBAU IN ETAPPEN
Nach und nach können die Räumlichkeiten bezo-
gen und genutzt werden.
THINK TANK MIT ARBEITSPLÄTZEN UND
WERKSTÄTTEN für regelmäßige Aufenthalte von
Studierenden und Lehrlingen.
SCHLAFRAUM UND VERSORGUNG
BÜRORÄUME für lokales Gewerbe und Dienst-
leister, z.B. Schmuckdesigner, Kommunikationsde-
sign, Produktdesigner, …
GEWERBEFLÄCHE: Laden, z.B. „Heimatsinn“ und
AUSSTELLUNGSFLÄCHE der Seminararbeiten
und Projekte
NUTZUNGSPHASEAKTIONSPHASE0403 PLANUNGSPHASE02 AKTIVIERUNGSPHASE01 INITIALZÜNDUNG
GEMEINSCHAFTSGARTEN GRÜNDERZENTRUM
GEMEINDE UNIVERSITÄT KOORDINATOR HANDWERK GEWERBEBürgermeister/ Ortsvorsteher/ Ortsrat/ Vereine/ Bürger
Menzenschwand + St. Blasien
WIEDERBELEBUNG DES ORTESVersorgungssituation verbessern
Entwicklungsmöglichkeiten für den Leerstand
Entwicklung und Stärkung der heimischen Baukultur
Tourismusförderung
Professoren/ Doktoranden/ Studenten NEUE STELLE innerhalb des Ortsrates
kennt das Dorf/ Netzwerke/ Landschaft/ Institution
Meister/ Gesellen/ Lehrlinge
Berufsförderungsverband/ Ausbildungszentrum
Holzindustrie/ Forstkammer
Selbstständige/ Pioniere
Planung und Ausführung von realen Projekten
Praxisbezogene Lehre
Interdisziplinäre Arbeit und Kommunikation
AUSSENSTELLE ALS PRESTIGEOBJEKTVERMITTLUNG zwischen Partner und Gemeinde
Beratung und Unterstützung z.B. bei Finden von
Räumlichkeiten, beim Finanzierungskonzept, etc.
Öffentlichkeitsarbeit innerhalb des Dorfes und nach
außen
Aufwertung des Handwerkerberufs
Revitalisierung und Verjüngung des Handwerks
Heimische Baukultur entwickeln und stärken
Vermittlung von traditionellen als auch neuen
HANDWERKSTECHNIKEN
Verbesserung der Versorgungssituation vor Ort
NEUE RÄUMLICHKEITEN für Bürogründungen
Stärkung von heimischen Herstellern und Produkten
Ausbau von Internet und Handynetzen
81
WERkRAUM SCHWARZWALDvERA DOHMEN, LAURA käLBERER, kATHRIN köHLER
Ideen für die Reaktivierung einer Kur-klinik zum WERKraum Schwarzwald – als Impuls für zukunftsfähige Regionalentwick-lung, der Hochschule, örtliche Wirtschaft, For- schung und Ausbildung verbindet.
In Menzenschwand herrscht seit Jahren eine ein-
seitige ökonomische und bauliche Fokussierung
auf den Tourismus vor. Sein Rückgang seit den
90er Jahren ist Ursache einer Reihe weitreichen-
der Probleme, wie die Abwanderung insbeson-
dere der arbeitenden Bevölkerung und die vielen
Leerstände. Die Einwohnerzahlen stagnieren, die
Bevölkerung wird immer älter. Perspektivlosigkeit
und Lähmung des Ortes sind die Folge. Unser
Ansatz ist daher Alternativen „Jenseits des Touris-
mus“ zu entwickeln.
Dies soll mit Hilfe eines Partners für Menzen-
schwand erreicht werden, wobei mit dieser Part-
nerschaft eine längerfristige Kooperation vorgese-
hen ist. Dabei entstehen Synergieeffekte zwischen
dem Partner und der Gemeinde, beide Seiten pro-
fitieren wechselseitig voneinander. Mögliche Part-
ner könnten z.B. Firmen, deutsche oder ausländi-
sche Universitäten oder Berufsschulen sein.
Im Dorf soll dazu eine Anlaufstelle eingerichtet
werden mit einem Koordinator, der die Zusam-
menarbeit der beiden Partner beratend, unter-
stützend und vermittelnd begleitet. Dieser Koor-
dinator kennt das Dorf und seine Netzwerke, die
Institutionen und die Landschaft. Zu den Aufga-
ben des Koordinators gehört auch die Öffentlich-
keitsarbeit des Ortes, nach innen und nach au-
ßen. Denkbar wäre es, den Koordinator als Teil
des Ortsrates zu etablieren. Wichtig ist hierbei
jedoch, dass es sich um eine neutrale Person han-
delt, die keine eigenen wirtschaftlichen Interes-
sen oder Verpflichtungen hat.
Ziele dieser Partnerschaft sind eine neue öko-
nomische Ausrichtung der Gemeinde, die Wie-
derbelebung des Ortes, ein Ideenaustausch und
Nutzen von Synergieeffekten zwischen der Ge-
meinde und dem Partner. Es geht darum neue
Perspektiven für das Leben und Bleiben im Dorf
zu schaffen.
Als konkreten Partner schlagen wir die Architek-
turfakultät des KIT in Karlsruhe vor und sehen
dabei die Sommeruni UPDATE SCHWARZWALD
2012 als Initialzündung für eine Partnerschaft
in einem langfristigen Entwicklungsprozess. Wir
stellen uns die Frage, wie es nach der Sommeruni
weiter gehen kann. Unsere Idee ist, dass die Fa-
kultät für Architektur Karlsruhe einen Think Tank
in Menzenschwand bildet, um die praxis- und
projektorientierte Forschung und Lehre zu stärken
und weiter zu entwickeln. Die Fakultät bildet eine
Dependance, ein Prestigeobjekt im Schwarzwald,
die einerseits einen Ort der Ruhe und Konzentra-
tion für Studierende, anderseits einen Treffpunkt
und Ort des Wissensaustauschs bietet. Dabei
steht das interdisziplinäre Arbeiten von Archi-
tektur- und Bauingenieurstudierende, Lehrlingen
und Meisterschülern aus dem Holzhandwerk,
Kunsthandwerkern und Anderen im Zentrum.
Sie alle arbeiten zusammen, lernen voneinander,
profitieren vom gegenseitigen Kenntnisstand und
können so gemeinsam Projekte planen und rea-
lisieren. Im Zuge dessen können sie gemeinsam
ein leer stehendes Gebäude in Menzenschwand
sanieren und wieder nutzbar machen. Es entsteht
82
schrittweise ein Forum zur Begegnung und zum
Austausch zwischen Planern, Handwerkern und
Bevölkerung, das es sich zum Thema macht, auf
langfristige Sicht die Baukultur im Schwarzwald
nachhaltig zu stärken und zu entwickeln: der
WERKRAUM SCHWARZWALD.
Das Projekt könnte als Wirtschaftsförderungspro-
jekt laufen. Die Finanzierung wird hierzu aufge-
teilt auf den Regionalverband, die Gemeinde, die
Universität zusätzlich könnte das Projekt durch
Stiftungen unterstützt werden. Möglich ist auch,
dass das Projekt durch einen Wirtschaftspartner
der Universität unterstützt wird.
DER PROZESS fINDET IN MEHREREN PHASEN STATT: Die erste Phase ist die Initialzündung durch
die Sommeruni UPDATE SCHWARZWALD 2012.
Innerhalb eines zehntägigen Aufenthalts von
Studenten in Menzenschwand werden ein Ide-
enwettbewerb und eine Vortragsreihe veranstal-
tet. Es werden zahlreiche Gespräche zwischen
der Bevölkerung, den Entscheidungsträgern und
den Studenten geführt. Ein erstes Kennenlernen
findet statt.
In der zweiten Phase, der Aktivierungsphase, wird
die Partnerschaft durch regelmäßige Aufenthalte
der Universität vertieft. In diesem Zeitraum wird
die praxisorientierte Lehre der Fakultät, wie z.B.
Bauaufnahmen von Gebäuden, Vermessungs-
übungen und Photogrammetrieübungen nach
Menzenschwand gebracht. Außerdem planen
und entwickeln die Studenten mit dem Institut
für Baukonstruktion temporäre Entwurfsprojekte
im kleinen Maßstab vor Ort (z.B. die Gestaltung
einer Bushaltestelle).
Nach einer Festigung der Partnerschaft, kommt
es in der Planungsphase zu Gesprächen zwischen
der Gemeinde, der Universität und dem Hand-
werk, moderiert und beraten vom Koordinator.
Ziel ist es einen Ort für ein erstes gemeinsames
Projekt und somit eine geeignete Immobilie für
den WERKRAUM SCHWARZWALD in Menzen-
schwand zu finden. Es folgen Verhandlungen mit
allen beteiligten Parteien und die Ausarbeitung
einen Finanzierungskonzepts.
Unser Vorschlag für ein geeignetes Gebäude ist
die leerstehende Klinik Pieper im Vorderdorf. Sie
ist nicht denkmalgeschützt, sodass ein teilweiser
Rückbau möglich wäre, und befindet sich trotz
des Leerstands seit 2007 in einem sehr guten Zu-
stand.
In der Aktionsphase geht es nun darum, das Ge-
bäude, hier die Klinik Pieper, schrittweise für den
Werkraum umzugestalten und zu sanieren. Die
Analyse, der Entwurf und Umbau finden durch
Studierende der Architekturfakultät und Hand-
werkerlehrlinge unter Anleitung von Professoren
und Handwerksmeistern statt. Interessierte enga-
gierte Bürger und ortsansässige Vereine sind in
dieser Phase ebenso eingeladen mitzuwirken und
die Arbeiten zu unterstützen. Wir stellen uns hier-
bei vor, dass der mittlere Gebäudeteil der Klinik
Pieper rückgebaut wird und Raum für einen gro-
ßen gemeinschaftlichen Garten schafft.
Durch einen Umbau in Etappen kann die Klinik
Pieper schrittweise bezogen werden, und es
beginnt die Nutzungsphase. Die hinten liegen-
den Gebäude der Klinik Pieper bieten Raum für
Arbeitsplätze und Werkstätten, sowie Schlafräu-
83
me und Versorgungsräume für Studierende und
Lehrlinge. Im Gebäudeteil an der Straße wird ein
Gründerzentrum eingerichtet, in dem sich Büro-
räume für lokales Gewerbe und Dienstleister,
z.B. Schmuckdesigner, Kommunikations- und
Produktdesigner, befinden. Außerdem gibt es
hier eine große Ladenfläche (möglicher neuer
Standort für den „Heimatsinn“), sowie Ausstel-
lungsfläche für Seminararbeiten und Projekte der
Studierenden. Ein großer Gemeinschaftsgarten
zwischen den Räumlichkeiten der Universität und
des Gründerzentrums soll die Gebäude verbinden
und zum gemütlichen Treffpunkt werden.
Durch die Reaktivierung der Klinik Pieper
kommt es zu einer Aufwertung des Vorderdor-
fes in Menzenschwand und zum Ausgleich zwi-
schen Vorder- und Hinterdorf. Der WERKRAUM
SCHWARZ SCHWARZWALD setzt einen positiven
Impuls und kann als Vorreiterprojekt für die Regi-
on wirken.
Jurykommentar: „Ausgehend von der These, dass
die einseitige Fokussierung der Gemeinde Menzen-
schwand auf den Tourismus keine zukunftsorien-
tierte Lösung mehr bieten kann und Abwanderung
und Leerstand daraus resultieren, wird mittels einem
kleinen, äusserst aussagekräftigen Analyse-Schema
die Notwendigkeit zur Verjüngung, zur Neuausrich-
tung und zur Kooperation aufgezeigt.
Die Verfasserinnen stellen überzeugend dar, wie eine
Partnerschaft ein für beide Seiten im Alleingang nicht
mögliches Potential bietet. Denkbare Partner hierfür
wären demnach Schulen und Institutionen mit jun-
gen Leuten, die von der bestehenden (leerstehenden)
Infrastruktur und dem handwerklichen Know-how
(z.B. im Holzbau) des Schwarzwaldes profitieren
könnten und im Gegenzug neue, junge Impulse ein-
bringen und eine Neubelebung des Ortes bewirken.
Ein insgesamt sehr kohärenter Projektvorschlag,
der grafisch auch für Laien sehr ansprechend
und einfach nachvollziehbar ist. WERKRAUM
SCHWARZWALD hat das Potential, bei entspre-
chendem Engagement der politisch Verantwort-
lichen ins Rollen gebracht zu werden.“
84
Vorderdorf
Hinterdorf
Leerstand
Touristische
Angebote
In Menzen-
schwand
stehen viele
Gebäude leer.
Bis heute ist
der Tourismus
ein wichitger
Wirtschafts-
faktor.
AUSgANgSLAgE
„Ein Zentrum zur Entwicklung der heimischen Baukultur... das hätte es schon vor 20 Jahren geben müssen!“
Bruno KaiserZimmermannsmeisterBruno Kaiser GmbHBernau
„Ich muss mit meinem Laden bald umziehen und brauche einen neuenRaum... Freunde von mir, Produkt- und Schmuckdesigner, suchen auch Büroräume. Bisher haben wir nichts gefunden.“
Anja KellerGrafikdesignerinHeimatSinn/Zum KuckuckMenzenschwand
85
In einem
Beispielkon-
zept arbeiten
das KIT mit
der Gemeinde
Menzen-
schwand
zusammen.
Eine Koordina-
tionsstelle vor
Ort vermittelt
zwischen den
Partnern.
GEMEINDEBürgermeister/ Ortsvorsteher/ Ortsrat/ Vereine/ Bürger
Menzenschwand + St. Blasien
WIEDERBELEBUNG DES ORTESVersorgungssituation verbessern
Entwicklungsmöglichkeiten für den Leerstand
Entwicklung und Stärkung der heimischen Baukultur
Tourismusförderung
HANDWERKMeister/ Gesellen/ Lehrlinge
Berufsförderungsverband/ Ausbildungszentrum
Holzindustrie/ ForstkammerAufwertung des Handwerkerberufs
Revitalisierung und Verjüngung des Handwerks
Heimische Baukultur entwickeln und stärken
Vermittlung von traditionellen als auch neuen
HANDWERKSTECHNIKEN
KOORDINATORNEUE STELLE innerhalb des Ortsrates
kennt das Dorf/ Netzwerke/ Landschaft/ Institution
keine wirtschaftlichen Interessen/ Verpflichtungen
VERMITTLUNG zwischen Partner und Gemeinde
Beratung und Unterstützung z.B. bei Finden von
Räumlichkeiten, beim Finanzierungskonzept, etc.
Öffentlichkeitsarbeit innerhalb des Dorfes und nach
außen
UNIVERSITÄTProfessoren/ Doktoranden/ Studenten
Planung und Ausführung von realen Projekten
Praxisbezogene Lehre
Interdisziplinäre Arbeit und Kommunikation
AUSSENSTELLE ALS PRESTIGEOBJEKT
GEWERBESelbstständige/ Pioniere
Verbesserung der Versorgungssituation vor Ort
NEUE RÄUMLICHKEITEN für Bürogründungen
Stärkung von heimischen Herstellern und Produkten
Ausbau von Internet und Handynetzen
kONZEPT
86
PROZESS
SOMMERSCHOOL UPDATE SCHWARZWALD 2012:
10-tägiger Aufenthalt von Studenten in Menzen-
schwand mit Veranstaltung eines Ideenwettbewerbs
und abendlicher Vortragsreihe, Gespräche mit der Be-
völkerung und den Entscheidungsträgern, ERSTES KENNENLERNEN
Regelmäßige Aufenthalte von Studentengruppen
in Menzenschwand
SEMINARARBEITEN UND ENTWÜRFE des Insti-
tuts für Baukonstruktion vor Ort: Entwicklung und
Planung kleinerer TEMPORÄRER PROJEKTEBauaufnahmen einzelner Gebäude/ Vermessungs-
übungen/ Photogrammetrieübungen/ etc. vor Ort
02 AKTIVIERUNGSPHASE01 INITIALZÜNDUNG
Der Prozess
soll in fünf
Projektphasen
durchgeführt
werden.
GEMEINSAME GESPRÄCHE der Vertreter von
Universität, Gemeinde und Handwerk, moderiert
und beraten vom Koordinator
FINDEN EINES GEEIGNETEN ORTES
für ein erstes gemeinsames Projekt
VORSCHLAG: KLINIK PIEPER
Verhandlungen mit den beteiligten Parteien und
Ausarbeitung des FINANZIERUNGSKONZEPTS
ANALYSE, ENTWURF UND UMBAU der Pieper-
klinik durch Studierende und Lehrlinge unter An-
leitung von Professoren und Handwerksmeistern,
unterstützt durch engagierte Bürger und Vereine
vor Ort.
RÜCKBAU UND UMBAU IN ETAPPEN
Nach und nach können die Räumlichkeiten bezo-
gen und genutzt werden.
AKTIONSPHASE0403 PLANUNGSPHASE
05
THINK TANK MIT ARBEITSPLÄTZEN UND WERKSTÄTTEN für regelmäßige Aufenthalte von
Studierenden und Lehrlingen.
SCHLAFRAUM UND VERSORGUNGBÜRORÄUME für lokales Gewerbe und Dienst-
leister, z.B. Schmuckdesigner, Kommunikationsde-
sign, Produktdesigner, …
GEWERBEFLÄCHE: Laden, z.B. „Heimatsinn“ und
AUSSTELLUNGSFLÄCHE der Seminararbeiten
und Projekte
NUTZUNGSPHASE
PROZESSPHASEN
87
Als Beispielge-
bäude wurde
die leerstehen-
de Piperklinik
in Menzen-
schwand
ausgewählt.
Tagungsräu-
me, Ateliers
und Werkstät-
ten werden in
Zusammen-
arbeit mit lo-
kalem Handel
und Gewerbe
genutzt.
Impression
des zu-
künftigen
Gründerzen-
trums in der
Pieperklinik.
Ateliers & Werkstätten Gemeinschaftsgarten
Laden “HeimatSinn”Gründercafé Büros
Tagungsraum
ENTWURf
2. PREIS
89
STADTHUNgER + LANDLUSTkERSTIN MAYER, LEONIE WEBER, ANDREAS ZIEMANN
Stadt und Land waren schon immer zwei völlig unterschiedliche Lebensräume. Jeder für sich hat seine eigenen Qualitäten – aber auch Unzulänglichkeiten. Gerade da-rin bestand seit jeher eine enge Wechselbe-ziehung. Technischer Fortschritt, der Wan-del zur Dienstleistungsgesellschaft und die Globalisierung haben erheblichen Einfluss auf diese Beziehung und führen zu einer wirtschaftlichen und sozialen Ausdünnung des ländlichen Raums. Ein großes Angebot der Ausbildung und der Kultur und das städtische Leben im Allgemeinen locken, aber selten führt der Weg der jungen Leute nach Beendigung der Ausbildung oder des Studiums in den Heimatort zurück.
WIE äUSSERT SICH DIESE SEHNSUCHT UNTER DEN STäDTERN?Unter den Städtern ist eine neue Sehnsucht
zu spüren, die sich in vielfältiger Form äußert.
Der Beziehung zwischen Stadt und Land könn-
te eine Renaissance bevorstehen, die eventuell
den ländlichen Raum wieder stärker ins Blickfeld
rücken lässt. Es ist zunächst die Sehnsucht nach
Kleinigkeiten. Diese ist ablesbar an unzählig-
en, während der letzten Jahre neu eingerichte-
ten Quartierszentren, Generationenhäusern und
ähnlichen Gemeinschaftseinrichtungen. Zwar
ist es noch immer möglich und gelegentlich
vorteilhaft, sich in einer Stadt anonym bewe-
gen zu können. Jedoch wächst das Interesse an
Gemeinschaften, in denen Kontakte geknüpft
und Verbindlichkeiten aufgebaut werden und so
Vertrauen entstehen kann. (Auch Initiativen wie
der Stuttgarter „plattsalat“ zeugen von dieser
Sehnsucht.)
Weiter besteht unter vielen Städtern eine ausge-
prägte Sehnsucht nach Natur oder den Elementen
ländlicher Kulturlandschaft. Sie findet Widerhall
in Urban-Gardening-Projekten. Auch zahlreiche
Kulturangebote des Hauses der Familie Stuttgart
zielen auf Natur- und Kulturlandschaftserfahrung
für Kinder und Familien. Das Programmheft ent-
hält Angebote wie „Vom Schaf zur Wolle“, direkt
vor Ort in einem auf Schafhaltung spezialisierten
Hof außerhalb der Stadt.
Auch eine Sehnsucht nach Nachvollziehbarkeit
lässt sich beobachten. Woher kommen die Pro-
dukte, die zum Kauf angeboten werden? Unter
welchen Bedingungen werden sie hergestellt?
Was kann ich unterstützen und was lehne ich ab?
Viele Städter machen sich momentan über derlei
Fragen Gedanken und tauschen sich zu diesem
Thema aus. Sie wollen nicht nur konsumieren,
sondern selbst aktiv sein und Bescheid wissen.
Hierbei entstehen beispielsweise Initiativen wie
„plattsalat“ in Stuttgart, Haushalte wechseln zu
Ökostromanbietern und das Interesse an fair pro-
duzierter und schadstoffarmer Kleidung wächst.
Die Popularität von Bio-Produkten wuchs inner-
halb kürzester Zeit um ein Vielfaches.
Auch der Aspekt der Sehnsucht nach körperlicher
Arbeit ist in diesem Zusammenhang wichtig. Die
Sehnsucht nach einem Ausgleich zu Tätigkeiten,
die sitzend am Computer verrichtet werden,
besteht. So entsteht eine neue Wertschätzung
landwirtschaftlicher Arbeiten – und plötzlich be-
suchen Manager Survival Trainings, bewirtschaf-
ten Studenten ihren „Urban Garden“ und ernten
Familien Obst auf Streuobstwiesen, die sie per
„mundraub.org“ gefunden haben.
90
WELCHE POTENTIALE gIBT ES IN MENZENSCHWAND?Dem Leben auf dem Land sind zumindest eini-
ge dieser Aspekte auf natürliche Weise inhärent
– auch in Menzenschwand. Und in vielen seiner
Bewohner schlummert ein mehr oder weniger
verborgenes Wissen und Können, das mit großer
Wahrscheinlichkeit sehr kompatibel mit der Sehn-
sucht der Städter ist. Wie also könnte sich dies
verknüpfen lassen?
Neben den altbekannten Attraktoren des Or-
tes, wie z.B. die umgebende Landschaft mit
ihren Möglichkeiten zur sportlichen Betäti-
gung, der Wasserfall am Ende des Hinterdor-
fes, das Radon-Bad, der Erlebnispfad oder
das Winterhalter-Museum, sind in den letzten
Jahren auch neue, sehr ansprechende Ange-
bote wie das Lokal „Zum Kuckuck“ und das
kleine Laden-Café „HeimatSinn“ entstanden.
Man sollte diese beiden Einrichtungen als Vor-
reiter für weitere zukunftsträchtige Konzep-
te sehen, denn sie bringen nicht nur frischen
Wind in das bestehende, relativ einseitige An-
gebot, sondern haben auch das Potential öko-
logischer und regionaler Produkte erkannt.
Ausgehend von dem lokal Vorhandenen lassen
sich viele Ideen weiterdenken. Die Bürger sind
dabei zentral, denn sie müssen eine Verände-
rung selbst in die Hand nehmen – und zwar
gemeinsam. Warum nicht das Halten von Zie-
gen und die Herstellung von Wurst um eine
Käserei erweitern und gleichzeitig Ziegenpa-
tenschaften für Kinder anbieten? Warum nicht
das vorhandene handwerkliche Know-How nut-
zen und Workshops für z.B. Selbstbau-Möbel
oder dergleichen organisieren? Warum nicht
die Kulturlandschaft unterhalten, indem man
nach körperlicher Arbeit dürstende Städter als
Arbeitskräfte mit einbindet? Diese und viele
andere Ideen müssten von einzelnen Bürgern
initiiert, aber von einer Gemeinschaft (z.B. der
AG Tourismus) konzeptionell begleitet werden.
Menzenschwand und seine Bürger haben so
viel ungenutztes Potential in sich. Gerade durch
die relative Abgeschiedenheit des Ortes und die
somit nicht übermäßig ausgeprägte touristische
Erschließung, lässt sich der Anspruch vieler Be-
sucher nach Authentizität und Individualität
ohne weiteres befriedigen.
LOkALE POTENTIALE – WER köNNTE SIE ALLE NUTZEN?Die in Menzenschwand vorhandenen Potentiale
sind für unterschiedliche Personengruppen inte-
ressant. So vielfältig die Potentiale, so vielfältig
sind auch die Charaktere, die sie ansprechen.
Ein großer Pool an möglicherweise interessier-
ten Menschen findet sich in der Stadt, also bei-
spielsweise in Freiburg, Basel, Winterthur, Zü-
rich, Villingen-Schwenningen, Stuttgart.
Im Rahmen unserer Arbeit stellen wir einige fiktive
Charaktere vor, für die Menzenschwand aus un-
terschiedlichen Gründen interessant sein könnte.
Um ein Beispiel zu liefern: Die junge Familie mit
Kleinkind sucht regelmäßige Erholung außerhalb
der Stadt und einen kleinen Garten. Der Ort soll
geeignet sein, Wald und Wiesen als Tobeflächen
zu nutzen, Tieren zu begegnen, er sollte Entspan-
nung ermöglichen und Treffpunkt für die Familie
selbst und deren Freunde sein. Wichtig ist der Fa-
milie außerdem der Kontakt zur direkten Nach-
91
barschaft in Menzenschwand, unter anderem um
ihr Kind in der Umgebung aufgehoben zu wissen.
Eine Möglichkeit wäre die Anmietung oder Pacht
eines leer stehenden Hauses in Menzenschwand,
welches zu einer „Städter-WG“ umgenutzt wird.
Die Personen könnten eine „Ziegenpatenschaft“
übernehmen und den Garten des umgenutzten
Gebäudes für den Anbau einiger Gemüse-, Obst-
und Kräutersorten verwenden.
WIE ERfAHREN DIE STäDTER DAvON?Eine wichtige Frage ist bei all diesen Überlegun-
gen, wie überhaupt Interessenten in den Städten
gefunden werden können. Wir schlagen vor, dies
anhand einiger subtiler Interventionen im städti-
schen Raum zu realisieren. Wie stellen wir uns die-
se Interventionen in der Stadt vor? Denkbar sind
kleine Angebote oder Eyecatcher an öffentlichen
Orten in der Stadt, wie beispielsweise ein Sta-
pel Brennholz, der mit der Aufforderung „Hack
mich!“ und einem Verweis auf Menzenschwand
versehen ist. Oder ein kräftiges Stück Baum-
stamm mit der Notiz „Bearbeite mich!“, welches
auf die Möglichkeiten bildhauerischer Betätigung
in Menzenschwand aufmerksam macht. Weitere
Vorschläge sind der Präsentation zu entnehmen,
da eine vollständige Aufzählung hier den Rahmen
sprengen würde.
Auch das von uns vorgeschlagene Ankommens-
haus könnte in Menzenschwand direkt vor Ort
dazu beitragen, den Besucher auf die lokalen Po-
tentiale aufmerksam zu machen. Vor allem soll es
aber dem Besuchern als erste Anlaufstelle im Dorf
dienen, wo er nach seiner Ankunft alle Informa-
tionen findet, sich bei einer Tasse Kaffee von der
Anreise erholen oder das WC aufsuchen kann,
und sich über die Auslage von lokalen Produk-
ten und Handwerkserzeugnissen dazu inspirieren
lassen kann mit welcher Art Unternehmung er
seinen Aufenthalt in Menzenschwand beginnen
möchte.
fAZITDie Menzenschwander sind sehr gastfreundliche
Leute. Wenn sie wieder an ihre erfolgreichen Jah-
re des Kurtourismus anknüpfen möchten, müssen
sie ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Pas-
siver Mainstream-Tourismus ist für den Ort nicht
das Erfolgskonzept – individuelle, selbstorgani-
sierte und den Besucher aktiv einbeziehende An-
gebote könnten die Zukunft der Menzenschwan-
der Gastfreundschaft sein.
Jurykommentar: „Das Konzept von Leonie We-
ber, Kerstin Mayer und Andreas Ziemann basiert
auf viel Empathie, viel Einfühlungsvermögen für
das Vorhandene. Ihre Neugier hat ihnen eine
große Fülle an lokaler Kraft eröffnet. Demgegen-
über orten sie ein großes Bedürfnis der Städter
nach körperlichem Ausgleich und am Landleben
orientierten Qualtitäten. Das daraus entstehende
Angebot lokaler Kultur ist aber nicht nur auf die
Befriedigung externer Bedürfnisse ausgerichtet,
sondern deren Intensivierung birgt auch vieles
an Kommunikation und Austausch für die Regi-
on selbst. Es geht hier um das Handwerk, die Er-
haltung und Weiterentwicklung von ansässigem
Kulturgut, um die Pflege der Landschaft und des
Bodens. Ihr Konzept ist ein regeneratives, aktives
Modell für Gäste, das viel an Impulsen in der Re-
gion um Menzenschwand und Bernau freisetzen
kann, die beiden Dörfer stimuliert und deshalb zu-
kunftsträchtig ist.“
92
Grafische
Darstellung
des Konzepts.
Sehnsucht der
Städter und
und Potenziale
auf dem Land.
kONZEPT
93
Junge Famili-
en, Studenten
und viele wei-
tere Städter
möchten ger-
ne „Raus aufs
Land“. Städter
suchen:
Kleinteiligkeit,
Natur, Nach-
vollziehbarkeit,
Ganzheit-
lichkeit und
körperliche
Arbeit.
Es gibt viele
bestehende
Beispiele für
die Nachfrage
von Städtern
nach ländli-
chem Raum.
Die Vermäh-
lung von
städtischen
Sehnsüchten
und Schwarz-
wälder
Gastfreund-
schaft.
SEHNSUCHT
94
Die Gemein-
de Menzen-
schwand hat
viele Poten-
ziale, die auf
den ersten
Blick nicht
zu erkennen
sind.
Verschiedene
Angebote an
Kursen und
Workshops,
in denen die
Dorfbewoh-
ner ihr Wis-
sen und ihre
Fertigkeiten
weitergeben.
POTENZIALE
95
Eine Um-
nutzung des
Leerstands
und die
Anpassung
des Angebots
sind not-
wendig. Das
Projekt zeigt
viele Beispiele
auf.
Ein Image-
wandel der
Gemeinde
hin zu einem
zeitgemäßen
Angebot an
die Städter
ist mit einem
neuen Marke-
tingkonzept
möglich.
INTERvENTIONEN
2. PREIS
97
MIx & MENZjOHANNA kOLB, vERENA SCHOISSENgEYR
In den Gemeinden St. Blasien und Ber-nau ist der Fremdenverkehr heute noch ein wichtiger Erwerbszweig, der viele Familien-betriebe und Arbeitsplätze sichert. In den Unterkünften der Gemeinde ist seither ein leichter Übernachtungsrückgang zu beob-achten, der mit kürzeren Aufenthaltszeiten verbunden ist. Der Kurzurlaub und der Wo-chenendaufenthalt gewinnen immer mehr an Bedeutung.
Bei der Analyse des Unterkunftsangebots ist eine
starke Einheitlichkeit des Unterkunftsarten zu be-
merken. Privatzimmer, Pensionen und Hotels wer-
den im 3-Sterne-Segment angeboten: Günstigere
oder exklusive Angebote fehlen nahezu vollstän-
dig. Die Ausstattung der Gästezimmer im Dorf
zeigt ein einheitliches Bild. Massivholzmöbel mit
Schnitzereien, Teppichböden und Schwarzwald-
motive dominieren den Gesamteindruck und spre-
chen durch diesen speziellen Heimatstil auch nur
eine bestimmte Zielgruppe an.
Um die bestehenden Potenziale einzubinden und
zu reaktivieren, bietet unser Projekt mit dem Ho-
telkonzept „Mix & Menz“ eine Kombinations-
und Kommunikationsplattform an, um aus dem
bestehenden Tourismusangebot ein neues, ein-
heitliches und gemeinschaftliches Tourismuskon-
zept zu bilden.
Mix & Menz fasst das vorhandene Angebot zu-
sammen, um es zu einem Null bis Vier-Stern-Ho-
tel zu vereinen. Unterkünfte werden zum Teil
verändert und neue geschaffen, um eine größere
Differenziertheit an Komfort, Ausstattung und
Gestaltungsstil zu erhalten. In das Unterkunfts-
programm werden Leerstände, private Pensionen
sowie Gastbetriebe eingebunden. Das Angebot
spreizt sich von der Übernachtung in der Null-
Stern Scheune, bei der gemeinschaftliche Sani-
täreinheiten im Dorf genutzt werden, bis zum
Vier-Stern Luxus-Apartment im alten renovierten
Schwarzwaldhof.
Das Verpflegungsangebot reicht vom Brötchen-
service, das Picknick am Wunschort oder das
deftige Abendbrot vom Holzbrett bis zum 5-Gän-
ge-Dinner. Für die Freizeitgestaltung besteht ein
großes Angebot aus sportlichen Aktivitäten, kre-
ativen Workshops, kulinarischen Entdeckungen,
Wellnessangeboten und Kinderbetreuung.
Die Gäste wählen ihre gewünschte Unterkunft im
Internet und haben die Möglichkeit, Verpflegung
und Aktivitäten direkt mitzubuchen oder vor Ort
spontan zu entscheiden.
Durch das Hotelkonzept Mix & Menz erhalten die
Gäste die Möglichkeit, ihre Aufenthaltszeit frei
nach ihren Wünschen zu gestalten. Da die Gäste
sich bei ihrem Aufenthalt bei Mix & Menz nicht
nur in ihrer Unterkunft, sondern durch das gan-
ze Dorf bewegen, wird der Ortskern wieder ver-
mehrt bevölkert und eine stärkere Einbindung ins
Ortsleben erzielt. Das Hotel vernetzt das beste-
hende Angebot und die Bewohner des Dorfes auf
einer neuen Ebene und schafft dadurch eine neue
Kommunikationsplattform für das ganze Dorf.
Jurykommentar: „Die Jury war beeindruckt von
der Kraft der Idee und der Konsequenz ihrer Her-
leitung, dem Grad ihrer Durcharbeitung und der
hohen Qualität ihrer Darstellung. Obwohl es sich
bei den Verfasserinnen nicht um Tourismusexper-
tinnen handelt, erscheint die Tiefe und Tragfä-
higkeit des Konzepts als ungeheuer weitreichend
und vielversprechend.“
98
Bestehendes
Angebot an
Unterkünften
in Menzen-
schwand ist
einseitig und
nicht an die
heutigen
Ansprüche
angepasst.
AUSgANgSLAgE
99
kONZEPT
Der Trend zur
Individuali-
sierung von
Städtern wird
im Konzept
aufgegriffen.
Große Vielfalt
an Bedürfnis-
sen, Aktivitäts-
mustern und
ästhetischen
Vorlieben der
Einzelnen muss
sich im Ange-
bot abbilden.
MENZENSCHWAND
100
Die gesamte
Gemeinde
wird zum
Hotel und
Erlebnisraum
mit flexiblen
Angebots-
bausteinen:
Unterkunft,
Verpflegung,
Aktivitäten.
STRATEgIE
101
Bei der
individuellen
zusammen-
stellung
hilft eine
ästhetisch
gestaltete
Broschüre
und eine
Homepage.
V10V10V10BRIAN
CHRISSI FABIAN
MANU PHILIPP RAINER
+++
IM Z
EICHEN DER ANANAS +++
+++ ENANAB RED FPMA
K +
++
SONDERPREIS
103
SONDERPREIS IM ZEICHEN DER ANANASLISA DEIPENBROCk, ALPER kAZOkOgLU, ALExANDER NAUMER
Das Projekt „Im Zeichen der Ananas“ basiert auf einer durchgehend partizipati-ven Idee. Vom ersten Konzept bis zur Durch-führung des Jugendraums haben wir junge und alte Bürger in der Gemeinde Menzen-schwand eingebunden.
Aus einem Mangel an Angeboten für junge Men-
schen in Menzenschwand ist unsere Idee am ers-
ten Abend entstanden. Bei einem Spaziergang
durch das Dorf sind wir mit Jugendlichen ins Ge-
spräch gekommen. Aus dieser Begegnung heraus
wurde die Idee geboren einen Treffpunkt für Ju-
gendliche zu schaffen. Unsere Idee basiert auf der
Bereitschaft der Eigentümer, eine leerstehenden
Immobilie oder einen leerstehenden Raum für
eine Zwischennutzung zur Verfügung zu stellen.
Trotz Anfangsschwierigkeiten haben wir mit Ei-
gentümern von Leerständen verhandelt und für
unsere Idee wichtige Überzeugungsarbeit ge-
leistet. Bei der Zwischenpräsentation am dritten
Tag haben wir mit einem selbstgedrehten Video
die Verantwortlichen der Gemeinden zur Unter-
stützung für unser Vorhaben aufgerufen. Trotz
großer Skepsis hat ein Tag später der Eigentümer
seine alte Scheune zur Verfügung gestellt.
Die leerstehende Scheune befindet sich direkt
an einer wichtigen Verbindungsstraße zwischen
dem Hinterdorf und dem Vorderdorf. Die Scheu-
ne wurde in Szene gesetzt und unsere Projektidee
in den öffentlichen Raum projiziert. Das Projekt
hat im Dorf für Aufmerksamkeit und Impulse
gesorgt. Wir bekamen Strom, Werkzeug, Sach-
spenden zum Bauen und Kuchen aus der Nach-
barschaft. Die außen aufgestellten Liegestühle,
Sitzgruppen und Arbeitsmaterialien führten zu-
sätzlich zu einem Austausch mit vielen Bürgern
und Interessierten. Wir haben die Jugendlichen
von Beginn an in den gesamten Prozess ein-
gebunden. Sie waren sowohl an der Entwick-
lung von Ideen wie auch beim Umbau beteiligt.
Eine wichtige Erkenntnis für uns war, dass die
Arbeit mit Jugendlichen eine gewisse Verantwor-
tung mit sich bringt, die über die reine bauliche
Planung hinausgeht. Wir mussten bestimmte
Rahmenbedingungen definieren: Regeln für die
Nutzung der Räume, Verantwortlichkeiten, Um-
gang mit Werkzeugen, etc. Der Eigentümer hat
nach dem Umbau schließlich den Jugendlichen
den Jugendraum „Im Zeichen der Ananas“ bis
zum Ende der Sommerferien in Selbstverant-
wortung übergeben. Jetzt gilt es, diesen neu
geschaffenen Ort mit Leben und Angeboten für
die Jugendlichen auszufüllen. Um die „Ananas“
zu etablieren und weiterzuführen, braucht es
Menschen, die sich aktiv für den Betrieb und den
Erhalt des Treffpunkts bemühen. Diese Erkennt-
nis ist auch auf andere Leerstände und mögliche
Projekte übertragbar.
Den gesamten Prozess unseres Projektes haben
wir in einer Videodokumentation festgehalten
und bei der Abschlussveranstaltung präsentiert.
Im Vorfeld erschienen in der Lokalpresse und im
SWR Artikel und Berichte.
Jurykommentar: „Die Studierenden haben mit
sehr viel Energie und Mut in nur zehn Tagen
der Sommeruniversität den Bürgern in Menzen-
schwand bewiesen, dass mit geringen finanziel-
len Mitteln und der Bereitschaft einzelner neue
Impulse für das gesamte Dorf geschaffen werden
können.“
104
vIDEODOkUMENTATION
Video mit der
Darstellung
des Beteili-
gungs- und
Umbaupro-
zesses der
leerstehen-
den Scheune.
105
Der Jugend-
raum „Im
Zeichen der
Ananas“ kann
nach dem Um-
bau von den
Jugendlichen
während der
Sommerferien
selbststän-
dig genutzt
werden.
106
ANERkENNUNgEN
AUTHENTISCHE TäLER, AUTARkE REgIONENkATRIN jüLg, THOMAS MODER, SARAH NIETIEDT
BED ‘N‘ jOBjULIA kOLk, jULIA SCHüTZ, CLAUDIA ZIMMERMANN
EASY COMBIHUI-YEN CHEN, BUCHUAN LIU,ANTONIO LANDSBERgER
107
ANERkENNUNgEN
SPORT SCHWARZWALDPHILIPP PEROCk
LEERSTANDSMANAgEMENTOSkAR WALBURg
108
AUTHENTISCHE TäLER, AUTARkE REgIONENkATRIN jüLg, THOMAS MODER, SARAH NIETIEDT
Nach dem Wegfall des Kurtourismus liegt heute der wirtschaftliche Schwerpunkt wie-der beim Holzgewerbe in Bernau, welches sich in Form von zahlreichen Holzbaufirmen etabliert hat. Die gesamte Region benötigt eine Perspektive für die Zukunft. Die zurzeit untergenutzte Landschaft in Verbindung mit der erwarteten Rohstoffknappheit für die Energieerzeugung haben hohes Potenzial.
Unsere Vision für Bernau und Menzenschwand
liegt in der Nutzung erneuerbarer Energien, ge-
nauer: in der autarken Versorgung mit erneuer-
baren Energien für authentische Dörfer. Es gibt
bereits einige Projekte in der Region, die mit
Sonne, Wasser und Biogas Strom und Wärme er-
zeugen. Besonders erwähnenswert sind die Holz-
hackschnitzelanlagen, die der Wärmeversorgung
dienen. Wir möchten vorschlagen, dass die vor-
handenen Potenziale ausgebaut werden, um die
Gemeinden auf dem Energiemarkt zu etablieren.
Bei vielen Bürgern der Region schrillen bei den
Worten „Erneuerbare Energien“ die Alarmglo-
cken, da sie damit die Vorstellung von riesigen
Windräder verbinden, die das Landschaftsbild
verändern. Wir möchten aufzeigen, dass die Nut-
zung erneuerbarer Energien im Einklang mit dem
vorhandenen Landschaftsbild möglich ist. Bei un-
serem Ziel sind Biogasanlagen eine gutes Beispiel.
Die herkömmlichen und meistgenutzten Biogas-
anlagen mit Mais und Viehmist rentieren sich im
Hochschwarzwald allerdings nicht, da der Anbau
von Mais aufgrund der Bodenqualität und des
Klimas nicht wirtschaftlich ist. Passend für diese
Bergregion sind Biogasanlagen, die mit Wiesen-
gras befüllt werden. Dadurch wäre es möglich,
das heutige Landschaftsbild zu erhalten und
gleichzeitig der bisherigen „Landschaftspflege“
einen Sinn zu geben. Die benötigten Wiesenflä-
chen, um die Region autark mit Strom zu versor-
gen, entsprechen der Fläche, die Bernau als land-
wirtschaftliche Fläche besitzt. Weitere alternative
Energiequellen sind vertikale Windkraftanlagen,
die durch diagonale Blätter auch Fall- und Aufwin-
de aufnehmen können oder Wasserkraftschne-
cken, die im Fluss so installiert sind, dass die na-
türlichen Wege der Tiere nicht gestört werden. In
einem ersten Schritt in eine neue Energiezukunft
müssen die Gemeinden untersuchen, welche Ge-
biete für die Nutzung welcher Formen erneuerba-
rer Energien geeignet sind.
Neben der autarken Energieversorgung könnte es
auch ein Ziel sein, dass die Region mehr Energie
produziert als sie selbst verbraucht. Der Über-
schuss könnte verkauft und der Gewinn reinves-
tiert bzw. direkt an die Dorfbewohner weiterge-
geben werden. In einem weiteren Schritt könnte
man versuchen, Pilotprojekte für die Erforschung
neuer Energietechnologien in die Region zu ho-
len. So wie Bernau früher für die Holzschneflerei
bekannt war, könnten die beiden Dörfer sich eine
Expertenstellung in der dezentralen Energiewirt-
schaft im ländlichen Raum erarbeiten.
Jurykommentar: „Die Studierenden greifen ein
hochaktuelles Thema auf und arbeiten sich in kur-
zer Zeit tief in die komplexe Materie ein. Sie stellen
die Vorschläge grafisch überzeugend dar. Die Vor-
schläge sind innovativ und angemessen, sie erfin-
den plakative, bildhafte Begriffe. Das Image einer
energie-autarken Region erscheint tragfähig.“
109
Die unterge-
nutzte Land-
schaft und die
Rohstoff-
knappheit im
Energiesektor
bieten für
Schwarzwald-
gemeinden
hohes Ent-
wicklungspo-
tenzial.
Der Einsatz
von Windrä-
dern führt bei
vielen Men-
schen in der
Region zu Pro-
testen. Neue
Technologien
wie vertikale
Windkraftan-
lagen passen
sich dem
Landschafts-
bild besser an.
Authentische
Täler sind
auch bei einer
Energieaut-
arken Region
möglich.
110
BED ‘N’ jOBjULIA kOLk, jULIA SCHüTZ, CLAUDIA ZIMMERMANN
Die zahlreichen Firmen in Menzen-schwand und Bernau suchen händeringend nach Fachkräften und Lehrlingen. Auffal-lend ist die hohe Anzahl an Berufspend-lern. Nach Angabe der Stadt St.Blasien pen-deln ca. 1030 Menschen in die Gemeinde St. Blasien, 547 Leute arbeiten in den umlie-genden Gemeinden. Ein Imagewandel, der den Schwarzwald auch für jüngere Men-schen attraktiv macht, ist essentiell.
Unser Projekt Bed’n’Job greift diesen Imagewan-
del auf und soll die Entwicklung vom urdeut-
schen Kurtourismus zur modernen Arbeits- und
Wohnregion weiter vorantreiben. Das Bed’n’Job
- Prinzip knüpft zudem an den Fach- und Lehr-
kräftemangel an. Die freien Stellen in den Ge-
meinden sollen mit einer möblierten Unterkunft
zur Miete angeboten werden, die je nach Bedarf
aus einem WG-Zimmer, einem Apartment, einer
Mehrzimmerwohnung oder sogar einem Wohn-
haus bestehen kann. So sollen besonders junge
Leute und Familien zum Leben und Arbeiten auf
Zeit auf dem Land gewonnen werden. Sie haben
durch das Bed’n’Job Angebot die Möglichkeit,
Landleben zu schnuppern, ohne den Druck, „für
immer“ hier bleiben zu müssen.
Verwaltet werden soll Bed’n’Job durch die Agen-
tur „Bed’n’Job - Agentur für Vermittlung“. Diese
sammelt die freien Stellen der Firmen und leitet
sie an die Arbeitsagentur oder Schulen weiter
bzw. veröffentlicht sie im Internet. Weiterhin ver-
fügt die Agentur über eine Wohnungsbaugesell-
schaft, die die Leerstände und damit die Unter-
künfte verwaltet. Die Wohnungsbaugesellschaft
ist Eigentümer der Leerstände.
Entsprechend den jeweiligen Wohnbedürfnissen
ist die Unterbringung bei Bed’n’Job in drei Va-
rianten möglich: Schwarzwald-WG, Single-Woh-
nungen und Familienwohnungen bzw. Häuser.
Alle Wohnformen sind auf Wunsch möbliert, um
Flexibilität zu unterstützen. Als Gemeinschafts-
punkte für die Zugezogenen und Alteingeses-
senen können andere Gebäude oder Räume zu
einem Treffpunkt mit verschiedenen Freizeit-
angeboten (z.B. Sauna, Billard, Fitnessraum...)
umgebaut werden.
Da insbesondere das Vorderdorf stark durch den
Kurtourismus geprägt wurde und hier nun viele
Gebäude leerstehen, sollen hier neue Impulse
gesetzt werden. Die leerstehenden Häuser haben
vielfältige räumliche Strukturen, die für manche
Unterkunftsmöglichkeiten besonders und für
andere weniger gut geeignet sind. Als Beispiel
möchten wir besonders die Häuser, die bereits als
Wohnhäuser oder Ferienwohnungen konzipiert
sind hervorheben. Diese eignen sich gut für Fa-
milien mit Kindern. Manche Gebäude besitzen
besondere Potentiale und Flächen für ergänzende
Nutzungen, z.B. eine Werkstatt in der Scheune,
Atelier, Ladenflächen, Kita, Büroflächen u.ä.. Die-
se können sowohl für Bewohner als auch für das
gesamte Dorf zur Verfügung stehen.
Jurykommentar: „Die Jury sieht in dem Vor-
schlag eine intelligente Auseinandersetzung mit
Beweggründen von Wanderungen und erkennt
über die Gruppe der Zuwandernden hinaus auch
ein Potenzial für die Erhöhung der Wohnbindung
auch von lokalen Auszubildenden, Berufeinsteigern
oder sich gründenden Familien, für welche die
Wohnungsfrage ebenfalls bislang ungelöst bleibt.“
111
Der Rückgang
von Touristen
und der hohe
Mangel an
Fachkräften
stehen sich in
Bernau und
Menzen-
schwand
gegenüber.
Ein Ziel ist es,
Fachkräfte
mit einem
attraktiven
Wohn- und
Arbeitsange-
bot zu locken.
Das Konzept
von Bed ‚n‘
Job vermittelt
zwischen
Angebot und
Nachfrage.
Entsprechend
den Wohn-
bedürfnissen
entstehen
verschiedene
Wohnfor-
men in den
bestehenden
Leerständen.
Azubis Fachkräfte (Pendler, Singles)
Fachkräfte (Familien, Paare)
112
EASY COMBI HUI-YEN CHEN, BUYUAN LIU, ANTONIO LANDSBERgER
Wer nicht mit dem eigenen PKW in Menzenschwand anreist, sondern mit dem Zug, wird direkt bei der Ankunft in der Ge-meinde Aha am Bahnhof mit einem kargen ÖPNV-Angebot konfrontiert. Deshalb hat sich unsere Gruppe mit dem Thema der Mo-bilität in Menzenschwand und Umgebung beschäftigt.
Für Touristen und Bewohner in Menzenschwand
und Bernau ist die Bahnstation Aha der wichtigs-
te Bahnhof in der Umgebung. Der Bus zwischen
Menzenschwand und Aha Bahnhof verkehrt nur
dreimal am Tag. Es kommt noch hinzu, dass die
Ankünfte und Abfahrten von Aha so getaktet
sind, dass Anschlüsse mit dem Zug knapp verpasst
werden. Während die Busse zwischen Menzen-
schwand und St. Blasien nur sehr unregelmäßig
und teilweise mit großem zeitlichen Abstand (ca.
2h) fahren, ist die Linie zwischen St. Blasien und
Bernau deutlich komfortabler. Beide Linien ver-
kehren allerdings nur zwischen 6 Uhr vormittags
und 19 Uhr am Abend. Dass die Linien nur bis 19
Uhr fahren, schränkt die Bewegungsfreiheit stark
ein, wenn man beispielsweise eine Abendver-
anstaltung besuchen möchte, sei es ein Konzert
oder eine Kinoaufführung in einem anderen Ort.
Unser Projekt Easy Comby empfiehlt eine Kom-
bination mehrerer Mobilitätsoptionen als Lösung.
Vernetzt man die bestehenden Strukturen und
stimmt sie besser aufeinander ab, lässt sich mit
relativ geringem Aufwand vieles erreichen. Um
für Touristen und Einwohner das Verkehrsange-
bot gleichermaßen zu verbessern, fokussieren wir
uns auf zwei wichtige Knotenpunkte: den Bahn-
hof Aha und die Bushaltestelle Menzenschwander
Brücke. An diesen Punkten führen wir zwei E-Bike-
Stationen ein. Dadurch erreichen wir bessere Um-
steigebeziehungen. Wir empfehlen zudem eine
zusätzliche Verleihstation am Bahnhof Aha und an
der Menzenschwander Brücke. Kombiniert man
die bestehenden Buslinien mit einem Ruf-Taxi Ser-
vice und den zwei neuen E-Bikestationen, so kann
man ein optimiertes Combi-System schaffen.
Damit dieses System auch funktioniert, muss der
bestehende Fahrradweg von Menzenschwand zur
Menzenschwander Brücke und darüber hinaus
befestigt werden und eine neue Fahrradstrecke
von Menzenschwand nach Aha gebaut werden.
Die Kreuzung Menzenschwander Brücke wird mit
einer autark operierenden E-Bikestation ausge-
stattet, die ausreichend Plätze für die Leihfahr-
räder bietet und in eine Bushaltestelle mit Dach
integriert ist. Dies wäre für die Station in Aha
ebenfalls möglich. Wir sind der Meinung, dass es
auch im Interesse aller Bürger in Menzenschwand
und Bernau ist, das bestehende Mobilitätsange-
bot zu verbessern, um mehr Teilhabe aller durch
erhöhte Erreichbarkeit zu schaffen.
Jurykommentar: „Die „einfache“ Mischung der
bestehenden Verkehrs- und Transportmitteln mit
einem zusätzlichen Mobilitätsangebot ist eine prag-
matische und kluge Lösung. Bestehende Busverbin-
dungen sollen durch ein Fahrradleihsystem ergänzt
werden. Ruftaxis als „Bürgerbusse“ erweitern das
wetterunabhängige Angebot während besucher-
schwachen Zeitspannen. Eine gute Lösung, um die
heutigen Bedürfnisse an den Tourismus auch in
Menzenschwand anzupassen.“
113
Bewohner
und Touristen
haben unter-
schiedliche
und vielfältige
Bedürfnisse
der Mobilität.
Das Easy
Comby System
kombiniert
mit Bus und
Bahn, Ruftaxi,
Gepäcktaxi,
E-Bikes
bestehende
Potenziale. Mit
einem neuen
Radwegenetz
und neuen
Marketingstra-
tegien passt
sich das Ange-
bot gut an die
Nachfrage an.
ZIELgRUPPENANALYSEWelche Gruppen haben welche Bedürfnisse?
OPTIMAL vERkNüPfTE vERkEHRSSYSTEME
114
SPORTSCHWARZWALDPHILIPP PEROCk
SportSchwarzwald: Zukunft einer Regi-on mit Image - Problemen. Dem Schwarzwald kann ein Imageproblem bei jüngeren Touris-ten bescheinigt werden. Der Region haften Attribute an wie „langweilig“ und „altmo-disch“. Diesem Bild entspricht die Alters-struktur der Übernachtungsgäste.
Will die Region im Wettbewerb um Touristen in
dieser für sie so wichtigen Branche nicht weiter
zurückfallen, muss sie sich bei einer jungen Ziel-
gruppe neu positionieren und profilieren. Für den
Schwarzwald bedeutet das zum Einen nach dem
Kurtourismus ein neues Thema und eine neue
Zielgruppe als Perspektive für den regionalen Tou-
rismus zu finden. Zum Anderen muss dieses neue
Thema auch inhaltlich gefüllt und umgesetzt wer-
den, sich also räumlich in konkreten Angeboten
widerspiegeln, damit das Imagemarketing tat-
sächlich mehr ist als bloße Werbung.
Auf der Suche nach einem neuen Thema ist für
den Schwarzwald zunächst festzustellen, dass das
bisherige Imagemarketing meist dazu tendiert, ei-
nen Bezug zur geografischen Region herzustellen
(Hochschwarzwald, Südschwarzwald, Münster-
tal, etc.). Nachteilig an diesen Regionalimages ist
jedoch, dass das Bild der Gesamtregion Schwarz-
wald bereits besetzt ist mit den zuvor beschriebe-
nen Attributen, die dem Ansprechen einer jungen
Zielgruppe zum Nachteil gereichen. Ein Ausweg in
der Imagebildung bietet die Abkehr vom Regions-
bezug und Herstellung eines Aktivitätsbezugs. Ei-
nen auffälligen Anknüpfungspunkt vor Ort stellen
im Sommertourismus neben den Wanderern aller
Altersgruppen bereits zahlreiche junge Moun-
tainbiker und Nutzer anderer Trendsportarten wie
etwa Paragliding dar. Der Terminus Sport weckt
für die für den Imagewandel der Region wün-
schenswerten Assoziationen: Aktivität, Jugend-
lichkeit, Modernität. Folgerichtig eröffnet der
Sport das ideale Thema des Imagemarketings mit
der neuen Regionalmarke „SportSchwarzwald“.
Damit die Marke SportSchwarzwald mehr wird
als Werbung, muss sie das Versprechen Sport al-
lerdings auch inhaltlich einhalten, durch Stärkung
und Ausbau vorhandener Angebote, durch die
Vernetzung von Angeboten und deren räumli-
cher Akzentuierung, die den Imagewandel örtlich
sicht- und erlebbar machen.
Anlaufstellen in den einzelnen Ortsteilen sind
die Dorfstationen der Marke SportSchwarzwald,
die als ein neues bauliches Element im Ortsbild
den Imagewandel funktional und gestalterisch
unterstützen. Funktional als örtliche zentrale Hal-
testelle der SportBusse und durch umfangreiche
Dienstleistungen zum Sport, wie etwa digitale
Terminals mit lokalen und regionalen Informatio-
nen zum Sportangebot, Kartenmaterial und Rou-
tenvorschlägen, Übernachtung und Gastronomie,
Wasser, Werkzeugservice, Internet, Strom für Mo-
biltelefone. Daneben ist die Dorfstation Botschaf-
ter der Marke SportSchwarzwald und des mit ihr
verbundenen Imagewandels durch ihre architek-
tonische Gestaltung.
Jurykommentar: „Die Arbeit von Philipp Perock
hat die am weitesten entwickelte architektonische
Dimension. Durch heimisches Material wie Holz-
schindel und Brett soll der Ortsbezug hergestellt
werden. Ingesamt ein sehr wertvoller Beitrag zum
Thema des Imagewandels, der mit Mut, Entschlos-
senheit und innovativen Ideen gelingen kann.“
115
Ein Image-
wandel wird
durch das hin-
zufügen von
räumlichen
und baulichen
Elementen
erweitert.
Das Bild eines
„langweiligen“
und „alt-
modischen“
Schwarzwald
kann mit eine
gezielte Star-
tegie zu einem
Imagewandel
führen. Die
bestehenden
Outdoor Sport-
möglichkeiten
bieten großes
Potenzial.
STRATEgIEN ZUM IMAgEWANDEL
RäUMLICHE kONZEPTION
Vernetzung und Ortsbildung
Dorfstationen: Orte des Imagewandels
116
LEERSTANDSMANAgEMENTOSkAR WALBURg
In der Gemeinde Bernau und Menzen-schwand stellt der Leerstand von Gebäuden eine große Herausforderung dar. Leerstehen-de Gebäude sind in vielen Orten im ganzen Südschwarzwald vorzufinden.
Das von mir entwickelte Konzept des inter-
kommunalen Leerstandsmanagement sieht vor,
nicht etwas komplett neu zu erfinden, sondern
es soll auf dem bisher geleisteten aufbauen und
dieses weiterentwickeln. Als Beispiel nutze ich
für mein Projekt die Erkenntnisse des LEADER+
Projekt von 33 Gemeinden des Südschwarzwalds
„Schwarzwaldort – Lebensort“. Die Idee ist, dass
schon ausgeführte interkommunale Ansätze der
Leerstandbewältigung bzw. die Aktivierung in-
nerörtlicher Potenziale keine temporäre Erschei-
nung bleiben, sondern langfristig fortgeführt
werden. Das Ziel ist die Kräfte aller Akteure zu
bündeln, voneinander zu profitieren und eine
gemeinsame Informationsplattform bzw. Da-
tenbank für das Leerstandsmanagement auf-
zubauen. Das Management soll auf drei Ebe-
nen agieren: interkommunales Leerstandsbüro
(ikLb), Handlungskonzepte, Strategien der Be-
wusstseinsbildung.
Das ikLb soll den Kommunen mit Rat und Tat be-
hilflich sein sowie bei der Bewusstseinsbildung
helfen bzw. durch eigene oder gemeinsame
Maßnahmen die Bewusstseinsbildung forcie-
ren. Das ikLb soll eine interkommunale Daten-
bank entwickeln, welche mehrere Bestandteile
hat. Die Datenbank soll Bereiche enthalten, die
für jedermann online einsehbar sind, aber auch
Bereiche, die nur für die Verwaltungen abrufbar
sind. Online verfügbar sein soll eine Gebäude-
börse, in der alle zum Verkauf stehenden oder
mietbaren Objekte und Grundstücke der Regi-
on über ein geographisches Informationssystem
abrufbar sind. So kann jeder mittels einer Karte
nach verfügbaren Objekten suchen und durch
einen Klick auf der Karte weitere wichtige Infor-
mationen dazu erhalten. Durch diese zentrale
Plattform erhält die Vermarktung ein ganz an-
deres Gewicht. Des weiteren soll die Datenbank
gelungene Aktivierungsbeispiele, eine Samm-
lung von Hinweisen und Unterlagen zur Mo-
dernisierung, Miet- und Kaufgesuche oder auch
Kontaktlisten zu Gutachtern, Architekten usw.
enthalten. Die Online-Datenbank soll übersicht-
lich gestaltet sein und die wichtigsten Informati-
onen gebündelt bereitstellen. In der Datenbank
soll nur für die Verwaltungen abrufbar eine voll-
ständige Leerstandskartierung (alle Leerstände
incl. derer, deren Eigentümer nicht verkaufen
wollen) enthalten sein, die zudem durch eine
Kartierung potenziell zukünftiger Leerstände
ergänzt werden könnte. Weitere Aufgaben des
ikLb sind die Erstellung einer Leerstandsfibel,
Hilfestellungen zur Weiterbildung der Verwal-
tungen, Vernetzung von Akteuren und Kom-
munen, die Initiierung und Koordination von
Arbeitskreisen, Monitoring und Auskunft der
Fördermöglichkeiten oder Einführung einer tur-
nusmäßigen Bürgermeisterkonferenz zum ge-
genseitigen Erfahrungsaustausch.
Jurykommentar: „Der Beitrag zeigt den vielver-
sprechenden Ansatz einer kommunalen Koopera-
tion und einer effektiven Bündelung von Kompe-
tenzen in einer eigenständigen organisatorischen
Einheit. Auch entspricht insgesamt die Fülle der
Einzelvorschläge der Komplexität des Themas.“
117
Bestehende
Konzepte im
Leerstands-
management
sollen durch
Unterstüt-
zung einer
Internetplatt-
form erweitert
werden. Die
Vernetzung
von Akteuren,
Hilfestel-
lungen für
Interessenten,
Auskunft und
Beispieldar-
stellungen
ergänzen das
Angebot.
INTERkOMMUNALES LEERSTANDSMANAgEMENT
RESüMEE
119
vIELfALT, HALTUNg UND fLUgHöHEköBI gANTENBEIN
Heute Morgen in der Frühe fuhr ich mit der Eisenbahn von Freiburg nach Aha. So heisst die nächste Station zu Menzen-schwand. Diese reizende Bahnfahrt ist eine Einführung in die Schönheit und die Lehre der Vielfalt, der kulturellen und gesellschaft-lichen Vielfalt zuerst.
Der Bahnhof Freiburg ist ein ICE-Mocken, feist,
konsumgeladen und selbstbewusst, je weiter die
«Höllentalbahn», wie der Regionalzug hier heisst,
fährt, umso mehr wird sie zum Bähnli, bald schon
rottelt und rüttelt es und hat nur noch ein Gelei-
se statt der Vielfachtrassen der Metropole. Seine
Stationen werden zu Bahnhöfli mit wunderschö-
nen Namen wie «Himmelreich». Und entspre-
chender Architektur: Die Normschilder der Deut-
schen Bahn haben die handgemalten Buchstaben
noch nicht verdrängen, das Industrial Design
noch nicht die hölzernen Laubsägeli-Fassaden der
Stationsgebäude verjagen können. Und statt ex-
pressschnell geht’s langsam aufwärts bis auf 1000
m.ü.M. So hat der Passagier Zeit, nicht nur die kul-
turelle Differenz des Bahnapparates zu würdigen,
sondern auch aus dem Fenster zu schauen: Grün
in aller Vielfalt – hell-, linden-, blau-, gelb- und
dunkelgrün. Und natürlich schwarzgrün, denn
wir sind ja im Schwarzwald, wo der Tannhäuser,
das Glasmännchen und der Kohlenmunk-Peter
wohnen. Diese natürlich gewachsene Schönheit
der Vielfalt, diese berückende Grünorgie, dieser
frühherbstliche Farbentanz.
Vielfalt heisst die erste Bemerkung zur Würdigung
der neun Arbeiten. Vielfalt an Themen von der Bil-
dung zum Wohnungsmarkt, von den Grundlagen
des Planermetiers zum Tourismus. Der ist in sich
vielfältig. Wir treffen auf den romantischen Frem-
denverkehr von Stadtkind, Heidi & Geissenpeter
und auf den Tourismus für die Sportskanonen.
Und Vielfalt in den Arbeiten. Die Studenten sind
keine ideologisch vernagelten Besserwisser, sie
untersuchen das Dorf von allen Seiten her und
probieren viele Perspektiven. Sie stellen ihre Er-
kenntnisse vielfältig dar – oft virtuos mit der
Zeichnung, der Tabelle, dem Diagramm, dem Co-
mic, der Collage, ja gar dem Film.
HALTUNgENPlanung und Architektur können zynische Ge-
schäfte sein. Es geht um viel Geld, um Macht, um
Spekulation und die Profite werden rücksichtslos
durchgesetzt und eingetrieben. Planerinnen sind
Rädchen in einem Geld- und Machtgefüge und
es sind nicht wenige, die dieses munter anheizen
und mit Mackergesten grossartige Würfe in Städ-
te pflanzen und übers Land leeren.
Es ist rührend – die gut zwei Dutzend Studentin-
nen und Studenten sind anders. Sie sind wahrhaf-
tig und getragen von heiligem Ernst. Sie wollen
«einen Beitrag leisten», sie wollen den Erdball
verbessern, sie glauben an den «andern Weg»
und wollen ihn. Angewiesen aber von ihren Pro-
fessorinnen und Professoren, denen es ein Anlie-
gen ist, dass man ihre Studierenden dann auch
brauchen kann draussen vor der Schultüre, setzen
sie all diese Ernsthaftigkeit und Weltreform um
mit den Mitteln des Metiers – der Analyse, dem
Entwurf, der Darstellung.
Die Ernsthaftigkeit kreist immer um den Bestand.
Die Studentinnen untersuchen sorgsam, was da
ist, sie drehen Steine um wie die Archäologen auf
der Akropolis, damit nichts zu Schaden komme.
120
Sie haben große Neugier für die sozialen, histori-
schen und wirtschaftlichen Geschichten. Und für
die Leute, die sie so gastlich empfangen haben
auf dem Land. Sie haben den Auslauf aufs Land
auch genutzt, um sich von ihrem ureigenen Ge-
schäft, dem Urteil für gestalterisch-künstlerische
Güte zu entlasten – Kritik an all den architektoni-
schen Schönheiten und Hässlichkeiten von Men-
zenschwand gab es ebenso wenig wie Entwürfe
zu diesem Thema verbindlich geworden wären.
Das ist sehr wohl zu akzeptieren, denn in zehn
Tagen war genug zu tun, um die Konzepte mit
Wahrhaftigkeit zu grundieren und mit reformeri-
schem Glanz zu polieren.
«Studenten! Vergesst diese Ernsthaftigkeit, die-
sen Willen zum Guten und den Glauben, dass
das «Andere» sehr wohl machbar ist, nicht. Ihr
springt nach dem Diplom hinein in den Teich des
real existierenden Planens und Bauens. Er ist voller
Hai- und Schwertfische. Bleibt sensibel und macht
Musik wie die Vögel im Schwarzwald»
DIE fLUgHöHEKeine Arbeit repetiert einfach das, was die Stu-
dentin halt können muss, wenn sie das Diplom
bestehen will. Keine Arbeit betet nur den Kanon
herunter. Keine verliert sich in der Demut vor dem
Millimeter und der Entzückung am gestalteri-
schen Detail – so essentiell und unbedingt diese
zwei Haltungen und Können für jeden aufrichti-
gen Architekten sind. Die Studenten aber haben
ihre Flügel in diesen zehn Tagen aufgespannt und
sind hoch über ihre Felder hinaus geflogen. Man
sah, dass sie schwankten und nach Luft schnapp-
ten ab und zu – aber wie gewiefte Piloten dies
tun, liessen sie das lieber niemanden merken.
So flogen die Studentinnen hinauf in die dünnen
Lüfte des Marketings, wagten sich kühn – und
erfolgreich – in die Geschäfte der Grafik oder
probierten den Überblick des Verkehrsplaners.
Eindrücklich bewährten sie sich als Kurdirektorin-
nen, Energieplaner oder Tourismusexpertinnen als
hätten sie nie etwas anderes studiert und wagten
gar den Luftsprung in die Sozialpädagogik, weit
weg von allem Planzeichnen 1:100 mit jungen
Menzenschwanderinnen und -schwandern Tatsa-
chen bauend – ein Jugendhaus aus einem nicht
mehr gebrauchten Stall.
Keine Hochfliegerin ist über fremdem Feld abge-
stürzt, alle haben ihren Flug zu eleganter Landung
gebracht. Hohe Flüge zu wagen braucht Mut und
ist essentiell für jede Ausbildung; hoch fliegende
Studentinnen sind auch ein Lob an ihre Professo-
ren, die in diesen Schwarzwald-Tagen den Luft-
flug ermuntert, zugelassen, und gefördert haben
– und das Netz ausgespannt, wenn die Böen eine
Hochfliegerin zu zerzausen drohte.
Köbi Gantenbein,Chefredakteur Hochparterre
Abb. 69:
Gruppe
WerkRaum
während einer
Betreuung
121
WANDEL gESTALTENkERSTIN gOTHE, jOHANN jESSEN, ANTjE STOkMAN
Die Lehrenden fassen die Ergebnisse der Sommeruniversität UPDATE Schwarzwald in 10 Thesen zusammen, die den Bürgermeistern und Akteuren vor Ort als Handlungsempfeh-lung dienen sollen. In den Thesen scheint die Komplexität und Vielfalt der studentischen Ergebnisse und der Fachvorträge auf:
1. Die Besonderheiten von Bernau und Menzenschwand nutzenDie Landschaft des Schwarzwalds, das ein-
drucksvolle tradierte Ortsbild, die Stille und Ab-
geschiedenheit des Tales bei gleichzeitiger Nähe
zu Tourismuszentren und attraktiven Städten wie
Freiburg und Basel. Damit haben die Orte genau
das, was viele Menschen sich wünschen und wo-
nach sie sich sehnen: Ländliche Ruhe in schöner
Umgebung bei erreichbarer städtischer Vielfalt.
2. Neue Formen der Gastgeberkultur entwickeln Ein vielfältigeres Spektrum an Unterkünften
(0 bis 4 Sterne), an Gastronomie und an Freizeit-
aktivitäten, um einen größeren Adressatenkreis zu
erreichen; stärkere Einbindung in die Angebote
der benachbarten Tourismuszentren Schluchsee
und Feldberg.
3. Nicht nur Tourismus! Es gibt eine wachsende Nachfrage von Städtern nach Auszeiten Rückzug für intensive Arbeitsphasen; Arbeits-
plätze an unterschiedlichen Standorten; Zeit für
die Pflege intensiver Hobbies usw. Hier sind An-
gebote auch in den sonst nachfrageschwächeren
Jahreszeiten attraktiv.
4. An der Energiewende teilhaben und sie mitgestalten Umstellen auf landschaftsangepasste, auf lokale
Kreisläufe ausgerichtete Konzepte der Energie-
erzeugung (ortsspezifischer Mix aus Wasserkraft,
Windenergie, Bioenergie und/oder Solarenergie),
Erhaltung der Kulturlandschaft Schwarzwald
auch durch Energiewirtschaft.
5. Erreichbarkeit und Anbindung verbessern Lücken in der ÖPNV-Versorgung durch Nutzung
neuer Organisationsformen und Technologien
(E-Bike, Car-Sharing, Ruftaxi etc.) schließen! Leis-
tungsfähige Datennetze müssen überall zugäng-
lich sein.
6. Unterschiedliche Strategien, um Leerstände zu aktivieren und Nachfrage und Angebot bei den Immobilien zusammenzubringenFür die großen, heute schon zum Verkauf ste-
henden Objekte wie leerstehende Kliniken oder
Hotels regionale Immobilienmessen veranstalten:
Expo Real Schwarzwald! Auch ortsferne Insti-
tutionen wie zum Beispiel Universitäten, große
Unternehmen und Verbände als Investoren oder
Abb. 70:
Jugendher-
berge in altem
Schwarzwald-
haus in Men-
zenschwand
122
Nutzer für die Umnutzung der Leerstände anspre-
chen. Kultur der Kooperation entwickeln: Für die
vielen übrigen Objekte des Leerstands überlokal
organisierte Tage der offenen Scheunen oder
Leerstandsbörsen durchführen und neue Nachfra-
gegruppen ansprechen. Gerade große Höfe über-
fordern oft einen einzelnen Haushalt. Gemeinsam
mit anderen geeignete Nutzungs- und Finanzie-
rungsmodelle finden. Bauherrengemeinschaften
für Gruppenwohnprojekte im Schwarzwalddorf
– um neue Wohnformen in großen Kubaturen zu
ermöglichen.
7. Offenheit für temporäre Nutzungen Anreize geben, Leerstände und untergenutz-
te Bauten durch vorläufige oder befristete Nut-
zungen ins Gespräch zu bringen, probeweise zu
nutzen und zu aktivieren! Das Bereitstellen von
Raum für solche Aktivitäten als vorbildlich für die
Entwicklung der Dorfgemeinschaft auszeichnen
und unterstützen. Bauten leer stehen zu lassen
ist keine Privatsache, sondern eine Angelegenheit
des ganzen Dorfes.
8. Raum und Gelegenheit für Menschen mit Engagement, Energien und Ideen bietenBegabungen und Talente der Bewohner fördern,
die gut ausgebildete Enkelgeneration zur Rück-
kehr ermutigen, Raumpioniere anlocken! Patch-
Work-Existenzen (moderne Formen gemischter
Einkommen) ermöglichen!
9. Dörfliche Gemeinschaftseinrichtungen anreichern und hierfür den Leerstand nutzenWenn sich allmählich die Bewohner- und Besu-
cherstruktur ändert, werden auch andere An-
forderungen an die gemeinschaftlich genutzten
Einrichtungen gestellt – von den Touristen, von
den temporären Bewohnern und den Neuhin-
zugezogenen. Das neue Jugendhaus könnte ein
erster Anfang sein. Selbst organisierte Gemein-
schaftseinrichtungen fördern und interkommunal
vernetzen.
10. Baukultur Schwarzwald weiter stärken Bernau und Menzenschwand mit ihrer einzigarti-
gen historischen Bausubstanz können von jeder
Stärkung der regionalen Baukultur profitieren.
Umbauten und Neubauten sollten daher durch
hohe architektonische Qualität und verantwortli-
chem Umgang mit der historischen Bausubstanz
das Ortsbild bereichern. Die regionalen Wert-
schöpfungsketten von der Holzwirtschaft, über
Sägerei und Zimmerei bis zum Innenausbau sind
zu stärken.
Prof. Kerstin Gothe,KIT Karlsruhe Institut für Technologie
Prof. Johann Jessen,Universität Stuttgart
Prof. Antje Stokman,Universität Stuttgart
123
ANHANg
125
PRESSE
Abb. 71:
Im Zeitraum
der Som-
meruni sind
verschiedene
Zeitungsartikel
in der
lokalen Presse
erschienen.
126
öffENLTICHkEITSMATERIALIEN
Abb. 72:
Flyer und
Briefkasten-
einwurf mit
Ankündigung
der Sommer-
Universität
an die Bürger
von Bernau
und Menzen-
schwand
Vorträge im rahmen
der Sommeruni
09.08., 20.00 uhrSüdschwarzwälder architektur – Kontinuität im Wandel
Florian Rauch, Basler Bauforscher und Architekt, ist in seiner Arbeit inspiriert von den tradierten
regionalen Konstruktions- und Gestaltungsprinzipien. Aus diesem reichhaltigen Fundus nährt sich
sein nach vorne gewandtes Architekturschaffen. Ort: Forum Erlebnis: Holz, Bernau-Oberlehen
10.08., 20.00 uhrFerne nähe - Kunst als Faktor der regionalen entwicklung
Prof. Dr. Hermann Voesgen, Professor für Kultur und Projektarbeit im Studiengang Kulturarbeit der
Fachhochschule Potsdam, stellt Projekte vor, die lokale Traditionen aufgreifen, sie mit dem Wandel
in Bezug setzen und Perspektiven erproben. Ort: Kurhaus Menzenschwand
11.08., 20.00 uhr Schwarzwald, woher kommst du, wohin gehst du?
Prof. Dr. Hansjörg Küster, Professor für Pflanzenökologie am Institut für Geobotanik der Leibniz
Universität Hannover, gibt einen Überblick über die Entstehungsgeschichte der Schwarzwaldland-
schaft und zeigt Szenarien auf, wohin sich der Schwarzwald infolge des Strukturwandels entwi-
ckeln könnte – oder sollte. Ort: Kurhaus Menzenschwand
13.08., 20.00 uhr Learning from Switzerland
Prof. Christian Wagner, Professor für Ortsbildentwicklung und Siedlungsplanung an der Hochschule
für Technik und Wirtschaft in Chur, berichtet über erfolgreiche Projekte der Ortsentwicklung in der
Schweiz und über die Lehren, die daraus zu ziehen sind. Ort: Kurhaus Menzenschwand
15.08., 20.00 uhr der reigen - Bregenzerwälder Baukunst im Spiegel der Zeit
Marina Hämmerle, Direktorin des Vorarlberger Architektur Instituts, entführt in den Bregenzer-
wald. Weniger ist mehr – das Motto der Vorarlberger Architektur. Aus Zeiten der Kargheit in die
Zeiten der Fülle gerettet, unterlegt es die Kulturleistung einer ganzen Region und gibt dem eigenen
Selbstverständnis Körper und Hülle. Ort: Kurhaus Menzenschwand
17.08., 18.00 uhr Vorstellung der arbeiten und Preisvergabe
Die von den Studierenden verschiedener Hochschulen erarbeiteten Konzepte, wie dem Struktur-
wandel in der Region begegnet werden kann, werden präsentiert und die besten Arbeiten von
einer Jury prämiert. Ort: Kurhaus Menzenschwand
in Bernau und menZenSchWand
09 – 17.8.2012
Sommeruni 2012
Wir danken unseren Spendern:
Dieses Projekt wird gefördert durch den Naturpark Süd-
schwarzwald mit Mitteln des Landes Baden-Württemberg,
der Lotterie Glücksspirale und der Europäischen Union
(ELER) sowie durch die beiden Gemeinden Bernau und
St. Blasien.
Wir laden alle Bürger und gäste des Süd-
schwarzwaldes zu Vorträgen ein, die im
rahmen unserer Sommeruni gehalten
werden. Wir möchten die Stärken der Region und
die Chancen des Strukturwandels mit Ihnen gemein-
sam diskutieren.Bei der Sommeruni in Menzenschwand und Bernau
werden sich ca. 20 Studierende der Architektur und
Stadtplanung 10 Tage lang vor Ort mit den beiden
Tälern beschäftigen und Vorschläge für die Entwick-
lung der Dörfer und Gebäude erarbeiten. Die Sommeruni wird veranstaltet vom Fachgebiet
Regionalplanung und Bauen im Ländlichen Raum
am KIT (Karlsruher Institut für Technologie) und vom
Städtebau-Institut der Universität Stuttgart. Sie führt
fortgeschrittene Studierende der Architektur und
Stadtplanung aus verschiedenen Hochschulen des
deutschsprachigen Raumes zusammen.Fachgebiet für Regionalplanung und Bauen im
Ländlichen Raum, Architekturfakultät am KIT
http://rbl.iesl.kit.edu/
WALD
UPDATE SCHWARZ
SOMMERUNI
SOMMERUNI 2012
UPDATE
SCHWARZWALDBewerbung
bis zum 15.6.2012 an: [email protected]
Voraussetzungen: Abgeschlossenes Vordiplom
oder Bachelor in der Fachrichtung Architektur/
Städtebau/Stadtplanung/Landschaftsplanung.
Bitte einen kurzen Lebenslauf und max. zwei Seiten
über Vorarbeiten oder Fähigkeiten beifügen, die
Sie in das Projekt mitbringen.
Gruppengröße: max. 40 Studierende
Unkostenbeitrag ca. 250 € für Unterkunft
und Verpflegung
Anerkennung: 3 ECTS als Wahlfach oder Stegreif
FG Regionalplanung und Bauen
im Ländlichen Raum
Institut Entwerfen von Stadt und Landschaft
Fakultät für Architektur
Karlsruher Institut für Technologie
Weitere Informationen:
rbl.iesl.kit.edu/sommerunimenzenschwand2012.php
www.facebook.com/events/353281614703479/
IN MENZENSCHWAND8.8 – 17.8.2012
Veranstalter
Fakultät für Architektur, KIT
in Kooperation mit der Universität Stuttgart
SCHWARZWALDIDyLL
IM STRUkTURWANDEL
SOMMERUNI IN
MENZENSCHWAND
8.8 – 17.8.2012
Schwarzwaldidyll im Strukturwandel – Bernau und Men-
zenschwand packen’s an! Die beiden benachbarten Orte
liegen inmitten der spektakulären Landschaft des Süd-
schwarzwalds, doch die tiefgreifenden Veränderungen
in der Landwirtschaft, im Tourismus und Gesundheits-
wesen haben ihre Spuren hinterlassen: Schwarzwaldhof
und Schwarzwaldklinik – das war einmal. Viele Höfe
werden nicht mehr bewirtschaftet und stehen leer, die
Kliniken sind nach diversen Gesundheitsreformen insol-
vent, die Orte leiden unter dem Verlust ihrer Arbeitgeber
und Touristenmagnete. Was nun?
In der Sommeruni werden Visionen erarbeitet, um die
bemerkenswerten Potenziale der Orte zu mobilisieren,
den ungewöhnlichen Baubestand zu reaktivieren und
innovative Nutzungsformen für den Naturpark Süd-
schwarzwald zu entwickeln.
BERNAU UND
MENZENSCHWAND
PACkEN’S AN.
Dieses Projekt wird gefördert durch den Naturpark
Südschwarzwald mit Mitteln des Landes Baden-
Württemberg, der Lotterie Glücksspirale und der
Europäischen Union (ELER).
Die Kliniken: Warten die großen Bauvolumen viel-
leicht nur auf neue Nutzungsformen, um wieder zu
einem Motor für die Entwicklung der Orte zu werden?
Die Schwarzwaldhäuser: Wahrzeichen der Region
oder nur noch Kulisse? Wie können sie als lebendiger
Bestandteil einer regionalen Baukultur weiterentwickelt
werden?
Die Neubauten: Müssen sie an den an den Ortsrän-
dern stehen oder können die Orte im Inneren verdichtet
werden? Wie verändert sich das Ortsbild durch die Neu-
bauten? Welche Rolle kann das heimische Holz als Bau-
stoff spielen?
Die Orte: Wie können sie sich in ihren Profilen ergän-
zen? Welche Chancen ergeben sich aus der Zusammen-
arbeit der beiden Dörfer?
Die Landschaft: Was wird aus der Kulturlandschaft
des Naturparks Südschwarzwald nach dem Struktur-
wandel in der Landwirtschaft und welche Rolle spielt
dabei das Hinterwälder Rind?
Die Sommeruni in Menzenschwand soll hierzu innovative
Lösungen entwickeln, die durch gründliche Auseinander-
setzung mit dem Gebiet sowie durch intensive Diskussion
der Studierenden untereinander und mit den Lehrenden
fundiert sind. Die Gemeinden, der Naturpark Südschwarz-
wald, das Netzwerk der Hofeigentümer und andere Ak-
teure vor Ort sind in die Vorbereitung eingebunden.
Leerstände in alten und neuen Schwarzwaldhäusern,
Schwarzwaldkliniken in der Insolvenz, sterbende Gast-
höfe – und andererseits neue und nichtssagende Wohn-
häuser an den Ortsrändern. Die durch die Anforderungen
der Landwirtschaft und des Kurbetriebs geformte bau-
liche Struktur der Schwarzwalddörfer scheint nicht mehr
zu den verbliebenen Nutzungen zu passen. Eine Klinik
mit 130 Betten in einem Dorf von gerade mal 700 Ein-
wohnern – wer braucht das, und wozu? Die gleiche
Frage trifft die Wirtschaftsteile der Schwarzwaldhöfe, die
meist etwa zwei Drittel des Gebäudevolumens ausma-
chen und heute keine Nutzung haben. Und der Wohn-
teil, das verbleibende Drittel, das von außen so urgemüt-
lich scheint, ist im Inneren heutigen Komfortansprüchen
völlig fremd: Es zieht, es ist dunkel, die Deckenhöhe ist
unter zwei Metern – kaum einer möchte dort einen langen
Schwarzwaldwinter verbringen, trotz Kachelofen.
Doch jeder Krise wohnt ein Zauber inne – stecken in die-
sen Schwarzwalddörfern nicht ungeahnte Potenziale?
Wo sonst finden wir heute so viel Raum für innovative
Konzepte?
UPDATE SCHWARZ-
WALD – EIN IDyLL IM
STRUkTURWANDEL
-
-
-
Prof. Kerstin Gothe und Philipp Dechow, FG Regional-
planung und Bauen im Ländlichen Raum, KIT
Prof. Johann Jessen und Luigi Pantisano,
Städtebau-Institut Uni Stuttgart
Prof. Antje Stokmann und Johannes Jörg, Institut für
Landschaftsplanung und Ökologie, Uni Stuttgart
Marina Hämmerle (Geschäftsführerin des VAI
Vorarlberger Architekturinstitut)
Köbi Gantenbein (Chefredakteur der Zeitschrift
Hochparterre)
Prof. Mark Michaeli (Lehrstuhl für Nachhaltige
Entwicklung von Stadt und Land, TU München)
Prof. Christian Wagner (Lehrstuhl für Ortsbildentwick-
lung und Siedlungsplanung, HTW Chur)
Vertreter des Naturparks Südschwarzwald sowie der
Gemeinden
-
-
-
-
-
Eine Busexkursion zu interessanten Projekten im Natur-
park Südschwarzwald und öffentliche Abendvorträge
geben Impulse und verknüpfen die örtliche Diskussion
und die Sommeruni. Die Ergebnisse werden von einer
Jury bewertet und am letzten Abend öffentlich präsen-
tiert und diskutiert. Es werden Preisgelder vergeben.
Betreuung der Sommeruni
Abendvorträge, Gastkritik, Mitglieder der Jury:
RahmenpRogRamm deR
SommeRuni in BeRnau
und menZenSChWand
SommeRuni 2012
Dieses Projekt wird gefördert durch den Naturpark Süd-
schwarzwald mit Mitteln des Landes Baden-Württemberg,
der Lotterie Glücksspirale und der Europäischen Union
(ELER) sowie durch die beiden Gemeinden Bernau und
St. Blasien.
Wir danken unseren Spendern:
Fachgebiet für Regionalplanung
und Bauen im Ländlichen Raum
Architekturfakultät am KIT
http://rbl.iesl.kit.edu/
Wir laden alle Bürger und gäste des Süd-
schwarzwaldes zu Vorträgen ein, die im Rah-
men unserer Sommeruni gehalten werden.
Wir möchten die Stärken der Region und die Chancen des
Strukturwandels mit Ihnen gemeinsam diskutieren.
Bei der Sommeruni in Menzenschwand und Bernau werden
sich ca. 20 Studierende der Architektur und Stadtplanung
10 Tage lang vor Ort mit den beiden Tälern beschäftigen
und Vorschläge für die Entwicklung der Dörfer und Gebäude
erarbeiten.
Die Sommeruni wird veranstaltet vom Fachgebiet Regional-
planung und Bauen im Ländlichen Raum am KIT (Karlsru-
her Institut für Technologie) und vom Städtebau-Institut der
Universität Stuttgart. Sie führt fortgeschrittene Studierende
der Architektur und Stadtplanung aus verschiedenen Hoch-
schulen des deutschsprachigen Raumes zusammen.
127
Abb. 73:
Facebook-
Seite zur
Sommeruni
128
QUELLEN
Burckhardt, Lucius: Warum ist Landschaft schön. Die Spaziergängerwissenschaft. Martin Schmitz
Verlag, Berlin 2006: 92.
Dannebeck, Sandra; Hoppe, Ansgar; Küster, Hansjörg; McCracken, David: Einflussfaktoren auf Kul-
turlandschaften: ein Überblick. In: Krzywinski, Knut; O’Connell, Michael; Küster, Hansjörg (Hrsg.): Wo
Demeter ihre Felder hat und Pan zuhause ist: Europäische Kulturlandschaften. Bremen 2009, 47-54.
Föhl, Patrick; Neisener, Iken: Kulturkonzept für den regionalen Wachstumskern (RWK) Prignitz,
Studiengang Kulturarbeit der Fachhochschule Potsdam 2009.
Innerschweizer Heimatschutz: Kriterien zur Förderung qualitätvollen Bauens. Luzern 2008.
Krause, Werner: Zur Kenntnis der Wiesenbewässerung im Schwarzwald. Veröffentlichungen der
Landesstelle für Naturschutz und Landschaftspflege in Baden-Württemberg 24, 1956, 484–507.
Küster, Hansjörg: Das ist Ökologie. München 2005, 173.
Küster, Hansjörg: Die Entdeckung der Landschaft. Einführung in eine neue Wissenschaft.
München 2012.
Küster, Hansjörg: Geschichte des Waldes. 3. Auflage, München 2008.
Loos, Adolf: Regeln für den, der in den Bergen baut. In: Der Brenner, Heft 1, 1913, 40.
Matthiesen, Ulf: Raumpioniere. In: Oswalt, Philipp (Hrsg.): Schrumpfende Städte. Ostfildern 2004
Mörsch, Carmen: KunstKur. Dortmund (GIAH GmbH) 2002
Richert, Wiebke: Den Strand unterm Pflaster entdeckt, die Sterne aufs Parkdeck geholt – „Nigihaven
na der Zen“ – ein Sommerprojekt mit offenem Ausgang. In: Mandel, Birgit (Hrsg): Kulturvermittlung
zwischen kultureller Bildung und Kulturmarketing. Bielefeld 2005
Schäfter, Ortfried: Lernen in der Zivilgesellschaft – aus der Perspektive der Erwachsenenbildung. In:
Voesgen, Hermann (Hrsg.): Brückenschläge. Neue Partnerschaften zwischen institutioneller
Erwachsenenbildung und bürgerschaftlichem Engagement. Bielefeld 2006
Voesgen, Hermann: Den Raum neu ordnen. In: Volke, Kristina (Hrsg.): Intervention Kultur.
Wiesbaden 2010
Voesgen, Hermann: Zwischen Verwertung und Intervention: Kunst als lokale Wissensressource. In:
Matthiesen, Ulf; Mahnke, Gerhard (Hrsg.): Das Wissen der Städte. Wiesbaden 2009
Wilmanns, Otti: Exkursionsführer Schwarzwald. Eine Einführung in Landschaft und
Vegetation. Stuttgart 2001.
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ABBILDUNgEN
Abb. 1-3: Foto Luigi Pantisano
Abb. 4: Foto Johannes Jörg
Abb. 5-6: Foto Luigi Pantisano
Abb. 7: Foto Kerstin Gothe
Abb. 8-10: Foto Luigi Pantisano
Abb. 11-17: Foto Hansjörg Küster
Abb. 18: Zeichnung von Richard Schilling, Das alte malerische Schwarzwaldhaus, 1915
Abb. 19: Foto Gerhard Zickenheiner
Abb. 20: Foto Jeras 2000, Regierungspräsidium Freiburg, Referat Denkmalpflege
Abb. 21: Foto Carmen Winkels
Abb. 22-23: Foto Florian Rauch
Abb. 24: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:School_Paspels.jpg
Abb. 25: Foto Ralph Feiner
Abb. 26: Foto Milo Keller / www.milokeller.com
Abb. 27: Foto Florian Rauch
Abb. 28: Foto Börje Müller
Abb. 29: Foto Florian Rauch
Abb. 30: Foto Börje Müller
Abb. 31-33: Foto Gerhard Zickenheiner
Abb. 34: www.kunstbilder-galerie.de
Abb. 35: Foto Gerhard Zickenheiner, Darstellung von F. Faller
Abb. 36-40: Foto Gerhard Zickenheiner
Abb. 41: Grafik Universität Bamberg, Masterstudiengang Denkmalpflege
Abb. 42-43: Foto Christian Wagner
Abb. 44-48: Foto Martin Wypior
Abb. 49: Grafik Architektenkammer Baden-Württemberg, Kammerbezirk Freiburg
Abb. 50: Foto Architektenkammer Baden-Württemberg, Kammerbezirk Freiburg
Abb. 51-66: Foto Antje Stokman, Kerstin Gothe, Johannes Jörg, Luigi Pantisano
Abb. 67: Foto Michael Krauss
Abb. 68: Foto Luigi Pantisano
Abb. 69-70: Foto Luigi Pantisano
Abb. 71: Foto Luigi Pantisano
Abb. 72: LUV Design I Büro für Gestaltung
Abb. 73: Bildschirmfoto Luigi Pantisano
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Dieses Projekt wurde gefördert durch den Natur-
park Südschwarzwald mit Mitteln des Landes Ba-
den-Württemberg, der Lotterie Glücksspirale und
der Europäischen Union (ELER) sowie durch die
beiden Gemeinden Bernau und Menzenschwand.
Wir danken unseren Unterstützern:
DANk
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HerausgeberProf. Kerstin Gothe, Prof. Dr. Johann Jessen,
Prof. Antje Stokman
Institut Entwerfen von Stadt und Landschaft
Karlsruhe Institut für Technologie
Englerstraße 11, Geb 11.40
76131 Karlsruhe
http://rbl.iesl.kit.edu
Städtebau-Institut
Institut für Landschaftsplanung und Ökologie
Universität Stuttgart
Fakultät Architektur und Stadtplanung
Keplerstraße 11
70174 Stuttgart
www.uni-stuttgart.de/si
RedaktionDipl. Ing. Luigi Pantisano
MitarbeitJohanna Kolb
Layout LUV Design I Büro für Gestaltung
luv-design.de
DruckWalter Digital GmbH, Korntal-Münchingen
ISBN 978-3-00-043526-3
Copyright©2013 Universität Stuttgart
SOMMERUNI 2012
ISBN 978-3-00-043526-3