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Das Magazin zur Energiewende in der Schweiz Bundesrat Moritz Leuenberger* reiste Ende letzten Jahres im Sonderzug an den Klimagipfel in Kopenhagen. Die teilnehmenden Länder konnten sich da auf keine griffigen Massnahmen zur Reduktion des CO 2 -Ausstosses einigen. «Kopenhagen» war aus Sicht von Moritz Leuenberger trotzdem nicht vergebens. Und dennoch: «Kopenhagen» ist eine Hoffnung! «Kopenhagen»: Das Wort ist gegen Ende des letzten Jahres zum Inbe- griff von Hoffnung emporstilisiert worden, Hoffnung auf eine Eini- gung aller Länder, auf Solidarität zwischen Arm und Reich, Hoffnung auf verbindliche Verpflichtungen, die den Klimawandel bremsen und Massnahmen gegen seine bereits eintretenden Schäden ermöglichen und finanzieren. Umso jäher wur- den diese Erwartungen enttäuscht, als sich Ende letzten Jahres die Weltengemeinschaft nicht zu eini- gen vermochte. Das hoffnungs- frohe Zauberwort «Kopenhagen» wurde über Nacht zum Inbegriff des Versagens. Nichtregierungsor- ganisationen, JournalistInnen und viele PolitikerInnen empörten sich über den Misserfolg, doch nicht alle waren gutgläubig. Ich mochte des- halb nicht ohne weiteres in den Chor der PessimistInnen einstim- men. Denn es war abzusehen, und es hat sich mittlerweile bestätigt, dass die GegnerInnen jeder Klima- politik die negative Stimmung nut- zen wollen, um jede effiziente CO2- Politik zu sabotieren. Prompt hat denn auch die vorbereitende Natio- nalratkommission die CO2-Abgabe für Treibstoffe aus dem bundesrät- lichen Gesetzesentwurf gekippt. Weitere Streichungen von konkre- Foto: Keystone © UVEK/Béatrice Devènes von Bundesrat Moritz Leuenberger * Mit SBB-CEO Andreas Meyer (links) und SBB-Verwaltungsratspräsident Ulrich Gygi (rechts). Nr. 3, Juni 2010

«sonnenklar!» - Nr. 3, Juni 2010

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Das Magazin zur Energiewende in der Schweiz

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Page 1: «sonnenklar!» - Nr. 3, Juni 2010

Das AKW Mühleberg hat Altersschwächen. Trotzdem wurde dem Betreiber eine unbefristete Betriebsbewilligung erteilt. Dagegen haben AnwohnerInnen Beschwerde eingereicht.

Keine Bewilligung für dasAKW Mühleberg

Am 17. Dezember 2009 erteilte dasUVEK dem beinahe 40-jährigenAKW Mühleberg eine unbefristeteBetriebsbewilligung. Die Geschich-te des Kraftwerks liest sich als Liste von Pannen und Sicherheits-mängeln: Bereits bei der Inbetrieb-nahme im Jahr 1971 ereignete sichein Brand im Maschinenhaus. ImTschernobyl-Jahr 1986 verstrahltedas AKW wegen einer Filterpannedie Umgebung. Vier Jahre späterwurden im Kernmantel des Reak-tors Risse gefunden.

Geheime Berichte und ge-fährliche NachlässigkeitenDie Zeitschrift «Beobachter» mach-te Anfang 2008 publik, dass dieSchweizer ÜberwachungsbehördeENSI die Rissproblematik im AKWMühleberg schönredete. Es sei le-diglich ein «lineares Risswachs-tum» zu erkennen, war einem ge-heimen Jahresbericht des AKWMühleberg zu entnehmen. DieGruppierung Fokus Anti-Atom zeig-te jedoch anhand der Daten diesesBerichts auf, dass das Risswachs-tum keinesfalls linear verläuft. DieRisse wachsen noch heute weiter.

Und als in den 80er-Jahren desletzten Jahrhunderts erkannt wur-de, dass Mühleberg in Notfällenungenügend gekühlt würde, liessman es trotzdem noch jahrelangweiterlaufen. Die nötige Nachrüs-tung liess lange auf sich warten.

Das Motto hiess und heisst heutenoch: «Solange das AKW Gewinnabwirft, wird es nicht abgestellt.»

AnwohnerInnen wehrensichBundesrat, UVEK und ENSI lassensich nicht in die Karten schauen. Sieverstecken sich hinter Formulie-rungen wie: «Würde das AKW zu einem Risiko, so würde man es aus-ser Betrieb nehmen.» Das ist aller-dings nie geschehen.

Die Gefährdungen, die vom AKWMühleberg ausgehen, wollen dieAnwohnerInnen nicht mehr hin-

nehmen. Dem Atomkraftwerk solldie Betriebsbewilligung entzogenwerden!

Deshalb habe ich zusammen mit108 weiteren AnwohnerInnen vordem Bundesverwaltungsgericht Be-schwerde gegen die unbefristeteBetriebsbewilligung erhoben.

Von 2001 bis 2008 war ich Ge-meindepräsidentin von Bolligen,das in der Zone 2 (s. Kasten) liegt.Wenn mir je etwas Sorgen bereite-te, so war es das Risiko eines Stör-falls im nahegelegenen AKW Müh-leberg. Auch vergesse ich nie dieZeit, als ich mein zweites Kind still-te: Mütter, die nicht stillten, muss-ten verzweifelt nach Milch suchen,die vor dem Tschernobyl-Störfallabgepackt worden war. Ich möchteunsere Kinder und Kindeskindervom Sicherheitsrisiko des AKWMühleberg befreien. Die Zukunftgehört sowieso den erneuerbarenEnergien!

Mühleberg ist eines der ältesten noch in Betrieb stehenden AKW der Welt. Esist weder gegen Erdbeben noch gegenFlugzeugabstürze geschützt und Risseim Mantel des Reaktorkerns machen esnoch unsicherer.

Meine Umwelt ist mir etwas wertWenn Sie die umweltpolitischen Projekte der SP Schweiz unterstützen und «sonnenklar!» vierteljährlich erhalten wollen, senden Sie bitte Ihre Adresse an [email protected].

von Margret Kiener Nellen,Nationalrätin

Beschwerde gegen das AKW MühlebergÜber die unbefristete Betriebs-bewilligung können sich nurPersonen beschweren, die inden Zonen 1 und 2 in einem Radius von 20 Kilometern rundums AKW wohnen und die bereits im Juni 2008 gegen dasGesuch um eine unbefristeteBetriebsbewilligung Einspracheerhoben haben. Personen, die ausserhalb dieser Zonenwohnen und damit nicht ein-spracheberechtigt sind, sowieOrganisationen, Parteien undGemeinden können sich demKomitee «Mühleberg Ver-fah-ren» anschliessen. Infos:www.muehleberg-ver-fahren.chund www.fokusantiatom.ch

Foto

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Impressum sonnenklar! Herausgeberin: SP Schweiz, Postfach, 3011 Bern, [email protected]. Redaktion: Pierre Bonhôte, alt Ständerat; Thomas Christen, Generalsekretär; Chantal Gahlinger, politische Fachsekretärin; Reto Gamma, Projektleiter Fundraising; Barbara Marty Kälin, alt National-rätin; Roger Nordmann, Nationalrat; Eric Nussbaumer, Nationalrat; Gisèle Ory, Regierungsrätin; Rudolf Rechsteiner, Nationalrat; Doris Stump, National-rätin; Ursula Wyss, Nationalrätin. Redaktionelle Bearbeitung und Produktion: Gallati Kommunikation, Zürich. Gestaltung: Purpur AG für Publishing und Communication, Zürich. Druck: Abächerli Druck AG, Sarnen. sonnenklar! erscheint viermal im Jahr in Deutsch und Französisch. Postkonto: 30-665681-6, sonnenklar!, 3001 Bern.

Gedruckt auf FSC-zertifiziertem Papier, SQS-COC-2086 «FSC Trademark 1996,Forest StewardshipCouncil A. C.»

Das Magazin zur Energiewende in der Schweiz

Bundesrat Moritz Leuenberger* reiste Ende letzten Jahres im Sonderzug an den Klimagipfel in Kopenhagen. Die teilnehmenden Länder konnten sich da auf keine griffigen Massnahmen zur Reduktion des CO2-Ausstosses einigen. «Kopenhagen» war aus Sicht von Moritz Leuenberger trotzdem nicht vergebens.

Und dennoch: «Kopenhagen»ist eine Hoffnung!

«Kopenhagen»: Das Wort ist gegenEnde des letzten Jahres zum Inbe-griff von Hoffnung emporstilisiertworden, Hoffnung auf eine Eini-gung aller Länder, auf Solidaritätzwischen Arm und Reich, Hoffnungauf verbindliche Verpflichtungen,die den Klimawandel bremsen undMassnahmen gegen seine bereitseintretenden Schäden ermöglichenund finanzieren. Umso jäher wur-den diese Erwartungen enttäuscht,als sich Ende letzten Jahres die

Weltengemeinschaft nicht zu eini-gen vermochte. Das hoffnungs-frohe Zauberwort «Kopenhagen»wurde über Nacht zum Inbegriffdes Versagens. Nichtregierungsor-ganisationen, JournalistInnen undviele PolitikerInnen empörten sichüber den Misserfolg, doch nicht allewaren gutgläubig. Ich mochte des-halb nicht ohne weiteres in denChor der PessimistInnen einstim-men. Denn es war abzusehen, undes hat sich mittlerweile bestätigt,

dass die GegnerInnen jeder Klima-politik die negative Stimmung nut-zen wollen, um jede effiziente CO2-Politik zu sabotieren. Prompt hatdenn auch die vorbereitende Natio-nalratkommission die CO2-Abgabefür Treibstoffe aus dem bundesrät-lichen Gesetzesentwurf gekippt.Weitere Streichungen von konkre-

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von Bundesrat Moritz Leuenberger

* Mit SBB-CEO Andreas Meyer (links) und SBB-Verwaltungsratspräsident Ulrich Gygi (rechts).

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Nr. 3, Juni 2010

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Das AKW Mühleberg hat Altersschwächen. Trotzdem wurde dem Betreiber eine unbefristete Betriebsbewilligung erteilt. Dagegen haben AnwohnerInnen Beschwerde eingereicht.

Keine Bewilligung für dasAKW Mühleberg

Am 17. Dezember 2009 erteilte dasUVEK dem beinahe 40-jährigenAKW Mühleberg eine unbefristeteBetriebsbewilligung. Die Geschich-te des Kraftwerks liest sich als Liste von Pannen und Sicherheits-mängeln: Bereits bei der Inbetrieb-nahme im Jahr 1971 ereignete sichein Brand im Maschinenhaus. ImTschernobyl-Jahr 1986 verstrahltedas AKW wegen einer Filterpannedie Umgebung. Vier Jahre späterwurden im Kernmantel des Reak-tors Risse gefunden.

Geheime Berichte und ge-fährliche NachlässigkeitenDie Zeitschrift «Beobachter» mach-te Anfang 2008 publik, dass dieSchweizer ÜberwachungsbehördeENSI die Rissproblematik im AKWMühleberg schönredete. Es sei le-diglich ein «lineares Risswachs-tum» zu erkennen, war einem ge-heimen Jahresbericht des AKWMühleberg zu entnehmen. DieGruppierung Fokus Anti-Atom zeig-te jedoch anhand der Daten diesesBerichts auf, dass das Risswachs-tum keinesfalls linear verläuft. DieRisse wachsen noch heute weiter.

Und als in den 80er-Jahren desletzten Jahrhunderts erkannt wur-de, dass Mühleberg in Notfällenungenügend gekühlt würde, liessman es trotzdem noch jahrelangweiterlaufen. Die nötige Nachrüs-tung liess lange auf sich warten.

Das Motto hiess und heisst heutenoch: «Solange das AKW Gewinnabwirft, wird es nicht abgestellt.»

AnwohnerInnen wehrensichBundesrat, UVEK und ENSI lassensich nicht in die Karten schauen. Sieverstecken sich hinter Formulie-rungen wie: «Würde das AKW zu einem Risiko, so würde man es aus-ser Betrieb nehmen.» Das ist aller-dings nie geschehen.

Die Gefährdungen, die vom AKWMühleberg ausgehen, wollen dieAnwohnerInnen nicht mehr hin-

nehmen. Dem Atomkraftwerk solldie Betriebsbewilligung entzogenwerden!

Deshalb habe ich zusammen mit108 weiteren AnwohnerInnen vordem Bundesverwaltungsgericht Be-schwerde gegen die unbefristeteBetriebsbewilligung erhoben.

Von 2001 bis 2008 war ich Ge-meindepräsidentin von Bolligen,das in der Zone 2 (s. Kasten) liegt.Wenn mir je etwas Sorgen bereite-te, so war es das Risiko eines Stör-falls im nahegelegenen AKW Müh-leberg. Auch vergesse ich nie dieZeit, als ich mein zweites Kind still-te: Mütter, die nicht stillten, muss-ten verzweifelt nach Milch suchen,die vor dem Tschernobyl-Störfallabgepackt worden war. Ich möchteunsere Kinder und Kindeskindervom Sicherheitsrisiko des AKWMühleberg befreien. Die Zukunftgehört sowieso den erneuerbarenEnergien!

Mühleberg ist eines der ältesten noch in Betrieb stehenden AKW der Welt. Esist weder gegen Erdbeben noch gegenFlugzeugabstürze geschützt und Risseim Mantel des Reaktorkerns machen esnoch unsicherer.

Meine Umwelt ist mir etwas wertWenn Sie die umweltpolitischen Projekte der SP Schweiz unterstützen und «sonnenklar!» vierteljährlich erhalten wollen, senden Sie bitte Ihre Adresse an [email protected].

von Margret Kiener Nellen,Nationalrätin

Beschwerde gegen das AKW MühlebergÜber die unbefristete Betriebs-bewilligung können sich nurPersonen beschweren, die inden Zonen 1 und 2 in einem Radius von 20 Kilometern rundums AKW wohnen und die bereits im Juni 2008 gegen dasGesuch um eine unbefristeteBetriebsbewilligung Einspracheerhoben haben. Personen, die ausserhalb dieser Zonenwohnen und damit nicht ein-spracheberechtigt sind, sowieOrganisationen, Parteien undGemeinden können sich demKomitee «Mühleberg Ver-fah-ren» anschliessen. Infos:www.muehleberg-ver-fahren.chund www.fokusantiatom.ch

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Impressum sonnenklar! Herausgeberin: SP Schweiz, Postfach, 3011 Bern, [email protected]. Redaktion: Pierre Bonhôte, alt Ständerat; Thomas Christen, Generalsekretär; Chantal Gahlinger, politische Fachsekretärin; Reto Gamma, Projektleiter Fundraising; Barbara Marty Kälin, alt National-rätin; Roger Nordmann, Nationalrat; Eric Nussbaumer, Nationalrat; Gisèle Ory, Regierungsrätin; Rudolf Rechsteiner, Nationalrat; Doris Stump, National-rätin; Ursula Wyss, Nationalrätin. Redaktionelle Bearbeitung und Produktion: Gallati Kommunikation, Zürich. Gestaltung: Purpur AG für Publishing und Communication, Zürich. Druck: Abächerli Druck AG, Sarnen. sonnenklar! erscheint viermal im Jahr in Deutsch und Französisch. Postkonto: 30-665681-6, sonnenklar!, 3001 Bern.

Gedruckt auf FSC-zertifiziertem Papier, SQS-COC-2086 «FSC Trademark 1996,Forest StewardshipCouncil A. C.»

Das Magazin zur Energiewende in der Schweiz

Bundesrat Moritz Leuenberger* reiste Ende letzten Jahres im Sonderzug an den Klimagipfel in Kopenhagen. Die teilnehmenden Länder konnten sich da auf keine griffigen Massnahmen zur Reduktion des CO2-Ausstosses einigen. «Kopenhagen» war aus Sicht von Moritz Leuenberger trotzdem nicht vergebens.

Und dennoch: «Kopenhagen»ist eine Hoffnung!

«Kopenhagen»: Das Wort ist gegenEnde des letzten Jahres zum Inbe-griff von Hoffnung emporstilisiertworden, Hoffnung auf eine Eini-gung aller Länder, auf Solidaritätzwischen Arm und Reich, Hoffnungauf verbindliche Verpflichtungen,die den Klimawandel bremsen undMassnahmen gegen seine bereitseintretenden Schäden ermöglichenund finanzieren. Umso jäher wur-den diese Erwartungen enttäuscht,als sich Ende letzten Jahres die

Weltengemeinschaft nicht zu eini-gen vermochte. Das hoffnungs-frohe Zauberwort «Kopenhagen»wurde über Nacht zum Inbegriffdes Versagens. Nichtregierungsor-ganisationen, JournalistInnen undviele PolitikerInnen empörten sichüber den Misserfolg, doch nicht allewaren gutgläubig. Ich mochte des-halb nicht ohne weiteres in denChor der PessimistInnen einstim-men. Denn es war abzusehen, undes hat sich mittlerweile bestätigt,

dass die GegnerInnen jeder Klima-politik die negative Stimmung nut-zen wollen, um jede effiziente CO2-Politik zu sabotieren. Prompt hatdenn auch die vorbereitende Natio-nalratkommission die CO2-Abgabefür Treibstoffe aus dem bundesrät-lichen Gesetzesentwurf gekippt.Weitere Streichungen von konkre-

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von Bundesrat Moritz Leuenberger

* Mit SBB-CEO Andreas Meyer (links) und SBB-Verwaltungsratspräsident Ulrich Gygi (rechts).

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Nr. 3, Juni 2010

Page 3: «sonnenklar!» - Nr. 3, Juni 2010

Mit dem Rücktritt von Rudolf Rechsteiner aus dem Nationalratverliert Bundesbern ein engagiertes und weitsichtiges Mitglied.Nach fast 15 Jahren Parlament geht er neue Wege. Visionäre und ebenso fundierte Vorschläge für eine umweltfreundliche Gestaltung der Zukunft werden wir von ihm garantiert weiterhinzu hören bekommen. «sonnenklar!» hat mit ihm gesprochen.

Ruedi Rechsteinertritt zurück

ten Massnahmen sind beantragt. Wir sollten deshalb etwas genauer hin-sehen, was «Kopenhagen» eben doch gebracht und ausgelöst hat. «Kopen-hagen» ist keineswegs nur ein Flop, sondern ein verheissungsvoller Beginn:• In Kopenhagen haben die VertreterInnen aus allen Industrie-, Schwellen-und Entwicklungsländern anerkannt, dass sich das Klima wegen der vonMenschen gemachten Erwärmung verändert. • Der «Copenhagen Accord», dem fast alle Staaten zustimmten, formuliertzum ersten Mal das politisch breit getragene Ziel, die globale Temperaturnicht mehr als zwei Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit ansteigen zulassen. • Länder, die zusammen über 90 Prozent aller CO2-Emissionen ausstossen,haben sich zu namhaften Reduktionen verpflichtet, wenn auch einseitig undnicht, wie erhofft, gegenüber allen anderen rechtlich bindend.

Der Bundesrat hat im Februar bestätigt, dass sich die Schweiz diesem «Copenhagen Accord» anschliessen will. Wir haben folglich der UNO mit-geteilt, dass wir bis 2020 unseren CO2-Ausstoss um mindestens 20 Prozent reduzieren wollen. Falls vergleichbare Länder ihren Ausstoss ebenfalls nam-haft senken, wollen wir, wie die EU auch, die Treibhausgase um 30 Prozent reduzieren.

Es wird uns vorgerechnet – und es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln –,dass eigentlich eine Reduktion von 40 Prozent notwendig sei, um das wirklichnötige Stabilisierungsziel zu erreichen. Inselstaaten wie die Malediven drän-gen zudem auf einen Erwärmungsgrad von maximal 1,5 Grad im bangen Wis-sen, dass sonst ihre Zukunft existenziell in Frage gestellt ist. So richtig dieseÜberlegungen sind, so sehr müssen wir uns hüten, uns in der Zieldiskussionzu verheddern. Die Lackmusprobe glaubwürdiger Klimapolitik zeigt sich anden Massnahmen, nicht an den Zielen. Es nützt gar nichts, sich mutig zu einemReduktionsziel von 40 Prozent zu bekennen und dann konkrete Massnahmenwie die Begrenzung des CO2-Ausstosses bei importierten Autos oder eben dieCO2-Abgabe auf Treibstoffe abzulehnen. Diese beiden Massnahmen befindensich in der parlamentarischen Beratung und finden mehrheitlich noch keineGnade; ich hoffe, das ändert sich noch. Dafür stellt das Gebäudeprogramminsgesamt zwei Milliarden Franken für Sanierungen bereit und fördert so er-neuerbare Energien. Dieses Programm ist ein wichtiger Pfeiler der schweize-rischen Klimapolitik, denn über 40 Prozent des CO2 entstehen in der Schweizbeim Heizen.

Mit Blick auf die nächste Vertragsparteienkonferenz (COP16) in Mexiko-Stadt im Herbst geht es nun darum, die internationalen Klimaverhandlungenneu zu beleben. Dieser Prozess hat bereits begonnen: Die Schweiz wird zu-sammen mit rund 50 weiteren Ländern die COP16 vorbereiten.

Die Schweiz kann ihre Rolle spielen, nicht etwa nur im eigenen Interesse,sondern auch, weil wir im Klimabereich international einen guten Ruf genies-sen und diesen auch wahren wollen. Aber vergessen wir nicht: Wir sollten inerster Linie vor der eigenen Haustür kehren. Das lohnt sich in jeder Bezie-hung. Die Abkehr von den fossilen Energieträgern Öl und Gas macht uns un-abhängiger vom Ausland. Die neuen Technologien stärken den Denk- undWerkplatz Schweiz, sie sind eine Chance für unsere Wirtschaft und schaffenzahlreiche nachhaltige Arbeitsplätze. Gleichzeitig können wir so unsere Klimapolitik auch im Inland wesentlich gestalten.

«Kopenhagen» war zwar ein Rückschlag, aber gleichzeitig auch eine Hoffnung. Andere nutzen sie und wir müssen aufpassen, dass wir nicht einesTages wieder allein dastehen. Wir dürfen nicht den Rückschlag zum Leitmotiverheben, um nichts tun zu müssen, sondern wir wollen an der Hoffnung arbeiten.

Der Arbeitskreis «sonnenklar!»Der Arbeitskreis «sonnenklar!»will die Energie- und Umwelt-politik der SP Schweiz bekanntmachen und umsetzen. Er setztsich aus Energie- und Umwelt-fachleuten der SP-Fraktion derBundesversammlung sowie wei-teren interessierten Fachleutenzusammen. Die Spendeneinnah-men von «sonnenklar!» werdenzweckgebunden für politischeKampagnen und Projekte in derEnergie- und Umweltpolitik ein-gesetzt.

Bisher wurden folgende Vor-haben und Organisationen mit finanziellen Beiträgen unter-stützt: ➜ Einsprache gegen das Gesuch um eine unbefristete Betriebsbewilligung des AKWMühleberg 2009➜ Klima-Initiative, die von derSP mitlanciert wurde (www.klimainitiativeja.ch)➜ Allianz «Nein zu neuenAKW» und Verein Klima-Initia-tive➜ SP-Energiegipfel «erneuer-bar statt atomar» vom 22. 9. 2007 ➜ Erarbeitung des Perspektiv-papiers der SP Schweiz «Sicher und effizient umsteigen: Unter-wegs zur Vollversorgung mit erneuerbaren Energien»➜ «KLAR! Schweiz» für die Unterstützung der Expertise von John Large zum so genannten Entsorgungsnachweis der Nagra➜ Finanzierung des juristi-schen Gutachtens «Mitsprachebeim Bau neuer AKW»

Du hast dich im Nationalrat seit1995 für den Ausstieg aus derAtomenergie eingesetzt. Was hatdich schon in jungen Jahren zumAKW-Gegner gemacht?Energie war während meinerSchulzeit ein Topthema: Ölkrise1973, Sonntagsfahrverbote und 1975die Besetzung von Kaiseraugst.Atomenergie war für uns eine aber-witzige Technologie. Das Establish-ment versucht bis heute, die Bevöl-kerung für dumm zu verkaufen.

Gab es ein Schlüsselerlebnis?Am Gymi – dem noblen humanisti-schen Gymnasium – wollten wir eine Ausstellung über Atomrisikenmachen. Sie wurde verboten. Wirsammelten dann über 500 Unter-schriften, aber der Rektor bliebhart. Dann machten wir statt derAusstellung eine Broschüre – eswar meine erste Anti-AKW-Publi-kation.

1991 wurdest du Präsident derNWA. Was war damals aktuell?1991 sagte das Volk Ja zum Atommo-ratorium. Das Parlament hatte dasAKW Kaiseraugst schon 1988 beer-digt, zwei Jahre nach Tschernobyl.

Von da an konzentrierten wir unsauf die kantonale Energiepolitik – inBasel-Stadt lancierte ich die Volks-initiative «Energiekanton 2000».Damit gelang es, eine Strom-Len-kungsabgabe mit Rückerstattungeinzuführen – ein Novum für dieSchweiz.

Woran erinnerst du dich am liebsten?Die Demonstrationen in Kaiser-augst waren wichtig. Man disku-

Aufhören, wenn’s am schönsten ist!Man soll aufhören, wenn’s am schönsten ist. Das sagt Ruedi Rechsteiner in der neusten Aus-gabe der Zeitschrift «links» der SP Schweiz zu seinem eigenen Rücktritt. Doch für Ruedi wärees auch in den nächsten Jahren noch «am schönsten». Denn vor uns steht der grosse Rich-tungskampf für die künftige Energiepolitik: Energieeffizienz und Erneuerbare oder weiter mitAtom? Ruedi hat sich in den 14 Jahren im Nationalrat – nebst vielen anderen zentralen Themenwie der Rentenvorsorge und der Aussenpolitik – mit grossem Erfolg dafür eingesetzt, dass wirdiese Alternative heute haben. Dank Ruedi kennt die Schweiz die kostendeckende Einspeise-vergütung für Strom aus erneuerbaren Energien und dank Ruedi profitieren wir heute beienergetischen Sanierungen von den Beiträgen des Bundes. Doch zum Glück kann sich Ruedi inder Energiepolitik nicht nur auf seine SP-KollegInnen, sondern ganz besonders auch auf sei-nen Nachfolger Beat Jans verlassen. Beat kommt mit der langjährigen Erfahrung bei pro naturain den Nationalrat. Auf ihn freuen wir uns.

Ursula Wyss, Nationalrätin

tierte und hörte zu, es waren Stim-men mit viel Kraft von unten. DieLenkungsabgabe in Basel war dannmein politisches Gesellenstück, dieCO2-Abgabe und das Gebäudesa-nierungsprogramm, das nun Ein-zug hält, waren auf Bundesebeneeine Art Kopie der erfolgreichenBasler Rezepte. Sie wurden beimBund mit 25 Jahren Verspätung ein-geführt, weil der Widerstand vonEconomiesuisse und Atomlobby sohartnäckig war.

In welchen Punkten hat sich wäh-rend deiner politischen Karrieredie Energielandschaft verändert –global, europäisch, national?Entscheidend ist heute der Einflussder Europäischen Union. Der Wett-bewerb im Stromsektor bricht derAtomenergie europaweit das Ge-nick, weil man die Mehrkosten neu-er Atomkraftwerke nicht mehr un-gefragt den StromkundInnen über-bürden kann. Die EU wird derSchweiz auch in der Klimapolitikden Marsch blasen, will die Schweizweiterhin mit der EU im Stromhan-del geschäften. Und die Einspeise-vergütungen erweisen sich als Bil-ligmacher für Wind- und Solar-strom. Wir stehen weltweit mittenin einem beispiellosen Boom, dernun trotz Verzögerung und Brems-manövern der Atomlobby auch inder Schweiz Einzug hält.

Du bist überzeugt davon, dass der Energiebedarf der Schweiz zu100 Prozent erneuerbar gedecktwerden kann. Seit wann bist du dirdessen sicher?Ungefähr seit dem Jahr 2000. DasVorbild ist Deutschland. Dort wurdeplötzlich sichtbar, wie rasch es ge-hen kann, wenn die Anreize richtiggesetzt werden. Saubere erneuer-bare Energien und sauberer Strombilden die Basis der zukünftigenVersorgung. Die Volksentscheide inZürich und Winterthur – hohe Ja-Mehrheiten für die Beteiligung an

Kundgebung MenschenStrom gegen Atom:Pfingstmontag, 24. Mai 2010

Forderungen: Ausstieg aus derAtomenergie; keine neuen AKW;Förderung der erneuerbarenEnergien. Die SP Schweiz unter-stützt diese Forderungen.

Programm:Zu Fuss von Aarau («Graben», 10 h) oder Bahnhof Däniken SO(11.12/11.46 h) via Mülidorf mitKundgebung und Picknick (AKW Gösgen; 12.30 h); Marschnach Olten (13.30 h), Schluss-kundgebung (16 h).

Infos: www.menschenstrom.ch

Windfarmen – zeigen, dass dieseTechniken mehrheitsfähig sind.

Welche wichtige Forderung hastdu in diesen 18 Jahren nicht errei-chen können?Es ist uns nie gelungen, die laufen-den Atomkraftwerke stillzulegen.Jede Volksinitiative scheiterte.

Warum setzt die Schweizer Politikmehrheitlich immer noch aufAtomkraft?Die drei grossen bürgerlichen Par-teien sind ganz einfach von derAtomlobby gekauft – mit Partei-spenden. Hier liegt der Kern ihrerNibelungentreue. Zudem hat derBundesrat in seinen «Energieper-spektiven» die Wirkung von Ein-speisevergütungen und die techno-logische Entwicklung völlig igno-riert. Economiesuisse und denAtomkonzernen gelang damit einMeisterwerk an Desinformation.

Welche Pläne hast du für dienächste Zeit?Im Moment arbeite ich die letztenPendenzen in Bern ab. Dann sucheich Aufträge für mein Beratungs-büro – ich habe auch schon Anfra-gen – und bestreite Lehraufträge anHochschulen. Im Verwaltungsratder Industriellen Werke Basel(IWB) bin ich Präsident des Aus-schusses «Energiestrategie». Wirstehen dort bei 85 Prozent Stromaus erneuerbaren Energien undwollen rasch auf 100 Prozent kom-men – mit Wind- und Solarinstalla-tionen im In- und Ausland! Ichwünsche mir, dass die IWB in derganzen Schweiz Gemeinden undKonsumentInnen zu 100 Prozentmit erneuerbaren Energien versor-gen wird. Das gibt noch einiges zutun.

Ruedi Rechsteiner mit seinen Söhnen Jan und Till.

Klimagipfel 2009:Demonstrantinnenprotestieren inKopenhagen gegendie Tatenlosigkeitder Staaten. Foto: Keystone

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Page 4: «sonnenklar!» - Nr. 3, Juni 2010

Mit dem Rücktritt von Rudolf Rechsteiner aus dem Nationalratverliert Bundesbern ein engagiertes und weitsichtiges Mitglied.Nach fast 15 Jahren Parlament geht er neue Wege. Visionäre und ebenso fundierte Vorschläge für eine umweltfreundliche Gestaltung der Zukunft werden wir von ihm garantiert weiterhinzu hören bekommen. «sonnenklar!» hat mit ihm gesprochen.

Ruedi Rechsteinertritt zurück

ten Massnahmen sind beantragt. Wir sollten deshalb etwas genauer hin-sehen, was «Kopenhagen» eben doch gebracht und ausgelöst hat. «Kopen-hagen» ist keineswegs nur ein Flop, sondern ein verheissungsvoller Beginn:• In Kopenhagen haben die VertreterInnen aus allen Industrie-, Schwellen-und Entwicklungsländern anerkannt, dass sich das Klima wegen der vonMenschen gemachten Erwärmung verändert. • Der «Copenhagen Accord», dem fast alle Staaten zustimmten, formuliertzum ersten Mal das politisch breit getragene Ziel, die globale Temperaturnicht mehr als zwei Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit ansteigen zulassen. • Länder, die zusammen über 90 Prozent aller CO2-Emissionen ausstossen,haben sich zu namhaften Reduktionen verpflichtet, wenn auch einseitig undnicht, wie erhofft, gegenüber allen anderen rechtlich bindend.

Der Bundesrat hat im Februar bestätigt, dass sich die Schweiz diesem «Copenhagen Accord» anschliessen will. Wir haben folglich der UNO mit-geteilt, dass wir bis 2020 unseren CO2-Ausstoss um mindestens 20 Prozent reduzieren wollen. Falls vergleichbare Länder ihren Ausstoss ebenfalls nam-haft senken, wollen wir, wie die EU auch, die Treibhausgase um 30 Prozent reduzieren.

Es wird uns vorgerechnet – und es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln –,dass eigentlich eine Reduktion von 40 Prozent notwendig sei, um das wirklichnötige Stabilisierungsziel zu erreichen. Inselstaaten wie die Malediven drän-gen zudem auf einen Erwärmungsgrad von maximal 1,5 Grad im bangen Wis-sen, dass sonst ihre Zukunft existenziell in Frage gestellt ist. So richtig dieseÜberlegungen sind, so sehr müssen wir uns hüten, uns in der Zieldiskussionzu verheddern. Die Lackmusprobe glaubwürdiger Klimapolitik zeigt sich anden Massnahmen, nicht an den Zielen. Es nützt gar nichts, sich mutig zu einemReduktionsziel von 40 Prozent zu bekennen und dann konkrete Massnahmenwie die Begrenzung des CO2-Ausstosses bei importierten Autos oder eben dieCO2-Abgabe auf Treibstoffe abzulehnen. Diese beiden Massnahmen befindensich in der parlamentarischen Beratung und finden mehrheitlich noch keineGnade; ich hoffe, das ändert sich noch. Dafür stellt das Gebäudeprogramminsgesamt zwei Milliarden Franken für Sanierungen bereit und fördert so er-neuerbare Energien. Dieses Programm ist ein wichtiger Pfeiler der schweize-rischen Klimapolitik, denn über 40 Prozent des CO2 entstehen in der Schweizbeim Heizen.

Mit Blick auf die nächste Vertragsparteienkonferenz (COP16) in Mexiko-Stadt im Herbst geht es nun darum, die internationalen Klimaverhandlungenneu zu beleben. Dieser Prozess hat bereits begonnen: Die Schweiz wird zu-sammen mit rund 50 weiteren Ländern die COP16 vorbereiten.

Die Schweiz kann ihre Rolle spielen, nicht etwa nur im eigenen Interesse,sondern auch, weil wir im Klimabereich international einen guten Ruf genies-sen und diesen auch wahren wollen. Aber vergessen wir nicht: Wir sollten inerster Linie vor der eigenen Haustür kehren. Das lohnt sich in jeder Bezie-hung. Die Abkehr von den fossilen Energieträgern Öl und Gas macht uns un-abhängiger vom Ausland. Die neuen Technologien stärken den Denk- undWerkplatz Schweiz, sie sind eine Chance für unsere Wirtschaft und schaffenzahlreiche nachhaltige Arbeitsplätze. Gleichzeitig können wir so unsere Klimapolitik auch im Inland wesentlich gestalten.

«Kopenhagen» war zwar ein Rückschlag, aber gleichzeitig auch eine Hoffnung. Andere nutzen sie und wir müssen aufpassen, dass wir nicht einesTages wieder allein dastehen. Wir dürfen nicht den Rückschlag zum Leitmotiverheben, um nichts tun zu müssen, sondern wir wollen an der Hoffnung arbeiten.

Der Arbeitskreis «sonnenklar!»Der Arbeitskreis «sonnenklar!»will die Energie- und Umwelt-politik der SP Schweiz bekanntmachen und umsetzen. Er setztsich aus Energie- und Umwelt-fachleuten der SP-Fraktion derBundesversammlung sowie wei-teren interessierten Fachleutenzusammen. Die Spendeneinnah-men von «sonnenklar!» werdenzweckgebunden für politischeKampagnen und Projekte in derEnergie- und Umweltpolitik ein-gesetzt.

Bisher wurden folgende Vor-haben und Organisationen mit finanziellen Beiträgen unter-stützt: ➜ Einsprache gegen das Gesuch um eine unbefristete Betriebsbewilligung des AKWMühleberg 2009➜ Klima-Initiative, die von derSP mitlanciert wurde (www.klimainitiativeja.ch)➜ Allianz «Nein zu neuenAKW» und Verein Klima-Initia-tive➜ SP-Energiegipfel «erneuer-bar statt atomar» vom 22. 9. 2007 ➜ Erarbeitung des Perspektiv-papiers der SP Schweiz «Sicher und effizient umsteigen: Unter-wegs zur Vollversorgung mit erneuerbaren Energien»➜ «KLAR! Schweiz» für die Unterstützung der Expertise von John Large zum so genannten Entsorgungsnachweis der Nagra➜ Finanzierung des juristi-schen Gutachtens «Mitsprachebeim Bau neuer AKW»

Du hast dich im Nationalrat seit1995 für den Ausstieg aus derAtomenergie eingesetzt. Was hatdich schon in jungen Jahren zumAKW-Gegner gemacht?Energie war während meinerSchulzeit ein Topthema: Ölkrise1973, Sonntagsfahrverbote und 1975die Besetzung von Kaiseraugst.Atomenergie war für uns eine aber-witzige Technologie. Das Establish-ment versucht bis heute, die Bevöl-kerung für dumm zu verkaufen.

Gab es ein Schlüsselerlebnis?Am Gymi – dem noblen humanisti-schen Gymnasium – wollten wir eine Ausstellung über Atomrisikenmachen. Sie wurde verboten. Wirsammelten dann über 500 Unter-schriften, aber der Rektor bliebhart. Dann machten wir statt derAusstellung eine Broschüre – eswar meine erste Anti-AKW-Publi-kation.

1991 wurdest du Präsident derNWA. Was war damals aktuell?1991 sagte das Volk Ja zum Atommo-ratorium. Das Parlament hatte dasAKW Kaiseraugst schon 1988 beer-digt, zwei Jahre nach Tschernobyl.

Von da an konzentrierten wir unsauf die kantonale Energiepolitik – inBasel-Stadt lancierte ich die Volks-initiative «Energiekanton 2000».Damit gelang es, eine Strom-Len-kungsabgabe mit Rückerstattungeinzuführen – ein Novum für dieSchweiz.

Woran erinnerst du dich am liebsten?Die Demonstrationen in Kaiser-augst waren wichtig. Man disku-

Aufhören, wenn’s am schönsten ist!Man soll aufhören, wenn’s am schönsten ist. Das sagt Ruedi Rechsteiner in der neusten Aus-gabe der Zeitschrift «links» der SP Schweiz zu seinem eigenen Rücktritt. Doch für Ruedi wärees auch in den nächsten Jahren noch «am schönsten». Denn vor uns steht der grosse Rich-tungskampf für die künftige Energiepolitik: Energieeffizienz und Erneuerbare oder weiter mitAtom? Ruedi hat sich in den 14 Jahren im Nationalrat – nebst vielen anderen zentralen Themenwie der Rentenvorsorge und der Aussenpolitik – mit grossem Erfolg dafür eingesetzt, dass wirdiese Alternative heute haben. Dank Ruedi kennt die Schweiz die kostendeckende Einspeise-vergütung für Strom aus erneuerbaren Energien und dank Ruedi profitieren wir heute beienergetischen Sanierungen von den Beiträgen des Bundes. Doch zum Glück kann sich Ruedi inder Energiepolitik nicht nur auf seine SP-KollegInnen, sondern ganz besonders auch auf sei-nen Nachfolger Beat Jans verlassen. Beat kommt mit der langjährigen Erfahrung bei pro naturain den Nationalrat. Auf ihn freuen wir uns.

Ursula Wyss, Nationalrätin

tierte und hörte zu, es waren Stim-men mit viel Kraft von unten. DieLenkungsabgabe in Basel war dannmein politisches Gesellenstück, dieCO2-Abgabe und das Gebäudesa-nierungsprogramm, das nun Ein-zug hält, waren auf Bundesebeneeine Art Kopie der erfolgreichenBasler Rezepte. Sie wurden beimBund mit 25 Jahren Verspätung ein-geführt, weil der Widerstand vonEconomiesuisse und Atomlobby sohartnäckig war.

In welchen Punkten hat sich wäh-rend deiner politischen Karrieredie Energielandschaft verändert –global, europäisch, national?Entscheidend ist heute der Einflussder Europäischen Union. Der Wett-bewerb im Stromsektor bricht derAtomenergie europaweit das Ge-nick, weil man die Mehrkosten neu-er Atomkraftwerke nicht mehr un-gefragt den StromkundInnen über-bürden kann. Die EU wird derSchweiz auch in der Klimapolitikden Marsch blasen, will die Schweizweiterhin mit der EU im Stromhan-del geschäften. Und die Einspeise-vergütungen erweisen sich als Bil-ligmacher für Wind- und Solar-strom. Wir stehen weltweit mittenin einem beispiellosen Boom, dernun trotz Verzögerung und Brems-manövern der Atomlobby auch inder Schweiz Einzug hält.

Du bist überzeugt davon, dass der Energiebedarf der Schweiz zu100 Prozent erneuerbar gedecktwerden kann. Seit wann bist du dirdessen sicher?Ungefähr seit dem Jahr 2000. DasVorbild ist Deutschland. Dort wurdeplötzlich sichtbar, wie rasch es ge-hen kann, wenn die Anreize richtiggesetzt werden. Saubere erneuer-bare Energien und sauberer Strombilden die Basis der zukünftigenVersorgung. Die Volksentscheide inZürich und Winterthur – hohe Ja-Mehrheiten für die Beteiligung an

Kundgebung MenschenStrom gegen Atom:Pfingstmontag, 24. Mai 2010

Forderungen: Ausstieg aus derAtomenergie; keine neuen AKW;Förderung der erneuerbarenEnergien. Die SP Schweiz unter-stützt diese Forderungen.

Programm:Zu Fuss von Aarau («Graben», 10 h) oder Bahnhof Däniken SO(11.12/11.46 h) via Mülidorf mitKundgebung und Picknick (AKW Gösgen; 12.30 h); Marschnach Olten (13.30 h), Schluss-kundgebung (16 h).

Infos: www.menschenstrom.ch

Windfarmen – zeigen, dass dieseTechniken mehrheitsfähig sind.

Welche wichtige Forderung hastdu in diesen 18 Jahren nicht errei-chen können?Es ist uns nie gelungen, die laufen-den Atomkraftwerke stillzulegen.Jede Volksinitiative scheiterte.

Warum setzt die Schweizer Politikmehrheitlich immer noch aufAtomkraft?Die drei grossen bürgerlichen Par-teien sind ganz einfach von derAtomlobby gekauft – mit Partei-spenden. Hier liegt der Kern ihrerNibelungentreue. Zudem hat derBundesrat in seinen «Energieper-spektiven» die Wirkung von Ein-speisevergütungen und die techno-logische Entwicklung völlig igno-riert. Economiesuisse und denAtomkonzernen gelang damit einMeisterwerk an Desinformation.

Welche Pläne hast du für dienächste Zeit?Im Moment arbeite ich die letztenPendenzen in Bern ab. Dann sucheich Aufträge für mein Beratungs-büro – ich habe auch schon Anfra-gen – und bestreite Lehraufträge anHochschulen. Im Verwaltungsratder Industriellen Werke Basel(IWB) bin ich Präsident des Aus-schusses «Energiestrategie». Wirstehen dort bei 85 Prozent Stromaus erneuerbaren Energien undwollen rasch auf 100 Prozent kom-men – mit Wind- und Solarinstalla-tionen im In- und Ausland! Ichwünsche mir, dass die IWB in derganzen Schweiz Gemeinden undKonsumentInnen zu 100 Prozentmit erneuerbaren Energien versor-gen wird. Das gibt noch einiges zutun.

Ruedi Rechsteiner mit seinen Söhnen Jan und Till.

Klimagipfel 2009:Demonstrantinnenprotestieren inKopenhagen gegendie Tatenlosigkeitder Staaten. Foto: Keystone

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