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info also 5/2012 195 Soziale Absicherung während der stufenweisen Wiedereingliederung (Hamburger Modell) Udo Geiger * Die stufenweise Wiedereingliederung, auch bekannt als »Hamburger Modell«, dient dazu, einen erkrankten Arbeit- nehmer Schritt für Schritt in ein bestehendes, wegen der Erkrankung ruhendes Arbeitsverhältnis einzugliedern. So- lange der Betreffende seine volle Arbeitsfähigkeit noch nicht zurückerlangt hat, gilt er arbeits- und sozialrechtlich als arbeitsunfähig und erhält entsprechende Lohnersatz- leistungen. Die Pflichten aus dem Arbeitsvertrag ruhen weiter; der Arbeitnehmer ist nicht zur Erbringung teilweiser Arbeitsleistungen verpflichtet, der Arbeitgeber schuldet keinen Lohn für die während der Wiedereingliederungspha- se erbrachten Leistungen. Nach Auslaufen der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall sind daher die Sozialleistungsträger für die soziale Absiche- rung des erkrankten Arbeitnehmers zuständig. Dazu gehö- ren die Krankenkassen mit der Gewährung von Kranken- geld, die Unfallversicherung mit der Zahlung von Verletz- tengeld, die Rentenversicherung mit Übergangsgeld, falls die stufenweise Wiedereingliederung Teil einer Rehabilita- tionsmaßnahme ist oder die Arbeitsagentur, wenn trotz der Einbindung in das Hamburger Modell ein Anspruch auf Arbeitslosengeld besteht. Ergänzend oder als letztes Auf- fangnetz kommen Leistungen vom Jobcenter (Alg II) in Betracht. Im Folgenden wird aufgezeigt, unter welchen Vorausset- zungen die genannten Sozialleistungen während der stu- fenweisen Wiedereingliederung in Anspruch genommen werden können. 1. Krankengeld Nach § 44 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Kran- kengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Die Arbeitsunfähigkeit (AU) ist vom behandelnden Arzt nach Maßgabe der AU-Richtlinien festzustellen. Bezugspunkt ist dabei das Leistungsprofil der zuletzt vor Eintritt der Er- krankung geschuldeten Arbeit (§ 2 Abs. 1 AU-Richtlinie). Können arbeitsunfähige Versicherte nach ärztlicher Fest- stellung ihre bisherige Tätigkeit teilweise verrichten und können sie durch eine stufenweise Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit voraussichtlich besser wieder in das Erwerbsleben eingegliedert werden, soll der Arzt auf der Bescheinigung über die AU Art und Umfang der möglichen Tätigkeiten angeben und dabei in geeigneten Fällen die Stellungnahme des Betriebsarztes oder mit Zustimmung der Krankenkasse die Stellungnahme des MDK einholen (§ 74 SGB V). Der Verfasser ist Richter am Sozialgericht Berlin und Mitglied der Redaktion. Einzelheiten zum Verfahren hat der für den Erlass der AU- Richtlinien zuständige Bundesausschuss für Ärzte und Krankenkassen in einer »Empfehlung zur Umsetzung der stufenweisen Wiedereingliederung« geregelt: 1. Bei Arbeitsunfähigkeit kann eine Rückkehr an den Ar- beitsplatz auch bei weiterhin notwendiger Behandlung sowohl betrieblich möglich als auch aus therapeutischen Gründen angezeigt sein. Über den Weg der stufenwei- sen Wiedereingliederung wird der Arbeitnehmer indivi- duell, d.h. je nach Krankheit und bisheriger Arbeits- unfähigkeitsdauer, schonend, aber kontinuierlich bei fortbestehender Arbeitsunfähigkeit an die Belastungen seines Arbeitsplatzes herangeführt. Der Arbeitnehmer erhält damit die Möglichkeit, seine Belastbarkeit ent- sprechend dem Stand der wiedererreichten körperlichen, geistigen und seelischen Leistungsfähigkeit zu steigern. Dabei sollte die Wiedereingliederungsphase in der Re- gel einen Zeitraum von sechs Monaten nicht überschrei- ten. 2. Die stufenweise Wiedereingliederung erfordert eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Versicher- tem, behandelndem Arzt, Arbeitgeber, Arbeitnehmer- vertretung, Betriebsarzt, Krankenkasse sowie ggf. dem MDK und dem Rehabilitationsträger auf der Basis der vom behandelnden Arzt unter Beachtung der Schweige- pflicht gegebenen Empfehlungen zur vorübergehenden Einschränkung der quantitativen oder qualitativen Be- lastung des Versicherten durch die in der Wiederein- gliederungsphase ausgeübte berufliche Tätigkeit. Eine standardisierte Betrachtungsweise ist nicht möglich, so dass der zwischen allen Beteiligten einvernehmlich zu findenden Lösung unter angemessener Berücksichti- gung der Umstände im Einzelfall maßgebliche Bedeu- tung zukommt. Der Vertragsarzt kann – mit Zustim- mung des Versicherten – vom Betriebsarzt, vom Betrieb oder über die Krankenkasse eine Beschreibung über die Anforderungen der Tätigkeit des Versicherten anfor- dern. 3. Die infolge der krankheitsbedingten Einschränkung der Leistungsfähigkeit zu vermeidenden arbeitsbedingten Belastungen sind vom behandelnden Arzt zu definieren. Der Vertragsarzt kann der Krankenkasse einen Vor- schlag unterbreiten, der die quantitativen und qualitati- ven Anforderungen einer Tätigkeit beschreibt, die auf- grund der krankheitsbedingten Leistungseinschränkung noch möglich sind. Ist die Begrenzung der Belastung des Versicherten durch vorübergehende Verkürzung der täglichen Arbeitszeit medizinisch angezeigt, kann auch dies eine geeignete Maßnahme zur stufenweisen Wie- dereingliederung sein. 4. Eine stufenweise Wiedereingliederung an Arbeitsplät- zen, für die arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchun-

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info also 5/2012 195

Soziale Absicherung während der stufenweisen Wiedereingliederung (Hamburger Modell) Udo Geiger*

Die stufenweise Wiedereingliederung, auch bekannt als »Hamburger Modell«, dient dazu, einen erkrankten Arbeit-nehmer Schritt für Schritt in ein bestehendes, wegen der Erkrankung ruhendes Arbeitsverhältnis einzugliedern. So-lange der Betreffende seine volle Arbeitsfähigkeit noch nicht zurückerlangt hat, gilt er arbeits- und sozialrechtlich als arbeitsunfähig und erhält entsprechende Lohnersatz-leistungen. Die Pflichten aus dem Arbeitsvertrag ruhen weiter; der Arbeitnehmer ist nicht zur Erbringung teilweiser Arbeitsleistungen verpflichtet, der Arbeitgeber schuldet keinen Lohn für die während der Wiedereingliederungspha-se erbrachten Leistungen.

Nach Auslaufen der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall sind daher die Sozialleistungsträger für die soziale Absiche-rung des erkrankten Arbeitnehmers zuständig. Dazu gehö-ren die Krankenkassen mit der Gewährung von Kranken-geld, die Unfallversicherung mit der Zahlung von Verletz-tengeld, die Rentenversicherung mit Übergangsgeld, falls die stufenweise Wiedereingliederung Teil einer Rehabilita-tionsmaßnahme ist oder die Arbeitsagentur, wenn trotz der Einbindung in das Hamburger Modell ein Anspruch auf Arbeitslosengeld besteht. Ergänzend oder als letztes Auf-fangnetz kommen Leistungen vom Jobcenter (Alg II) in Betracht.∗

Im Folgenden wird aufgezeigt, unter welchen Vorausset-zungen die genannten Sozialleistungen während der stu-fenweisen Wiedereingliederung in Anspruch genommen werden können.

1. Krankengeld

Nach § 44 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Kran-kengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Die Arbeitsunfähigkeit (AU) ist vom behandelnden Arzt nach Maßgabe der AU-Richtlinien festzustellen. Bezugspunkt ist dabei das Leistungsprofil der zuletzt vor Eintritt der Er-krankung geschuldeten Arbeit (§ 2 Abs. 1 AU-Richtlinie).

Können arbeitsunfähige Versicherte nach ärztlicher Fest-stellung ihre bisherige Tätigkeit teilweise verrichten und können sie durch eine stufenweise Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit voraussichtlich besser wieder in das Erwerbsleben eingegliedert werden, soll der Arzt auf der Bescheinigung über die AU Art und Umfang der möglichen Tätigkeiten angeben und dabei in geeigneten Fällen die Stellungnahme des Betriebsarztes oder mit Zustimmung der Krankenkasse die Stellungnahme des MDK einholen (§ 74 SGB V). ∗ Der Verfasser ist Richter am Sozialgericht Berlin und Mitglied

der Redaktion.

Einzelheiten zum Verfahren hat der für den Erlass der AU-Richtlinien zuständige Bundesausschuss für Ärzte und Krankenkassen in einer »Empfehlung zur Umsetzung der stufenweisen Wiedereingliederung« geregelt:

1. Bei Arbeitsunfähigkeit kann eine Rückkehr an den Ar-beitsplatz auch bei weiterhin notwendiger Behandlung sowohl betrieblich möglich als auch aus therapeutischen Gründen angezeigt sein. Über den Weg der stufenwei-sen Wiedereingliederung wird der Arbeitnehmer indivi-duell, d.h. je nach Krankheit und bisheriger Arbeits-unfähigkeitsdauer, schonend, aber kontinuierlich bei fortbestehender Arbeitsunfähigkeit an die Belastungen seines Arbeitsplatzes herangeführt. Der Arbeitnehmer erhält damit die Möglichkeit, seine Belastbarkeit ent-sprechend dem Stand der wiedererreichten körperlichen, geistigen und seelischen Leistungsfähigkeit zu steigern. Dabei sollte die Wiedereingliederungsphase in der Re-gel einen Zeitraum von sechs Monaten nicht überschrei-ten.

2. Die stufenweise Wiedereingliederung erfordert eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Versicher-tem, behandelndem Arzt, Arbeitgeber, Arbeitnehmer-vertretung, Betriebsarzt, Krankenkasse sowie ggf. dem MDK und dem Rehabilitationsträger auf der Basis der vom behandelnden Arzt unter Beachtung der Schweige-pflicht gegebenen Empfehlungen zur vorübergehenden Einschränkung der quantitativen oder qualitativen Be-lastung des Versicherten durch die in der Wiederein-gliederungsphase ausgeübte berufliche Tätigkeit. Eine standardisierte Betrachtungsweise ist nicht möglich, so dass der zwischen allen Beteiligten einvernehmlich zu findenden Lösung unter angemessener Berücksichti-gung der Umstände im Einzelfall maßgebliche Bedeu-tung zukommt. Der Vertragsarzt kann – mit Zustim-mung des Versicherten – vom Betriebsarzt, vom Betrieb oder über die Krankenkasse eine Beschreibung über die Anforderungen der Tätigkeit des Versicherten anfor-dern.

3. Die infolge der krankheitsbedingten Einschränkung der Leistungsfähigkeit zu vermeidenden arbeitsbedingten Belastungen sind vom behandelnden Arzt zu definieren. Der Vertragsarzt kann der Krankenkasse einen Vor-schlag unterbreiten, der die quantitativen und qualitati-ven Anforderungen einer Tätigkeit beschreibt, die auf-grund der krankheitsbedingten Leistungseinschränkung noch möglich sind. Ist die Begrenzung der Belastung des Versicherten durch vorübergehende Verkürzung der täglichen Arbeitszeit medizinisch angezeigt, kann auch dies eine geeignete Maßnahme zur stufenweisen Wie-dereingliederung sein.

4. Eine stufenweise Wiedereingliederung an Arbeitsplät-zen, für die arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchun-

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gen nach den berufsgenossenschaftlichen Grundsätzen erforderlich sind, kann grundsätzlich nur mit Zustim-mung des Betriebsarztes erfolgen. Ausgenommen davon bleiben die Fälle, bei denen feststeht, dass die am Ar-beitsplatz vorliegende spezifische Belastung keine nachteiligen Auswirkungen auf den Gesundungsprozess des Betroffenen selbst oder Unfall- oder Gesundheitsge-fahren für ihn selbst oder Dritte mit sich bringen kann.

5. Während der Phase der stufenweisen Wiedereingliede-rung ist der Versicherte in regelmäßigen Abständen vom behandelnden Arzt auf die gesundheitlichen Aus-wirkungen zu untersuchen. Ergeben die regelmäßigen Untersuchungen eine Steigerung der Belastbarkeit, ist eine Anpassung der stufenweisen Wiedereingliederung vorzunehmen. Stellt sich während der Phase der Wie-dereingliederung heraus, dass für den Versicherten nachteilige gesundheitliche Folgen erwachsen können, ist eine Anpassung an die Belastungseinschränkungen vorzunehmen oder die Wiedereingliederung abzubre-chen. Ergibt sich während der stufenweisen Wiederein-gliederung, dass die bisherige Tätigkeit auf Dauer krankheitsbedingt nicht mehr in dem Umfang wie vor der Arbeitsunfähigkeit aufgenommen werden kann, so ist hierüber die Krankenkasse unverzüglich schriftlich zu informieren.

6. Erklärt der Arbeitgeber, dass es nicht möglich ist, den Versicherten zu beschäftigen, ist die stufenweise Wie-dereingliederung nicht durchführbar.

7. Alle Änderungen des vereinbarten Ablaufs der Wieder-eingliederung sind den Beteiligten unverzüglich mitzu-teilen.

8. Voraussetzung für die stufenweise Wiedereingliederung ist die Einverständniserklärung des Versicherten auf dem Vordruck. Auf diesem hat der Arzt die tägliche Ar-beitszeit und diejenigen Tätigkeiten anzugeben, die der Versicherte während der Phase der Wiedereingliederung ausüben kann bzw. denen er nicht ausgesetzt werden darf. Der Arbeitgeber soll eine ablehnende Stellung-nahme nach Nummer 6 der Anlage dieser Richtlinien ebenfalls auf dem Vordruck bescheinigen.

1.1 Muss die Krankenkasse der Durchführung einer stufenweisen Wiedereingliederung zustimmen?

Die Krankenkassen sind an einer zügigen Beendigung des Krankenstandes dringend interessiert. Sie werden sich einer Wiedereingliederungsmaßnahme daher nicht in den Weg stellen.

Streit wird es eher darüber geben, ob der Gesundheitszu-stand nicht bereits eine Rückkehr in das »Normal«-Arbeitsverhältnis zulässt. Das ist ggf. durch den MDK oder im Streit mit einem Gerichtsgutachten im Rahmen einer Klage auf Weiterzahlung von Krankengeld aufzuklären. Nach Auffassung des SG Dresden vom 12.1.2006 – S 18 KR 440/03 ist die ärztliche Empfehlung einer stufenweisen Wiedereingliederung auf Grund ihrer therapeutischen Ziel-richtung ein untrennbares Element des ärztlich verantworte-ten Behandlungskonzepts und unterliege deshalb nur einer

eingeschränkten Überprüfung durch die Krankenkasse bzw. den MDK.

1.2 Muss der Arbeitgeber mitwirken?

Arbeitsrechtlich bedarf die stufenweise Wiedereingliede-rung wegen der vom Arbeitsvertrag abweichenden Beschäf-tigung der Zustimmung des Arbeitgebers. Nicht schwerbe-hinderte Arbeitnehmer haben weder einen Beschäftigungs-anspruch nach § 81 Abs. 4 Satz 1 SGB IX, noch muss der Arbeitgeber der stufenweisen Wiedereingliederung zu-stimmen (BAG vom 13.6.2006 – 9 AZR 229/05).

Die Vorschrift des § 84 Abs. 2 SGB IX verpflichtet den Arbeitgeber jedoch zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements. Insofern steht es dem Arbeit-geber in arbeitsrechtlicher Hinsicht nicht frei, sich auf eine ärztlich empfohlene stufenweise Wiedereingliederung ein-zulassen oder nicht. Denn Ziel des betrieblichen Eingliede-rungsmanagements ist die Suche nach Möglichkeiten, dem länger oder häufiger erkrankten Arbeitnehmer seinen Ar-beitsplatz zu erhalten und geeignete Beschäftigungsmög-lichkeiten zu prüfen. Zu den Maßnahmen, die im Zuge eines betrieblichen Eingliederungsmanagements zur Verfü-gung stehen, gehört auch die stufenweise Wiedereingliede-rung. Unterlässt der Arbeitgeber die Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements, kann dies eine Verpflichtung zum Schadensersatz nach sich ziehen (s. dazu LAG Hamm vom 4.7.2011 – 8 Sa 726/11).

Schwerbehinderte Arbeitnehmer haben nach § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX gegenüber dem Arbeitgeber Anspruch auf Beschäftigung, bei der sie ihre Fähigkeiten und Kennt-nisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln kön-nen. Ist der schwerbehinderte Arbeitnehmer nicht (mehr) in der Lage, die geschuldete Arbeitsleistung wegen Art oder Schwere seiner Behinderung zu erbringen, kann er An-spruch auf eine anderweitige Beschäftigung (BAG vom 3.12.2002 – 9 AZR 481/01; vom 14.3.2006 – 9 AZR 411/05) und, falls erforderlich, auf eine stufenweise Ein-gliederung in diese Tätigkeit haben (BAG vom 13.6.2006 – 9 AZR 229/05).

1.3 Muss der Arbeitnehmer mitwirken?

Gegenüber dem Arbeitgeber besteht keine Verpflichtung zur Durch- oder Weiterführung einer stufenweisen Wieder-eingliederung. Der Bezug von Sozialleistungen begründet aber Mitwirkungspflichten gegenüber dem Leistungsträger (§§ 60 ff SGB I). Werden diese Pflichten schuldhaft ver-letzt, kann (Ermessen) die Sozialleistung versagt werden (§ 66 SGB I).

Als speziellere Norm können die Krankenkassen nach § 51 SGB V die (Weiter)zahlung von Krankengeld daran knüp-fen, dass der Leistungsbezieher Rehabilitationsmaßnahmen beantragt, darunter die schrittweise Rückkehr in das Ar-beitsverhältnis.

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Ob § 51 Abs. 3 SGB V (Wegfall des Krankengeldes) auch dann gilt, wenn der Antrag auf stufenweise Wiedereinglie-derung bei dem zur Durchführung dieser Maßnahme berei-ten Arbeitgeber zwar nicht zurückgenommen, aber die schrittweise Arbeit nicht angetreten wird, ist streitig. Zum Teil wird die Auffassung vertreten, dass dann ein Fall feh-lender Mitwirkung vorliege, auf den § 66 SGB I Anwen-dung finde (vgl. dazu LSG Rheinland-Pfalz vom 7.2.2002 – L 5 KR 86/01; LSG Nordrhein-Westfalen vom 22.5.2003 – L 16 KR 182/02; LSG Baden-Württemberg vom 19.2.2008 – L 11 KR 3905/07).

Dieselbe Streitfrage stellt sich bei Nichtantritt oder Ab-bruch einer mit Übergangsgeld vom Rentenversicherungs-träger geförderten Wiedereingliederung nach § 28 SGB IX, wenn der Betreffende dann anstelle des Übergangsgeldes (erneut) Krankengeld beansprucht (vgl. dazu BSG vom 26.6.2008 – B 13 R 37/07 R).

1.4 Zuwendungen des Arbeitgebers

Wie bereits erwähnt, schuldet der Arbeitgeber für die im Hamburger Modell geleistete Arbeit keine Vergütung. Das gilt auch für Leistungen, mit denen im Normalarbeitsver-hältnis Aufwendungen (z.B. Fahrkosten zur Baustelle) ab-gegolten wurden (BAG vom 28.7.1999 – 4 AZR 192/98).

Zahlt der Arbeitgeber kraft Vereinbarung im Vertrag über die stufenweise Wiedereingliederung Entgelt, wird es auf das Krankengeld angerechnet (BSG vom 21.3.2007 – B 11a AL 31/06 R).

Werden von Seiten des Arbeitgebers freiwillige Zuwen-dungen i.S. einer Anerkennungs- oder Motivationsprämie gewährt, handelt es sich um Zuschüsse zum Krankengeld i.S. von § 23c SGB IV, d.h., die Zuwendung gilt nicht als beitragspflichtiges Arbeitsentgelt, wenn sie zusammen mit dem Krankengeld das Nettoarbeitsentgelt nach § 47 SGB V nicht um mehr als 50 Euro im Monat übersteigt (Bespre-chung der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 16.5.2006).

2. Verletztengeld

Verletztengeld wird gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII erbracht, wenn der Versicherte infolge eines Versiche-rungsfalls (Arbeits- oder Wegeunfall) arbeitsunfähig wird und unmittelbar davor Anspruch auf Arbeitsentgelt, Kran-kengeld, Arbeitslosengeld oder Alg II hatte. Arbeitsunfä-higkeit i.S. von §§ 45 SGB VII liegt vor, wenn ein Versi-cherter aufgrund der Unfallfolgen nicht in der Lage ist, seiner zuletzt ausgeübten oder einer gleich oder ähnlich gearteten Tätigkeit nachzugehen. Für die Dauer einer ar-beitsunfallbedingten AU besteht Anspruch auf Heilbehand-lung nach § 27 SGB VII, was u.a. Leistungen zur medizini-schen Rehabilitation nach § 26 SGB IX umfasst und hier-über auch die stufenweise Wiedereingliederung nach § 28 SGB IX.

Entfällt im Verlauf der Reha-Maßnahme nur die unfallbe-dingte AU bei Fortdauer der AU aus sonstigen Gründen, die mit dem Arbeitsunfall nichts mehr zu tun haben, tritt Krankengeld an die Stelle des Verletztengeldes. Umgekehrt gibt es Verletzten- statt Krankengeld, wenn während einer stufenweisen Wiedereingliederung ein Arbeitsunfall pas-siert.

Für die Dauer der unfallbedingten AU ist der Krankentage-geldversicherer trotz Tätigkeit im Hamburger Modell zur Zahlung der vereinbarten Leistungen verpflichtet, solange die Wiedereingliederungsmaßnahme und der Verdienstaus-fall des Versicherungsnehmers andauern (AG Wiesbaden vom 1.12.1998 – 93 C 4164/98 – 15; a.A. LG Köln vom 11.3.2009 – 23 O 319/06).

3. Übergangsgeld

Zur medizinischen Rehabilitation behinderter und von Be-hinderung bedrohter Menschen gehört u.a. die stufenweise Wiedereingliederung nach § 28 SGB IX. Danach sollen medizinische und die sie ergänzenden Leistungen entspre-chend der Zielsetzung einer besseren Wiedereingliederung in das Erwerbsleben erbracht werden, wenn arbeitsunfähige Leistungsberechtigte nach ärztlicher Feststellung ihre bishe-rige Tätigkeit teilweise verrichten können und dies durch eine stufenweise Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit voraus-sichtlich besser gelingen wird. Insoweit besteht kein Unter-schied zur Zielsetzung des § 74 SGB V. Es stellt sich daher die Frage, wann eine stufenweise Eingliederung mit Über-gangsgeld statt Krankengeld unterstützt wird.

Eine ausdrückliche Regelung trifft § 51 Abs. 5 SGB IX: »Ist im unmittelbaren Anschluss an [vom RV-Träger er-brachte] Leistungen zur medizinischen Rehabilitation eine stufenweise Wiedereingliederung (§ 28) erforderlich, wird das Übergangsgeld bis zu deren Ende weitergezahlt.«

3.1 Rehabilitationsbedarf

Die stufenweise Wiedereingliederung ist i.S. des § 51 Abs. 5 SGB IX erforderlich, wenn das Reha-Ziel – die Be-seitigung der Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit des Versicherten aufgrund Krankheit oder Behinderung – noch nicht erreicht ist. Dabei ist der Begriff der Erwerbsfähigkeit als Fähigkeit des Versicherten zu verstehen, die berufsty-pischen und daher rehabilitationsrechtlich relevanten An-forderungen seines bisherigen Berufs oder seiner bisherigen Tätigkeit wieder ausüben zu können (BSG vom 5.2.2009 – B 13 R 27/08 R).

Scheitert die volle Rückkehr in das bestehende Arbeitsver-hältnis dagegen an spezifischen Belastungen und Anforde-rungen des konkreten Arbeitsplatzes, die nicht berufsty-pisch sind, ist die Krankenkasse nach § 74 SGB V zustän-dig (s. auch SG Stuttgart vom 2.9.2010 – S 24 R 9049/08).

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3.2 Einheitlichkeit der Rehabilitation

Das gemeinsame Rundschreiben der Rentenversicherungs-träger zum Übergangsgeld (Stand Oktober 2011) legt eine starre Vier-Wochen-Grenze für den »unmittelbaren« An-schluss der stufenweisen Wiedereingliederung an eine vo-rangegangene, mit Übergangsgeld geförderte Reha-Maßnahme fest:

»Nach § 51 Abs. 5 SGB IX wird das Übergangsgeld im Anschluss an eine Leistung zur medizinischen Rehabilitati-on weiter gezahlt, wenn

– der Versicherte arbeitsunfähig ist

– eine stufenweisen Wiedereingliederung von der Rehabi-litationseinrichtung empfohlen und eingeleitet wird,

– der Versicherte und sein Arbeitgeber der stufenweisen Wiedereingliederung zustimmen,

– der Versicherte zur Durchführung der stufenweisen Wiedereingliederung ausreichend gesundheitlich belast-bar ist (mind. 2 Stunden täglich) und

– sich die stufenweise Wiedereingliederung unmittelbar, das heißt innerhalb von 4 Wochen, an die Leistung zur medizinischen Rehabilitation anschließt.«

Das stimmt nicht mit der Rechtsprechung des BSG überein. Danach sind die Umstände des Einzelfalls maßgebend (muss der Arbeitgeber noch Vorkehrungen treffen, benötigt der Versicherten noch eine Zeit der Rekonvaleszenz etc.). Solange die Leistungsvoraussetzungen des § 28 SGB IX (Arbeitsunfähigkeit, nach ärztlicher Feststellung bestehende Fähigkeit, die bisherige Tätigkeit teilweise verrichten zu können, und voraussichtlich bessere Wiedereingliederungs-chance durch die stufenweise Wiederaufnahme der Tätig-keit) am Ende einer medizinischen Reha-Maßnahme vor-liegen, ist die Voraussetzung des unmittelbaren Anschlus-ses gegeben (BSG vom 5.2.2009 – B 13 R 27/08 R).

3.3 Veränderte Rehabilitationsprognose

Die Zuständigkeit des RV-Trägers für eine stufenweise Wiedereingliederung (die Einheitlichkeit des Reha-Verfah-rens) endet erst dann, wenn sich der Krankheitsverlauf, etwa durch das Hinzutreten einer anderen Erkrankung, so verändert, dass die ursprüngliche, am Ende der zunächst durchlaufenen Reha-Maßnahme gegebene Prognose einer verbesserten Wiedereingliederungschance durch eine stu-fenweise Wiedereingliederung im Anschluss an die Reha-Maßnahme nicht mehr aufrechterhalten werden kann (vgl. dazu LSG Mecklenburg-Vorpommern vom 26.5.2009 – L 2 AL 14/06).

3.4 Unterbrechung der stufenweisen Wiedereingliederung aus gesundheitlichen Gründen

Anspruch auf Übergangsgeld besteht nur, solange der Ver-sicherte – aus welchen Gründen auch immer – an der Leis-tung zur medizinischen Rehabilitation teilnimmt. Die Wei-

terzahlung von Übergangsgeld bei Unterbrechung von Re-ha-Maßnahmen aus gesundheitlichen Gründen ist nur bei Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben vorgesehen, nicht jedoch bei Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (statt vieler LSG Bayern vom 15.5.2012 – L 13 R 649/11 NZB).

Nach dem gemeinsamen Rundschreiben der Rentenversi-cherungsträger zum Übergangsgeld (Stand Oktober 2011) soll die Unterbrechung einer stufenweisen Wiedereingliede-rung aus gesundheitlichen Gründen mit einer Dauer bis zu 7 Tagen jedoch unschädlich sein, wenn die Prognose über die Verbesserung der Wiedereingliederung im Rahmen eines Hamburger Modells unverändert bleibt und wenn absehbar ist, dass die stufenweise Wiedereingliederung trotz Unter-brechung erfolgreich beendet werden kann. Bei einer länger als 7 Tage andauernden Unterbrechung soll im Einzelfall geprüft werden, aufgrund welcher Erkrankung die stufen-weise Wiedereingliederung unterbrochen wurde. Ist abseh-bar, dass die stufenweise Wiedereingliederung erfolgreich beendet werden kann, kann in Ausnahmefällen der Sieben-Tage-Zeitraum überschritten werden, wenn das Ende der Unterbrechung von vornherein absehbar ist. In allen ande-ren Fällen gilt die stufenweise Wiedereingliederung vom ersten Tag der Unterbrechung an als abgebrochen, so dass Übergangsgeld nur bis zum letzten Tag der Teilnahme zu zahlen ist.

Ist der Anspruch auf Übergangsgeld entfallen, lebt der An-spruch auf Krankengeld wieder auf; ist dieser schon ausge-schöpft, muss ggf. die AA (dazu unter 3) oder das Jobcenter (Punkt 4) helfen.

3.5 Unterbrechung der stufenweisen Wiedereingliederung aus betrieblichen Gründen

Bei einer betriebsbedingten Unterbrechung der stufenwei-sen Wiedereingliederung von mehr als 7 Tagen (z.B. Werksferien, Kita-Schließzeit, Kurzarbeit), gibt es nach dem gemeinsamen Rundschreiben der Rentenversiche-rungsträger dennoch Übergangsgeld, wenn bis zum Beginn der Unterbrechung das Erreichen der vollen Leistungsfä-higkeit wahrscheinlich ist. Andernfalls ist die von der Ren-tenversicherung erbrachte stufenweise Wiedereingliederung mit dem Unterbrechungszeitpunkt beendet. Dies soll aus-nahmsweise nicht gelten, wenn es zu betriebsbedingten Unterbrechungen der stufenweisen Wiedereingliederung mit einer Überschreitung der 7-Tage-Frist auf Grund »be-sonders gelagerter Feiertage« (Jahreswechsel) kommt.

3.6 Erneuerung der stufenweisen Wiedereingliederung nach Abbruch

Entfällt wegen der Unterbrechung einer stufenweisen Wie-dereingliederung aus gesundheitlichen oder betrieblichen Gründen die Erwartung einer erfolgreichen Rückkehr in das Arbeitsverhältnis, besteht ein Anspruch auf Übergangsgeld nur bis zum Abbruch der stufenweisen Wiedereingliede-rung. Eine später erneut begonnene Wiedereingliederung ist nicht mehr Bestandteil der vorangegangenen Leistungen

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zur medizinischen Rehabilitation; zuständig für den neuen Eingliederungsversuch ist die Krankenkasse.

3.7 Zuwendungen des Arbeitgebers

Zahlt der Arbeitgeber für die Arbeitsleistung des Versicher-ten während der stufenweisen Wiedereingliederung Ar-beitsentgelt, ist dieses nach § 52 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX auf das Übergangsgeld anzurechnen. Für freiwillige Zuwen-dungen gilt § 23c SGB IV.

3.8 Arbeitserprobung auf leidensgerechtem Arbeitsplatz

Stellt sich im Verlauf der stufenweisen Wiedereingliede-rung heraus, dass der Versicherte nicht mehr in das beste-hende Arbeitsverhältnis zurückkehren kann, und bietet der Arbeitgeber daher einen anderen, leidensgerechten Arbeits-platz an, gehört die Abklärung der beruflichen Eignung und Arbeitserprobung für diesen Arbeitsplatz nicht mehr zu den Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation. Je nach Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen kann die Phase des Ausprobierens der neuen Tätigkeit als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben vom Rentenversi-cherungsträger oder der AA mit Übergangsgeld abgesichert werden.

4. Arbeitslosengeld

Zwingende Voraussetzung für einen Anspruch auf Arbeits-losengeld (Alg) ist die Arbeitslosigkeit. Arbeitslosigkeit bedeutet, dass der Versicherte tatsächlich nicht mehr be-schäftigt wird oder eine neue Beschäftigung noch nicht wiederaufgenommen hat (Beschäftigungslosigkeit), und setzt die Fähigkeit und Bereitschaft des Versicherten vor-aus, eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des für ihn in Betracht kommenden Arbeits-marktes aufnehmen und ausüben zu können (Verfügbar-keit).

4.1 Stufenweise Wiedereingliederung im Bezug von Nahtlos-Alg

Im Bezug von Nahtlos-Alg nach § 145 SGB III, d.h. bei Verlust eines Leistungsvermögens von mindestens 15 Stunden wöchentlich für eine Dauer von voraussichtlich mehr als sechs Monaten, sind die genannten Voraussetzun-gen erfüllt: Das Arbeitsverhältnis ist mit Beginn des Alg-Bezuges nach Ablauf des Krankengeldanspruchs regelmä-ßig ruhend gestellt (LAG Baden-Württemberg vom 9.6.2011 – 6 Sa 109/10; ArbG Bonn vom 18.1.2012 – 5 Ca 2499/11); die Verfügbarkeit beschränkt sich auf die Bereit-schaft, im Rahmen des bestehenden Restleistungsvermö-gens arbeiten zu wollen bzw. an Maßnahmen zur Wiederer-langung der Erwerbsfähigkeit aktiv mitzuwirken.

Die Teilnahme an einer stufenweisen Wiedereingliederung ist eine solche Maßnahme und schließt bis zur Wiederer-langung der vollen Arbeitsfähigkeit den Bezug von Naht-los-Alg nicht aus (so schon BSG vom 21.3.2007 – B 11a AL 31/06 R).

4.2 Alg-Antrag während einer stufenweisen Wiedereingliederung

Entfällt während einer stufenweisen Wiedereingliederung der Anspruch auf Übergangsgeld und ist das Krankengeld bereits ausgeschöpft, muss die AA einen deshalb gestellten Alg-Antrag nach dem regulären § 145-SGB III-Verfahren (Aufnahme der Zahlung bis zur unverzüglichen ärztlichen Begutachtung) bearbeiten. Jedenfalls die unentgeltliche Tätigkeit für einen Arbeitgeber im Rahmen einer stufen-weisen Wiedereingliederung begründet kein die Arbeitslo-sigkeit ausschließendes leistungsrechtliches Beschäfti-gungsverhältnis (BSG vom 21.3.2007 – B 11a AL 31/06 R). Die Teilnahme an der stufenweisen Wiedereingliede-rung begründet keine Vermutung dahingehend, dass die Leistungsfähigkeit in einem Zeitraum bis zu sechs Monaten wiedererlangt sein wird. Zum einen ist die Dauer der Reha-Maßnahme nach § 28 SGB IX nicht auf sechs Monate be-grenzt (s. dazu LSG Niedersachsen-Bremen vom 21.9.2011 – L 7 AL 94/10, info also 2012, S. 117 ff), zum anderen kann nur eine sozialmedizinische Begutachtung Aufschluss über die speziellen Voraussetzungen des § 145 SGB III geben.

4.3 Alg-Antrag während einer arbeitsplatzbezogenen Wiedereingliederung

Anders liegt der Fall, wenn zwar das Reha-Ziel – die Wie-dererlangung der Leistungsfähigkeit für die berufstypi-schen Anforderungen der vor Eintritt der Erkrankung aus-geübten Tätigkeit – erreicht ist, die volle Rückkehr in das bestehende Arbeitsverhältnis aber (noch) an spezifischen Belastungen und Anforderungen des konkreten Arbeitsplat-zes scheitert (s. oben Punkt 2.1). Ist der in diesem Fall vor-rangige Anspruch auf Krankengeld für eine schrittweise Rückkehr an den bestehenden Arbeitsplatz ausgeschöpft, sind die Voraussetzungen für einen »normalen« Alg-Anspruch erfüllt, solange die AU bezüglich des konkreten Arbeitsplatzes fortbesteht und der Arbeitnehmer nicht dar-auf verwiesen werden kann, im Rahmen des bestehenden Arbeitsvertrages auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz eingesetzt zu werden.

Für berufstypische Arbeiten, für die sich der Arbeitslose der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stellen muss, ist er in vollem Umfang leistungsfähig und damit arbeitslosenversi-cherungsrechtlich kein AU-Fall (s. dazu BSG vom 7.12.2004 – B 1 KR 5/03 R).

Die Kurzzeitigkeitsgrenze von 15 Stunden wöchentlich bzw. die zeitliche Einbindung in das Hamburger Modell schließt die Verfügbarkeit nicht aus. Denn die Aufnahme einer Tätigkeit zur stufenweisen Wiedereingliederung ist wegen Fortdauer der arbeitsrechtlichen AU kein Beschäfti-

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gungsverhältnis i.S. von § 138 SGB III (s. oben 3.2.; a.A. DA 138.13) und nach den üblichen Regelungen im Vertrag über die Wiedereingliederung kann die Arbeitserprobung jederzeit beendet werden.

Ein Grund für die Beendigung ist die Vermittlung in eine leidensgerechte Beschäftigung, sofern dies unter Be-rücksichtigung des bestehenden Arbeitsverhältnisses zu-mutbar ist. Die Situation gleicht hier der einer Arbeitslosig-keit mit Wiedereinstellungszusage. Ob zusätzliche Bindun-gen an das Arbeitsverhältnis (z.B. Aufrechterhalten von Vergünstigungen, die üblicherweise nur tatsächlich Be-schäftigten gewährt werden, Aufstockungszahlungen, Wie-deraufnahme der Beschäftigung zu den alten Konditionen, keine neuen Probezeiten oder Kündigungsfristen), die Ver-fügbarkeit ausschließen (so DA 138.15), ist im Einzelfall zu prüfen (s. dazu BSG vom 10.9.1998 – B 7 AL 96/97 R; LSG Sachsen vom 19.11.2009 – L 3 AL 234/05; LSG Hes-sen vom 15.12.2008 – L 9 AL 131/07).

Bei Abbruch der Wiedereingliederung ohne wichtigen Grund kann es keine Sperrzeit geben, weil der Betreffende kein Beschäftigungsverhältnis i.S. von § 159 SGB III been-det hat, allerdings ist dann die Vermittlung in berufstypi-sche Tätigkeiten ohne Rücksichtnahme auf das bestehende Arbeitsverhältnis ohne weiteres zumutbar.

5. Arbeitslosengeld II

Reicht das Krankengeld, Übergangsgeld oder Arbeitslosen-geld nicht zur Bestreitung des Lebensunterhalts oder sind Ansprüche auf die genannten Lohnersatzleistungen entfal-len, hilft bei Bedürftigkeit (§ 9 SGB II) das SGB II.

Wird Alg II ergänzend bezogen, müssen die im Hamburger Modell gezahlten Lohnersatzleistungen um die Freibeträge für Erwerbstätigkeit bereinigt werden. Denn die Lohner-satzleistungen treten in diesem Fall – wie das Insolvenzgeld – in rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht an die Stelle des Arbeitsentgeltanspruchs. Daher können sie auch hin-sichtlich der Einkommensbereinigung wie ein Arbeitsent-geltanspruch behandelt werden (vgl. zum Insolvenzgeld BSG vom 13.5.2009 – B 4 AS 29/08 R). Außerdem erfüllen die Erwerbstätigen-Freibeträge für die im Hamburger Mo-dell gewährten Lohnersatzleistungen den Sinn und Zweck eines Anreizes zur Stärkung des Arbeits- und Selbsthilfe-willens (damit begründet das BSG vom 14.3.2012 – B 14 AS 18/11 R die Bereinigung des Kurzarbeitergeldes um die Freibeträge für Erwerbseinkommen).

Zur Frage der Angemessenheit der Energiekosten zur Bereitung von Warmwasser im SGB II Bernd Eckhardt*

I. Einführung

Ab* Januar 2011 werden Energiekosten zur Bereitung des Warmwassers im SGB II und SGB XII den Kosten der Unterkunft zugeordnet. Ursache dieser Neuregelung durch das RBEGuSGBII, SGBXIIÄndG war die Feststellung, dass bei der Ermittlung der Regelbedarfe nach der herange-zogenen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS 2008) Kosten der Warmwasserbereitung nicht erhoben worden sind. Unter den EVS-Code-Nummern 0455000-0455020 erfasste Ausgaben für Fern-/Zentralheizung und Warmwasser (auch Umlagen) wurden bei den regelbedarfs-relevanten Bedarfen der Abteilung 04 (Wohnen, Energie) nicht berücksichtigt. Das bedeutet, dass bei ca. 80% der erfassten Haushalte Warmwasserbereitungskosten nicht als Bestandteil des Regelbedarfs erfasst wurden, weil diese Haushalte nicht mit Strom Warmwasser bereiteten.1 Dar-über hinaus wurden die Haushalte, die mit Strom heizen, bei der Bestimmung des Postens der Haushaltsenergie nach

* Dipl.-Päd. Bernd Eckhardt, Mitarbeiter im Ökumenischen Ar-

beitslosenzentrum Nürnberg. 1 Daten zum Anteil der Haushalte, die Warmwasser elektrisch

bereiten, nach co2online gemeinnützige GmbH im Auftrag des Bundesumweltministeriums, vgl. www.klima-sucht-schutz.de

dem Regelbedarfsermittlungsgesetz herausgenommen. 2 In diesen nicht berücksichtigten Haushalten wird aber Warm-wasser in der Regel mit Strom bereitet. Im Regelbedarf sind also weitgehend keine Aufwendungen für die Warmwas-serbereitung berücksichtigt worden. Dass dieser Fehler im Vermittlungsausschuss aufgefallen ist und zur Neufassung des Regelbedarfs in § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB II geführt hat, rechtfertigt im Nachhinein das ansonsten eher unrühmliche Gesetzgebungsverfahren.

II. Die Angemessenheit der Energiekosten bei zentraler Warmwasserbereitung

Mit der Integration der Warmwasserbereitungskosten in die Kosten der Unterkunft stellt sich nun aber das Problem, in welcher Höhe sie als angemessen zu übernehmen sind. Bei Durchsicht der verschiedenen kommunalen Verwaltungs-vorschriften zur Übernahme angemessener Unterkunftskos-ten zeigt sich ein vollkommen heterogenes Bild. Einig sind sich die kommunalen Leistungsträger nur insofern, als sie in Analogie zur Bestimmung der Angemessenheit der übri-

2 Vgl. BT-Drs. 17/3404, 55.