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Soziale Zeitautonomie 6.65 PersonalEntwickeln 121. Erg.-Lfg., Juni 2008 6.65 Seite 1 6.65 Soziale Zeitautonomie Zum Zeitmanagement von Projekten, Gruppen und Teams In diesem Beitrag erfahren Sie, warum Zeit in sozialen Zusammenhängen weitgehend eine unbekannte Größe ist, warum das klassische Zeitmanagement bei der Arbeit von Teams und Projekten nicht funktionieren kann, welche alternativen zeitlichen Betrachtungsweisen für die Arbeit von Gruppen hilfreich sein können, welche Eckpunkte soziales Zeitmanagement in diesem Zusammenhang umfassen sollte. Dr. Alexander Klier ist pädagogischer Leiter der Erwachsenenbildung beim DGB Bildungswerk Bayern. Technische Ausbildung in der Kommunikationsbranche. Nach längerer Berufstätigkeit Abitur über den 2. Bildungsweg und schließlich Studium der Philosophie an der Hochschule für Philosophie in München; anschlie- ßend Zusatzstudium der Erwachsenenpädagogik und schließlich Promotion zum Thema Umgang mit Zeiten in Betrieben. Anschrift: DGB Bildungswerk Bayern, Schwanthalerstr. 64, 80336 München, Tel.: 089/55933641, E-Mail: [email protected], Internet: www.alexander-klier.net Der Autor

Soziale Zeitautonomie. Zum Zeitmanagement von Projekten ... · Zum Zeitmanagement von Projekten, Gruppen und Teams In diesem Beitrag erfahren Sie, warum Zeit in sozialen Zusammenhängen

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Soziale Zeitautonomie 6.65

6.65 Soziale ZeitautonomieZum Zeitmanagement vonProjekten, Gruppen und Teams

In diesem Beitrag erfahren Sie,

● warum Zeit in sozialen Zusammenhängen weitgehendeine unbekannte Größe ist,

● warum das klassische Zeitmanagement bei der Arbeitvon Teams und Projekten nicht funktionieren kann,

● welche alternativen zeitlichen Betrachtungsweisen fürdie Arbeit von Gruppen hilfreich sein können,

● welche Eckpunkte soziales Zeitmanagement in diesemZusammenhang umfassen sollte.

Dr. Alexander Klier ist pädagogischer Leiter der Erwachsenenbildung beim DGBBildungswerk Bayern. Technische Ausbildung in der Kommunikationsbranche.Nach längerer Berufstätigkeit Abitur über den 2. Bildungsweg und schließlichStudium der Philosophie an der Hochschule für Philosophie in München; anschlie-ßend Zusatzstudium der Erwachsenenpädagogik und schließlich Promotion zumThema Umgang mit Zeiten in Betrieben.

Anschrift: DGB Bildungswerk Bayern, Schwanthalerstr. 64, 80336 München,Tel.: 089/55933641, E-Mail: [email protected],Internet: www.alexander-klier.net

Der Autor

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Klier
Rechteck

6.65 Soziale Zeitautonomie

Inhalt

1 Zeit – Die gemeinsame Unbekannte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

1.1 Prozessmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

1.2 Virtuelle Strukturen und Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

1.3 Zeithandeln in komplexen Systemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

2. Was aber ist Zeitmanagement? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

2.1 Verkehrte Prioritäten gesetzt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

2.2 Alles Zeitdiebe, oder was? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

2.3 A-Soziale Zeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

2.4 Mach mal einen Plan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

3 Ein alternativer Blick auf Betriebszeiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

3.1 Dauerprozess und Kommunikationsdauer . . . . . . . . . . . . . 15

3.2 Wandel, Rituale und Emotionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

3.3 Warte mal schnell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

3.4 Mach mal Pause . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20

3.5 Work-Life-Balance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

4 Soziales Zeitmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

4.1 Kollektive Zeitautonomie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

4.2 Produktqualität = Qualität der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

4.3 Empfehlungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

5 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

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1 Zeit – Die gemeinsame Unbekannte

„Das Problem besteht darin, daß die Zeit [...] ein an sichernstzunehmendes Steuerungsproblem darstellt, welches sich sehr

rasch [... ] als ein Grundlagenproblem des Managements vonUnternehmen herausstellt. Gemessen an diesem Sachverhalt fallen

Rezeptionen und Relevanzzuschreibungen der Zeitproblematik durch diegegenwärtige Unternehmenssteuerungstheorie eher dürftig aus, und dieherkömmliche Managementlehre zeigt sich an der Zeit als einer Grund-

dimension der Unternehmenssteuerung nicht interessiert.“

(Noss 1997, S. 6)

Gängige Management- und Organisationstheorien zeigen einige Pro-bleme, das reale zeitliche Handeln von Mitarbeitern und Mitarbeiterinneneinzuordnen. Das belegen folgende, nicht ungewöhnliche Ausführungenwie: „Im Büro herrscht eine Kultur der Verschwendung“; „Wie vorgerech-net, liegt die Arbeitsproduktivität in Deutschland gerade einmal bei 68Prozent“; „Das Arbeitsumfeld zwingt viele Beschäftigte zum Nichtstun“;„Führungskräfte widmen sich nicht ihrem eigentlichen Job“; „Zu den wich-tigsten Zeitkillern zählen Meetings“.

Die vorgebrachten Ergebnisse decken sich nicht zufällig mit Aussagengängiger Zeitmanagementliteratur und Ratgebern für Personalverant-wortliche. Als kritischer Leser stellen sich jedoch einige Rückfragen ein:

Was ist der Rationalitätsmaßstab hinter diesen Ergebnissen?

Vor welchem Hintergrund kommt man zu so genauen Schätzungen derArbeitsproduktivität?

● Was bedeutet Nichtstun jeweils im konkreten Fall?

● Was ist der eigentliche Job von Managern und Führungskräften?

● Warum führen sie ihn nicht aus, sondern beschäftigen sich lieber mitZeitkillern?

● Kann es sein, dass das nicht offensichtliche Tun anders erfasst wer-den muss?

● Warum kann man überhaupt von Zeitkillern und Verschwendung vonZeit reden?

● Welche Zeitvorstellung verbirgt sich hinter den Aussagen?

● Wird sie erläutert, begründet oder auch nur eingeführt?

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Die meisten Zeitmodelle sind statisch konzipiert. Aus diesem Grund spieltZeit auch keine Rolle. Wenn Zeit dennoch auftaucht, dann lediglich alslogische Abfolge von Prozessen. Die Vernachlässigung unterschiedlichs-ter zeitlicher Verläufe zeigt sich besonders in den Lehrbüchern. Ein Blickin die Inhalts- und Schlagwortverzeichnisse wichtiger Management-bücher, Werke der Organisationsliteratur – aber auch zum Thema Füh-rung und Personalentwicklung – zeigt, dass das Thema Zeit nirgendseigens ausgeführt wird: Im Regelfall wird Zeit in der betriebswirtschaftli-chen Literatur nicht einmal unter dem Thema „Determinanten“, „Restrik-tionen“, „Potenzial“ oder „Einflussgrößen“ eigens thematisiert.

Komplementär dazu verhält sich die klassische Zeitmanagementliteratur.Zeitmanagement befasst sich ausschließlich mit dem Thema Zeit. Zeitwird jedoch auch hier nicht näher erläutert, sondern als exisitierendeGröße unhinterfragt vorausgesetzt. Zeitmanagement Ratgeber, die weit-gehend theoriefrei bleiben, beziehen sich vom Anspruch her auf diegesamte, einen Menschen zur Verfügung stehende Zeit. Doch daseigentliche Thema ist die möglichst effiziente Gestaltung der individuel-len betrieblichen Arbeitszeit. Das dem Zeitmanagement zugrundegelegte Zeitmodell entstand, wie das der Managementtheorien auch, imZuge des Aufbaus der betriebsförmigen Organisation moderner Fabri-ken. Doch seit diesen Zeiten haben sich bezüglich der Arbeitsorganisa-tion viele Änderungen ergeben. Nicht nur der Übergang auf möglichst fla-che Hierarchien: Vor allem indirekte Steuerungsformen und die Organi-sation der Arbeit über Teams und Projekte sind zentrale Veränderungen.

1.1 Prozessmanagement

An der theoretischen Auseinandersetzung um das Thema Flexibilisie-rung der Arbeitszeit wird deutlich, dass rigide strukturierte und standardi-sierte zeitliche Organisationsformen nicht notwendig ein Maximum anökonomischer Effizienz bedeuten. Angesichts der sich global verändern-den Produktionsbedingungen scheint dabei die tayloristische Betriebs-organisation selbst in Frage zu stehen. Prozessmanagement soll diehistorisch entstandene tayloristische Zergliederung von Betriebsorgani-sationen rückgängig machen. Prozessmanagement wird nach heutigemSelbstverständnis als effizientere Form der Arbeitsteilung betrachtet.Nicht zuletzt deshalb liegt die Betonung moderner Organisationstheorienauf der schnellen und fehlerfreien Abwicklung von Prozessen. Die Ein-führung von Prozessmanagement im betrieblichen Kontext bedeutet einezunehmende Differenzierung und zusätzlichen Koordinationsaufwand,

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da zentral von Teams begleitet, umgesetzt und gesteuert. Im Rahmenvon Prozessmanagement kommt auch Zeit ausdrücklich ins Spiel: Dieneuen Organisationsformen und Arbeitsstrukturen sind zeitaufwendigerals rein tayloristische und komplizierter als hierarchische Lösungen.

Parallel dazu steht die Idee und Verbreitung der sogenannten Vertrau-ensarbeitszeit, also der Wegfall formaler Erfassung, Auswertung undKontrolle von Arbeitszeiten. Mittels neuer Instrumente der betrieblichenLeistungspolitik verliert so die abstrakte Uhrenzeit, verstanden alsMaßstab des Aufwandes einer Produkt- oder Leistungsherstellung, seinetraditionelle Bedeutung. Diese Entwicklungen – weiter in die Zukunft pro-jiziert – ergeben schließlich das aktuelle Modell modularer Netzwerkebzw. virtueller Organisationen, welche die Auflösung der klassisch taylo-ristischen Betriebs- und Arbeitsorganisation – sowohl räumlich als auchzeitlich – prognostizieren.

Flache Hierarchien und Dezentralisierung scheinen für das Prozess-management erfolgreiche Konzepte darzustellen, noch mehr jedoch derparallele Übergang zur Gruppen- und Teamarbeit. Insbesondere Projekt-arbeit lebt dadurch, dass sie nicht unmittelbar an die Hierarchie gekoppeltist. Genau dieser Umstand aber bringt spezifische (zeitliche) Problememit sich. Dies zeigt sich vor allem dann, wenn die Ergebnisse von Projek-ten real umgesetzt werden sollen. Die Einführung von Teamarbeit undProjektmanagement führt in jedem Fall zu einer Steigerung der Komple-xität betrieblicher Organisationen, auch wenn dahinter die Einsicht steht,dass nur in Kleingruppen diejenigen Voraussetzungen gegeben sind, diebestimmte Problemlösungen erfordern. Aus diesen Entwicklungen erge-ben sich aber Fragen nach den systemischen Voraussetzungen, umneben individuellem betrieblichen Zeithandeln ein koordiniertes Arbeitenin Teams und Gruppen zu ermöglichen.

1.2 Virtuelle Strukturen und Ziele

Hierarchische und formelle Strukturen werden gegenüber prozessualenOrganisationsformen weiter an Bedeutung verlieren. Das legt die Ausei-nandersetzung um vernetzte, fraktale oder virtuelle Organisationen nahe.Zu virtuellen Unternehmen gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher undsich zum Teil widersprechender Definitionsvorschläge in der Literatur.Grundsätzlich treffen sich die Virtualisierungsdebatten mit der Tendenz,Betriebe auch praktisch als System fluider und temporärer Strukturenund Prozesse zu sehen. Im idealtypischen Fall wird dabei die komplette

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Wertschöpfungskette räumlich und zeitlich entkoppelt. Diese zeitlicheTrennung hat zwangsläufig Rückwirkungen auf das Management und dieFührung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Aufgabe von Führung ist es, das innerbetriebliche Handeln auf die Unter-nehmensziele auszurichten. Dies soll durch entsprechende Kommunika-tionsstrukturen und -abläufe erreicht werden. Dabei weisen Führung undOrganisationsstruktur einen engen Zusammenhang auf: In der formellenStruktur spiegelt sich in der Organisation das jeweilige formale Führungs-verständnis wider. Im Fall der virtuellen Führung wird Führung durch dieorganisationalen Strukturen, d.h. durch technische Bedingungen, vor-gegebene Arbeitsabläufe oder aber durch die Zielvorgaben der Teamsund Ressourcenausstattung der Projekte, geregelt. Auch erfolgreicheFührung wird am Erreichen der vorgegebenen Ziele gemessen, nichtmehr am erbrachten zeitlichen Arbeitsaufwand. Es wird, bedingt durchdiese neuen Steuerungsvorstellungen, verstärkt dafür plädiert, Füh-rungsprobleme durch die Gruppen und Projekte selbst lösen zu lassen.

Doch Führung in Betrieben als komplexes Gesamtsystem funktioniertnach anderen Prinzipien als Führung in Kleingruppen und Teams. Hinzukommt, dass die Beurteilung der ökonomischen und zeitlichen Effizienzaufgrund von Zielen in der Praxis weitaus schwieriger ist, als es dieseAusführungen nahelegen. Individuelle oder Gruppenziele lassen sichbeispielsweise nicht konsequent aus einem übergeordneten Zielsystemableiten. Zielsysteme sind in komplexen Betrieben in der Regel unvoll-ständig und durch Polytelien (es existieren mehrere gleichrangige Ziele)geprägt. Unterschiedliche Ziele interagieren auch zeitlich unterschied-lich. Daraus können sich handfeste Zielkonflikte ergeben.

Die meisten Zielkonflikte ergeben sich aus der unterschiedlichen Reich-weite von Maßnahmen in die Zukunft. Genauer: Kurzfristige und periodi-sierte Ziele können andere Handlungen erforderlich machen, als wenndie gleichen Ziele langfristig angelegt sind. In aller Regel wird der Ziel-konkurrenz im langfristigen Verlauf durch sequenzielle Problemlösungbegegnet. Der Zielkonflikt wird dann scheinbar durch zeitliche Komplexi-tätsreduktion aufgelöst. Die lineare Abarbeitung so aufgelöster Konflikteaber verfehlt genau das, was die Steuerung betrieblicher Systeme erstmöglich macht: ihre Komplexität im dauerhaften Verlauf wahrzunehmenund die dabei nicht aufzulösende Polytelie zu balancieren.

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1.3 Zeithandeln in komplexen Systemen

Es gibt kein zuverlässiges Organ für die Wahrnehmung von Zeitabläufen.Insofern haben Menschen Schwierigkeiten beim Erfassen nichtlinearerVerläufe. Aufgrund „kleiner“ Handlungsziele, technisch unmittelbar erfol-gender Rückmeldungen und dem spezifischen Feedbackverhalten vonGruppen ist es zwar normalerweise leicht zu beurteilen, ob man Fort-schritte in der Umsetzung seiner Ziele macht oder nicht. Doch genaudeshalb ist der Umgang mit nicht linear verlaufenden zeitlichen Musternin komplexen Systemen eines der größten Probleme. Aufgrund der all-täglichen Regelhaftigkeit werden nämlich bestimmte denkerische „Abkür-zungen“ entwickelt und angewandt. Diese „Heurismen“ werden verallge-meinert und auf komplexe Systeme übertragen. Dazu wird typischer-weise von der Vergangenheit in die Zukunft extrapoliert. Oder es werdenTeilziele gebildet in der Hoffnung, das Gesamtproblem damit leichterlösen zu können.

Bei der Bewältigung komplexer Situationen sind klare Vorstellung derunterschiedlichen Verläufe und ein adäquates Feedback jedoch seltengegeben. Komplexe Zeitabläufe weisen auch Reaktions- und Totzeitenoder das Faktum schwacher Kausalität auf. Natürliche Systeme habendafür unterschiedlich lange Rückkoppelungskreisläufe. Wenn Rückmel-dungen auf Handlungen verzögert, oder aber aus völlig anderen Zusam-menhängen heraus erfolgen, dann haben Menschen regelmäßig großeSchwierigkeiten, ihre Handlungen richtig abzustimmen oder den Erfolgvon Planungen adäquat zu beurteilen. Meist bleiben deshalb nichtlineareProzesse, Totzeiten und verzögerte Wirkungen systematisch unberück-sichtigt. Untersucht werden dann eher spezifische Teilprobleme untervereinfachten Bedingungen. Damit wird genau jene Eigenschaft derProbleme, welche die Handhabung so schwierig macht, nämlich ihreKomplexität, eliminiert. Dass Zeit in den entsprechenden Theorien zurGestaltung komplexer betrieblicher Systeme und dem Mangement ihrerdynamischen Prozesse im wahrsten Sinne des Wortes kein Thema ist,erweist sich deshalb als extrem problematisch.

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Abb. 1: Unterschiedliche Zeiten

Hinweis zu Abb. 1: Menschen können nichtlinear verlaufende Zeitformen schwerin ihre Handlungen integrieren. Im Fall der Totzeiten erfolgt die Reaktion – je nachLänge der Totzeit – erst sehr viel später auf die auslösende Handlung. Bei expo-nentiellen Zeiten dauert es extrem lange, bis eine Reaktion erfolgt; dann jedochmit ständig steigender Geschwindigkeit.

2 Was aber ist Zeitmanagement?

„Kundenwünsche werden nicht in einem Funktions-Silo erfüllt,sondern durch die aktive Zusammenarbeit von Menschen.

Gespräche sind mit die wichtigste Form von Wertschöpfung,insbesondere dort, wo Wissen vermarktet wird.“

(Simon 1995, S. 544)

Während Zeit und ihre Gestaltung im Bereich der Organisations-, Füh-rungs- und allgemeinen Managementtheorien fast nirgends ein aus-drückliches Thema ist, spielt das Management von Zeit im Bereich desindividuellen Handelns in Betrieben eine zentrale Rolle. Das belegen u.a.die Verkaufszahlen der einschlägigen Zeitmanagement Literatur. Indemsie den Umgang mit Zeit als persönliche Kompetenz begreifen und

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thematisieren, teilen diese größtenteils theorielosen Konzepte einemethodische Grundentscheidung mit den betriebswirtschaftlichen undökonomischen Theorien: das individuelle Tun. Auch in der Überbetonungder Planung treffen sie sich mit den meisten Organisationsmodellen. ImPrinzip wird die zeitliche Gestaltung und Strukturierung der Arbeitsab-läufe von den Betroffenen verlangt. Ob es dabei organisationale Bedin-gungen, also beispielsweise eine gewisse Zeitautonomie und Flexibilität,geben muss oder eine entsprechende Ausstattung mit Ressourcen, alsVoraussetzung, ist schon nicht mehr Thema der Ratgeber. Die möglichstgenaue Planung von Wochen, Tagen und konkreten Aufgaben, am bes-ten durch schriftliches Fixieren, ist der eigentliche Kern. Analog wirddabei in lang-, mittel- und kurzfristigen Ziele unterschieden.

Populär wurde Zeitmanagement in der Folge der Rezeption und Adaptiondurch Autoren und sogenannte „Zeitexperten“ wie im angelsächsischenRaum z.B. Stephen Covey oder im deutschsprachigen Raum Lothar Sei-wert. Dabei haben sich viele Zeitmanagement-Konzepte im Laufe derZeit verändert und ausdifferenziert, so dass nicht mehr ohne Weiteresvon dem Zeitmanagement gesprochen werden kann. Zeitmanagementals Konzept ist Gegenstand zahlreicher Werke und populärer Seminare,und nur selten Gegenstand empirischer Forschungen. Als persönlichesSelbstmanagement verstanden ist es „eher eine suggestive, als einesachverständige Denotation“ (Eberle 1994, S. 124). Die Herleitung derVerhaltensregeln und Anleitungen zur Verbesserung des Umgangs mitder Zeit werden jedenfalls an keiner Stelle inhaltlich begründet oder garempirisch auf Wirksamkeit hin belegt. Das ist angesichts der nicht gerin-gen Kosten für die Teilnahme an Zeitmanagementseminaren ein durch-aus erstaunlicher Umstand.

Die unausgesprochene Grundannahme jedes Zeitmanagement-Ratge-bers ist die, dass das Training von Zeitmanagement und das Erlernen derverschiedenen Tools zu spezifischem Verhalten im Umgang mit Zeitführt. Drei Faktoren erhalten hierbei einen großen Stellenwert: das Set-zen von Zielen und Prioritäten, die Anwendung verschiedener Technikenund Tools zum Erreichen der Ziele und eine Präferenz für die Planungund Organisation – und damit Ordnung – von Zeit. Egal ob dies mit klas-sischen Zeitbüchern oder per Mindmap erfolgen soll: Die Logik der ver-schiedenen Planungszeiträume geht stets von einer genau planbarenAbfolge aus, die nur von sogenannten Zeitkillern unterbrochen werdenkann. Von Komplexität, sozialer Bedingtheit von Entscheidungen oderunterschiedlichen zeitlichen Verläufen ist keine Rede.

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2.1 Verkehrte Prioritäten gesetzt?

Mehr und gründlichere Planung der richtigen Ziele – weniger Zeitpro-bleme in der Umsetzung – mehr eigene Zeiten für individuelle Ziele; sodie einfache Formel der meisten Zeitmanagement-Ratgeber. Sie bietenzur besseren Nutzung der Zeit viele Techniken, Übungen und Verhal-tensregeln an, die sich auf ein rigides Selbstmanagement stützen. Emp-fohlen werden Zeitprotokolle, Tagespläne, Zeitplanprogramme und vie-les mehr. Klare und motivierende Ziele sollen bei der Prioritätensetzungim Vordergrund stehen. Zwischen Dringlichkeit und Wichtigkeit von Auf-gaben zu unterscheiden soll beim Zeitmanagement helfen, dem Zeit-druck zu entgehen. Die Grundannahme hierbei: Die meisten Beschäftig-ten setzen die verkehrten Prioritäten. Und: Sie können sie individuell bzw.durch persönliche Ausführung erreichen.

Dabei gibt es zwischen den Ratgebern zwar verschiedene Auffassungen,welche Aufgaben nun wie zu priorisieren und wann am besten zu erledi-gen sind. Aber spätestens bei der Empfehlung, das Pareto-Prinzip zubeachten, wird es spannend: Die überwiegende Zeit sei auf diejenigen20% der Arbeit zu legen, die 80% des Erfolges darstellen. Nur – welchesind das? Und was passiert tatsächlich mit den anderen Tätigkeiten,wenn sie wichtig für den betrieblichen Kontext und die organisationaleAufgabenverteilung sind, jedoch individuell in den Papierkorb wandern(sollen)? Auf der Ebene des einzelnen Managers effizient geplante Teil-lösungen haben nicht zwingend eine Effizienzsteigerung der gesamtenArbeitsprozesse einer Organisation zur Folge. Die aufgezeigte Lösungs-strategie besteht ohnehin, nachdem die Störquellen lokalisiert wurden,nur darin, „durch Institutionalisierung des Befehls“ (Luhmann 1971,S. 146), also durch die hierarchische Delegation von Arbeit auf andere,Zeit zu sparen. Doch das ist zugleich das größte Problem.

2.2 Alles Zeitdiebe, oder was?

Zeitmanagement-Ratgeber beruhen stark auf tayloristischen Vorstellun-gen. Denn nur wenn das Delegieren angeordnet werden kann, funktio-niert es als tatsächliche Zeitersparnis. Eine starke Hierarchie ist so dieunausgesprochene Voraussetzung klassischen Zeitmanagements. Zeit-management stellt sich als individuelle Form dessen dar, was innerhalbder industriellen Organisation als Arbeitsvorbereitung gilt. Eine Voraus-setzung, die in Teams und Projekten im Regelfall nicht gegeben ist. Indem Moment nämlich, in dem in der Gruppe Gleichgestellte kommunika-

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tiv dazu gewonnen werden müssen, die Arbeit zusätzlich zu überneh-men, ist die Zeit, die für diesen Kommunikationsakt aufgewendet werdenmuss, im Regelfall größer als die Zeit zur Erledigung der Aufgabe.

Gerade mit den Beispielen der „Zeitdiebe“ nehmen Zeitmanagement-Ratgeber auf deutliche Weise zu sozialen Aufgaben und kommunikativenBeziehungen Stellung: In Folge der rigiden Voraussetzungen wird unter-stellt, dass die wirklich wichtigen Aufgaben solche sind, die ohne verbaleKommunikation erfüllt werden können oder ohne kommunikativeSynchronisation stattfinden. Als Indiz dafür seien die sogenannten „stillenStunden“ genannt, in denen dafür Sorge zu tragen ist, dass man ohneArbeitsunterbrechung durch sogenannte Zeitfallen, damit sind meistspontane Gespräche von Kollegen gemeint, arbeiten kann.

Doch spätestens dann, wenn spontane Unterbrechungen durch Gesprä-che als Zeitkiller bezeichnet werden, sollten sich nicht nur Führungskräfteüberlegen: Gerade das Zulassen solcher Gespräche erspart möglicher-weise weitere Gespräche mit vielleicht höherem zeitlichen Aufwand. Esentbehrt insgesamt nicht einer Komik, wenn kooperativ agierende Mitar-beiter und gesprächsbereite Kollegen als „Zeitdiebe“ betrachtet werden.Der Witz ist immer der, dass man es vorher meist nicht weiß. Insofern istein passendes kommunikatives Verhalten sehr viel angemessener, alsdas Vermeiden der Gespräche.

2.3 A-Soziale Zeiten

Im Rahmen von Zeitmanagement individuell zurückgestellte Aufgabenoder nicht ausgeführte Tätigkeiten erfordern, da sie im Regelfall im orga-nisationalen Gefüge ihre Berechtigung haben, entweder Mehrarbeit inanderen Abteilungen oder bringen zusätzliche organisatorische Belas-tungen mit sich. Das klassische Zeitmanagement weist immer wieder eingrundlegendes Problem auf: das Bild hochgradig individuellen Arbeits-verhaltens von Managern, das unter Ausschluss von intraorganisationa-len Zielkonflikten, intrapersonalen Konflikten oder auch nur der Tatsache,dass es im betrieblichen Kontext die unterschiedlichsten – gleichwohlnotwendigen – Bedingungen für das Gelingen der eigenen Aufgabengibt. Doch in den seltensten Fällen können individuelle Entscheidungenund Planungen den gemeinschaftlichen Prozess der Leistungserstellungsteuern. Dabei ist nicht nur die Verwendung von Zeit auf den verschiede-nen Ebenen durch die Zielvorgaben weitgehend festgelegt. Führungs-kräfte sind zunehmend für den Erfolg ihrer Teams und Projekte zustän-

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dig. In diesem Falle ist es geradezu eine Pflicht, sich unterbrechen zu las-sen. Störungen und Unterbrechungen gehören zum Konzept komplexersozialer Systeme.

Ähnlich verhält es sich mit Telefonaten als Zeitfallen: Die Aussage, Tele-fonate immer nur dienstlich zu führen und keine „privaten Schwätze“zuzulassen, geht beispielsweise an dem Problem vorbei, dass in hoch-kommunikativen Arbeitszusammenhängen die Beziehungsebene einezentrale Rolle spielt. Ohne Klärungen auf dieser Ebene gibt es in derRegel auch auf der Sachebene wenig Erfolge.

Dass Unterbrechungen durch Kurzpausen auch die Chance zu Kontak-ten und Kommunikation eröffnen, was beispielsweise Aufgabe von Füh-rungskräften ist, wird in den Ratgebern nicht einmal erwähnt: Durch dieCharakterisierung der Gespräche als Zeitfallen verkennt das klassischeZeitmanagement systematisch die Eingebundenheit aller Projektmitglie-der.

2.4 Mach mal einen Plan

Viele Tätigkeiten zum Erreichen der individuell gesteckten Ziele sind inden hochsozialen betrieblichen Kontexten zeitlich nicht exakt planbar.Dies gilt umso mehr, je weiter sie in der Zukunft liegen, je länger also diedazwischen liegende Dauer ist. Je weiter in die Zukunft geplant wird,desto weniger Eintrittswahrscheinlichkeit hat die eigene Planung. Und jeumfangreicher die Pläne werden, desto mehr Entwicklungsmöglichkeitenin die Zukunft sind denkbar. Projekte und organisatorische betrieblicheVeränderungen haben deshalb im Allgemeinen nur eine begrenzteReichweite. Mit dem expliziten Vorschlag, Pufferzeiten einzuplanen, solldieses in der Praxis immer wieder auftretende Problem aufgefangen wer-den. Genügend Pufferzeiten für unerwartete und spontane Aktivitäten,die dann aber wiederum – möglichst wie das sonstige Arbeitsvolumenauch – detailliert geplant werden sollen. So gesehen stellen Pufferzeitenden mehr oder weniger hilflosen Versuch dar, die längerfristige sozialeGebundenheit der Aufgabenerfüllung – beispielsweise gegenüber denals Zeitdieben titulierten Kollegen – anzuerkennen. Bereits basale Kennt-nisse der Theorie nichtlinearer Systeme wären gegenüber dem linearenKonzept der Planung im Bereich des Zeitmanagements sehr viel hilfrei-cher.

Innerhalb der Grundprinzipien und Methoden des klassischen Zeitma-nagements wird bei den konkreten Ratschlägen nicht weiter zwischen

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organisational-systemischen und individuellen Problemen im Umgangmit Zeit unterschieden. D.h. aus der Literatur ergeben sich nur Rat-schläge, deren Umsetzung jeweils dem Einzelnen obliegt. Entsprechendineffektiv sind auch die unzähligen pauschalen Ratschläge, wenn siekonkret in komplexen Systemen angewendet werden sollen. Zeitma-nagement kann durch diese fehlende Unterscheidung zeitlicher Voraus-setzungen – entgegen dem expliziten Versprechen – zur weiterenArbeitsverdichtung beitragen. Dann beispielsweise, wenn aufgrund einerviel zu knappen Personalausstattung die Zeit immer weiter verdichtetwird.

Im realen Umgang mit Zeit – und ihrer Planung im sozialen Verbund –gibt es keine einfachen Lösungen. Erst die individuelle Anpassung derallgemeinen Empfehlungen führt zu einer erfolgreichen Anwendung desindividuellen Instrumentariums Zeitmanagement im sozialen KontextBetrieb. Dies wiederum könnte weit systematischer geschehen, wenn dieverschiedenen zeitlichen Muster in sozial verfassten Strukturen besserberücksichtigt würden. Bereits das Abwarten kann in vielen Fällen helfen,Entscheidungen reifen zu lassen. Das Erwarten der Ergebnisse ermög-licht weiter, wohlüberlegte langfristige Entscheidungen immer wieder zuüberprüfen. Pausen schließlich können als organisationale Gestaltungs-elemente von Arbeitsprozessen zur sozialen Synchronisation, im Sinneeiner gemeinsamen Kommunikation oder informeller Kontakte, genutztwerden.

3 Ein alternativer Blick auf Betriebszeiten

„Der Zeitnutzung in Unternehmen wird, in Relation zur Bedeutung derThematik [...], sowohl von den Geschäftsleitungen als auch von der

Wissenschaft wenig Aufmerksamkeit geschenkt.“

(Vedder 2001, S. 248)

Zeit innerhalb betrieblicher Organisationen ist nicht an sich knapp. DieKnappheit entsteht durch die verschiedenen Ziele und Aufgaben sowiedie daraus erwachsenden Verpflichtungen: den eigenen Anforderungenan das jeweilige Tun sowie die Erfüllung der unterschiedlichen Ziele unddie dazu notwendigen Planungen. In dem Maße, in dem erfolgreichebetriebliche Kooperationen stattfinden sollen, müssen Termine als Zeit-punkte bestimmt werden; je spezialisierter und komplexer, desto koordi-nationsbedürftiger und mehr voneinander abhängig. Dies gilt für das

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komplexe System Betrieb genauso wie für die darin tätigen Teams undProjekte. Doch nicht nur als reine Zeitpunkte, die einzuhalten sind, son-dern auch als Fristen, innerhalb derer Themen oder Probleme bearbeitetwerden müssen, sind Termine wichtig. Individuelle Termine lassen sichdaraus nicht isolieren, sondern stehen, aufgrund der Arbeitsteilung, inAbhängigkeit zueinander.

Dies gilt umso mehr, je komplexer die Arbeits- und daraus resultierendenEntscheidungsprozesse sind. Gerade Gruppen- und Teamarbeit erfor-dert eine zunehmende Synchronisation mit dem sozialen und betrieb-lichen Umfeld. Individuelle Zeitstrukturierungsmöglichkeiten wie Planen,Befristen oder Terminieren können im betrieblichen Alltag nur eine rela-tive subjektive Zeitautonomie schaffen. Grundsätzlich besteht jedoch einzunehmender Bedarf an sozialer zeitlicher Synchronisation. Zugespitzt:Je flexibler Menschen – und Führungskräfte – arbeiten, desto wichtigerwerden Zeitbewirtschaftungssysteme als kollektive Steuerungs- undSynchronisationsinstrumente. Dazu empfiehlt es sich, genauer auf dieverschiedenen Funktionen zeitlicher Phänomene, wie beipielsweise dieDauer, das Warten und die Pause, zu sehen.

Aufgrund knapper Befristungen, die im Regelfall durch indirekte Steue-rungsformen vorgegeben werden, entstehen nicht notwendig effektiveEntscheidungen. Zeitdruck erschwert beispielsweise eine gründlicheAnalyse oder strategische Ausrichtung. Wenn Zeiten für Reflexionen undInnovationen fehlen, führt das zu Unsicherheit und endet oft genug ineinem Verzicht auf sichernde Planelemente. Alternativ- und Umwegpla-nungen werden unterbunden und eine Verstärkung der formalisiertenAspekte der Arbeit ist die Konsequenz zu kurzer Fristigkeiten. Unter zuknappen Zeitvorgaben werden bereits bekannte Problemlösestrategienbevorzugt. Eine zu kurzfristige Terminvorgabe führt dazu, langfristig undökonomisch möglicherweise sehr viel wichtigere Handlungen zu unter-lassen. Gerade an der Notwendigkeit einer dauerhaften Aufrechterhal-tung von Betrieben lässt sich die Notwendigkeit zeitlicher Dauer zeigen:beispielsweise um langfristige strategische Ziele verfolgen zu können.

Betriebe benötigen Dauer auch im Sinne von Stabilität, um ihre Identitätzu bewahren. Stabile Strukturen und Regeln schaffen aber auch Sicher-heit und Routinen im Handeln. Betriebe werden im Innen- und Außenver-hältnis immer ein ausgewogenes Verhältnis von Stabilität und Flexibilitätaufweisen müssen. Die Bedeutung von stabiler und gleichförmiger Leis-tung, bzw. von Leistungen zum Aufrechterhalten der Organisationsstruk-turen, wird jedoch in der Diskussion um Beschleunigung und Flexibilität

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systematisch unterschätzt, ähnlich wie die Bedeutung des Wartens. War-ten ist unerlässlicher Bestandteil jeder zwischenmenschlichen Kommuni-kation. Warten kann jedoch auch dazu dienen, langfristige Planungen zusteuern oder adäquate betriebliche Rückmeldesignale zu bekommenund verarbeiten. Beim Warten wird auch die enge Verflochtenheit unter-schiedlicher zeitlicher Formen deutlich. Warten ist als Pause nutzbar, bei-spielsweise in Form von Entspannungsübungen oder Lesen. Und in Pau-sen kann man auf etwas warten. Alltagssprachliche Begriffe bleiben hieruneindeutig und betrieblich werden diese Zeitphänomene erst gar nichterfasst. Erwiesen ist: Die effektive Arbeitszeit wird durch klug eingebautePausen „länger“ als bei Tätigkeiten, die pausenlos andauern. Pausenrichtig zu setzen bedarf jedoch der kontextsensitiven Wahrnehmung derSituation. Sie widersetzen sich einem rein planenden und „metrischen“Zugriff.

3.1 Dauerprozess und Kommunikationsdauer

Für betriebliche Organisationen sind sowohl ihre Strukturen als auch ihreProzesse konstitutiv. Struktur und Prozess setzen sich dabei gegenseitigvoraus. Strukturierung ist unter bestimmten Bedingungen ein Prozessund Prozesse haben Strukturen. Sie unterscheiden sich durch ihr Ver-hältnis zur Zeit. Strukturen sind also nicht einfach zeitlos, und Prozessenicht einfach zeitlich. Sowohl für die Strukturen als auch für betrieblicheProzesse gilt: Nur weil sie dauern, können sie verändert werden. Vorallem in Hinblick auf organisationalen Wandel und betriebliche Verände-rungsprozesse wird die Bedeutung von Dauerhaftigkeit systematischunterschätzt. Management- und Führungsaufgabe ist nicht das bloßeVertrauen in eine selbstregulative Dynamik flexibler Strukturen. Um Fle-xibilität sicherzustellen muss die dahinterliegende Managementstrukturselbst anders gelagert sein; mithin von Dauer und Verlässlichkeitgeprägt. Es ist eine dauerhafte Rahmenstruktur notwendig, welcheflexible Prozesse erst zulässt. Wandel ist ein betrieblichen Systemenimmanenter Normalzustand. Er ist jedoch ohne Blick auf Stabilität bzw.stabilisierende Prozesse und Strukturen nicht begreifbar. Erst Dauerhaf-tigkeit führt beispielsweise zum Vertrauen als Ressource.

Vertrauen ist ein sozialer Prozess. Dabei können nicht nur Personen Per-sonen, sondern auch soziale Systeme (z.B. Teams) anderen Systemenvertrauen. Erst durch Vertrauen in die Verlässlichkeit der Strukturen undProzesse kommt es zu einem Systemvertrauen. Dieses Vertrauen wird inder Zurechnung nicht mehr den darin tätigen Individuen, sondern dem

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Betrieb selbst zuerkannt. Vertrauen und die dazugehörige Unterneh-menskultur ist nicht einfach zu verordnen bzw. einzuführen. Das erreich-bare betriebliche Vertrauensniveau bleibt in erheblichem Maße nur einNebenprodukt nicht direkt daraufhin angelegten Handelns. Es ist nichtstrategisch zu etablieren. Sowohl Vertrauen als auch die dazu notwendi-gen Bindungen etablieren und stabilisieren sich erst Zug um Zug. Ver-trauen bedarf in den Augen der Umwelt und Individuen vor allem einerDauer und darin beständiger Wiederholungen.

Gruppen und Teams bilden sich erst kommunikativ heraus, indem dieeinzelnen Personen über längere Zeit zusammenarbeiten und dabei mit-einander Kontakt haben. Kommunikation ist deshalb die Grundlage allensozialen Handelns. Gerade das Planen und Festlegen erwünschter Zieleim Projektkontext stellt einen hochkommunikativen Akt dar. Nach der Pla-nungsentscheidung wird vernünftigerweise auch die Ausführung und dieerreichte Wirkung der Pläne kontrolliert. Das hierzu notwendige Feed-back erfolgt in Form Rückmeldungen. Im Prinzip besteht jede personaleFührungstätigkeit in der Praxis zu großen Teilen aus Kommunikation.Kommunikation, die einerseits in weiten Teilen vorher nicht geplant warund andererseits häufig nach kurzer Zeit unterbrochen wird. In diesemSinne ist Kommunikation, insbesondere als personales und kooperativesFührungshandeln, ein zentrales Kriterium erfolgreicher Betriebe.

Zwar ist nicht jedes Planen und Handeln in betrieblichen Organisationendas Ergebnis von Verständigungsprozessen, aber „stabile Handlungs-muster werden nicht durch formale Regelungen, sondern durch fortge-setzte Interaktion aufrechterhalten“ (Kieser 1999, S. 190). Dabei wird aufinformelle und spekulative Informationen genauso zurückgegriffen, wieauf offizielle Verlautbarungen. Dauerhafte Orte der Begegnung und kol-lektive Zeiten für Kommunikation zu schaffen, erleichtert diese Führung-funktion. Dies hat auch Konsequenzen für die Organisations- und Perso-nalentwicklung: Obwohl moderne Personalentwicklungsmaßnahmen vorallem die Förderung der kommunikativen Potenziale von Mitarbeiternbetonen, werden innerhalb betrieblicher Organisationen im Regelfall zuwenig Zeit und Ressourcen darauf verwendet, den kommunikativenUmgang ihrer Mitarbeiter im Sinne sozialer Kompetenzen zu professio-nalisieren. Ein Umstand, den die Personalabteilung ändern kann.

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3.2 Wandel, Rituale und Emotionen

Change Management ist im betrieblichen Kontext mittlerweile ein alltäg-liches Geschäft geworden. Häufig laufen in diesem Rahmen viele paral-lele Veränderungsprozesse gleichzeitig. Die Reorganisation mündetmeist jedoch nicht mehr in neuen, stabilen und dauerhaften Organisati-onsstrukturen, sondern wird vielmehr selbst auf Dauer gestellt. Wennbetrieblich alles nur noch als Wandel und Veränderung gesehen wird,dann bedeutet das im Umkehrschluss, dass es keinen Normalzustandoder keine stabile Strukturen gibt, die man, beispielsweise in Form vonRoutinehandeln, bewältigen kann. Wie ständige Wechsel in denManagementstrukturen langfristig zu besseren Leistungen führen sollen,ist schwer nachzuvollziehen. In den vor- und nachgelagerten Phaseneiner Prozessneuorganisation oder eines Führungswechsels bleiben vorallem längerfristige Aufgaben unerledigt. Im Sinne der Personal- undOrganisationsentwicklung sind es gerade die langfristigen Projekte, diewertschaffend fortgeführt werden sollten. Dafür ist die Dauerhauftigkeitidentifizierbarer betrieblicher Strukturen eine notwendige Vorbedingung.

Das damit einhergehende Gefühl von Sicherheit ist Voraussetzung wei-terer strategischer Überlegungen zur betrieblichen Zukunft. Je ungewis-ser die künftigen Aussichten bei betrieblichen Transformationsprozessensind, desto wichtiger werden Stabilität und Gewissheit im Rahmen alltäg-licher Kommunikationsstrukturen und Beziehungsprozesse. Entstan-dene Unsicherheiten müssen in neue Gewissheiten überführt werden.Stabilisierung der Prozesse durch zurückhaltende Politik und Eingriffe,und damit strukturelle Dauerhaftigkeit, sind von Seiten des Manage-ments oder der Führung gerade bei tief greifenden Transformationen undbesonders dynamischen Situationen notwendig. Dadurch werden dieBetroffenen nicht einfach von Veränderungen überrollt oder zu Verände-rungen überredet, die sie im Moment weder überblicken noch bewältigenkönnen. „Protagonisten von Wandel müssen also nicht nur verdeutlichen,was genau sich ändern soll, sondern auch Bedingungen schaffen, dieerkennbar machen, was unverändert auch in der Zukunft gelten soll undworauf sich Menschen auch künftig verlassen dürfen sollen“ (Rüegg-Stürm & Gritsch 2003, S. 52). Hierzu kann die Personalabteilung kommu-nikativ viel beitragen.

Rituale sind symbolisch besetzte Handlungen, die entsprechend ent-schlüsselt und gedeutet werden müssen. Rituale bringen die existen-zielle kommunikative Bezogenheit von Menschen zum Ausdruck undstellen typischerweise ein soziales Ergebnis dar. Rituale entstehen als

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symbolische Formen der Erfahrung und Konkretisierung eines sozialenZusammenhalts und essenziellen Bestandteils von Unternehmenskultu-ren aus Regeln und Routinen. Rituale stellen dabei ein hochwirksamesKommunikationsmedium dar. Sie sorgen beispielsweise für eine Verge-wisserung gegenüber den betrieblichen Werten und stärken so die kol-lektive Identität. Bei organisationalem Wandel spielen Rituale eine ent-scheidende Rolle: Sie verdeutlichen, was innerhalb des Betriebes wert-voll und bedeutsam ist und was über die aktuellen Veränderungen derGegenwart hinaus Gültigkeit behalten soll. Das dadurch gewonneneGrundvertrauen in die eigene Handlungsfähigkeit ist, zusammen mit demVertrauen in die Fairness der Entscheidungsprozesse, eine zentrale Vor-aussetzung, individuell betrieblichen Wandel mitzutragen. Diese Stabili-tät können Rituale im Rahmen der betrieblichen Kultur deshalb gewähr-leisten, weil sie selbst eingespielte Handlungsabläufe darstellen, dienicht einfach verändert, abgeschafft oder strategisch eingeführt werdenkönnen. Sie entfalten sich erst in der Dauerhaftigkeit der kommunikativenbetrieblichen Beziehungen. Die wichtigen Rituale zu identifizieren undfördern, kann eine Herausforderung für Personal- und Organisationsent-wickler sein.

3.3 Warte mal schnell

Im betrieblichen Kontext hat das Warten überwiegend eine negative Kon-notation: Es gilt als Indiz für schlecht organisierte Prozesse und ineffizi-ente Arbeitsstrukturen. Doch eine Simultanplanung scheitert notwendigan der Komplexität sozialer Systeme und Interdependenz ihrer Zeitpläne.Insofern ist das Warten auch ein bedeutender Bestandteil innerhalbbetrieblicher Systeme. Gerade umfangreiche oder tief gehende Projekt-arbeit weist immer verschiedene Dimension des Wartens auf: dasWarten in der „langen Frist“ bei der Bewältigung komplexer Aufgaben,unterbrochen von kurzfristigen dazwischen liegenden Aufgaben. Für dieHerstellung der Arbeitsfähigkeit von Gruppen ist zunächst die Konstituti-onsphase, ihre „Geburt“, zeitlich von besonderer Bedeutung. Zeitver-brauch, Kosten und Qualität sind hier eng gekoppelt mit der notwendigenZeit für eine offene Kommunikationskultur in der Gruppe. Erst wenn eineKonsolidierung der Gruppe erreicht ist, also auf die Arbeitsfähigkeitgewartet wurde, kann ein Projekt mit der eigentlichen Aufgabe beginnen.

Es gibt wenig empirische Untersuchungen dazu, wie Abstimmungs- undInteraktionsprozesse in Gruppen und zwischen Gruppen in hierarchi-schen Organisationen, im Sinne einer optimalen Vermittlung und Imple-

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mentierung von Ergebnissen, jeweils erfolgreich betrieblich gelöst wer-den. Die Arbeit an den Schnittstellen ist hierbei zentral, da es sich in derRegel um hoch kommunikative Prozesse handelt. Auch bei der Imple-mentierung von Projektergebnissen in die organisationale Struktur muss,bedingt durch die notwendige Zustimmung der betroffenen Personenoder Gruppen, gewartet werden. Erst wenn diese Zustimmung eingeholtund während dieser Zeit abgewartet wurde, können die Projektergeb-nisse umgesetzt oder ggf. modifiziert werden. Dass Teams und GruppenWachstumsphasen durchlaufen oder Krisen aushalten müssen, stößt inder Linienorganisation meist auf Ungeduld und mangelndes Verständnis.Daran scheitert wohl eine Vielzahl von Projekten: dass nicht abgewartetoder systemisch nichts wirklich erwartet wurde; ein Umstand, den diePersonalabteilung bei der Planung berücksichtigen sollte.

Dezentrale Strukturen bedingen eine Vielzahl von Entscheidungen undInformationsquellen. Brauchen Teams insgesamt schon Zeit, um arbeits-fähig zu werden, so benötigen Konsensentscheidungen innerhalb dieserGruppen nochmals mehr Zeit als andere Entscheidungsformen. SchnelleEinzelentscheidungen, meist aufgrund der Autorität der betreffendenPerson, stellen demgegenüber die vergleichsweise schlechteste Ent-scheidungsform innerhalb komplexer betrieblicher Organisationen dar.Doch auch Mehrheitsentscheidungen sind nur dann qualitativ höherwer-tiger, wenn sie die Folge eines Meinungs- und Willensbildungsprozessessind. Die schrittweise Entwicklung angemessener Entscheidungsverfah-ren, beispielsweise gegenüber hierarchischen Einzelentscheidungen,bedarf auf jeden Fall einer Kultivierung des Wartens auf verschiedenenEbenen. Ökonomisch gedacht geht es um eine Gesamtbilanz: Die Zeit,welche für eine Entscheidung gebraucht wird, wird der Zeit gegenüber-gestellt, die für nachträgliche Zustimmung aufgewendet werden muss –oder dem, was der hierarchische Druck „kostet“, die Entscheidungenumzusetzen.

Beim Einsatz von Gruppen und Teams – und noch mehr bei Projekten –wird deutlich, dass sich hier die Zeitverhältnisse umkehren: wenig zeit-aufwendig sind Einzelentscheidungen. Im Allgemeinen ziehen sie sichaber bei der Durchführung oder Implementierung der Ergebnisse inner-halb sozialer Organisationen enorm in die Länge. Bei passiver Resistenzkann dies bis gegen unendlich gehen. Demgegenüber ist die Zeit, dieaufgewendet werden muss, einen Konsens zu erzielen, relativ lange.Doch bei der Umsetzung nach der Entscheidung identifizieren und betei-ligen sich am Konsens Beteiligte aktiver und motivierter. In der Regel

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wurden dann nämlich gewichtige Einwände und Durchführungsproblemeangesprochen und im Konsens mit berücksichtigt. Ökonomisch sind kon-sensfähige Gruppen in ihrem Ergebnis besser als die beste Einzelleis-tung innerhalb der Gruppe. Das Warten auf den Konsens lohnt sich fürOrganisationsentwickler auf jeden Fall.

3.4 Mach mal Pause

Die Notwendigkeit von Pausen zur körperlichen – und geistigen – Erho-lung ist mittlerweile arbeitswissenschaftlich gut dokumentiert. Dabei istder Vorteil von Pausen nicht nur auf eine spätere Mehrleistung, sondernauch auf eine „Vorauswirkung“ von Pausen zurückzuführen. Es lässt sichalso zeigen, dass eine Pause bereits die ihr vorausgehende Arbeit positivbeeinflusst. Pausen tragen aber auch zur Entdichtung der betrieblichenArbeitsorganisation bei. Die Lage, Dauer und Wahl der Pausen haterhebliche Auswirkungen auf die individuelle und soziale Produktivitätinnerhalb von Gruppen. Gegenüber reinen Erholungspausen treten – beientsprechenden Arbeitsbedingungen – selbst gewählte Pausen in denVordergrund. Diese werden im Regelfall von informellem Austauschbegleitet. Das liegt vor allem an ihrer sozialen Funktion. Werden Pausenentsprechend ermöglicht, ergeben sich meist verblüffend positive Aus-wirkungen auf das Leistungsniveau und Teamklima. Pausen dienendann dem zeitlichen Balancesystem des Kollektivs, da sie den notwendi-gen Eigenzeiten der Gruppenmitglieder Raum geben können. LängerePausen dienen dann dazu, reflexiv zurückzuschauen, Revue passierenzu lassen oder einfach in Ruhe vorauszuplanen. Selten jedoch wird diealltagspraktische Wirklichkeit und soziale Funktion von Pausen betrieb-lich thematisiert und erfasst. Doch gerade Pausen bieten sich als auf-schlussreiches Beispiel der Beachtung unterschiedlicher Zeiten an, weilökonomisch, sozial und kulturell bedingte Arbeitszeit- und Pausenrege-lungen ohnehin das Resultat von Synchronisationsproblemen inner- undzwischenbetrieblicher Arbeitsabläufe sind.

Konflikte sind innerhalb betrieblicher Organisationen alltäglich. Je wider-sprüchlicher, schneller oder komplexer die betrieblichen Strukturen undProzesse werden, desto notwendiger ist die Anerkennung von Konfliktenals alltägliche Realität. Dennoch werden Konflikte im Rahmen dermeisten Organisations- und Managementtheorien lediglich als gelegent-lich auftretendes, effiziente Organisationsabläufe störendes und dysfunk-tionales Ärgernis gesehen. Je mehr dabei aus Zeitgründen versucht wird,die notwendigen Konflikte nicht zuzulassen oder hierarchisch zu lösen,

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umso mehr Zeit kostet die (informelle) Bewältigung durch demotivierteMitarbeiter und Fehlerhäufigkeit.

Dies gilt insbesondere für die modernen Organisationsformen der Team-und Projektarbeit, in denen ein systematisches Konfliktmanagement vor-ausgesetzt wird. Nur ein kleiner Teil des Konfliktgeschehens beruht dabeiauf der Sachebene. Viel entscheidender ist die psychosoziale Ebene: dieÄngste und Unsicherheiten, Wünsche, Gefühle und Tabus, die durchKonflikte berührt werden. Der Ausgang von Konflikten hängt deshalbnicht unerheblich davon ab, wie die Beteiligten den Konflikt emotionalbewältigen. Am problematischsten in der Handhabung von Konfliktenerweist sich ihre nicht lineare Dynamik. Ab einem bestimmten Punkt ist ineiner eskalierten Situation ein sinnvolles Argumentieren oder Deeskalie-ren auf der Sachebene nicht mehr möglich. In frühen Phasen reicht dage-gen bereits eine Zäsur, um den Konflikt zu beenden oder zumindest dieKonfliktdynamik zu entschärfen. Ein gezielt gesetztes Pausengesprächkann dabei noch mehr bewirken: Es unterbricht die Konfliktdynamik undermöglicht so eine Distanz zur Konfliktursache. Als systematische Feed-backschleifen im Rahmen von Team- oder Projektarbeit ermöglichenPausen im Falle von Konflikten eine Rückbesinnung auf den Verständi-gungsrahmen oder die gemeinsamen Vereinbarungen. Insgesamtbraucht ein konstruktives Konfliktmanagement also Zeit; Zeit in Form vonPausen. Es ist ökonomisch immer sinnvoll, auf Konflikte einzugehen undsie einer Klärung zuzuführen. Im Sinne eines proaktiven Konfliktmanage-mentsystems kann die Personalabteilung eine positive Pausenkultur inBetrieben fördern.

Wann sind Sitzungen, Besprechungen und Meetings effektiv und effizi-ent? Befragt man Führungskräfte, dann sind sie die größten Zeitver-schwender und Zeitvernichter innerhalb ihrer täglichen Arbeit. Ähnlichsehen es die klassischen Zeitmanagement-Ratgeber. Zu einer gelunge-nen Besprechung gehört aber nicht alleine, dass die argumentativeEbene formal abgehandelt wird. Soziale Kommunikation, wie sie im Rah-men von Sitzungen und Besprechungen stattfindet, hat neben demInhalts- einen Beziehungsaspekt. Pausen können auch hier gezielt ein-gesetzt werden. Als für alle sichtbare Zeitplanung sind sie ein Bestandteilder vereinbarten Spielregeln und bieten Gelegenheit, adäquat mit Stö-rungen umzugehen. Darüber hinaus eröffnen sie inoffizielle Gelegenhei-ten, bilateral wichtige Dinge zu besprechen, um damit im gemeinsamenGespräch voran zu kommen. Pausen stellen ein altbekanntes Hilfsmittelfür das Erzielen von Ergebnissen dar. Arbeitsbezogene Gespräche auf

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höchster Ebene folgen bis heute dieser Zeitform: Das gemeinsameEssen nach einer erfolgreichen Verhandlung oder vor der Aufnahmegeschäftlicher Beziehungen erkennt die soziale Funktion von Pausenausdrücklich an. Genauso wie in Tagungspausen gekonnter Small Talkvon großem Wert sein kann. Welche enorm positive Wirkung Pausen alsGestaltungselement haben können, zeigen vor allem die Kongresse undBesprechungen, die sie berücksichtigen; ein weiterer Grund für Persona-ler, die betriebliche Pausenkultur zu fördern.

3.5 Work-Life-Balance

In einer Gesellschaft, in der es selbst für Führungskräfte nicht mehrselbstverständlich ist, Familienleben und Freizeitvergnügen einfach demBeruf unterzuordnen, geben viele klassische Zeitmanagement Ratgebervor, durch richtiges Selbstmanagement die verschiedenen Anforderun-gen, die sich aus den Ansprüchen des sozialen Umfeldes ergeben,bewältigen zu können. Work-Life-Balance ist in diesem Zusammenhangin vielen Bereichen ein Modebegriff geworden. Nach dem üblichen Ver-ständnis soll Work-Life-Balance primär dazu dienen, Burnouts im Sinnefehlender Kreativität, sowohl individuell als auch betrieblich, zu verhin-dern oder Krankheiten zu vermeiden. Die Balance soll dabei bisher mög-lichst im Tagesgeschäft, im Sinne einer erfolgreichen Selbstbegrenzung,untergebracht werden. Insofern wird im Rahmen von Work-Life-Balance-Modellen meist eine individuelle Re-Rhythmisierung flexibilisierter Arbeitversucht. Doch damit werden die meisten Chancen, die eine gelungeneWork-Life-Balance bietet, vertan. Im Rahmen von wohlverstandenenWork-Life-Balance-Modellen lohnt sich vor allem die Beachtung desWartens und von Pausen: Work-Life-Balance als Blockzeiten – d.h. imRahmen längerer Pausen vom Arbeitsprozess – ermöglichen temporäreProjekte außerhalb des eigenen Beschäftigungsbereichs. Solche Pro-jekte bringen in der Regel neue Handlungsoptionen, die in der Nutzungauch für den Betrieb elementar sein können. In diesem Sinne könnte einegelungene Work-Life-Balance mit dazu beitragen, neue Perspektiven,Entwicklungsmöglichkeiten und Innovationen in den betrieblichen Kon-text zu bringen: beispielsweise die Kompetenz des Umgangs mit Zeit-grenzen und Zeitsouveränität. Da Work-Life-Balance-Modelle langfristigzuverlässig planbar sein müssen, um individuell angenommen zu wer-den, benötigen sie Stabilität der Regeln und Organisationen – und somitdie Zeit der Dauer. Letztlich müssen die Beschäftigten den Beginn derAuszeit abwarten und die betriebliche Organisation das Ende und die

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Rückkehr der betroffenen Personen erwarten können. Diese synchroneVielfalt der drei Zeitformen ergibt, wenn sie gelingt, eine Form betriebli-cher Synchronie. Und nur unter diesen Bedingungen kann die Personal-entwicklung auch diese Potenziale einbeziehen.

4 Soziales Zeitmanagement

„Die Vorstellung, einen Beschäftigten als in idealer Weise zeitautonomagierendes Subjekt zu bezeichnen, der ohne Rücksicht auf die Zeit-

bedürfnisse seiner KollegInnen seine privaten Zeitinteressen realisiert,diskreditiert das Autonomiekonzept von vornherein [...] Autonomie und

Intersubjektivität verweisen damit wechselseitig aufeinander.“

(Trinczek 2005, S. 383)

Eine Koordination betrieblicher Prozesse durch Gruppen und Teams giltheute als organisationaler Fortschritt. Die ernsthafte Implementierungvon Projektorganisation bedeutet dabei eine zunehmende Differenzie-rung und zusätzlichen Koordinationsaufwand. Einzelne Personen, Grup-pen und Projekte erhalten in diesem Zusammenhang nämlich eine rela-tive Autonomie. Gegenüber rein hierarchischen Lösungen muss nun-mehr von Seiten des Managements die Zustimmung der Gruppen zuErgebnissen, Veränderungsprozessen und Strategien eingeholt werden.Neben der veränderten Organisationsstruktur ergibt sich dabei eineimmer größere Vielfalt ungeplanter Ereignisse und unvorhergesehenerVerhaltensweisen. Es entstehen vernetzte, widersprüchliche und kom-plexere betriebliche Systeme. Die neuen Organisationsformen undArbeitsstrukturen bedeuten nicht nur eine Zunahme an innerbetriebli-cher, sondern vor allem an zeitlicher Komplexität. Insofern ist ein Blickauf die zeitliche Vielfalt in betrieblichen Organisationen eine lohnendeAlternative.

Insbesondere drei Zeitformen treten dabei in den Vordergrund: dieDauer, das Warten und die Pause. Die gängigen Modellvorstellungenkollektiver Arbeitsorganisation bleiben demgegenüber vor allem deshalbunvollständig, weil es bezüglich der Basismodelle eine fundamentaleGrundentscheidung gibt: die Festlegung auf einen methodischen Indivi-dualismus. Alle kollektiven Phänomene, also auch die des gemeinsamenArbeitens in komplexen sozialen Systemen, wie es Betriebe darstellen,werden unter Rückgriff auf individuelles Verhalten erklärt. Doch histo-risch und kulturell gewachsene Organisationen im Nachhinein als Ergeb-

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nis rationaler Entscheidungen von Individuen zu interpretieren, mussvom Ansatz her scheitern.

Die prinzipielle Schwäche besteht darin, dass die Vorteile sozialer Inter-aktionen nicht adäquat erfasst werden. Konsensentscheidungen zeitigennicht zufällig die besten Ergebnisse für Gruppen und Betriebe. ZentraleAufgabe der Personalentwicklung ist deshalb, den Projekten, Teams undGruppen – als betrieblichen Untersystemen – ihre eigene kollektive Auto-nomie einzuräumen sowie eine anständige zeitliche Ressourcenausstat-tung vorzusehen. Nur im Rahmen eines sozialen Zeitmanagements wirddie gemeinsame Zusammenarbeit gelingen.

4.1 Kollektive Zeitautonomie

Der Einzelne kann sich dem innerbetrieblichen Druck – trotz bestem Zeit-management – nicht verweigern. Daraus ergibt sich im Umkehrschlussnoch nicht automatisch, dass sich Gruppen oder Teams als Kollektiv demDruck entziehen können. Oft genug wird der Druck in die Gruppe getra-gen und verteilt. In so einem Fall übernehmen die Projektmitglieder einevorgelagerte Überwachungsfunktion des Managements, bei der inner-halb der Gruppe genau betrachtet wird, dass alle effizient arbeiten,obwohl beispielsweise die Ressourcen zu knapp bemessen sind.Solange innerhalb der Gruppen kein Konsens darüber besteht, dass nurbei vernünftigen zeitlichen Vorgaben und adäquater Ressourcenausstat-tung die Aufgaben zu bewältigen sind, werden sie auch als Gesamtheitihre Ziele verfehlen. Die Schuld nicht bei einzelnen Gruppenmitgliedernzu suchen und gemeinsam auf eine entsprechende Ausstattung mit Res-sourcen, sei es personell, sei es zeitlich, zu achten, ist auch Aufgabe derPersonalabteilung.

Die Möglichkeit, Pläne umsetzen zu können, erfordert persönlichen undgemeinsamen Freiraum. Gute Projektarbeit gibt es nur unter der Bedin-gung hoher persönlicher oder sozialer Autonomie. Umgekehrt bedeutetdies, dass in Betrieben und Unternehmen ohne ausreichend Entschei-dungs- und Handlungsspielräume sehr schnell Probleme entstehen bzw.die Realisierung von Projekten und ihren Ergebnissen auf Ablehnungstößt. Die notwendige Balance zwischen den individuellen und kollekti-ven Zeitinteressen kann nur kommunikativ erreicht werden. Kategorienwie „Rücksichtnahme“, „Aushandlung“ und „Interaktion“ bekommen inder gelingenden Team und Projektarbeit einen dominanten Stellenwert.

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Kollektive Zeitautonomie darf auch auf Seiten der Personalabteilungnicht in seiner individualistisch verkürzten Fassung gedacht werden.„Zeitautonomie bedeutet nicht die bedingungslose Durchsetzung eigenerZeitinteressen, sondern Anerkennung der Zeitinteressen anderer imeigenen Handeln“ (Trinczek 2005, S. 386). Dies erfordert besondereKompetenzen im Bereich der Teamfähigkeit und die Achtung der jeweilsunterschiedlichen individuellen zeitlichen Interessen und Bedürfnisse.Eine solche Koordinationsleistung hat ihren Platz gerade nicht im indivi-duellen Arbeitshandeln, sondern beispielsweise im Teamgespräch. Dieentscheidende Frage sozialer Zeitautonomie für die Personalabteilungist, auf welcher Ebene und an welchem Ort zeitlich was auf welche Weise– und unter welcher realen Beteiligung der Akteure – geregelt wird.

4.2 Produktqualität = Qualität der Arbeit

Anders als früher handelt es sich beim modernen Qualitätsmanagementum eine integrative Methode, die bereits im Prozess und vor dem Auftre-ten von Schäden wirksam werden soll. Die Qualität einer Ware, einesGutes oder einer Dienstleistung ergibt sich dabei aus einer Vielzahl vonEigenschaften, Maßnahmen und Ereignissen und geht mittlerweile überdas eigentliche Produkt hinaus. Zentrale Prozesse sollen identifiziert undgelenkt werden. Qualität umfasst so auch die Zulieferer, Partner undKunden und soll das betriebliche Umfeld einbeziehen.

Der gängige Begriff des „Total Quality Management“ (TQM), beziehtschließlich auch kulturelle, wirtschaftliche und ökologische Aspekte ein.Dahinter steht die Erkenntnis, dass nachhaltige Qualitätserbringung inder Produktion nur durch eine umfassende systemische Einbeziehungaller Strukturen erreicht werden kann. Nicht nur die Wertschöpfungspro-zesse sind also auf Qualität hin zu optimieren, sondern auch alle anderennotwendigen betrieblichen Ebenen. Dazu gehören die unterstüzendenProzesse genauso wie das Management und seine Führungsinstru-mente.

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Abb. 2: Betriebliche Zeitlandkarte – Ebene 1

Hinweis zu Abb. 2: Die Erstellung betrieblicher Zeitlandkarten ist nicht leicht. Umsie zu erstellen können Sie sich in einem ersten Schritt an der Prozesslandschaft,wie es das Qualitätsmanagment nach ISO empfiehlt, orientieren. Zumindest wer-den dann die unterschiedlichen Zeithorizonte des Betriebes deutlich.

Qualität in den Produkten und seinen Erstellungsprozessen entsteht vorallem durch qualitativ gute Arbeit der entsprechenden Teams und diesewiederum benötigt qualitative Zeiten – als Ressourcen und als Gestal-tungsmittel. Im Rahmen der Qualitätsmanagement-Literatur wird zwarkonsequent von Team- und Gruppenarbeit, Prozessorganisation unddem Management interner sowie externer Beziehungen zum beiderseiti-gen Vorteil ausgegangen, doch auf die notwendigen zeitlichen Gegeben-heiten wird dabei nicht eingegangen. Dabei setzt ein Qualitätsmanage-mentsystem selbst bereits Dauer voraus: Qualität ist kein „Instant“-Pro-dukt, denn ein funktionierendes Qualitätsmanagementsystem brauchtStabilität und Berechenbarkeit. Kein Produkt, keine Anwendung und keinSystem kommt via „Instant-Aktivitäten“ zu Qualität. Man kann sie auchnicht hineinprüfen. Jede qualitativ gute Projektarbeit und Prozessorgani-sation benötigt zeitliche Ressourcen, sei es in Form von Personal, sei esin Form von Zeit(en). Qualität kann nicht mit dem Tagesgeschäft mit erle-digt werden. Die Bereitstellung der notwendigen Mittel ist zentrale Vor-

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aussetzung eines funktionierenden Qualitätsmanagementsystems. Wirddie notwendige Ausstattung mit Ressourcen nicht gewährt, dann verkehrtsich der Qualitätsansatz in sein Gegenteil. Erst qualitativ gute Arbeitsbe-dingungen und kommunikative Strukturen schaffen auch die Motivationfür gelungene Teamarbeit. Qualitätsprojekte werden deshalb vor allem indenjenigen Betrieben erfolgreich eingesetzt, die auch innerhalb der Linien-organisationen zeitliche Freiheiten und qualitativ anspruchsvolle Arbeitgewährleisten. Erst dadurch werden die Beschäftigten befähigt, in derTeamarbeit gute Arbeitsergebnisse zu liefern. Entscheidend kommt esdeshalb auf die jeweilige Ausstattung mit Ressourcen sowie die zeitlicheVerschränkung der verschiedenen Organisationseinheiten an. DiesenZusammenhang können Personalverantwortliche argumentativ nutzenund organisational schaffen.

4.3 Empfehlungen

Einige Empfehlungen für die Personalabteilung am Schluss:

1. Achten Sie bei der Besetzung von Teams und Projekten darauf, dassnicht nur fachkompetente Personen vertreten sind. Für den Erfolg derArbeit sind soziale Kompetenzen in Bezug auf Zeit sehr viel entschei-dender.

2. Projekte und Gruppen brauchen Zeit. Sie für schnelle Problemlösun-gen zu etablieren, ist kontraproduktiv. Nutzen Sie das Qualitätsmana-gementsystem, um den einzelnen Teams die notwendigen Ressour-cen zukommen zu lassen. Beachten Sie dabei besonders dieSchnittstellen und Wechselwirkungen.

3. Erstellen Sie eine betriebliche „Zeitlandkarte“, analog zu den Prozess-landkarten, wie sie ISO 9001 (2000) vorsieht. Abweichende Inhaltekönnen sein: die verschiedenen Zeithorizonte der unterschiedlichenAbteilungen, zentrale Taktgeber, Rückmeldeprozesse und ihre Zei-ten, historische Betriebsdaten und zeitliche Ortsdaten.

4. Legen Sie die betriebliche Zeitpolitik und ihre Zeitziele fest. ErstellenSie dazu ein „Handbuch zur betrieblichen Zeitgestaltung“. Erhebenund evaluieren Sie dazu qualitativ typische und wichtige zeitlicheKennzahlen ihres Betriebes, die nicht einfach durch Überwachungund Messung erfasst werden können. Ein erster Ansatzpunkt könntedie Erstellung eines Relationendiagramms sein (siehe Abbildung 2).

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5. Führen Sie im Rahmen einer Balanced Scorecard oder eines ver-gleichbaren Kennzahlensystems betrieblich Zeitkennzahlen ein. Ach-ten Sie dabei darauf, dass insbesondere die Schnittstellenarbeit vonProjekten und Teams berücksichtigt wird.

Abb. 3: Zeitrelationen

Hinweis zu Abb. 3: Um herauszufiden, welchen zeitlichen Taktgeber es gibt, soll-ten Sie qualitative Methoden einsetzen. Eine davon ist die Erstellung eines Rela-tionendiagramms. Was besonders wichtig dabei ist, ist die unterschiedlicheGewichtung der einzelnen Faktoren. Im Regelfall ergibt sich aus den Abhängigkei-ten (Ein- und Ausgänge) die Erkenntnis der kritischen Erfolgsfaktoren. Die zeitli-chen „Treiber“ dahinter werden dann sehr schnell deutlich.Für die Personalabteilung besonders wichtig: Sowohl der betriebliche Wandel alsauch die Stabilität der Strukturen müssen in einem vernünftigen Verhältnis stehen.Vor allem ergeben sie sich nur indirekt über die eingeleiteten Maßnahmen. Wenighilfreich ist dagegen das klassische Verständnis des „Herunterbrechens“ vonZielen und ihren Zeiten (linke Seite im Diagramm). Bereits mit einer vernünftigenProzessorganisation ist hier mehr gewonnen.

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